Kapitalmarktrecht, internationales: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:09 Uhr

von Jan von Hein

1. Einleitung

Das internationale Kapitalmarktrecht ist ebenso wie sein materiellrechtliches Pendant (Kapitalmarktrecht) ein Querschnittsgebiet, das Elemente des privaten, öffentlichen und Strafrechts in sich vereint. Entsprechend heterogen fallen die kollisionsrechtlichen Regelungsansätze (internationales Privatrecht) aus, die bei der Anknüpfung einzelner Rechtsfragen zu beachten sind. Während etwa gesellschafts-, vertrags- oder deliktsrechtliche Fragen nach den allgemeinen Kollisionsnormen prinzipiell allseitig und ohne Rücksicht auf die jeweilige Behörden- oder Gerichtszuständigkeit angeknüpft werden (Gesellschaftsrecht, internationales; Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR); Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)), sind für das Internationale Kapitalmarktaufsichtsrecht die Grundsätze des internationalen öffentlichen Rechts zu beachten, d.h. jede Aufsichtsbehörde ist im Ausgangspunkt allein dazu befugt, ihr jeweiliges nationales Recht anzuwenden. Das Internationale Kapitalmarktrecht wird daher nicht durch allseitige, sondern durch einseitige, gesetzesbezogene Kollisionsnormen geprägt. Auch ausländisches öffentliches Recht kann indes über die Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen (Art. 9(3) Rom II-VO [VO 864/‌2007]) oder als local data im Rahmen des anwendbaren Sachrechts (§§ 138, 826 BGB) Auswirkungen auf privatrechtliche Rechtsfragen haben, die durch Transaktionen am Kapitalmarkt aufgeworfen werden. Für die Sanktionen des Kapitalmarktstrafrechts (z.B. bei Insidergeschäften) sind die Anknüpfungsregeln des Internationalen Strafrechts zu beachten. Ebenso wie im Internationalen Gesellschaftsrecht fehlt im Internationalen Kapitalmarktrecht eine die Frage des anwendbaren Rechts allgemein regelnde europäische Rechtsgrundlage.

2. Regelungsmodelle

Während der Kapitalmarkt in wirtschaftlicher Hinsicht längst europäisiert und globalisiert ist, hinkt die rechtliche Regulierung, die sich primär im nationalstaatlichen oder regionalen Rahmen vollzieht, hinterher. Zahlreiche Aktiengesellschaften sind heute an zwei oder mehr Börsen notiert, wodurch die Gefahr von Pflichtenkollisionen wächst, zumindest aber eine Kostensteigerung infolge redundanter Doppelkontrollen droht. Diese Gefahr einer Normenhäufung ist ein typisches Resultat einseitiger Kollisionsnormen. Umgekehrt droht ein Normenmangel, wenn kein Staat eine Regelungsbefugnis für heterogen verknüpfte Sachverhalte beansprucht. Es lassen sich sechs verschiedene Regulierungsstrategien für kapitalmarktrechtliche Konflikte, insbesondere mit Blick auf das Aufsichtsrecht, unterscheiden:

a) „Extraterritoriale“ Rechts­anwendung

An erster Stelle ist der herkömmlich in den USA verfolgte Ansatz zu nennen, das US-amerikanische Kapitalmarktrecht grundsätzlich auch auf ausländische Emittenten anzuwenden, sofern diese in den USA börsennotiert sind oder einen Schwellenwert an US-amerikanischen Investoren überschreiten. Dieser Ansatz wird in der deutschen und europäischen Literatur oft mit pejorativem Unterton als „extraterritoriale“ Rechtsanwendung bezeichnet, er steht indes mit den sehr weiten völkerrechtlichen Vorgaben, die lediglich eine sinnvolle Verknüpfung (genuine link) zwischen Inanspruchnahme einer Regelungsbefugnis und dem Regelungsgegenstand verlangen, in Einklang. In der Praxis wird die ausgedehnte Anwendung des eigenen Rechts auf ausländische Emittenten vielfach durch Freistellungen (z.B. von der Pflicht zur Befolgung US-amerikanischer Rechnungslegungsstandards oder zur Beachtung US-amerikanischer Corporate Governance-Anforderungen) gemildert. Der Sarbanes-Oxley Act von 2002 hat unterdessen die bisherige Balance zwischen organisationsrechtlichen Fragen, die dem Gesellschaftsstatut des Emittenten unterliegen, und kapitalmarktrechtlichen Anliegen, die dem US-amerikanischen Marktrecht unterworfen sind, aus europäischer Sicht empfindlich gestört.

b) Laisser faire und Issuer Choice

Als entgegengesetzte Position kommt in Betracht, den Emittenten ebenso wie im Internationalen Gesellschaftsrecht Parteiautonomie zu gewähren und ihnen die Wahl des auf sie anwendbaren Kapitalmarktrechts (insbesondere der zu beachtenden Publizitätserfordernisse) zu gestatten. Hiervon verspricht man sich einen Wettbewerb der Rechtsordnungen, der ebenso wie im Gesellschaftsrecht über den Druck des Marktes zur Durchsetzung des effizientesten Regimes, zu einem race to the top, führen soll. In ungeschmälerter Form hat sich dieser ultraliberale Ansatz aber bislang in keiner Rechtsordnung durchgesetzt. Hierfür ist nicht allein die Angst vor einem race to the bottom maßgebend. Gravierende Bedenken bestehen vielmehr hinsichtlich des Verlustes an Standardisierungsvorteilen und der mangelnden Vergleichbarkeit der vorgelegten Kapitalmarktinformationen. Hierdurch drohen negative Externalitäten zulasten der Anleger.

c) Vereinheitlichung des materiellen Kapitalmarktrechts

Dieser Ansatz folgt der bekannten Einsicht: „Ohne Rechtskollisionen kein Kollisionsrecht.“ Eine supranationale Vereinheitlichung, z.B. im Wege der EU-Verordnung, beschwört jedoch stets die Gefahr einer Versteinerung herauf, die insbesondere bei einem dynamischen Rechtsgebiet wie dem Kapitalmarktrecht effizienzmindernd sein kann. Die EU bevorzugt deshalb die flexiblere Regelungsform der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten in der Regel nur einen Mindeststandard vorgibt und ihnen insoweit einen Spielraum belässt. Damit ist wiederum das Risiko der Errichtung protektionistischer Hürden (sog. gold-plating) verbunden.

d) Spezielle supranationale Finanzierungsinstrumente

Hier sind insbesondere die American Depositary Receipts zu nennen, mit deren Hilfe sich deutsche Aktiengesellschaften auch an US-amerikanischen Börsen notieren lassen konnten, ohne die in Deutschland übliche, an US-amerikanischen Börsen aber nicht akzeptierte Verbriefung in Form von Inhaberaktien aufzugeben. Die Aufwertung der Namensaktie (NaStraG 2001) hat den Bedarf an solchen Überbrückungshilfen aber vermindert.

e) Mindestharmonisierung und gegenseitige Anerkennung

Diese Strategie dominiert heute in der EU. Verschiedene Richtlinien, MiFiD (RL 2004/‌39), Prospekt-RL (RL 2003/‌71), Übernahme-RL (RL 2004/‌25), harmonisieren das materielle Kapitalmarktrecht und legen in diesem Zusammenhang die Aufsichtszuständigkeit fest. Hierbei wird grundsätzlich das Herkunftslandprinzip verfolgt (MiFID, Prospekt-RL; differenzierend die Übernahme-RL). Trotz des Festhaltens an einseitigen Kollisionsnormen kann infolge der Harmonisierung der Anknüpfungsmomente die Gefahr von Normenmangel- und häufung weit gehend ausgeschlossen werden.

Die Kombination von Mindestharmonisierung und Anerkennung ist indes nicht auf den innereuropäischen Bereich beschränkt; so hat auch die US Securities and Exchange Commission (SEC) im Dezember 2007 die International Financial Reporting Standards (IFRS) als den US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (GAAP) gleichwertig anerkannt und damit europäische Emittenten von der zeit- und kostenaufwendigen Überleitungsrechnung befreit, die zuvor zur Inanspruchnahme des US-amerikanischen Kapitalmarkts notwendig war. In Bezug auf abweichende Corporate Governance-Regelungen kompensieren die US-amerikanischen Börsen und die SEC Freistellungen von der Einhaltung US-amerikanischer Vorgaben allerdings vielfach durch entsprechende Erklärungspflichten der Emittenten u.a. im Jahresbericht (comply or explain). Das Letzturteil über die „Gleichwertigkeit“ europäischer Corporate Governance-Standards mit US-amerikanischen Vorgaben wird so den Anlegern überlassen. Hierdurch entsteht ein mittelbarer Harmonisierungsdruck auf das europäische Recht.

f) Selbstregulierung der Börsen

Eine stärkere Kontrolle der Emittenten über die Börsenzulassungsbedingungen wird in der Literatur vielfach als Weg zu einer flexibleren und marktnäheren Regulierung empfohlen. Das US-amerikanische Beispiel zeigt indes, dass vielfach die Kapitalmarktaufsicht über die Börsenzulassungsbedingungen Ziele durchsetzen konnte, deren Verfolgung ihr selbst aufgrund Beschränkungen ihres aufsichtsrechtlichen Mandats nicht möglich war.

3. Akteure

Zentrale Akteure der Kapitalmarktregulierung sind, abgesehen von den nationalen und supranationalen Gesetzgebern (EU) die Kapitalmarktaufsichtsbehörden, in Deutschland die BaFin, und die Börsen. Auf internationaler Ebene wird die Zusammenarbeit der nationalen Kapitalmarktaufsichtsbehörden durch die International Organization of Securities Commissions (IOSCO) gefördert. Auf europäischer Ebene ist das Committee of European Securities Regulators (CESR) zu nennen, dem wichtige Aufgaben bei der Konkretisierung und Überwachung der Implementierung der europäischen Regelungsvorgaben zukommen. Eine supranationale Kapitalmarktaufsichtsbehörde für den Binnenmarkt, die der US-amerikanischen SEC im Verhältnis zu den einzelnen Gliedstaaten vergleichbar wäre, fehlt in der EU. Ein institutionalisierter Austausch mit der SEC findet jedoch im Rahmen des Transatlantic Financial Markets Regulatory Dialogue statt.

4. Rechtsetzung

Angesichts einer verbreiteten Kritik an der Langwierigkeit und Ineffizienz des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahrens auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts war im Juli 2000 von den Wirtschafts- und Finanzministern der EU ein „Ausschuss der Weisen“ unter Leitung von Alexandre Lamfalussy eingesetzt worden, der zur Beschleunigung der Gesetzgebung ein Vier-Stufen-Konzept ausarbeitete. Dessen hervorstechendes Merkmal ist eine weitgehende Entkoppelung der politischen Grundsatzfragen, über die zunächst nach dem üblichen Rechtsetzungsverfahren entschieden wird, von der Ausarbeitung der detaillierteren technischen Vorschriften. Letztere werden der zweiten Stufe überlassen, auf der zwei neue Ausschüsse tätig werden, nämlich der EU-Wertpapierausschuss sowie CESR. Auf der dritten Stufe stellt CESR eine einheitliche Umsetzung und Auslegung der verabschiedeten Rechtsakte sicher. Auf der vierten Stufe schließlich überwacht die Kommission die Anwendung der Rechtsakte in den Mitgliedstaaten und greift gegebenenfalls mit Sanktionen ein. Im transatlantischen Kontext bildet das Memorandum of Understanding die bevorzugte Regelungsform zwischen der SEC und den europäischen Kapitalmarktaufsichtsbehörden.

5. Wertpapierdienstleistungen im Allgemeinen (MiFiD)

Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFiD) beruht auf den Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung und der Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat (Europäischer Pass), bei juristischen Personen also durch den Staat des Satzungssitzes. Der Gefahr von Gesetzesumgehungen soll dadurch begegnet werden, dass die Hauptverwaltung einer Wertpapierfirma sich stets in ihrem Herkunftsmitgliedstaat befindet und dort tatsächlich tätig ist. In Fällen offensichtlicher Gesetzesumgehung soll von einer Zulassung abgesehen werden. Die Praktikabilität einer Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat soll durch Informations- und Kooperationspflichten der zuständigen Behörden gewährleistet werden. Die Aufnahmemitgliedstaaten dürfen keine zusätzlichen Anforderungen stellen, behalten aber eine Notzuständigkeit für Sicherungsmaßnahmen. Das auf im Rahmen eines multilateralen Handelssystems geschlossene Verträge anwendbare Recht bestimmt sich nach Art. 4(1)(g) Rom I-VO (VO 593/‌ 2008; Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)). Der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz schränkt eine Rechtswahl insoweit nicht ein (Art. 6(4)(e) Rom I-VO).

6. Emissions- und Konsortialgeschäft: → Bankrecht, internationales

7. Kapitalmarktinformationshaftung und Marktmissbrauch

a) Prospekthaftung

Prospekthaftungsansprüche (Prospekthaftung) wurden nach der in Deutschland vor In-Kraft-Treten der Rom II-VO (VO 864/‌2007) h.M. deliktisch qualifiziert. Das in Art. 40 Abs. 1 EGBGB vorgesehene Wahlrecht wurde jedoch als eine unangemessene Belastung des Emittenten und als bedenkliche Wettbewerbsverzerrung kritisiert. Als Ausweg aus diesem Dilemma wurde die Anknüpfung an den betroffenen (Platzierungs‑)Markt propagiert, die auf die in Art. 41 EGBGB enthaltene Ausweichklausel gestützt wurde. Eine marktbezogene Anknüpfung der Prospekthaftung stößt jedoch angesichts der wachsenden europäischen und globalen Integration der Kapitalmärkte auf Schwierigkeiten bei der genauen Definition des relevanten Marktes. Eine vordringende Auffassung befürwortet daher eine akzessorische Anknüpfung der Prospekthaftung an die vorgreifliche Prospektpflicht. Diese Lösung verdient nun im Rahmen der Rom II-VO den Vorzug (Art. 4(3) Rom II-VO), sofern man nicht bereits deren sachlichen Anwendungsbereich (Bereichsausnahmen für das Wertpapier- und Gesellschaftsrecht gemäß Art. 1(c) und (d) Rom II-VO) verneint.

b) Sonstige Kapitalmarktinformationshaftung

Auch die sonstige Kapitalmarktinformationshaftung (z.B. der Organmitglieder des Emittenten bei falschen oder irreführenden ad hoc-Meldungen nach § 826 BGB) unterliegt dem nach den Kollisionsnormen des Internationalen Deliktsrechts bestimmten Recht (Rom II-VO), sofern nicht die bereits genannten Bereichsausnahmen eingreifen.

c) Marktmissbrauch

Art. 10 der Marktmissbrauchs-RL (RL 2003/‌6) verfolgt einen marktorientierten Ansatz: „Die Mitgliedstaaten wenden die Verbote und Gebote dieser Richtlinie auf Handlungen an, die a) in ihrem Hoheitsgebiet oder im Ausland vorgenommen werden und Finanzinstrumente betreffen, die zum Handel auf einem in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen oder betriebenen geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein entsprechender Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Markt gestellt wurde; b) in ihrem Hoheitsgebiet begangen werden und Finanzinstrumente betreffen, die zum Handel auf einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zugelassen sind oder für die ein entsprechender Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem solchen Markt gestellt wurde.“ Auch Verstöße gegen ein ausländisches Insiderhandelsverbot können bei Gleichwertigkeit eine strafrechtliche Verfolgung im Inland nach sich ziehen (§ 38 Abs. 5 WpHG). Eine gleichlaufende Anwendung ausländischer zivilrechtlicher Haftungstatbestände als international zwingendes Recht steht hingegen vor der Hürde, dass die Rom II-VO eine Sonderanknüpfung ausländischen Eingriffsrechts zumindest nicht explizit gestattet.

8. Internationales Übernahmerecht

Die Übernahme-RL (Übernahmerecht) sieht eine Spaltung der Anknüpfung in kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtliche Fragen vor. Für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs ist nach Art. 4(2)(a) Übernahme-RL die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaates zuständig, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat, wenn die Wertpapiere dieser Gesellschaft auf einem geregelten Markt dieses Mitgliedstaates zum Handel zugelassen sind. Die Zuständigkeit der Aufsichtsstelle des Sitzstaates bleibt vorbehaltlich eines Delistings erhalten, wenn die Aktien einer Gesellschaft dort auf einem geregelten Markt notiert worden sind, auch wenn ihre Wertpapiere später in einem anderen Mitgliedstaat zum Handel zugelassen werden. Selbst wenn die Aktien der Zielgesellschaft zuerst in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres Sitzes an der Börse zugelassen wurden, ändert dies nichts an der Zuständigkeit der Aufsichtsstelle des Sitzmitgliedstaates, wenn die Aktien dort ebenfalls gehandelt werden; dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 4(2)(b) Übernahme-RL. Die gemäß Art. 4(2)(a) Übernahme-RL zuständige Behörde hat stets ihr eigenes Recht anzuwenden; dies folgt aus dem in Art. 4(2)(e) Übernahme-RL verankerten Gleichlaufprinzip. Sind die Wertpapiere der Zielgesellschaft nicht auf einem geregelten Markt ihres Sitzmitgliedstaates zum Handel zugelassen, bestimmt Art. 4(2)(b)1 Übernahme-RL, dass für die Beaufsichtigung des Angebotsvorgangs die Aufsichtsstelle des Mitgliedstaates zuständig sein soll, auf dessen geregeltem Markt die Wertpapiere der Gesellschaft zum Handel zugelassen sind. Dem materiellen Recht des Marktstaates werden all jene Fragen unterworfen, welche die angebotene Gegenleistung, insbesondere den Preis, sowie alle Verfahrensfragen des Angebotsvorgangs betreffen (Art. 4(2)(e)1 Übernahme-RL). Hierzu zählen insbesondere die Unterrichtung über die Entscheidung des Bieters zur Unterbreitung eines Angebots, der Inhalt der Angebotsunterlage und die Bekanntmachung des Angebots (Art. 4(2)(e)1 Übernahme-RL). Hingegen gilt gemäß Art. 4(2)(e)2 Übernahme-RL das Recht des Sitzmitgliedstaates der Zielgesellschaft für Fragen, welche die Unterrichtung der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft betreffen, sowie für gesellschaftsrechtliche Fragen. Als „gesellschaftsrechtliche Fragen“ gelten insbesondere der Anteil an Stimmrechten, der die Kontrolle begründet, ferner die von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots abweichenden Regelungen sowie die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen. Für Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Angebot von und öffentliche Angebote bezüglich übertragbarer Wertpapiere festgelegt werden, gelten die verbraucherschützenden Rechtswahlschranken der Rom I-VO grundsätzlich nicht (Art. 6(4)(d) Rom I-VO).

9. Investmentgeschäft

Auch die Richtlinie über Organismen für die Gemeinsame Anlage in Wertpapieren (OGAW), die in Deutschland im InvG umgesetzt wurde, folgt den Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung und der Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat (Sitzstaat). Für Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen in OGAW festgelegt werden, gelten grundsätzlich nicht die verbraucherschützenden Rechtswahlschranken der Rom I-VO (Art. 6(4)(d) Rom I-VO).

10. Ausblick

Trotz des formal dominierenden unilateralistischen Regelungsansatzes ist das europäische Kapitalmarktkollisionsrecht durch einen erheblichen Harmonisierungsgrad geprägt, der auf den Prinzipien der Mindestharmonisierung, der Herkunftslandskontrolle und der gegenseitigen Anerkennung beruht. Der Lamfalussy-Prozess hat dazu beigetragen, die Koordination bei der Implementierung des Richtlinienrechts zu verbessern. Auch im transatlantischen Kontext zeigen sich ungeachtet der Irritationen durch den Sarbanes-Oxley Act Tendenzen der SEC zu einer engeren Abstimmung mit den europäischen Aufsichtsbehörden und eine Bereitschaft, ausländische oder supranationale Regelungen (z.B. IFRS) als gleichwertig anzuerkennen.

Literatur

Theodor Baums, Anwendungsbereich, Kollision und Abstimmung von Kapitalmarktrechten, in: Festschrift für Peter Raisch, 1995, 211 ff.; Harald Baum, Globalizing Capital Markets and Possible Regulatory Responses, in: Jürgen Basedow, Toshiyuki Kono (Hg.), Legal Aspects of Globalization, 2000, 77 ff.; Herbert Kronke, Capital Markets and Conflict of Laws, Recueil des cours 286 (2000) 245 ff.; Uwe H. Schneider, Internationales Kapitalmarktrecht, Die Aktiengesellschaft 2001, 269 ff.; Roberta Romano, The Advantage of Competitive Federalism for Securities Regulation, 2002; Herbert Kronke, Jens Haubold, Börsen- und Kapitalmarktrecht, in: Herbert Kronke, Werner Melis, Anton K. Schnyder (Hg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2005, Teil L, 1405 ff.; Anton K. Schnyder, Internationales Kapitalmarktrecht, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 11, 4. Aufl. 2006, 634 ff.; Onnig Dombalagian, Choice of Law and Capital Markets Regulation, Tulane Law Review 82 (2008) 1903 ff.; Jan von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, 313 ff., 597 ff.; idem, Die Internationale Prospekthaftung im Lichte der Rom II-Verordnung, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts: Beiträge für Klaus J. Hopt, 2008, 371 ff.

Abgerufen von Kapitalmarktrecht, internationales – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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