Schiedsrecht, staatliches und Schiedsverfahren, internationales: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Gegenstand und Funktionen; Terminologie ==
== 1. Begriff und Gegenstand ==
Das staatliche Schiedsrecht regelt mittels Sach-, Kollisions- und Zuständigkeitsnormen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung privater Schiedsverfahren. Hierzu zählen insbesondere die Fragen, unter welchen Voraussetzungen Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüche wirksam und bindend sind, sowie die verbleibenden Funktionen der staatlichen Gerichte in Schiedsverfahren. Auch auf dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hat das staatliche Schiedsrecht weiterhin große Bedeutung. Denn die staatsvertraglichen Schiedsrechtsübereinkommen beschränken sich darauf, bestimmte Einzelfragen internationaler Schiedsverfahren zu regeln ([[Schiedsverfahren, internationales]]).
Das Schiedsverfahren ist eine Form der alternativen Streitbeilegung, die nahezu weltweit Anerkennung findet und insbesondere im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr in Form der privaten Schiedsgerichtsbarkeit von zentraler Bedeutung ist. Die Parteien wählen sie aus den verschiedensten Gründen (etwa kürzerer Dauer als staatliche Verfahren, geringere Kosten, Vertraulichkeit, Expertise der Schiedsrichter, flexibles Verfahren mit eigenem Gestaltungsspielraum, Waffengleichheit und Neutralität von Ort und Schiedsrichtern, effiziente Vollstreckung im grenzüberschreitenden Kontext). Die private Schiedsgerichtsbarkeit unterscheidet sich nach Rechtsgrundlage, Parteien und Verfahrensgegenstand von anderen Formen, etwa einer gesetzlich angeordneten Schiedsgerichtsbarkeit (wie sie etwa in den früheren sozialistischen Staaten bestand), der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit (häufig basierend auf völkerrechtlichen Investitionsverträgen), arbeitsrechtliche Schiedsverfahren und völkerrechtlichen Schiedsverfahren zwischen Staaten.


Die meisten europäischen Staaten haben Sonderrechte für schiedsrechtliche Sachverhalte erlassen. Man kann im Wesentlichen drei Regelungsmodelle unterscheiden: Im französischen und schweizerischen Schiedsrecht gibt es für nationale und internationale Schiedsverfahren jeweils eigenständige Regelwerke. Belgien, Italien, Schweden und andere Staaten verfügen über ein auf nationale Schiedsverfahren zugeschnittenes Schiedsgesetz, das um Vorschriften zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergänzt wurde. Eine zunehmende Zahl nationaler Gesetzgeber hat sich schließlich für ein einheitliches Schiedsgesetz entschieden, das für nationale und internationale Schiedsverfahren gleichermaßen gilt. Diesem Modell folgen zum Beispiel Deutschland, Österreich, Spanien, England oder die Niederlande.
Die private Schiedsgerichtsbarkeit lässt sich definieren als eine von den Parteien vertraglich vereinbarte Form der Streitbeilegung durch eine oder mehrere von den Parteien direkt oder indirekt eingesetzte Privatperson(en) anstelle staatlicher Gerichte. Die Entscheidung in Form eines Schiedsspruchs hat urteilsgleiche Wirkungen: Der Schiedsspruch hat ''res iudicata'' Wirkung; er ist für die Parteien bindend und aus ihm kann – bei ausländischen Schiedssprüchen erst nach einem Anerkennungsverfahren ([[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche]]) – vollstreckt werden.


Das staatliche Schiedsrecht ist von den Schiedsgerichtsordnungen privater Schiedsinstitutionen, sonstigen nichtstaatlichen Schieds- und Verfahrensregeln und den sich in der internationalen Schiedspraxis herausbildenden und teilweise als transnationales Schiedsrecht bezeichneten Verfahrensstandards zu unterscheiden ([[Schiedsverfahren, internationales]]). Das staatliche Schiedsrecht befasst sich in erster Linie mit den Rechtsfragen, die aus der Sicht der nationalen Gerichte bedeutsam sind. Das englische ''[[common law]]'' bezeichnet den Regelungsgegenstand des staatlichen Rechts treffend als ''external procedural questions'' und meint hiermit insbesondere die Rechtsbeziehungen zu den staatlichen Gerichten. Die privatvertraglich gewählten Schieds- oder Verfahrensregeln befassen sich demgegenüber mit der internen Durchführung des Schiedsprozesses vor dem Schiedsgericht (''internal conduct of the arbitration''). Beide Rechtsebenen werden, auch begrifflich, nicht immer getrennt. Das auf ein Schiedsverfahren anwendbare Recht wird häufig auch als (kollisionsrechtliches) Schiedsverfahrensstatut bezeichnet. Im französischen Sprachraum hat sich die Bezeichnung ''loi d’arbitrage'' durchgesetzt. Im Englischen spricht man dagegen bisweilen nur von ''procedural law'' oder'' arbitration law''<nowiki>; präziser ist der Begriff </nowiki>''curial law''. International weit verbreitet ist schließlich der lateinische Ausdruck ''lex (loci) arbitri''.
Die private Schiedsgerichtsbarkeit ist von anderen Formen der alternativen Streitbeilegung abzugrenzen. Das grundlegende strukturelle Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass nur das Schiedsgericht den Rechtsstreit für die Parteien verbindlich durch einen vollstreckbaren Ausspruch entscheidet. An der Vergleichsverhandlung (''negotiation'') sind allein die Parteien beteiligt; sie selbst handeln den Vergleich aus. Bei der [[Mediation]] ist mit dem Mediator eine dritte, neutrale Person beteiligt. Diese entscheidet den Rechtsstreit jedoch nicht. Sie unterbreitet in der Regel auch keinen Lösungsvorschlag, sondern führt die Parteien zu einer von ihnen selbst entwickelten Lösung. An der Schlichtung (''conciliation'') ist mit dem Schlichter ebenfalls eine dritte Person beteiligt. Anders als der Mediator macht der Schlichter nach Anhörung der Parteien zwar regelmäßig einen Vorschlag zur Lösung der Streitigkeit. Diesen können die Parteien jedoch annehmen oder ablehnen.


Das staatliche Schiedsrecht hat mehrere Funktionen. Regelt ein Staat die grundlegenden Rechtsfragen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, folgt hieraus zum einen, dass er die private Rechtsprechung durch Schiedsgerichte als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit anerkennt und sie nicht ausschließlich dem privatautonomen Bereich des Schuldrechts zuweist. Daneben hat das staatliche Schiedsrecht eine Beschränkungsfunktion. Seine zwingenden Normen setzen der Schiedsgerichtsbarkeit als privatautonomem System der Streitentscheidung Grenzen ([[Zwingendes Recht]]). So können zwar regelmäßig vermögensrechtliche Ansprüche Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein, da der Staat in diesen Fällen nur ein geringes Regelungsinteresse hat. Familien- oder Patentsachen sind dagegen in vielen Staaten nicht schiedsfähig. Andere zwingende Normen betreffen die formelle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung, die Sicherung von verfahrensrechtlichen Mindeststandards, die Wirkungen des Schiedsspruchs sowie die staatsgerichtlichen Kontrollbefugnisse hinsichtlich des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs. Schiedsgesetze können darüber hinaus zahlreiche dispositive Bestimmungen enthalten, die das zwingende Schiedsrecht ergänzen und Lücken in der Parteivereinbarung schließen (Ergänzungsfunktion). Abdingbar sind insbesondere die Vorschriften zur Zusammensetzung und Bestellung des Schiedsgerichts und zur Verfahrensgestaltung sowie die staatsgerichtlichen Unterstützungszuständigkeiten. Dispositives Schiedsrecht findet sich vor allem in den Rechtsordnungen, die nationale und internationale Schiedsverfahren einheitlich regeln. Die Parteien internationaler Handelsschiedsverfahren haben damit die Freiheit, den Schiedsprozess weitgehend nach ihren Vorstellungen auszugestalten ([[Vertragsfreiheit]]).
Etwas anders verläuft die Abgrenzung zum Schiedsgutachten (''expert determination'','' expertise amiable'') einschließlich der Qualitätsarbitrage (im englischen missverständlich ''commodity arbitration''). Dort entscheidet zwar eine dritte Person verbindlich, doch betrifft diese Entscheidung nicht den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit unter Ausschluss der staatlichen Ge-richtsbarkeit, sondern lediglich ein Element der Entscheidung, insbesondere die Feststellung einzelner Tatsachen oder Rechtsfragen.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit sind ''ad hoc''-Schiedsverfahren von institutionellen Schiedsverfahren zu unterscheiden. Beim ''ad hoc''-Schiedsverfahren wird einmalig zur Entscheidung des konkreten Rechtsstreits ein Schiedsgericht von den Parteien eingesetzt. In den Grenzen des staatlichen [[Schiedsrecht, staatliches|Schiedsrechts]] unterliegen sämtliche Aspekte des Schiedsverfahrens, von der Bestellung des Schiedsgerichts über die Rechtsverhältnisse mit den Schiedsrichtern bis hin zu den Verfahrensregeln der Parteiautonomie. Bei den heute weit verbreiteten institutionellen Schiedsverfahren wird der administrative Apparat einer Schiedsinstitution (idR als privatrechtliche Vereinigung organisiert) zur Durchführung des Schiedsverfahrens in Anspruch genommen. Häufig geschieht dies durch die von der Schiedsinstitution vorgeschlagene Standardschiedsklausel. Die Parteien unterwerfen sich damit insbesondere der Schiedsordnung der Schiedsinstitution, die als Verfahrensordnung die weitgehend dispositiven Vorschriften staatlicher Schiedsrechte verdrängt und eventuelle Lücken schließt. Die zentralen Aufgaben der Schiedsinstitution bestehen darin, das Verfahren zu administrieren, bei der Bestellung der Schiedsrichter unterstützend mitzuwirken und eine Gebührenordnung zur Verfügung zu stellen. Bisweilen werden die Schiedssprüche auch bereits einer rudimentären, in erster Linie formellen Kontrolle unterzogen, um einen gewissen Mindeststandard zu gewährleisten.
Die Ursprünge der privaten Schiedsgerichtsbarkeit als System der Streitbeilegung reichen zurück bis in die Antike ([[Schiedsverfahren, internationales]]). Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Schiedsgerichte in den meisten europäischen Rechtsordnungen anerkannt und verbreitet. Zunächst dienten private Schiedsverfahren vor allem dazu, private Streitigkeiten von typischerweise geringem wirtschaftlichen Wert innerhalb einer Familie oder zwischen engen Freunden beizulegen. Es ging darum, die Stabilität dieser langfristigen und auf vertrauensvolles Zusammenwirken angelegten persönlichen Beziehungen zu sichern. Diese Zielsetzung spiegelt sich noch zu Beginn des 20.&nbsp;Jahrhunderts in den staatlichen Regelwerken zur Schiedsgerichtsbarkeit wider, so etwa im französischen Recht.


Demgegenüber führte die von England ausgehende Ausbreitung des Welthandels im 17.&nbsp;Jahrhundert dazu, dass englische Schiedsgerichte bereits zu dieser Zeit zunehmend auch in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten tätig wurden. Die englischen Richter, deren Einkommen in dieser Zeit von den anfallenden Gerichtsgebühren abhing, sahen in privaten Schiedsgerichten daher alsbald unliebsame Konkurrenten, die ihnen die rechtlich interessanten und finanziell lukrativen Fälle vorenthielten. Hinzu kam die noch bis weit ins 20.&nbsp;Jahrhundert hinein verbreitete Befürchtung, dass Rechtsprechung durch Schiedsgerichte als ''inferior tribunals without legal training in matters of la''w zu einer ''erroneous administration of law'','' and therefore injustice'' führen müsse (so der englische ''Court of Appeal'' in ''Czarnikow v. Roth'','' Schmidt and Co.''<nowiki> [1922] 2&nbsp;KB 478, 488&nbsp;f.) Als Antwort auf die Ausbreitung der privaten Schiedsgerichtsbarkeit sprachen die englischen Richter der Schiedsvereinbarung die gerichtliche Durchsetzbarkeit ab. Dadurch konnte sich jede Partei bis zum Erlass des Schiedsspruchs sanktionslos von der Schiedsvereinbarung lösen. Erst gegen Ende des 17.&nbsp;Jahrhunderts wurde auch die Sicherung durch Vertragsstrafeversprechen unterbunden. Parallel dazu setzte sich die Auffassung durch, dass die Parteien die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte nicht kraft Parteiautonomie</nowiki> ([[Vertragsfreiheit]]) ausschließen können. Die frühen ''Arbitration Acts 1889–1934'' beschränkten sich im Wesentlichen darauf, das bestehende ''[[common law]]'' niederzulegen. Allein die Einrede der Schiedsvereinbarung fand eine erste zaghafte Anerkennung. Die Befreiung von der Unterordnung unter die staatliche Gerichtsbarkeit gelang erst mit den ''Arbitration Acts'' der Jahre 1950, 1975 und 1979. Sie fand ihren vorläufigen Abschluss mit dem modernen ''Arbitration Act 1996'', dessen systematischer Aufbau in vielerlei Hinsicht dem UNCITRAL ''Model Law'' ähnelt. Obwohl sich der englische Gesetzgeber gegen eine umfassende Übernahme des ''Model Law'' entschieden hatte, beeinflusste es doch in erheblichem Maß Struktur und Inhalt des englischen Schiedsgesetzes. Der mit dem ''Model Law'' vertraute (ausländische) Rechtsanwender sollte sich in dem neuen Gesetz schnell zurechtfinden können.
Die Frage, ob auf nationale und internationale private Schiedsverfahren dasselbe oder aber verschiedene gesetzliche Regelungen anzuwenden sind, wird in Europa uneinheitlich beantwortet ([[Schiedsrecht, staatliches]]). Verschiedene Regime sehen Frankreich und die Schweiz vor. Das französische Recht grenzt in Art.&nbsp;1492 CPC nach dem objektiven Kriterium ab, ob Interessen des internationalen Handels betroffen sind, während das Schweizer Recht in Art.&nbsp;176 IPRG auf das subjektive Kriterium von Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt der Parteien in verschiedenen Staaten abstellt. Das UNCITRAL'' Model Law'' wurde an sich nur für internationale Schiedsverfahren entworfen. Es grenzt diese in Art.&nbsp;1(3) anhand subjektiver (Geschäftseinrichtung in verschiedenen Staaten) und hilfsweise objektiver (Sitz des Schiedsgerichts, Erfüllungsort der vertraglichen Hauptpflichten oder engste Verbindung des Streitgegenstandes mit einem anderen Staat als dem der Geschäftseinrichtungen) Kriterien von nationalen Schiedsverfahren ab. Zahlreiche europäische Staaten haben das ''Model Law'' jedoch als einheitliches Regime für nationale wie internationale Schiedsverfahren übernommen bzw. sich daran orientiert ([[Schiedsrecht, staatliches]]). Dadurch wird eine schwierige Abgrenzung vermieden und eine Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt erreicht: Statt für internationale Schiedsverfahren ein liberaleres Sonderregime zu schaffen, wird dieses auch auf nationale Schiedsverfahren angewendet. Im Ergebnis spielt die Abgrenzung daher für die Anwendung des staatlichen Schiedsrechts (welche idR nur einen Schiedssitz im Inland voraussetzt, vgl. etwa §&nbsp;1025 Abs.&nbsp;1 und 2 ZPO und sec. 2 Abs. 1–3 ''Arbitration Act 1996'') in den meisten europäischen Rechtsordnungen keine Rolle. Dagegen setzt die Anwendung des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von 1958 ein grenzüberschreitendes Element voraus. Auch das Europäische (Genfer) Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 ist nach Art.&nbsp;1(1)(a) nur auf Schiedsvereinbarungen zur Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten im internationalen Handel (objektives Kriterium) zwischen Parteien mit Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten (subjektives Kriterium) anwendbar.


Letzte Nachwirkungen der rechtlichen Vormachtstellung der englischen Gerichte sind gleichwohl bis heute spürbar. So derogiert die Schiedseinrede auch im geltenden englischen Recht nicht die gerichtliche Zuständigkeit in der Hauptsache. Ein entgegen der Schiedsvereinbarung eingeleitetes gerichtliches Verfahren wird daher bei Erhebung der Schiedseinrede lediglich ausgesetzt (''stay of proceedings''). Auf Grundlage ihrer fortbestehenden ''inherent jurisdiction'' können englische Richter deshalb weiterhin in das Schiedsverfahren unterstützend oder kontrollierend eingreifen. Daneben verfügen die staatlichen Richter immer noch über im Vergleich zu kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen weiter reichende Kontrollbefugnisse. Eine inhaltliche Nachprüfung von Schiedssprüchen ist, wenn auch nur noch unter engen Voraussetzungen, nach wie vor möglich. In diesem Punkt unterscheidet sich das englische Schiedsrecht deutlich von ''civil law'' Rechtsordnungen. In diesen Staaten beschränken die Gerichte die inhaltliche Überprüfung des Schiedsspruchs vor allem in internationalen Schiedsverfahren auf eine – wenn auch unterschiedlich strenge – ''ordre public''-Kontrolle (''[[ordre public]]'').
== 2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Private Schiedsverfahren sind seit alters her als Formen der Streitentscheidung anerkannt. So konnten im [[römisches Recht|römischen Recht]] Fremde wie römische Bürger vereinbaren, ihre zivilrechtlichen Streitigkeiten durch ein privates Schiedsgericht entscheiden zu lassen. In der klassischen Zeit wurde die Schiedsgerichtsbarkeit rein privatrechtlich begründet. Grundlage war allein die Schiedsvereinbarung, deren Durchsetzung durch gegenseitige Vertragsstrafeversprechen für den Fall der Nichtbeachtung des Schiedsspruchs (''compromissum'') abgesichert war. In der nachklassischen Zeit wurde die rein vertragliche Begründung der Bindung an den Schiedsspruch durch eine Vollstreckungsklage des obsiegenden Klägers, die ''actio in factum'', bzw. eine Einrede des obsiegenden Beklagten, die ''exceptio veluti pacti'', ergänzt. Dies entspricht dem heute vorherrschenden Regelungsmodell der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen mit Hilfe staatlicher Gerichte. Der hybride Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit als rechtsprechungsgleicher Streitentscheidung auf vertraglicher Grundlage ist damit bereits im römischen Recht angelegt.


Auch die kontinentaleuropäischen Gesetzgeber haben die staatlichen Kontrollbefugnisse im Zuge der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Liberalisierung und Angleichung der staatlichen Schiedsrechte nur schrittweise reduziert. Zwar wurden auf internationaler Ebene schon bald beachtliche Fortschritte in Form von staatsvertraglichen Übereinkommen wie der ''New York Convention'' aus dem Jahre 1958 erzielt ([[Schiedsverfahren, internationales]]; [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche]]). Die im Rahmen des [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarats]] erarbeitete ''European Convention providing a Uniform Law on Arbitration'' vom 20.1.1966 ist jedoch gescheitert, da nur der belgische Gesetzgeber das vorgesehene Einheitsgesetz erlassen hat. Die Bemühungen, die von vielfältigen lokalen Besonderheiten geprägten staatlichen Schiedsrechte den Bedürfnissen der sich nun schnell ausbreitenden internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit anzupassen, verlagerten sich seitdem auf die Ebene des autonomen Rechts. Sie führten in den 1970er Jahren in mehreren Staaten zu ersten greifbaren Ergebnissen. Hierbei kam es auch zu Bestrebungen, die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit vom nationalen Recht abzukoppeln („Delokalisierung“). Das Ziel bestand darin, die Eingriffsbefugnisse der staatlichen Gerichte zu begrenzen. Die unterschiedlichen Delokalisierungsmodelle sind vor allem als Gegenbewegung zu dem Ansatz zu verstehen, nach dem ein Schiedsverfahren notwendig der Beurteilung und Kontrolle durch das Recht oder die Gerichte seines Heimat- oder Ursprungsstaats unterworfen ist ([[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche]]). Diese Bemühungen waren mitunter nur von mäßigem Erfolg gekrönt, wie erneut das Beispiel des belgischen Schiedsrechts zeigt. Im Jahre 1985 schloss der belgische Gesetzgeber die Anfechtungsmöglichkeit von Schiedssprüchen kraft Gesetzes für die Fälle aus, in denen die Schiedsparteien keine Beziehung zum Inland haben. Die Hoffnung, durch diese radikale Reform die Attraktivität Belgiens als Schiedsplatz zu steigern, erfüllte sich jedoch nicht. Belgien hat daher im Jahre 1998 die Lösung des schweizerischen IPRG übernommen, das 1989 in Kraft getreten war. Nach Art.&nbsp;192 IPRG können die Parteien eines schweizerischem Recht unterliegenden internationalen Schiedsverfahrens, die keine persönlichen Verbindungen zur Schweiz aufweisen, durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung im Voraus darauf verzichten, den Schiedsspruch in der Schweiz anzufechten. Am weitesten fortgeschritten ist die Delokalisierung internationaler Schiedsverfahren im französischen internationalen Schiedsrecht, dessen im Jahre 1981 reformierte Regelungen sich durch eine sehr weitreichende Liberalität auszeichnen.
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Schiedsgerichte in den meisten europäischen Rechtsordnungen anerkannt. Sie betrafen allerdings meist rein lokale bzw. nationale Streitigkeiten. Das Verhältnis zur staatlichen Gerichtsbarkeit war jedoch vor allem in England schwierig und von einer ständigen Konkurrenz beherrscht ([[Schiedsrecht, staatliches]]).


Seit Mitte der 1980er Jahre modernisierten eine zunehmende Zahl von Staaten ihre nationalen Schiedsrechte auf Grundlage des UNCITRAL'' Model Law on International Commercial Arbitration''. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat es 1985 angenommen und allen Staaten zur Berücksichtigung empfohlen. UNCITRAL hat das ''Model Law'' als Spezialgesetz für internationale Schiedsverfahren unter Beteiligung von Vertretern der Industrie- und Entwicklungsländer erarbeitet. Das Gesetz repräsentiert daher weitgehend die herrschenden Vorstellungen über ein angemessenes Regelungssystem auf dem Gebiet der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Mittlerweile haben mehr als 50 Staaten ihr nationales Schiedsrecht nach dem Vorbild des Modellgesetzes reformiert, unter ihnen Deutschland, Österreich, Spanien, Russland, Polen, Ungarn und zuletzt Slowenien. Zwar gehen nach wie vor einige Staaten, darunter traditionell bedeutsame internationale Schiedsplätze wie England, Frankreich und die Schweiz, eigene Wege. Gleichwohl herrscht heute in Europa und den meisten anderen Staaten ein einheitliches Grundverständnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit.
Nach ersten Schritten durch das Genfer Protokoll von 1923 (sicherte Schiedsklauseln über zukünftige Streitigkeiten ab) und das Genfer Übereinkommen von 1927 (betreffend Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, sofern Vollstreckbarerklärung im Ursprungsstaat erfolgt war) – beide Abkommen sind heute faktisch durch das New Yorker Übereinkommen nach dessen Art.&nbsp;VII(2) abgelöst – wurden die Anstrengungen zur Harmonisierung bestimmter Aspekte in grenzüberschreitenden, internationalen Schiedsverfahren erst nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen.


== 3. Grundlinien moderner staatlicher Schiedsrechte ==
Den Grundstein der Erfolgsgeschichte der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit legte 1958 das New Yorker Übereinkommen. Es stellt die [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche]] in mittlerweile 142 Staaten und damit fast weltweit sicher. Das Europäische Übereinkommen von 1961, welches eine ähnliche Zielsetzung im Ost-West-Handel verfolgte, war ein weiterer Schritt in Richtung Internationalisierung. Es erlangte jedoch bei weitem nicht die Bedeutung des New Yorker Übereinkommens und ist heute abgesehen von Art.&nbsp;IX kaum noch von praktischer Relevanz.
Das UNCITRAL'' Model Law'' enthält sehr ausführliche, wenn auch keineswegs vollständige Regelungen, die darauf abzielen, effektiven schiedsgerichtlichen Rechtsschutz zu ermöglichen. Als international konsensfähiges Regelwerk eignet es sich daher in besonderem Maße dazu, an seinem Beispiel die Grundlinien moderner staatlicher Schiedsrechte aufzuzeigen.


Neben seiner grundsätzlichen „schiedsfreundlichen“ Grundausrichtung ist das ''Model Law'' vor allem von zwei Prinzipien geprägt: Es begrenzt zum einen (wenn auch allzu strikt) die Interventionsbefugnisse der staatlichen Gerichte: Nach Art.&nbsp;5 sind gerichtliche Tätigkeiten in den im ''Model Law'' geregelten Angelegenheiten nur zulässig, soweit sie in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen sind („In matters governed by this Law, no court shall intervene except where so provided in this Law“). Diese Norm hat vor allem programmatischen Charakter. Sie ist von den meisten ''Model Law''-Staaten rezipiert worden, etwa in §&nbsp;1026 dt. ZPO und §&nbsp;578 der österreich. ZPO. Der englische ''Arbitration Act 1996'' räumt den Gerichten dagegen im Einklang mit dem früheren Recht auch weiterhin einen Ermessensspielraum ein (sec. 1 lit. c: „In matters governed by the Part the court ''should not'' intervene except as provided by this Part.“). Die Unterschiede zwischen den jeweiligen Regelungen sind in der Praxis aber gering. Denn auch deutsche oder österreichische Gerichte verfügen über einen gewissen Spielraum, in Ausnahmenfällen gesetzlich nicht vorgesehene (Unterstützungs) Maßnahmen zu treffen.  
Den entscheidenden Schub erhielt die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit in den 1970er Jahren. Der Zunahme des grenzüberschreitenden Handels- und Wirtschaftsverkehrs stand ein auf diese Bedürfnisse nicht zugeschnittenes und in vielen Aspekten mit erheblichen Nachteilen behaftetes System staatlicher internationaler Zuständigkeiten sowie Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln gegenüber. Abgesehen vom Brüsseler EWG-Übereinkommen von 1968 existierte kein multilaterales Übereinkommen von nennenswerter Bedeutung, welches die internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen regelte. Die grenzüberschreitende Prozessführung vor staatlichen Gerichten war daher zeit- und kostenaufwändig und wies ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit aufgrund abweichender nationaler Regime auf. Dieses Vakuum eines funktionsfähigen Systems zur Entscheidung grenzüberschreitender Streitigkeiten füllte zunehmend die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit aus. Es bildeten sich internationale Schiedsinstitutionen, häufig angesiedelt bei den Handelskammern. Am bedeutendsten ist die [[Internationale Handelskammer]] (ICC) mit Generalsekretariat in Paris. Am Entstehen einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hatte sie erheblichen Anteil. Von Bedeutung sind aber etwa auch die ''American Arbitration Association'' (AAA) mit ihrem ''International Centre for Dispute Resolution'' (ICDR), der ''London Court of International Arbitration'' (LCIA), ''Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce'' (SCC), die ''China International Economic and Trade Arbitration Commission'' (CIETAC) sowie zahlreiche industriesektorspezifische Institutionen. Diese Institutionalisierung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit professioneller wurde und ein qualitativer Mindeststandard gewährleistet war. Außerdem wurde durch sie unerfahrenen Parteien der Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit erheblich erleichtert. Gestützt wurde die Entwicklung nicht zuletzt durch die Liberalisierung der staatlichen [[Schiedsrecht, staatliches|Schiedsrechte]], die durch die Schaffung des UNCITRAL ''Model Law'' im Jahre 1985 entscheidend vorangetrieben wurde. Das ''Model Law'' und die durch dieses geprägten nationalen Schiedsrechte sind mehrheitlich dispositiv ausgestaltet. Die Eingriffs- und Kontrollbefugnisse staatlicher Gerichte sind auf das absolut notwendige Maß reduziert. Dies bietet freie Entfaltungsmöglichkeiten für eine [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|private Rechtsetzung]] durch Schiedsinstitutionen und andere Interessenverbände. Durch diese Entwicklung der institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen war der Weg für den Erfolg der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit geebnet.


Darüber hinaus stärkt das ''Model Law'' die Parteiautonomie. So enthält das Gesetz zahlreiche dispositive Vorschriften über den Ablauf des Schiedsverfahrens, die ausdrücklich unter dem Vorbehalt anderweitiger Parteiabreden stehen. Zu nennen sind insbesondere die Bestimmungen über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts (Art.&nbsp;10, 11) sowie Art.&nbsp;19. Danach können die Parteien, vorbehaltlich der zwingenden Vorschriften des ''Model Law'', die für das Verfahren vor dem Schiedsgericht geltenden Regelungen frei wählen. Entsprechende Normen finden sich aber nicht nur in den ''Model Law''-Staaten (vgl. etwa §§&nbsp;1034, 1035, 1042 Abs.&nbsp;3 dt. ZPO; 586, 587, 594 Abs.&nbsp;1 österreich. ZPO). Auch andere moderne Schiedsgesetze räumen den Schiedsparteien einen weiten Spielraum bei der Verfahrensausgestaltung ein. Neben dem englischen Recht (sec. 15&nbsp;ff. 34 Abs. 1 ''Arbitration Act 1996'') gilt dies insbesondere für das schweizerische (Art.&nbsp;179 Abs.&nbsp;1, 182 Abs.&nbsp;1 IPRG) und das französische Schiedsrecht (Art.&nbsp;1493 Abs.&nbsp;1, 1494 Abs.&nbsp;1 ''Code de procédure civile'').
== 3. Europarecht ==
Der EuGH hatte sich wiederholt mit dem Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zum europäischen Primärrecht auseinanderzusetzen. So hat er bereits recht früh festgestellt, dass Schiedsgerichte keine Gerichte eines Mitgliedstaates i.S.d.. Art.&nbsp;234 EG/‌267 AEUV und daher nicht vorlageberechtigt sind (EuGH Rs.&nbsp;102/‌81 – ''Nordsee'', Slg. 1982, 1095, Rn.&nbsp;13). Außerdem kann ein Schiedsspruch wegen Verletzung des ''ordre public'' durch nationale Gerichte aufgehoben werden, wenn er zwingende Vorschriften des Europarechts missachtet (EuGH Rs.&nbsp;C-126/‌97 – ''Eco Swiss'', Slg. 1999, I-3055, Rn.&nbsp;37; betroffen war das Kartellverbot des Art.&nbsp;81 EG). In diesen Fällen dürfte auch ohne Aufhebung die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs an Art.&nbsp;V(2)(b) des New Yorker Übereinkommens scheitern.


Die Vorschriften des Modellgesetzes sind klar strukturiert und inhaltlich gut verständlich. Schiedsgesetze, die auf dem ''Model Law'' basieren oder sich wie der englische ''Arbitration Act 1996'' an seinem Aufbau orientieren, sind deshalb insbesondere für ausländische Rechtsanwender leicht zugänglich.
Die Sekundärrechtsakte des europäischen internationalen Privat- und Zivilprozessrechts schließen die private Schiedsgerichtsbarkeit regelmäßig von ihrem materiellen Anwendungsbereich aus. Das Feld wird bewusst völkerrechtlichen Übereinkommen, [[Schiedsrecht, staatliches|staatlichen Schiedsrechten]] und [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|privater Rechtsetzung]] überlassen. Die Vorschrift des Art.&nbsp;293 4.&nbsp;Spiegelstrich EG (im AEUV ersatzlos gestrichen) hat für die Vereinfachung der Förmlichkeiten der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen durch Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten kaum praktische Bedeutung erlangt.


Eine besonders wichtige Regelung des ''Model Law'' betrifft die Frage, auf welche schiedsrechtlichen Vorgänge es anzuwenden ist. Nach Art.&nbsp;1(2) gilt das ''Model Law'' grundsätzlich nur für Schiedsverfahren, deren Sitz (''place of arbitration'') im Gebiet des jeweiligen ''Model Law''-Staates liegt. Nur die Vorschriften über die Wirkung der Schiedsvereinbarung (Art.&nbsp;8), die Eilzuständigkeit der staatlichen Gerichte (Art.&nbsp;9) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen sind auch auf andere Schiedsverfahren anzuwenden. Die kollisionsrechtliche [[Anknüpfung]] des Schiedsverfahrensstatut erfolgt danach zwingend objektiv anhand des Schiedssitzes. Dieses sog. Territorialitätsprinzip ist mittlerweile international weit verbreitet. Neben den ''Model Law''-Staaten (z.B. §&nbsp;1025 dt. ZPO, §&nbsp;577 österreich. ZPO) folgen ihm auch die Schweiz (Art.&nbsp;176 Abs.&nbsp;1 IPRG) und England (sec. 2'' Arbitration Act 1996'').
So ist die Frage des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts vom Anwendungsbereich der Rom&nbsp;I-VO (VO&nbsp;593/‌2008) nach deren Art.&nbsp;1(2)(e) ausgeschlossen.


Diesem Konzept steht die Verfahrenstheorie, international auch Autonomieprinzip genannt, gegenüber. Danach ist es den Parteien erlaubt, das anwendbare Schiedsverfahrensrecht frei zu wählen ([[Rechtswahl]]). Zwar ist die Verfahrenstheorie heute im internationalen Vergleich nicht mehr sehr verbreitet. Eine Wahl des Schiedsverfahrensstatuts durch die Parteien bleibt aber weiterhin möglich. Denn der Schiedssitz wird unter der Geltung des Territorialitätsprinzips überwiegend in einem „vergeistigten“ Sinn verstanden und von dem tatsächlichen Verfahrens- oder Tagungsort unterschieden. Der Schiedssitz soll lediglich dazu dienen, eine rechtliche Anbindung an ein nationales Schiedsverfahrensrecht zu ermöglichen. Selbst fiktive Schiedssitze werden überwiegend für zulässig erachtet. Die Wahl des Schiedsverfahrensstatuts erfolgt somit mittelbar durch die Festlegung des Schiedssitzes. Die Probleme, die mit einer Rechtswahl des Schiedsverfahrensstatuts verbunden sind und in vielen Staaten zur Aufgabe der Verfahrenstheorie geführt haben, werden nach dieser Lehre aber nur scheinbar gelöst. Denn ein vom faktischen Tagungsort abweichender (fiktiver) Schiedssitz wird häufig ebenso schwer zu bestimmen sein wie ein frei wählbares Schiedsrecht, wenn die Parteien den Sitz nicht ausdrücklich vertraglich festgelegt haben.
Die Schiedsgerichtsbarkeit als solche ist vom Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO (VO&nbsp;44/‌‌2001) nach deren Art.&nbsp;1(2)(d) ausgenommen. Diese recht unpräzise Formulierung bereitet in der Praxis große Schwierigkeiten. Das Verhältnis der Brüssel&nbsp;I-VO zur Schiedsgerichtsbarkeit ist weithin ungeklärt und umstritten. Einigkeit besteht insofern, als das Schiedsverfahren selbst (geregelt durch die staatlichen [[Schiedsrecht, staatliches|Schiedsrechte]] und institutionelle Schiedsordnungen) sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (geregelt durch das New Yorker Übereinkommen) vom Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO ausgeschlossen sind. Unklarheit herrscht allerdings in der Frage, ob und inwiefern Verfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten zur Unterstützung von Schiedsverfahren unter die Brüssel&nbsp;I-VO fallen bzw. mit dieser vereinbar sind. Der Schlosser-Bericht zum EuGVÜ (ABl. 1979 C 59/‌71) enthält nur einige Beispiele, nennt jedoch keine abstrakt-generellen Kriterien. Die Rechtsprechung des EuGH ist bislang einzelfallbezogen (Verfahren zur Bestellung eines Schiedsrichters vor einem staatlichen Gericht fällt unter den Ausschluss – EuGH Rs.&nbsp;C-190/‌89 – ''Marc Rich'', Slg. 1989, I-3855, Rn. 19&nbsp;ff.; Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem staatlichen Gericht zur Sicherung der im Schiedsverfahren geltend gemachten Hauptforderung dagegen nicht – EuGH Rs.&nbsp;C-391/‌95 – ''van Uden'', Slg. 1998, I-7091, Rn. 31&nbsp;ff.) und es lassen sich ihr nur schwer zu verallgemeinernde Aussagen entnehmen. Festzustehen scheint allenfalls, dass das Verfahren vor dem staatlichen Gericht im direkten Zusammenhang mit einem laufenden oder künftigen Schiedsverfahren stehen und die schiedsrechtliche Frage den Hauptgegenstand des Verfahrens bilden muss. Besondere praktische Relevanz erlangte die Frage im Hinblick auf ''anti-suit injunctions'' ([[Einstweiliger Rechtsschutz]]) durch englische Gerichte zur Durchsetzung englischem Recht unterliegender Schiedsvereinbarungen mit Schiedssitz London. Der EuGH hat kürzlich auf eine Vorlage des ''House of Lords'' (''West Tankers Inc. v. RAS Riunione Adriatica di Sicurta SpA''<nowiki> [2007] UKHL&nbsp;4) hin entschieden, dass </nowiki>''anti-suit injunctions'' zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen mit der Brüssel&nbsp;I-VO unvereinbar sind. Sie nehmen dem unter der Verordnung angerufenen staatlichen Gericht die Befugnis, unabhängig über seine Zuständigkeit (einschließlich der Vorfrage der Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung) zu entscheiden und der Brüssel&nbsp;I-VO damit ihre praktische Wirksamkeit (Rs.&nbsp;C-185/‌07 – ''West Tankers'', IPRax 2009, 336). Das Grünbuch der Kommission vom 21.4.2009 (KOM(2009) 175 endg.) diskutiert zahlreiche Möglichkeiten der Neujustierung des Verhältnisses von Brüssel&nbsp;I-VO und Schiedsgerichtsbarkeit (basierend auf dem sog. Heidelberg Report, Study JLS/‌C4/‌‌2005/‌03), u.a. die Streichung der Ausnahme des Art.&nbsp;1(2)(d) und einer ausschließlichen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung.


Den traditionellen kollisionsrechtlichen Lösungen steht der sog. „nicht-kollisionsrechtliche“ Ansatz gegenüber, den insbesondere das französische internationale Schiedsrecht verfolgt, indem es auf eine kollisionsrechtliche Selbstbeschränkung seines Anwendungsbereichs verzichtet. Im Ergebnis wenden die Gerichte damit in grenzüberschreitenden Fällen ausschließlich die für internationale Schiedsverfahren geltenden Sachnormen des französischen Schiedsrechts an. Diese vermeintliche Aufgabe des kollisionsrechtlichen Ansatzes wird mit den besonders liberalen französischen Sondervorschriften für internationale Schiedsverfahren gerechtfertigt. Letztlich beruht das französische Modell jedoch auf einer rechtspolitisch motivierten und den internationalen Entscheidungseinklang gefährdenden ''lex fori-''Regel für internationale Schiedsverfahren.
== 4. Transnationale Regelungsstrukturen ==
Internationale Schiedsverfahren sind heute stark durch transnationale Regelwerke geprägt. Es ist zwar anerkannt, dass auch internationale Schiedsverfahren nicht vollständig vom staatlichen Schiedsrecht abgekoppelt (sog. „Delokalisierung“), sondern in einem staatlichen [[Schiedsrecht, staatliches|Schiedsrecht]] – in der Regel dem Schiedsrecht am Sitz des Schiedsgerichts – verankert sind, doch weisen die meisten modernen Schiedsgesetze nur einige wenige zwingende Normen auf. Sie betreffen im Wesentlichen die Unparteilichkeit des Schiedsgerichts, verfahrensrechtliche Mindeststandards ([[Faires Verfahren]]; rechtliches Gehör) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Zahlreiche Aspekte des Verfahrens vor dem Schiedsgericht sind jedoch dispositiv ausgestaltet. Dies reicht von den Möglichkeiten der Wahl des auf die Streitentscheidung anwendbaren Rechts im Hauptvertrag über die Regelungen betreffend Zusammensetzung und Bestellung des Schiedsgerichts bis hin zur Ausgestaltung und Durchführung des Verfahrens. Dies ermöglicht es den Parteien, sich einen umfassenden, auf den konkreten Fall zugeschnittenen Streitentscheidungsmechanismus zu schaffen. Im Falle institutioneller Schiedsverfahren stehen den Parteien in Form der Schiedsordnungen verschiedene Verfahrensordnungen zur Auswahl. Zwar nähern sich die Schiedsordnungen der bedeutenden Schiedsinstitutionen immer stärker an, doch existieren nach wie vor erhebliche und im Einzelfall relevante Unterschiede. Bisweilen bieten Schiedsinstitutionen auch auf besondere Typen von Streitigkeiten zugeschnittene Schiedsordnungen an (etwa die AAA). Die meisten Schiedsordnungen enthalten darüber hinaus Öffnungsklauseln für abweichende, individuelle Regeln, denen sie den Vorrang vor der betreffenden Regelung in der Schiedsordnung einräumen (vgl. Art.&nbsp;14.1 LCIA ''Rules''<nowiki>; Art.&nbsp;1(a) </nowiki>''International Arbitration Rules'' der AAA/‌ICDR; Art.&nbsp;4(2) CIETAC ''Rules''<nowiki>; Art.&nbsp;1.2 und 24.1 DIS Schiedsordnung).</nowiki>


In den nationalen Rechtsordnungen, deren territorialer Anwendungsbereich grundsätzlich auf Schiedsverfahren mit inländischem Sitz beschränkt ist, dient der Schiedssitz gleichzeitig als Anknüpfungspunkt für die staatsgerichtlichen Unterstützungs- und Kontrollzuständigkeiten. Die Geltung eines nationalen Schiedsrechts, das derartige Nebenverfahren regelt, führt somit gleichzeitig zur [[Zuständigkeit, internationale|internationalen Zuständigkeit]] des Staates, dessen Recht als ''lex arbitri'' zur Anwendung berufen ist. Dieser zuständigkeitsrechtliche Gleichlauf ist allerdings nicht zwingend. Wie auch sonst im [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrecht]] ist zwischen zuständigkeits- und sachrechtlichen Anknüpfungsfragen zu unterscheiden ([[Anknüpfung]]). Die verbreitete Vorstellung, dass die Parteien am Schiedssitz ihren ''juge naturel'' für sämtliche staatsgerichtlichen Unterstützungs- und Kontrollverfahren finden sollten, ist rechtspolitisch verfehlt. Insbesondere neuere Schiedsgesetze weisen daher lediglich die staatsgerichtlichen Überwachungsfunktionen einschließlich einer Aufhebungszuständigkeit ausschließlich den Gerichten des Sitzstaates zu. Für die staatsgerichtlichen Hilfsfunktionen gelten dagegen differenzierte Anknüpfungsregeln, so dass in bestimmten Fällen auch ausländische Schiedsverfahren unterstützt werden können. Die im Jahre 2006 neugefassten Regelungen des österreichischen Schiedsrechts sind in dieser Hinsicht besonders vorbildlich (§&nbsp;577 Abs.&nbsp;2 österreich. ZPO; vgl. ferner §&nbsp;1025 Abs.&nbsp;2 dt. ZPO, sec. 2 Abs. 3 und 4 ''Arbitration Act 1996'').
Weder das subsidiär anwendbare staatliche Schiedsrecht noch die Schiedsordnungen regeln jedoch Einzelheiten der Durchführung des Schiedsverfahrens, insbesondere den in internationalen Schiedsverfahren zentralen und besonders problematischen Aspekt der Sachverhaltsfeststellung. Da die Parteien häufig in unterschiedlichen Prozessrechtskulturen verwurzelt sind, bestehen häufig grundlegend verschiedene Vorstellungen über die Durchführung des Schiedsverfahrens. Die Hauptdemarkationslinie verläuft in dieser Hinsicht zwischen ''[[common law]]'' und ''civil law'' Jurisdiktionen. Um diese Differenzen zu überbrücken, bildet sich in jüngster Zeit für internationale Schiedsverfahren in vielen Bereichen unabhängig von staatlicher Rechtssetzung eine ''best practice'' heraus, die verfahrensrechtliche Elemente aus ''common law'' und ''civil law'' miteinander verbindet, auch wenn ein leichtes Übergewicht zugunsten des ''common law'' erkennbar ist. Häufig ist diese ''best practice'' in privaten Regelwerken verkörpert, die von internationalen Schiedsinstitutionen oder Berufsverbänden, etwa der ''International Bar Association'' (IBA), unter Beteiligung erfahrener Schiedspraktiker sowohl aus ''common law-'' als auch ''civil law''-Rechtsordnungen ausgearbeitet werden. Dabei werden nicht nur zivilprozessuale Mechanismen staatlicher Prozessrechte koordiniert, sondern diese werden stets an die besonderen Bedürfnisse internationaler Schiedsverfahren zur Entscheidung grenzüberschreitender Streitigkeiten angepasst.


Die Anbindung eines Schiedsverfahrens an das Schiedsrecht des Sitzstaates wirkt sich vor allem bei der staatsgerichtlichen Kontrolle des Schiedsprozesses aus. Ein praktisch wichtiges Problem betrifft die Zuständigkeit des Schiedsgerichts. Allgemein anerkannt ist, dass das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit entscheiden darf (sog. Kompetenz-Kompetenz, ''competence-competence'', ''compétence-compétence''<nowiki>; vgl. Art.&nbsp;16(1) </nowiki>''Model Law''). Diese Entscheidung ist aber gerichtlich nachprüfbar. Häufig ergeht sie als Zwischenentscheidung und kann, etwa in Deutschland oder Österreich, unmittelbar angefochten werden. In Belgien, den Niederlanden, Italien und Schweden ist eine schiedsgerichtliche Zuständigkeitsentscheidung nicht selbständig anfechtbar, sondern kann erst nach Erlass des Endschiedsspruchs zusammen mit diesem überprüft werden.
Von besonderer praktischer Relevanz sind die IBA'' Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration''. Sie sind ein Paradebeispiel transnationaler, [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|privater Rechtsetzung]], welche es vermag, ''common law-'' und ''civil law''-Ansätze miteinander in Einklang zu bringen. Gerade daraus rührt ihre große Akzeptanz in internationalen Schiedsverfahren. So sehen sie etwa im Bereich der Dokumentenvorlage eine Mittellösung vor, die über enge Regelungen wie etwa §&nbsp;142 ZPO hinausreicht, dabei jedoch nicht so weit geht wie die US-amerikanische ''discovery'' (vgl. Art.&nbsp;3(2) und (3)). Für die Zeugenvernehmung folgen sie eher dem ''common law'' Ansatz mit ''written witness statements'' gefolgt von ''direct'' und ''cross examination'' durch die Parteien, entwickeln auf seiner Grundlage jedoch moderne, die erkannten Schwächen vermeidende Lösungen wie etwa ''witness'' und ''expert conferencing'' (Art.&nbsp;5 (3) und 8(2)). Beim Einsatz Sachverständiger verfolgen sie parallel das ''common law''-Modell der Parteisachverständigen (Art.&nbsp;5) und das ''civil law''-Modell des vom Schiedsgericht bestellten Sachverständigen (Art.&nbsp;6).


Nicht unerhebliche Unterschiede bestehen in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen auch bei der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Endschiedsspruchs. Die jeweiligen gesetzlichen Aufhebungstatbestände decken sich zwar vor allem in den ''Model Law''-Staaten (vgl. Art.&nbsp;34 ''Model Law'') weitgehend mit den Anerkennungs- und Versagungsgründen der ''New York Convention'' ([[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche]]). Sie werden aber nicht überall einheitlich ausgelegt. Vor allem bei der inhaltlichen Überprüfung von Schiedssprüchen anhand des ''[[ordre public]]'' bestehen weiterhin Differenzen. So führen beispielsweise Verstöße gegen europäisches Kartellrecht nicht in allen europäischen Staaten zur Aufhebung. Am Umfang der verfahrens- und materiellrechtlichen Kontrolle des Schiedsspruchs zeigt sich somit letzten Endes, wie frei sich die Parteiautonomie in den einzelnen staatlichen Rechtsordnungen entfalten kann.
Die privaten Regelwerke kommen teilweise automatisch bei der Wahl der Schiedsinstitution, die sie erarbeitet hat, zur Anwendung (etwa die ICDR'' Guidelines for Arbitrators Concerning Exchanges of Information''), teilweise können oder müssen sie von den Parteien aber auch unabhängig davon vereinbart werden (etwa die IBA'' Rules on the Taking of Evidence''). Auch für andere Bereiche als die Durchführung des Verfahrens an sich werden private Regelwerke errichtet; so etwa für die Befangenheitsproblematik der Schiedsrichter die IBA'' Guidelines on Conflicts of Interest in International Commercial Arbitration'', welche die in dieser Hinsicht eher allgemein gehaltenen Regelungen der Schiedsordnungen ausfüllen, und die IBA ''Rules of Ethics for International Arbitrators''.
 
Durch das Entstehen neuer Schiedsinstitutionen und Schiedsordnungen, spezifisch problemorientierter privater Regelungswerke und die Herausbildung einer international akzeptierten ''best practice'' entwickelt sich ein immer umfassenderes System transnationaler Regeln für internationale Schiedsverfahren, die in nationalen Schiedsverfahren kaum eine Rolle spielen. Bisweilen ist bereits von einer ''lex mercatoria arbitralis'' die Rede. Ungeachtet dieser transnationalen Vereinheitlichungstendenzen ist seit einigen Jahrzehnten ein weltweiter Konkurrenzkampf zwischen Schiedsplätzen und Schiedsinstitutionen entbrannt. Die Schiedsinstitutionen vermarkten von ihnen administrierte Schiedsverfahren als ein „Produkt“ zur Streitbeilegung. Aber auch Schiedsplätze buhlen unter Anpreisung ihrer liberal ausgestalteten, aber dennoch das Schiedsverfahren ausreichend unterstützenden lokalen Schiedsrechte und anderer vermeintlicher ''soft factors'' um Fälle. Die Streitbeilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten durch Schiedsverfahren ist aufgrund der freien Wählbarkeit des Schiedssitzes als Wirtschaftsgut eines weltweiten Wettbewerbs erkannt worden.


==Literatur==
==Literatur==
''Howard M. Holtzmann'','' Joseph E. Neuhaus'', A Guide to the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, 1989; ''Peter Schlosser'', Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2.&nbsp;Aufl. 1989; ''Michael J. Mustill'','' Steward C. Boyd'', International Commercial Arbitration, 2.&nbsp;Aufl. 1989, 2001 Companion, 2001; ''Philippe Fouchard'','' Berthold Goldmann'','' Emmanuel Gaillard'' (Hg.), Fouchard, Gaillard, Goldman on International Commercial Arbitration, 1999; ''Pieter Sanders'', Quo Vadis Arbitration, 1999; ''Georgios Petrochilos'', Procedural Law in International Arbitration, 2004; ''Bernhard Berger'','' Franz Kellerhals'', Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 2006; ''Jean-François Poudret'','' Sébastien Besson'', Comparative Law of International Arbitration, 2.&nbsp;Aufl. 2007; ''Dennis Solomon'', Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, ''Gary Born'', International Commercial Arbitration, 2009.
''Peter Schlosser'', Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2.&nbsp;Aufl. 1989; ''Jonathan L. Greenblatt'','' Peter Griffin'', Towards Harmonization of International Arbitration Rules, Arbitration International 17 (2001) 101&nbsp;ff; ''Siegfried H. Elsing'','' John M. Townsend'', Bridging the Common Law-Civil Law Divide in Arbitration, Arbitration International 18 (2002) 59&nbsp;ff.; ''Karl-Heinz Schwab'','' Gerhard Walter'', Schiedsgerichtsbarkeit, 7.&nbsp;Aufl. 2005; ''Jean-François Poudret'','' Sébastien Besson'', Comparative Law of International Arbitration, 2.&nbsp;Aufl. 2007; ''Ingrid Naumann'', Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008; ''Burkhard Hess'','' Thomas Pfeiffer'','' Peter Schlosser'' (Hg.), The Brussels I Regulation 44/‌2001. Application and Enforcement in the EU, 2008, Rn.&nbsp;105&nbsp;ff (= Study JLS/‌C4/‌2005/‌03, oft auch als „Heidelberg Report“ bezeichnet); ''Jens-Peter Lachmann'', Handbuch der Schiedsgerichtspraxis, 3.&nbsp;Aufl. 2009; ''Gary Born'', International Commercial Arbitration, 2 Bde., 2009; ''Frank-Bernd Weigand'' (Hg.), Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration, 2.&nbsp;Aufl. 2009; ''Ben Steinbrück'', ''Martin Illmer'', Brussels I and Arbitration: Declaratory Relief as an Antidote to Torpedo Actions under a reformed Brussels I Regulation, SchiedsVZ 2009, 188&nbsp;ff.


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[[en:Arbitration_Law_(National)]]
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Version vom 8. September 2021, 11:54 Uhr

von Martin Illmer

1. Begriff und Gegenstand

Das Schiedsverfahren ist eine Form der alternativen Streitbeilegung, die nahezu weltweit Anerkennung findet und insbesondere im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr in Form der privaten Schiedsgerichtsbarkeit von zentraler Bedeutung ist. Die Parteien wählen sie aus den verschiedensten Gründen (etwa kürzerer Dauer als staatliche Verfahren, geringere Kosten, Vertraulichkeit, Expertise der Schiedsrichter, flexibles Verfahren mit eigenem Gestaltungsspielraum, Waffengleichheit und Neutralität von Ort und Schiedsrichtern, effiziente Vollstreckung im grenzüberschreitenden Kontext). Die private Schiedsgerichtsbarkeit unterscheidet sich nach Rechtsgrundlage, Parteien und Verfahrensgegenstand von anderen Formen, etwa einer gesetzlich angeordneten Schiedsgerichtsbarkeit (wie sie etwa in den früheren sozialistischen Staaten bestand), der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit (häufig basierend auf völkerrechtlichen Investitionsverträgen), arbeitsrechtliche Schiedsverfahren und völkerrechtlichen Schiedsverfahren zwischen Staaten.

Die private Schiedsgerichtsbarkeit lässt sich definieren als eine von den Parteien vertraglich vereinbarte Form der Streitbeilegung durch eine oder mehrere von den Parteien direkt oder indirekt eingesetzte Privatperson(en) anstelle staatlicher Gerichte. Die Entscheidung in Form eines Schiedsspruchs hat urteilsgleiche Wirkungen: Der Schiedsspruch hat res iudicata Wirkung; er ist für die Parteien bindend und aus ihm kann – bei ausländischen Schiedssprüchen erst nach einem Anerkennungsverfahren (Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche) – vollstreckt werden.

Die private Schiedsgerichtsbarkeit ist von anderen Formen der alternativen Streitbeilegung abzugrenzen. Das grundlegende strukturelle Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass nur das Schiedsgericht den Rechtsstreit für die Parteien verbindlich durch einen vollstreckbaren Ausspruch entscheidet. An der Vergleichsverhandlung (negotiation) sind allein die Parteien beteiligt; sie selbst handeln den Vergleich aus. Bei der Mediation ist mit dem Mediator eine dritte, neutrale Person beteiligt. Diese entscheidet den Rechtsstreit jedoch nicht. Sie unterbreitet in der Regel auch keinen Lösungsvorschlag, sondern führt die Parteien zu einer von ihnen selbst entwickelten Lösung. An der Schlichtung (conciliation) ist mit dem Schlichter ebenfalls eine dritte Person beteiligt. Anders als der Mediator macht der Schlichter nach Anhörung der Parteien zwar regelmäßig einen Vorschlag zur Lösung der Streitigkeit. Diesen können die Parteien jedoch annehmen oder ablehnen.

Etwas anders verläuft die Abgrenzung zum Schiedsgutachten (expert determination, expertise amiable) einschließlich der Qualitätsarbitrage (im englischen missverständlich commodity arbitration). Dort entscheidet zwar eine dritte Person verbindlich, doch betrifft diese Entscheidung nicht den Rechtsstreit in seiner Gesamtheit unter Ausschluss der staatlichen Ge-richtsbarkeit, sondern lediglich ein Element der Entscheidung, insbesondere die Feststellung einzelner Tatsachen oder Rechtsfragen.

Innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit sind ad hoc-Schiedsverfahren von institutionellen Schiedsverfahren zu unterscheiden. Beim ad hoc-Schiedsverfahren wird einmalig zur Entscheidung des konkreten Rechtsstreits ein Schiedsgericht von den Parteien eingesetzt. In den Grenzen des staatlichen Schiedsrechts unterliegen sämtliche Aspekte des Schiedsverfahrens, von der Bestellung des Schiedsgerichts über die Rechtsverhältnisse mit den Schiedsrichtern bis hin zu den Verfahrensregeln der Parteiautonomie. Bei den heute weit verbreiteten institutionellen Schiedsverfahren wird der administrative Apparat einer Schiedsinstitution (idR als privatrechtliche Vereinigung organisiert) zur Durchführung des Schiedsverfahrens in Anspruch genommen. Häufig geschieht dies durch die von der Schiedsinstitution vorgeschlagene Standardschiedsklausel. Die Parteien unterwerfen sich damit insbesondere der Schiedsordnung der Schiedsinstitution, die als Verfahrensordnung die weitgehend dispositiven Vorschriften staatlicher Schiedsrechte verdrängt und eventuelle Lücken schließt. Die zentralen Aufgaben der Schiedsinstitution bestehen darin, das Verfahren zu administrieren, bei der Bestellung der Schiedsrichter unterstützend mitzuwirken und eine Gebührenordnung zur Verfügung zu stellen. Bisweilen werden die Schiedssprüche auch bereits einer rudimentären, in erster Linie formellen Kontrolle unterzogen, um einen gewissen Mindeststandard zu gewährleisten.

Die Frage, ob auf nationale und internationale private Schiedsverfahren dasselbe oder aber verschiedene gesetzliche Regelungen anzuwenden sind, wird in Europa uneinheitlich beantwortet (Schiedsrecht, staatliches). Verschiedene Regime sehen Frankreich und die Schweiz vor. Das französische Recht grenzt in Art. 1492 CPC nach dem objektiven Kriterium ab, ob Interessen des internationalen Handels betroffen sind, während das Schweizer Recht in Art. 176 IPRG auf das subjektive Kriterium von Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt der Parteien in verschiedenen Staaten abstellt. Das UNCITRAL Model Law wurde an sich nur für internationale Schiedsverfahren entworfen. Es grenzt diese in Art. 1(3) anhand subjektiver (Geschäftseinrichtung in verschiedenen Staaten) und hilfsweise objektiver (Sitz des Schiedsgerichts, Erfüllungsort der vertraglichen Hauptpflichten oder engste Verbindung des Streitgegenstandes mit einem anderen Staat als dem der Geschäftseinrichtungen) Kriterien von nationalen Schiedsverfahren ab. Zahlreiche europäische Staaten haben das Model Law jedoch als einheitliches Regime für nationale wie internationale Schiedsverfahren übernommen bzw. sich daran orientiert (Schiedsrecht, staatliches). Dadurch wird eine schwierige Abgrenzung vermieden und eine Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt erreicht: Statt für internationale Schiedsverfahren ein liberaleres Sonderregime zu schaffen, wird dieses auch auf nationale Schiedsverfahren angewendet. Im Ergebnis spielt die Abgrenzung daher für die Anwendung des staatlichen Schiedsrechts (welche idR nur einen Schiedssitz im Inland voraussetzt, vgl. etwa § 1025 Abs. 1 und 2 ZPO und sec. 2 Abs. 1–3 Arbitration Act 1996) in den meisten europäischen Rechtsordnungen keine Rolle. Dagegen setzt die Anwendung des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von 1958 ein grenzüberschreitendes Element voraus. Auch das Europäische (Genfer) Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 ist nach Art. 1(1)(a) nur auf Schiedsvereinbarungen zur Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten im internationalen Handel (objektives Kriterium) zwischen Parteien mit Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten (subjektives Kriterium) anwendbar.

2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung

Private Schiedsverfahren sind seit alters her als Formen der Streitentscheidung anerkannt. So konnten im römischen Recht Fremde wie römische Bürger vereinbaren, ihre zivilrechtlichen Streitigkeiten durch ein privates Schiedsgericht entscheiden zu lassen. In der klassischen Zeit wurde die Schiedsgerichtsbarkeit rein privatrechtlich begründet. Grundlage war allein die Schiedsvereinbarung, deren Durchsetzung durch gegenseitige Vertragsstrafeversprechen für den Fall der Nichtbeachtung des Schiedsspruchs (compromissum) abgesichert war. In der nachklassischen Zeit wurde die rein vertragliche Begründung der Bindung an den Schiedsspruch durch eine Vollstreckungsklage des obsiegenden Klägers, die actio in factum, bzw. eine Einrede des obsiegenden Beklagten, die exceptio veluti pacti, ergänzt. Dies entspricht dem heute vorherrschenden Regelungsmodell der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen mit Hilfe staatlicher Gerichte. Der hybride Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit als rechtsprechungsgleicher Streitentscheidung auf vertraglicher Grundlage ist damit bereits im römischen Recht angelegt.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Schiedsgerichte in den meisten europäischen Rechtsordnungen anerkannt. Sie betrafen allerdings meist rein lokale bzw. nationale Streitigkeiten. Das Verhältnis zur staatlichen Gerichtsbarkeit war jedoch vor allem in England schwierig und von einer ständigen Konkurrenz beherrscht (Schiedsrecht, staatliches).

Nach ersten Schritten durch das Genfer Protokoll von 1923 (sicherte Schiedsklauseln über zukünftige Streitigkeiten ab) und das Genfer Übereinkommen von 1927 (betreffend Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, sofern Vollstreckbarerklärung im Ursprungsstaat erfolgt war) – beide Abkommen sind heute faktisch durch das New Yorker Übereinkommen nach dessen Art. VII(2) abgelöst – wurden die Anstrengungen zur Harmonisierung bestimmter Aspekte in grenzüberschreitenden, internationalen Schiedsverfahren erst nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen.

Den Grundstein der Erfolgsgeschichte der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit legte 1958 das New Yorker Übereinkommen. Es stellt die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in mittlerweile 142 Staaten und damit fast weltweit sicher. Das Europäische Übereinkommen von 1961, welches eine ähnliche Zielsetzung im Ost-West-Handel verfolgte, war ein weiterer Schritt in Richtung Internationalisierung. Es erlangte jedoch bei weitem nicht die Bedeutung des New Yorker Übereinkommens und ist heute abgesehen von Art. IX kaum noch von praktischer Relevanz.

Den entscheidenden Schub erhielt die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit in den 1970er Jahren. Der Zunahme des grenzüberschreitenden Handels- und Wirtschaftsverkehrs stand ein auf diese Bedürfnisse nicht zugeschnittenes und in vielen Aspekten mit erheblichen Nachteilen behaftetes System staatlicher internationaler Zuständigkeiten sowie Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln gegenüber. Abgesehen vom Brüsseler EWG-Übereinkommen von 1968 existierte kein multilaterales Übereinkommen von nennenswerter Bedeutung, welches die internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen regelte. Die grenzüberschreitende Prozessführung vor staatlichen Gerichten war daher zeit- und kostenaufwändig und wies ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit aufgrund abweichender nationaler Regime auf. Dieses Vakuum eines funktionsfähigen Systems zur Entscheidung grenzüberschreitender Streitigkeiten füllte zunehmend die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit aus. Es bildeten sich internationale Schiedsinstitutionen, häufig angesiedelt bei den Handelskammern. Am bedeutendsten ist die Internationale Handelskammer (ICC) mit Generalsekretariat in Paris. Am Entstehen einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hatte sie erheblichen Anteil. Von Bedeutung sind aber etwa auch die American Arbitration Association (AAA) mit ihrem International Centre for Dispute Resolution (ICDR), der London Court of International Arbitration (LCIA), Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce (SCC), die China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) sowie zahlreiche industriesektorspezifische Institutionen. Diese Institutionalisierung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit professioneller wurde und ein qualitativer Mindeststandard gewährleistet war. Außerdem wurde durch sie unerfahrenen Parteien der Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit erheblich erleichtert. Gestützt wurde die Entwicklung nicht zuletzt durch die Liberalisierung der staatlichen Schiedsrechte, die durch die Schaffung des UNCITRAL Model Law im Jahre 1985 entscheidend vorangetrieben wurde. Das Model Law und die durch dieses geprägten nationalen Schiedsrechte sind mehrheitlich dispositiv ausgestaltet. Die Eingriffs- und Kontrollbefugnisse staatlicher Gerichte sind auf das absolut notwendige Maß reduziert. Dies bietet freie Entfaltungsmöglichkeiten für eine private Rechtsetzung durch Schiedsinstitutionen und andere Interessenverbände. Durch diese Entwicklung der institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen war der Weg für den Erfolg der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit geebnet.

3. Europarecht

Der EuGH hatte sich wiederholt mit dem Verhältnis der Schiedsgerichtsbarkeit zum europäischen Primärrecht auseinanderzusetzen. So hat er bereits recht früh festgestellt, dass Schiedsgerichte keine Gerichte eines Mitgliedstaates i.S.d.. Art. 234 EG/‌267 AEUV und daher nicht vorlageberechtigt sind (EuGH Rs. 102/‌81 – Nordsee, Slg. 1982, 1095, Rn. 13). Außerdem kann ein Schiedsspruch wegen Verletzung des ordre public durch nationale Gerichte aufgehoben werden, wenn er zwingende Vorschriften des Europarechts missachtet (EuGH Rs. C-126/‌97 – Eco Swiss, Slg. 1999, I-3055, Rn. 37; betroffen war das Kartellverbot des Art. 81 EG). In diesen Fällen dürfte auch ohne Aufhebung die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs an Art. V(2)(b) des New Yorker Übereinkommens scheitern.

Die Sekundärrechtsakte des europäischen internationalen Privat- und Zivilprozessrechts schließen die private Schiedsgerichtsbarkeit regelmäßig von ihrem materiellen Anwendungsbereich aus. Das Feld wird bewusst völkerrechtlichen Übereinkommen, staatlichen Schiedsrechten und privater Rechtsetzung überlassen. Die Vorschrift des Art. 293 4. Spiegelstrich EG (im AEUV ersatzlos gestrichen) hat für die Vereinfachung der Förmlichkeiten der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen durch Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten kaum praktische Bedeutung erlangt.

So ist die Frage des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts vom Anwendungsbereich der Rom I-VO (VO 593/‌2008) nach deren Art. 1(2)(e) ausgeschlossen.

Die Schiedsgerichtsbarkeit als solche ist vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO (VO 44/‌‌2001) nach deren Art. 1(2)(d) ausgenommen. Diese recht unpräzise Formulierung bereitet in der Praxis große Schwierigkeiten. Das Verhältnis der Brüssel I-VO zur Schiedsgerichtsbarkeit ist weithin ungeklärt und umstritten. Einigkeit besteht insofern, als das Schiedsverfahren selbst (geregelt durch die staatlichen Schiedsrechte und institutionelle Schiedsordnungen) sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (geregelt durch das New Yorker Übereinkommen) vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO ausgeschlossen sind. Unklarheit herrscht allerdings in der Frage, ob und inwiefern Verfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten zur Unterstützung von Schiedsverfahren unter die Brüssel I-VO fallen bzw. mit dieser vereinbar sind. Der Schlosser-Bericht zum EuGVÜ (ABl. 1979 C 59/‌71) enthält nur einige Beispiele, nennt jedoch keine abstrakt-generellen Kriterien. Die Rechtsprechung des EuGH ist bislang einzelfallbezogen (Verfahren zur Bestellung eines Schiedsrichters vor einem staatlichen Gericht fällt unter den Ausschluss – EuGH Rs. C-190/‌89 – Marc Rich, Slg. 1989, I-3855, Rn. 19 ff.; Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem staatlichen Gericht zur Sicherung der im Schiedsverfahren geltend gemachten Hauptforderung dagegen nicht – EuGH Rs. C-391/‌95 – van Uden, Slg. 1998, I-7091, Rn. 31 ff.) und es lassen sich ihr nur schwer zu verallgemeinernde Aussagen entnehmen. Festzustehen scheint allenfalls, dass das Verfahren vor dem staatlichen Gericht im direkten Zusammenhang mit einem laufenden oder künftigen Schiedsverfahren stehen und die schiedsrechtliche Frage den Hauptgegenstand des Verfahrens bilden muss. Besondere praktische Relevanz erlangte die Frage im Hinblick auf anti-suit injunctions (Einstweiliger Rechtsschutz) durch englische Gerichte zur Durchsetzung englischem Recht unterliegender Schiedsvereinbarungen mit Schiedssitz London. Der EuGH hat kürzlich auf eine Vorlage des House of Lords (West Tankers Inc. v. RAS Riunione Adriatica di Sicurta SpA [2007] UKHL 4) hin entschieden, dass anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen mit der Brüssel I-VO unvereinbar sind. Sie nehmen dem unter der Verordnung angerufenen staatlichen Gericht die Befugnis, unabhängig über seine Zuständigkeit (einschließlich der Vorfrage der Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung) zu entscheiden und der Brüssel I-VO damit ihre praktische Wirksamkeit (Rs. C-185/‌07 – West Tankers, IPRax 2009, 336). Das Grünbuch der Kommission vom 21.4.2009 (KOM(2009) 175 endg.) diskutiert zahlreiche Möglichkeiten der Neujustierung des Verhältnisses von Brüssel I-VO und Schiedsgerichtsbarkeit (basierend auf dem sog. Heidelberg Report, Study JLS/‌C4/‌‌2005/‌03), u.a. die Streichung der Ausnahme des Art. 1(2)(d) und einer ausschließlichen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung.

4. Transnationale Regelungsstrukturen

Internationale Schiedsverfahren sind heute stark durch transnationale Regelwerke geprägt. Es ist zwar anerkannt, dass auch internationale Schiedsverfahren nicht vollständig vom staatlichen Schiedsrecht abgekoppelt (sog. „Delokalisierung“), sondern in einem staatlichen Schiedsrecht – in der Regel dem Schiedsrecht am Sitz des Schiedsgerichts – verankert sind, doch weisen die meisten modernen Schiedsgesetze nur einige wenige zwingende Normen auf. Sie betreffen im Wesentlichen die Unparteilichkeit des Schiedsgerichts, verfahrensrechtliche Mindeststandards (Faires Verfahren; rechtliches Gehör) sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Zahlreiche Aspekte des Verfahrens vor dem Schiedsgericht sind jedoch dispositiv ausgestaltet. Dies reicht von den Möglichkeiten der Wahl des auf die Streitentscheidung anwendbaren Rechts im Hauptvertrag über die Regelungen betreffend Zusammensetzung und Bestellung des Schiedsgerichts bis hin zur Ausgestaltung und Durchführung des Verfahrens. Dies ermöglicht es den Parteien, sich einen umfassenden, auf den konkreten Fall zugeschnittenen Streitentscheidungsmechanismus zu schaffen. Im Falle institutioneller Schiedsverfahren stehen den Parteien in Form der Schiedsordnungen verschiedene Verfahrensordnungen zur Auswahl. Zwar nähern sich die Schiedsordnungen der bedeutenden Schiedsinstitutionen immer stärker an, doch existieren nach wie vor erhebliche und im Einzelfall relevante Unterschiede. Bisweilen bieten Schiedsinstitutionen auch auf besondere Typen von Streitigkeiten zugeschnittene Schiedsordnungen an (etwa die AAA). Die meisten Schiedsordnungen enthalten darüber hinaus Öffnungsklauseln für abweichende, individuelle Regeln, denen sie den Vorrang vor der betreffenden Regelung in der Schiedsordnung einräumen (vgl. Art. 14.1 LCIA Rules; Art. 1(a) International Arbitration Rules der AAA/‌ICDR; Art. 4(2) CIETAC Rules; Art. 1.2 und 24.1 DIS Schiedsordnung).

Weder das subsidiär anwendbare staatliche Schiedsrecht noch die Schiedsordnungen regeln jedoch Einzelheiten der Durchführung des Schiedsverfahrens, insbesondere den in internationalen Schiedsverfahren zentralen und besonders problematischen Aspekt der Sachverhaltsfeststellung. Da die Parteien häufig in unterschiedlichen Prozessrechtskulturen verwurzelt sind, bestehen häufig grundlegend verschiedene Vorstellungen über die Durchführung des Schiedsverfahrens. Die Hauptdemarkationslinie verläuft in dieser Hinsicht zwischen common law und civil law Jurisdiktionen. Um diese Differenzen zu überbrücken, bildet sich in jüngster Zeit für internationale Schiedsverfahren in vielen Bereichen unabhängig von staatlicher Rechtssetzung eine best practice heraus, die verfahrensrechtliche Elemente aus common law und civil law miteinander verbindet, auch wenn ein leichtes Übergewicht zugunsten des common law erkennbar ist. Häufig ist diese best practice in privaten Regelwerken verkörpert, die von internationalen Schiedsinstitutionen oder Berufsverbänden, etwa der International Bar Association (IBA), unter Beteiligung erfahrener Schiedspraktiker sowohl aus common law- als auch civil law-Rechtsordnungen ausgearbeitet werden. Dabei werden nicht nur zivilprozessuale Mechanismen staatlicher Prozessrechte koordiniert, sondern diese werden stets an die besonderen Bedürfnisse internationaler Schiedsverfahren zur Entscheidung grenzüberschreitender Streitigkeiten angepasst.

Von besonderer praktischer Relevanz sind die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration. Sie sind ein Paradebeispiel transnationaler, privater Rechtsetzung, welche es vermag, common law- und civil law-Ansätze miteinander in Einklang zu bringen. Gerade daraus rührt ihre große Akzeptanz in internationalen Schiedsverfahren. So sehen sie etwa im Bereich der Dokumentenvorlage eine Mittellösung vor, die über enge Regelungen wie etwa § 142 ZPO hinausreicht, dabei jedoch nicht so weit geht wie die US-amerikanische discovery (vgl. Art. 3(2) und (3)). Für die Zeugenvernehmung folgen sie eher dem common law Ansatz mit written witness statements gefolgt von direct und cross examination durch die Parteien, entwickeln auf seiner Grundlage jedoch moderne, die erkannten Schwächen vermeidende Lösungen wie etwa witness und expert conferencing (Art. 5 (3) und 8(2)). Beim Einsatz Sachverständiger verfolgen sie parallel das common law-Modell der Parteisachverständigen (Art. 5) und das civil law-Modell des vom Schiedsgericht bestellten Sachverständigen (Art. 6).

Die privaten Regelwerke kommen teilweise automatisch bei der Wahl der Schiedsinstitution, die sie erarbeitet hat, zur Anwendung (etwa die ICDR Guidelines for Arbitrators Concerning Exchanges of Information), teilweise können oder müssen sie von den Parteien aber auch unabhängig davon vereinbart werden (etwa die IBA Rules on the Taking of Evidence). Auch für andere Bereiche als die Durchführung des Verfahrens an sich werden private Regelwerke errichtet; so etwa für die Befangenheitsproblematik der Schiedsrichter die IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Commercial Arbitration, welche die in dieser Hinsicht eher allgemein gehaltenen Regelungen der Schiedsordnungen ausfüllen, und die IBA Rules of Ethics for International Arbitrators.

Durch das Entstehen neuer Schiedsinstitutionen und Schiedsordnungen, spezifisch problemorientierter privater Regelungswerke und die Herausbildung einer international akzeptierten best practice entwickelt sich ein immer umfassenderes System transnationaler Regeln für internationale Schiedsverfahren, die in nationalen Schiedsverfahren kaum eine Rolle spielen. Bisweilen ist bereits von einer lex mercatoria arbitralis die Rede. Ungeachtet dieser transnationalen Vereinheitlichungstendenzen ist seit einigen Jahrzehnten ein weltweiter Konkurrenzkampf zwischen Schiedsplätzen und Schiedsinstitutionen entbrannt. Die Schiedsinstitutionen vermarkten von ihnen administrierte Schiedsverfahren als ein „Produkt“ zur Streitbeilegung. Aber auch Schiedsplätze buhlen unter Anpreisung ihrer liberal ausgestalteten, aber dennoch das Schiedsverfahren ausreichend unterstützenden lokalen Schiedsrechte und anderer vermeintlicher soft factors um Fälle. Die Streitbeilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten durch Schiedsverfahren ist aufgrund der freien Wählbarkeit des Schiedssitzes als Wirtschaftsgut eines weltweiten Wettbewerbs erkannt worden.

Literatur

Peter Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989; Jonathan L. Greenblatt, Peter Griffin, Towards Harmonization of International Arbitration Rules, Arbitration International 17 (2001) 101 ff; Siegfried H. Elsing, John M. Townsend, Bridging the Common Law-Civil Law Divide in Arbitration, Arbitration International 18 (2002) 59 ff.; Karl-Heinz Schwab, Gerhard Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005; Jean-François Poudret, Sébastien Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2. Aufl. 2007; Ingrid Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008; Burkhard Hess, Thomas Pfeiffer, Peter Schlosser (Hg.), The Brussels I Regulation 44/‌2001. Application and Enforcement in the EU, 2008, Rn. 105 ff (= Study JLS/‌C4/‌2005/‌03, oft auch als „Heidelberg Report“ bezeichnet); Jens-Peter Lachmann, Handbuch der Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2009; Gary Born, International Commercial Arbitration, 2 Bde., 2009; Frank-Bernd Weigand (Hg.), Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration, 2. Aufl. 2009; Ben Steinbrück, Martin Illmer, Brussels I and Arbitration: Declaratory Relief as an Antidote to Torpedo Actions under a reformed Brussels I Regulation, SchiedsVZ 2009, 188 ff.