Kapitalaufbringung und ‑erhaltung und Kapitalmarktpublizität: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Rainer Kulms]]''
von ''[[Alexander Hellgardt]]''
== 1. Regelungszweck ==
== 1. Einleitung; Begrifflichkeiten ==
Zu den Kernmerkmalen der juristischen Person gehören ihre Rechtsfähigkeit, die auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung und das durch die Aktien oder den Geschäftsanteil vermittelte Recht des Anteilseigners, Gewinnausschüttungen zu beziehen. Die nationalen Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben – bei allen Unterschieden im Detail – eine Standardisierung der Rechte der Anteilseigner und des Verhältnisses zum Management herbeigeführt. Der Preis für eine Aktie oder einen Geschäftsanteil beschreibt das Maximum des unternehmerischen Risikos, das der Investor mit dem Erwerb einer Beteiligung eingeht. Die Gesellschaftsanteile sind grundsätzlich frei handelbar. Investoren können ausgewogene Portfoliostrategien entwickeln.
Die Kapitalmarktpublizität umfasst sowohl die Informationspflichten bei Markteintritt als auch die Marktteilnahmepflichten der Gesellschaften, deren Wertpapiere/‌Finanzinstrumente zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts bei Börsenzulassung und eine damit einhergehende Prospekthaftung waren bereits im 19. Jahrhundert bekannt (dazu [[Prospekthaftung]]). Die Kapitalmarktpublizität im engeren Sinne, also die Pflichten börsennotierter Unternehmen (''Emittenten'') zur kontinuierlichen Information des Anlegerpublikums über die handelsrechtliche [[Rechnungslegung]] hinaus, ist dagegen in vielen europäischen Rechtsordnungen erst im Zuge europarechtlicher Harmonisierung in den 1970er und 1980er Jahren eingeführt worden. Diese Informationspflichten dienen dem fortlaufenden Wertpapierhandel am sogenannten ''Sekundärmarkt'', das ist der Umlaufmarkt für bereits zuvor am ''Primärmarkt'' emittierte Finanzinstrumente.


Mit der beschränkten Haftung verbinden sich besondere Risikoanreizprobleme, die die Interessen der Kapitalgeber und ‑eigner und der Gläubiger der Korporation in unterschiedlichem Umfang berühren. Indem die Anteilseigner bei Anteilserwerb den maximalen Verlust ihres „Einsatzes“ ermitteln können, verändert sich die individuelle Risikoabneigung. Gelingt es den Anteilseignern, das Risiko einer unternehmenspolitisch bedenklichen Entscheidung auf die Gläubiger umzulenken, stellt sich ein Zielkonflikt zwischen notwendigen Innovationsinvestitionen, unerwünschter Perpetuierung unrentabler Unternehmen und dem Gläubigerschutz ein. Die Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten haben auf diese Herausforderung mit einem doppelten Sicherungsmechanismus reagiert. Vorschriften zur Aufbringung des satzungsmäßig festgelegten Kapitals werden durch Normen zur Kapitalerhaltung ergänzt. Im Ausgangspunkt ist es eine Frage der Praktikabilität, ob Korporationen auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verpflichtet werden oder Haftungsregeln die Unterschreitung des durch Satzung festgelegten Grundkapitals sanktionieren. Hierbei sind auch Informationskosten zu reduzieren. Die Gläubiger können das mit einer Haftungsbeschränkung verbundene Risiko nur beherrschen, wenn sie in der Korporation einen Vertragspartner mit ausreichendem Eigenkapital vorfinden.
Der Preis eines Wertpapiers wird maßgeblich durch die zukünftigen Gewinne bestimmt, die die Marktteilnehmer erwarten und die – bei Aktien in Form von Dividenden – an die Anleger ausgeschüttet werden. Da die zukünftige Ertragslage naturgemäß ungewiss ist und von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, sind die Marktteilnehmer auf eine zuverlässige und regelmäßige Information durch die Emittenten angewiesen, um fortlaufend angemessene Preise für die Wertpapiere bilden zu können. Zugleich ist es effizienter, dem Emittenten als „Produzenten“ der unternehmensinternen Umstände die Pflicht zur Information aufzuerlegen und nicht die einzelnen Anleger zu parallelen Recherchen über die wirtschaftliche Situation börsennotierter Gesellschaften zu zwingen. Damit dienen die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten sowohl den Interessen des einzelnen Anlegers als auch der Gesamtwirtschaft (''Anleger- und Funktionenschutz'') ([[Kapitalanlegerschutz]]).


Normen über ein Mindeststammkapital lösen den potentiellen Gegensatz zwischen Anteilseignern und Gläubigern mit Hilfe einer ''property rule'' auf; Haftungsregeln entsprechen einer ''liability rule''. Von dieser Unterscheidung sind gedanklich die Regelungsprobleme zu trennen, die bei Gesellschaften in Insolvenznähe auftreten. Soweit eine Insolvenzantragspflicht in Bezug zur Unterschreitung des gesetzlichen Mindeststammkapital gesetzt wird, ist der Gläubigerschutz von einer ''ex ante''-Perspektive bestimmt. Haftungsnormen, die Handlungspflichten für in einer Gesellschaft Verantwortlichen begründen, greifen auf einen von einer ''ex post''-Perspektive bestimmten Lösungsansatz zurück.
Beim Börsengang fließt der Gesellschaft der Vorteil einer Informationspflichtverletzung in Form eines höheren Emissionserlöses direkt zu, weshalb die Existenz der Prospekthaftung unmittelbar einleuchtet. Demgegenüber ist der wirtschaftliche Vorteil einer Fehlinformation am Sekundärmarkt für den dort am Wertpapierhandel unbeteiligten Emittenten nicht so offensichtlich. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb viele europäische Rechtsordnungen der Haftung für die durch Fehlinformation des Kapitalmarkts verursachten ''reinen Vermögensschäden'' traditionell skeptisch gegenüberstehen. So hat etwa England, das seit dem 19. Jahrhundert die Prospekthaftung kennt, eine Haftung für Pflichtverletzungen am Sekundärmarkt erst 2006 im Zuge der Umsetzung der Transparenz-RL (RL 2004/‌109) eingeführt.


Die regulierungspolitische Diskussion in der Europäischen Gemeinschaft über das geeignete Instrumentarium verläuft zweigeteilt. Während die Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Schutzbestimmungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 13.12.1976 (Zweite gesellschaftsrechtliche RL (RL 77/‌91) für [[Aktiengesellschaft]]en am Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals festhält, fehlt für Gesellschaften mit beschränkter Haftung ([[Gesellschaft mit beschränkter Haftung|GmbH]]) und Privatgesellschaften ([[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäische Privatgesellschaft]]) eine vergleichbare Regelung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts. Dort wird die Diskussion um die Kapitalaufbringung und ‑erhaltung wesentlich durch den vom [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] ausgelösten Regulierungswettbewerb bestimmt.
== 2. Kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten ==
Die kapitalmarktrechtliche Publizität am Sekundärmarkt gliedert sich in die Regelpublizität, die Anlasspublizität und Beteiligungspublizität. Daneben treten besondere Informationspflichten im Falle der Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft ([[Übernahmerecht]]). Die Regelpublizität bezeichnet die periodische Information des Anlegerpublikums in Form von Jahresabschlüssen und Zwischenabschlüssen. Dadurch sollen die Anleger in die Lage versetzt werden, sich ein grundlegendes Bild von dem betreffenden Unternehmen zu machen. Demgegenüber ist es Aufgabe der Anlasspublizität (auch: ''ad hoc''-Publizität), unerwartete Umstände, die in der Zeit zwischen den periodischen Berichten auftreten, den Anlegern so bald wie möglich zur Kenntnis zu bringen und damit einerseits Markttransparenz als Grundlage für eine korrekte Preisbildung herzustellen und andererseits der Ausnutzung eines Informationsvorsprungs Einzelner durch Insiderhandel ([[Insidergeschäft]]) vorzubeugen. Die Beteiligungspublizität komplettiert die Anlegerinformation, indem das Erreichen, Über- und Unterschreiten bestimmter Beteiligungshöhen an einer börsennotierten Gesellschaft gemeldet werden müssen. Die Zusammensetzung des Aktionärskreises und die Veränderungen maßgeblicher Aktienbeteiligungen sind wichtige Kriterien für die Anlageentscheidungen gerade der institutionellen Investoren.


== 2. Europäisches Recht (Aktien­gesellschaften) ==
Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (''Financial Services Action Plan'') von 1999 wurde die Kapitalmarktpublizität im europäischen Recht durch den Erlass einer neuen Generation von Kapitalmarktrichtlinien auf eine völlig neue Basis gestellt.
Die Zweite Gesellschaftsrechtliche RL verpflichtet die Aktiengesellschaften auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Zielgruppe der Richtlinie sind nach Art. 6(3) mittlere und größere Unternehmen. Die Begründungserwägungen stellen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den aktienrechtlichen Gründungsvorschriften, Regeln zur Kapitalaufbringung und ‑erhaltung und den Interessen der Aktionäre und der Gläubiger her. Ziel der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung sei ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit beim dem Schutz der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft. Der Errichtungsakt der Gesellschaft müsse jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, sich über die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft und die genaue Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals zu unterrichten.


Nach dem Verständnis der Richtlinie ist das Kapital der Aktiengesellschaft zugleich Eigenkapital und Risikokapital. Das Gesellschaftskapital soll als Sicherheit für die Gläubiger erhalten werden. Die Richtlinie setzt stillschweigend voraus, dass für die Normen des Mindeststammkapitals ein Regelungsbedarf besteht. Auch nach der Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie im Jahre 2006 hält das Europäische Gemeinschaftsrecht an dem Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals für börsen- und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften fest: Das gesetzliche Mindestkapital liegt bei EUR 25.000,- doch können die Mitgliedstaaten höhere Mindestbeträge festsetzen. Die Satzung oder das Gründungsprotokoll geben an, in welchem Umfang das gezeichnete Kapital tatsächlich eingezahlt worden ist. Zum Zeitpunkt der Geschäftsaufnahme der Aktiengesellschaft müssen mindestens 25 % des Nennbetrags der Aktien eingezahlt sein. Sacheinlagen sind zulässig. Ausschüttungen an die Aktionäre sind an eine zweifache Bedingung geknüpft: Dividenden und Zinsen für Aktien dürfen nur gezahlt werden, wenn sie das Ergebnis des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres nicht unterschreiten. Dabei ist der Betrag des Ergebnisses um den Gewinnvortrag und die Entnahmen aus früheren Rücklagen zu erhöhen, während Verluste aus früheren Jahren und Beträge für Rücklagen ergebnismindernd wirken. Aktionäre, die eine Ausschüttung empfangen, sind zur Rückzahlung verpflichtet, wenn der Nachweis gelingt, dass ihnen der Verstoß gegen die Ausschüttungsregeln bekannt war oder sie nach den Umständen hiervon Kenntnis haben mussten. In der Vergangenheit waren diese Regeln in Bezug zu den nationalen Bilanzierungsvorschriften zu setzen. Faktisch entschieden der Stellenwert des Gläubigerschutzes und der Wunsch nach Transparenz gegenüber potentiellen Investoren, in welchem Umfang in den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Gewinnermittlung drohende Verbindlichkeiten und noch nicht realisierte Erträge berücksichtigt werden durften. Mit der Einführung der ''International Accounting Standards'' (''International Financial Reporting Standards'') haben sich die Gewichte verschoben. Gegenwärtig wird diskutiert, ob der von den ''International Accounting Standards'' ausgehenden Tendenz zur verstärkten Aktivierung mit bilanziellen Ausschüttungssperren oder einem weitergehenden Solvenztest zu begegnen ist. Droht der Verlust des gezeichneten Kapitals, hat eine Hauptversammlung zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen – etwa eine Kapitalerhöhung – einzuleiten sind. Eigene Aktien darf die Gesellschaft nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen zurückkaufen. Einlagen auf Aktien, die anlässlich einer Kapitalerhöhung ausgegeben werden, müssen ebenfalls in Höhe von mindestens 25 % des Nennbetrags geleistet werden.
=== a) Regelpublizität ===
Die Regelpublizität findet ihre Grundlage in der Transparenz-RL sowie in den dazu im Rahmen des sogenannten ''Lamfalussy-Verfahrens''<nowiki> erlassenen Durchführungsbestimmungen, insbesondere der Durchführungs-RL (RL&nbsp;2007/‌14). Diese Richtlinien gelten für Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Gemäß Art.&nbsp;4 der Transparenz-RL müssen die Emittenten Jahresfinanzberichte veröffentlichen, die aus dem geprüfte Jahresabschluss (soweit der Emittent unter den Anwendungsbereich der Konzernabschluss-RL [RL&nbsp;83/‌349] fällt, ist dies ein IAS/‌IFRS-Abschluss im Einklang mit der IAS-VO [VO&nbsp;1606/‌2002], ansonsten der Jahresabschluss nach nationalem Recht) und dem Lagebericht bestehen. Hinzu kommt ein sogenannter „Bilanzeid“, mit dem die verantwortlichen Personen versichern, dass der Abschluss ihres Wissens (</nowiki>''to the best of their knowledge'') ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und dass der Lagebericht die Lage so darstellt, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und dass er die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten beschreibt. Sodann verpflichtet Art.&nbsp;5 zur Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten, die aus einem verkürzten Abschluss (Zwischenbericht nach IAS/‌IFRS bei Konzerngesellschaften, ansonsten ergeben sich die Anforderungen aus Art.&nbsp;3 der Durchführungs-RL), einem Zwischenlagebericht sowie wiederum aus einem Bilanzeid bestehen. Schließlich sind gemäß Art.&nbsp;6 Transparenz-RL in der ersten und zweiten Hälfte des Geschäftsjahrs Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung zu veröffentlichen, so dass das Anlegerpublikum vierteljährlich einen mehr oder weniger detaillierten Bericht über die Lage des Emittenten und seine finanzielle Situation erhält. Daneben sind die Emittenten gemäß Art.&nbsp;16, 17 und 18 der Transparenz-RL verpflichtet, den Aktionären oder Schuldverschreibungsinhabern zusätzliche Informationen über ihre Rechte sowie über Haupt- und Gläubigerversammlungen zu erteilen.


Die Zweite gesellschaftsrechtliche RL hat sich nicht zum Ziel gesetzt, für Aktiengesellschaften das Recht der Kapitalaufbringung und &#8209;erhaltung abschließend zu regeln. Nationale Normen, die das Verbot der Einlagenrückgewähr konkretisieren, bleiben zulässig. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass vermeintliche oder tatsächliche Schutzdefizite nicht automatisch einen Freiraum zur Fortentwicklung von Schutzkonzeptionen eröffnen, die sich aus der Sicht einzelner Mitgliedstaaten bewährt haben. Auch das Fehlen geschriebener gemeinschaftsrechtlicher Normen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts eröffnet den Regulierungswettbewerb zwischen den nationalen Rechtsordnungen. Selbst wenn Pfadabhängigkeiten einen derartigen Wettbewerb im Hinblick auf Aktiengesellschaften hemmen sollten, nimmt auf nationaler Ebene der Rechtfertigungsdruck gleichwohl zu, sobald einseitige Maßnahmen die Wettbewerbsposition einer nationalen Gesellschaftsrechtsordnung zu schwächen drohen. Nicht zufällig heben die Begründungserwägungen der Richtlinie zur Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie ausdrücklich die Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als Politikziel neben dem Aktionärs- und Gläubigerschutz hervor.
Weitere wichtige Vorgaben für die Regelpublizität hat Art.&nbsp;10 der Übernahme-RL (RL&nbsp;2004/‌ 25, [[Übernahmerecht]]) gebracht. Danach müssen Gesellschaften, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind, im Lagebericht eine Vielzahl von Angaben aufführen über Umstände, die sich als strategisches Übernahmehindernis darstellen könnten.


== 3. Gesellschaften mit beschränkter Haftung und andere Privatgesellschaften ==
Im Jahr 2006 wurden Art.&nbsp;46a in die Jahresabschluss-RL (RL&nbsp;78/‌660) und Art.&nbsp;36a in die Konzernabschluss-RL eingefügt, die funktional ebenfalls der sekundärmarktrechtlichen Regelpublizität zuzurechnen sind, da sie allein auf Gesellschaften Anwendung finden, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind. Danach sind in den Lagebericht ergänzende Angaben zur ''[[Corporate Governance]]'' der betreffenden Emittenten aufzunehmen.
Indem die Zweite gesellschaftsrechtliche RL Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Privatgesellschaften aus ihrem Anwendungsbereich herausnimmt, lässt sie den nationalen Gesellschaftsrechtssystemen großen Spielraum für eigenständige Entwicklungen. Im Bereich der privaten, nicht börsennotierten Gesellschaften hat sich lange Zeit ein Status quo zwischen mehreren Formen der Kapitalaufbringung und &#8209;erhaltung erhalten, der von Pfadabhängigkeit und nationalen Gesellschaftsrechtstraditionen geprägt ist. Dem kontinentaleuropäischen System der Kapitalaufbringung und &#8209;erhaltung auf der Grundlage eines gesetzlich festgelegten Mindeststammkapital stand das englische System des Kapitalschutzes bei der ''Private Limited Company'' gegenüber, das auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verzichtet und sich im wesentlichen auf Solvenztests und die Sanktionsmechanismen der ''wrongful trading''-Regel bei Insolvenznähe verlässt. Erst die ''Centros''-Rechtsprechung des EuGH (Rs.&nbsp;C-212/‌97 – ''Centros'', Slg. 1999, I-1459; Rs.&nbsp;C-208/‌00 – ''Überseering'', Slg. 2002, I-9919; Rs.&nbsp;C-167/‌01 – ''Inspire Art'', Slg. 2003, I-10159) zur [[Niederlassungsfreiheit]] von Gesellschaften hat Bewegung in die europäische Diskussion um den Kapitalschutz gebracht. So haben die Niederland mit der jüngsten Reform des Rechts der ''Besloten Vennootschap'' (B.V.) das gesetzliche Mindestkapital abgeschafft. Nunmehr sichert ein kombinierter Bilanz- und Solvenztest das Kapital und die Interessen der Gläubiger. Haftungsrechtliche Normen, die sich aus einer ''ex post''-Perspektive an die Verantwortlichen der Gesellschaft wenden, sollen Kapitalschutz gewährleisten. Ähnliche Überlegungen liegen dem Kommissionsentwurf für eine Europäische Privatgesellschaft zugrunde. Die Novelle zum deutschen GmbH-Recht aus dem Jahre 2008 hält zwar noch an dem gesetzlichen Mindeststammkapital für ‚reguläre’ Gesellschaften fest, lockert aber gleichzeitig das Konzept des Kapitalschutzes durch ''property rules'' auf, indem sie auch Unternehmergesellschaften zulässt, die erst im Laufe der Zeit ein ausreichendes Haftkapital aufbauen. Im Hinblick auf die Entwicklungen in den Niederlanden und im englischen Recht ist festzuhalten, dass auch das deutsche Recht zögernd erste Schritte in Richtung auf einen Solvenztest unternimmt, um die Verantwortlichkeiten der Geschäftsführung bei Insolvenznähe einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu präzisieren.


== 4. Ausblick ==
=== b) ''Ad hoc''-Publizität ===
Das Statut über die ''Societas Europaea'' ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)]]Europäische Aktiengesellschaft) verzichtet nicht auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Die Begründungserwägungen zu dem Statut führen aus, mit Hilfe eines Mindeststammkapitals in Höhe von EUR&nbsp;120.000,- solle eine sinnvolle Unternehmensgröße für gemeinschaftsweit tätige Unternehmen sichergestellt werden, ohne für kleinere und mittlere Unternehmen die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft zu erschweren. Der Entwurf für ein Statut für die Europäische Privatgesellschaft gibt dagegen das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals auf. Hierbei geht es vordergründig nur um die Frage, ob sich getrennte Normen für börsen- und nicht börsennotierte Unternehmen empfehlen. Im Kern sind an dieser Stelle die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzschutz zu untersuchen.
Damit es nicht zu Preisverzerrungen kommt, wenn in den Phasen zwischen der Regelberichterstattung wesentliche neue Ereignisse eintreten, die eine andere Bewertung des Finanzinstruments implizieren, sind die Emittenten nach Art.&nbsp;6(1) der Marktmissbrauchs-RL (RL&nbsp;2003/‌6) verpflichtet, solche Umstände, wenn sie davon unmittelbar betroffen sind, „so bald als möglich“ der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Diese Pflicht greift bereits ein, sobald sich herausstellt, dass ein bewertungsrelevanter Umstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eintreten wird. Zugleich stellt die Kenntnis eines solchen bewertungsrelevanten Umstands eine Insiderinformation dar, deren Nutzung Art.&nbsp;2 und deren Weitergabe Art.&nbsp;3 der Marktmissbrauchs-RL untersagen ([[Insidergeschäft]]).


Die von der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] eingesetzte hochrangige Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts kritisiert, ein gesetzlich festgelegtes Mindeststammkapital gebe nur sehr ungenau Aufschluss über die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Schulden zu bezahlen. Überdies ließen die Veränderungen in den Rechnungslegungsgrundsätzen immer weniger eine Schlussfolgerung zu, in welchem Umfang ein Unternehmen aktuelle und künftige Verbindlichkeiten bezahlen könne. Der Befund der Expertengruppe gipfelt in dem Vorschlag, ein alternatives System zum Schutz der Gläubiger und Aktionäre zu erarbeiten. An die Stelle des Mindestkapitalkonzepts solle eine Solvenzprüfung treten, die Ausschüttungen an die Aktionäre nur zulasse, wenn die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens nicht gefährdet sei. Einer Solvenzprüfung solle jede Ausschüttung von Dividenden und andere Zahlung (einschließlich der Aktienrückkäufe und Kapitalherabsetzungen mit Rückzahlungen an Aktionäre) unterworfen werden. Dabei setze sich eine derartige Solvenzprüfung aus zwei Elementen zusammen: Die Prüfung der Bilanz und des Nettovermögens sei um eine Liquiditätsprüfung oder einen Vergleich des Umlaufvermögens mit den kurzfristigen Verbindlichkeiten zu ergänzen. Prononcierter fällt der Befund einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von ''Jonathan Rickford'' zur Reform der gesetzlichen Mindestkapitalbestimmungen für Aktiengesellschaften aus: Faktisch würden die Gläubiger sich nicht auf die Einhaltung der Vorschriften zum Kapitalschutz verlassen, da die heutigen Rechnungslegungsvorschriften keine genaue Entscheidungsgrundlage mehr für Ausschüttungsentscheidungen lieferten. Stattdessen wird – ähnlich wie schon von der Hochrangigen Expertengruppe – die Einführung eines zweistufigen Solvenztests vorgeschlagen, der die Zahlungsfähigkeit angesichts der Kreditverpflichtungen und der laufenden Verbindlichkeiten für das folgende Geschäftsjahr überprüft. Langfristig wird das Gemeinschaftsrecht auch für Aktiengesellschaften die Trennung zwischen Gesellschaftsrechts und Insolvenzrecht überwinden müssen, um durch ''liability rules'' die in einer Korporation Verantwortlichen auf einen wirksamen Kapitalschutz zu verpflichten. Diese haftungsrechtlichen Zusammenhänge werden von der rechtswissenschaftlichen Diskussion auch in den Mitgliedstaaten anerkannt, die sich traditionell dem Konzept des festen Kapitals verpflichtet fühlen. Einer Abkehr vom System des festen Kapitals wird mit einer Kosten-Nutzen-Analyse begegnet. Unter Hinweis auf die traditionelle Verankerung des festen Kapitals in den romanischen und germanischen Rechten wird dessen Beitrag zur soliden Unternehmensführung hervorgehoben. Die Präventivfunktion des Grundkapitals wird als erhaltungsbedürftig verteidigt, die ihren Ausdruck in Ausschüttungssperren und Handlungspflichten der Unternehmensführung bei Insolvenznähe finden soll.
Das Ziel der Markttransparenz wird allerdings nicht absolut gesetzt. So erlaubt Art.&nbsp;6(2) der Marktmissbrauchs-RL den Emittenten, die Bekanntgabe auf eigene Verantwortung aufzuschieben, wenn ansonsten ihre berechtigten Interessen beschädigt werden könnten. Voraussetzung ist aber, dass die Unterlassung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen und der Emittent in der Lage ist, die Vertraulichkeit der Information zu gewährleisten.
 
Hinsichtlich der Einzelheiten der Veröffentlichung verweist Art.&nbsp;2(1)(I) der Durchführungs-RL auf das Regime von Art.&nbsp;20 und 21 Transparenz-RL. Dies zeigt die enge Verzahnung von ''ad hoc''-Publizität und Regelpublizität.
 
=== c) Beteiligungspublizität ===
Eine etwas andere Zielrichtung als Regel- und ''ad hoc''-Publizität hat die Beteiligungspublizität. Gemäß Art.&nbsp;9 der Transparenz-RL muss ein Aktionär das Erreichen, Über- oder Unterschreiten der Schwellen von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75&nbsp;% der Aktien, an die Stimmrechte geknüpft sind, an den betreffenden Emittenten melden. Art.&nbsp;10 erweitert diese Meldepflichten für Fälle, in denen der betreffende Anleger nicht die Aktien direkt, sondern sonstige Berechtigungen an den Stimmrechten erwirbt. Gemäß Art.&nbsp;12(2) der Transparenz-RL (konkretisiert in Art.&nbsp;8 und 9 der Durchführungs-RL) muss die Mitteilung an den Emittenten so rasch wie möglich, jedoch spätestens nach vier Tagen, erfolgen und ist sodann gemäß Art.&nbsp;12(6) der Transparenz-RL vom Emittenten sobald er diese erhält, spätestens jedoch nach drei weiteren Handelstagen, zu veröffentlichen.
 
Neben den Meldepflichten der Aktionäre (und der Weiterleitungspflicht des Emittenten) besteht auch eine eigene Meldepflicht des Emittenten hinsichtlich des Erwerbs eigener Aktien. Nach Art.&nbsp;14(1) der Transparenz-RL ist der Emittent zur unverzüglichen Meldung innerhalb von spätestens vier Tagen verpflichtet, wenn er hinsichtlich seines Bestands an eigenen Aktien die Schwellen von 5 oder 10 Prozent erreicht, über- oder unterschreitet.
 
Die Beteiligungspublizität weist eine enge Verzahnung mit dem [[Übernahmerecht]] auf, indem sie bereits im Vorfeld eines möglichen Kontrollerwerbs oder seiner Abwehr durch die Gesellschaft die Transparenz der Beteiligungsstruktur gewährleistet. Zugleich sind Kontrolltransaktionen besondere Anlässe in der Existenz börsennotierter Publikumsgesellschaften und die Kenntnis davon gleicht einer Insiderinformation. Häufig wird der Kontrollerwerb sogar eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen.
 
== 3. Kapitalmarkthaftung ==
=== a) Europarechtliche Vorgaben ===
Weitaus weniger detailliert sind die Vorschriften über die Kapitalmarkthaftung im Falle der Verletzung einer der vorerwähnten Pflichten. So verlangt Art.&nbsp;7 der Transparenz-RL von den Mitgliedstaaten nur, dass diese die Verantwortung für die in Jahresfinanzberichten, Halbjahresfinanzberichten, Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung sowie in Mitteilungen nach Art.&nbsp;16 veröffentlichten Informationen zumindest dem Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan zuweisen. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf diese verantwortlichen Personen anwendbar sind. Hinsichtlich der Sanktionen bei Verletzung der Beteiligungspublizität schweigt die Richtlinie dagegen. Gar keine expliziten Haftungsregeln enthält die Marktmissbrauchs-RL im Falle der Verletzung der Pflicht zur ''ad hoc''-Publizität. In diesen Fällen können lediglich allgemeine ''effet utile''-Prinzipien dazu führen, dass die Mitgliedstaaten zu einer haftungsrechtlichen Sanktionierung verpflichtet sind. So hat etwa Deutschland im Jahr 2002 spezielle Haftungsvorschriften bei Verletzung der ''ad hoc''-Publizität eingeführt, um damit einem Vertragsverletzungsverfahren aufgrund zahlreicher Verstöße durch die Emittenten zuvorzukommen.
 
=== b) Mitgliedstaatliche Rechte ===
Das Recht der Mitgliedstaaten im Bereich der Kapitalmarkthaftung ist in Anbetracht dieser spärlichen Vorgaben und unterschiedlicher nationaler Traditionen im Deliktsrecht noch sehr heterogen ([[Prospekthaftung]]). Gewisse Veränderungen sind aber im Zuge der Umsetzung von Art.&nbsp;7 der Transparenz-RL eingetreten. Während Deutschland sich auf den Standpunkt gestellt hat, die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe seien ausreichend, so dass die deutschen Gerichte in Zukunft im Wege der europarechtskonformen Auslegung zu einer effektiven Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht gelangen werden müssen, haben andere Mitgliedstaaten die Umsetzung zum Anlass für eine vollständige Revision ihres Kapitalmarkthaftungsrechts genommen. Insbesondere England hat sec. 90A und sec. 90B in den ''Financial Services and Markets Act 2000'' eingefügt; und das Treasury hat im Anschluss an den ''Davies''-Review eine umfassende Neuregelung der Sekundärmarkthaftung angekündigt, die neben der Regel- auch die ''ad hoc''-Publizität umfassen soll. Zuvor war im englischen Recht eine Sekundärmarkthaftung weithin abgelehnt worden.
 
Frankreich und andere Länder wenden die deliktische Generalklausel des Art.&nbsp;1382 ''Code civil'' an. Häufig werden dort Schadensersatzansprüche im Rahmen von Adhäsionsverfahren vor Strafgerichten geltend gemacht.
 
== 4. Internationales Privatrecht ==
Die Anknüpfung der Publizitätspflichten ist in den Richtlinien inzwischen ausdrücklich geregelt. So unterliegen die Emittenten hinsichtlich der durch die Transparenz-RL präformierten Pflichten dem Recht ihres „Herkunftsmitgliedstaates“. Dieser wird in Art.&nbsp;2(1)(i) der Transparenz-RL legaldefiniert und bestimmt sich im Falle der Emission von Aktien nach dem Satzungssitz der emittierenden Aktiengesellschaft. Die ''ad hoc''-Publizität richtet sich gemäß Art.&nbsp;2 (1)(I) der Durchführungs-RL zur Marktmissbrauchs-RL (i.V.m. der Übergangsbestimmung in Art.&nbsp;32 letzter UAbs. der Transparenz-RL) nach dem Regime von Art.&nbsp;20 und 21 der Transparenz-RL, so dass auch hier der „Herkunftsmitgliedstaat“ im Sinne der Transparenzrichtlinie einschlägig ist.
 
Nicht geregelt ist dagegen die Anknüpfung der Kapitalmarkthaftung. Kapitalmarkthaftungsansprüche sind für die Zwecke des IPR deliktsrechtlich zu qualifizieren. Die Ansprüche fallen unter den Anwendungsbereich der Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/‌2007); insbesondere werden sie nicht von den Bereichsausnahmen in Art.&nbsp;1(2)(c) und (d) erfasst. Im Schrifttum wird bislang meist die Anknüpfung an den Marktort (also den Belegenheitsort der betreffenden Börse) favorisiert. Seit der Einführung des Herkunftsstaatsprinzips durch die Transparenzrichtlinie sprechen aber die besseren Argumente dafür, akzessorisch an die verletzte Pflicht anzuknüpfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es den Mitgliedstaaten – jedenfalls im Bereich der Regelpublizität – weithin erlaubt ist, über die Anforderungen des Europarechts hinauszugehen. Eine Anwendung des Marktrechts müsste also die Besonderheiten des Herkunftsstaates im Sinne einer Sonderanknüpfung innerhalb des Tatbestands berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es überzeugender, eine engere Verbindung im Sinne von Art.&nbsp;4(3) der Rom&nbsp;II-VO anzunehmen.
 
== 5. Entwicklungstendenzen ==
Nach der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen ist die europarechtliche Harmonisierung der Kapitalmarktpublizität zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Die aktuellen Aktivitäten beschränken sich auf die Feinabstimmung im Rahmen des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR). Großer Harmonisierungsbedarf besteht dagegen im Bereich der Haftung für fehlerhafte Publizitätsakte. Dieses Thema steht allerdings ebenfalls nicht auf der Tagesordnung der Kommission. Sollte es zu einem europaweiten Finanzskandal kommen, könnte sich dies schnell ändern.


==Literatur==
==Literatur==
''Jaap Winter'', ''José Maria Garrido Garcia'', ''Klaus J. Hopt'', ''Jonathan Rickford'', ''Guido Rossi'', ''Jan Schans Christensen'', ''Joelle Simon'' (The High Level Group of Company Law Experts) (Hg.), Report on A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, 2002; ''Karsten Schmidt'', Gesellschaftsrecht, 4.&nbsp;Aufl. 2002; ''Stefan Grundmann'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004; ''Jonathan Rickford'' (Hg.), Reforming Capital – Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, European Business Law Review 15 (2004) 920&nbsp;ff.; ''Mathias Habersack'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Marcus Lutter'' (Hg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Sonderheft 17 (2006); ''Ulrich Seibert'', Close Corporations: Reforming Private Company Law, European Business Organization Law Review 8 (2007) 83&nbsp;ff.; ''Peter Hommelhoff'', Die „Europäische Privatgesellschaft“ am Beginn ihrer Normierung, 2007; ''Ulrich Noack'','' Michael Beurskens'', Modernising the German GmbH, European Business Organization Law Review 9 (2008) 97ff.; ''Horst Eidenmüller'', ''Wolfgang Schön'' (Hg.), The Law and Economics of Creditor Protection, 2008.
''Klaus J. Hopt'', Europäisches Kapitalmarktrecht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kernbereichen des Europäischen Privatrechts, 2000, 307&nbsp;ff.;'' Hanno Merkt'', Unternehmenspublizität, 2001;'' Klaus J. Hopt'', ''Hans-Christoph Voigt ''(Hg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005; ''Michael Brellochs'', Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des Europäischen Kapitalmarktrechts, 2005; ''Paul Davies''<nowiki>, Davies Review of Issuer Liability: Final Report, <www.hm-treasury.gov.uk> (zuletzt abgerufen am 15.7.2009), 2007, </nowiki>''Dagmar Pütz'', Sanktionen wegen Verletzung der sekundärmarktbezogenen Kapitalmarktpublizität in Frankreich und England, Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 514&nbsp;ff.; ''Paul L. Davies'', Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8.&nbsp;Aufl. 2008, Kap.&nbsp;26; ''Alexander Hellgardt'', Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Legal_Capital]]
[[en:Mandatory_Disclosure_(Securities_Markets)]]

Version vom 28. September 2021, 17:48 Uhr

von Alexander Hellgardt

1. Einleitung; Begrifflichkeiten

Die Kapitalmarktpublizität umfasst sowohl die Informationspflichten bei Markteintritt als auch die Marktteilnahmepflichten der Gesellschaften, deren Wertpapiere/‌Finanzinstrumente zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts bei Börsenzulassung und eine damit einhergehende Prospekthaftung waren bereits im 19. Jahrhundert bekannt (dazu Prospekthaftung). Die Kapitalmarktpublizität im engeren Sinne, also die Pflichten börsennotierter Unternehmen (Emittenten) zur kontinuierlichen Information des Anlegerpublikums über die handelsrechtliche Rechnungslegung hinaus, ist dagegen in vielen europäischen Rechtsordnungen erst im Zuge europarechtlicher Harmonisierung in den 1970er und 1980er Jahren eingeführt worden. Diese Informationspflichten dienen dem fortlaufenden Wertpapierhandel am sogenannten Sekundärmarkt, das ist der Umlaufmarkt für bereits zuvor am Primärmarkt emittierte Finanzinstrumente.

Der Preis eines Wertpapiers wird maßgeblich durch die zukünftigen Gewinne bestimmt, die die Marktteilnehmer erwarten und die – bei Aktien in Form von Dividenden – an die Anleger ausgeschüttet werden. Da die zukünftige Ertragslage naturgemäß ungewiss ist und von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, sind die Marktteilnehmer auf eine zuverlässige und regelmäßige Information durch die Emittenten angewiesen, um fortlaufend angemessene Preise für die Wertpapiere bilden zu können. Zugleich ist es effizienter, dem Emittenten als „Produzenten“ der unternehmensinternen Umstände die Pflicht zur Information aufzuerlegen und nicht die einzelnen Anleger zu parallelen Recherchen über die wirtschaftliche Situation börsennotierter Gesellschaften zu zwingen. Damit dienen die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten sowohl den Interessen des einzelnen Anlegers als auch der Gesamtwirtschaft (Anleger- und Funktionenschutz) (Kapitalanlegerschutz).

Beim Börsengang fließt der Gesellschaft der Vorteil einer Informationspflichtverletzung in Form eines höheren Emissionserlöses direkt zu, weshalb die Existenz der Prospekthaftung unmittelbar einleuchtet. Demgegenüber ist der wirtschaftliche Vorteil einer Fehlinformation am Sekundärmarkt für den dort am Wertpapierhandel unbeteiligten Emittenten nicht so offensichtlich. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb viele europäische Rechtsordnungen der Haftung für die durch Fehlinformation des Kapitalmarkts verursachten reinen Vermögensschäden traditionell skeptisch gegenüberstehen. So hat etwa England, das seit dem 19. Jahrhundert die Prospekthaftung kennt, eine Haftung für Pflichtverletzungen am Sekundärmarkt erst 2006 im Zuge der Umsetzung der Transparenz-RL (RL 2004/‌109) eingeführt.

2. Kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten

Die kapitalmarktrechtliche Publizität am Sekundärmarkt gliedert sich in die Regelpublizität, die Anlasspublizität und Beteiligungspublizität. Daneben treten besondere Informationspflichten im Falle der Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft (Übernahmerecht). Die Regelpublizität bezeichnet die periodische Information des Anlegerpublikums in Form von Jahresabschlüssen und Zwischenabschlüssen. Dadurch sollen die Anleger in die Lage versetzt werden, sich ein grundlegendes Bild von dem betreffenden Unternehmen zu machen. Demgegenüber ist es Aufgabe der Anlasspublizität (auch: ad hoc-Publizität), unerwartete Umstände, die in der Zeit zwischen den periodischen Berichten auftreten, den Anlegern so bald wie möglich zur Kenntnis zu bringen und damit einerseits Markttransparenz als Grundlage für eine korrekte Preisbildung herzustellen und andererseits der Ausnutzung eines Informationsvorsprungs Einzelner durch Insiderhandel (Insidergeschäft) vorzubeugen. Die Beteiligungspublizität komplettiert die Anlegerinformation, indem das Erreichen, Über- und Unterschreiten bestimmter Beteiligungshöhen an einer börsennotierten Gesellschaft gemeldet werden müssen. Die Zusammensetzung des Aktionärskreises und die Veränderungen maßgeblicher Aktienbeteiligungen sind wichtige Kriterien für die Anlageentscheidungen gerade der institutionellen Investoren.

Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (Financial Services Action Plan) von 1999 wurde die Kapitalmarktpublizität im europäischen Recht durch den Erlass einer neuen Generation von Kapitalmarktrichtlinien auf eine völlig neue Basis gestellt.

a) Regelpublizität

Die Regelpublizität findet ihre Grundlage in der Transparenz-RL sowie in den dazu im Rahmen des sogenannten Lamfalussy-Verfahrens erlassenen Durchführungsbestimmungen, insbesondere der Durchführungs-RL (RL 2007/‌14). Diese Richtlinien gelten für Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Gemäß Art. 4 der Transparenz-RL müssen die Emittenten Jahresfinanzberichte veröffentlichen, die aus dem geprüfte Jahresabschluss (soweit der Emittent unter den Anwendungsbereich der Konzernabschluss-RL [RL 83/‌349] fällt, ist dies ein IAS/‌IFRS-Abschluss im Einklang mit der IAS-VO [VO 1606/‌2002], ansonsten der Jahresabschluss nach nationalem Recht) und dem Lagebericht bestehen. Hinzu kommt ein sogenannter „Bilanzeid“, mit dem die verantwortlichen Personen versichern, dass der Abschluss ihres Wissens (to the best of their knowledge) ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und dass der Lagebericht die Lage so darstellt, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und dass er die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten beschreibt. Sodann verpflichtet Art. 5 zur Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten, die aus einem verkürzten Abschluss (Zwischenbericht nach IAS/‌IFRS bei Konzerngesellschaften, ansonsten ergeben sich die Anforderungen aus Art. 3 der Durchführungs-RL), einem Zwischenlagebericht sowie wiederum aus einem Bilanzeid bestehen. Schließlich sind gemäß Art. 6 Transparenz-RL in der ersten und zweiten Hälfte des Geschäftsjahrs Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung zu veröffentlichen, so dass das Anlegerpublikum vierteljährlich einen mehr oder weniger detaillierten Bericht über die Lage des Emittenten und seine finanzielle Situation erhält. Daneben sind die Emittenten gemäß Art. 16, 17 und 18 der Transparenz-RL verpflichtet, den Aktionären oder Schuldverschreibungsinhabern zusätzliche Informationen über ihre Rechte sowie über Haupt- und Gläubigerversammlungen zu erteilen.

Weitere wichtige Vorgaben für die Regelpublizität hat Art. 10 der Übernahme-RL (RL 2004/‌ 25, Übernahmerecht) gebracht. Danach müssen Gesellschaften, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind, im Lagebericht eine Vielzahl von Angaben aufführen über Umstände, die sich als strategisches Übernahmehindernis darstellen könnten.

Im Jahr 2006 wurden Art. 46a in die Jahresabschluss-RL (RL 78/‌660) und Art. 36a in die Konzernabschluss-RL eingefügt, die funktional ebenfalls der sekundärmarktrechtlichen Regelpublizität zuzurechnen sind, da sie allein auf Gesellschaften Anwendung finden, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind. Danach sind in den Lagebericht ergänzende Angaben zur Corporate Governance der betreffenden Emittenten aufzunehmen.

b) Ad hoc-Publizität

Damit es nicht zu Preisverzerrungen kommt, wenn in den Phasen zwischen der Regelberichterstattung wesentliche neue Ereignisse eintreten, die eine andere Bewertung des Finanzinstruments implizieren, sind die Emittenten nach Art. 6(1) der Marktmissbrauchs-RL (RL 2003/‌6) verpflichtet, solche Umstände, wenn sie davon unmittelbar betroffen sind, „so bald als möglich“ der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Diese Pflicht greift bereits ein, sobald sich herausstellt, dass ein bewertungsrelevanter Umstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eintreten wird. Zugleich stellt die Kenntnis eines solchen bewertungsrelevanten Umstands eine Insiderinformation dar, deren Nutzung Art. 2 und deren Weitergabe Art. 3 der Marktmissbrauchs-RL untersagen (Insidergeschäft).

Das Ziel der Markttransparenz wird allerdings nicht absolut gesetzt. So erlaubt Art. 6(2) der Marktmissbrauchs-RL den Emittenten, die Bekanntgabe auf eigene Verantwortung aufzuschieben, wenn ansonsten ihre berechtigten Interessen beschädigt werden könnten. Voraussetzung ist aber, dass die Unterlassung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen und der Emittent in der Lage ist, die Vertraulichkeit der Information zu gewährleisten.

Hinsichtlich der Einzelheiten der Veröffentlichung verweist Art. 2(1)(I) der Durchführungs-RL auf das Regime von Art. 20 und 21 Transparenz-RL. Dies zeigt die enge Verzahnung von ad hoc-Publizität und Regelpublizität.

c) Beteiligungspublizität

Eine etwas andere Zielrichtung als Regel- und ad hoc-Publizität hat die Beteiligungspublizität. Gemäß Art. 9 der Transparenz-RL muss ein Aktionär das Erreichen, Über- oder Unterschreiten der Schwellen von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 % der Aktien, an die Stimmrechte geknüpft sind, an den betreffenden Emittenten melden. Art. 10 erweitert diese Meldepflichten für Fälle, in denen der betreffende Anleger nicht die Aktien direkt, sondern sonstige Berechtigungen an den Stimmrechten erwirbt. Gemäß Art. 12(2) der Transparenz-RL (konkretisiert in Art. 8 und 9 der Durchführungs-RL) muss die Mitteilung an den Emittenten so rasch wie möglich, jedoch spätestens nach vier Tagen, erfolgen und ist sodann gemäß Art. 12(6) der Transparenz-RL vom Emittenten sobald er diese erhält, spätestens jedoch nach drei weiteren Handelstagen, zu veröffentlichen.

Neben den Meldepflichten der Aktionäre (und der Weiterleitungspflicht des Emittenten) besteht auch eine eigene Meldepflicht des Emittenten hinsichtlich des Erwerbs eigener Aktien. Nach Art. 14(1) der Transparenz-RL ist der Emittent zur unverzüglichen Meldung innerhalb von spätestens vier Tagen verpflichtet, wenn er hinsichtlich seines Bestands an eigenen Aktien die Schwellen von 5 oder 10 Prozent erreicht, über- oder unterschreitet.

Die Beteiligungspublizität weist eine enge Verzahnung mit dem Übernahmerecht auf, indem sie bereits im Vorfeld eines möglichen Kontrollerwerbs oder seiner Abwehr durch die Gesellschaft die Transparenz der Beteiligungsstruktur gewährleistet. Zugleich sind Kontrolltransaktionen besondere Anlässe in der Existenz börsennotierter Publikumsgesellschaften und die Kenntnis davon gleicht einer Insiderinformation. Häufig wird der Kontrollerwerb sogar eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen.

3. Kapitalmarkthaftung

a) Europarechtliche Vorgaben

Weitaus weniger detailliert sind die Vorschriften über die Kapitalmarkthaftung im Falle der Verletzung einer der vorerwähnten Pflichten. So verlangt Art. 7 der Transparenz-RL von den Mitgliedstaaten nur, dass diese die Verantwortung für die in Jahresfinanzberichten, Halbjahresfinanzberichten, Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung sowie in Mitteilungen nach Art. 16 veröffentlichten Informationen zumindest dem Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan zuweisen. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf diese verantwortlichen Personen anwendbar sind. Hinsichtlich der Sanktionen bei Verletzung der Beteiligungspublizität schweigt die Richtlinie dagegen. Gar keine expliziten Haftungsregeln enthält die Marktmissbrauchs-RL im Falle der Verletzung der Pflicht zur ad hoc-Publizität. In diesen Fällen können lediglich allgemeine effet utile-Prinzipien dazu führen, dass die Mitgliedstaaten zu einer haftungsrechtlichen Sanktionierung verpflichtet sind. So hat etwa Deutschland im Jahr 2002 spezielle Haftungsvorschriften bei Verletzung der ad hoc-Publizität eingeführt, um damit einem Vertragsverletzungsverfahren aufgrund zahlreicher Verstöße durch die Emittenten zuvorzukommen.

b) Mitgliedstaatliche Rechte

Das Recht der Mitgliedstaaten im Bereich der Kapitalmarkthaftung ist in Anbetracht dieser spärlichen Vorgaben und unterschiedlicher nationaler Traditionen im Deliktsrecht noch sehr heterogen (Prospekthaftung). Gewisse Veränderungen sind aber im Zuge der Umsetzung von Art. 7 der Transparenz-RL eingetreten. Während Deutschland sich auf den Standpunkt gestellt hat, die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe seien ausreichend, so dass die deutschen Gerichte in Zukunft im Wege der europarechtskonformen Auslegung zu einer effektiven Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht gelangen werden müssen, haben andere Mitgliedstaaten die Umsetzung zum Anlass für eine vollständige Revision ihres Kapitalmarkthaftungsrechts genommen. Insbesondere England hat sec. 90A und sec. 90B in den Financial Services and Markets Act 2000 eingefügt; und das Treasury hat im Anschluss an den Davies-Review eine umfassende Neuregelung der Sekundärmarkthaftung angekündigt, die neben der Regel- auch die ad hoc-Publizität umfassen soll. Zuvor war im englischen Recht eine Sekundärmarkthaftung weithin abgelehnt worden.

Frankreich und andere Länder wenden die deliktische Generalklausel des Art. 1382 Code civil an. Häufig werden dort Schadensersatzansprüche im Rahmen von Adhäsionsverfahren vor Strafgerichten geltend gemacht.

4. Internationales Privatrecht

Die Anknüpfung der Publizitätspflichten ist in den Richtlinien inzwischen ausdrücklich geregelt. So unterliegen die Emittenten hinsichtlich der durch die Transparenz-RL präformierten Pflichten dem Recht ihres „Herkunftsmitgliedstaates“. Dieser wird in Art. 2(1)(i) der Transparenz-RL legaldefiniert und bestimmt sich im Falle der Emission von Aktien nach dem Satzungssitz der emittierenden Aktiengesellschaft. Die ad hoc-Publizität richtet sich gemäß Art. 2 (1)(I) der Durchführungs-RL zur Marktmissbrauchs-RL (i.V.m. der Übergangsbestimmung in Art. 32 letzter UAbs. der Transparenz-RL) nach dem Regime von Art. 20 und 21 der Transparenz-RL, so dass auch hier der „Herkunftsmitgliedstaat“ im Sinne der Transparenzrichtlinie einschlägig ist.

Nicht geregelt ist dagegen die Anknüpfung der Kapitalmarkthaftung. Kapitalmarkthaftungsansprüche sind für die Zwecke des IPR deliktsrechtlich zu qualifizieren. Die Ansprüche fallen unter den Anwendungsbereich der Rom II-VO (VO 864/‌2007); insbesondere werden sie nicht von den Bereichsausnahmen in Art. 1(2)(c) und (d) erfasst. Im Schrifttum wird bislang meist die Anknüpfung an den Marktort (also den Belegenheitsort der betreffenden Börse) favorisiert. Seit der Einführung des Herkunftsstaatsprinzips durch die Transparenzrichtlinie sprechen aber die besseren Argumente dafür, akzessorisch an die verletzte Pflicht anzuknüpfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es den Mitgliedstaaten – jedenfalls im Bereich der Regelpublizität – weithin erlaubt ist, über die Anforderungen des Europarechts hinauszugehen. Eine Anwendung des Marktrechts müsste also die Besonderheiten des Herkunftsstaates im Sinne einer Sonderanknüpfung innerhalb des Tatbestands berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es überzeugender, eine engere Verbindung im Sinne von Art. 4(3) der Rom II-VO anzunehmen.

5. Entwicklungstendenzen

Nach der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen ist die europarechtliche Harmonisierung der Kapitalmarktpublizität zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Die aktuellen Aktivitäten beschränken sich auf die Feinabstimmung im Rahmen des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR). Großer Harmonisierungsbedarf besteht dagegen im Bereich der Haftung für fehlerhafte Publizitätsakte. Dieses Thema steht allerdings ebenfalls nicht auf der Tagesordnung der Kommission. Sollte es zu einem europaweiten Finanzskandal kommen, könnte sich dies schnell ändern.

Literatur

Klaus J. Hopt, Europäisches Kapitalmarktrecht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kernbereichen des Europäischen Privatrechts, 2000, 307 ff.; Hanno Merkt, Unternehmenspublizität, 2001; Klaus J. Hopt, Hans-Christoph Voigt (Hg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005; Michael Brellochs, Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des Europäischen Kapitalmarktrechts, 2005; Paul Davies, Davies Review of Issuer Liability: Final Report, <www.hm-treasury.gov.uk> (zuletzt abgerufen am 15.7.2009), 2007, Dagmar Pütz, Sanktionen wegen Verletzung der sekundärmarktbezogenen Kapitalmarktpublizität in Frankreich und England, Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 514 ff.; Paul L. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008, Kap. 26; Alexander Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008.