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Version vom 31. August 2021, 18:07 Uhr

von Manfred Wenckstern

1. Begriff

Die Institution des heute staatlich organisierten Notarberufs mit allen dazugehörigen Voraussetzungen und Regelungen wird als Notariat bezeichnet. Daneben umschreibt der Begriff die Geschäftsstelle eines Notars sowie sein staatliches Amt.

2. Geschichte

Vom lateinischen notarius, der durch die Verwendung von Noten (Abkürzungen), deren er sich bediente, nur ein Schnellschreiber war, stammt lediglich die Bezeichnung Notar. Erste berufliche Ursprünge hat der Notar in den römischen tabelliones, die als Gewerbe in Zünften organisiert und staatlich beaufsichtigt, für andere Personen Urkunden errichteten. Ihre Aufzeichnungen genossen besonderes Vertrauen.

Die Geschichte des heutigen Notariats beginnt mit den kaiserlichen Notaren unter Friedrich I. Barbarossa, den päpstlichen Notaren unter Alexander III. und den städtischen Notaren in Bologna, Florenz und Verona. Das kanonische Recht verlieh seinen Notaren die Befugnis, Urkunden mit öffentlichem Glauben, also mit einem erhöhten Beweiswert anzufertigen. Im 13. Jahrhundert wurde italienischen Urkunden die Vollstreckbarkeit beigelegt. Die Notare waren jedoch noch keine Juristen; an den oberitalienischen Universitäten gehörten die Professoren der ars notaria zur Fakultät der schönen Künste. Über die geistliche Gerichtsbarkeit verbreitete sich das Notariat von Frankreich aus auch nördlich der Alpen. In den deutschen Territorialstaaten entstanden vielfältige Notariatsformen.

In der Renaissance sank das zuvor hohe Ansehen der Notare im Heiligen Römischen Reich durch viele Missstände, die ihre Ursache hauptsächlich in der missbräuchlichen Ausübung des Rechts zur Notarernennung durch die Hofpfalzgrafen hatten, an die der Kaiser das Ernennungsrecht delegiert hatte. Dies führte zu reichsweiten (Rahmen‑)Regelungen: Erst knapp in der Reichskammergerichtsordnung von 1495 und dann ausführlich in der Reichsnotariatsordnung des Kaisers Maximilians I. von 1512, in der im Kern zum Teil noch heute gültige Grundsätze zur Berufsausübung niedergelegt wurden. Da die Reichsstände die Reichsnotarordnung nur gebilligt, nicht aber unterschrieben hatten, konnte sie allerdings nur sehr eingeschränkt rechtsvereinheitlichend wirken: Es entstanden bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1806 eine Vielzahl von partikularen Notarverordnungen. Erst 1937 gelang es, ohne dass nationalsozialistisches Gedankengut größeren Einfluss darauf hatte, das deutsche Notariat als letzte justizielle Einrichtung mit seinen bis dato 15 verschiedenen Verfassungen durch die Reichsnotarordnung einer weitgehenden Vereinheitlichung zuzuführen. Noch heute ist sie in wesentlichen Teilen als Bundesnotarordnung in Kraft.

Auch in Österreich war es ein langer Weg zur Vereinheitlichung des Notariats: In den von Napoleon beherrschten Gebieten galt von 1810–1815 das französische Notariatssystem. 1850 wurde für das österreichische Kernland eine Notariatsordnung eingeführt, die den Notaren zwar nur geringe Beurkundungskompetenzen und ihren Notariatsakten keine Vollstreckbarkeit gewährte, ihnen aber insbesondere im Nachlasswesen im Auftrag der Gerichte im sog. Außerstreitverfahren als Gerichtskommissäre mit der Verlassenschaftsabhandlung zunächst nur fakultativ wichtige Funktionen zuwies. Revisionen der Notariatsordnung, insbesondere die noch heute im Kern geltende Neufassung vom 25.7.1871 verstärkten ihre Kompetenzen. Nach und nach wurde ihre Geltung auf nahezu alle Gebiete der Habsburger Monarchie erstreckt. Zugleich dienten sie als Vorbild für die ungarische Notariatsordnung von 1874.

In Südfrankreich wurde bereits im 12. Jahrhundert das Notariat italienischer Prägung eingeführt. In Nordfrankreich wurden Rechtsgeschäfte stattdessen zunächst vor den Gerichten abgeschlossen; später wurden sie zwar von Notaren verfasst, aber erst vom Richter gesiegelt. Ab dem 15. Jahrhundert brachten mehrere Reformen eine Angleichung der Praktiken in Nord- und Südfrankreich. Nach der frz. Revolution führte ein Dekret der Nationalversammlung von 1791 zur vollständigen Vereinigung des französischen Notariats. Insbesondere die Käuflichkeit und Vererbung der Notarämter wurden abgeschafft und Auswahlprüfungen eingeführt. Nach Einführung des Code civil, der die Notarurkunden (actes authentiques) an die Spitze der schriftlichen Beweismittel stellte und für viele bedeutsame Rechtsgeschäfte im Familien-, Hypotheken-, Schenkungs-, Erb- und Gesellschaftsrecht die Beurkundung vorschrieb, wurde das Dekret durch das berühmte Notargesetz vom 25 ventôse XI (= 16. März 1803) ersetzt. Es gilt in Frankreich im Kern noch heute und hat über den Untergang des napoleonischen Reiches hinaus die Notariatsverfassung in weiten Teilen Europas (insb. Belgien, Holland, Italien, Österreich, Polen, Russland, Teilen der Schweiz, Bayern, Rheinland und Hamburg) bis heute beeinflusst.

Mit der Verbreitung des römischen Rechts kamen päpstliche und kaiserliche Notare auch nach England. Seit 1279 ernannte der Erzbischof von Canterbury zunächst aufgrund Erlaubnis des Papstes bzw. des Kaisers und ab 1533 der englischen Krone Notare. Ihre Bedeutung schrumpfte jedoch mit der wachsenden Rolle des common law, das das römische Recht weitestgehend verdrängte. Denn im common law hat die Notarurkunde keinen höheren Beweiswert als die gesiegelte Privaturkunde (sealed deed). Auch kennt das englische Recht weder beurkundungspflichtige Rechtsgeschäfte noch eine vollstreckbare Urkunde. Bis zum Access to Justice Act von 1999 gab es in England eine formale Zweiteilung des Notariats: In der City of London und einem Umkreis von drei Meilen herum gab es die mit einem Beurkundungsmonopol ausgestatteten hochspezialisierten ungefähr 25 hauptberuflichen scrivener notaries für den Wirtschafts- und Auslandsrechtsverkehr. Außerhalb Londons gab es einige wenige solicitors, die als kaum qualifizierte general notaries nur in geringem Umfang Beglaubigungen ohne notarielle juristische Beratung vornahmen. 1999 fiel das Monopol der Londoner Notare, nachdem bereits 1998 ihr bisheriges Recht, ihren Nachwuchs in einer mehrjährigen Lehre selbst auszubilden, aufgehoben worden war. Dennoch kümmert sich die 1373 gegründete Worshipful Company of Scriveners of the City of London weiterhin um die Fortbildung der general notaries zu qualifizierten scrivener notaries.

Die skandinavischen Länder kannten im Mittelalter in gewissem Umfang ein kirchliches Notariat. Mit der Reformation nahm seine Bedeutung jedoch ab, da das ius commune nicht rezipiert wurde. Soweit die skandinavischen Rechtsordnungen überhaupt Formvorschriften vorsehen, reichen neben der Schriftform zwei Zeugen, ein richterliches Protokoll oder die Unterschrift von boni homines. Die in allen skandinavischen Ländern vorhandene Bezeichnung notarius publicus kennzeichnet keinen eigenständigen Beruf sondern nur eine Nebenfunktion von Richtern bei der Beglaubigung von Unterschriften ohne juristische Beratung, vornehmlich zur Verwendung im Ausland.

In den sozialistischen Ländern des Ostblocks war das freiberufliche Notariat abgeschafft und durch ein staatliches Notariat sowjetischer Prägung mit einer umfassenden, auch inhaltlichen Kontrolle der Tätigkeit der Notare ersetzt worden. Nach der Wende wurde in all diesen Staaten wieder ein unabhängiges, freiberufliches Notariat mit weitgehender Selbstverwaltung nach westlichen Vorbildern (insb. Deutschland, Frankreich und Österreich) eingeführt.

3. Überblick über die Notariatsformen

Die geschichtliche Entwicklung hat hinsichtlich des Notariats in Europa zu drei Rechtsräumen geführt: (a) Den Gebieten des sog. lateinischen Notariats, die dem Konzept der beratenden, vorsorgenden Rechtspflege folgen und in denen die Notare daher eine eigenständige Berufsgruppe mit von Land zu Land unterschiedlichen, aber ähnlichen beruflichen Regeln und Aufgabengebieten bilden. (b) Den Gebieten des common law, in denen es zwar ebenfalls haupt- oder nebenberufliche notaries gibt, deren innerstaatliche Aufgaben jedoch mangels Anwendung des Konzepts der vorsorgenden Rechtspflege nur sehr klein sind und die daher (mit Ausnahme der scrivener notaries in London für den Auslandsrechtsverkehr) bisher mit den lateinischen Notaren nicht zu vergleichen sind und (c) dem skandinavischen Rechtsraum, in dem der notarius publicus praktisch keine innerstaatlichen Aufgaben hat und der Begriff lediglich eine richterliche Nebenfunktion als Beglaubigungsinstanz für den Auslandsrechtsverkehr umschreibt.

Diese Dreiteilung hat die europäische Rechtsvereinheitlichung bisher nicht nur im Bereich des Berufs- und Beurkundungsrechts, sondern auch im Bereich der Formerfordernisse für Rechtsgeschäfte erheblich erschwert.

Innerhalb des lateinischen Notariats wird die Notartätigkeit meist als freiberuflicher Hauptberuf ausgeübt. In Teilen Deutschlands und einzelnen Kantonen der Schweiz wird die Notartätigkeit aus preußisch-historischen Gründen – den wirtschaftlich notleidenden Justizkommissären (staatlichen Advokaten) wurde als zusätzliche Einnahmequelle das Notariat als ebenfalls staatliche Tätigkeit zur Seite gestellt – von speziell dazu zugelassenen Anwälten im Nebenberuf (sog. Anwaltsnotaren) wahrgenommen, für die aber die gleichen berufsrechtlichen Regelungen wie für Notare im Hauptberuf gelten. In einigen wenigen Gebieten gibt es ein Staatsnotariat, das entweder von Beamten (so derzeit noch in Württemberg: Bezirksnotare) oder von ehemaligen Richtern mit staatlicher Besoldung (so in den Ostkantonen der Schweiz und derzeit noch in Baden: Amtsnotare) ausgeübt wird.

4. Charakteristika des lateinischen Notariats

Das lateinische Notariat weist grosso modo folgende Charakteristika auf: Der Notar ist als unabhängiger und unparteiischer Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung oder Beglaubigung von Rechtsvorgängen insbesondere aus den Bereichen Immobiliarsachenrecht, Gesellschaftsrecht, Handelsrecht, Familienrecht, Erbrecht und Vollmachten, die das nationale Recht – von Land zu Land sehr unterschiedlich – solchen Formerfordernissen unterwirft, zuständig. Daneben können ihm eine Vielzahl weiterer Aufgaben der vorsorgenden Rechtspflege wie z.B. Abnahme von Eiden, Zwangsvollstreckungsunterwerfungen, Wechselproteste, Tatsachenbescheinigungen, Treuhänderschaften, Nachlassabwicklungen, Grundbuchangelegenheiten, Mediationen und rechtliche Vermittlungen im Rahmen von Erbteilungen oder der Sachenrechtsbereinigung durch das nationale Recht zugewiesen sein oder von den Beteiligten freiwillig übertragen werden.

Die lateinischen Notare sind Juristen, die in einer – von Land zu Land unterschiedlich organisierten – Spezialausbildung auf ihren Beruf vorbereitet werden und sich einem Bewerbungsverfahren mit hohen Anforderungen an ihre fachliche Qualität und persönliche Integrität stellen müssen. Ihre Anzahl ist in den meisten Ländern in Abhängigkeit vom Bedarf beschränkt. Sie müssen bisher – gleich einem Richter – in den meisten Ländern Staatsangehörige ihres Landes sein und werden zur Stärkung ihrer Unabhängigkeit auf Lebenszeit, d.h. meist bis zum Pensionsalter ernannt. Sie haben ein eigenes Berufs- und Beurkundungsrecht, sind in Kammern organisiert und unterliegen einer justiziellen Dienstaufsicht.

Bei einer Beurkundung sind die Notare verpflichtet, den von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt zu klären, ihren Willen zu ermitteln, sie – anders als ein zur Parteilichkeit verpflichteter Anwalt – neutral und unparteiisch, d.h. orientiert an einem juristisch ausgewogenen Ergebnis, zu beraten und zu belehren sowie sodann den Willen in einer Urkunde (Notarurkunde, Notariatsakt, acte authentique), die den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und ihnen sowie dem Notar unterschrieben und gesiegelt wird, eindeutig niederzulegen (vgl. § 17 BeurkG). Auf Gefahren und Risiken haben die Notare hinzuweisen, damit unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden. Durch dieses Verfahren der vorbeugenden Rechtspflege werden Streitigkeiten zwischen den Beteiligten weitgehend vermieden und ein hohes Maß an Verbraucherschutz gewährleistet.

Die Notare unterliegen einer Verschwiegenheitsverpflichtung und haften unbegrenzt für etwaige Schäden aufgrund von Fehlern. Daher müssen sie eine Berufshaftpflichtversicherung haben. Als unmittelbare Träger staatlicher Hoheitsgewalt dürfen sie ihre Tätigkeiten nur in gesetzlich normierten Fällen verweigern und erhalten, sofern sie freiberuflich organisiert sind, ein meist staatlich festgelegtes, oft vom Wert des Geschäftes abhängiges Honorar. Der Bürger kann sich seinen Notar hingegen frei auswählen.

Im lateinischen Notariat genießen notarielle Urkunden als Konsequenz der strengen berufs- und beurkundungsrechtlichen Regelungen eine weit höhere Beweiskraft als Privaturkunden. Sie gelten bis zum Beweis des Gegenteils als richtig und echt.

Für als besonders wichtig eingestufte Rechtsgeschäfte haben die nationalen Gesetzgeber oftmals die Beurkundung oder Beglaubigung, bei der der Notar nur die Authentizität der Unterschrift bescheinigt (vgl. § 40 BeurkG), vorgeschrieben. Meist sind Notarurkunden die Voraussetzung für die Eintragung eines Rechtsverhältnisses in ein staatlich geführtes Register wie z.B. das Grundbuch oder das Handelsregister, damit auf den Inhalt dieser Register, die z.T. öffentlichen Glauben genießen, Verlass ist. Die Notare sind daher Teil der sog. Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Übermittlung der Notarurkunden an die Register erfolgt in vielen Ländern zum Teil oder nur noch in vom Notar persönlich elektronisch signierter Form.

Mittels einer Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung kann der lateinische Notar seine Urkunde sofort vollstreckbar stellen und den Beteiligten damit in unstreitigen Fällen kosten- und zeitintensive Prozesse ersparen. Solche Urkunden sind in der gesamten Europäischen Union, d.h. auch außerhalb des lateinischen Notariats aufgrund von Art. 57 Brüssel I-VO (VO 44/2001), Art. 25 der VO 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, Art. 46 Brüssel IIa-VO (VO 2201/2003) und Art. 48 der Unterhaltsverordnung (VO 4/2009) vollstreckbar.

5. Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit

Die Europäische Kommission ist der Auffassung, die Ausnahme des Art. 45 EG/51 AEUV finde auf die Notare als Teil der vorsorgenden Rechtspflege keine Anwendung, und hat daher gegen zahlreiche Staaten des lateinischen Notariats Vertragsverletzungsverfahren wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG/49 AEUV) durch das Erfordernis der Staatsangehörigkeit sowie wegen der Nichtumsetzung der mittlerweile überholten Diplomanerkennungs-RL (RL 89/ 48) eingeleitet.

Die Kommission argumentiert mit Unterstützung der britischen Regierung als Streithelfer, der Staatsangehörigkeitsvorbehalt sei für den Beruf des Notars nicht erforderlich, weil der Notar allenfalls in geringem Umfang an der öffentlichen Gewalt des Staates teilnehme. EU-rechtlich sei das Verlangen nach einem spezifisch national determinierten Vertrauen, das ein Staat nur einem Inländer entgegenbringen will, jedoch nur bei einer unmittelbaren und spezifischen Teilnahme an der öffentlichen Gewalt wie der Rechtsprechung und den Vollstreckungsorganen gerechtfertigt. Es brauche nicht zwischen den verschiedenen Tätigkeiten der Notare (Beurkundung, Erteilung von Vollstreckungsklauseln etc.) unterschieden zu werden, da keine ihrer Tätigkeiten unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sei. Selbst die Erteilung einer Vollstreckungsklausel zu einer vollstreckbaren Urkunde sei nur eine vorbereitende Tätigkeit, denn die öffentliche Gewalt werde erst durch die Vollstreckungsorgane ausgeübt (sic!).

Die Staaten des lateinischen Notariats – ob unmittelbar verklagt oder als Streithelfer beigetreten – entgegnen, Art. 45 EG/51 AEUV finde auf die Tätigkeiten der Notare vollen Umfangs Anwendung. Daher habe auch die Diplomanerkennungs-RL nicht umgesetzt werden müssen. Der Kommission gehe es nicht nur um den Staatsangehörigkeitsvorbehalt sondern weitergehend darum, die vorsorgende Rechtspflege und mit ihr das Notariatssystem der 21 Mitgliedstaaten mit lateinischen Notariat grundlegend umzugestalten und von einer gerichtlichen/ gerichtsnahen in eine marktorientierte Verfassung zu überführen. Die Organisation der staatlichen Rechtspflege beruhe in diesen Ländern jedoch auf zwei Säulen: der streitigen Rechtspflege und der vorsorgenden Rechtspflege (freiwillige Gerichtsbarkeit).

Die Beurkundungstätigkeit der Notare sei unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, weil zu beurkundende Verträge nur mit ihrer verfahrensrechtlich detailliert geregelten Mitwirkung wirksam geschlossen werden könnten und weil die notarielle Urkunde den streitentscheidenden Richter bei seiner Beweiswürdigung weitreichend binde: Sie erbringe z.B. in Deutschland „vollen Beweis des durch die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs“ (§§ 415, 418 ZPO). Im Vollstreckungsrecht bewirke die Erteilung einer Vollstreckungsklausel durch den Notar zu einer vollstreckbaren Urkunde ganz wie bei einer Vollstreckungsklausel zu einem Gerichtsurteil die Freigabe des Anspruchs zur staatlichen Vollstreckung durch das Vollstreckungsorgan, das seinerseits das Bestehen des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr kontrollieren dürfe. Das Notaramt und die Beurkundungstätigkeit seien daher zu Recht richterähnlich hoheitlich ausgestaltet.

Der EuGH hat diese Einordnung in der Marina-Entscheidung (Rs. C-405/01, Slg. 2003, I-10391, Rn. 42) bereits grundsätzlich anerkannt. Auch das Parlament, der Rat sowie die Kommission selbst haben sich in der Vergangenheit mehrfach dahingehend geäußert, dass die notariellen Tätigkeiten unter Art. 45 EG/51 AEUV fallen. Die hoheitliche Einordnung ist in ganz Kontinentaleuropa seit Napoleon historisch gewachsen und im Übrigen auch völkerrechtlich geboten, denn die Wirkungen einer notariellen Urkunde sind – vorbehaltlich von Anerkennungsabkommen – auf den Hoheitsbereich des Ursprungsstaats begrenzt (Territorialitätsprinzip). Im Ausland darf der Notar daher nicht tätig werden und insbesondere keine Urkunden errichten, wie Art. 5(f) des Wiener Übereinkommens vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen indirekt zeigt.

6. Rechtsvereinheitlichung

Da die Tätigkeit der Notare von den Staaten des lateinischen Notariats als unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt eingestuft wird, unterliegt sie nach Auffassung dieser Staaten gemäß Art. 45 EG/51 AEUV nicht der Kompetenz der Europäischen Union. Es gibt daher bisher im Berufsrecht der Notare keine von der EU betriebene Rechtsvereinheitlichung.

Zwischen den europäischen Notaren gibt es dennoch eine intensive fachliche und berufsrechtliche Zusammenarbeit, die hauptsächlich durch den Conseil des Notariats de l’Union Européenne (CNUE), im Rahmen der weltweit tätigen Internationalen Union des Notariats (UINL) sowie durch das Institut de Recherches et d’Études Notariales Européen (I.R.E.N.E.) organisiert wird. Regelmäßige internationale Kongresse, die Zeitschrift Notarius International sowie zahlreiche wissenschaftliche Publikationen sind zu nennen. Als soft-law wurden von der UINL weltweite einheitliche Grundsätze des notariellen Standesrechts (code de déontologie notariale) entwickelt und verabschiedet. Die CNUE hat weitergehend einen europäischen Kodex des notariellen Standesrechts geschaffen und in Kraft gesetzt.

Literatur

Ferdinand Oesterley, Das deutsche Notariat, Bd. I-II, 1842–1845 (Neudruck 1965); Jürgen Basedow, Zwischen Amt und Wettbewerb – Perspektiven des Notariats in Europa, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 55 (1991) 409 ff.; Nigel Ready, Brooke’s Notary, 12. Aufl. 2002; Gisela Shaw, Notaries in England and Wales: What future in a climate of globalisation?, Notarius International 2006, 38 ff.; Benito Arruñada, The Economics of Notaries, European Journal of Competition Law and Economics 3 (1996) 5 ff.; Roger van den Bergh, Yves Montagnie, Competition in Professional Markets, Are Latin Notaries Different, Journal of Competition Law and Economics 2006, 189 ff.; Bundesnotarkammer, Ausschuss Notariatsgeschichte (Hg.), Bibliographie zur Geschichte des deutschen Notariats, 2007, <www. notariatsgeschichte.de>; Alfonso Renteria (Hg.), Manuel de Droit Privé et de Justice Préventive en Europe, 2007; Stephan Matyk, Ninel Jasmine Sadjadi, Thorsten Antenreiter, Rudolf Kaindl, Leila Ritoša, Aleksandra Micelli, Bohdan Hallada, Judit Bókai, Erika Braniselj, Notaries in Europe, 2007; Mathias Schmoeckel (Hg.), Internationales Handbuch zur Notariatsgeschichte, erscheint voraussichtlich in 2009; Andreas Schmitz-Vornmoor, Guido Kordel, Vorsorge durch den Notar, Vertragsfreiheit und Verhaltensökonomik: Eine verhaltensökonomische Analyse der präventiven Rechtsberatung und ‑kontrolle durch den Notar, notar 2009, 4 ff.

Abgerufen von Notariat – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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