Gerichtsbarkeit und Gerichtsstandsvereinbarung, internationale: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Begriff und Rechtsquellen ==
== 1. Begriff, Gegenstand und Funktion ==


Der Begriff der Gerichtsbarkeit beschreibt im internationalen Zivilverfahrensrecht die völkerrechtlich bestimmte Reichweite der inländischen Rechtsprechungsgewalt. Die Vorschriften über die Gerichtsbarkeit legen fest, ob der inländische Richter völkerrechtlich überhaupt entscheiden darf; sie sind Teil der Regeln über die völkerrechtlichen Grenzen der Hoheitsgewalt eines jeden Staates. Die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte lässt sich vor allem negativ definieren. Die inländischen Gerichte dürfen völkerrechtlich nicht entscheiden, soweit ihre Gerichtsbarkeit durch die Grundsätze der Staatenimmunität (sogleich 2.), durch die Exemtion bestimmter Personen von der inländischen Gerichtsbarkeit (sodann 3.) sowie durch das Verbot der Vornahme extraterritorialer Hoheitsakte (unten 4.) und extraterritorial bezogener Hoheitsakte (schließlich 5.) eingeschränkt wird.
In einer Gerichtsstandsvereinbarung wird die Zuständigkeit des darin bestimmten Gerichts vereinbart (Prorogation), während die Zuständigkeit des unabhängig von der Gerichtsstandsvereinbarung nach den gesetzlichen Regeln zuständigen Gerichts abgewählt wird (Derogation). Beide Aspekte sind getrennt voneinander zu beurteilen. Die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts wird meist als ausschließliche, bisweilen aber auch lediglich als zusätzliche, sogenannte besondere Zuständigkeit vereinbart.


Vordergründig enthält das ''Gemeinschaftsrecht'' keine Regelungen zur Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten. Zwar regelt das sekundäre Gemeinschaftsrecht in zahlreichen Rechtsakten die [[Zuständigkeit, internationale|internationale Zuständigkeit]]. Jedoch ist auch im Gemeinschaftsrecht klar zwischen internationaler Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit zu trennen; die Gerichtsbarkeit ist der internationalen Zuständigkeit vorgelagert (GA ''Ruiz-Jarabo Colomer'', Schlussanträge in der Rs. C-292/‌05 – ''Lechouritou'', Slg. 2007, I-1519, Rn. 77 f.). Auch derogieren die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Gerichte ([[Europäisches Zivilprozessrecht]]) nicht ohne Weiteres von den völkerrechtlichen Regeln über die Gerichtsbarkeit. Etwa gestattet Art. 14(2)(b) der Beweisaufnahme-VO (VO 1206/‌2001; [[Beweisrecht, internationales]]) ausdrücklich die Zurückweisung eines Beweisaufnahmeersuchens, wenn die „Erledigung des Ersuchens nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt“, was wohl auch die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit umfasst (zum Begriff der Gerichtsgewalt siehe GA ''Juliane Kokott'', Schlussanträge in der Rs. C-175/‌06 – ''Alessandro Tedesco'', Slg. 2007, I-7929, Rn. 103 ff.). Auch wenn das Gemeinschaftsrecht die völkerrechtlichen Regeln über die Gerichtsbarkeit damit regelmäßig nicht ''direkt'' berührt, so kann es diese Regeln freilich ''indirekt'' modifizieren. Das allgemeine (dispositive) Völkerrecht wird im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander durch das Gemeinschaftsrecht überlagert. Grundsätzlich kann deshalb, eine entsprechende Kompetenz vorausgesetzt, eine gemeinschaftsrechtliche Norm die völkerrechtlichen Grundsätze über die Gerichtsbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten abändern.
Als eine von den Parteien eines Rechtsverhältnisses geschlossene Vereinbarung über die Zuständigkeit ist die Gerichtsstandsvereinbarung Ausdruck der auch im Prozessrecht geltenden Parteiautonomie. Das Ordnungsinteresse des Staates an der Einhaltung der gesetzlichen Zuständigkeiten tritt gegenüber den Parteiinteressen innerhalb gewisser Grenzen zurück. Im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr sprechen für eine Gerichtsstandsvereinbarung insbesondere die Rechtssicherheit, der Gleichlauf von ''lex fori'' und ''lex causae'' durch eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung, die Wahl eines neutralen oder besonders sachkundigen Gerichts und die Vollstreckungsmöglichkeit im Urteilsstaat. Gegen Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich insbesondere anführen, dass Sie die strukturell schwächere Partei eines Vertragsverhältnisses vor die (ggf. weit entfernten) Heimatgerichte der stärkeren Partei zwingen können, was die Rechtsdurchsetzung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen würde. Gegenüber Verbrauchern, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern sind Gerichtsstandsvereinbarungen daher häufig eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen (vgl. etwa Art. 13, 17, 21 Brüssel I-VO (VO 44/‌2001); diese Wertung steht auch hinter dem Ausschluss vom Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen nach dessen Art.2(1)(a); in den betroffenen Konstellationen ist häufig auch eine Rechtswahl nur eingeschränkt möglich, vgl. etwa Art. 6(2), 7(3), 8(1), aber auch 5(2)3 Rom I-VO (VO 593/‌2008)).


== 2. Grundsätze der Staaten­immunität ==
== 2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung ==


=== a) Völkerrecht ===
Bereits im römischen Zivilprozessrecht des Formularverfahrens war der von den Parteien gewählte Gerichtsstand, das später gemeinrechtlich so bezeichnete ''forum prorogatum'', anerkannt. So konnte etwa die Zuständigkeit des ''praetor peregrinus'' auch in einem Rechtsstreit zwischen römischen Bürgern vereinbart werden. Ebenso konnten zwei Fremde die Zuständigkeit des ''praetor urbanus'' vereinbaren (Ulp. D. 5,1,2,1 zitiert diesbezüglich die ''lex Iulia iudiciorum'' aus dem Jahre 17 n. Chr.). Erforderlich war eine einverständliche Unterwerfung, die solange widerrufen werden konnte, bis der entsprechende ''praetor'' als Gerichtsmagistrat angerufen war. Willensmängel führten zur Unwirksamkeit der Unterwerfung. Voraussetzung war außerdem, dass beide Parteien die Unzuständigkeit nach den an sich bestehenden Gerichtsständen kannten. Die Zustimmung des angerufenen ''praetor'' war dagegen nicht erforderlich.


Aus dem Grundsatz der Staatensouveränität und der Gleichheit aller Staaten folgt die Befreiung ausländischer Staaten von der inländischen Gerichtsgewalt im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren: ''Par in parem non habet imperium''. Die Grundsätze der Staatenimmunität sind völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, werden aber völkervertraglich teils kodifiziert sowie teils zwischen den Vertragsstaaten modifiziert. Zu nennen sind insbesondere das Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität von 1972 (EuStImÜ) sowie die von der UN-Generalversammlung im Jahr 2004 zur Annahme empfohlene UN ''Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property'' (UN ''Convention''). Daneben haben einige Staaten Immunitätsgesetze erlassen, etwa das Vereinigte Königreich den ''State Immunity Act 1978'' sowie die USA den ''Foreign Sovereign Immunities Act'' (28 USCA §§ 1602 ff.).
Dieser liberalen Auffassung, die der Parteiautonomie Vorrang vor staatlichen Ordnungsinteressen einräumte, stand im Gemeinen Recht ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) die germanisch geprägte Dingpflicht gegenüber, welche die Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nicht zuließ. Insbesondere die Derogation der inländischen Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit wurde als mit der territorialen Justizhoheit unvereinbar angesehen. Diese ablehnende Haltung gegenüber der Derogation einer inländischen Zuständigkeit hat sich in einigen europäischen Rechtsordnungen sehr lange gehalten; so etwa bis 1995 in Italien zugunsten eigener Staatsangehöriger und bis Anfang der 1990er Jahre in Spanien. Zudem ist noch heute in zahlreichen Rechtsordnungen, die eine Pro- und Derogation anerkennen, nur die Prorogation ausdrücklich geregelt (siehe etwa § 38 ZPO, § 104 Abs. 1 JN, Art. 22 Abs. 2 LOPJ, Art. 23 Brüssel I-VO). Eine ausdrückliche Regelung der Derogation findet sich etwa im niederländischen Recht (Art. 8 Nr. 2 Rv).


Überwiegend wird die Staatenimmunität im ''Erkenntnisverfahren'' nicht als absolut, sondern relativ verstanden. Der ausländische Staat ist als Beklagter nur von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, soweit das Verfahren seine ''acta iure imperii'' – also Hoheitsakte – betrifft (siehe nur BVerfG 30.4.1963, BVerfGE 16, 27, 61). Die Qualifikation staatlicher Handlungen als ''acta iure imperii'' ist grundsätzlich eine völkerrechtliche Frage. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht zumindest für die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren festgestellt, dass mangels subsumtionsfähiger völkerrechtlicher Kriterien bei der Definition von hoheitlichem Handeln auf die ''lex fori'' zu rekurrieren sei (BVerfG 30.4.1963, BVerfGE 16, 27, 62). Hinsichtlich seiner ''acta iure gestionis'' – seiner privaten Handlungen – unterliegt der ausländische Staat der inländischen Gerichtsbarkeit. Er wird anderen Privaten gegenüber nicht privilegiert.
Heute ist die Zuständigkeitsbegründung durch Gerichtsstandsvereinbarung in den Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten und der Brüssel I-VO anerkannt. Dabei sehen die europäischen Rechtsordnungen die Gerichtsstandsvereinbarung im Grundsatz übereinstimmend als vertragliche Vereinbarung an. Jenseits dieses gemeinsamen Nenners besteht jedoch zwischen ''[[common law]]'' und ''civil law''-Jurisdiktionen ein unterschiedliches systematisches Verständnis. Die meisten ''civil law''-Jurisdiktionen sehen die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag bzw. materiell-rechtlichen Vertrag über prozessuale Beziehungen an. Daraus wird geschlossen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung keine Verpflichtungs-, sondern volle Verfügungswirkung hat: Durch die Prorogation wird der vereinbarte Gerichtsstand unmittelbar begründet. Mangels Verpflichtungswirkung kann die Befolgung der Prorogation aber nicht von der anderen Partei im Wege einer einstweiligen Verfügung oder einer Unterlassungsklage erzwungen werden. Es bleibt vielmehr nur die Rüge der Unzuständigkeit vor dem unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufenen Gericht. Das englische ''[[common law]]'' sieht die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen als einen Vertrag wie jeden anderen materiellrechtlichen Vertrag an. Er begründet Rechte und Pflichten, deren Einhaltung gerichtlich erzwungen werden kann. Dies geschieht insbesondere mittels ''anti-suit injunctions''. Durch diese Prozessführungsverbote wird dem Kläger bereits vor oder nach Klageerhebung vor einem anderen als dem prorogierten Gericht strafbewehrt untersagt, diese Klage anzustrengen oder weiter zu betreiben. Soweit das unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht die Derogation der eigenen Zuständigkeit anerkennt, ist ein derartiges Prozessführungsverbot an sich nicht notwendig. Es stellt lediglich ein zusätzliches, meist aber besonders effektives Mittel zur Durchsetzung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber prozessverzögernden Taktiken dar. Dabei greift das Prozessführungsverbot allerdings in die Entscheidungsautonomie des angerufenen Gerichts ein (auch wenn es sich formal nur an die andere Partei richtet). Ob ''anti-suit injunctions'' im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO zulässig sind, war lange Zeit unklar. Der Streit entzündete sich nicht an der Rechtsnatur der Gerichtsstandsvereinbarung, sondern an der Systematik und den Grundprinzipien der Brüssel I-VO. Schließlich hat der EuGH Prozessführungsverbote für mit der Brüssel I-VO unvereinbar erklärt (EuGH Rs. C- 159/‌02 – ''Turner'', Slg. 2004, I-3855), da sie gegen das der Verordnung zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens der mitgliedstaatlichen Gerichte verstoßen und in die Zuständigkeitsentscheidung eines nach der Brüssel I-VO angerufenen Gerichts eingreifen. Mit der Problematik eng verbunden ist die Frage des Verhältnisses der ''lis alibi pendens''-Regel (Art. 27) zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen. Englische Gerichte haben die ihre Zuständigkeit begründenden Gerichtsstandsvereinbarungen lange Zeit als vorrangig gegenüber dem ''lis alibi pendens''-Grundsatz angesehen (und durch ''anti-suit injunctions'' abgesichert). Auch dem hat der EuGH in der Rechtssache ''Gasser'' (Rs. C-116/‌02, Slg. 2003, I-14693) widersprochen und dem ''lis alibi pendens''-Grundsatz Vorrang eingeräumt. Das Verhältnis der ''lis alibi pendens''-Regel zu Gerichtsstandsvereinbarungen ist eine der zentralen Fragestellungen im jüngst veröffentlichten Grünbuch der Kommission (KOM(2009) 175 endg.) zur Überprüfung der Brüssel I-VO (dort unter 3.). Angesichts der Entscheidungen des EuGH in ''Gasser'' und ''Turner'' erscheint auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung problematisch. Er greift zwar nicht direkt in die Zuständigkeitsentscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts ein, fällt hierüber aber doch ''ex post'' ein Urteil. Der EuGH hatte bisher noch keine Gelegenheit, diese Frage zu klären. Englische Gerichte stehen derartigen Schadensersatzklagen offen gegenüber.


Daneben ist der ausländische Staat auch im ''Vollstreckungsverfahren'' grundsätzlich vor inländischen Vollstreckungsmaßnahmen geschützt. Jedoch genießt der ausländische Staat auch hier von Völkerrechts wegen keine absolute Immunität (anders aber Art.&nbsp;23 EuStImÜ). Zwar existiert kein Konnexitätsgrundsatz, wonach nur in Gegenstände vollstreckt werden darf, die einem privatrechtlichen Zweck dienen, der mit dem zu vollstreckende Anspruch einen Zusammenhang aufweist (so aber noch Cass.&nbsp;civ. 14.3.1984, Revue de l’arbitrage 1985, 69, 71; anders Cour d’Appel Paris 9.7.1992, Revue de l’arbitrage 1994, 133; siehe nunmehr Cass.&nbsp;civ. 25.1.2005, Revue critique de droit international privé 2006, 123). Aber dem Zugriff der inländischen Vollstreckungsorgane sind Gegenstände des fremden Staates entzogen, die hoheitlichen Zwecken des fremden Staates dienen (Art.&nbsp;19(c) der UN'' Convention''<nowiki>; BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 392; BVerfG 12.4.1983, BVerfGE 64, 1, 40)</nowiki>. Zur Qualifikation des Verwendungszwecks kann auch bei der Vollstreckungsimmunität auf die Rechtsvorstellungen des Vollstreckungsstaates zurückgegriffen werden, soweit es an völkerrechtlichen Kriterien mangelt. Zwar nehmen die Gerichte im Rahmen der Vollstreckungsimmunität die Abgrenzung meist ohne expliziten Rückgriff auf das eigene Recht vor (vgl. BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 394&nbsp;ff.; BVerfG 12.4. 1983, BVerfGE 64, 1, 42). Dennoch ist eine Qualifikation ''lege fori'' jedenfalls völkerrechtlich zulässig. Eine Vollstreckungsmaßnahme in einen im Inland belegenen Gegenstand des ausländischen Staates aufgrund einer abweichenden Qualifikation des Verwendungszwecks führt in aller Regel nicht zu einer Gefährdung der Souveränität des ausländischen Staates: Die Qualifikation des Bestimmungszwecks eines im Inland belegenen Vermögensgegenstandes ist keine ausschließliche Angelegenheit des fremden Staates (BVerfG 12.4.1983, BVerfGE 64, 1, 43).
== 3. Regelungsstrukturen im europäischen Zivilprozessrecht ==


Die Staatenimmunität besteht nicht ausnahmslos. Der ausländische Staat kann etwa auf seine Immunität ''verzichten'' und sich der inländischen Gerichtsbarkeit unterwerfen. Ein Immunitätsverzicht ist nicht nur im Erkenntnisverfahren (vgl. nur Art.&nbsp;1(2)(a) EuStImÜ; Art.&nbsp;9 UN ''Convention''), sondern auch im Vollstreckungsverfahren möglich (vgl. nur Art.&nbsp;23 EuStImÜ; Art. 19(a) UN ''Convention''). Ein Verzicht auf die Immunität im Erkenntnisverfahren bedingt aber keinen Verzicht auf die Vollstreckungsimmunität (Art.&nbsp;20 UN ''Convention''<nowiki>; BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 366&nbsp;f.), denn Vollstreckungs-maßnahmen greifen in der Regel sehr viel unmittelbarer und einschneidender in die Ausübung der Hoheitsgewalt des fremden Staates ein als gerichtliche Erkenntnisse. Eine weitere Ausnahme enthält zum Teil das Völkervertragsrecht für </nowiki>''extraterritorial begangene Delikte'' (Art. 11 EuStImÜ; Art.&nbsp;12 UN ''Convention''<nowiki>; siehe auch für das Vereinigte Königreich Sec.&nbsp;5 des </nowiki>''State Immunity Act 1978''<nowiki>; für die USA 28 USCA §&nbsp;1605(a)(5). Umstritten ist jedoch, ob diese Ausnahmen das Völkergewohnheitsrecht widerspiegeln und – vor allem – für </nowiki>extraterritoriale ''acta iure imperii ''gelten (dagegen etwa BGH 26.6.2003, BGHZ 155, 279, 283&nbsp;f.; EGMR Nr. 31253/‌96 – ''McElhinney v. Ireland'', ECHR Rep. 2001-XI, 37, §&nbsp;38; vgl. aber auch ''Liu'' v. ''Republic of China'', 892 F2d 1419 (9th Cir. 1989)).
Die Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.&nbsp;23 ist eine der praktisch wichtigsten Zuständigkeiten der Brüssel&nbsp;I-VO. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art.&nbsp;23 die mitgliedstaatlichen Regelungen, so dass insbesondere die Prorogations- und Derogationsschranken der nationalen Rechte keine Wirkung entfalten. Dabei stellt Art.&nbsp;23 geringere Anforderungen als die Regelungen der meisten Mitgliedstaaten.


Keine Ausnahme von den Grundsätzen der Staatenimmunität ist für ''acta iure imperii'' zu machen, die gegen ''zwingendes Völkerrecht'' verstoßen. Gegenläufige Überlegungen haben sich in der völkerrechtlichen Praxis bisher nicht durchgesetzt. Zwar hat das englische ''House of Lords'' im ''Pinochet''-Fall Ansätze einer Erosion der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter bei der Verletzung zwingenden Völkerrechts erkennen lassen (''Regina'' v. ''Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate and others'',''<nowiki> ex parte Pinochet Ugarte [No&nbsp;3]</nowiki>''<nowiki> [2000] 1 AC 147). Auch die griechischen (siehe Areopag 4.5.2000, Krit.&nbsp;J. 2000, 472) und italienischen Gerichte (siehe vor allem Corte&nbsp;cass. </nowiki>11.3.2004, ''Ferrini c.'' ''Repubblica federale di Germania'', Rivista di diritto internazionale 87 (2004) 539; Corte&nbsp;cass. 29.5.2008, ''Repubblica federale di Germania c.'' ''Presidenza Consiglio dei ministri'', Rivista di diritto internazionale 91 (2008) 896) haben der Bundesrepublik Deutschland für Ansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg die Staatenimmunität verweigert. Von diesen vereinzelten Ausnahmen abgesehen haben die nationalen Gerichte allerdings bei Verstößen gegen zwingendes Völkerrecht regelmäßig Staatenimmunität gewährt (siehe nur ''Princz v. Federal Republic of Germany'', 26 F3d 1166 (DC&nbsp;Cir. 1994); BGH 26.6.2003, BGHZ 155, 279, 283&nbsp;ff.; BVerfG 15.2.2006, NJW 2006, 2542, 2543; ''Jones v.'' ''Ministry of the Interior Al-Mamlaka Al-Arabiya AS Saudiya''<nowiki> [2007] 1 AC 270 (HL))</nowiki>. Auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtfertigt eine Verletzung zwingenden Völkerrechts keine Ausnahme von der Staatenimmunität (EGMR Nr.&nbsp;35763/‌97 – ''Al-Adsani'' v. ''United Kingdom'', ECHR Rep. 2001-XI, 79, §§ 61 ff.; EGMR Nr. 59021/‌00 – ''Kalogeropoulou and others ''v. ''Greece and Germany'', ECHR Rep. 2002-X, 415, 428&nbsp;f.). Außerdem hat der Internationale Gerichtshof im ''Arrest Warrant Case ''(IGH 14.2.2002, ICJ Rep. 2002, 3, Rn.&nbsp;58) zumindest für die Immunität amtierender Regierungsvertreter (s.u. 3.) festgestellt, dass eine Ausnahme von der Immunität für Völkerrechtsverstöße keine Basis im Völkergewohnheitsrecht findet. Anlässlich der Entscheidungen der italienischen Gerichte hat Deutschland Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben (''Case concerning Jurisdictional Immunities of the State''), der damit nunmehr Gelegenheit hat, die Grenzen der Staatenimmunität bei der Verletzung zwingenden Völkerrechts zu klären.
=== a) Räumlicher Anwendungsbereich ===


=== b) Überlagerung durch das europäische Zuständig&shy;keitsrecht? ===
Der räumliche Anwendungsbereich des Art.&nbsp;23 ist gegenüber den Zuständigkeitsregelungen von Mitglieds- und Drittstaaten weit gezogen. In Verbindung mit dem Vorbehalt zugunsten von Art.&nbsp;23 in Art.&nbsp;4 reicht es aus, wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat hat und ein grenzüberschreitender Bezug, sei es auch nur zu einem Drittstaat, besteht (EuGH Rs.&nbsp;C-412/‌98 – ''Josi Reassurance'', Slg. 2000, I-5925, Rn.&nbsp;42 (noch zu Art.&nbsp;17 EuGVÜ)). Ausdrücklich erfasst Art.&nbsp;23 nur die Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Der EuGH hat noch zum EuGVÜ festgehalten, dass dessen Art.&nbsp;17 (dem Art.&nbsp;23 Brüssel&nbsp;I-VO entspricht) auf die Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts bei Prorogation eines nichtmitgliedstaatlichen Gerichts nicht anwendbar ist, sondern sich die Derogation nach dem nationalen Recht des derogierten Gerichts richtet (Rs.&nbsp;C-387/‌98 – ''Coreck Maritime'', Slg. 2000, I-9337).


Fraglich ist jedoch, ob die Grundsätze der Staatenimmunität ''mittelbar'' durch das Gemeinschaftsrecht überlagert werden. Kann sich ein beklagter Staat vor einem mitgliedstaatlichen Gericht auf die Staatenimmunität berufen, wenn das europäische internationale Zuständigkeitsrecht ([[Zuständigkeit, internationale]]), etwa nach der EuGVO (VO&nbsp;44/‌2001), die internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaates vorsieht? Zu einer solchen Überscheidung zwischen europäischem Zuständigkeitsrecht und völkerrechtlicher Staatenimmunität dürfte es freilich sehr selten kommen. Das europäische Zuständigkeitsrecht ist nämlich nur auf [[Zivil- und Handelssache]]n anwendbar (etwa Art.&nbsp;1(1)1 EuGVO), und ein Rechtsstreit über ''acta iure imperii'' des ausländischen Staates, für die ein ausländischer Staat Immunität in Anspruch nehmen kann, wird regelmäßig keine Zivil- und Handelssache begründen. Dennoch sind in Grenzbereichen Überschneidungen denkbar (siehe etwa österreich. OGH 14.5.2001, SZ 74/‌86, S.&nbsp;561; ''Grovit v.'' ''De Nederlandsche Bank''<nowiki> [2006] 1 Lloyd’s Rep. 636 (QB)).</nowiki>
=== b) Sachlicher Anwendungs&shy;bereich und Wirksamkeits&shy;voraussetzungen ===


Zunächst enthält die EuGVO eine Kollisionsregel für Konstellationen, in denen sich die Staatenimmunität ''nach'' ''völkervertraglichen Regeln'', etwa nach dem erwähnten EuStImÜ, richtet. Grundsätzlich weichen Völkerverträge der Mitgliedstaaten dem Gemeinschaftsrecht zwar in den Grenzen des Art.&nbsp;307 EG/‌351 AEUV (vgl. nur EuGH Rs.&nbsp;235/‌87 – ''Matteucci'', Slg. 1988, 5589, Rn.&nbsp;22; EuGH Rs.&nbsp;C-158/‌91 – ''Levy''<nowiki>, Slg. 1993, I-4287, Rn.&nbsp;22). Aber gemäß Art.&nbsp;71(1) lässt die EuGVO Übereinkommen unberührt, „denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit […] regeln“. Das EuStImÜ stellt wohl ein solches vorrangiges Abkommen dar, soweit das Übereinkommen nicht nur die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte für Klagen gegen den ausländischen Staat festlegt, sondern zugleich auch die internationale Zuständigkeit für solche Verfahren mitregelt, in denen sich der ausländische Staat nicht auf seine Immunität berufen kann (vgl. Art.&nbsp;2 bis 11 EuStImÜ).</nowiki>
Art.&nbsp;23 regelt nicht sämtliche Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Die Vorschrift verlangt lediglich eine tatsächliche Einigung der Parteien, wobei der Begriff der Einigung autonom auszulegen ist, und die Einhaltung einer bestimmten Form. Letztere umfasst die Schriftform oder eine mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung, aber auch eine den Gepflogenheiten zwischen den Parteien oder die einem Handelsbrauch im betreffenden Geschäftszweig (etwa kaufmännisches Bestätigungsschreiben, Konnossemente, Versteigerungsbedingungen) entsprechende Form. Die beiden letztgenannten Formen können die Formstrenge im Einzelfall erheblich lockern, insbesondere für die Einbeziehung der Gerichtsstandsvereinbarung durch [[Allgemeine Geschäftsbedingungen]]. Neben der Schriftform ist nach Art.&nbsp;23(2) auch eine elektronische Form ausreichend, sofern sie dauerhaft reproduzierbar ist (insb. per e-mail durch Speicherung oder Ausdruck). Das Formerfordernis dient primär dazu, den Konsens sicherzustellen: Ist die Form eingehalten, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Konsens bestand. Bestand ein Konsens, besteht wiederum die ebenfalls widerlegbare Vermutung für eine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts. Darüber hinaus sieht Art.&nbsp;23(5) Derogationsverbote zugunsten des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstands und der besonderen Gerichtsstände in Versicherungs- (Art.&nbsp;8–14), Verbraucher- (Art.&nbsp;15–17) und arbeitsvertraglichen Sachen (Art.&nbsp;18–21) vor.


Eine ausdrückliche Kollisionsregel fehlt jedoch für das Verhältnis zwischen Staatenimmunität ''nach Völkergewohnheitsrecht'' und europäischem Zuständigkeitsrecht. Dennoch wird ein Vorrang der EuGVO auch hier abzulehnen sein (GA ''Ruiz-Jarabo Colomer'', Schlussanträge in der Rs.&nbsp;C-292/‌05 – ''Lechouritou'', Slg. 2007, I-1519, Rn.&nbsp;78; siehe auch österr. OGH 14.5.2001, SZ 74/‌86, 561; ''Grovit v.'' ''De Nederlandsche Bank''<nowiki> [2006] 1 Lloyd’s Rep. 636 (QB)). Zunächst kann die EuGVO in Bezug auf Klagen gegen </nowiki>''Drittstaaten'' die Immunität des Drittstaats nach Völkergewohnheitsrecht nicht berühren – soweit auf solche Klagen die EuGVO räumlich-persönlich überhaupt anwendbar ist. Bei der Auslegung der EuGVO ist nämlich die Gemeinschaftstreue und insbesondere Art.&nbsp;10 EG, im Wesentlichen ersetzt durch Art. 4(3) EU(2008), zu beachten. Das Gemeinschaftsrecht kann nicht die Mitgliedstaaten zwingen, Drittstaaten gegenüber Verstöße gegen Völkergewohnheitsrecht zu begehen, das Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft ist (siehe EuGH Rs.&nbsp;C-162/‌96 – ''Racke'', Slg. 1998, I-3655, Rn.&nbsp;46). Dieser Gedanke liegt auch Art. 307(1) EG/‌351(1) AEUV zugrunde, wonach die bestehenden völkervertraglichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht durch die Gründung der EG oder den Beitritt zur EG berührt werden. Eine Überlagerung durch das europäische Zuständigkeitsrecht scheidet aber auch aus, wenn nach der EuGVO die Gerichte eines Mitgliedstaates international für die Klage gegen einen ''anderen Mitgliedstaat'' zuständig wären, für die dieser Mitgliedstaat eigentlich nach Völkergewohnheitsrecht Immunität in Anspruch nehmen könnte. Insbesondere der [[Effektivitätsgrundsatz]] (''effet utile'') führt zu keinem Vorrang des europäischen Zuständigkeitsrechts. Zwar steht die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts unter dem Vorbehalt der praktischen Wirksamkeit des europäischen Verfahrensrecht (EuGH Rs.&nbsp;119/‌84 – ''Capelloni'', Slg. 1985, 3147, Rn.&nbsp;21; EuGH Rs.&nbsp;288/‌82 – ''Duijnstee'', Slg. 1983, 3663, Rn.&nbsp;13&nbsp;f.; EuGH Rs.&nbsp;145/‌86 – ''Hoffmann'', Slg. 1988, 645, Rn.&nbsp;29; EuGH Rs. C-365/‌88 – ''Kongress Agentur Hagen'', Slg. 1990, I-1845, Rn.&nbsp;20; EuGH Rs.&nbsp;C-68/‌93 – ''Shevill'', Slg. 1995, I-415, Rn.&nbsp;36; EuGH Rs.&nbsp;C-159/‌02 – ''Turner'', Slg. 2004, I-3565, Rn.&nbsp;29; EuGH Rs.&nbsp;C-420/‌07 – ''Apostolides'', EuLF (Section I) 2009, 9, Rn.&nbsp;69). Unter dem gleichen Vorbehalt des Effektivitätsprinzips stehen prinzipiell auch die Regeln des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts mit verfahrensrechtlichem Bezug, soweit das Gemeinschaftsrecht im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander diese in gleicher Weise wie das nationale Verfahrensrecht überlagern kann (vgl. oben 1.). Aber es finden sich in der Rechtsprechung des EuGH Hinweise, dass – wie etwa im deutschen Recht auch – das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich völkerrechtsfreundlich auszulegen ist (vgl. etwa EuGH Rs.&nbsp;C-286/‌90 – ''Poulsen'', Slg. 1992, I-6019, Rn.&nbsp;9; EuGH Rs.&nbsp;C-188/‌07 – ''Commune de Mesquer'', Slg. 2008, I-4501. Rn.&nbsp;81). Insbesondere war der EuGH bereits in ''van Duyn'' sehr zurückhaltend, dem Gemeinschaftsrecht eine stillschweigend vom allgemeinen Völkergewohnheitsrecht derogierende Regel zu entnehmen (EuGH Rs.&nbsp;41/‌74 – ''van Duyn'', Slg. 1974, 1337, Rn.&nbsp;21/‌23).
Eine autonome, allgemeine Missbrauchskontrolle europäischen Rechts hat sich noch nicht herausgebildet. Dies folgt aus dem abschließenden Charakter des Art.&nbsp;23(5) in Verbindung mit einem Umkehrschluss aus Art.&nbsp;13, 17 und 21. Außerdem ist der Gemeinschaftsgesetzgeber dem Vorbild des Haager Übereinkommens von 1965 (Art.&nbsp;4(3)) für eine allgemeine Missbrauchsschranke nicht gefolgt. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen in [[Allgemeine Geschäftsbedingungen|[Allgemeinen Geschäftsbedingungen]] findet freilich eine Inhaltskontrolle nach den nationalen Umsetzungen der Klausel-RL (RL&nbsp;93/‌13) statt; dies betrifft insbesondere [[Verbraucherverträge (IPR und IZPR)|Verbraucherverträge]] (EuGH Rs. C-240/‌98 bis 244/‌98 – ''Océano Grupo'', Slg. 2000, I-4941, Rn.&nbsp;26: Missbrauchskontrolle durch nationale Gerichte von Amts wegen).


== 3. Exemtionen bestimmter Personen ==
Auch zahlreiche weitere Aspekte im Hinblick auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung werden von Art.&nbsp;23 Brüssel&nbsp;I-VO nicht geregelt und lassen sich auch (noch) nicht autonom lösen. Sie sind daher nach der ''lex causae'', dem Gerichtsstandsvereinbarungsstatut, zu beurteilen. Dies betrifft insbesondere Willensmängel, Widerruflichkeit (beide Vertragsstatut), Geschäftsfähigkeit (Personalstatut) und Rechtsnachfolge (Vertragsstatut). Obwohl auch im Rahmen des Art.&nbsp;23 die ''doctrine of separability'' Anwendung findet, nach der die Unwirksamkeit des Hauptvertrages, dessen Bestandteil die Gerichtsstandsvereinbarung ist, deren Wirksamkeit unberührt lässt, gilt im Hinblick auf das Gerichtsvereinbarungsstatut die Vermutung, dass das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung anzuwenden ist. Als bloßer Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Parteien wird diese Vermutung nicht durch Art.&nbsp;1(2)(e) Rom&nbsp;I-VO gesperrt, wonach Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom&nbsp;I-VO ausgeschlossen sind. Im Bereich der Willensmängel ließe sich eventuell statt auf das jeweilige Gerichtsstandsvereinbarungsstatut auf die Regelungen der [[Principles of European Contract Law|PECL]] (oder auch des Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]]) als einheitliches, europäisches Regime zurückgreifen: Art. 1:201 PECL postuliert ein allgemeines Gebot von Treu und Glauben; Art.&nbsp;4:107 und 4:108 PECL eröffnen ein Anfechtungsrecht bei Täuschung und Drohung; Art.&nbsp;4:109 PECL gewährt ein Anfechtungsrecht bei Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notsituation oder Unerfahrenheit.


Nicht nur fremde Staaten sind von der inländischen Gerichtsbarkeit teilweise ausgenommen, auch bestimmte Personen genießen nach Völkerrecht persönliche Immunität. Dies betrifft neben Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern im Amt (IGH 14.2.2004, ''Arrest Warrant Case'', ICJ Rep. 2002, 3) nach den Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 und über konsularische Beziehungen von 1963 vor allem auch ausländische Diplomaten. Soweit nach europäischem Zuständigkeitsrecht eine [[Zuständigkeit, internationale|internationale Zuständigkeit]] eines mitgliedstaatlichen Gerichts gegen eine solche immune Person eröffnet ist, verdrängt das europäische Zuständigkeitsrecht jedoch aus den soeben angeführten Gründen (s.o. 2.&nbsp;b) diese völkerrechtlichen Exemtionen nicht.
=== c) Persönlicher Anwendungsbereich ===


== 4. Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet ==
Der Personenkreis, der wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen kann, ist durch Art.&nbsp;23 – wie in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten – nicht beschränkt. Selbst diejenigen Mitgliedstaaten, die im nationalen Bereich den Personenkreis im Wesentlichen auf Kaufleute beschränken, rücken von dieser Beschränkung für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen ab; vgl. etwa §&nbsp;38 Abs.&nbsp;2 ZPO und die richterrechtliche Abweichung von Art.&nbsp;48 CPC in Frankreich. Im englischen Recht ist der Personenkreis seit jeher unbeschränkt.


Die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte wird zudem durch das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet begrenzt. Wie schon der Ständige Internationale Gerichtshof im ''Lotus Case'' (StIGH 7.9.1927, PCIJ ser. <nowiki>A, No. 9, S.&nbsp;18) betont hat, gilt: „[T]he first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that, failing the existence of a permissive rule to the contrary, it may not exercise its power in any form in the territory of another State“. </nowiki>Zwar herrscht im Anschluss an ''Lotus'' Einigkeit, dass ein Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet als völkerrechtliche Regel existiert<nowiki>;</nowiki> jedes hoheitliche Handeln eines ausländischen Staates auf inländischem Territorium stellt die Staatsgewalt des inländischen Staates für sein Staatsgebiet in Frage und gefährdet damit potentiell seine Staatseigenschaft, die sich nach dem traditionellen dreigliedrigen Staatsbegriff aus den Elementen Staatsgebiet, Staatsvolk und – eben – Staatsgewalt zusammensetzt.
=== d) ''Forum conveniens'' ===


Trotz der unumstrittenen Existenz des Vornahmeverbotes ist aber unklar, ''welche Tätigkeiten'' eines Staates im Staatsgebiet eines anderen konkret einen solchen verbotenen Hoheitsakt begründen. Entscheidend scheint es darauf anzukommen, dass die fragliche Handlung vom ausländischen Staat gerade als Hoheitsträger, d.h. gerade in seiner Tätigkeit als Staat, vorgenommen wird. Da es sich beim Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet um eine Regel des Völkerrechts handelt, könnte man meinen, dass das ''Völkerrecht'' für die nähere Qualifikation der fraglichen extraterritorial vorgenommenen Handlungen maßgeblich ist. Dennoch sollte zur Qualifikation nicht vorrangig auf das Völkerrecht zurückgegriffen werden, sondern vielmehr auf das Recht desjenigen Staates, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist. Das Verbot der Vornahme von fremden Hoheitsakten im inländischen Staatsgebiet ist Ausfluss der Gebietshoheit des inländischen Staates, die durch den extraterritorialen Hoheitsakt verletzt würde. Grundsätzlich könnte sich der inländische Staat als Inhaber der Gebietshoheit ''jede'' – auch nichthoheitliche – Handlung eines ausländischen Staates auf seinem Territorium verbitten. Es ist aber, soweit der inländische Staat ausdrücklich nichts Abweichendes verlautbaren lässt, zu vermuten, dass er allein Handlungen anderer Staaten auf seinem Staatsgebiet untersagt, die nach ''seinem'' Recht als hoheitlich zu beurteilen sind. Nur dann wird seine Hoheitsgewalt auf seinem Territorium in Frage gestellt, weil nur dann der ausländische Staat als konkurrierende Staatsmacht zum inländischen Staat auftritt und damit die Staatsqualität des inländischen Staates gefährdet.  
Anders als in einigen Mitgliedstaaten muss zur Wirksamkeit der Prorogation nach Art.&nbsp;23 Brüssel&nbsp;I-VO kein sachlicher oder persönlicher Bezug zum prorogierten Gericht bestehen. Die Wahl eines neutralen Forums ist ohne weiteres möglich. Die Zuständigkeit darf insbesondere nicht aus ''forum non conveniens''-Gesichtspunkten abgelehnt werden. Allerdings sind selbst die englischen Gerichte im Bereich von Gerichtsstandsvereinbarungen mit ''forum non conveniens''-Erwägungen sehr zurückhaltend.


Das ''Gemeinschaftsrecht'' derogiert von dem Verbot der extraterritorialen Vornahme von Hoheitsakten nur sehr zurückhaltend. Etwa legt Art.&nbsp;22 Nr.&nbsp;5 EuGVO fest, dass für Vollstreckungsentscheidungen allein der Staat zuständig ist, in dem die Zwangsvollstreckung erfolgen soll. Bemerkenswert sind aber die Vorschriften über die unmittelbare Beweisaufnahme durch die Gerichte eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat nach Art.&nbsp;17&nbsp;ff. der Beweisaufnahme-VO. Danach dürfen – ein entsprechendes Ersuchen vorausgesetzt – inländische Gerichte im Ausland unmittelbar Beweis erheben, soweit die Beweiserhebung aufgrund freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen möglich ist (Art.&nbsp;17(2)). Die unmittelbare gerichtliche Beweisaufnahme im Ausland kann nur aus begrenzten Gründen vom ersuchten Mitgliedstaat versagt werden (Art.&nbsp;17(5)). Extraterritoriales Handeln der inländischen Gerichte gestattet teilweise auch die Zustellungs-VO (VO&nbsp;1393/‌ 2007<nowiki>; [[Zustellung]]). Nach Art.&nbsp;13(1) darf jeder Mitgliedstaat Personen in anderen Mitgliedstaaten unmittelbar durch seine diplomatischen und konsularischen Vertretungen ohne Androhung von Zwang Schriftstücke zustellen, wobei nach Art.&nbsp;13(2) jeder Mitgliedstaat solche Zustellungen auf Staatsangehörige des Übermittlungsmitgliedstaates begrenzen kann. Auch gestattet die Zustellungs-VO in Art.&nbsp;14 eine unmittelbare Zustellung im Ausland durch die Post – soweit man eine solche Zustellung überhaupt als Hoheitsakt qualifizieren möchte.</nowiki>
== 4. Abgrenzung zur rügelosen Einlassung ==


== 5. Verbot der Vornahme extraterritorial bezogener Hoheitsakte? ==
Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.&nbsp;23 Brüssel&nbsp;I-VO ist von der rügelosen Einlassung nach Art.&nbsp;24 Brüssel&nbsp;I-VO abzugrenzen, deren räumlicher Anwendungsbereich ebenfalls lediglich einen grenzüberschreitenden Bezug und den Wohnsitz einer der Parteien in einem Mitgliedstaat voraussetzt.


Während das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet (dazu soeben 4.) absolut ist, dürfen die Staaten – also auch die Gerichte – grundsätzlich mit ihren Hoheitsakten auch Sachverhalte mit Auslandsbezug regeln, d.h. extraterritorial bezogene, aber intraterritorial vorgenommene Hoheitsakte erlassen. So hat der Ständige Internationale Gerichtshof ausdrücklich im bereits erwähnten ''Lotus Case'' (StIGH 7.9.1927, PCIJ ser. A, No.&nbsp;10, S. 19) festgehalten: „It does not, however, follow that international law prohibits a State from exercising jurisdiction in its own territory, in respect of any case which relates to acts which have taken place abroad“. Allerdings wurde ''Lotus'' vom Internationalen Gerichtshof in der Entscheidung im ''Barcelona Traction Case''<nowiki> (IGH 5.2.1970, ICJ Rep. 1970, 3, 105) eingeschränkt; es bestünden im Völkerrecht Grenzen für die Regelung von grenzüberschreitenden Sachverhalten durch Hoheitsakte, es existiere eine „obligation [...] to avoid undue encroachment on a jurisdiction more properly appertaining to, or more appropriately exercisable by, another State“. </nowiki>Wo genau die Grenze zu einem solchen „undue encroachment“ verläuft, ist freilich unklar. Verbreitet sind Formulierungen wie die, dass der vom Hoheitsakt erfasste Sachverhalt einen „genuine link“, sprich eine sinnvolle Verknüpfung zum anordnenden Staat, besitzen müsse (BVerfG 22.3.1983, BVerfGE 63, 343, 369). Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bestehen oftmals Berührungen zu mehreren Staaten. Völkerrechtswidrige extraterritorial bezogene Hoheitsakte sind demnach ein seltenes Phänomen, weil sich fast immer Verknüpfungen zum Erlassstaat konstruieren lassen.  
Funktional besteht eine gewisse Verwandschaft zwischen beiden Rechtsinstituten: Die Parteien begründen durch ihr Verhalten eine Zuständigkeit jenseits der gesetzlichen Gerichtsstände. Den Parteiinteressen wird Vorrang gegenüber dem Ordnungsinteresse des Staates eingeräumt.


Die Staaten sind deshalb weitgehend frei, ihren Gerichten Maßnahmen auch in Bezug auf Sachverhalte mit Auslandsbezug zu gestatten. Insbesondere dürfen die Gerichte – eine Verbindung zum Inland vorausgesetzt – die Parteien zu Handlungen oder Unterlassungen im Ausland verpflichten und eine solche Verpflichtung auch durch Zwang im Inland durchsetzen. Eine sinnvolle Verknüpfung zum Inland bei gerichtlichen Entscheidungen gewährleisten die Vorschriften über die [[Zuständigkeit, internationale|internationale Zuständigkeit]]. Jedoch legt das Völkerrecht keine bestimmte Zuständigkeitsanknüpfung fest. Deshalb sorgt etwa auch das europäische internationale Zuständigkeitsrecht dafür, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte keine Maßnahmen treffen, für die sie – mangels Verbindung zum betreffenden Mitgliedstaat – über keine Gerichtsbarkeit verfügen.
Die systematische Einordnung hängt von der Sichtweise ab: Die rügelose Einlassung lässt sich entweder als nachträgliche, konkludente Vereinbarung über die Zuständigkeit im Prozess oder als ein Anwendungsfall der prozessualen Präklusion einordnen. Die Regelung in Art.&nbsp;24 folgt dem Modell der konkludenten Vereinbarung über die Zuständigkeit. Dementsprechend sind sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch die rügelose Einlassung in der Brüssel&nbsp;I-VO in demselben Abschnitt 7 unter der Überschrift „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ geregelt. Dieses systematische Verständnis herrscht insbesondere auch in denjenigen Mitgliedstaaten vor, die für die rügelose Einlassung eine spezielle Zuständigkeitsregel im Zusammenhang mit der Regelung über Gerichtsstandsvereinbarungen vorsehen; siehe etwa Art.&nbsp;38–40 ZPO, Art.&nbsp;9 Rv, Art.&nbsp;22 Abs.&nbsp;2 LOPJ und Art.&nbsp;43 griech. ZPO (dort ausdrücklich als stillschweigende Vereinbarung bezeichnet). Ein anderes systematisches Verständnis wird in denjenigen Rechtsordnungen zugrunde gelegt, die nicht über eine solche spezielle Zuständigkeitsregelung verfügen. Sie begründen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts mit dem Modell einer prozessualen Präklusion; so etwa das französische, belgische und luxemburgische Recht. Im englischen Recht ist die ''submission'' systematisch eigenständig, wird also weder als konkludente Gerichtsstandsvereinbarung noch als Folge prozessualer Präklusion angesehen.
 
Jenseits dieser systematischen Divergenzen herrscht über die Voraussetzungen der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung weitgehend Einigkeit. Ausreichend ist ein tatsächliches, objektiv als Einlassung des Beklagten zu verstehendes Verhalten. Es bedarf keines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willens; insbesondere ein Rechtsfolgenirrtum ist unbeachtlich. Der Begriff des Einlassens ist in autonomer Auslegung weit zu verstehen. Bezugspunkt ist in Art.&nbsp;24 und den meisten europäischen Rechtsordnungen das Verfahren an sich, nicht nur die Hauptsache (so aber §&nbsp;39 ZPO und §&nbsp;104 Abs.&nbsp;3 JN). Für eine Einlassung reicht daher jedes mündliche oder schriftliche Verteidigungsvorbringen aus, insbesondere auch Verfahrensrügen. Anders als im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.&nbsp;23 sehen fast alle europäischen Rechtsordnungen wie Art.&nbsp;24 für die rügelose Einlassung kein Formerfordernis vor. Sie muss lediglich die Prozesshandlungsvoraussetzungen der jeweiligen ''lex fori'' erfüllen. Auch ein richterlicher Hinweis auf die an sich bestehende Unzuständigkeit und die Folgen einer rügelosen Einlassung ist in den meisten europäischen Rechtsordnungen nicht vorgesehen und auch nach Art.&nbsp;24 nicht erforderlich (anders als nach der ZPO im amtsgerichtlichen Verfahren nach §§&nbsp;39, 504 ZPO und in Österreich nach §&nbsp;104 Abs.&nbsp;3 JN, sofern der Beklagte nicht anwaltlich vertreten ist). Damit besteht trotz des unterschiedlichen systematischen Verständnisses im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten und Art.&nbsp;24. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von europäischem und nationalem Recht ist daher in diesem Bereich von geringer praktischer Bedeutung.
 
Ebenso wie die Gerichtsstandsvereinbarung kann auch die rügelose Einlassung die ausschließliche Zuständigkeit nach Art.&nbsp;22 nicht überwinden. Im Unterschied zur Gerichtsstandsvereinbarung nach Art.&nbsp;23 ist eine rügelose Einlassung nach Art.&nbsp;24 jedoch auch wirksam, wenn sie die besonderen Gerichtsstände der Brüssel&nbsp;I-VO in Versicherungs-, Verbraucher- und arbeitsvertraglichen Sachen durchbricht. Dies folgt aus dem abweichenden Wortlaut von Art. 24 sowie im Umkehrschluss aus Art.&nbsp;13 Nr.&nbsp;1, 17 Nr.&nbsp;1, 21 Nr.&nbsp;1 Brüssel&nbsp;I-VO. Im Falle eines Konflikts zwischen einer zeitlich früheren Gerichtsstandsvereinbarung und einer nachfolgenden rügelosen Einlassung geht letztere regelmäßig vor.
 
== 5. Entwicklungen im Einheitsrecht ==
 
Im Rahmen der [[Haager Konferenz für IPR]] wurden wiederholt Anläufe unternommen, internationale Gerichtsstandsvereinbarungen staatsvertraglich zu regeln. Diese Versuche sind gescheitert.
 
Das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 15.4.1958 ist ebenso wie das Haager Übereinkommen über einheitliche Regelungen über die Gültigkeit und die Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25.11.1965 bisher nicht in Kraft getreten. Hiermit ist auch nicht mehr zu rechnen.
 
Ein letzter Versuch wurde im Jahre 2002 unternommen, nachdem das Projekt einer umfassenden Konvention, welche die [[Zuständigkeit, internationale|internationale Zuständigkeit]] sowie die [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen|Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen]] in [[Zivil- und Handelssache]]n mit weltweiter Geltung regeln sollte, gescheitert war. Zumindest für Gerichtsstandsvereinbarungen (Wirkungen von Pro- und Derogation, Anerkennung und Vollstreckung auf ihrer Grundlage ergangener Entscheidungen) sollte ein konsensfähiges Übereinkommen erarbeitet werden. Nachdem die Entwürfe durch zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich und Vorbehalte zusammengestutzt worden waren, wurde am 30.6.2005 ein Resttorso als Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen beschlossen. Die Kernelemente bestehen darin, dass das vereinbarte Gericht seine Zuständigkeit nach Art.&nbsp;5(2) nicht unter ''forum non conveniens''-Gesichtspunkten ablehnen darf, dass andere Gerichte als das vereinbarte die Klage grundsätzlich nach Art.&nbsp;6 als unzulässig abweisen oder das Verfahren aussetzen müssen (dies gilt nach Art.&nbsp;7 wie nach Art.&nbsp;31 Brüssel&nbsp;I-VO nicht für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes), und dass die Entscheidung des vereinbarten Gerichts in den anderen Vertragsstaaten nach Art.&nbsp;8&nbsp;ff anerkannt und vollstreckt werden muss. Obwohl ''anti-suit injunctions'' nicht ausdrücklich verboten sind, spricht mehr für ihre Unzulässigkeit, da sie der Systematik des Übereinkommens widersprechen.
 
Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist begrenzt (siehe Art.&nbsp;2): Erstens werden nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst. Zweitens sind zahlreiche Bereiche vom persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen. Dies betrifft unter anderem Gerichtsstandsvereinbarungen unter Beteiligung natürlicher Personen, die nicht zu gewerblichen Zwecken handeln, weite Bereiche des gewerblichen Rechtsschutzes mit Ausnahme des Urheberrechts und lizenzvertraglicher Streitigkeiten, kartell- und wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten, deliktsrechtliche Ansprüche, Ansprüche wegen Körperschäden, Ansprüche aus Personen- und Güterbeförderung sowie insolvenzrechtliche Angelegenheiten. Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat weitere Rechtsgebiete vom Anwendungsbereich ausschließen (Art.&nbsp;21). Drittens kann jeder Vertragsstaat vorsehen, dass seine Gerichte ihre Zuständigkeit trotz ausschließlicher Prorogation ablehnen können, sofern kein Inlandsbezug besteht (Art.&nbsp;19). Den Vertragsstaaten soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, sich als Forum auch für reine Drittstaatenfälle zur Verfügung zu stellen oder dies eben gerade auszuschließen. ''Forum non conveniens''-Gesichtspunkte, die an sich durch Art.&nbsp;5(2) ausgeschlossen sind, werden damit doch wieder ermöglicht und die Wahl neutraler Gerichtsstände gegebenenfalls deutlich erschwert.
 
Bisher (Stand: Juni 2009) hat Mexiko das Übereinkommen ratifiziert, die USA (19.1.2009) und die EG (1.4.2009) haben es unterzeichnet; die Kommission hat kürzlich auch die Ratifikation vorgeschlagen. Das Verhältnis zur Brüssel&nbsp;I-VO ist unklar. Nach Art.&nbsp;26(6) des Haager Übereinkommens könnte dieses bei rein innergemeinschaftlichen Sachverhalten zurücktreten. Die Brüssel&nbsp;I-VO regelt das Rangverhältnis in Art.&nbsp;71(1) nicht. Die Revision der Brüssel&nbsp;I-VO sollte diesbezüglich Klarheit schaffen; das Grünbuch der Kommission spricht die Problematik nicht an.


==Literatur==
==Literatur==
''Wilhelm Karl Geck'', Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, in: Karl Strupp (Bg.), Hans-Jürgen Schlochauer (Hg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd.&nbsp;I, 2.&nbsp;Aufl. 1960, 795&nbsp;f.; ''Hans-Jürgen Schlochauer'', Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten nach dem öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland und nach internationalem Recht, 1962; ''F.A.&nbsp;Mann'', The doctrine of jurisdiction in international law, Recueil des Cours 111 (1964) 1&nbsp;ff.; ''Michael Akehurst'', Jurisdiction in International Law, British&nbsp;Year&nbsp;Book of International&nbsp;Law 46 (1972–1973) 145&nbsp;ff.; ''Dave Siegrist'', Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987;'' Burkhard Heß'', Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992; ''Juliane Kokott'', Mißbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen, in: Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, 135&nbsp;ff.; ''Joachim Bertele'', Souveränität und Verfahrensrecht, 1998; ''Reinhold Geimer'', Internationales Zivilprozeßrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2005, 155&nbsp;ff.; ''Michael&nbsp;Stürner'', Staatenimmunität und Brüssel I-Verordnung, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2008, 197&nbsp;ff.
''Gerhard Schiedermair'', Vereinbarungen im Zivilprozess, 1935; ''Jochen Schröder'', Internationale Zuständigkeit, 1971; ''Sabine Schulte-Beckhausen'', Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im europäischen Zivilprozeßrecht, 1994; ''Friederike Sandrock'', Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997; ''Gerhard Wagner'', Prozessverträge, 1998; ''Barbara Lindenmayer'', Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, 2002; ''Thomas Rauscher ''(Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd.&nbsp;I, 2. Aufl. 2006; ''Ulrich Magnus'', ''Peter Mankowski ''(Hg.), Brussels I, 2007; ''Florian Eichel'', AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; ''Adrian Briggs'', Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008; ''Rolf Wagner'', Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009) 102&nbsp;ff; ''Peter Mankowski'', Ist eine vertragliche Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen möglich?, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2009, 23&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Jurisdiction_of_Domestic_Courts_(Public_International_Law)]]
[[en:Choice_of_Court_Agreements]]

Version vom 8. September 2021, 12:18 Uhr

von Martin Illmer

1. Begriff, Gegenstand und Funktion

In einer Gerichtsstandsvereinbarung wird die Zuständigkeit des darin bestimmten Gerichts vereinbart (Prorogation), während die Zuständigkeit des unabhängig von der Gerichtsstandsvereinbarung nach den gesetzlichen Regeln zuständigen Gerichts abgewählt wird (Derogation). Beide Aspekte sind getrennt voneinander zu beurteilen. Die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts wird meist als ausschließliche, bisweilen aber auch lediglich als zusätzliche, sogenannte besondere Zuständigkeit vereinbart.

Als eine von den Parteien eines Rechtsverhältnisses geschlossene Vereinbarung über die Zuständigkeit ist die Gerichtsstandsvereinbarung Ausdruck der auch im Prozessrecht geltenden Parteiautonomie. Das Ordnungsinteresse des Staates an der Einhaltung der gesetzlichen Zuständigkeiten tritt gegenüber den Parteiinteressen innerhalb gewisser Grenzen zurück. Im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr sprechen für eine Gerichtsstandsvereinbarung insbesondere die Rechtssicherheit, der Gleichlauf von lex fori und lex causae durch eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung, die Wahl eines neutralen oder besonders sachkundigen Gerichts und die Vollstreckungsmöglichkeit im Urteilsstaat. Gegen Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich insbesondere anführen, dass Sie die strukturell schwächere Partei eines Vertragsverhältnisses vor die (ggf. weit entfernten) Heimatgerichte der stärkeren Partei zwingen können, was die Rechtsdurchsetzung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen würde. Gegenüber Verbrauchern, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern sind Gerichtsstandsvereinbarungen daher häufig eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen (vgl. etwa Art. 13, 17, 21 Brüssel I-VO (VO 44/‌2001); diese Wertung steht auch hinter dem Ausschluss vom Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen nach dessen Art.2(1)(a); in den betroffenen Konstellationen ist häufig auch eine Rechtswahl nur eingeschränkt möglich, vgl. etwa Art. 6(2), 7(3), 8(1), aber auch 5(2)3 Rom I-VO (VO 593/‌2008)).

2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung

Bereits im römischen Zivilprozessrecht des Formularverfahrens war der von den Parteien gewählte Gerichtsstand, das später gemeinrechtlich so bezeichnete forum prorogatum, anerkannt. So konnte etwa die Zuständigkeit des praetor peregrinus auch in einem Rechtsstreit zwischen römischen Bürgern vereinbart werden. Ebenso konnten zwei Fremde die Zuständigkeit des praetor urbanus vereinbaren (Ulp. D. 5,1,2,1 zitiert diesbezüglich die lex Iulia iudiciorum aus dem Jahre 17 n. Chr.). Erforderlich war eine einverständliche Unterwerfung, die solange widerrufen werden konnte, bis der entsprechende praetor als Gerichtsmagistrat angerufen war. Willensmängel führten zur Unwirksamkeit der Unterwerfung. Voraussetzung war außerdem, dass beide Parteien die Unzuständigkeit nach den an sich bestehenden Gerichtsständen kannten. Die Zustimmung des angerufenen praetor war dagegen nicht erforderlich.

Dieser liberalen Auffassung, die der Parteiautonomie Vorrang vor staatlichen Ordnungsinteressen einräumte, stand im Gemeinen Recht (ius commune) die germanisch geprägte Dingpflicht gegenüber, welche die Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nicht zuließ. Insbesondere die Derogation der inländischen Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit wurde als mit der territorialen Justizhoheit unvereinbar angesehen. Diese ablehnende Haltung gegenüber der Derogation einer inländischen Zuständigkeit hat sich in einigen europäischen Rechtsordnungen sehr lange gehalten; so etwa bis 1995 in Italien zugunsten eigener Staatsangehöriger und bis Anfang der 1990er Jahre in Spanien. Zudem ist noch heute in zahlreichen Rechtsordnungen, die eine Pro- und Derogation anerkennen, nur die Prorogation ausdrücklich geregelt (siehe etwa § 38 ZPO, § 104 Abs. 1 JN, Art. 22 Abs. 2 LOPJ, Art. 23 Brüssel I-VO). Eine ausdrückliche Regelung der Derogation findet sich etwa im niederländischen Recht (Art. 8 Nr. 2 Rv).

Heute ist die Zuständigkeitsbegründung durch Gerichtsstandsvereinbarung in den Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten und der Brüssel I-VO anerkannt. Dabei sehen die europäischen Rechtsordnungen die Gerichtsstandsvereinbarung im Grundsatz übereinstimmend als vertragliche Vereinbarung an. Jenseits dieses gemeinsamen Nenners besteht jedoch zwischen common law und civil law-Jurisdiktionen ein unterschiedliches systematisches Verständnis. Die meisten civil law-Jurisdiktionen sehen die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag bzw. materiell-rechtlichen Vertrag über prozessuale Beziehungen an. Daraus wird geschlossen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung keine Verpflichtungs-, sondern volle Verfügungswirkung hat: Durch die Prorogation wird der vereinbarte Gerichtsstand unmittelbar begründet. Mangels Verpflichtungswirkung kann die Befolgung der Prorogation aber nicht von der anderen Partei im Wege einer einstweiligen Verfügung oder einer Unterlassungsklage erzwungen werden. Es bleibt vielmehr nur die Rüge der Unzuständigkeit vor dem unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufenen Gericht. Das englische common law sieht die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen als einen Vertrag wie jeden anderen materiellrechtlichen Vertrag an. Er begründet Rechte und Pflichten, deren Einhaltung gerichtlich erzwungen werden kann. Dies geschieht insbesondere mittels anti-suit injunctions. Durch diese Prozessführungsverbote wird dem Kläger bereits vor oder nach Klageerhebung vor einem anderen als dem prorogierten Gericht strafbewehrt untersagt, diese Klage anzustrengen oder weiter zu betreiben. Soweit das unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht die Derogation der eigenen Zuständigkeit anerkennt, ist ein derartiges Prozessführungsverbot an sich nicht notwendig. Es stellt lediglich ein zusätzliches, meist aber besonders effektives Mittel zur Durchsetzung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber prozessverzögernden Taktiken dar. Dabei greift das Prozessführungsverbot allerdings in die Entscheidungsautonomie des angerufenen Gerichts ein (auch wenn es sich formal nur an die andere Partei richtet). Ob anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO zulässig sind, war lange Zeit unklar. Der Streit entzündete sich nicht an der Rechtsnatur der Gerichtsstandsvereinbarung, sondern an der Systematik und den Grundprinzipien der Brüssel I-VO. Schließlich hat der EuGH Prozessführungsverbote für mit der Brüssel I-VO unvereinbar erklärt (EuGH Rs. C- 159/‌02 – Turner, Slg. 2004, I-3855), da sie gegen das der Verordnung zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens der mitgliedstaatlichen Gerichte verstoßen und in die Zuständigkeitsentscheidung eines nach der Brüssel I-VO angerufenen Gerichts eingreifen. Mit der Problematik eng verbunden ist die Frage des Verhältnisses der lis alibi pendens-Regel (Art. 27) zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen. Englische Gerichte haben die ihre Zuständigkeit begründenden Gerichtsstandsvereinbarungen lange Zeit als vorrangig gegenüber dem lis alibi pendens-Grundsatz angesehen (und durch anti-suit injunctions abgesichert). Auch dem hat der EuGH in der Rechtssache Gasser (Rs. C-116/‌02, Slg. 2003, I-14693) widersprochen und dem lis alibi pendens-Grundsatz Vorrang eingeräumt. Das Verhältnis der lis alibi pendens-Regel zu Gerichtsstandsvereinbarungen ist eine der zentralen Fragestellungen im jüngst veröffentlichten Grünbuch der Kommission (KOM(2009) 175 endg.) zur Überprüfung der Brüssel I-VO (dort unter 3.). Angesichts der Entscheidungen des EuGH in Gasser und Turner erscheint auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung problematisch. Er greift zwar nicht direkt in die Zuständigkeitsentscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts ein, fällt hierüber aber doch ex post ein Urteil. Der EuGH hatte bisher noch keine Gelegenheit, diese Frage zu klären. Englische Gerichte stehen derartigen Schadensersatzklagen offen gegenüber.

3. Regelungsstrukturen im europäischen Zivilprozessrecht

Die Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 ist eine der praktisch wichtigsten Zuständigkeiten der Brüssel I-VO. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 23 die mitgliedstaatlichen Regelungen, so dass insbesondere die Prorogations- und Derogationsschranken der nationalen Rechte keine Wirkung entfalten. Dabei stellt Art. 23 geringere Anforderungen als die Regelungen der meisten Mitgliedstaaten.

a) Räumlicher Anwendungsbereich

Der räumliche Anwendungsbereich des Art. 23 ist gegenüber den Zuständigkeitsregelungen von Mitglieds- und Drittstaaten weit gezogen. In Verbindung mit dem Vorbehalt zugunsten von Art. 23 in Art. 4 reicht es aus, wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat hat und ein grenzüberschreitender Bezug, sei es auch nur zu einem Drittstaat, besteht (EuGH Rs. C-412/‌98 – Josi Reassurance, Slg. 2000, I-5925, Rn. 42 (noch zu Art. 17 EuGVÜ)). Ausdrücklich erfasst Art. 23 nur die Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Der EuGH hat noch zum EuGVÜ festgehalten, dass dessen Art. 17 (dem Art. 23 Brüssel I-VO entspricht) auf die Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts bei Prorogation eines nichtmitgliedstaatlichen Gerichts nicht anwendbar ist, sondern sich die Derogation nach dem nationalen Recht des derogierten Gerichts richtet (Rs. C-387/‌98 – Coreck Maritime, Slg. 2000, I-9337).

b) Sachlicher Anwendungs­bereich und Wirksamkeits­voraussetzungen

Art. 23 regelt nicht sämtliche Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Die Vorschrift verlangt lediglich eine tatsächliche Einigung der Parteien, wobei der Begriff der Einigung autonom auszulegen ist, und die Einhaltung einer bestimmten Form. Letztere umfasst die Schriftform oder eine mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung, aber auch eine den Gepflogenheiten zwischen den Parteien oder die einem Handelsbrauch im betreffenden Geschäftszweig (etwa kaufmännisches Bestätigungsschreiben, Konnossemente, Versteigerungsbedingungen) entsprechende Form. Die beiden letztgenannten Formen können die Formstrenge im Einzelfall erheblich lockern, insbesondere für die Einbeziehung der Gerichtsstandsvereinbarung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Neben der Schriftform ist nach Art. 23(2) auch eine elektronische Form ausreichend, sofern sie dauerhaft reproduzierbar ist (insb. per e-mail durch Speicherung oder Ausdruck). Das Formerfordernis dient primär dazu, den Konsens sicherzustellen: Ist die Form eingehalten, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Konsens bestand. Bestand ein Konsens, besteht wiederum die ebenfalls widerlegbare Vermutung für eine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts. Darüber hinaus sieht Art. 23(5) Derogationsverbote zugunsten des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstands und der besonderen Gerichtsstände in Versicherungs- (Art. 8–14), Verbraucher- (Art. 15–17) und arbeitsvertraglichen Sachen (Art. 18–21) vor.

Eine autonome, allgemeine Missbrauchskontrolle europäischen Rechts hat sich noch nicht herausgebildet. Dies folgt aus dem abschließenden Charakter des Art. 23(5) in Verbindung mit einem Umkehrschluss aus Art. 13, 17 und 21. Außerdem ist der Gemeinschaftsgesetzgeber dem Vorbild des Haager Übereinkommens von 1965 (Art. 4(3)) für eine allgemeine Missbrauchsschranke nicht gefolgt. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen in [Allgemeinen Geschäftsbedingungen findet freilich eine Inhaltskontrolle nach den nationalen Umsetzungen der Klausel-RL (RL 93/‌13) statt; dies betrifft insbesondere Verbraucherverträge (EuGH Rs. C-240/‌98 bis 244/‌98 – Océano Grupo, Slg. 2000, I-4941, Rn. 26: Missbrauchskontrolle durch nationale Gerichte von Amts wegen).

Auch zahlreiche weitere Aspekte im Hinblick auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung werden von Art. 23 Brüssel I-VO nicht geregelt und lassen sich auch (noch) nicht autonom lösen. Sie sind daher nach der lex causae, dem Gerichtsstandsvereinbarungsstatut, zu beurteilen. Dies betrifft insbesondere Willensmängel, Widerruflichkeit (beide Vertragsstatut), Geschäftsfähigkeit (Personalstatut) und Rechtsnachfolge (Vertragsstatut). Obwohl auch im Rahmen des Art. 23 die doctrine of separability Anwendung findet, nach der die Unwirksamkeit des Hauptvertrages, dessen Bestandteil die Gerichtsstandsvereinbarung ist, deren Wirksamkeit unberührt lässt, gilt im Hinblick auf das Gerichtsvereinbarungsstatut die Vermutung, dass das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung anzuwenden ist. Als bloßer Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Parteien wird diese Vermutung nicht durch Art. 1(2)(e) Rom I-VO gesperrt, wonach Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen sind. Im Bereich der Willensmängel ließe sich eventuell statt auf das jeweilige Gerichtsstandsvereinbarungsstatut auf die Regelungen der PECL (oder auch des Draft DCFR) als einheitliches, europäisches Regime zurückgreifen: Art. 1:201 PECL postuliert ein allgemeines Gebot von Treu und Glauben; Art. 4:107 und 4:108 PECL eröffnen ein Anfechtungsrecht bei Täuschung und Drohung; Art. 4:109 PECL gewährt ein Anfechtungsrecht bei Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notsituation oder Unerfahrenheit.

c) Persönlicher Anwendungsbereich

Der Personenkreis, der wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen kann, ist durch Art. 23 – wie in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten – nicht beschränkt. Selbst diejenigen Mitgliedstaaten, die im nationalen Bereich den Personenkreis im Wesentlichen auf Kaufleute beschränken, rücken von dieser Beschränkung für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen ab; vgl. etwa § 38 Abs. 2 ZPO und die richterrechtliche Abweichung von Art. 48 CPC in Frankreich. Im englischen Recht ist der Personenkreis seit jeher unbeschränkt.

d) Forum conveniens

Anders als in einigen Mitgliedstaaten muss zur Wirksamkeit der Prorogation nach Art. 23 Brüssel I-VO kein sachlicher oder persönlicher Bezug zum prorogierten Gericht bestehen. Die Wahl eines neutralen Forums ist ohne weiteres möglich. Die Zuständigkeit darf insbesondere nicht aus forum non conveniens-Gesichtspunkten abgelehnt werden. Allerdings sind selbst die englischen Gerichte im Bereich von Gerichtsstandsvereinbarungen mit forum non conveniens-Erwägungen sehr zurückhaltend.

4. Abgrenzung zur rügelosen Einlassung

Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Brüssel I-VO ist von der rügelosen Einlassung nach Art. 24 Brüssel I-VO abzugrenzen, deren räumlicher Anwendungsbereich ebenfalls lediglich einen grenzüberschreitenden Bezug und den Wohnsitz einer der Parteien in einem Mitgliedstaat voraussetzt.

Funktional besteht eine gewisse Verwandschaft zwischen beiden Rechtsinstituten: Die Parteien begründen durch ihr Verhalten eine Zuständigkeit jenseits der gesetzlichen Gerichtsstände. Den Parteiinteressen wird Vorrang gegenüber dem Ordnungsinteresse des Staates eingeräumt.

Die systematische Einordnung hängt von der Sichtweise ab: Die rügelose Einlassung lässt sich entweder als nachträgliche, konkludente Vereinbarung über die Zuständigkeit im Prozess oder als ein Anwendungsfall der prozessualen Präklusion einordnen. Die Regelung in Art. 24 folgt dem Modell der konkludenten Vereinbarung über die Zuständigkeit. Dementsprechend sind sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch die rügelose Einlassung in der Brüssel I-VO in demselben Abschnitt 7 unter der Überschrift „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ geregelt. Dieses systematische Verständnis herrscht insbesondere auch in denjenigen Mitgliedstaaten vor, die für die rügelose Einlassung eine spezielle Zuständigkeitsregel im Zusammenhang mit der Regelung über Gerichtsstandsvereinbarungen vorsehen; siehe etwa Art. 38–40 ZPO, Art. 9 Rv, Art. 22 Abs. 2 LOPJ und Art. 43 griech. ZPO (dort ausdrücklich als stillschweigende Vereinbarung bezeichnet). Ein anderes systematisches Verständnis wird in denjenigen Rechtsordnungen zugrunde gelegt, die nicht über eine solche spezielle Zuständigkeitsregelung verfügen. Sie begründen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts mit dem Modell einer prozessualen Präklusion; so etwa das französische, belgische und luxemburgische Recht. Im englischen Recht ist die submission systematisch eigenständig, wird also weder als konkludente Gerichtsstandsvereinbarung noch als Folge prozessualer Präklusion angesehen.

Jenseits dieser systematischen Divergenzen herrscht über die Voraussetzungen der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung weitgehend Einigkeit. Ausreichend ist ein tatsächliches, objektiv als Einlassung des Beklagten zu verstehendes Verhalten. Es bedarf keines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willens; insbesondere ein Rechtsfolgenirrtum ist unbeachtlich. Der Begriff des Einlassens ist in autonomer Auslegung weit zu verstehen. Bezugspunkt ist in Art. 24 und den meisten europäischen Rechtsordnungen das Verfahren an sich, nicht nur die Hauptsache (so aber § 39 ZPO und § 104 Abs. 3 JN). Für eine Einlassung reicht daher jedes mündliche oder schriftliche Verteidigungsvorbringen aus, insbesondere auch Verfahrensrügen. Anders als im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 sehen fast alle europäischen Rechtsordnungen wie Art. 24 für die rügelose Einlassung kein Formerfordernis vor. Sie muss lediglich die Prozesshandlungsvoraussetzungen der jeweiligen lex fori erfüllen. Auch ein richterlicher Hinweis auf die an sich bestehende Unzuständigkeit und die Folgen einer rügelosen Einlassung ist in den meisten europäischen Rechtsordnungen nicht vorgesehen und auch nach Art. 24 nicht erforderlich (anders als nach der ZPO im amtsgerichtlichen Verfahren nach §§ 39, 504 ZPO und in Österreich nach § 104 Abs. 3 JN, sofern der Beklagte nicht anwaltlich vertreten ist). Damit besteht trotz des unterschiedlichen systematischen Verständnisses im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten und Art. 24. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von europäischem und nationalem Recht ist daher in diesem Bereich von geringer praktischer Bedeutung.

Ebenso wie die Gerichtsstandsvereinbarung kann auch die rügelose Einlassung die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 nicht überwinden. Im Unterschied zur Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 ist eine rügelose Einlassung nach Art. 24 jedoch auch wirksam, wenn sie die besonderen Gerichtsstände der Brüssel I-VO in Versicherungs-, Verbraucher- und arbeitsvertraglichen Sachen durchbricht. Dies folgt aus dem abweichenden Wortlaut von Art. 24 sowie im Umkehrschluss aus Art. 13 Nr. 1, 17 Nr. 1, 21 Nr. 1 Brüssel I-VO. Im Falle eines Konflikts zwischen einer zeitlich früheren Gerichtsstandsvereinbarung und einer nachfolgenden rügelosen Einlassung geht letztere regelmäßig vor.

5. Entwicklungen im Einheitsrecht

Im Rahmen der Haager Konferenz für IPR wurden wiederholt Anläufe unternommen, internationale Gerichtsstandsvereinbarungen staatsvertraglich zu regeln. Diese Versuche sind gescheitert.

Das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 15.4.1958 ist ebenso wie das Haager Übereinkommen über einheitliche Regelungen über die Gültigkeit und die Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25.11.1965 bisher nicht in Kraft getreten. Hiermit ist auch nicht mehr zu rechnen.

Ein letzter Versuch wurde im Jahre 2002 unternommen, nachdem das Projekt einer umfassenden Konvention, welche die internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen mit weltweiter Geltung regeln sollte, gescheitert war. Zumindest für Gerichtsstandsvereinbarungen (Wirkungen von Pro- und Derogation, Anerkennung und Vollstreckung auf ihrer Grundlage ergangener Entscheidungen) sollte ein konsensfähiges Übereinkommen erarbeitet werden. Nachdem die Entwürfe durch zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich und Vorbehalte zusammengestutzt worden waren, wurde am 30.6.2005 ein Resttorso als Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen beschlossen. Die Kernelemente bestehen darin, dass das vereinbarte Gericht seine Zuständigkeit nach Art. 5(2) nicht unter forum non conveniens-Gesichtspunkten ablehnen darf, dass andere Gerichte als das vereinbarte die Klage grundsätzlich nach Art. 6 als unzulässig abweisen oder das Verfahren aussetzen müssen (dies gilt nach Art. 7 wie nach Art. 31 Brüssel I-VO nicht für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes), und dass die Entscheidung des vereinbarten Gerichts in den anderen Vertragsstaaten nach Art. 8 ff anerkannt und vollstreckt werden muss. Obwohl anti-suit injunctions nicht ausdrücklich verboten sind, spricht mehr für ihre Unzulässigkeit, da sie der Systematik des Übereinkommens widersprechen.

Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist begrenzt (siehe Art. 2): Erstens werden nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst. Zweitens sind zahlreiche Bereiche vom persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen. Dies betrifft unter anderem Gerichtsstandsvereinbarungen unter Beteiligung natürlicher Personen, die nicht zu gewerblichen Zwecken handeln, weite Bereiche des gewerblichen Rechtsschutzes mit Ausnahme des Urheberrechts und lizenzvertraglicher Streitigkeiten, kartell- und wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten, deliktsrechtliche Ansprüche, Ansprüche wegen Körperschäden, Ansprüche aus Personen- und Güterbeförderung sowie insolvenzrechtliche Angelegenheiten. Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat weitere Rechtsgebiete vom Anwendungsbereich ausschließen (Art. 21). Drittens kann jeder Vertragsstaat vorsehen, dass seine Gerichte ihre Zuständigkeit trotz ausschließlicher Prorogation ablehnen können, sofern kein Inlandsbezug besteht (Art. 19). Den Vertragsstaaten soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, sich als Forum auch für reine Drittstaatenfälle zur Verfügung zu stellen oder dies eben gerade auszuschließen. Forum non conveniens-Gesichtspunkte, die an sich durch Art. 5(2) ausgeschlossen sind, werden damit doch wieder ermöglicht und die Wahl neutraler Gerichtsstände gegebenenfalls deutlich erschwert.

Bisher (Stand: Juni 2009) hat Mexiko das Übereinkommen ratifiziert, die USA (19.1.2009) und die EG (1.4.2009) haben es unterzeichnet; die Kommission hat kürzlich auch die Ratifikation vorgeschlagen. Das Verhältnis zur Brüssel I-VO ist unklar. Nach Art. 26(6) des Haager Übereinkommens könnte dieses bei rein innergemeinschaftlichen Sachverhalten zurücktreten. Die Brüssel I-VO regelt das Rangverhältnis in Art. 71(1) nicht. Die Revision der Brüssel I-VO sollte diesbezüglich Klarheit schaffen; das Grünbuch der Kommission spricht die Problematik nicht an.

Literatur

Gerhard Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, 1935; Jochen Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971; Sabine Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im europäischen Zivilprozeßrecht, 1994; Friederike Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997; Gerhard Wagner, Prozessverträge, 1998; Barbara Lindenmayer, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, 2002; Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2006; Ulrich Magnus, Peter Mankowski (Hg.), Brussels I, 2007; Florian Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; Adrian Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008; Rolf Wagner, Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009) 102 ff; Peter Mankowski, Ist eine vertragliche Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen möglich?, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2009, 23 ff.