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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 14:41 Uhr
von Ninon Colneric
1. Allgemeines
Durch den Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) wurde der am 25.3.1957 unterzeichnete und am 1.1.1958 in Kraft getretene, mehrfach geänderte Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit Wirkung ab 1.11.1993 in „Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ umbenannt. Für diesen Vertrag sind die Abkürzungen EG-Vertrag und EGV gebräuchlich. Der am 1.5.1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam (EU-Vertrag) entwickelte den EG-Vertrag weiter und ordnete eine Umnummerierung seiner Bestimmungen an. Durch den Vertrag von Nizza und die Beitrittsverträge vom 16.4.2003 und 25.4.2005 wurde der EG-Vertrag erneut geändert (EU-Vertrag). Mit dem EG-Vertrag ist eine Rechtsordnung eigener Art geschaffen worden (Europäische Verfassung). Zu den Zielsetzungen dieses Vertrages und dem auf ihm beruhenden institutionellen System siehe unter Europäische Gemeinschaft.
Der am 13.12.2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon gestaltete den EG-Vertrag und den EU-Vertrag unter Einbeziehung wesentlicher Elemente des gescheiterten Vertrages über eine Verfassung für Europa tiefgreifend um (Europäische Verfassung). Der EG-Vertrag wurde in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt, die Bezeichnung „Gemeinschaft“ durchgängig durch „Union“ ersetzt.
2. Prinzipien, Verfahren und Formen der Rechtsetzung durch die EG
Die EG wird innerhalb der Grenzen der ihr im EG-Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig (Prinzip der begrenzten Ermächtigung). In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird sie nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele des EG-Vertrages erforderliche Maß hinaus (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Ein Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, das dem EG-Vertrag durch den Amsterdamer Vertrag beigegeben worden ist, schreibt insbesondere vor, jeden Vorschlag für gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zu begründen, um zu rechtfertigen, dass dabei die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden.
Bei der Rechtsetzung durch die EG (Gesetzgebungskompetenz der EG/EU) kommen verschiedene Verfahren zur Anwendung. In der Praxis ist das Mitentscheidungsverfahren, in dem der Europäische Rat (Rat und Europäischer Rat) und das Europäische Parlament das gleiche Gewicht haben, zum wichtigsten Verfahren geworden. Der Rat entscheidet in diesem Verfahren mit qualifizierter Mehrheit. Weitere Verfahrensarten sind das Zustimmungsverfahren, dessen praktische Bedeutung sich auf den Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion beschränkt, und das Anhörungsverfahren, bei dem das Parlament nur anzuhören ist. Das Initiativrecht steht im Rahmen der gemeinschaftlichen Rechtsetzung der Europäischen Kommission zu. Der Rat und das Parlament haben die Möglichkeit, die Kommission zur Ausarbeitung eines Vorschlags aufzufordern. Im Regelfall überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnis zur Durchführung der Vorschriften, die er erlässt. Auf dieser Grundlage sind der Kommission in zahlreichen Verordnungen Rechtsetzungsbefugnisse für den Erlass von Durchführungsbestimmungen übertragen worden. Punktuell räumt der EG-Vertrag selbst der Kommission Rechtsetzungsbefugnisse ein. Ein besonderes Verfahren der gemeinschaftlichen Rechtsetzung gibt es im Bereich der Sozialpolitik: Die Sozialpartner können beantragen, dass Vereinbarungen, die sie auf Gemeinschaftsebene geschlossen haben, durch einen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission durchführt werden.
Die EG setzt Recht durch Richtlinien und Verordnungen. Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Hinsichtlich der Wirkweise von Richtlinien differenziert der EuGH danach, ob es sich um das Verhältnis des Einzelnen zum Staat oder zu Privatpersonen handelt. Ein Mitgliedstaat, der die in einer Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgemäß erlassen hat, kann dem Einzelnen nicht entgegenhalten, dass er die aus dieser Richtlinie erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat (EuGH Rs. 8/81 – Bekker, Slg. 1982, 53). Dagegen kann auch eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden. Es ist jedoch der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu beachten. Ermöglicht es das nationale Recht durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung unter bestimmten Umständen so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, oder die Reichweite dieser Bestimmung zu diesem Zweck einzuschränken und sie nur insoweit anzuwenden, als sie mit dieser Norm vereinbar ist, so ist das nationale Gericht verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (EuGH Rs. C-397/01 bis C-403/01 – Pfeiffer, Slg. 2004, I-8835). Aus einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts mit Grundrechtscharakter kann sich ergeben, dass Bestimmungen des nationalen Rechts, die einer diesen Grundsatz konkretisierenden Richtlinie entgegenstehen, unabhängig von solchen Auslegungsmöglichkeiten auch im Verhältnis zwischen Privaten nicht angewandt werden dürfen (EuGH Rs. C-144/04 – Mangold, Slg. 2005, I-9981).
Empfehlungen der EG (Rechtsakte der EG) sind nicht verbindlich. Insbesondere dann, wenn sie geeignet sind, Aufschluss über die Auslegung innerstaatlicher oder gemeinschaftlicher Bestimmungen zu geben, müssen die innerstaatlichen Gerichte sie jedoch bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten berücksichtigen (EuGH Rs. 322/88 – Grimaldi, Slg. 1989, 4407).
Der Vertrag von Lissabon bringt hinsichtlich dieser Materien insbesondere die folgenden Änderungen: In den AEUV ist ein Titel über Arten und Bereiche der Zuständigkeiten der Union aufgenommen worden, der eine allgemeine Kompetenzordnung enthält. Die Bestimmungen des EG-Vertrags zu den Grundsätzen der begrenzten Ermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit werden durch Regelungen im EU-Vertrag ersetzt. In das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ist ein Verfahren aufgenommen worden, das es den nationalen Parlamenten ermöglicht, aus ihrer Sicht bestehende Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips zu beanstanden. Es wird ein sog. ordentliches Gesetzgebungsverfahren eingeführt, das im Wesentlichen dem bisherigen Mitentscheidungsverfahren entspricht. Das Initiativmonopol der Kommission wird durch Ausnahmen, die jedoch nicht das Zivilrecht betreffen, abgeschwächt. Gesetzgebung kann auch durch Beschlüsse erfolgen, die sich an einen unbestimmten Adressatenkreis richten (Europäische Verfassung).
3. Rechtsetzungsgrundlagen von privatrechtlicher Relevanz im EG-Vertrag
In der folgenden Darstellung wird der EG-Vertrag, der Praxis des EuGH folgend, wenn auf Artikel in der Fassung nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam Bezug genommen wird, mit EG abgekürzt. Im AEUV gibt es zu allen genannten Rechtsgrundlagen mit Ausnahme des Art. 293 EG Entsprechungen. Es werden daher ergänzend stets dessen entsprechende Vorschriften angegeben, auch wenn sie nicht immer mit den Regelungen des EG-Vertrages identisch sind. Teilweise ist der Text der betreffenden Bestimmungen allerdings nur insoweit geändert worden, als sich dies aus Art. 2 A des Vertrages von Lissabon ergibt, der für den gesamten EG-Vertrag horizontale Änderungen wie die Ersetzung der Worte „Rat ... nach/gemäß dem Verfahren des Artikel 251“ durch „das Europäische Parlament und der Rat … gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ vorschreibt. Teilweise sind jedoch auch darüber hinaus Änderungen inhaltlicher Art vorgenommen worden.
Der EG-Vertrag widmet der Angleichung der Rechtsvorschriften ein eigenes Kapitel. Gemäß Art. 94 EG/115 AEUV erlässt der Rat einstimmig Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Im Verfahren der Mitentscheidung erlässt er gemäß Art. 95(1) EG/114 AEUV die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Diese Vorschrift gilt nicht für die Bestimmungen über die Steuern, die Bestimmungen über die Freizügigkeit und die Bestimmungen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer. Die Kommission hat bei ihren Vorschlägen nach Art. 95(1) EG/114 AEUV in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau auszugehen und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen zu berücksichtigen. Unter bestimmten Voraussetzungen wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, von den Harmonisierungsmaßnahmen abweichende nationale Regelungen anzuwenden. Sie müssen dazu ein Verfahren durchlaufen, das der Kommission eine Kontrollfunktion einräumt. Die Beibehaltung abweichender einzelstaatlicher Bestimmungen kann mit wichtigen Erfordernissen im Sinne des Art. 30 EG/36 AEUV, dem Schutz der Arbeitsumwelt oder dem Umweltschutz gerechtfertigt werden. Aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse kommt unter engen Voraussetzungen auch die Einführung neuer abweichender Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder Arbeitsumwelt in Betracht.
Für einzelne Politikbereiche hält der EG-Vertrag spezielle, weiter unten dargestellte Rechtsgrundlagen bereit, die eine Rechtsangleichung ermöglichen. Auch soweit sie primär auf das öffentliche Recht abzielen, können sie von Relevanz für das Privatrecht sein. Als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen der Rechtsangleichung kommt ferner Art. 308 EG/352 AEUV in Betracht. Danach erlässt der Rat einstimmig die geeigneten Vorschriften, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen und im EG-Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind.
Der Rat kann gemäß Art. 12 EG/18 AEUV im Mitentscheidungsverfahren Regelungen für das Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit erlassen. Gemäß Art. 13 EG/ 19 AEUV kann er im Rahmen der durch den EG-Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.
Art. 40 EG/46 AEUV verleiht dem Rat die Kompetenz, im Mitentscheidungsverfahren Richtlinien und Verordnungen zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu erlassen. Gemäß Art. 44 EG/50 AEUV erlässt der Rat im Mitentscheidungsverfahren Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für eine bestimmte Tätigkeit. Hiermit soll insbesondere veranlasst werden, dass bei jedem in Betracht kommenden Wirtschaftszweig die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in Bezug auf die Voraussetzungen für die Errichtung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sowie für den Eintritt des Personals der Hauptniederlassung in ihre Leitungs- oder Überwachungsorgane schrittweise aufgehoben werden. Um die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlässt er im Mitentscheidungsverfahren gemäß Art. 47 EG/53 AEUV Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstiger Befähigungsnachweise (Abs. 1) sowie Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten (Abs. 2). Für Richtlinien der letztgenannten Kategorie, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat eine Änderung bestehender gesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung hinsichtlich der Ausbildung und der Bedingungen für den Zugang natürlicher Personen zum Beruf umfasst, ist einstimmige Beschlussfassung im Rat vorgeschrieben. Gemäß Art. 55 EG/62 AEUV gilt Art. 47 EG/53 AEUV entsprechend für Dienstleistungen.
Gemäß Art. 65 EG/(81 AEUV i.V.m. Art. 67 EG können im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist, insbesondere die folgenden Maßnahmen getroffen werden: Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, der Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln sowie der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten; Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften. Die Maßnahmen nach Art. 65 EG/81 AEUV beschließt der Rat mit Ausnahme der familienrechtlichen Aspekte gemäß dem Mitentscheidungsverfahren. Gemäß den Protokollen über die Position Dänemarks und die des Vereinigten Königreichs und Irlands beteiligen sich diese Mitgliedstaaten nicht an derartigen Maßnahmen. Für das Vereinigte Königreich und Irland ist jedoch eine opt-in-Regelung vereinbart worden.
Im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik kann der Rat auf der Grundlage des Art. 75 EG/95 AEUV Vorschriften erlassen, wobei grundsätzlich das Mitentscheidungsverfahren zur Anwendung kommt. Gemäß Art. 75 EG/95 AEUV trifft er mit qualifizierter Mehrheit eine Regelung zur Durchführung des Verbotes von Diskriminierungen, die darin bestehen, dass ein Verkehrsunternehmen in denselben Verkehrsverbindungen für die gleichen Güter je nach ihrem Herkunfts- oder Bestimmungsland unterschiedliche Frachten und Beförderungsbedingungen anwendet.
Gemäß Art. 83 EG/103 AEUV beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit Verordnungen oder Richtlinien zum Kartellverbot und zum Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Art. 86 EG/106 AEUV regelt die wettbewerbsrechtliche Stellung der öffentlichen Unternehmen und der Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Zur Durchsetzung dieser Vorschrift kann die Kommission Richtlinien an die Mitgliedstaaten richten. Gemäß Art. 89 EG/109 AEUV kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit Durchführungsverordnungen zu den Bestimmungen über staatliche Beihilfen erlassen. Das Kapitel über die Wettbewerbsregeln findet gemäß Art. 36 EG/42 AEUV auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen nur insoweit Anwendung, als der Rat dies beschließt.
In den folgenden Bereichen erlässt der Rat gemäß Art. 137 EG/153 AEUV unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften, die schrittweise anzuwenden sind: a) Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitsnehmer, b) Arbeitsbedingungen, c) soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, d) Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, e) Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, f) Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, g) Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten, h) berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen und i) Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz. Die betreffenden Richtlinien sollen keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen. Der Rat beschließt bei den Bereichen, die unter c), d), f) und g) genannt werden, einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments, bei den übrigen Bereichen im Mitentscheidungsverfahren. Art. 137 EG/153 AEUV gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht. Gemäß Art. 141(3) EG/157 AEUV beschließt der Rat im Verfahren der Mitentscheidung Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.
Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet die Gemeinschaft gemäß Art. 153 EG/169 AEUV einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen. Dies geschieht einerseits durch Maßnahmen nach Art. 95 EG/114 AEUV und andererseits durch Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten, die der Rat im Mitentscheidungsverfahren erlässt. Eine teils im Mitentscheidungsverfahren, teils einstimmig auszuübende Kompetenz zur Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Umweltschutzes enthält Art. 175 EG/192 AEUV. In beiden Bereichen sind strengere Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten zulässig.
Einzelne Vorschriften des EG-Vertrages sehen den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen durch die EG vor. Für den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik ist diese Thematik einschließlich des Handels mit Dienstleistungen und der Handelsaspekte des geistigen Eigentums durch Art. 133 EG/207 AEUV geregelt. Der Rat kann die Zuständigkeiten der EG gemäß Art. 133(7) EG/207(7) AEUV durch einstimmigen Beschluss auf internationale Abkommen über Rechte des geistigen Eigentums auszudehnen, soweit sie nicht bereits vom geltenden Recht erfasst sind (dazu EuGH Gutachten 1/9 – WTO, Slg. 1994, I-5267).
Durch die Lehre von der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs werden der EG ungeschriebene Annexkompetenzen zugestanden, die in ausdrücklich erteilten Befugnissen mit enthalten sind. So ist die Gemeinschaft immer dann, wenn das Gemeinschaftsrecht ihren Organen im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel im Inneren eine Zuständigkeit verleiht, befugt, die zur Erreichung dieses Ziels erforderlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, auch wenn insoweit eine ausdrückliche Bestimmung fehlt (st. Rspr., siehe EuGH Rs. 22/70 – AETR, Slg. 1971, 263, und Gutachten 1/30 – Übereinkommen von Lugano, Slg. 2006, I-1145; Außenkompetenzen der EG).
Zur Vereinheitlichung des nationalen Rechts durch Abkommen der Mitgliedstaaten fand sich bisher eine Regelung in Art. 293 EG.
4. Geltungsbereich des EG-Vertrages
Der EG-Vertrag gilt für die 27 Mitgliedstaaten der EG. Sein territorialer Anwendungsbereich erstreckt sich auch auf die französischen überseeischen Départements (derzeit Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique, Réunion, Saint Barthélemy und Saint Martin), die Azoren und Madeira als Teil Portugals sowie die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln. Die in Afrika liegenden spanischen Städte Ceuta und Melilla fallen ebenfalls in seinen Anwendungsbereich, sind jedoch von der Zollunion ausgenommen. Sondervorschriften gelten für die zu Finnland gehörenden Ålandinseln und die britische Kronkolonie Gibraltar. Auf die zu Dänemark gehörenden Färöer findet der EG-Vertrag keine Anwendung. Für die Kanalinseln sowie für die Insel Man, die nicht Teil des Vereinigten Königreichs sind, sondern direkt der britischen Krone unterstehen, gilt der EG-Vertrag nur mit starken Einschränkungen. Ein spezielles Assoziierungssystem sieht der EG-Vertrag für eine Reihe von überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten vor, die mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich besondere Beziehungen unterhalten. Grönland, das Teil des dänischen Hoheitsgebietes ist, wurde, nachdem es sich aufgrund seines Autonomiestatuts durch Volksabstimmung 1982 gegen den Verbleib in der EG ausgesprochen hatte, der Status eines assoziierten Gebietes eingeräumt.
Der Geltungsbereich des AEUV deckt sich mit dem des EG-Vertrages.
Literatur
Norbert Reich, Understanding EU Law: Objectives, Principles and Methods of Community Law, 2. Aufl. 2005; Koen Lenaerts, Piet Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005; Fabrizio Cafaggi (Hg.), The institutional framework of European private law, 2006; Carl Otto Lenz, Klaus Dieter Borchardt (Hg.), EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 4. Aufl. 2006; Anthony Arnull, Alan Dashwood, Malcolm Ross, Derrick Wyatt, Eleanor Spaventa, Michael Dougan, Wyatt & Dashwood’s European Law, 5. Aufl. 2006; Tito Ballarino, Manuale breve di diritto dell’Unione europea; 2. Aufl. 2007; Christian Callies, Matthias Ruffert (Hg.), EUV/ EGV, Kommentar, 3. Aufl. 2007; Michael Schweizer, Waldemar Hummer, Walter Obwexer, Europarecht: Das Recht der Europäischen Union, 2007, Klemens H. Fischer, Der Vertrag von Lissabon: Text und Kommentar zum Europäischen Reformvertrag, 2008; Vanessa Hellmann, Der Vertrag von Lissabon: Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge: Eine Einführung mit Synopse und Übersichten, 2008.