Schiedsrecht, staatliches: Unterschied zwischen den Versionen
Admin (Diskussion | Beiträge) K (1 Version importiert) |
Jentz (Diskussion | Beiträge) |
||
Zeile 45: | Zeile 45: | ||
[[Kategorie:A–Z]] | [[Kategorie:A–Z]] | ||
[[en:Arbitration_Law_(National)]] |
Aktuelle Version vom 28. September 2021, 18:04 Uhr
von Ben Steinbrück
1. Gegenstand und Funktionen; Terminologie
Das staatliche Schiedsrecht regelt mittels Sach-, Kollisions- und Zuständigkeitsnormen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung privater Schiedsverfahren. Hierzu zählen insbesondere die Fragen, unter welchen Voraussetzungen Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüche wirksam und bindend sind, sowie die verbleibenden Funktionen der staatlichen Gerichte in Schiedsverfahren. Auch auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hat das staatliche Schiedsrecht weiterhin große Bedeutung. Denn die staatsvertraglichen Schiedsrechtsübereinkommen beschränken sich darauf, bestimmte Einzelfragen internationaler Schiedsverfahren zu regeln (Schiedsverfahren, internationales).
Die meisten europäischen Staaten haben Sonderrechte für schiedsrechtliche Sachverhalte erlassen. Man kann im Wesentlichen drei Regelungsmodelle unterscheiden: Im französischen und schweizerischen Schiedsrecht gibt es für nationale und internationale Schiedsverfahren jeweils eigenständige Regelwerke. Belgien, Italien, Schweden und andere Staaten verfügen über ein auf nationale Schiedsverfahren zugeschnittenes Schiedsgesetz, das um Vorschriften zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergänzt wurde. Eine zunehmende Zahl nationaler Gesetzgeber hat sich schließlich für ein einheitliches Schiedsgesetz entschieden, das für nationale und internationale Schiedsverfahren gleichermaßen gilt. Diesem Modell folgen zum Beispiel Deutschland, Österreich, Spanien, England oder die Niederlande.
Das staatliche Schiedsrecht ist von den Schiedsgerichtsordnungen privater Schiedsinstitutionen, sonstigen nichtstaatlichen Schieds- und Verfahrensregeln und den sich in der internationalen Schiedspraxis herausbildenden und teilweise als transnationales Schiedsrecht bezeichneten Verfahrensstandards zu unterscheiden (Schiedsverfahren, internationales). Das staatliche Schiedsrecht befasst sich in erster Linie mit den Rechtsfragen, die aus der Sicht der nationalen Gerichte bedeutsam sind. Das englische common law bezeichnet den Regelungsgegenstand des staatlichen Rechts treffend als external procedural questions und meint hiermit insbesondere die Rechtsbeziehungen zu den staatlichen Gerichten. Die privatvertraglich gewählten Schieds- oder Verfahrensregeln befassen sich demgegenüber mit der internen Durchführung des Schiedsprozesses vor dem Schiedsgericht (internal conduct of the arbitration). Beide Rechtsebenen werden, auch begrifflich, nicht immer getrennt. Das auf ein Schiedsverfahren anwendbare Recht wird häufig auch als (kollisionsrechtliches) Schiedsverfahrensstatut bezeichnet. Im französischen Sprachraum hat sich die Bezeichnung loi d’arbitrage durchgesetzt. Im Englischen spricht man dagegen bisweilen nur von procedural law oder arbitration law; präziser ist der Begriff curial law. International weit verbreitet ist schließlich der lateinische Ausdruck lex (loci) arbitri.
Das staatliche Schiedsrecht hat mehrere Funktionen. Regelt ein Staat die grundlegenden Rechtsfragen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, folgt hieraus zum einen, dass er die private Rechtsprechung durch Schiedsgerichte als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit anerkennt und sie nicht ausschließlich dem privatautonomen Bereich des Schuldrechts zuweist. Daneben hat das staatliche Schiedsrecht eine Beschränkungsfunktion. Seine zwingenden Normen setzen der Schiedsgerichtsbarkeit als privatautonomem System der Streitentscheidung Grenzen (Zwingendes Recht). So können zwar regelmäßig vermögensrechtliche Ansprüche Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein, da der Staat in diesen Fällen nur ein geringes Regelungsinteresse hat. Familien- oder Patentsachen sind dagegen in vielen Staaten nicht schiedsfähig. Andere zwingende Normen betreffen die formelle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung, die Sicherung von verfahrensrechtlichen Mindeststandards, die Wirkungen des Schiedsspruchs sowie die staatsgerichtlichen Kontrollbefugnisse hinsichtlich des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs. Schiedsgesetze können darüber hinaus zahlreiche dispositive Bestimmungen enthalten, die das zwingende Schiedsrecht ergänzen und Lücken in der Parteivereinbarung schließen (Ergänzungsfunktion). Abdingbar sind insbesondere die Vorschriften zur Zusammensetzung und Bestellung des Schiedsgerichts und zur Verfahrensgestaltung sowie die staatsgerichtlichen Unterstützungszuständigkeiten. Dispositives Schiedsrecht findet sich vor allem in den Rechtsordnungen, die nationale und internationale Schiedsverfahren einheitlich regeln. Die Parteien internationaler Handelsschiedsverfahren haben damit die Freiheit, den Schiedsprozess weitgehend nach ihren Vorstellungen auszugestalten (Vertragsfreiheit).
2. Tendenzen der Rechtsentwicklung
Die Ursprünge der privaten Schiedsgerichtsbarkeit als System der Streitbeilegung reichen zurück bis in die Antike (Schiedsverfahren, internationales). Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Schiedsgerichte in den meisten europäischen Rechtsordnungen anerkannt und verbreitet. Zunächst dienten private Schiedsverfahren vor allem dazu, private Streitigkeiten von typischerweise geringem wirtschaftlichen Wert innerhalb einer Familie oder zwischen engen Freunden beizulegen. Es ging darum, die Stabilität dieser langfristigen und auf vertrauensvolles Zusammenwirken angelegten persönlichen Beziehungen zu sichern. Diese Zielsetzung spiegelt sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den staatlichen Regelwerken zur Schiedsgerichtsbarkeit wider, so etwa im französischen Recht.
Demgegenüber führte die von England ausgehende Ausbreitung des Welthandels im 17. Jahrhundert dazu, dass englische Schiedsgerichte bereits zu dieser Zeit zunehmend auch in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten tätig wurden. Die englischen Richter, deren Einkommen in dieser Zeit von den anfallenden Gerichtsgebühren abhing, sahen in privaten Schiedsgerichten daher alsbald unliebsame Konkurrenten, die ihnen die rechtlich interessanten und finanziell lukrativen Fälle vorenthielten. Hinzu kam die noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verbreitete Befürchtung, dass Rechtsprechung durch Schiedsgerichte als inferior tribunals without legal training in matters of law zu einer erroneous administration of law, and therefore injustice führen müsse (so der englische Court of Appeal in Czarnikow v. Roth, Schmidt and Co. [1922] 2 KB 478, 488 f.) Als Antwort auf die Ausbreitung der privaten Schiedsgerichtsbarkeit sprachen die englischen Richter der Schiedsvereinbarung die gerichtliche Durchsetzbarkeit ab. Dadurch konnte sich jede Partei bis zum Erlass des Schiedsspruchs sanktionslos von der Schiedsvereinbarung lösen. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde auch die Sicherung durch Vertragsstrafeversprechen unterbunden. Parallel dazu setzte sich die Auffassung durch, dass die Parteien die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte nicht kraft Parteiautonomie (Vertragsfreiheit) ausschließen können. Die frühen Arbitration Acts 1889–1934 beschränkten sich im Wesentlichen darauf, das bestehende common law niederzulegen. Allein die Einrede der Schiedsvereinbarung fand eine erste zaghafte Anerkennung. Die Befreiung von der Unterordnung unter die staatliche Gerichtsbarkeit gelang erst mit den Arbitration Acts der Jahre 1950, 1975 und 1979. Sie fand ihren vorläufigen Abschluss mit dem modernen Arbitration Act 1996, dessen systematischer Aufbau in vielerlei Hinsicht dem UNCITRAL Model Law ähnelt. Obwohl sich der englische Gesetzgeber gegen eine umfassende Übernahme des Model Law entschieden hatte, beeinflusste es doch in erheblichem Maß Struktur und Inhalt des englischen Schiedsgesetzes. Der mit dem Model Law vertraute (ausländische) Rechtsanwender sollte sich in dem neuen Gesetz schnell zurechtfinden können.
Letzte Nachwirkungen der rechtlichen Vormachtstellung der englischen Gerichte sind gleichwohl bis heute spürbar. So derogiert die Schiedseinrede auch im geltenden englischen Recht nicht die gerichtliche Zuständigkeit in der Hauptsache. Ein entgegen der Schiedsvereinbarung eingeleitetes gerichtliches Verfahren wird daher bei Erhebung der Schiedseinrede lediglich ausgesetzt (stay of proceedings). Auf Grundlage ihrer fortbestehenden inherent jurisdiction können englische Richter deshalb weiterhin in das Schiedsverfahren unterstützend oder kontrollierend eingreifen. Daneben verfügen die staatlichen Richter immer noch über im Vergleich zu kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen weiter reichende Kontrollbefugnisse. Eine inhaltliche Nachprüfung von Schiedssprüchen ist, wenn auch nur noch unter engen Voraussetzungen, nach wie vor möglich. In diesem Punkt unterscheidet sich das englische Schiedsrecht deutlich von civil law Rechtsordnungen. In diesen Staaten beschränken die Gerichte die inhaltliche Überprüfung des Schiedsspruchs vor allem in internationalen Schiedsverfahren auf eine – wenn auch unterschiedlich strenge – ordre public-Kontrolle (ordre public).
Auch die kontinentaleuropäischen Gesetzgeber haben die staatlichen Kontrollbefugnisse im Zuge der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Liberalisierung und Angleichung der staatlichen Schiedsrechte nur schrittweise reduziert. Zwar wurden auf internationaler Ebene schon bald beachtliche Fortschritte in Form von staatsvertraglichen Übereinkommen wie der New York Convention aus dem Jahre 1958 erzielt (Schiedsverfahren, internationales; Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche). Die im Rahmen des Europarats erarbeitete European Convention providing a Uniform Law on Arbitration vom 20.1.1966 ist jedoch gescheitert, da nur der belgische Gesetzgeber das vorgesehene Einheitsgesetz erlassen hat. Die Bemühungen, die von vielfältigen lokalen Besonderheiten geprägten staatlichen Schiedsrechte den Bedürfnissen der sich nun schnell ausbreitenden internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit anzupassen, verlagerten sich seitdem auf die Ebene des autonomen Rechts. Sie führten in den 1970er Jahren in mehreren Staaten zu ersten greifbaren Ergebnissen. Hierbei kam es auch zu Bestrebungen, die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit vom nationalen Recht abzukoppeln („Delokalisierung“). Das Ziel bestand darin, die Eingriffsbefugnisse der staatlichen Gerichte zu begrenzen. Die unterschiedlichen Delokalisierungsmodelle sind vor allem als Gegenbewegung zu dem Ansatz zu verstehen, nach dem ein Schiedsverfahren notwendig der Beurteilung und Kontrolle durch das Recht oder die Gerichte seines Heimat- oder Ursprungsstaats unterworfen ist (Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche). Diese Bemühungen waren mitunter nur von mäßigem Erfolg gekrönt, wie erneut das Beispiel des belgischen Schiedsrechts zeigt. Im Jahre 1985 schloss der belgische Gesetzgeber die Anfechtungsmöglichkeit von Schiedssprüchen kraft Gesetzes für die Fälle aus, in denen die Schiedsparteien keine Beziehung zum Inland haben. Die Hoffnung, durch diese radikale Reform die Attraktivität Belgiens als Schiedsplatz zu steigern, erfüllte sich jedoch nicht. Belgien hat daher im Jahre 1998 die Lösung des schweizerischen IPRG übernommen, das 1989 in Kraft getreten war. Nach Art. 192 IPRG können die Parteien eines schweizerischem Recht unterliegenden internationalen Schiedsverfahrens, die keine persönlichen Verbindungen zur Schweiz aufweisen, durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung im Voraus darauf verzichten, den Schiedsspruch in der Schweiz anzufechten. Am weitesten fortgeschritten ist die Delokalisierung internationaler Schiedsverfahren im französischen internationalen Schiedsrecht, dessen im Jahre 1981 reformierte Regelungen sich durch eine sehr weitreichende Liberalität auszeichnen.
Seit Mitte der 1980er Jahre modernisierten eine zunehmende Zahl von Staaten ihre nationalen Schiedsrechte auf Grundlage des UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat es 1985 angenommen und allen Staaten zur Berücksichtigung empfohlen. UNCITRAL hat das Model Law als Spezialgesetz für internationale Schiedsverfahren unter Beteiligung von Vertretern der Industrie- und Entwicklungsländer erarbeitet. Das Gesetz repräsentiert daher weitgehend die herrschenden Vorstellungen über ein angemessenes Regelungssystem auf dem Gebiet der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Mittlerweile haben mehr als 50 Staaten ihr nationales Schiedsrecht nach dem Vorbild des Modellgesetzes reformiert, unter ihnen Deutschland, Österreich, Spanien, Russland, Polen, Ungarn und zuletzt Slowenien. Zwar gehen nach wie vor einige Staaten, darunter traditionell bedeutsame internationale Schiedsplätze wie England, Frankreich und die Schweiz, eigene Wege. Gleichwohl herrscht heute in Europa und den meisten anderen Staaten ein einheitliches Grundverständnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit.
3. Grundlinien moderner staatlicher Schiedsrechte
Das UNCITRAL Model Law enthält sehr ausführliche, wenn auch keineswegs vollständige Regelungen, die darauf abzielen, effektiven schiedsgerichtlichen Rechtsschutz zu ermöglichen. Als international konsensfähiges Regelwerk eignet es sich daher in besonderem Maße dazu, an seinem Beispiel die Grundlinien moderner staatlicher Schiedsrechte aufzuzeigen.
Neben seiner grundsätzlichen „schiedsfreundlichen“ Grundausrichtung ist das Model Law vor allem von zwei Prinzipien geprägt: Es begrenzt zum einen (wenn auch allzu strikt) die Interventionsbefugnisse der staatlichen Gerichte: Nach Art. 5 sind gerichtliche Tätigkeiten in den im Model Law geregelten Angelegenheiten nur zulässig, soweit sie in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen sind („In matters governed by this Law, no court shall intervene except where so provided in this Law“). Diese Norm hat vor allem programmatischen Charakter. Sie ist von den meisten Model Law-Staaten rezipiert worden, etwa in § 1026 dt. ZPO und § 578 der österreich. ZPO. Der englische Arbitration Act 1996 räumt den Gerichten dagegen im Einklang mit dem früheren Recht auch weiterhin einen Ermessensspielraum ein (sec. 1 lit. c: „In matters governed by the Part the court should not intervene except as provided by this Part.“). Die Unterschiede zwischen den jeweiligen Regelungen sind in der Praxis aber gering. Denn auch deutsche oder österreichische Gerichte verfügen über einen gewissen Spielraum, in Ausnahmenfällen gesetzlich nicht vorgesehene (Unterstützungs) Maßnahmen zu treffen.
Darüber hinaus stärkt das Model Law die Parteiautonomie. So enthält das Gesetz zahlreiche dispositive Vorschriften über den Ablauf des Schiedsverfahrens, die ausdrücklich unter dem Vorbehalt anderweitiger Parteiabreden stehen. Zu nennen sind insbesondere die Bestimmungen über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts (Art. 10, 11) sowie Art. 19. Danach können die Parteien, vorbehaltlich der zwingenden Vorschriften des Model Law, die für das Verfahren vor dem Schiedsgericht geltenden Regelungen frei wählen. Entsprechende Normen finden sich aber nicht nur in den Model Law-Staaten (vgl. etwa §§ 1034, 1035, 1042 Abs. 3 dt. ZPO; 586, 587, 594 Abs. 1 österreich. ZPO). Auch andere moderne Schiedsgesetze räumen den Schiedsparteien einen weiten Spielraum bei der Verfahrensausgestaltung ein. Neben dem englischen Recht (sec. 15 ff. 34 Abs. 1 Arbitration Act 1996) gilt dies insbesondere für das schweizerische (Art. 179 Abs. 1, 182 Abs. 1 IPRG) und das französische Schiedsrecht (Art. 1493 Abs. 1, 1494 Abs. 1 Code de procédure civile).
Die Vorschriften des Modellgesetzes sind klar strukturiert und inhaltlich gut verständlich. Schiedsgesetze, die auf dem Model Law basieren oder sich wie der englische Arbitration Act 1996 an seinem Aufbau orientieren, sind deshalb insbesondere für ausländische Rechtsanwender leicht zugänglich.
Eine besonders wichtige Regelung des Model Law betrifft die Frage, auf welche schiedsrechtlichen Vorgänge es anzuwenden ist. Nach Art. 1(2) gilt das Model Law grundsätzlich nur für Schiedsverfahren, deren Sitz (place of arbitration) im Gebiet des jeweiligen Model Law-Staates liegt. Nur die Vorschriften über die Wirkung der Schiedsvereinbarung (Art. 8), die Eilzuständigkeit der staatlichen Gerichte (Art. 9) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen sind auch auf andere Schiedsverfahren anzuwenden. Die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Schiedsverfahrensstatut erfolgt danach zwingend objektiv anhand des Schiedssitzes. Dieses sog. Territorialitätsprinzip ist mittlerweile international weit verbreitet. Neben den Model Law-Staaten (z.B. § 1025 dt. ZPO, § 577 österreich. ZPO) folgen ihm auch die Schweiz (Art. 176 Abs. 1 IPRG) und England (sec. 2 Arbitration Act 1996).
Diesem Konzept steht die Verfahrenstheorie, international auch Autonomieprinzip genannt, gegenüber. Danach ist es den Parteien erlaubt, das anwendbare Schiedsverfahrensrecht frei zu wählen (Rechtswahl). Zwar ist die Verfahrenstheorie heute im internationalen Vergleich nicht mehr sehr verbreitet. Eine Wahl des Schiedsverfahrensstatuts durch die Parteien bleibt aber weiterhin möglich. Denn der Schiedssitz wird unter der Geltung des Territorialitätsprinzips überwiegend in einem „vergeistigten“ Sinn verstanden und von dem tatsächlichen Verfahrens- oder Tagungsort unterschieden. Der Schiedssitz soll lediglich dazu dienen, eine rechtliche Anbindung an ein nationales Schiedsverfahrensrecht zu ermöglichen. Selbst fiktive Schiedssitze werden überwiegend für zulässig erachtet. Die Wahl des Schiedsverfahrensstatuts erfolgt somit mittelbar durch die Festlegung des Schiedssitzes. Die Probleme, die mit einer Rechtswahl des Schiedsverfahrensstatuts verbunden sind und in vielen Staaten zur Aufgabe der Verfahrenstheorie geführt haben, werden nach dieser Lehre aber nur scheinbar gelöst. Denn ein vom faktischen Tagungsort abweichender (fiktiver) Schiedssitz wird häufig ebenso schwer zu bestimmen sein wie ein frei wählbares Schiedsrecht, wenn die Parteien den Sitz nicht ausdrücklich vertraglich festgelegt haben.
Den traditionellen kollisionsrechtlichen Lösungen steht der sog. „nicht-kollisionsrechtliche“ Ansatz gegenüber, den insbesondere das französische internationale Schiedsrecht verfolgt, indem es auf eine kollisionsrechtliche Selbstbeschränkung seines Anwendungsbereichs verzichtet. Im Ergebnis wenden die Gerichte damit in grenzüberschreitenden Fällen ausschließlich die für internationale Schiedsverfahren geltenden Sachnormen des französischen Schiedsrechts an. Diese vermeintliche Aufgabe des kollisionsrechtlichen Ansatzes wird mit den besonders liberalen französischen Sondervorschriften für internationale Schiedsverfahren gerechtfertigt. Letztlich beruht das französische Modell jedoch auf einer rechtspolitisch motivierten und den internationalen Entscheidungseinklang gefährdenden lex fori-Regel für internationale Schiedsverfahren.
In den nationalen Rechtsordnungen, deren territorialer Anwendungsbereich grundsätzlich auf Schiedsverfahren mit inländischem Sitz beschränkt ist, dient der Schiedssitz gleichzeitig als Anknüpfungspunkt für die staatsgerichtlichen Unterstützungs- und Kontrollzuständigkeiten. Die Geltung eines nationalen Schiedsrechts, das derartige Nebenverfahren regelt, führt somit gleichzeitig zur internationalen Zuständigkeit des Staates, dessen Recht als lex arbitri zur Anwendung berufen ist. Dieser zuständigkeitsrechtliche Gleichlauf ist allerdings nicht zwingend. Wie auch sonst im internationalen Privatrecht ist zwischen zuständigkeits- und sachrechtlichen Anknüpfungsfragen zu unterscheiden (Anknüpfung). Die verbreitete Vorstellung, dass die Parteien am Schiedssitz ihren juge naturel für sämtliche staatsgerichtlichen Unterstützungs- und Kontrollverfahren finden sollten, ist rechtspolitisch verfehlt. Insbesondere neuere Schiedsgesetze weisen daher lediglich die staatsgerichtlichen Überwachungsfunktionen einschließlich einer Aufhebungszuständigkeit ausschließlich den Gerichten des Sitzstaates zu. Für die staatsgerichtlichen Hilfsfunktionen gelten dagegen differenzierte Anknüpfungsregeln, so dass in bestimmten Fällen auch ausländische Schiedsverfahren unterstützt werden können. Die im Jahre 2006 neugefassten Regelungen des österreichischen Schiedsrechts sind in dieser Hinsicht besonders vorbildlich (§ 577 Abs. 2 österreich. ZPO; vgl. ferner § 1025 Abs. 2 dt. ZPO, sec. 2 Abs. 3 und 4 Arbitration Act 1996).
Die Anbindung eines Schiedsverfahrens an das Schiedsrecht des Sitzstaates wirkt sich vor allem bei der staatsgerichtlichen Kontrolle des Schiedsprozesses aus. Ein praktisch wichtiges Problem betrifft die Zuständigkeit des Schiedsgerichts. Allgemein anerkannt ist, dass das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit entscheiden darf (sog. Kompetenz-Kompetenz, competence-competence, compétence-compétence; vgl. Art. 16(1) Model Law). Diese Entscheidung ist aber gerichtlich nachprüfbar. Häufig ergeht sie als Zwischenentscheidung und kann, etwa in Deutschland oder Österreich, unmittelbar angefochten werden. In Belgien, den Niederlanden, Italien und Schweden ist eine schiedsgerichtliche Zuständigkeitsentscheidung nicht selbständig anfechtbar, sondern kann erst nach Erlass des Endschiedsspruchs zusammen mit diesem überprüft werden.
Nicht unerhebliche Unterschiede bestehen in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen auch bei der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Endschiedsspruchs. Die jeweiligen gesetzlichen Aufhebungstatbestände decken sich zwar vor allem in den Model Law-Staaten (vgl. Art. 34 Model Law) weitgehend mit den Anerkennungs- und Versagungsgründen der New York Convention (Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche). Sie werden aber nicht überall einheitlich ausgelegt. Vor allem bei der inhaltlichen Überprüfung von Schiedssprüchen anhand des ordre public bestehen weiterhin Differenzen. So führen beispielsweise Verstöße gegen europäisches Kartellrecht nicht in allen europäischen Staaten zur Aufhebung. Am Umfang der verfahrens- und materiellrechtlichen Kontrolle des Schiedsspruchs zeigt sich somit letzten Endes, wie frei sich die Parteiautonomie in den einzelnen staatlichen Rechtsordnungen entfalten kann.
Literatur
Howard M. Holtzmann, Joseph E. Neuhaus, A Guide to the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, 1989; Peter Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989; Michael J. Mustill, Steward C. Boyd, International Commercial Arbitration, 2. Aufl. 1989, 2001 Companion, 2001; Philippe Fouchard, Berthold Goldmann, Emmanuel Gaillard (Hg.), Fouchard, Gaillard, Goldman on International Commercial Arbitration, 1999; Pieter Sanders, Quo Vadis Arbitration, 1999; Georgios Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration, 2004; Bernhard Berger, Franz Kellerhals, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 2006; Jean-François Poudret, Sébastien Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2. Aufl. 2007; Dennis Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, Gary Born, International Commercial Arbitration, 2009.