Insolvenz der Kapitalgesellschaft und Institutionenlehrbücher: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Felix Steffek]]''
von ''[[Klaus Luig]]''
== 1. Grundlagen ==
== 1. Grundlagen ==


=== a) Gegenstand, Terminologie und wirtschaftliche Zusammenhänge ===
Die Epochen der neueren Privatrechtsgeschichte haben ihren Namen herkömmlicherweise entweder von den jeweils vorherrschenden Formen juristischer Literatur (Glossatoren, Kommentatoren und Pandektenwissenschaft), oder von der vorherrschenden geistigen Strömung (humanistische Jurisprudenz) oder von der in einer bestimmten Epoche wichtigsten Quelle, wie dem [[Naturrecht]], und schließlich auch von dem vorherrschenden inhaltlichen oder methodischen Charakterzug der Rechtsordnung, so etwa der ''[[usus modernus]]'' des [[römisches Recht|römischen Recht]]s. Wenn man diese Art und Weise der Bezeichnung der einzelnen Epochen vollständig auf die am meisten verwendete Kategorie, nämlich die Benennung nach der vorherrschenden Form der juristischen Literatur, umstellen wollte, dann ließen sich etwa zusätzlich zu den üblichen Kategorien eine Epoche der humanistischen ''observatio'' und schließlich auch eine Epoche der Institutionenlehrbücher identifizieren. Letztere umfasste etwa das 17. und 18. Jahrhundert. In dieser Zeit fand der größte Teil der für die Entwicklung des Rechts grundlegenden Neuerungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Lehre des Privatrechts in fast ganz Europa, einschließlich Englands, und darüber hinaus auch in Amerika in Institutionenlehrbüchern statt. Das bedeutete in erster Linie, dass die wichtigsten Fortschritte in der Entwicklung der Rechtswissenschaft in Lehrbüchern und Systemen erzielt wurden, die sich als Darstellungen der nationalen Rechtsordnungen, insbesondere der nationalen Privatrechtsordnungen in Institutionenform nach dem Schema „Personen – Sachen – Klagen“ verstanden. Daher wurden sie auch in der Regel in der Landessprache der einzelnen europäischen Staaten verfasst, die begannen, sich als Nationalstaaten zu etablieren, was sich, soweit das Recht betroffen war, auch in der zunehmenden Bedeutung der Gesetzgebung zeigte.


Bei der Insolvenz der Kapitalgesellschaft geht es im Kern um die ''Insolvenzgründe'' haftungsbeschränkter Gesellschaften. Die Insolvenzgründe von Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person mit ihrem Privatvermögen unbeschränkt für die Schulden der insolventen Gesellschaft einsteht, sind in Europa im Wesentlichen die Zahlungsunfähigkeit. die Überschuldung und die drohende Zahlungsunfähigkeit. Beide zuerst genannten Tatbestände kannte bereits das klassische [[römisches Recht|römische Recht]]. Dort fand die Überschuldung als Insolvenztatbestand von Sondervermögen Anwendung, etwa auf das Sondervermögen eines Sklaven bzw. eines Hauskindes (''peculium'') oder die Erbschaft (''hereditas'') in Fällen beschränkter Haftung. Die Zahlungsunfähigkeit wies im klassischen römischen Recht allerdings noch gesellschaftlich-soziale Züge auf und war mit einem Ehrverlust (''infamia'') verbunden.
== 2. Stoff ==


''Zahlungsunfähigkeit'' liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Geldschulden zu begleichen. Ökonomisch geht es um Illiquidität, die sich anhand gegen die Gesellschaft gerichteter Zahlungsansprüche einerseits und dem Zahlungsvermögen der Gesellschaft andererseits bestimmt. Im Zeitablauf lässt sich unterscheiden, ob eine Gesellschaft im Beurteilungszeitpunkt illiquide ist oder erst in der Zukunft illiquide werden wird. Entsprechend unterscheidet man die gegenwärtige von der ''drohenden Zahlungsunfähigkeit''.
Die im Normalfall in erster Linie für die Ausbildung bestimmten, aber sich häufig gleichzeitig auch deutlich als Vorarbeit einer umfassenden Gesetzgebung oder gar [[Kodifikation]] darstellenden Institutionenlehrbücher umfassten im Idealfall, wenngleich im einzelnen mit mehr oder weniger großen Unterschieden, inhaltlich den ''usus modernus ''des römischen Rechts, das heißt die Darstellung des gewohnheitsrechtlich kraft Rezeption oder als ''ratio scripta'' geltenden römischen Rechts ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) mit den auf der zeitgenössischen Interpretation (''usus modernus'') der römischen Rechtstexte beruhenden Derogationen und Zusätzen (''limitationes'' und ''amplificationes''). Dazu kamen das angestammte einheimische Recht und die moderne Gesetzgebung, weiter die oft auf der Rechtsprechung beruhenden oder durch die Rechtsprechung bestätigten Normen des zeitgenössischen Gewohnheitsrechts und schließlich in sehr unterschiedlichem Umfange auch Elemente des Naturrechts. Ein wichtiges Charakteristikum der so beschriebenen wissenschaftlichen Literatur war die Ausscheidung von nicht mehr als geltendes Recht betrachteten und damit überflüssigen Regeln des römischen Rechts als ''haud receptum vel abrogatum'' aus den Lehrbüchern und gleichzeitig die gleichberechtigte Einfügung der nicht auf römischem Recht beruhenden und somit einheimischen Bestandteile des geltenden Rechts in die Lehrbücher und Systeme des Privatrechts.


''Überschuldung ''ist gegeben, wenn die Passiva die Aktiva einer Kapitalgesellschaft übersteigen. Auf der Passivseite werden grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten angesetzt, unabhängig davon, ob sie fällig sind oder nicht. Auf der Aktivseite werden diejenigen Vermögensgegenstände eingestellt, welche zur Befriedigung der Gläubiger verwertet werden können.
== 3. System ==


Der Überschuldungsstatus wird somit eher statisch bestimmt, während die Zahlungsunfähigkeit wegen der Relevanz des Zeitablaufs dynamische Züge trägt. Bedenkt man jedoch, dass die Zahlungsströme der Unternehmung maßgeblich für die Aktiv- und Passivseite des Überschuldungstatus sind, erhellt der mittelbare Zusammenhang der beiden Insolvenzgründe. Freilich können sie unabhängig von einander bestimmt werden und vorliegen. Nicht jede überschuldete Gesellschaft ist zahlungsunfähig und umgekehrt. Wegen der Vermutung, dass eine nicht überschuldete Gesellschaft wegen des Schuldendeckungspotentials der freien Aktiva bei einem effizienten Kreditmarkt Liquidität erhalten wird, spricht vieles dafür, dass im Zeitablauf regelmäßig zuerst Überschuldung und danach Zahlungsunfähigkeit eintreten wird.
Bei der systematischen Ordnung dieser Lehrbücher ging es erstens um die Erfassung des insgesamt in den einzelnen Teilen des ''Corpus Juris'' enthaltenen römischen Rechtsstoffes sowie zweitens um die Ordnung dieser Materien Seite an Seite mit den jeweiligen auf nationaler Grundlage beruhenden Materialien ganz unterschiedlicher Herkunft und Genese zu einem einheitlichen System. Die damit verbundenen Schwierigkeiten wurden, was den römischen Rechtsstoff anbelangte, dadurch bewältigt, dass die Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts in ihrer systematischen Gliederung mit von Fall zu Fall mehr oder weniger bedeutenden Varianten dem Vorbild der Gliederung der Institutionen ''Justinians'' mit der auf vier Bücher verteilten Ordnung von ''personae – res (corporales'' und ''incorporales) – actiones'' folgten. Die Normen des einheimischen Rechts wurden in das romanistische Institutionensystem eingefügt. Das war etwa der Fall bei der Einfügung der deutschrechtlichen Einkindschaft in die Adoption (Inst. Just. 1,11) oder bei der Behandlung des Versicherungsvertrages (''assecuratio'') als Innominatvertrag nach den Kriterien des römischen Rechts.


=== b) Zweck und Funktionen ===
== 4. Begriffe ==


Die Insolvenzgründe ''als solche'' haben nur insofern einen Zweck bzw. eine Funktion als sie unterschiedliche finanzwirtschaftliche Umstände betreffend die Liquidität bzw. das Schuldendeckungspotential der Gesellschaft beschreiben. Die Insolvenzgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 der deutschen Insolvenzordnung und der drohenden Insolvenz gemäß para. 11 Schedule B1 des englischen ''Insolvency Act 1986'' wurden beispielsweise eingeführt, um eine Vermögens- bzw. Liquiditätslage zu definieren, die wirtschaftlich günstiger als die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit ist, und Kapitalgesellschaften die frühe Einleitung eines Insolvenzverfahrens im eigenen Sanierungsinteresse ermöglicht.
Außer dem System wurden auch die begrifflichen Grundlagen des zu vermittelnden Stoffes dem römischen Recht entnommen. Das war gerade bei den Materien von Bedeutung, die durch vom römischen Recht unabhängige, ursprünglich einheimische Normen geregelt wurden. Das heißt, die Denkweise der Juristen war romanistisch. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale auch eines nicht dem römischen Recht entnommenen Satzes, wie etwa „meubles n’ont point de suite par hypothecque quand ils sont hors de la possession du debteur“ waren Begriffe des römischen Rechts: ''meubles'', ''hypothecqe'', ''possession'', ''debteur''. Denn was eine ''hypothecque'' oder ''possession'' (Besitz) etc. im Sinne dieser Regel war, ergab sich nur aus dem römischen Recht.


Abgesehen davon ergeben sich Zwecke und Funktionen der Insolvenzgründe erst im Zusammenspiel mit den Normen, die sie in Bezug nehmen. Zweck und Funktion der Insolvenzgründe als zentrale Voraussetzung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist die Auslösung einer an den Gläubigerinteressen orientierten ''[[Corporate Governance]]''. Dabei legen die Insolvenzgründe als Terminierungsregeln den Zeitpunkt fest, in dem das Ungleichgewicht zwischen Haftung und Verfügungsrechten wirtschaftlich unerträglich wird, weil das unternehmerische Risiko auf die Gläubiger der Kapitalgesellschaft verlagert wird.
== 5. Vorgeschichte ==


Daneben gibt es zahlreiche andere Normtypen, die Insolvenzgründe in Bezug nehmen und andere Zwecke und Funktionen als die Verfahrensauslösung aufweisen. Dazu zählen Haftungsnormen wie die Haftung wegen ''wrongful trading'' gemäß sec. 214 ''Insolvency Act 1986 ''im englischen Recht, die ''responsabilité pour insuffisance d'actif'' gemäß Art. L. 651-2 ''Code de Commerce'' im französischen Recht und die Konkursverschleppungshaftung gemäß § 69 Konkursordnung i.V.m. § 1311 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch im österreichischen Recht. Hier geht es präventiv – d.h. ''ex ante'' – um die Vermeidung einer gläubigerschädigenden Insolvenzverschleppung durch Haftungsandrohung und kompensatorisch – d.h. ''ex post'' – um die rechtliche Erzwingung eines Haftungsbeitrags von denjenigen Geschäftsleitern, die für die eingetretene Insolvenzverschleppung verantwortlich sind. Weitere Beispiele sind die Normen der Insolvenzanfechtung (im polnischen Recht gemäß Art. 127 ff. ''Prawo Upadłościowe i Naprawcze'') und der Disqualifizierung vom Geschäftsleiteramt (im englischen Recht im ''Company Directors Disqualification Act 1986'' geregelt).
Der Literaturtyp des Institutionenlehrbuchs trat in Gestalt eines Vorläufers zum ersten Male in den um 160 entstandenen „Institutionen“ des römischen Juristen ''Gaius'' auf. Das Werk war für den Rechtsunterricht bestimmt und zeichnete sich aus durch Vollständigkeit in der Berücksichtigung aller wesentlichen Fragen, durch eine klare und rationale Gliederung sowie durch leichte Verständlichkeit. Diesem Vorbild folgte der oströmische Kaiser'' Justinian'' (525–565) mit dem an die Spitze seiner Kodifikation gestellten offiziellen Lehrbuch der Institutionen (''[[Corpus Juris Civilis]]''). Was dieses leisten sollte, beschrieb ''Justinian'' in der Einleitungskonstitution mit folgenden an die Studenten des Rechts gerichteten Worten: „So braucht ihr die Anfangsgründe des Rechts nicht mehr aus veralteten Geschichten zu erlernen, sondern ihr könnt sie einem glänzenden kaiserlichen Werk entnehmen, und eure Ohren und euer Verstand werden nichts Unnützes und nichts Falsches mehr aufnehmen, sondern nur das, was im Rechtsleben wirklich gilt“ (''Constitutio Imperatoriam''). Der Ton dieser Konstitution liegt auf den Worten „was im Rechtsleben wirklich gilt“.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Das Vorbild der Institutionen von ''Justinian'' hat im Verlaufe der Geschichte der Rechtswissenschaft seit dem Beginn der Rezeption des römischen Rechts im 12. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Situationen eine große Rolle gespielt, in denen es darum ging, das gesamte positiv geltende Recht in fassbarer und praktikabler Form darzustellen. Zwar hatten Lehrbücher der Institutionen unter den von den Glossatoren verwendeten Literaturformen keine große Bedeutung. Doch als Vorläufer lassen sich immerhin die zusammenfassenden systematischen Darstellungen der Summen verstehen. Das gilt insbesondere für die Summen zum Codex und zu den Institutionen, wie sie die Glossatoren verfasst haben. Das entsprechende gilt für die Epoche der Kommentatoren. Die von den Kommentatoren bevorzugte Literaturform des Kommentars stellte keine systematischen Ansprüche. Ansatzpunkte für „Institutionenlehrbücher“ gab es in dieser Zeit allenfalls bei den von Titel zu Titel überleitenden Bemerkungen zu den Institutionen. Die Humanisten waren an einem zusammenfassenden Lehrbuch des geltenden Rechts weniger interessiert. Doch waren ihre Systementwürfe stets stark von ''Justinians'' Institutionen inspiriert.


=== a) Zahlungsunfähigkeit ===
== 6. Quellen ==


Die Zahlungsunfähigkeit ist in Europa ein für Kapitalgesellschaften durchweg anerkannter Insolvenzgrund: ''cessation des paiements'' (Belgien: Art.&nbsp;2 Abs.&nbsp;1 ''Loi sur les faillites''<nowiki>; Frankreich: </nowiki>Art.&nbsp;L. 631-1 Abs.&nbsp;1 ''Code de Commerce''), Zahlungsunfähigkeit (Deutschland: § 17 InsO), ''inability to pay debts as they fall due'' (England: sec. 123 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;e ''Insolvency Act 1986''<nowiki>; auch </nowiki>''cash flow insolvency'' genannt), ''insolvenza'' (Italien: Art.&nbsp;5 ''Legge Fallimentare''), ''toestand van hebben opgehouden te betalen'' (Niederlande: Art.&nbsp;1 Abs. 1 ''Faillissementswet''), Zahlungsunfähigkeit (Österreich: §&nbsp;66 Konkursordnung), ''niewypłacalność'' (Polen: Art.&nbsp;11 Abs.&nbsp;1 ''Prawo Upadłościowe i Naprawcze''), ''insolvens'' bzw. ''obestånd'' (Schweden: Kap.&nbsp;1 §&nbsp;2 Abs.&nbsp;2 ''Konkurslagen''), ''platobne neschopný'' (Slowakei: §&nbsp;3 Abs.&nbsp;2 ''Zákon o Konkurze a Reštrukturalizácii''), ''insolvencia'' (Spanien: Art.&nbsp;2 Abs.&nbsp;2 ''Ley'' ''Concursal''), ''platební neschopnost'' (Tschechien: §&nbsp;3 Abs.&nbsp;1 ''Insolvenční Zákon''), ''fizetésképtelenség'' (Ungarn: §&nbsp;27 Abs.&nbsp;2 ''törvény a csődeljárásról és'').
Der hier geschilderte Typ des Institutionenlehrbuchs aus der Zeit vom 17. bis zum 18.&nbsp;Jahrhundert reagierte auf eine grundsätzlich wichtige Veränderung der Rechtsquellenlehre. An die Stelle des mehr oder weniger vollständig und ohne große Veränderungen übernommenen römischen Rechts trat eine positive Rechtsdogmatik des gesamten geltenden Rechts in den einzelnen Ländern. Nach dem Ende der Ausbreitung des römischen Rechts ''in orbem terrarum'' im Mittelalter begann in der Neuzeit eine nationale Differenzierung des Rechts der einzelnen europäischen Staaten, deren typische Literaturform trotz aller Verschiedenheiten von Land zu Land und von Buch zu Buch in allen Staaten das Institutionenlehrbuch war.


Im Kern sind die gesetzlichen Definitionen der Zahlungsunfähigkeit in den genannten Ländern der Begriffsbestimmung in §&nbsp;17 Abs.&nbsp;1 der deutschen Insolvenzordnung weitgehend ähnlich: Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Mehrzahl der Rechtsordnungen belässt es bei einer derart kurzen Definition und überlässt die weitere Ausformung der Rechtsprechung. Da in der Rechtspraxis in der Situation der Stellung eines Antrags auf Insolvenzverfahrenseröffnung die Zahlungsunfähigkeit regelmäßig unproblematisch festzustellen ist, befassen sich die maßgeblichen Gerichtsentscheidungen meist mit Fällen der Organhaftung und der Insolvenzanfechtung.
== 7. Entwicklung ==


Eine Abweichung vom Grundsatz einer kurzen, allein auf der Illiquidität aufbauenden Definition der Zahlungsunfähigkeit findet sich in denjenigen Ländern, deren Tatbestände stattdessen auf die Einstellung der Zahlungen abstellen. Das ist in Belgien (''cessé ses paiements''), Frankreich (''cessation des paiements'') und den Niederlanden (''opgehouden te betalen'') der Fall. Dort hat man die Zahlungseinstellung, die in §&nbsp;17 Abs.&nbsp;2 S.&nbsp;2 der deutschen Insolvenzordnung lediglich als widerlegliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit ausgestaltet ist, zur gesetzlichen Hauptdefinition erhoben. Im funktionalen Ergebnis findet allerdings eine Annäherung an eine Illiquiditätsbetrachtung dadurch statt, dass der französische ''Code de Commerce'' in Art.&nbsp;L. 631-1 zusätzlich verlangt, dass es dem Schuldner unmöglich ist, mit dem verfügbaren Vermögen die fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen (''l'impossibilité de faire face au passif exigible avec son actif disponible''), und die belgische ''Loi sur les faillites'' in Art.&nbsp;2 kumulativ die Kreditunwürdigkeit verlangt. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf diejenigen Definitionen der Zahlungsunfähigkeit abgestellt, welche die Illiquidität als zentrales Charakteristikum haben.
Die Institutionenlehrbücher haben ihren Ursprung in Frankreich. Eine der grundlegenden Ideen, die Vereinheitlichung des geltenden Rechts auf nationaler Ebene, hat als erster ''Charles Dumoulin (Molinaeus)'' (1500–1566) ausgesprochen. ''Dumoulin'' wollte alle französischen ''coutumes'' auf eine Einheit, auf eine ''consuetudo generalis'' zurückführen, die in einem ''absolutissimus libellus'' aufzuzeichnen sei. Pathetisch sprach ''Dumoulin'' von einem „brevissimus, candidissimus, expeditissimus et absolutissimus libellus“. Das römische Recht hätte darin die Rolle einer ''ratio scripta'' spielen sollen. Der französische Jurist ''Jerosme Mercier'' beschrieb 1655 in seinen „Remarques du droit françois“ den Inhalt eines solchen ''absolutissimus libellus'' wie folgt: „Wir begnügen uns damit, hier das zu berichten, was am weitesten in Frankreich verbreitet ist, und zwar vorwiegend in der Rechtsprechung des Parlement de Paris.“ Erstes Beispiel eines Werkes aus dem Geiste der Institutionenlehrbücher waren die „Pandectes ou Digestes du droit français“ von ''Louis Charondas le Caron'' (1536–1617). Es folgte die „Institution au droit françois“ von ''Guy Coquille'' (1523–1603), die 1607 gemeinsam mit den anonymen, doch von ''Antoine Loisel'' (1536–1617) stammenden „Institutes coutumieres“ zu Paris veröffentlicht wurde. ''Coquille'' folgte keinem erkennbaren System, doch das begriffliche Substrat seiner Darstellung war romanistisch. Inhaltlich handelt es sich um eine Übersicht über die verschiedenen territorialen ''coutumes'' mit der Tendenz der Erfassung der Gemeinsamkeiten und der Vereinheitlichung im Falle üerbrücbarer Differenzen.  


Allgemein akzeptiert sind zwei Abschwächungen im Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit. Sie betreffen den Grad und die Dauer der Illiquidität. Beide Abschwächungen bzw. Ausnahmen sollen vermeiden, dass sanierungsgeeignete Unternehmen abgewickelt werden, deren Insolvenz nicht gravierend oder von Dauer ist. Dabei ist zu beachten, dass die Aspekte der Wesentlichkeit und der Dauer der Zahlungsunfähigkeit funktional nicht immer streng getrennt werden können.
Bei der Arbeit von ''Loisel'' handelt es sich um eine Sammlung von alten und neuen Rechtsprichwörtern und Sentenzen des „droit coustumier & plus ordinaire de la France“. Dem in sechs Bücher gegliederten Werk liegt das modifizierte Institutionenschema mit Personen, Sachen, Verträgen und Klagen zugrunde. Französische Besonderheiten sind an den nach dem inhaltlichen Zusammenhang passenden Stellen eingefügt. Das begriffliche Instrumentarium ist weithin das des europäischen [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']].


In einigen europäischen Rechtsordnungen setzt der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit voraus, dass die Illiquidität ''nicht nur geringfügige Deckungslücken'' betrifft. Der deutsche Bundesgerichtshof hat in einem Leiturteil aus dem Jahr 2005 (BGH 24.5.2005, BGHZ&nbsp;163,&nbsp;134) entschieden, dass regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen ist, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10&nbsp;% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10&nbsp;% erreichen wird. In dieselbe Richtung geht eine Entscheidung des OLG Graz (20.6.2002, 3 R 102/‌02y), wonach geringfügige Deckungslücken keine Zahlungsunfähigkeit begründen, wenn man aus der Geringfügigkeit auf das alsbaldige Überwinden der Liquiditätsnot schließen kann. Gemäß Art.&nbsp;15 Abs.&nbsp;9 des italienischen ''Legge Fallimentare'' setzt die Insolvenzerklärung voraus, dass die fälligen und nicht bezahlten Schulden mindestens EUR 30.000,- betragen.
== 8. Länderübersicht ==


Schließlich geht die Tendenz in Europa dahin, die Zahlungsunfähigkeit zu verneinen, wenn nur eine vorübergehende ''Zahlungsstockung'' vorliegt. Der deutsche Bundesgerichtshof hat im bereits genannten Urteil (BGHZ&nbsp;163, 134) im Jahr 2005 entschieden, (nur) eine Zahlungsstockung liege vor, solange der Zeitraum nicht überschritten werde, den eine kreditwürdige Person benötige, um sich die benötigten Mittel zu borgen. Dafür scheinen dem Gericht bis zu drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Annähernd dasselbe dürfte für die ''cash flow insolvency'' gemäß sec. 123 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;e des englischen ''Insolvency'' ''Act 1986 ''gelten, für die das englische Schrifttum ähnliche Attribute (''near future'') verwendet wie das deutsche für die Zahlungsunfähigkeit (''absehbare Zukunft''). Allerdings hat das Urteil ''Re Cheyne Plc''<nowiki> [2008] BCC 182 (CA) hier Unsicherheiten gebracht. Eine nur vorübergehende Zahlungsstockung reicht auch in Italien, Luxemburg, Schweden, Spanien und Tschechien nicht aus, um den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit zu erfüllen.</nowiki>
Als bestes Lehrbuch dieser Art gilt das zuerst 1692 erschienene Buch von ''Gabriel Argou'', das in der Bearbeitung von ''Antoine Boucher d’Argis'' mehrfach aufgelegt wurde. Das als „Institution au droit françois“ bezeichnete Werk ist in vier Bücher gegliedert: 1. Personen; 2. Sachen; 3. Obligationen (wozu in erster Linie die Eheschließung zählt, dann aber auch Kauf, Rente etc.); 4.&nbsp;Accessoires zu den Verträgen, nämlich Kaution, Garantie, Hypothek, ''cession'', sodann Beendigung der Obligation und Novation. Die theoretischen Grundlagen sind romanistisch, aber neben dem römischen Recht finden sich überall die Institutionen des französischen Rechts, so z.B. ''retrait'', Rente, ''bail'', Erbverzicht der dotierten Tochter, Vorrecht des ältesten Sohnes bei der Nachfolge in das Lehen usw. ''Argou'' räumte ein, es handele sich um Prinzipien des ''droit coutumier'' mit großen Verschiedenheiten von ''coutume'' zu ''coutume'', aber trotzdem gebe es, wie seit ''Dumoulin'' herrschende Lehre war, gemeinsame generell geltende Prinzipien.


===b) Überschuldung ===
Dem hier stark vereinfachend dargestellten Typ des Institutionenlehrbuchs am nächsten kommt die 1631 zuerst in Den Haag erschienene und vielmals wieder aufgelegte und übersetzte „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid“ des Niederländers ''Hugo Grotius'' (1583–1645).


Anders als die Zahlungsunfähigkeit hat sich der Insolvenzgrund der Überschuldung nicht in allen europäischen Insolvenzrechten durchgesetzt. Es gibt u.a. folgende Äquivalente zur Überschuldung gemäß §&nbsp;19 Abs.&nbsp;2 der deutschen Insolvenzordnung: ''inability to pay debts if the'' ''value of the company's assets is less than the amount of its liabilities'' (England: sec. 123 Abs.&nbsp;2'' Insolvency Act 1986'', auch ''balance sheet insolvency'' genannt), ''maksejõuetu'','' kui võlgniku vara ei kata tema kohustusi ja selline seisund'' (Estland: §&nbsp;1 Abs.&nbsp;3 ''Pankrotiseadus''), ''ylivelkaisuus'' (Finnland: Kap.&nbsp;2 §&nbsp;5 ''Konkurssilaki''), Überschuldung (Österreich: §&nbsp;67 Konkursordnung), ''predĺženosť'' (Slowakei: § 3 Abs. 3'' Zákon o Konkurze a Reštrukturalizácii''), ''předlužení'' (Tschechien: §&nbsp;3 Abs.&nbsp;3 ''Insolvenční Zákon'') und im polnischen Recht wird Zahlungsunfähigkeit gemäß Art.&nbsp;11 Abs.&nbsp;2 ''Prawo Upadłościowe i Naprawcze ''angenommen, wenn Überschuldung vorliegt.
In Spanien stand die Abfassung von Institutionenlehrbüchern im Dienste der Vereinheitlichung des Rechts unter der Herrschaft des seit 1700 regierenden Hauses ''Bourbon'' durch Bevorzugung des kastilischen Rechts. Die Normen des römischen Rechts wurden dadurch auf ihre Bedeutung für die theoretischen Grundlagen und Grundbegriffe zurückgedrängt. Was jedoch materiellrechtlich vom römischen Recht unverzichtbar war, war bereits seit dem Mittelalter durch die spanische Gesetzgebung rezipiert worden. Hauptbeispiel für ein spanisches Institutionenlehrbuch sind die „Instituciones del derecho civil de Castilla“ von ''Ignacio Jordan de Asso y del Rio'' und ''Miguél de Manuel y Rodriguez'', die ab 1771 mehrfach aufgelegt worden sind.


In anderen europäischen Staaten fehlt hingegen eine entsprechende Rechtsfigur. Dazu zählen u.a. Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Luxemburg, Niederlande, Schweden, Spanien und Ungarn. Das Fehlen eines Überschuldungstatbestands bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Rechtsordnung bei der Feststellung eines Insolvenzgrundes auf eine Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva verzichtet. In Italien und Spanien kann die Überschuldung als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit einer Kapitalgesellschaft Berücksichtigung finden. In Luxemburg führt das Kriterium des Verlusts der Kreditwürdigkeit (''ébranlement du crédit''), welches zusätzlich zur Zahlungsunfähigkeit vorliegen muss, um den Tatbestand des Insolvenzgrundes zu erfüllen, funktional zu einer Annäherung an die Überschuldung.
In Deutschland hat als erster der Sekretär des Herzogs von Bayern, ''Andreas Perneder'' (um 1499–1543), ein Werk vom Typ des Institutionenlehrbuchs verfasst, das jedoch erst 1544 nach ''Perneders'' Tod gedruckt, dann aber sehr oft nachgedruckt wurde. Der Titel offenbart das Programm des Autors: „Institutiones. Auszug und anzaigung etlicher geschriben Kayserlichen und des heyligen Reichs rechte, wie die gegenwertiger Zeyten in Uebung gehalten werden“. Es handelt sich um eine summarische Darstellung des Stoffes der Institutionen Justinians unter Weglassung obsoleter Materien, wie etwa die Rechtsstellung der Freigelassenen, und Einfügung deutschrechtlicher Materien, wie etwa die deutschrechtliche Leibeigenschaft. Den größten Bekanntheitsgrad in Deutschland erzielte die ab 1670 in zahllosen Ausgaben und Bearbeitungen verbreitete „Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“ von ''Georg Adam Struve'' (1619–1692). Näher den Idealen dieses Literaturtyps war aber wohl ''Struves'' sehr umfangreiche, auf Deutsch geschriebene „Juris-Prudenz, oder: Verfassung der Land-üblichen Rechte“ von 1689, bei der auch der Zweck dieser Art von Literatur als vorbereitende Arbeit für eine Gesetzgebung erkennbar wird. Die in Deutschland seit ''Christian Thomasius'' (1655–1728) übliche getrennte Darstellung von römischem Recht und deutschem Privatrecht führte dazu, dass im 18. Jahrhundert der Typ des Institutionenlehrbuchs in Deutschland nicht mehr vertreten war.


=== c) Drohende Zahlungsunfähigkeit ===
Im Unterschied zu dem in Deutschland Üblichen wurden die Institutionenlehrbücher in den anderen europäischen Ländern nicht auf Latein, sondern in der Landessprache verfasst. Der Neapolitaner ''Niccolo Valletta'' (1748–1814) rechtfertigte das im Jahre 1776 damit, dass die Zeiten vorbei seien, in denen man aus den Gesetzen ein Geheimnis gemacht habe. Das Recht sollte, meinte ''Valletta'', in der Weise dargestellt werden, dass jeder Bürger aus einfachen Grundsätzen seine Rechte und Pflichten ersehen könne.


Mehr als zwei Drittel, nämlich 19 der gegenwärtig 27 Mitgliedstaaten haben ergänzend den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingeführt. Das ist beispielsweise der Fall in Belgien (Art.&nbsp;9 Abs.&nbsp;1 ''Loi relative au concordat judiciaire''), Deutschland (§&nbsp;18 Abs.&nbsp;2 Insolvenzordnung), England (para.&nbsp;11 lit.&nbsp;a Schedule B1'' Insolvency Act 1986''), Griechenland (Art.&nbsp;3 §&nbsp;2 ''Πτωχευτικός Κώδικας''), den Niederlanden (Art.&nbsp;214 Abs.&nbsp;1 ''Faillissementswet''), Österreich (§&nbsp;1 Abs.&nbsp;1 Ausgleichsordnung), Portugal (§&nbsp;3 Abs.&nbsp;4 ''Código da Insolvência e da Recuperação de Empresas'') und Spanien (Art.&nbsp;2 Abs.&nbsp;3 ''Ley'' ''Concursal'').
Angesichts der politischen Zersplitterung Italiens kann man Institutionenlehrbücher von größerer Bedeutung nur für das ''gius veneto'' von Venedig und das ''diritto del regno napoletano'' Neapels erwarten. ''Andreas Benedictus Ganassoni'' trug seit 1765 das venezianische Recht auf der Grundlage der Prinzipien des Naturrechts in Institutionenform gemeinsam mit dem römischen Recht in der Ordnung ''persona – res – actiones'' vor. ''Ganassoni'' deutete diese Ordnung in einem naturrechtlichen Sinne als Ausdruck gesellschaftlicher Grundregeln: Ausgangspunkt ist der ''homo socialis'', der der Dinge in seiner Umwelt zum Überleben bedarf. Zur Befriedigung dieser Bedürfnisse schließt der Mensch Verträge, zu deren Sicherung das Recht dient, vor Gericht geltend zu machen, was einem jeden zusteht.


Inhaltlich zielt die drohende Zahlungsunfähigkeit auf Konstellationen, in denen die Kapitalgesellschaft im Beurteilungszeitpunkt zwar in der Lage ist, ihre Gläubiger zu befriedigen, aber bereits absehbar ist, dass zu einem Zeitpunkt bzw. in einem Zeitraum in der Zukunft fällige Zahlungsverbindlichkeiten nicht befriedigt werden können. Wegen des Zusammenhangs zwischen der zukünftigen Liquidität und dem auf der Aktivseite einer Überschuldungsbilanz anzusetzenden Unternehmenswert besteht ein gewisser funktionaler Gleichlauf zwischen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit. Dieser ergibt sich auch daraus, dass beide Insolvenzgründe durch Aufstellung eines Finanzplans ermittelt werden können, der nach weitgehend identischen Regeln erstellt wird.
Was die begrifflichen Grundlagen anbelangt, definierte der Däne ''Laurids Nørregard'' 1784 besonders deutlich die Bedeutung des römischen Rechts als Grundlage für das Erlernen von „juristischer Denkart und Ordnung“. Dabei hielt ''Nørregaard'' alle Normen des römischen Rechts für anwendbar, die sich als Konkretisierung von Prinzipien des Naturrechts ansehen ließen.


Ein Motiv für die Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit in die Insolvenzgesetze war häufig, dem Schuldner einen Insolvenzgrund für die fakultative Auslösung eines Sanierungsverfahrens an die Hand zu geben. Dementsprechend verpflichtet die drohende Zahlungsunfähigkeit in den meisten Ländern die Organe der Kapitalgesellschaft nicht zur Insolvenzantragsstellung und gibt auch den außenstehenden Gläubigern kein Antragsrecht. Entsprechend geht der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit in Deutschland, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden und Spanien nur mit dem Recht auf Stellung eines Eigenantrags durch die Kapitalgesellschaft einher. Wegen des gewissen Gleichlaufs mit der Überschuldung ist der dadurch gewonnene Sanierungsspielraum allerdings in denjenigen Ländern geringer, die mit der Überschuldung eine zwingende Verfahrensauslösung verbinden.
Vorwiegend aus dem Stoff der Entscheidungen des obersten schottischen Gerichtshofes, des ''Court of Session'', haben als ''institutional writers'' bezeichnete Juristen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts das schottische Recht geformt. Hierfür gilt ebenfalls, dass der Begriffsapparat und die Gliederung des Stoffes als römischrechtlich qualifiziert werden müssen. Auch inhaltlich spielte das römische Recht eine bedeutende Rolle. Doch der Vorrang des einheimischen, als Gewohnheitsrecht bezeichneten Rechts, das in erster Linie auf den Entscheidungen des ''Court of Session'' beruhte, blieb in Schottland gewahrt. ''James Dalrymple Viscount of Stair'' (1619–1695), der erste und bedeutendste der schottischen ''institutional writers'' führte in seinen ''Institutions of the Law of Scotland'' von 1681 in Übereinstimmung mit den Äußerungen der Juristen der anderen europäischen Länder unter Hinweis auf ''civil'','' canon ''und'' feudal law'' aus: „...from which the terms, tenors and forms of them are much borrowed: and therefore these (especially the civil law) have great weight with us, namely in cases, where a custom is not yet formed.“ In seinem Systementwurf deutete ''Stair'' die Trichotomie der Institutionen ''Justinians'' ähnlich wie der bereits erwähnte Italiener ''Ganassoni'' als Serie von Grundfreiheiten: Freiheit der Person, Freiheit des Eigentums und Vertragsfreiheit. Als Besonderheit der schottischen Institutionenlehrbücher bliebe zu erwähnen, dass einer allerdings nicht ganz genau umgrenzten Zahl von ihnen im 18.&nbsp;Jahrhundert vor Gericht eine besondere Autorität zugesprochen wurde.


=== d) Weitere Insolvenzgründe ===
==Literatur==
 
''Klaus Luig'', Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts, Ius commune III (1970) 64&nbsp;ff.; in englischer Sprache in: The Institutes of National Law in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, The Juridical Review 1972, 139&nbsp;ff.; ''Helmut Coing'', Das Schrifttum der englischen Civilians und die kontinentale Rechtsliteratur in der Zeit zwischen 1550 und 1800, Ius commune V (1975) 1&nbsp;ff.; ''Christian Chêne'', L’enseignement du droit français en pays de droit écrit, Paris 1982; ''John W. Cairns'', Institutional Writings in Scotland Reconsidered, The Journal of Legal History 4 (1983) 76&nbsp;ff.; ''A.W.B. Simpson'', The Rise and Fall of the Legal Treatise, in: idem (Hg.), Legal Theory and Legal History: Essays on the Common Law, 1987, 273&nbsp;ff.; ''John H. Langbein'', Chancellor Kent and the History of Legal Literature, Columbia Law Review 93 (1993) 547&nbsp;ff., 585; ''Italo Birocchi'', Alla ricerca dell’ordine, 2002;'' Jens Peter Meincke'', Die Institutionen Justinians, in: Martin Avenarius (Hg.), Die Institutionenhandschrift der Sammlung Wallraf im Historischen Archiv der Stadt Köln, Leipzig 2008, 15&nbsp;ff.
Hin und wieder haben einzelne Rechtsordnungen weitere Insolvenzgründe herausgebildet. Gemäß sec. 123 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;a und b'' Insolvency Act'' ''1986'' gilt eine Kapitalgesellschaft nach englischem Recht auch im Fall einer nicht erfüllten ''statutory demand'' und einer vergeblichen Vollstreckung als insolvent. Eine ''statutory demand'' gemäß sec. 123 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;a ''Insolvency Act'' ''1986'' ist die schriftliche, am registrierten Sitz der Gesellschaft niedergelegte Aufforderung eines Gläubigers, eine fällige Schuld in Höhe von mindestens GBP&nbsp;750,- zu zahlen.
 
Solche Tatbestände verdanken ihre Existenz dem Bedürfnis der Gläubiger nach einfach zu beweisenden, empirisch und gesellschaftsextern feststellbaren Insolvenzgründen. Materiell stehen beide Tatbestände allerdings der Zahlungsunfähigkeit bzw. ''cash flow insolvency'' gemäß sec. 123 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;e ''Insolvency Act'' ''1986'' nahe, es hätte sogar Sinn gemacht, sie als bloße Beweisregeln der Zahlungsunfähigkeit zu normieren. Denn eine solvente Gesellschaft wird schon im Eigeninteresse dafür sorgen, dass ein Gläubiger nicht unter Berufung auf eine ''statutory demand'' oder eine vergebliche Vollstreckung ein wertzerstörendes Insolvenzverfahren eröffnet.
 
== 3. Regelungsstrukturen und Einheitsrecht ==
 
Ein materielles Einheitsrecht der Insolvenzgründe gibt es in Europa nicht; eine Diskussion, ob ein solches Einheitsrecht wünschenswert ist, ist noch zu führen. Hier kann es nur darum gehen, Eckwerte wesentlicher Regelungsfragen unter Beachtung von Vereinheitlichungsinitiativen zu skizzieren.
 
Der liquiditätsorientierte Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit erweist sich nicht nur im Rechtsvergleich als Konstante, er wird auch im Rahmen von Vereinheitlichungsprojekten (UNCITRAL, Weltbank, ''International Working Group on European Insolvency Law'') für unverzichtbar gehalten. Diese Einschätzung gründet in der unternehmensexternen Wahrnehmbarkeit der Illiquidität in Form der Nichterfüllung und der Logik, dass ein Unternehmen, dem in der Krise die liquiditätssteigernde Akquise von Eigen- oder Fremdkapital nicht gelingt, kein valides Geschäftsmodell verfolgt und daher aus dem Markt ausscheiden sollte. Sofern aber, wie nicht selten, ohne nähere Begründung davon ausgegangen wird, die Zahlungsunfähigkeit genüge als alleiniger Insolvenzgrund, wird übersehen, dass sich in der Zahlungseinstellung zwar das Kreditrisiko realisiert, eine Gefährdung für die Gläubigergesamtheit aber bereits dann vorliegt, wenn Haftungskonkurrenzen bestehen, d.h. die Summe außenstehender Gläubigeransprüche den Gesamtbetrag nach Marktwerten bewerteter Aktiva übersteigt.
 
Eine Möglichkeit für den Gesetzgeber, den Zeitpunkt des Eingreifens des gläubiger- und schuldnerschützenden Insolvenzrechtsregimes im Verhältnis zur Zahlungsunfähigkeit vorzuverlegen, ist die Einführung eines weiteren Insolvenzgrundes. [[UNCITRAL]] und Weltbank erwägen die ergänzende Statuierung eines Überschuldungstatbestands. Um nicht wertschöpfende Unternehmen vorschnell den Gefahren eines Insolvenzverfahrens auszusetzen, geht die Tendenz eindeutig zu einer Bewertung der Aktiva anhand eines ''fair value-''Ansatzes im Rahmen des Überschuldungstatbestands. Keine Einigkeit herrscht hinsichtlich der Frage, ob eine positive Fortführungsprognose auch dann die Überschuldung ausschließen soll, wenn eine nach ''fair value''-Gesichtspunkten erstellte Überschuldungsbilanz eine Überschuldung ausweist. Dafür hat sich – zeitlich begrenzt – der deutsche Gesetzgeber in Reaktion auf die Finanzmarktkrise entschieden, um zu verhindern, dass Unternehmen mit validen Geschäftsmodellen wegen des beeinträchtigten Kreditmarkts abgewickelt werden müssen (Art.&nbsp;5 und 6 Finanzmarktstabilisierungsgesetz v. 17.10.2008).  


Eine weitere Möglichkeit stellt die Einführung der drohenden oder zukünftigen Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund dar (so etwa die ''International Working Group on European Insolvency Law''). Wie bereits dargelegt, ist der Unterschied zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung mehr prinzipieller (Liquiditäts- vs. Bilanzansatz) als funktionaler Art.
==Quellen==
 
''Hugo Grotius'', Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid, ‘s-Gravenhage 1631; ''Georg Adam Struve'', Jurisprudentia Romano-Germanica Forensis, Jenae 1670; ''Gabriel Argou'', Institution au droit françois, huitième édition par Antoine Boucher d’Argis, 2 Bde., Paris 1753; ''William Blackstone'', Commentaries on the Law of England, 4 Bde., Oxford 1765–1769; ''James Kent'', Commentaries on American Law, New York 1826.
Zu klären ist in beiden Fällen, ob sich nur die Kapitalgesellschaft zu Sanierungszwecken auf die früher eingreifenden Insolvenzgründe berufen darf oder auch die Gläubiger, um bei eingetretenen oder drohenden Haftungskonkurrenzen eine gläubigerorientierte ''Corporate Governance'' auszulösen. Entscheidet man sich für ein Berufungsrecht der Gläubiger (oder staatlicher Stellen) ist im nächsten Schritt das Problem des unternehmensexternen Nachweises der Überschuldung bzw. der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu bewältigen. Weder die Überschuldung noch die drohende Zahlungsunfähigkeit sind unternehmensextern wahrnehmbar und stellen die Gläubiger sowohl bei der Insolvenzantragsstellung als auch in Haftungsprozessen ''ex post'' vor erhebliche Nachweisprobleme. Eine Lösungsmöglichkeit ist die Reduzierung der Darlegungs- und Beweisanforderungen unter der Voraussetzung der handelsbilanziellen Überschuldung im Haftungsprozess mit der Folge, dass dann die sachnäheren Geschäftsleiter das Gegenteil, also die Solvenz, darlegen und beweisen müssen (vgl. BGH 5.11.2007, NJW-RR 2008, 495).
 
Allerdings erschöpft sich die Vorverlegung der Auslösung eines Insolvenzverfahrens und der Geschäftsleiter- und Gesellschafterhaftung im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit nicht in gesetzgeberischer Ordnungsmacht. Vielmehr steht auch den Gläubigern die Möglichkeit offen, durch vertragliche Regeln ein früher greifendes System der Haftung und an Gläubigerinteressen orientierter ''[[Corporate Governance]]'' zu installieren (''caveat creditor''). Das englische Recht eröffnet Gläubigern und Gesellschaften beispielsweise die Möglichkeit, privatautonom Insolvenzgründe zu vereinbaren, bei deren Erfüllung Gläubiger die Rechtsmacht haben, ein Insolvenzverfahren auszulösen (paras.&nbsp;14&nbsp;ff. Schedule B1'' Insolvency Act 1986''). Geschäftsleiter- und Gesellschaftersicherheiten, insbesondere in Form persönlicher Bürgschaften, für die Schulden der Kapitalgesellschaft bewirken, dass die persönlich haftenden Personen Gläubigerinteressen berücksichtigen, sobald eine Inanspruchnahme aus der Sicherheit droht.
 
== 4. Kollisionsrecht ==
 
<nowiki>Nach Art.&nbsp;4 der europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO [VO&nbsp;1346/‌2000]; </nowiki>[[Insolvenz, grenzüberschreitende]]) ist das Vorliegen der Insolvenzgründe grundsätzlich nach der ''lex fori concursus'' zu bestimmen. Gemäß Art.&nbsp;4(2) bzw. Art.&nbsp;9(1) der RL&nbsp;2001/‌17 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen sind für die Sanierungsmaßnahmen bzw. die Entscheidung über die Eröffnung eines Verfahrens zur Liquidation eines Versicherungsunternehmens, das Liquidationsverfahren und dessen Wirkungen grundsätzlich die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats maßgebend. Gemäß Art.&nbsp;3(2)1 bzw. Art.&nbsp;10 (1) der RL&nbsp;2001/‌24 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten wird das Kreditinstitut im Grundsatz nach den gesetzlichen Vorschriften, Regelungen und Verfahren des Herkunftsmitgliedstaats saniert bzw. liquidiert. In allen Fällen spricht vieles dafür, die Insolvenzgründe in Bezug auf die Kapitalgesellschaft und nicht isoliert in Bezug auf einzelne Niederlassungen anzuwenden.
 
== 5. Vereinheitlichungsprojekte ==
 
Wichtigere Vereinheitlichungsprojekte materiell- und kollisionsrechtlicher Art mit Relevanz für die Insolvenzgründe sind: UNCITRAL ''Legislative Guide on Insolvency Law'' (Überschuldung allenfalls als ergänzender Insolvenzgrund zur Zahlungsunfähigkeit); EuInsVO (gemäß Art.&nbsp;4 gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das Insolvenzrecht – und damit die Insolvenzgründe – des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird); in dieselbe Richtung Art.&nbsp;11 und 13 UNCITRAL ''Model Law on Cross-Border Insolvency''<nowiki>; RL&nbsp;2002/‌74 zur Änderung der RL&nbsp;80/‌987 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Definition der Zahlungsunfähigkeit gemäß Art.&nbsp;2(1): wenn die Eröffnung eines Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge hat, und wenn die zuständige Behörde a) die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder b) festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen); ähnlich die Konvention Nr.&nbsp;173 (</nowiki>''Employer’s Insolvency'') der ''International Labour Organization'' (ergänzend wird in Art.&nbsp;1(2) auf die Statuierung des Insolvenzgrunds der Überschuldung hingewiesen); ''World Bank'','' Principles and Guidelines for Effective Insolvency and Creditor Rights Systems'' (Zahlungsunfähigkeit als vorzugswürdiger Insolvenzgrund, Überschuldung nur ergänzend); ''International Working Group on European Insolvency Law'' (Insolvenzgründe gemäß §&nbsp;1.2: Zahlungsunfähigkeit oder wahrscheinliche zukünftige Zahlungsunfähigkeit).
 
==Literatur==
''Inge Kroppenberg'', Die Insolvenz im klassischen römischen Recht, 2001; ''W.W. McBryde'', ''Axel Flessner'', ''Sebastian Kortmann'' (Hg.), International Working Group on European Insolvency Law, Principles of European Insolvency Law, 2003; ''Karsten Schmidt'', Insolvenzgründe und Haftung für Insolvenzverschleppung, in: Marcus Lutter (Hg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Sonderheft 17, 2006; ''Bob Wessels'', Cross-Border Insolvency Law, 2007; ''Sebastian Cohnen'', Der Konkurs der Kapitalgesellschaft in Spanien, 2007; ''Philip R. Wood'', Principles of International Insolvency, 2.&nbsp;Aufl. 2007; ''Jochen Drukarczyk'', Finanzierung, 10.&nbsp;Aufl. 2008; ''Hans-Peter'' ''Kirchhof'', ''Hans-Jürgen'' ''Lwowski'', ''Rolf Stürner'' (Hg.), Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bde.&nbsp;1 (§§&nbsp;1–102, InsVV) u.&nbsp;3 (§§&nbsp;270–359, Internationales Insolvenzrecht und Insolvenzsteuerrecht), 2.&nbsp;Aufl. 2007 bzw. 2008; ''Felix Steffek'', Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2010; ''idem'', Insolvenzgründe in Europa, Zeitschrift für Insolvenzrecht 2009, Heft 3.


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Version vom 28. September 2021, 17:39 Uhr

von Klaus Luig

1. Grundlagen

Die Epochen der neueren Privatrechtsgeschichte haben ihren Namen herkömmlicherweise entweder von den jeweils vorherrschenden Formen juristischer Literatur (Glossatoren, Kommentatoren und Pandektenwissenschaft), oder von der vorherrschenden geistigen Strömung (humanistische Jurisprudenz) oder von der in einer bestimmten Epoche wichtigsten Quelle, wie dem Naturrecht, und schließlich auch von dem vorherrschenden inhaltlichen oder methodischen Charakterzug der Rechtsordnung, so etwa der usus modernus des römischen Rechts. Wenn man diese Art und Weise der Bezeichnung der einzelnen Epochen vollständig auf die am meisten verwendete Kategorie, nämlich die Benennung nach der vorherrschenden Form der juristischen Literatur, umstellen wollte, dann ließen sich etwa zusätzlich zu den üblichen Kategorien eine Epoche der humanistischen observatio und schließlich auch eine Epoche der Institutionenlehrbücher identifizieren. Letztere umfasste etwa das 17. und 18. Jahrhundert. In dieser Zeit fand der größte Teil der für die Entwicklung des Rechts grundlegenden Neuerungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Lehre des Privatrechts in fast ganz Europa, einschließlich Englands, und darüber hinaus auch in Amerika in Institutionenlehrbüchern statt. Das bedeutete in erster Linie, dass die wichtigsten Fortschritte in der Entwicklung der Rechtswissenschaft in Lehrbüchern und Systemen erzielt wurden, die sich als Darstellungen der nationalen Rechtsordnungen, insbesondere der nationalen Privatrechtsordnungen in Institutionenform nach dem Schema „Personen – Sachen – Klagen“ verstanden. Daher wurden sie auch in der Regel in der Landessprache der einzelnen europäischen Staaten verfasst, die begannen, sich als Nationalstaaten zu etablieren, was sich, soweit das Recht betroffen war, auch in der zunehmenden Bedeutung der Gesetzgebung zeigte.

2. Stoff

Die im Normalfall in erster Linie für die Ausbildung bestimmten, aber sich häufig gleichzeitig auch deutlich als Vorarbeit einer umfassenden Gesetzgebung oder gar Kodifikation darstellenden Institutionenlehrbücher umfassten im Idealfall, wenngleich im einzelnen mit mehr oder weniger großen Unterschieden, inhaltlich den usus modernus des römischen Rechts, das heißt die Darstellung des gewohnheitsrechtlich kraft Rezeption oder als ratio scripta geltenden römischen Rechts (ius commune) mit den auf der zeitgenössischen Interpretation (usus modernus) der römischen Rechtstexte beruhenden Derogationen und Zusätzen (limitationes und amplificationes). Dazu kamen das angestammte einheimische Recht und die moderne Gesetzgebung, weiter die oft auf der Rechtsprechung beruhenden oder durch die Rechtsprechung bestätigten Normen des zeitgenössischen Gewohnheitsrechts und schließlich in sehr unterschiedlichem Umfange auch Elemente des Naturrechts. Ein wichtiges Charakteristikum der so beschriebenen wissenschaftlichen Literatur war die Ausscheidung von nicht mehr als geltendes Recht betrachteten und damit überflüssigen Regeln des römischen Rechts als haud receptum vel abrogatum aus den Lehrbüchern und gleichzeitig die gleichberechtigte Einfügung der nicht auf römischem Recht beruhenden und somit einheimischen Bestandteile des geltenden Rechts in die Lehrbücher und Systeme des Privatrechts.

3. System

Bei der systematischen Ordnung dieser Lehrbücher ging es erstens um die Erfassung des insgesamt in den einzelnen Teilen des Corpus Juris enthaltenen römischen Rechtsstoffes sowie zweitens um die Ordnung dieser Materien Seite an Seite mit den jeweiligen auf nationaler Grundlage beruhenden Materialien ganz unterschiedlicher Herkunft und Genese zu einem einheitlichen System. Die damit verbundenen Schwierigkeiten wurden, was den römischen Rechtsstoff anbelangte, dadurch bewältigt, dass die Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts in ihrer systematischen Gliederung mit von Fall zu Fall mehr oder weniger bedeutenden Varianten dem Vorbild der Gliederung der Institutionen Justinians mit der auf vier Bücher verteilten Ordnung von personae – res (corporales und incorporales) – actiones folgten. Die Normen des einheimischen Rechts wurden in das romanistische Institutionensystem eingefügt. Das war etwa der Fall bei der Einfügung der deutschrechtlichen Einkindschaft in die Adoption (Inst. Just. 1,11) oder bei der Behandlung des Versicherungsvertrages (assecuratio) als Innominatvertrag nach den Kriterien des römischen Rechts.

4. Begriffe

Außer dem System wurden auch die begrifflichen Grundlagen des zu vermittelnden Stoffes dem römischen Recht entnommen. Das war gerade bei den Materien von Bedeutung, die durch vom römischen Recht unabhängige, ursprünglich einheimische Normen geregelt wurden. Das heißt, die Denkweise der Juristen war romanistisch. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale auch eines nicht dem römischen Recht entnommenen Satzes, wie etwa „meubles n’ont point de suite par hypothecque quand ils sont hors de la possession du debteur“ waren Begriffe des römischen Rechts: meubles, hypothecqe, possession, debteur. Denn was eine hypothecque oder possession (Besitz) etc. im Sinne dieser Regel war, ergab sich nur aus dem römischen Recht.

5. Vorgeschichte

Der Literaturtyp des Institutionenlehrbuchs trat in Gestalt eines Vorläufers zum ersten Male in den um 160 entstandenen „Institutionen“ des römischen Juristen Gaius auf. Das Werk war für den Rechtsunterricht bestimmt und zeichnete sich aus durch Vollständigkeit in der Berücksichtigung aller wesentlichen Fragen, durch eine klare und rationale Gliederung sowie durch leichte Verständlichkeit. Diesem Vorbild folgte der oströmische Kaiser Justinian (525–565) mit dem an die Spitze seiner Kodifikation gestellten offiziellen Lehrbuch der Institutionen (Corpus Juris Civilis). Was dieses leisten sollte, beschrieb Justinian in der Einleitungskonstitution mit folgenden an die Studenten des Rechts gerichteten Worten: „So braucht ihr die Anfangsgründe des Rechts nicht mehr aus veralteten Geschichten zu erlernen, sondern ihr könnt sie einem glänzenden kaiserlichen Werk entnehmen, und eure Ohren und euer Verstand werden nichts Unnützes und nichts Falsches mehr aufnehmen, sondern nur das, was im Rechtsleben wirklich gilt“ (Constitutio Imperatoriam). Der Ton dieser Konstitution liegt auf den Worten „was im Rechtsleben wirklich gilt“.

Das Vorbild der Institutionen von Justinian hat im Verlaufe der Geschichte der Rechtswissenschaft seit dem Beginn der Rezeption des römischen Rechts im 12. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Situationen eine große Rolle gespielt, in denen es darum ging, das gesamte positiv geltende Recht in fassbarer und praktikabler Form darzustellen. Zwar hatten Lehrbücher der Institutionen unter den von den Glossatoren verwendeten Literaturformen keine große Bedeutung. Doch als Vorläufer lassen sich immerhin die zusammenfassenden systematischen Darstellungen der Summen verstehen. Das gilt insbesondere für die Summen zum Codex und zu den Institutionen, wie sie die Glossatoren verfasst haben. Das entsprechende gilt für die Epoche der Kommentatoren. Die von den Kommentatoren bevorzugte Literaturform des Kommentars stellte keine systematischen Ansprüche. Ansatzpunkte für „Institutionenlehrbücher“ gab es in dieser Zeit allenfalls bei den von Titel zu Titel überleitenden Bemerkungen zu den Institutionen. Die Humanisten waren an einem zusammenfassenden Lehrbuch des geltenden Rechts weniger interessiert. Doch waren ihre Systementwürfe stets stark von Justinians Institutionen inspiriert.

6. Quellen

Der hier geschilderte Typ des Institutionenlehrbuchs aus der Zeit vom 17. bis zum 18. Jahrhundert reagierte auf eine grundsätzlich wichtige Veränderung der Rechtsquellenlehre. An die Stelle des mehr oder weniger vollständig und ohne große Veränderungen übernommenen römischen Rechts trat eine positive Rechtsdogmatik des gesamten geltenden Rechts in den einzelnen Ländern. Nach dem Ende der Ausbreitung des römischen Rechts in orbem terrarum im Mittelalter begann in der Neuzeit eine nationale Differenzierung des Rechts der einzelnen europäischen Staaten, deren typische Literaturform trotz aller Verschiedenheiten von Land zu Land und von Buch zu Buch in allen Staaten das Institutionenlehrbuch war.

7. Entwicklung

Die Institutionenlehrbücher haben ihren Ursprung in Frankreich. Eine der grundlegenden Ideen, die Vereinheitlichung des geltenden Rechts auf nationaler Ebene, hat als erster Charles Dumoulin (Molinaeus) (1500–1566) ausgesprochen. Dumoulin wollte alle französischen coutumes auf eine Einheit, auf eine consuetudo generalis zurückführen, die in einem absolutissimus libellus aufzuzeichnen sei. Pathetisch sprach Dumoulin von einem „brevissimus, candidissimus, expeditissimus et absolutissimus libellus“. Das römische Recht hätte darin die Rolle einer ratio scripta spielen sollen. Der französische Jurist Jerosme Mercier beschrieb 1655 in seinen „Remarques du droit françois“ den Inhalt eines solchen absolutissimus libellus wie folgt: „Wir begnügen uns damit, hier das zu berichten, was am weitesten in Frankreich verbreitet ist, und zwar vorwiegend in der Rechtsprechung des Parlement de Paris.“ Erstes Beispiel eines Werkes aus dem Geiste der Institutionenlehrbücher waren die „Pandectes ou Digestes du droit français“ von Louis Charondas le Caron (1536–1617). Es folgte die „Institution au droit françois“ von Guy Coquille (1523–1603), die 1607 gemeinsam mit den anonymen, doch von Antoine Loisel (1536–1617) stammenden „Institutes coutumieres“ zu Paris veröffentlicht wurde. Coquille folgte keinem erkennbaren System, doch das begriffliche Substrat seiner Darstellung war romanistisch. Inhaltlich handelt es sich um eine Übersicht über die verschiedenen territorialen coutumes mit der Tendenz der Erfassung der Gemeinsamkeiten und der Vereinheitlichung im Falle üerbrücbarer Differenzen.

Bei der Arbeit von Loisel handelt es sich um eine Sammlung von alten und neuen Rechtsprichwörtern und Sentenzen des „droit coustumier & plus ordinaire de la France“. Dem in sechs Bücher gegliederten Werk liegt das modifizierte Institutionenschema mit Personen, Sachen, Verträgen und Klagen zugrunde. Französische Besonderheiten sind an den nach dem inhaltlichen Zusammenhang passenden Stellen eingefügt. Das begriffliche Instrumentarium ist weithin das des europäischen ius commune.

8. Länderübersicht

Als bestes Lehrbuch dieser Art gilt das zuerst 1692 erschienene Buch von Gabriel Argou, das in der Bearbeitung von Antoine Boucher d’Argis mehrfach aufgelegt wurde. Das als „Institution au droit françois“ bezeichnete Werk ist in vier Bücher gegliedert: 1. Personen; 2. Sachen; 3. Obligationen (wozu in erster Linie die Eheschließung zählt, dann aber auch Kauf, Rente etc.); 4. Accessoires zu den Verträgen, nämlich Kaution, Garantie, Hypothek, cession, sodann Beendigung der Obligation und Novation. Die theoretischen Grundlagen sind romanistisch, aber neben dem römischen Recht finden sich überall die Institutionen des französischen Rechts, so z.B. retrait, Rente, bail, Erbverzicht der dotierten Tochter, Vorrecht des ältesten Sohnes bei der Nachfolge in das Lehen usw. Argou räumte ein, es handele sich um Prinzipien des droit coutumier mit großen Verschiedenheiten von coutume zu coutume, aber trotzdem gebe es, wie seit Dumoulin herrschende Lehre war, gemeinsame generell geltende Prinzipien.

Dem hier stark vereinfachend dargestellten Typ des Institutionenlehrbuchs am nächsten kommt die 1631 zuerst in Den Haag erschienene und vielmals wieder aufgelegte und übersetzte „Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid“ des Niederländers Hugo Grotius (1583–1645).

In Spanien stand die Abfassung von Institutionenlehrbüchern im Dienste der Vereinheitlichung des Rechts unter der Herrschaft des seit 1700 regierenden Hauses Bourbon durch Bevorzugung des kastilischen Rechts. Die Normen des römischen Rechts wurden dadurch auf ihre Bedeutung für die theoretischen Grundlagen und Grundbegriffe zurückgedrängt. Was jedoch materiellrechtlich vom römischen Recht unverzichtbar war, war bereits seit dem Mittelalter durch die spanische Gesetzgebung rezipiert worden. Hauptbeispiel für ein spanisches Institutionenlehrbuch sind die „Instituciones del derecho civil de Castilla“ von Ignacio Jordan de Asso y del Rio und Miguél de Manuel y Rodriguez, die ab 1771 mehrfach aufgelegt worden sind.

In Deutschland hat als erster der Sekretär des Herzogs von Bayern, Andreas Perneder (um 1499–1543), ein Werk vom Typ des Institutionenlehrbuchs verfasst, das jedoch erst 1544 nach Perneders Tod gedruckt, dann aber sehr oft nachgedruckt wurde. Der Titel offenbart das Programm des Autors: „Institutiones. Auszug und anzaigung etlicher geschriben Kayserlichen und des heyligen Reichs rechte, wie die gegenwertiger Zeyten in Uebung gehalten werden“. Es handelt sich um eine summarische Darstellung des Stoffes der Institutionen Justinians unter Weglassung obsoleter Materien, wie etwa die Rechtsstellung der Freigelassenen, und Einfügung deutschrechtlicher Materien, wie etwa die deutschrechtliche Leibeigenschaft. Den größten Bekanntheitsgrad in Deutschland erzielte die ab 1670 in zahllosen Ausgaben und Bearbeitungen verbreitete „Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“ von Georg Adam Struve (1619–1692). Näher den Idealen dieses Literaturtyps war aber wohl Struves sehr umfangreiche, auf Deutsch geschriebene „Juris-Prudenz, oder: Verfassung der Land-üblichen Rechte“ von 1689, bei der auch der Zweck dieser Art von Literatur als vorbereitende Arbeit für eine Gesetzgebung erkennbar wird. Die in Deutschland seit Christian Thomasius (1655–1728) übliche getrennte Darstellung von römischem Recht und deutschem Privatrecht führte dazu, dass im 18. Jahrhundert der Typ des Institutionenlehrbuchs in Deutschland nicht mehr vertreten war.

Im Unterschied zu dem in Deutschland Üblichen wurden die Institutionenlehrbücher in den anderen europäischen Ländern nicht auf Latein, sondern in der Landessprache verfasst. Der Neapolitaner Niccolo Valletta (1748–1814) rechtfertigte das im Jahre 1776 damit, dass die Zeiten vorbei seien, in denen man aus den Gesetzen ein Geheimnis gemacht habe. Das Recht sollte, meinte Valletta, in der Weise dargestellt werden, dass jeder Bürger aus einfachen Grundsätzen seine Rechte und Pflichten ersehen könne.

Angesichts der politischen Zersplitterung Italiens kann man Institutionenlehrbücher von größerer Bedeutung nur für das gius veneto von Venedig und das diritto del regno napoletano Neapels erwarten. Andreas Benedictus Ganassoni trug seit 1765 das venezianische Recht auf der Grundlage der Prinzipien des Naturrechts in Institutionenform gemeinsam mit dem römischen Recht in der Ordnung persona – res – actiones vor. Ganassoni deutete diese Ordnung in einem naturrechtlichen Sinne als Ausdruck gesellschaftlicher Grundregeln: Ausgangspunkt ist der homo socialis, der der Dinge in seiner Umwelt zum Überleben bedarf. Zur Befriedigung dieser Bedürfnisse schließt der Mensch Verträge, zu deren Sicherung das Recht dient, vor Gericht geltend zu machen, was einem jeden zusteht.

Was die begrifflichen Grundlagen anbelangt, definierte der Däne Laurids Nørregard 1784 besonders deutlich die Bedeutung des römischen Rechts als Grundlage für das Erlernen von „juristischer Denkart und Ordnung“. Dabei hielt Nørregaard alle Normen des römischen Rechts für anwendbar, die sich als Konkretisierung von Prinzipien des Naturrechts ansehen ließen.

Vorwiegend aus dem Stoff der Entscheidungen des obersten schottischen Gerichtshofes, des Court of Session, haben als institutional writers bezeichnete Juristen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts das schottische Recht geformt. Hierfür gilt ebenfalls, dass der Begriffsapparat und die Gliederung des Stoffes als römischrechtlich qualifiziert werden müssen. Auch inhaltlich spielte das römische Recht eine bedeutende Rolle. Doch der Vorrang des einheimischen, als Gewohnheitsrecht bezeichneten Rechts, das in erster Linie auf den Entscheidungen des Court of Session beruhte, blieb in Schottland gewahrt. James Dalrymple Viscount of Stair (1619–1695), der erste und bedeutendste der schottischen institutional writers führte in seinen Institutions of the Law of Scotland von 1681 in Übereinstimmung mit den Äußerungen der Juristen der anderen europäischen Länder unter Hinweis auf civil, canon und feudal law aus: „...from which the terms, tenors and forms of them are much borrowed: and therefore these (especially the civil law) have great weight with us, namely in cases, where a custom is not yet formed.“ In seinem Systementwurf deutete Stair die Trichotomie der Institutionen Justinians ähnlich wie der bereits erwähnte Italiener Ganassoni als Serie von Grundfreiheiten: Freiheit der Person, Freiheit des Eigentums und Vertragsfreiheit. Als Besonderheit der schottischen Institutionenlehrbücher bliebe zu erwähnen, dass einer allerdings nicht ganz genau umgrenzten Zahl von ihnen im 18. Jahrhundert vor Gericht eine besondere Autorität zugesprochen wurde.

Literatur

Klaus Luig, Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts, Ius commune III (1970) 64 ff.; in englischer Sprache in: The Institutes of National Law in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, The Juridical Review 1972, 139 ff.; Helmut Coing, Das Schrifttum der englischen Civilians und die kontinentale Rechtsliteratur in der Zeit zwischen 1550 und 1800, Ius commune V (1975) 1 ff.; Christian Chêne, L’enseignement du droit français en pays de droit écrit, Paris 1982; John W. Cairns, Institutional Writings in Scotland Reconsidered, The Journal of Legal History 4 (1983) 76 ff.; A.W.B. Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise, in: idem (Hg.), Legal Theory and Legal History: Essays on the Common Law, 1987, 273 ff.; John H. Langbein, Chancellor Kent and the History of Legal Literature, Columbia Law Review 93 (1993) 547 ff., 585; Italo Birocchi, Alla ricerca dell’ordine, 2002; Jens Peter Meincke, Die Institutionen Justinians, in: Martin Avenarius (Hg.), Die Institutionenhandschrift der Sammlung Wallraf im Historischen Archiv der Stadt Köln, Leipzig 2008, 15 ff.

Quellen

Hugo Grotius, Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid, ‘s-Gravenhage 1631; Georg Adam Struve, Jurisprudentia Romano-Germanica Forensis, Jenae 1670; Gabriel Argou, Institution au droit françois, huitième édition par Antoine Boucher d’Argis, 2 Bde., Paris 1753; William Blackstone, Commentaries on the Law of England, 4 Bde., Oxford 1765–1769; James Kent, Commentaries on American Law, New York 1826.