Informationsgesellschaft, Urheberrecht in der: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 31. August 2021, 18:07 Uhr
von Thomas Dreier
1. Gegenstand und Zweck
Das Urheberrecht ist das Recht zum Schutz der Werke schöpferisch tätiger Urheber auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Geschützt sind als Inhaber sog. verwandter bzw. Leistungsschutzrechte darüber hinaus auch ausübende Künstler für ihre Darbietungen sowie eine Reihe von zumeist juristischen Personen, die – wie insbesondere Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und Filmproduzenten – im Rahmen der Werkvermittlung kaufmännisch-organisatorische Leistungen erbringen. In der Informationsgesellschaft fällt dem Urheberrecht mithin eine zentrale Rolle zu. Seit der Erfindung des Buchdrucks und der Bekämpfung des unerlaubten Büchernachdrucks hat das Urheberrecht fortwährend auf die jeweils neuen Entwicklungen der Reproduktions- und Kommunikationstechnologien reagiert (Rundfunk, Schallplatte, Magnettonband und Fotokopiergerät). Dabei folgt das Urheberrecht nicht überall der gleichen Zielsetzung: steht in kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen der Gedanke des Schutzes des individuellen Urhebers hinsichtlich seiner persönlichkeitsrechtlichen wie auch ökonomischen Belange im Vordergrund, so gründet sich die Schutzgewähr im anglo-amerikanischen Rechtskreis weitgehend auf utilitaristische Erwägungen des Anreizes zu innovativem kreativem Schaffen.
Digitalisierung und Vernetzung stellen das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft jedoch vor Herausforderungen, die das zuvor gekannte Maß erheblich überschreiten. Zum einen kann der Nutzer selbst Kopien zu marginalen Grenzkosten ohne jeglichen Qualitätsverlust in Originalqualität anfertigen. Zum anderen kann auch ein privater Nutzer die Werke problemlos der ganzen Welt zur Nutzung anbieten. Damit aber tritt der Nutzer, der in der analogen Welt Nachfrager und Abnehmer der Leistungen der Urheber und Produzenten war, in der digitalisierten und vernetzten Welt selbst als Anbieter auf, bricht damit in die etablierten Vermarktungsketten ein und stellt so die bisherigen Vergütungs- wie auch Anreizmechanismen in Frage. Darüber hinaus ist die Massenhaftigkeit urheberrechtlich relevanter Handlungen ein Problem sowohl für vertragliche Transaktionen als auch für die Verfolgung von Rechtsverletzungen, zumal die meisten der Handlungen im privaten Umfeld und nicht selten unter Inanspruchnahme technischer Anonymisierungsmöglichkeiten vorgenommen werden. So bleibt in der Praxis oft nur der jeweilige Internet-Service-Provider als Anspruchsgegner einer Erfolg versprechenden Rechtsverfolgung übrig, und selbst an diesem fehlt es, wenn sich die Nutzer dezentraler Peer-to-Peer-Filesharing-Systeme bedienen. Für den Gesetzgeber und die Gerichte ergibt sich ein weiteres Problem aus der zunehmenden Konvergenz der Rollen der Beteiligten und folglich ihrer Nutzungshandlungen. Je ähnlicher und technisch austauschbarer diese werden, desto weniger Ansatzpunkte bieten sich für eine differenzierende Gesetzgebung, und desto schwieriger wird im digitalen Umfeld die Subsumtion unter Rechtsnormen, die im analogen Umfeld noch auf deutlich unterscheidbare Handlungen hin formuliert worden waren. Obwohl dem Urheberrecht in der Informationsgesellschaft zu Beginn mehrfach das Ableben vorausgesagt worden ist, hat es seine Bedeutung als eine der hauptsächlichen Regelungsmaterien der Informationsgesellschaft bislang jedoch nicht nur beibehalten, sondern sogar noch steigern können.
Als Recht des geistigen Eigentums (Geistiges Eigentum (allgemein)) ist das Urheberrecht territorialer Natur. Weder auf internationaler, noch auf europäischer Ebene gibt es gegenwärtig ein einheitliches Urheberrecht. Bestehende Schutzunterschiede werden durch internationale Konventionen überbrückt (insb. die Revidierte Berner Übereinkunft, RBÜ; Aspekte der Informationsgesellschaft regelt auch das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS, sowie insbesondere der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WIPO), WCT, und der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger, WPPT. Die EU hat auf die Herausforderungen der Informationsgesellschaft für das Urheberrecht mit einer Reihe harmonisierender Richtlinien reagiert.
2. Tendenzen der Rechtsentwicklung
In einer ersten Reaktion nahm zunächst das europäische und später auch das internationale Urheberrecht die digitalen Schutzgegenstände der Computerprogramme (Softwareschutz: Urheberrecht und Patentrecht) und der Datenbanken (Datenbankschutz) als urheberrechtliche Schutzgegenstände auf (Programme: RL 91/250, Art. 10(1) TRIPS, Art. 4 WCT; Datenbanken: RL 96/9, Art. 10(2) TRIPS, Art. 5 WCT). Bedenken, dass es sich hierbei nicht um schöngeistige, sondern um technische Formgebungen handelt, wurden dabei ebenso hintangestellt wie die Tatsache, dass die urheberrechtliche Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers für Wettbewerber viel zu lange Markteintrittsschranken errichtet. Pläne eines speziell auf die Besonderheiten von Computerprogrammen zugeschnittenen Sonderschutzes waren Mitte der 1980er-Jahre gescheitert. Für Datenbanken hingegen betrat die EU mit ihrem zusätzlichen Investitionsschutz sui generis Neuland. Im Ergebnis wurden in beiden Fällen die zuvor stark abweichenden nationalen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten weitestgehend vereinheitlicht. Etwa fortbestehende nationale Anforderungen an die Schöpfungshöhe sind für Computerprogramme angesichts deren heutiger Komplexität praktisch bedeutungslos; hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs des sui-generis-Schutzes für Datenbanken hat der EuGH inzwischen eine weitreichende Klärung bewirkt (EuGH Rs. C-203/02 – British Horseracing Board, Slg. 2004, I-10415, sowie EuGH Rs. C-304/07 – Directmedia Publishing, EuLF (Section I) 2008, 215, EuGH Rs. C-545/07 – Apis-Hristovich, EuZW 2009, 345).
Eine zweite Reaktion nahm sich dann der eingangs geschilderten Probleme von Digitalisierung und Vernetzung an. Historisch wohl einmalig ging die Initiative hier von der internationalen Ebene aus (beginnend mit den beiden WIPO-Verträgen von 1996, gefolgt von der RL 2001/29 zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft im Jahr 2001. Die EU hat darüber hinausgehend durch ihre horizontale, alle Werke und die wichtigsten verwandten Schutzrechte erfassende Harmonisierung des Vervielfältigungsrechts, des Rechts der öffentlichen Wiedergabe und des Verbreitungsrechts sowie die Schaffung des Ausschließlichkeitsrechts des Einstellens in öffentlich zugängliche Netze (sog. Recht der öffentlichen Zugänglichmachung) eine weitgehende Angleichung der nationalen Rechte der Mitgliedstaaten erreicht. Allerdings belässt insbesondere der Begriff der öffentlichen Wiedergabe den Gerichten der Mitgliedstaaten nach wie vor einen in der Praxis nicht unerheblichen Entscheidungsspielraum, den auch der EuGH allenfalls nur punktuell zu konkretisieren vermag (EuGH Rs. C-306/05 – SGAE, Slg. 2006, I-11519: Hotelvideo in den Gästezimmern als öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3(1) der RL 2001/29; zum Begriff der Vervielfältigung EuGH Rs. 5/08 v. 16.7. 2009 − Infopaq). Vor allem aber haben sich die Mitgliedstaaten hinsichtlich der die Ausschließlichkeitsrechte begrenzenden Schrankenbestimmungen nur auf einen zwar abschließenden, mit einer Ausnahme die Mitgliedstaaten jedoch nicht verpflichtenden Katalog von insgesamt zwanzig weiteren Schranken verständigen können. Auch hinsichtlich der Durchsetzung technischer Schutzmechanismen gegenüber urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen belässt die RL 2001/29 den Mitgliedstaaten einen nicht geringen Entscheidungsspielraum. Da die Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes in der Praxis weitgehend über die Schrankenbestimmungen und künftig auch mittels technischer Schutzmechanismen bestimmt wird, kann von einer echten Rechtsvereinheitlichung im Bereich des europäischen Urheberrechts mithin nach wie vor nicht gesprochen werden.
Das lässt den Mitgliedstaaten auch weiterhin Raum für nationale Alleingänge. Genannt sei hier nur Frankreich, das im Rahmen seiner späten Umsetzung der Richtlinie bislang unbekannte Sonderregelungen hinsichtlich der Kompatibilität technischer Schutzmechanismen eingeführt hat. Oder Deutschland, das mit seinem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (sog. zweiter Korb) auf eine Öffnung von Archivbeständen für die digitale und vernetzte Verwertung hingewirkt, zwei neue Schranken zugunsten von Wissenschaft und Forschung geschaffen und nicht zuletzt das Vergütungssystem für die Privatkopie neu geregelt hat, dessen Auswirkungen vor allem im digitalen Bereich von Bedeutung sind (Abgabepflicht von Druckern, PCs usw.). Neben diesen legislatorischen Sonderwegen legen auch die Gerichte der Mitgliedstaaten die in Art. 12 ff. der E‑Commerce-RL (RL 2000/31) nur lückenhaft geregelte und überdies in ihren urheberrechtlichen Auswirkungen unklare Haftungsfreistellung von Internet-Service-Providern durchaus unterschiedlich aus, indem sie auf die jeweiligen nationalen Grundsätze der Haftung mittelbarer Rechtsverletzer zurückgreifen und diese für das Urheberrecht im Internet weiterentwickeln. Einzelne Mitgliedstaaten suchen darüber hinaus auch neue Lösungswege, wie etwa Frankreich, das eine zunächst freiwillige Mitwirkung der Service-Provider bei der Verfolgung von Rechtsverletzungen zugleich gesetzlich festschreiben will. Ein gemeinsames Konzept fehlt in der EU also bislang, was zum Teil auch der Tatsache geschuldet ist, dass trotz zweier Entscheidungen des EuGH (Rs. C-275/06 − Promusicae, Slg. 2008, I-271 sowie Rs. C-557/07 − LSG, EWS 2009, 192) noch unklar ist, in welchem Umfang geltgendes EG-Datenschutzrecht die Speicherung und Weitergabe von Verfkehrsdatgen erlaubt die erforderlich sind, um den Inhaber einer IP-Adresse festzustellen. Ob der Wettbewerb nationaler Systeme tatsächlich effizient ist oder aber umgekehrt das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes über Gebühr beeinträchtigt, lässt sich gegenwärtig nur schwer abschätzen.
Eine vergleichsweise große Unsicherheit besteht schließlich gegenwärtig noch im Hinblick darauf, unter welchen Voraussetzungen das Wettbewerbsrecht (Art. 81, 82 EGV/101, 102 AEUV) die Ausübung von urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechten in dynamischen digitalen Informationsmärkten beschränken soll (vgl. nur EuG Rs. T-201/04 – Microsoft, Slg. 2007, II-3601).
3. Regelungsstrukturen im Einheitsrecht
Die Harmonisierung des europäischen Urheberrechts in der Informationsgesellschaft kommt ganz bewusst dem Wunsch der Rechtsinhaber entgegen, den durch Digitalisierung und Vernetzung hervorgerufenen Kontrollverlust durch ein möglichst hohes Schutzniveau auszugleichen. Das wird im Wesentlichen durch einen weitgehend lückenlosen Ausschließlichkeitsschutz unter Einschluss des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung geschützter Werke und Leistungen im Netz gewährleistet, der auch die von den einzelnen Nutzern vorgenommenen Handlungen weitgehend dem Zustimmungserfordernis der Rechteinhaber unterwirft. Der Gegensatz von Urheberrecht und Copyright steht dem nicht entgegen. Damit kommt dann aber den urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen eine entscheidende Rolle für den Zuschnitt des Ausschließlichkeitsschutzes zu. Sie sind von früheren, punktuellen Ausnahmeregelungen zum Dreh- und Angelpunkt für einen gerechten und effizienten Ausgleich widerstreitender Interessen geworden. Zum einen neigt der Gesetzgeber dazu, den Raum für die digitale Privatkopie weiter einzuengen. Zum anderen droht die Gefahr, dass allzu eng gefasste Schrankenbestimmungen den Wettbewerb hinsichtlich informationeller Mehrwertprodukte und ‑dienstleistungen unterbinden, die auf vorbestehendem urheberrechtlich geschütztem Material aufsetzen. Die in diesem Zusammenhang weitgehend offene Frage, inwieweit dem Eigentumsschutz aufgrund der Informationsfreiheit (Art. 10 EMRK, nationale Verfassungsrechte) Grenzen zu setzen sind, wird von den einzelnen nationalen Gerichten je nach nationaler Verfassungsrechtstradition und umso unterschiedlicher beantwortet, je mehr oder weniger das nationale Recht von dem Schrankenkatalog der RL 2001/29 Gebrauch gemacht hat. Vor allem aber wird der gesetzgeberische Handlungs- wie auch der richterliche Auslegungsspielraum durch den international verbindlichen und nachfolgend ins europäische Recht übernommenen sog. Dreistufentest (Art. 13 TRIPS; Art. 5(5) RL 2001/29) umrissen. Danach dürfen Mitgliedstaaten nur dann Schrankenbestimmungen einführen, wenn es sich (i) nur um bestimmte Sonderfälle handelt, die (ii) weder die normale Verwertung der Werke beeinträchtigen, noch (iii) die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar verletzen. Ursprünglich gedacht als Sicherung dagegen, dass die Vertragspartner internationaler Konventionen die Verpflichtung zur Gewähr der Ausschließlichkeitsrechte auf dem Umweg über allzu weitreichende Schrankenbestimmungen unterlaufen, ist der Dreistufentest zuletzt zunehmend von den Rechteinhabern reklamiert worden, um unliebsamen Schrankenbestimmungen entgegenzutreten. Allerdings finden sich zunehmend auch kritische Stimmen, die den Dreistufentest vielmehr als Garanten für einen fairen Ausgleich von Eigentums- und Zugangsinteressen verstanden wissen wollen.
Darüber hinaus gewährt das EU-Recht in Übereinstimmung mit den beiden WIPO-Verträgen einen weitreichenden Schutz gegen die Umgehung technischer Schutzmechanismen (Zugangskontrollen; Kopiersperren) einschließlich der Herstellung und des Vertriebs von Umgehungsmitteln. Auf diese Weise werden Geschäftsmodelle abgesichert, die auf Produktdiversifizierung (unterschiedliche Zugangs‑ und Nutzungsbedingungen bei unterschiedlichen Zahlungsmodellen, von Abonnementsgebühren für bestimmte Werkpakete bis hin zu pay-per-use-Angeboten) und Preisdifferenzierung abstellen. Im Einzelnen sind allerdings noch einige Fragen hinsichtlich der Voraussetzungen und der Reichweite des Schutzes offen und mithin der Interpretation durch die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten zugänglich. Kritiker sehen in dem rechtlichen Umgehungsschutz eine staatliche Sanktionierung privater Gesetzgebung durch marktmächtige Anbieter. Dadurch werde zum einen die vom Gesetzgeber in den Urheberrechtsschranken vorgenommene Abwägung der urheberrechtlichen Eigentums- mit den Zugangsinteressen der Allgemeinheit weitgehend außer Kraft gesetzt. Zum anderen entstehe durch die zusätzlichen Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen ein ineffizienter sog. deadweight loss. Befürworter hingegen verweisen darauf, dass Preisdifferenzierung und Produktdifferenzierung sowohl die Marktnachfrage besser abschöpfen als auch zu einer besseren Versorgung der Verbraucher führen. Wo technische Schutzmechanismen – wie insbesondere im Bereich der Musik – versagen, bleibt den Rechteinhabern kaum anderes übrig, als die Rechtsverfolgung zu verstärken, wenn sie sich nicht auf alternative Geschäftsmodelle (Werbefinanzierung; Mehrwertdienste) verlegen wollen oder können. Zugleich könnte der rechtliche Schutz gegen die unautorisierte Umgehung Vorbildcharakter weit über das Urheberrecht hinaus haben. Schon jetzt nutzt etwa die Automobilindustrie Skalenvorteile, die durch die Herstellung nur eines einheitlichen Motors entstehen, der dann mittels eines eingebetteten Computerprogramms auf unterschiedliche Leistungsstärken gedrosselt wird.
Schließlich sei darauf verwiesen, dass das Recht der in der Praxis so wichtigen Lizenzierung von Schutzrechten in der EU bislang nicht vereinheitlicht ist. Noch immer treffen hier gänzlich unterschiedliche Konzeptionen der freien Übertragbarkeit des Copyright auf der einen und die persönlichkeitsrechtliche Bindung des Urheberrechts auf der anderen Seite unversöhnlich aufeinander. Zugleich hat sich die Praxis selbst beholfen und nicht nur ausdifferenzierte Vertragsarten für die proprietäre Vermarktung entwickelt, sondern sich des Urheberrechts auch bedient, um nicht-proprietäre Vermarktungsformen zu etablieren (Open Source; Open Content; Creative Commons), um auf diese Weise in der Informationsgesellschaft für die Schaffung eines Fundus frei zugänglichen und ohne Restriktionen verwertbaren urheberrechtlich geschützten Materials zu sorgen.
4. Vereinheitlichungsprojekte
Von den sieben urheberrechtlichen Richtlinien des acquis communautaire betreffen drei explizit Fragen des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (RL 91/250: Computerprogramme; RL 96/9: Datenbanken; RL 2001/29: Informationsgesellschaft). Hinzuzunehmen ist noch die übergreifende, alle Rechte des geistigen Eigentums erfassende Durchsetzungs-RL (RL 2004/ 48), in der die zivilrechtlichen Rechtsfolgen der Unterlassung, Beseitigung, des Schadenersatzes einschließlich der Beweissicherung, Beweisermittlung und Auskunftsverpflichtung weitgehend harmonisiert sind. Ist damit grundsätzlich sowohl die analoge wie die digitale Werkverwertung angesprochen, so ist für die Rechtsverfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Netz vor allem das Verhältnis des urheberrechtlichen Auskunftsanspruchs gegenüber Internet-Service-Providern und datenschutzrechtlichen Vorgaben noch unklar (auch der EuGH hat hier einstweilen erst den Rahmen staatlicher Handlungsmöglichkeiten abgesteckt, Rs. C-275/06 – Promusicae, Slg. 2008, I-271 sowie EuGH Rs. C-557/07 – LSG, EWS 2009, 192).
An neueren Maßnahmen hat die Kommission im Bereich der verwandten Schutzrechten eine Verlängerung der Schutzdauer von Darbietungen ausübender Künstler auf 95 Jahre angekündigt, um diesen für ihre Lebensdauer einen Anteil an den Erlösen, insbesondere der digitalen Verwertung, zu sichern; dass eine solche Verlängerung in der Praxis jedoch vor allem den Produzenten zugutekommen dürfte, solange nicht entsprechend auch das Urhebervertragsrecht harmonisiert wird, wird dabei – möglicherweise auch bewusst – übersehen. Angekündigt ist weiterhin ein nochmaliger Versuch, nach bereits mehrmaligem Scheitern die Abgaben für die Privatkopie gemeinschaftsweit zu regeln, um insbesondere im Hinblick auf digitale Vervielfältigungs‑ und Speichermedien innerhalb der Gemeinschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Hinsichtlich der grenzüberschreitenden Lizenzierung von Rechten für die Online-Verwertung von Musikwerken hat die Europäische Kommission 2005 eine Empfehlung formuliert. Damit sucht sie das bisherige System von Gegenseitigkeitsverträgen zwischen den nationalen Verwertungsgesellschaften aufzubrechen und auf eine europaweite Lizenzierungsmöglichkeit wie auch auf echten Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften hinzuwirken. Dass die Verwertungsgesellschaften damit zu Lasten der Nachfrager künftig nicht mehr als einheitlicher Lizenzgeber für das gesamte weltweite Musikrepertoire fungieren können, dass es auf europäischer Ebene zu einem Konzentrationsprozess zu Lasten kleinerer Gesellschaften sowie der von diesen repräsentierten Autoren kommen dürfte und dass die erhöhten Transaktionskosten entweder zu Lasten der Urheber oder aber zu Lasten der Verbraucher gehen, wird dabei offensichtlich in Kauf genommen. Eine vergleichbare Empfehlung von der Abteilung Informationsgesellschaft will unter dem Titel „Content Online“ Handlungsvorschläge und Empfehlungen für nationale Gesetzgeber in den Bereichen Musik, Film und digitale Bibliothek aufstellen. Dabei geht es auch um die Interoperabilität von technischen Schutzmechanismen und Systemen des digitalen Rechtemanagements sowie um alternative Modelle zur Unterbindung der illegalen Werknutzung im Netz.
Insgesamt lässt sich dabei ein Strategiewechsel feststellen. War zunächst noch beabsichtigt, im Wege fortschreitender Teilharmonisierung eine immer vollständigere Übereinstimmung der materiellen nationalen Urheberrechte der Mitgliedstaaten zu erreichen, die zuletzt vielleicht sogar die Schaffung eines Gemeinschaftsurheberrechts ermöglicht hätte, setzt die Kommission jetzt weniger auf abstrakte Rechtsangleichung mittels verbindlicher Richtlinien, sondern sucht vielmehr direkt auf die zu regulierenden Märkte einzuwirken. Dabei bedient sich die Kommission des Instruments der Empfehlungen, mit dem zugleich die Mitgliedstaaten bei der Willensbildung weitgehend ausgeschaltet werden.
Für die im Internet oft grenzüberschreitenden Streitfälle von Bedeutung ist weiterhin der deliktische Gerichtsstand nach Art. 5(3) EuGVO (Zuständigkeit, internationale), demzufolge eine unerlaubte Handlung den Gerichtsstand des Ortes begründet, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Nach einer Entscheidung des EuGH zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten, deren Grundsätze nach allgemeiner Auffassung auch für das Urheberrecht Geltung beanspruchen, ist das jeder Mitgliedstaat, in dem es zu einer Verletzung ausschließlicher Rechte kommt. Allerdings kann der Verletzte den gesamten durch eine Verletzung eingetretenen Schaden nur am Beklagtenwohnsitz einklagen; in den übrigen Staaten ist er dagegen auf den jeweiligen im betreffenden Staat eingetretenen Teilschaden beschränkt (EuGH Rs. C-68/93 – Shevill, Slg. 1995, I-415).
Hinsichtlich des auf grenzüberschreitende Verletzungen anwendbaren Rechts (Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)) ist nach der Rom II-VO (VO 864/2007) in Art. 8(1) für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht desjenigen Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird. Damit wird das traditionelle Schutzlandprinzip festgeschrieben, ohne dass allerdings näher spezifiziert wäre, welche der einzelnen verletzungsrelevanten Fragen dem Urheberstatut unterfallen (in den Mitgliedstaaten unterschiedlich beantwortet wird insbesondere die Frage, ob sich die erste Urheberschaft nach dem Recht des Ursprungs- oder nach dem Recht des Schutzlandes bestimmt). Um einer allzu weitreichenden Anwendung ausländischer Rechte in Fällen internationaler Abrufbarkeit geschützter Werke im Internet zu begegnen, werden in der Literatur zumeist Einschränkungen vorgeschlagen, die statt der nur theoretischen Abrufmöglichkeit darauf abstellen, ob das betreffende Werk auch tatsächlich zum Abruf im betreffenden Land eingestellt worden ist. Für grenzüberschreitende Verträge sieht die Rom I-VO (VO 593/2008) vor, dass vorbehaltlich einer Rechtswahl durch die Parteien gemäß Art. 3 und nach Art. 4(2) der Vertrag dem Recht des Staates unterliegt, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (falls der Vertrag nicht als Vertrag über eine Dienstleistung zu qualifizieren ist, auf den nach Art. 4(1)(b) das Recht desjenigen Staates zur Anwendung kommt, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat). Worin die für den Vertrag charakteristische Leistung im Einzelnen zu sehen ist, ist in der Rom I-VO nicht näher umschrieben. Hier wird man je nach ausschließlicher oder nichtausschließlicher und je nach Bestehen einer Ausübungspflicht differenzieren müssen. Besteht ein Vertrag aus einem Bündel von Rechten und Verpflichtungen, die mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, so sollte die charakteristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt bestimmt werden (Erwägungsgrund 19). Auch hier ist absehbar, dass erst der EuGH die insoweit nur in groben Linien angelegte Rechtsvereinheitlichung wird vollenden können. Siehe zu Frage des IPR im Übrigen Geistiges Eigentum (Kollisionsrecht).
Literatur
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