Kapitalanlegerschutz und Kapitalaufbringung und ‑erhaltung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Klaus J. Hopt]]''
von ''[[Rainer Kulms]]''
== 1. Begriff und Reichweite des Kapitalanleger­schutzes ==
== 1. Regelungszweck ==
Kapitalanlegerschutz ist seit Jahrhunderten die Reaktion auf Spekulation, Aktienschwindel und Börsenkräche; Schutzgesetze für Aktionäre und Börsenteilnehmer gibt es, seit es Aktiengesellschaften und Börsen gibt. Traditionell war der Kapitalanlegerschutz aber in erster Linie Aktionärsschutz ergänzt durch besondere Schutznormen für den Börsenhandel. ''Investor protection'', also übergreifend Schutz der Anleger bei Erwerb öffentlich angebotener Vermögensanlagen, ist umfassend erst in den USA in den 1930er Jahren mit der ''securities regulation'' unternommen worden. Kontinentaleuropäische Länder sind dem teilweise früh gefolgt, allen voran Großbritannien und Belgien, später Frankreich. Demgegenüber ist der Kapitalanlegerschutz als Begriff in Deutschland erst in den 1970er Jahren entwickelt worden (''Klaus J.'' ''Hopt'').
Zu den Kernmerkmalen der juristischen Person gehören ihre Rechtsfähigkeit, die auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung und das durch die Aktien oder den Geschäftsanteil vermittelte Recht des Anteilseigners, Gewinnausschüttungen zu beziehen. Die nationalen Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben – bei allen Unterschieden im Detail – eine Standardisierung der Rechte der Anteilseigner und des Verhältnisses zum Management herbeigeführt. Der Preis für eine Aktie oder einen Geschäftsanteil beschreibt das Maximum des unternehmerischen Risikos, das der Investor mit dem Erwerb einer Beteiligung eingeht. Die Gesellschaftsanteile sind grundsätzlich frei handelbar. Investoren können ausgewogene Portfoliostrategien entwickeln.


Der Erweiterung des Kapitalanlegerbegriffs vom Aktionär auf den Obligationär, den Anleger in Investmentzertifikaten und überhaupt den Erwerber von öffentlich angebotenen Vermögensanlagen entspricht die Ergänzung des Aktionärsschutzes mittels Aktien- bzw. Verbandsrecht durch einen zusätzlichen Kapitalanlegerschutz mittels Marktrecht, das nicht nur Börsenrecht, sondern allgemeiner [[Kapitalmarktrecht]] (einschließlich [[Übernahmerecht]]) ist. Dabei wird zwischen Kapitalanlegerschutz am Primärmarkt, also bei Ausgabe von Effekten, und am Sekundärmarkt, also beim Handel mit denselben, unterschieden.
Mit der beschränkten Haftung verbinden sich besondere Risikoanreizprobleme, die die Interessen der Kapitalgeber und ‑eigner und der Gläubiger der Korporation in unterschiedlichem Umfang berühren. Indem die Anteilseigner bei Anteilserwerb den maximalen Verlust ihres „Einsatzes“ ermitteln können, verändert sich die individuelle Risikoabneigung. Gelingt es den Anteilseignern, das Risiko einer unternehmenspolitisch bedenklichen Entscheidung auf die Gläubiger umzulenken, stellt sich ein Zielkonflikt zwischen notwendigen Innovationsinvestitionen, unerwünschter Perpetuierung unrentabler Unternehmen und dem Gläubigerschutz ein. Die Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten haben auf diese Herausforderung mit einem doppelten Sicherungsmechanismus reagiert. Vorschriften zur Aufbringung des satzungsmäßig festgelegten Kapitals werden durch Normen zur Kapitalerhaltung ergänzt. Im Ausgangspunkt ist es eine Frage der Praktikabilität, ob Korporationen auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verpflichtet werden oder Haftungsregeln die Unterschreitung des durch Satzung festgelegten Grundkapitals sanktionieren. Hierbei sind auch Informationskosten zu reduzieren. Die Gläubiger können das mit einer Haftungsbeschränkung verbundene Risiko nur beherrschen, wenn sie in der Korporation einen Vertragspartner mit ausreichendem Eigenkapital vorfinden.


Zum Kapitalanlegerschutz im weiteren Sinne gehört auch der Einlegerschutz, obschon juristisch zwischen Aktionärs- und Gläubigerschutz unterschieden wird. Für den Anleger macht es wenig Unterschied, ob er risikoscheu seine Ersparnisse der Bank auf ein Sparkonto gibt oder sich für eine Anlage zusammen mit anderen in einem Fonds entscheidet oder schließlich – am riskantesten und zugleich langfristig renditeträchtigsten – Aktien kauft. Das gilt umso mehr, als auch beim Erwerb von Aktien Stadien der bloßen Bankgläubigerschaft auftreten. Erweitert man den Blick auf die Regeln für Solidität und ordnungsgemäßes Verhalten der Banken und Finanzintermediäre, die ebenfalls den Anlegern und Einlegern zugute kommen, kommt zum Aktien- und Marktrecht auch das Bank- und Finanzintermediärrecht hinzu.
Normen über ein Mindeststammkapital lösen den potentiellen Gegensatz zwischen Anteilseignern und Gläubigern mit Hilfe einer ''property rule'' auf; Haftungsregeln entsprechen einer ''liability rule''. Von dieser Unterscheidung sind gedanklich die Regelungsprobleme zu trennen, die bei Gesellschaften in Insolvenznähe auftreten. Soweit eine Insolvenzantragspflicht in Bezug zur Unterschreitung des gesetzlichen Mindeststammkapital gesetzt wird, ist der Gläubigerschutz von einer ''ex ante''-Perspektive bestimmt. Haftungsnormen, die Handlungspflichten für in einer Gesellschaft Verantwortlichen begründen, greifen auf einen von einer ''ex post''-Perspektive bestimmten Lösungsansatz zurück.


== 2. Funktionen des Kapitalanleger­schutzes, Corporate Governance ==
Die regulierungspolitische Diskussion in der Europäischen Gemeinschaft über das geeignete Instrumentarium verläuft zweigeteilt. Während die Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Schutzbestimmungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 13.12.1976 (Zweite gesellschaftsrechtliche RL (RL 77/‌91) für [[Aktiengesellschaft]]en am Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals festhält, fehlt für Gesellschaften mit beschränkter Haftung ([[Gesellschaft mit beschränkter Haftung|GmbH]]) und Privatgesellschaften ([[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäische Privatgesellschaft]]) eine vergleichbare Regelung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts. Dort wird die Diskussion um die Kapitalaufbringung und ‑erhaltung wesentlich durch den vom [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] ausgelösten Regulierungswettbewerb bestimmt.
Beim Kapitalanlegerschutz werden Individualschutz und Funktionenschutz unterschieden. Individualschutz der Anleger findet typischerweise im Aktienrecht statt, wenn dem einzelnen Aktionär oder einer Aktionärsminderheit Rechte innerhalb des Verbandes (''voice'') oder am Markt (''exit'', Kauf und Verkauf) eingeräumt werden. Individualschutz beinhaltet aber typischerweise zugleich auch Funktionenschutz, also Schutz des Kapitalmarkts und letztlich der Wirtschaft. Dabei handelt es sich um zwei Seiten derselben Medaille. Zentral dabei ist das Vertrauen der Anleger, wie aus der Aktien- und Börsengeschichte vielfältig bekannt ist – man denke historisch nur an die Amsterdamer Tulpenspekulation, den ''South Sea Bubble'' oder die Mississippigesellschaft – und was zuletzt wieder in der Finanzmarktkrise 2008/‌2009 überdeutlich geworden ist. Man kann insoweit auch von Vertrauensindividualschutz und Vertrauenskollektivschutz sprechen (''Holger'' ''Fleischer''). In der neueren Gesetzgebung zieht es der Gesetzgeber häufig vor, die Anleger nur über den Funktionenschutz, also ohne individuelle Rechte, zu schützen, so wenn er nur für Transparenz und Manipulationsfreiheit der Kapitalmärkte oder für ein strenges Bankaufsichtsrecht sorgt. Dahinter steht allerdings, selten zugegeben, auch die Furcht vor unüberschaubaren finanziellen Risiken insbesondere der öffentlichen Hand und vor Überflutung der Gerichte durch Prozesse. Richtig ist jedenfalls, dass Kapitalanlegerschutz wie jeder Schutz nicht überzogen werden darf, weil er sonst dysfunktional wirkt. Schutz gegen den Willen des Anlegers ist fehl am Platz, überzogene Transparenz macht unnötige Kosten, zu hoher Schutz bei Übernahmen verhindert auch im Interesse der Aktionäre und Wirtschaft sinnvolle Übernahmen, und an der Börse muss es Segmente mit geringeren Anforderungen für Einsteiger-Unternehmen geben.


Dass Kapitalanlegerschutz für Kapitalmarkt und Wirtschaft relevant ist, ist eine alte Einsicht. Neuerdings wird aber von US-amerikanischen Ökonomen (''Rafael'' ''La Porta'', ''Florencio'' ''Lopez de Silanes'', ''Andrei'' ''Shleifer'', ''Robert'' ''Vishny'': LLSV) weitergehend postuliert, dass zwischen gutem Kapitalanlegerschutz und finanzieller Entwicklung eines Landes ein empirisch nachweisbarer Zusammenhang bestehe: „(L)egal protection of outside investors limits the extent of expropriation of such investors by corporate insiders, and thereby promotes financial development.“ (''La Porta'' et al.) Daraus wird die Überlegenheit der angelsächsischen Rechtsordnung gegenüber den kontinentaleuropäischen Rechtsfamilien, insbesondere aber der romanischen, gefolgert, was in den USA selbst, vor allem aber in Europa hoch kontrovers diskutiert wird. Fraglich ist insbesondere, in welche Richtung die Kausalität geht, vom Kapitalanlegerschutz zur Finanzentwicklung eines Landes oder umgekehrt. Allerdings wird unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise eingeräumt, dass diese Thesen zu Kapitalanlegerschutz, Markt, Wettbewerb und Globalisierung eine offene, bisher theoretisch und empirisch nicht bewältigte Flanke in Krisensituationen haben.
== 2. Europäisches Recht (Aktien­gesellschaften) ==
Die Zweite Gesellschaftsrechtliche RL verpflichtet die Aktiengesellschaften auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Zielgruppe der Richtlinie sind nach Art. 6(3) mittlere und größere Unternehmen. Die Begründungserwägungen stellen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den aktienrechtlichen Gründungsvorschriften, Regeln zur Kapitalaufbringung und ‑erhaltung und den Interessen der Aktionäre und der Gläubiger her. Ziel der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung sei ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit beim dem Schutz der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft. Der Errichtungsakt der Gesellschaft müsse jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, sich über die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft und die genaue Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals zu unterrichten.


Der Kapitalanlegerschutz ist nicht dasselbe wie ''[[Corporate Governance]]'', auch wenn es Überschneidungen gibt. Die ''Corporate Governance'' betrifft nicht nur die Aktionäre und Anleger (''shareholders''), sondern auch andere an guter Unternehmensführung Interessierte (''stakeholders''). Auch geht es bei der ''Corporate Governance'' nicht nur um Personen- oder Gruppenschutz, sondern auch unabhängig davon um richtige Unternehmensführung. Während Kapitalanlegerschutz in erster Linie eine rechtliche Kategorie ist, ist ''Corporate Governance'' daher schon im Ansatz gebietsübergreifend und auf Interdisziplinarität angelegt.
Nach dem Verständnis der Richtlinie ist das Kapital der Aktiengesellschaft zugleich Eigenkapital und Risikokapital. Das Gesellschaftskapital soll als Sicherheit für die Gläubiger erhalten werden. Die Richtlinie setzt stillschweigend voraus, dass für die Normen des Mindeststammkapitals ein Regelungsbedarf besteht. Auch nach der Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie im Jahre 2006 hält das Europäische Gemeinschaftsrecht an dem Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals für börsen- und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften fest: Das gesetzliche Mindestkapital liegt bei EUR 25.000,- doch können die Mitgliedstaaten höhere Mindestbeträge festsetzen. Die Satzung oder das Gründungsprotokoll geben an, in welchem Umfang das gezeichnete Kapital tatsächlich eingezahlt worden ist. Zum Zeitpunkt der Geschäftsaufnahme der Aktiengesellschaft müssen mindestens 25 % des Nennbetrags der Aktien eingezahlt sein. Sacheinlagen sind zulässig. Ausschüttungen an die Aktionäre sind an eine zweifache Bedingung geknüpft: Dividenden und Zinsen für Aktien dürfen nur gezahlt werden, wenn sie das Ergebnis des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres nicht unterschreiten. Dabei ist der Betrag des Ergebnisses um den Gewinnvortrag und die Entnahmen aus früheren Rücklagen zu erhöhen, während Verluste aus früheren Jahren und Beträge für Rücklagen ergebnismindernd wirken. Aktionäre, die eine Ausschüttung empfangen, sind zur Rückzahlung verpflichtet, wenn der Nachweis gelingt, dass ihnen der Verstoß gegen die Ausschüttungsregeln bekannt war oder sie nach den Umständen hiervon Kenntnis haben mussten. In der Vergangenheit waren diese Regeln in Bezug zu den nationalen Bilanzierungsvorschriften zu setzen. Faktisch entschieden der Stellenwert des Gläubigerschutzes und der Wunsch nach Transparenz gegenüber potentiellen Investoren, in welchem Umfang in den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Gewinnermittlung drohende Verbindlichkeiten und noch nicht realisierte Erträge berücksichtigt werden durften. Mit der Einführung der ''International Accounting Standards'' (''International Financial Reporting Standards'') haben sich die Gewichte verschoben. Gegenwärtig wird diskutiert, ob der von den ''International Accounting Standards'' ausgehenden Tendenz zur verstärkten Aktivierung mit bilanziellen Ausschüttungssperren oder einem weitergehenden Solvenztest zu begegnen ist. Droht der Verlust des gezeichneten Kapitals, hat eine Hauptversammlung zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen – etwa eine Kapitalerhöhung – einzuleiten sind. Eigene Aktien darf die Gesellschaft nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen zurückkaufen. Einlagen auf Aktien, die anlässlich einer Kapitalerhöhung ausgegeben werden, müssen ebenfalls in Höhe von mindestens 25 % des Nennbetrags geleistet werden.


== 3. Typische Anlegerrisiken ==
Die Zweite gesellschaftsrechtliche RL hat sich nicht zum Ziel gesetzt, für Aktiengesellschaften das Recht der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung abschließend zu regeln. Nationale Normen, die das Verbot der Einlagenrückgewähr konkretisieren, bleiben zulässig. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass vermeintliche oder tatsächliche Schutzdefizite nicht automatisch einen Freiraum zur Fortentwicklung von Schutzkonzeptionen eröffnen, die sich aus der Sicht einzelner Mitgliedstaaten bewährt haben. Auch das Fehlen geschriebener gemeinschaftsrechtlicher Normen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts eröffnet den Regulierungswettbewerb zwischen den nationalen Rechtsordnungen. Selbst wenn Pfadabhängigkeiten einen derartigen Wettbewerb im Hinblick auf Aktiengesellschaften hemmen sollten, nimmt auf nationaler Ebene der Rechtfertigungsdruck gleichwohl zu, sobald einseitige Maßnahmen die Wettbewerbsposition einer nationalen Gesellschaftsrechtsordnung zu schwächen drohen. Nicht zufällig heben die Begründungserwägungen der Richtlinie zur Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie ausdrücklich die Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als Politikziel neben dem Aktionärs- und Gläubigerschutz hervor.
Keine Kapitalanlage ist ohne Risiken. Typische Anlegerrisiken sind das Risiko der Substanzerhaltung, das Informationsrisiko, das Abwicklungs- und Verwaltungsrisiko, das Interessenvertretungsrisiko und das Konditionenrisiko (''Klaus J.'' ''Hopt''). Man kann auch mit der britischen ''Financial Services Authority'' von „prudential risk, bad faith risk, complexity or unsuitability risk und performance risk“ sprechen, zu dem noch das Marktsystemrisiko hinzutritt (''Holger Fleischer''). Im Kern geht es um Information und Überwachung.


Das Hauptrisiko des Anlegers ist historisch die Gefahr, die Anlage oder Einlage bei der Gesellschaft oder dem Finanzintermediär teilweise oder ganz einzubüßen. Veruntreuungen und Zusammenbrüche von Aktiengesellschaften (z.B. ''Enron'' oder ''Parmalat'') oder von Banken und Finanzintermediären (z.B. Neuer Markt, ''Lehman Brothers'' 2008) sind aber nur die krasseren Formen des Substanzrisikos. Weniger transparente Formen sind in der Aktiengesellschaft z.B. Missachtung der Aktionärsrechte, Verschiebung von Vermögen und Gewinnen durch kontrollierende Aktionäre bzw. zwischen den Gesellschaften im Konzern (sogenanntes ''tunnelling) ''Aushungern und Hinausdrängen.
== 3. Gesellschaften mit beschränkter Haftung und andere Privatgesellschaften ==
Indem die Zweite gesellschaftsrechtliche RL Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Privatgesellschaften aus ihrem Anwendungsbereich herausnimmt, lässt sie den nationalen Gesellschaftsrechtssystemen großen Spielraum für eigenständige Entwicklungen. Im Bereich der privaten, nicht börsennotierten Gesellschaften hat sich lange Zeit ein Status quo zwischen mehreren Formen der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung erhalten, der von Pfadabhängigkeit und nationalen Gesellschaftsrechtstraditionen geprägt ist. Dem kontinentaleuropäischen System der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung auf der Grundlage eines gesetzlich festgelegten Mindeststammkapital stand das englische System des Kapitalschutzes bei der ''Private Limited Company'' gegenüber, das auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verzichtet und sich im wesentlichen auf Solvenztests und die Sanktionsmechanismen der ''wrongful trading''-Regel bei Insolvenznähe verlässt. Erst die ''Centros''-Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-212/‌97 – ''Centros'', Slg. 1999, I-1459; Rs. C-208/‌00 – ''Überseering'', Slg. 2002, I-9919; Rs. C-167/‌01 – ''Inspire Art'', Slg. 2003, I-10159) zur [[Niederlassungsfreiheit]] von Gesellschaften hat Bewegung in die europäische Diskussion um den Kapitalschutz gebracht. So haben die Niederland mit der jüngsten Reform des Rechts der ''Besloten Vennootschap'' (B.V.) das gesetzliche Mindestkapital abgeschafft. Nunmehr sichert ein kombinierter Bilanz- und Solvenztest das Kapital und die Interessen der Gläubiger. Haftungsrechtliche Normen, die sich aus einer ''ex post''-Perspektive an die Verantwortlichen der Gesellschaft wenden, sollen Kapitalschutz gewährleisten. Ähnliche Überlegungen liegen dem Kommissionsentwurf für eine Europäische Privatgesellschaft zugrunde. Die Novelle zum deutschen GmbH-Recht aus dem Jahre 2008 hält zwar noch an dem gesetzlichen Mindeststammkapital für ‚reguläre’ Gesellschaften fest, lockert aber gleichzeitig das Konzept des Kapitalschutzes durch ''property rules'' auf, indem sie auch Unternehmergesellschaften zulässt, die erst im Laufe der Zeit ein ausreichendes Haftkapital aufbauen. Im Hinblick auf die Entwicklungen in den Niederlanden und im englischen Recht ist festzuhalten, dass auch das deutsche Recht zögernd erste Schritte in Richtung auf einen Solvenztest unternimmt, um die Verantwortlichkeiten der Geschäftsführung bei Insolvenznähe einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu präzisieren.


Anleger bedürfen der Information in der Aktiengesellschaft selbst, vor allem aber auch bei der Kapitalanlage und im Rahmen der jeweiligen Kapitalanlageform (Informationsrisiko). Ohne [[Publizität]] können sie weder ihrer Rechte als Aktionäre in der Aktiengesellschaft noch ihr Recht zum Verkauf der Aktie und zur Wiederanlage in einer anderen Anlageform vernünftig wahrnehmen. Anleger sind bei selbständiger Anlageentscheidung typischerweise überfordert und bedürfen der durch Interessenkonflikte nicht fehlgeleiteten Aufklärung und Beratung durch [[Finanzintermediär]]e.
== 4. Ausblick ==
Das Statut über die ''Societas Europaea'' ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)]]Europäische Aktiengesellschaft) verzichtet nicht auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Die Begründungserwägungen zu dem Statut führen aus, mit Hilfe eines Mindeststammkapitals in Höhe von EUR 120.000,- solle eine sinnvolle Unternehmensgröße für gemeinschaftsweit tätige Unternehmen sichergestellt werden, ohne für kleinere und mittlere Unternehmen die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft zu erschweren. Der Entwurf für ein Statut für die Europäische Privatgesellschaft gibt dagegen das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals auf. Hierbei geht es vordergründig nur um die Frage, ob sich getrennte Normen für börsen- und nicht börsennotierte Unternehmen empfehlen. Im Kern sind an dieser Stelle die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzschutz zu untersuchen.


Das Abwicklungs- und Verwaltungsrisiko kann sich in den verschiedensten anlegerschädigenden Praktiken bei Durchführung eines Effektengeschäfts für den Kunden (z.B. unnötige Transaktionen für den Kunden, sogenanntes ''churning''), aber auch unabhängig von einem bestimmten Effektengeschäft (z.B. Kurs- und [[Marktmanipulation]]) niederschlagen.
Die von der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] eingesetzte hochrangige Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts kritisiert, ein gesetzlich festgelegtes Mindeststammkapital gebe nur sehr ungenau Aufschluss über die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Schulden zu bezahlen. Überdies ließen die Veränderungen in den Rechnungslegungsgrundsätzen immer weniger eine Schlussfolgerung zu, in welchem Umfang ein Unternehmen aktuelle und künftige Verbindlichkeiten bezahlen könne. Der Befund der Expertengruppe gipfelt in dem Vorschlag, ein alternatives System zum Schutz der Gläubiger und Aktionäre zu erarbeiten. An die Stelle des Mindestkapitalkonzepts solle eine Solvenzprüfung treten, die Ausschüttungen an die Aktionäre nur zulasse, wenn die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens nicht gefährdet sei. Einer Solvenzprüfung solle jede Ausschüttung von Dividenden und andere Zahlung (einschließlich der Aktienrückkäufe und Kapitalherabsetzungen mit Rückzahlungen an Aktionäre) unterworfen werden. Dabei setze sich eine derartige Solvenzprüfung aus zwei Elementen zusammen: Die Prüfung der Bilanz und des Nettovermögens sei um eine Liquiditätsprüfung oder einen Vergleich des Umlaufvermögens mit den kurzfristigen Verbindlichkeiten zu ergänzen. Prononcierter fällt der Befund einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von ''Jonathan Rickford'' zur Reform der gesetzlichen Mindestkapitalbestimmungen für Aktiengesellschaften aus: Faktisch würden die Gläubiger sich nicht auf die Einhaltung der Vorschriften zum Kapitalschutz verlassen, da die heutigen Rechnungslegungsvorschriften keine genaue Entscheidungsgrundlage mehr für Ausschüttungsentscheidungen lieferten. Stattdessen wird ähnlich wie schon von der Hochrangigen Expertengruppe die Einführung eines zweistufigen Solvenztests vorgeschlagen, der die Zahlungsfähigkeit angesichts der Kreditverpflichtungen und der laufenden Verbindlichkeiten für das folgende Geschäftsjahr überprüft. Langfristig wird das Gemeinschaftsrecht auch für Aktiengesellschaften die Trennung zwischen Gesellschaftsrechts und Insolvenzrecht überwinden müssen, um durch ''liability rules'' die in einer Korporation Verantwortlichen auf einen wirksamen Kapitalschutz zu verpflichten. Diese haftungsrechtlichen Zusammenhänge werden von der rechtswissenschaftlichen Diskussion auch in den Mitgliedstaaten anerkannt, die sich traditionell dem Konzept des festen Kapitals verpflichtet fühlen. Einer Abkehr vom System des festen Kapitals wird mit einer Kosten-Nutzen-Analyse begegnet. Unter Hinweis auf die traditionelle Verankerung des festen Kapitals in den romanischen und germanischen Rechten wird dessen Beitrag zur soliden Unternehmensführung hervorgehoben. Die Präventivfunktion des Grundkapitals wird als erhaltungsbedürftig verteidigt, die ihren Ausdruck in Ausschüttungssperren und Handlungspflichten der Unternehmensführung bei Insolvenznähe finden soll.
 
Beim Interessenvertretungsrisiko geht es darum, dass die Bank bei Ausübung der Stimmrechtsvollmacht, der Stimmrechtsvertreter in der Gesellschaft oder andere treuhänderisch für den Anleger auftretende Personen den Anleger bestmöglich vertreten. Das ist bei Interessenkonflikten nicht gewährleistet.
 
Beim Konditionenrisiko geht es um die Preisgestaltung durch Gesellschaften, Banken und Finanzintermediäre und in zweiter Linie auch um die Freizeichnung für Haftung aus mangelhafter Leistung bzw. unvollkommener und unrichtiger Beratung.
 
== 4. Rechtliche und außerrechtliche Schutzinstrumente ==
Kapitalanlegerschutz kann wie überhaupt der Schutz von Schwächeren, etwa von Verbrauchern, auf vielfältige, teils rechtliche, teils außerrechtliche Weise betrieben werden. Der beste Schutz des Anlegers ist Selbstverantwortung, wobei allerdings die Erkenntnisse der modernen ''behavioural finance'' berücksichtigt werden sollten. Besonders deutlich ist das beim Konditionenrisiko. Dieses ist, jedenfalls was die wichtigste Kondition, den Preis, angeht, weitestgehend dem Markt überlassen und findet äußerste Grenzen nur etwa im Wucherverbot. Auch was die Aufklärung und Beratung der Anleger angeht, ist die Selbstverantwortung des mündigen Anlegers jedenfalls der Ausgangspunkt. Dieser kann die Aufklärung und Beratung ablehnen oder sich trotz derselben für eine riskante Anlage in der Hoffnung auf entsprechende Rendite entscheiden. Der (kollektiven) Selbstverantwortung stehen außerrechtliche Schutzinstrumente nahe, wie ''codes of conduct'' und [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|private Rechtsetzung]] zeigen.
 
Rechtlich am wenigsten weit gehen Vorschriften zu Transparenz und Publizität, die dem Aktionär und dem Markt die Möglichkeit geben, selbst zu beurteilen, wie es um die Aktiengesellschaft und die Aktienanlage steht. Publizitätsvorschriften haben eine lange Tradition, die bei Aktiengesellschaften auf die ''Gladstone''’schen Reformen von 1844 und bei Börse und Kapitalmarkt wesentlich auf die US-amerikanische ''securities regulation'' der 1930er Jahre zurückgeht. Publizität ist nur so gut, wie verlässlich sie ist. Die Pflichtprüfung trägt deshalb zum Vertrauen der Anleger und Öffentlichkeit bei.
 
Rechtliche Schutznormen verschiedenster Art finden sich im Aktien- und Verbandsrecht (''voice''), im Börsen- und Kapitalmarktrecht (''exit''), im Recht der Banken und Finanzintermediäre einschließlich des Investmentrechts und im Bank- und Kapitalmarktaufsichtsrecht. Hierher gehören auch Einlegerschutzregeln und Versicherungslösungen sowie allgemeiner marktstrukturelle Regelungen zu Marktzulassung, Marktverhalten, Wettbewerb, Trennbanksystem u.a.
 
Über alledem darf nicht vergessen werden, dass die Kapitalanleger auch durch allgemeines Zivilrecht geschützt werden, etwa durch die Bewehrung von aktien- und kapitalmarktrechtlichen Verhaltenspflichten durch Schadensersatzpflichten oder Schutz gegen vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, und dass die Rechtsschutz- und ‑durchsetzungsmöglichkeiten in einem Rechtsystem, namentlich durch die Gerichte, eine zentrale Rolle spielen. Das ist zumal für einschlägige Reformen in Schwellenländern in Rechnung zu stellen.
 
== 5. Europäische Rechtsangleichung zum Aktionärsschutz ==
Die europäische Rechtsangleichung zum Schutz der Kapitalanleger als Aktionäre ist durch zahlreiche Gesellschaftsrechtsangleichungs-Richtlinien erfolgt, die im Wesentlichen das Recht der Aktiengesellschaft regeln. Anders als bei der Börsen- und Kapitalmarktrechtsangleichung, die umfassend ist, greift die europäische Gesellschaftsrechtsangleichung jedoch bisher deutlich kürzer, wobei umstritten ist, ob das wirtschaftlich gut ([[Wettbewerb der Rechtsordnungen]]) und europarechtlich nicht sogar geboten ist (Subsidiaritätsprinzip). Festzustellen ist jedenfalls, dass weder die GmbH noch erst recht die Publikumsgesellschaften, die im deutschen Recht durch ein richterrechtlich entwickeltes Sonderschutzrecht geregelt sind, und noch nicht einmal alle Aktiengesellschaften, sondern im Wesentlichen nur die börsennotierten, erfasst sind. Selbst bei den letzteren sind Kernbereiche des Aktien- und Aktionärsschutzrechts, wie z.B. das Recht der Organe ([[Aufsichtsrat/Board/Vorstand|Aufsichtsrat/''Board''/Vorstand]]), Hauptversammlungszuständigkeiten und Konzernrecht, europäisch nicht oder nur punktuell geregelt. Die Absichten der Kommission, eine fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft und eine neunte über Konzernrecht zu erlassen, sind zwischenzeitlich aufgegeben worden. Zu Einzelheiten und weiteren Rechtsquellen zum Kapitalanlegerschutz durch europäisches Gesellschaftsrecht siehe [[Gesellschaftsrecht]] und [[Aktiengesellschaft]].
 
Soweit die Gesellschaftsrechtsangleichung reicht, bezweckt sie unmittelbar oder mittelbar auch den Schutz der Aktionäre. Beispiele sind die 2. Richtlinie vom 13.12.1976 (RL 77/‌91), die sogenannte Kapital-RL, die rechtspolitisch umstritten für Aufbringung und Erhaltung eines Mindestkapitals sorgt, die 4. und 7. Richtlinie vom 25.7.1978 (RL 78/‌660) und 13.6.1983 (RL 83/‌ 349) über die einfache und die konsolidierte Rechnungslegung, die 8. Richtlinie über die Pflichtprüfung vom 10.4.1984 (RL 84/‌253), die durch die Richtlinie vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen (RL 2006/‌43) ersetzt wurde, die IFRS-Verordnung vom 19.7.2002 (VO 1606/‌ 2002) und die beiden Empfehlungen zum Aufsichtsrat vom 14.12.2004 zur Vergütung von Organen (2004/‌913) samt Ergänzungs-Empfehlung vom 30.4.2009 (SEK(2009) 580, SEK(2009) 581) und vom 15.2.2005 zu den Direktoren und Ausschüssen des Verwaltungs-/‌Aufsichtsrats (2005/‌ 162). Hier ist auch die Richtlinie vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (RL 2007/‌36) zu nennen. Eine Vorstellung darüber, was die Europäische Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der ''Corporate Governance'' in der EU geplant hatte, gibt der auf die Vorarbeiten der ''High Level Group of Company Law Experts'' zurückgehende Aktionsplan der Kommission vom 21.5.2003, dessen erste Stufe weitestgehend umgesetzt ist, während unter der derzeitigen Kommission die weiteren Stufen ausgesetzt sind. Für Einzelheiten dazu siehe ''[[Corporate Governance]]''.
 
== 6. Europäische Rechtsangleichung zum Schutz der Kapitalanleger ==
Die europäische Rechtsangleichung zum Schutz der Kapitalanleger außerhalb des Verbands und des Aktionärsschutzes ist sehr weit fortgeschritten. Sie betraf zunächst das Börsenrecht mit vier Richtlinien 1979, 1980, 1982 und 1988 zur Börsenzulassung (RL 79/‌279), zu den Börsenzulassungsprospekten (RL 80/‌390), zur Zwischenberichterstattung (RL 82/‌121) und zu den bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen (RL 88/‌627). Diese Richtlinien wurden 2001 in der sogenannten Börsennotierungs-RL (RL 2001/‌ 34) zusammengefasst. Einzelheiten und weitere Rechtsquellen zum Kapitalanlegerschutz durch europäisches Börsenrecht siehe [[Börsen]].
 
Bei der weiteren europäischen Rechtsangleichung verlagerte sich der Akzent von der Börse zum Kapitalmarkt. Schon 1993 war dazu die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie ergangen. Sie wurde dann durch die RL 2004/‌39 vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente (Finanzmarkt-RL bzw. MiFID, ''Markets in Financial Instruments Directive'') abgelöst, die das Grundgesetz des europäischen Finanzmarktrechts geworden ist. Sie wurde in Deutschland durch das Finanzmarktrichtlinien-Umsetzungsgesetz vom 16.7.2007 (FRUG) umgesetzt. Weitere wichtige Richtlinien zur Beförderung des Kapitalanlegerschutzes regeln das Insiderrecht, das Verbot der Marktmanipulation und das Übernahmerecht. Einzelheiten und weitere Rechtsquellen zum Kapitalanlegerschutz durch europäisches Kapitalmarktrecht siehe [[Kapitalmarktrecht]].


==Literatur==
==Literatur==
''Klaus J. Hopt'', Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, Gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute, 1975; ''Richard M. Buxbaum'', ''Klaus J. Hopt'','' ''Legal Harmonization and the Business Enterprise – Corporate and Capital Market Law Harmonization Policy in Europe and the USA, 1988; ''Susanne Kalss'','' ''Anlegerinteressen: Der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2001; ''Holger Fleischer'', ''Hanno Merkt'','' ''Empfiehlt es sich im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Gutachten F und Gutachten G, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des vierundsechzigsten Deutschen Juristentages, Bd. I, 2002; ''High Level Group of Company Law Experts'','' ''Report on Issues Related to Takeover Bids (Report I) and A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe (Report II): Reports of the High Level Group of Company Law Experts, European Commission, Brussels, 10 January 2002 and 4 November 2002, auch in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, Jaap Winter, Eddy Wymeersch (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex 2, 825 ff. und Annex 3, 925 ff.; ''Paul Frentrop'', A History of Corporate Governance 1602–2002, 2003; ''Guido Ferrarini'','' Eddy Wymeersch'' (Hg.), Investor Protection in Europe, 2006; ''Stefan Grundmann'', ''Florian Möslein'', European Company Law, 2007; ''Klaus J. Hopt'','' Eddy Wymeersch'' (Hg.), European Company and Financial Law: Texts and Leading Cases, 4. Aufl. 2007; ''Klaus J. Hopt'', Comparative Company Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann'' ''(Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2008, 1162 ff.; ''Rafael La Porta'', ''Florencio Lopez de Silanes'', ''Andrei Shleifer'', The Economic Consequences of Legal Origins, Journal of Economic Literature 2008, 285 ff.
''Jaap Winter'', ''José Maria Garrido Garcia'', ''Klaus J. Hopt'', ''Jonathan Rickford'', ''Guido Rossi'', ''Jan Schans Christensen'', ''Joelle Simon'' (The High Level Group of Company Law Experts) (Hg.), Report on A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, 2002; ''Karsten Schmidt'', Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; ''Stefan Grundmann'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004; ''Jonathan Rickford'' (Hg.), Reforming Capital – Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, European Business Law Review 15 (2004) 920 ff.; ''Mathias Habersack'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; ''Marcus Lutter'' (Hg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Sonderheft 17 (2006); ''Ulrich Seibert'', Close Corporations: Reforming Private Company Law, European Business Organization Law Review 8 (2007) 83 ff.; ''Peter Hommelhoff'', Die „Europäische Privatgesellschaft“ am Beginn ihrer Normierung, 2007; ''Ulrich Noack'','' Michael Beurskens'', Modernising the German GmbH, European Business Organization Law Review 9 (2008) 97ff.; ''Horst Eidenmüller'', ''Wolfgang Schön'' (Hg.), The Law and Economics of Creditor Protection, 2008.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Investor_Protection]]
[[en:Legal_Capital]]

Version vom 28. September 2021, 17:47 Uhr

von Rainer Kulms

1. Regelungszweck

Zu den Kernmerkmalen der juristischen Person gehören ihre Rechtsfähigkeit, die auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung und das durch die Aktien oder den Geschäftsanteil vermittelte Recht des Anteilseigners, Gewinnausschüttungen zu beziehen. Die nationalen Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben – bei allen Unterschieden im Detail – eine Standardisierung der Rechte der Anteilseigner und des Verhältnisses zum Management herbeigeführt. Der Preis für eine Aktie oder einen Geschäftsanteil beschreibt das Maximum des unternehmerischen Risikos, das der Investor mit dem Erwerb einer Beteiligung eingeht. Die Gesellschaftsanteile sind grundsätzlich frei handelbar. Investoren können ausgewogene Portfoliostrategien entwickeln.

Mit der beschränkten Haftung verbinden sich besondere Risikoanreizprobleme, die die Interessen der Kapitalgeber und ‑eigner und der Gläubiger der Korporation in unterschiedlichem Umfang berühren. Indem die Anteilseigner bei Anteilserwerb den maximalen Verlust ihres „Einsatzes“ ermitteln können, verändert sich die individuelle Risikoabneigung. Gelingt es den Anteilseignern, das Risiko einer unternehmenspolitisch bedenklichen Entscheidung auf die Gläubiger umzulenken, stellt sich ein Zielkonflikt zwischen notwendigen Innovationsinvestitionen, unerwünschter Perpetuierung unrentabler Unternehmen und dem Gläubigerschutz ein. Die Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten haben auf diese Herausforderung mit einem doppelten Sicherungsmechanismus reagiert. Vorschriften zur Aufbringung des satzungsmäßig festgelegten Kapitals werden durch Normen zur Kapitalerhaltung ergänzt. Im Ausgangspunkt ist es eine Frage der Praktikabilität, ob Korporationen auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verpflichtet werden oder Haftungsregeln die Unterschreitung des durch Satzung festgelegten Grundkapitals sanktionieren. Hierbei sind auch Informationskosten zu reduzieren. Die Gläubiger können das mit einer Haftungsbeschränkung verbundene Risiko nur beherrschen, wenn sie in der Korporation einen Vertragspartner mit ausreichendem Eigenkapital vorfinden.

Normen über ein Mindeststammkapital lösen den potentiellen Gegensatz zwischen Anteilseignern und Gläubigern mit Hilfe einer property rule auf; Haftungsregeln entsprechen einer liability rule. Von dieser Unterscheidung sind gedanklich die Regelungsprobleme zu trennen, die bei Gesellschaften in Insolvenznähe auftreten. Soweit eine Insolvenzantragspflicht in Bezug zur Unterschreitung des gesetzlichen Mindeststammkapital gesetzt wird, ist der Gläubigerschutz von einer ex ante-Perspektive bestimmt. Haftungsnormen, die Handlungspflichten für in einer Gesellschaft Verantwortlichen begründen, greifen auf einen von einer ex post-Perspektive bestimmten Lösungsansatz zurück.

Die regulierungspolitische Diskussion in der Europäischen Gemeinschaft über das geeignete Instrumentarium verläuft zweigeteilt. Während die Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Schutzbestimmungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 13.12.1976 (Zweite gesellschaftsrechtliche RL (RL 77/‌91) für Aktiengesellschaften am Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals festhält, fehlt für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Privatgesellschaften (Europäische Privatgesellschaft) eine vergleichbare Regelung auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts. Dort wird die Diskussion um die Kapitalaufbringung und ‑erhaltung wesentlich durch den vom EuGH ausgelösten Regulierungswettbewerb bestimmt.

2. Europäisches Recht (Aktien­gesellschaften)

Die Zweite Gesellschaftsrechtliche RL verpflichtet die Aktiengesellschaften auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Zielgruppe der Richtlinie sind nach Art. 6(3) mittlere und größere Unternehmen. Die Begründungserwägungen stellen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den aktienrechtlichen Gründungsvorschriften, Regeln zur Kapitalaufbringung und ‑erhaltung und den Interessen der Aktionäre und der Gläubiger her. Ziel der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung sei ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit beim dem Schutz der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft. Der Errichtungsakt der Gesellschaft müsse jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, sich über die wesentlichen Merkmale der Gesellschaft und die genaue Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals zu unterrichten.

Nach dem Verständnis der Richtlinie ist das Kapital der Aktiengesellschaft zugleich Eigenkapital und Risikokapital. Das Gesellschaftskapital soll als Sicherheit für die Gläubiger erhalten werden. Die Richtlinie setzt stillschweigend voraus, dass für die Normen des Mindeststammkapitals ein Regelungsbedarf besteht. Auch nach der Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie im Jahre 2006 hält das Europäische Gemeinschaftsrecht an dem Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals für börsen- und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften fest: Das gesetzliche Mindestkapital liegt bei EUR 25.000,- doch können die Mitgliedstaaten höhere Mindestbeträge festsetzen. Die Satzung oder das Gründungsprotokoll geben an, in welchem Umfang das gezeichnete Kapital tatsächlich eingezahlt worden ist. Zum Zeitpunkt der Geschäftsaufnahme der Aktiengesellschaft müssen mindestens 25 % des Nennbetrags der Aktien eingezahlt sein. Sacheinlagen sind zulässig. Ausschüttungen an die Aktionäre sind an eine zweifache Bedingung geknüpft: Dividenden und Zinsen für Aktien dürfen nur gezahlt werden, wenn sie das Ergebnis des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres nicht unterschreiten. Dabei ist der Betrag des Ergebnisses um den Gewinnvortrag und die Entnahmen aus früheren Rücklagen zu erhöhen, während Verluste aus früheren Jahren und Beträge für Rücklagen ergebnismindernd wirken. Aktionäre, die eine Ausschüttung empfangen, sind zur Rückzahlung verpflichtet, wenn der Nachweis gelingt, dass ihnen der Verstoß gegen die Ausschüttungsregeln bekannt war oder sie nach den Umständen hiervon Kenntnis haben mussten. In der Vergangenheit waren diese Regeln in Bezug zu den nationalen Bilanzierungsvorschriften zu setzen. Faktisch entschieden der Stellenwert des Gläubigerschutzes und der Wunsch nach Transparenz gegenüber potentiellen Investoren, in welchem Umfang in den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Gewinnermittlung drohende Verbindlichkeiten und noch nicht realisierte Erträge berücksichtigt werden durften. Mit der Einführung der International Accounting Standards (International Financial Reporting Standards) haben sich die Gewichte verschoben. Gegenwärtig wird diskutiert, ob der von den International Accounting Standards ausgehenden Tendenz zur verstärkten Aktivierung mit bilanziellen Ausschüttungssperren oder einem weitergehenden Solvenztest zu begegnen ist. Droht der Verlust des gezeichneten Kapitals, hat eine Hauptversammlung zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen – etwa eine Kapitalerhöhung – einzuleiten sind. Eigene Aktien darf die Gesellschaft nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen zurückkaufen. Einlagen auf Aktien, die anlässlich einer Kapitalerhöhung ausgegeben werden, müssen ebenfalls in Höhe von mindestens 25 % des Nennbetrags geleistet werden.

Die Zweite gesellschaftsrechtliche RL hat sich nicht zum Ziel gesetzt, für Aktiengesellschaften das Recht der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung abschließend zu regeln. Nationale Normen, die das Verbot der Einlagenrückgewähr konkretisieren, bleiben zulässig. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass vermeintliche oder tatsächliche Schutzdefizite nicht automatisch einen Freiraum zur Fortentwicklung von Schutzkonzeptionen eröffnen, die sich aus der Sicht einzelner Mitgliedstaaten bewährt haben. Auch das Fehlen geschriebener gemeinschaftsrechtlicher Normen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts eröffnet den Regulierungswettbewerb zwischen den nationalen Rechtsordnungen. Selbst wenn Pfadabhängigkeiten einen derartigen Wettbewerb im Hinblick auf Aktiengesellschaften hemmen sollten, nimmt auf nationaler Ebene der Rechtfertigungsdruck gleichwohl zu, sobald einseitige Maßnahmen die Wettbewerbsposition einer nationalen Gesellschaftsrechtsordnung zu schwächen drohen. Nicht zufällig heben die Begründungserwägungen der Richtlinie zur Änderung der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie ausdrücklich die Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit als Politikziel neben dem Aktionärs- und Gläubigerschutz hervor.

3. Gesellschaften mit beschränkter Haftung und andere Privatgesellschaften

Indem die Zweite gesellschaftsrechtliche RL Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Privatgesellschaften aus ihrem Anwendungsbereich herausnimmt, lässt sie den nationalen Gesellschaftsrechtssystemen großen Spielraum für eigenständige Entwicklungen. Im Bereich der privaten, nicht börsennotierten Gesellschaften hat sich lange Zeit ein Status quo zwischen mehreren Formen der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung erhalten, der von Pfadabhängigkeit und nationalen Gesellschaftsrechtstraditionen geprägt ist. Dem kontinentaleuropäischen System der Kapitalaufbringung und ‑erhaltung auf der Grundlage eines gesetzlich festgelegten Mindeststammkapital stand das englische System des Kapitalschutzes bei der Private Limited Company gegenüber, das auf ein gesetzliches Mindeststammkapital verzichtet und sich im wesentlichen auf Solvenztests und die Sanktionsmechanismen der wrongful trading-Regel bei Insolvenznähe verlässt. Erst die Centros-Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-212/‌97 – Centros, Slg. 1999, I-1459; Rs. C-208/‌00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919; Rs. C-167/‌01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10159) zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hat Bewegung in die europäische Diskussion um den Kapitalschutz gebracht. So haben die Niederland mit der jüngsten Reform des Rechts der Besloten Vennootschap (B.V.) das gesetzliche Mindestkapital abgeschafft. Nunmehr sichert ein kombinierter Bilanz- und Solvenztest das Kapital und die Interessen der Gläubiger. Haftungsrechtliche Normen, die sich aus einer ex post-Perspektive an die Verantwortlichen der Gesellschaft wenden, sollen Kapitalschutz gewährleisten. Ähnliche Überlegungen liegen dem Kommissionsentwurf für eine Europäische Privatgesellschaft zugrunde. Die Novelle zum deutschen GmbH-Recht aus dem Jahre 2008 hält zwar noch an dem gesetzlichen Mindeststammkapital für ‚reguläre’ Gesellschaften fest, lockert aber gleichzeitig das Konzept des Kapitalschutzes durch property rules auf, indem sie auch Unternehmergesellschaften zulässt, die erst im Laufe der Zeit ein ausreichendes Haftkapital aufbauen. Im Hinblick auf die Entwicklungen in den Niederlanden und im englischen Recht ist festzuhalten, dass auch das deutsche Recht zögernd erste Schritte in Richtung auf einen Solvenztest unternimmt, um die Verantwortlichkeiten der Geschäftsführung bei Insolvenznähe einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu präzisieren.

4. Ausblick

Das Statut über die Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)Europäische Aktiengesellschaft) verzichtet nicht auf das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals. Die Begründungserwägungen zu dem Statut führen aus, mit Hilfe eines Mindeststammkapitals in Höhe von EUR 120.000,- solle eine sinnvolle Unternehmensgröße für gemeinschaftsweit tätige Unternehmen sichergestellt werden, ohne für kleinere und mittlere Unternehmen die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft zu erschweren. Der Entwurf für ein Statut für die Europäische Privatgesellschaft gibt dagegen das Konzept des gesetzlichen Mindeststammkapitals auf. Hierbei geht es vordergründig nur um die Frage, ob sich getrennte Normen für börsen- und nicht börsennotierte Unternehmen empfehlen. Im Kern sind an dieser Stelle die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzschutz zu untersuchen.

Die von der Europäischen Kommission eingesetzte hochrangige Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts kritisiert, ein gesetzlich festgelegtes Mindeststammkapital gebe nur sehr ungenau Aufschluss über die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Schulden zu bezahlen. Überdies ließen die Veränderungen in den Rechnungslegungsgrundsätzen immer weniger eine Schlussfolgerung zu, in welchem Umfang ein Unternehmen aktuelle und künftige Verbindlichkeiten bezahlen könne. Der Befund der Expertengruppe gipfelt in dem Vorschlag, ein alternatives System zum Schutz der Gläubiger und Aktionäre zu erarbeiten. An die Stelle des Mindestkapitalkonzepts solle eine Solvenzprüfung treten, die Ausschüttungen an die Aktionäre nur zulasse, wenn die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens nicht gefährdet sei. Einer Solvenzprüfung solle jede Ausschüttung von Dividenden und andere Zahlung (einschließlich der Aktienrückkäufe und Kapitalherabsetzungen mit Rückzahlungen an Aktionäre) unterworfen werden. Dabei setze sich eine derartige Solvenzprüfung aus zwei Elementen zusammen: Die Prüfung der Bilanz und des Nettovermögens sei um eine Liquiditätsprüfung oder einen Vergleich des Umlaufvermögens mit den kurzfristigen Verbindlichkeiten zu ergänzen. Prononcierter fällt der Befund einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter der Leitung von Jonathan Rickford zur Reform der gesetzlichen Mindestkapitalbestimmungen für Aktiengesellschaften aus: Faktisch würden die Gläubiger sich nicht auf die Einhaltung der Vorschriften zum Kapitalschutz verlassen, da die heutigen Rechnungslegungsvorschriften keine genaue Entscheidungsgrundlage mehr für Ausschüttungsentscheidungen lieferten. Stattdessen wird – ähnlich wie schon von der Hochrangigen Expertengruppe – die Einführung eines zweistufigen Solvenztests vorgeschlagen, der die Zahlungsfähigkeit angesichts der Kreditverpflichtungen und der laufenden Verbindlichkeiten für das folgende Geschäftsjahr überprüft. Langfristig wird das Gemeinschaftsrecht auch für Aktiengesellschaften die Trennung zwischen Gesellschaftsrechts und Insolvenzrecht überwinden müssen, um durch liability rules die in einer Korporation Verantwortlichen auf einen wirksamen Kapitalschutz zu verpflichten. Diese haftungsrechtlichen Zusammenhänge werden von der rechtswissenschaftlichen Diskussion auch in den Mitgliedstaaten anerkannt, die sich traditionell dem Konzept des festen Kapitals verpflichtet fühlen. Einer Abkehr vom System des festen Kapitals wird mit einer Kosten-Nutzen-Analyse begegnet. Unter Hinweis auf die traditionelle Verankerung des festen Kapitals in den romanischen und germanischen Rechten wird dessen Beitrag zur soliden Unternehmensführung hervorgehoben. Die Präventivfunktion des Grundkapitals wird als erhaltungsbedürftig verteidigt, die ihren Ausdruck in Ausschüttungssperren und Handlungspflichten der Unternehmensführung bei Insolvenznähe finden soll.

Literatur

Jaap Winter, José Maria Garrido Garcia, Klaus J. Hopt, Jonathan Rickford, Guido Rossi, Jan Schans Christensen, Joelle Simon (The High Level Group of Company Law Experts) (Hg.), Report on A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, 2002; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004; Jonathan Rickford (Hg.), Reforming Capital – Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, European Business Law Review 15 (2004) 920 ff.; Mathias Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; Marcus Lutter (Hg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Sonderheft 17 (2006); Ulrich Seibert, Close Corporations: Reforming Private Company Law, European Business Organization Law Review 8 (2007) 83 ff.; Peter Hommelhoff, Die „Europäische Privatgesellschaft“ am Beginn ihrer Normierung, 2007; Ulrich Noack, Michael Beurskens, Modernising the German GmbH, European Business Organization Law Review 9 (2008) 97ff.; Horst Eidenmüller, Wolfgang Schön (Hg.), The Law and Economics of Creditor Protection, 2008.