Versicherungsvermittler: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:08 Uhr

von Helmut Heiss

1. Wirtschaftliche Bedeutung

Dem Vermittler kommt im Versicherungswesen eine herausragende Bedeutung zu. Es entspricht einer Erfahrungstatsache, dass das Produkt „Versicherungsschutz“ nicht von den Nachfragern eingekauft, sondern von geschulten Vertriebsorganen verkauft wird. Der Direktvertrieb In Form von Vertragsabschlüssen in Verkaufsniederlassungen des Unternehmens spielt dem gegenüber eine untergeordnete Rolle. Der Vertrieb über Telefon (Call Centers, die freilich ihrerseits Versicherungsvermittler sein können) sowie über Internet hat zwar in der jüngeren Vergangenheit deutlich an Bedeutung gewonnen, der Vertrieb über Versicherungsvermittler ist aber nach wie vor die wichtigste Absatzform.

Dieser Befund rührt nicht zuletzt vom besonderen Beratungsinteresse des Kunden her. Versicherungen sind Rechtsprodukte, die durch Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) des Versicherers sowie das dahinterstehende Versicherungsvertragsrecht (Versicherungsvertrag) entscheidend geprägt werden. Der Versicherungsschutz wird juristisch im Wege primärer, sekundärer und tertiärer Risikobeschreibungen in den AVB definiert, er ist sinnlich als solcher nicht wahrnehmbar. Der Versicherer, der diese Produkte entwickelt, befindet sich in einer Situation umfassender Informiertheit. Der Kunde, für den Versicherungsabschlüsse regelmäßig untypische Geschäfte sind, besitzt dagegen kaum versicherungstechnisches und versicherungsrechtliches Fachwissen, welches ihm ein umfängliches Verständnis vom Versicherungsprodukt vermitteln würde (asymmetrische Informationsverteilung). Die Informationspflichten (Versicherungsrecht), welche die europäischen Richtlinien aber auch die nationalen Versicherungsvertragsgesetze dem Versicherer verstärkt auferlegen, sind nur partiell geeignet, diese Asymmetrie auszugleichen. Auch die tatsächliche Erfahrung des Versicherungsnehmers mit bestimmten Policen ist kein taugliches Instrument, der Gefahr einer Negativselektion aufgrund informationeller Unterlegenheit wirkungsvoll zu begegnen. In wichtigen Sparten (Feuerversicherung, Lebensversicherung, etc.) fehlt es nämlich entweder überhaupt an einem Versicherungsfall (Feuerschäden kommen bei den meisten Versicherungsnehmern nie vor; in der Risikolebensversicherung tritt der Versicherungsfall nur einmal ein). Versicherungen werden daher mangels hinreichender Beurteilungsfähigkeit des Kunden als Vertrauensgüter angesehen. Der Kunde ist damit in besonderem Maße auf sachgerechte Beratung seitens des Vermittlers angewiesen, auf dessen Empfehlung er sich in der Regel verlassen wird.

Dieser Beratungsbedarf ist umso größer, je stärker Versicherungsmärkte internationalisiert und dereguliert sind. Beides ist im europäischen Binnenmarkt der Fall. Die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG/ 56 AEUV) ermöglicht grundsätzlich das grenzüberschreitende Anbieten bzw. Nachfragen von Versicherungsschutz. Die Deregulierung des Versicherungsrechts, insbesondere in Form des Verbots einer Vorabkontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen, erlaubt eine Produktvielfalt auch auf nationalen Märkten. Der Kunde kann seine durch Internationalisierung und Deregulierung gewonnene Produktwahlmöglichkeit aufgrund der ihm fehlenden Produktbewertungsmöglichkeiten nur teilweise nutzen. Das Risiko einer aversen Selektion liegt somit nahe. Dem Versicherungsvermittler kommt damit auf in Europa deregulierten und internationalisierten Versicherungsmärkten eine entscheidende Rolle für dessen effizientes Funktionieren zu.

2. Vermittlertypen, Typenmischung und strukturelle Defizite

Die am Markt tätigen Vermittler werden gängig in Versicherungsagenten und Versicherungsmakler eingeteilt. Versicherungsagent ist demnach, wer Versicherungsverträge im Auftrag des Versicherers vermittelt. Unerheblich ist hierbei, ob der Agent als Angestellter des Versicherers oder als selbständig Erwerbstätiger tätig wird. In jedem Falle steht der Agent in einem vertraglichen Schuldverhältnis zum Versicherer und ist diesem daher zur Loyalität verpflichtet. Manche Rechtsordnungen kennen darüber hinaus auch Berufspflichten (insbesondere Beratungspflichten), die der Versicherungsagent dem Kunden gegenüber zu erfüllen hat. Demgegenüber ist Versicherungsmakler, wer vom Versicherungsnehmer beauftragt ist, einen Versicherungsvertrag zu vermitteln. Versicherungsmakler agieren in aller Regel als selbständig Erwerbstätige. Der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer verpflichtet sie zur Geschäftsbesorgung und damit zur Interessenwahrnehmung für den Kunden. Stichwortartig wird gerne gesagt, der Makler schulde dem Kunden best advice. Demnach treffen den Versicherungsmakler – anders als den allgemeinen Handelsmakler – insbesondere folgende Pflichten: (a) eine Pflicht zum Tätigwerden; (b) die Beschaffung „bestmöglichen“ Versicherungsschutzes zu „bestmöglicher“ Prämie; (c) die Vermittlung zu einem liquiden Versicherer. Regelmäßig analysiert der Makler somit das beim Kunden vorliegende Risiko, sichtet den hierfür zur Verfügung stehenden Versicherungsmarkt und gibt dem Kunden eine Vertragsempfehlung. Daher wird der Makler gerne als der arbiter of the market angesehen.

Die Versicherungspraxis hat Vermittlertypen entwickelt, bei denen sich Elemente des Agententums mit jenen des Maklertums mischen. Das gilt zunächst für die sogenannten Mehrfachagenten. Vertritt ein Agent mehrere Versicherer und kann er daher dem Kunden verschiedene, miteinander konkurrierende Versicherungsprodukte anbieten, so nimmt der Versicherungsagent eine Rolle wahr, die sich dem Versicherungsmakler annähert. Das ist für den Kunden insofern riskant, als er zum Versicherungsagenten in keinem Vertragsverhältnis steht, dieser ihm gegenüber also als Mehrfachagent nicht zu best advice bei der Empfehlung eines bestimmten Produkts aus seinem Angebot verpflichtet ist. Umgekehrt gibt es Makler, die in einem derartigen Naheverhältnis zu einem Versicherer stehen, dass nicht mehr von einer unabhängigen Beratung des Versicherungskunden ausgegangen werden kann. Derart strukturelle Verflechtungen entstehen durch Kapitalbeteiligung des Versicherers beim Versicherungsmakler (im Extremfall liegt ein „hauseigener“ Makler vor), durch Vereinbarungen zur Exklusivvermittlung („Exklusivmakler“), durch personelle Verflechtungen oder aber finanzielle Begünstigungen. In diesen Fällen tritt der Vermittler zwar dem Kunden gegenüber als Makler auf und schließt mit ihm daher auch einen Geschäftsbesorgungsvertrag, der ihn zu best advice verpflichtet, seine wirtschaftliche Situation lässt aber nur das Handeln eines Versicherungsagenten erwarten („Pseudomakler“). Zuletzt gibt es in der Versicherungspraxis Vermittler, die berufsrechtlich sowohl eine Zulassung als Agent als auch als Makler besitzen („Makleragenten“). Alle drei Mischformen sind aus Sicht des Kundenschutzes bedenklich. Bei Mehrfachagenten fühlt sich der Kunde ähnlich wie von einem Makler beraten, ohne dass der Agent eine unabhängige Beratung schulden würde. Beim Makler hat der Kunde zwar Anspruch auf best advice, dieser Anspruch wird jedoch systematisch durch die Bindung an den Versicherer unterlaufen („Pseudomakler“). Beim „Makleragenten“ weiß der Kunde bisweilen nicht, ob der Vermittler gerade als Agent eines Versicherers oder aber als völlig unabhängiger Makler agiert. Bei Beratungsfehlern weiß er daher nicht, ob ihm der Vermittler als Makler oder nur als Agent haftet und ob gegebenenfalls der dahinter stehende Versicherer bzw. welcher von mehreren Versicherern für den Vermittler in Anspruch genommen werden kann (mangelnde Statustransparenz).

Zum Problem der Typenmischung treten weitere strukturelle Defizite hinzu, die eine neutrale und fachkundige Beratung des Kunden zweifelhaft erscheinen lassen. Im Vordergrund steht dabei die Qualifikation des Versicherungsvermittlers. In verschiedenen Mitgliedstaaten der EU war der Versicherungsvermittler bis vor Kurzem ein nicht regulierter Beruf, der ohne Nachweis spezieller Fachkenntnisse ausgeübt werden konnte. Noch wichtiger ist, dass das herrschende Provisionssystem nicht die Beratung des Kunden, sondern den Abschluss von Verträgen honoriert. Mittels der Provisionsvereinbarung überträgt der Versicherer also seine Verkaufsinteressen auf den Vermittler. Der Vermittler findet sich zwischen einem wirtschaftlichen Anreiz, möglichst viele Abschlüsse zu möglichst hohen Versicherungssummen zu tätigen, und dem Anspruch, dem Kunden umfassende Beratung zukommen zu lassen, wieder. Das Ausrichten der Vermittlertätigkeit auf die Verkaufsinteressen des Versicherers ist bei Agenten im Grundsatz legitim. Von vornherein verfehlt ist dem gegenüber das herrschende Provisionssystem beim Versicherungsmakler. Obwohl dieser nämlich aufgrund eines Auftrags des Versicherungsnehmers tätig wird und diesem daher best advice schuldet, wird seine Provision (Courtage) vom Versicherer geschuldet. Der daraus resultierende Interessenkonflikt ist offenkundig.

3. Vermittler-RL

Die Vermittler-RL (RL 2002/92) aus dem Jahr 2002 nimmt jedenfalls einen Teil der genannten Strukturprobleme in Angriff. Sie gewährleistet dem Versicherungsvermittlern in ihrem Art. 3(5) zunächst das Recht der freien Niederlassung (Niederlassungsfreiheit) und des Dienstleistungsverkehrs (Dienstleistungsfreiheit). Dadurch werden Vermittler in die Lage versetzt, den von ihnen erwarteten Beitrag zur Schaffung eines Versicherungsbinnenmarktes zu leisten.

Versicherungsvermittler bedürfen, um am Markt tätig werden zu können, einer Eintragung (Art. 3(1) i.V.m. Art. 8(1) Vermittler-RL). Die Eintragung setzt ihrerseits die Erfüllung bestimmter beruflicher Erfordernisse voraus. Diese umfassen die persönliche Unbescholtenheit, eine hinreichende fachliche Qualifikation sowie finanzielle Sicherheit (Art. 4 Vermittler-RL). Die Vermittler-RL kennt in ihrem Art. 12(2) und (3) auch Beratungspflichten der Vermittler. Nach Art. 12(3) hat jeder Vermittler die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu erfragen, sodass eine Grundlage für eine bedarfsgerechte Beratung gelegt wird. Die Beratungspflicht selbst folgt nicht der berufsrechtlichen Qualifikation als Versicherungsagent oder Versicherungsmakler, sondern dem individuellen Auftreten des Vermittlers gegenüber dem Kunden. Nach Art. 12(1)(II) hat der Vermittler den Kunden nämlich über die Art seiner Beratungstätigkeit zu informieren. Dabei bestehen drei Möglichkeiten. Der Vermittler kann zum Einen auf Grundlage einer „ausgewogenen Untersuchung“ beraten. Er kann zum Zweiten verpflichtet sein, die Vermittlung ausschließlich zu einem oder mehreren Versicherungsunternehmen vorzunehmen. Zuletzt kann er auch ohne eine solche Verpflichtung einen Rat erteilen, der nicht in einer ausgewogenen Untersuchung fußt. Im Wesentlichen werden hier also die Rollen des Versicherungsmaklers, des Einfachagenten und des Mehrfachagenten nachgezeichnet. Eine Beratungspflicht kennt explizit nur Art. 12(2) für den Fall, dass der Vermittler dem Kunden mitgeteilt hat, er würde auf der Grundlage einer „objektiven Untersuchung“ beraten, also im typischerweise für den Versicherungsmakler. Dieser hat seinen Rat auf eine Analyse zu stützen, die auf einer „hinreichenden“ Zahl von am Markt erhältlichen Versicherungsverträgen basiert und fachlichen Kriterien gerecht werden muss. Auf dieser Grundlage muss der Vermittler dem Kunden eine Vertragsempfehlung geben.

Die Beratungspflicht und eine daraus resultierende Haftung nehmen freilich nicht wirtschaftliche Bindungen des Vermittlers an ein bestimmtes Versicherungsunternehmen zurück. Die Vermittler-RL verbietet solche Bindungen auch nicht. Sie sieht, allerdings in einem nur äußerst beschränkten Umfang, Offenlegungspflichten des Vermittlers vor. Dies gilt nach Art. 12(1)(c) und (d) insbesondere für wechselseitige Kapitalbeteiligungen zwischen Versicherer und Versicherungsvermittler. Andere wirtschaftliche Verflechtungen braucht der Vermittler dem Kunden nicht mitzuteilen. Insbesondere nimmt die Richtlinie damit nicht das zentrale Problem des geltenden Provisionssystems in den Griff. Weder etabliert sie ein Honorarsystem für Versicherungsmakler, nach dem der Kunde den Makler aufwandsgerecht zu entschädigen hätte, noch fordert sie die Offenlegung der vom Versicherer an den Makler gezahlten Provision. Die Fehlanreize des geltenden Provisionssystems für Versicherungsmakler bleiben damit im europäischen Binnenmarkt erhalten.

4. Das Vermittlerrecht der Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)

Die Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) enthalten kein eigenständiges Vermittlerrecht. Das hat zum einen mit ihrem Regelungsgegenstand zu tun, der sich auf versicherungsvertragsrechtliche Fragen beschränkt. Deshalb geht es nur um Zurechnungsfragen (Fragen der Stellvertretung), im Wesentlichen also um die Haftung des Versicherers für seine Agenten und für „Pseudomakler“. Diese Fragen regeln die PEICL in ihren Art. 3:101 und 3:102. Im Übrigen aber regelt das Vermittlerrecht Fragen des Berufsrecht sowie der persönlichen (berufsrechtlichen oder vertragsrechtlichen) Pflichten des Vermittlers gegenüber dem Kunden. Diese Fragen sind daher nicht Gegenstand eines europäischen Versicherungsvertragsrechts. Sie können überdies schon deshalb nicht von den PEICL geregelt werden, weil diese nach ihrem Art. 1:102 als ein optionales Instrument konzipiert sind, das nur dann zur Anwendung gelangt, wenn sich Versicherer und Versicherungsnehmer seine Geltung vertraglich vereinbaren. Eine zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer getroffene Vereinbarung kann aber nicht ohne Zustimmung des Vermittlers dessen Verhältnis zum Kunden regeln.

Literatur

Annemarie Matusche-Beckmann, Pflichten und Haftung des Versicherungsmaklers, 1990; Ulrich Hübner, Deregulierung und Versicherungsvermittlung: Verbraucherschutz durch Beratung?, in: Festschrift für Egon Lorenz, 1994, 317 ff.; Annemarie Matusche-Beckmann, Probleme bei der Abgrenzung des Versicherungsmaklers vom Versicherungsagenten, Versicherungsrecht 1995, 1391 ff.; Jochen Taupitz, Macht und Ohnmacht der Verbraucher auf dem dekontrollierten europäischen Versicherungsmarkt, Versicherungsrecht 1995, 1125 ff.; Helmut Heiss, Bernhard Lorenz, Europäisches Versicherungsvermittlerrecht für Österreich, 1996; Attila Fenyves, Klaus G. Koban, Martin Schauer, Die Versicherungsvermittlungs-Richtlinie, 2003; Manfred Werber, Status und Pflichten der Versicherungsvermittler, insbesondere des Versicherungsmaklers, vor dem Hintergrund der Reformarbeiten, Zeitschrift für Versicherungswesen 2004, 419 ff.; Peter Reiff, Versicherungsvermittlerrecht im Umbruch, 2006; idem, Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, Versicherungsrecht 2007, 717 ff.;; Jürgen Basedow, John Birds, Malcolm Clarke, Herman Cousy, Helmut Heiss (Hg.), Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2009

Abgerufen von Versicherungsvermittler – HWB-EuP 2009 am 21. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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