Europäisches Privatrecht und Europäisches Zivilgesetzbuch: Unterschied zwischen den Seiten

Aus HWB-EuP 2009
(Unterschied zwischen Seiten)
K 1 Version importiert
 
de>Jentz
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
von ''[[Nils Jansen]]''
von ''[[Martin Schmidt-Kessel]]''
== 1. Die Europäisierung des Privatrechts ==
== 1. Die Entstehung des Ideals eines Europäischen Zivilgesetzbuchs ==
Obgleich die einzelnen Privatrechtsordnungen Europas in weiten Bereichen über gleiche juristische Kategorien und Grundbegriffe verfügen, die im Gemeinen Recht ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) auf der Grundlage der römischen Quellen formuliert worden sind, wurde das Privatrecht seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend als eine nationale Angelegenheit verstanden. Das gilt nicht nur für Länder wie Frankreich, in denen mit einer [[Kodifikation]] eine neue Grundlage für das Privatrecht geschaffen worden war. Auch in Deutschland wurde das Privatrecht auf einen nationalen „Volksgeist“ bezogen, obwohl hier zugleich der ursprünglich gemeinrechtliche Diskurs noch bis zum Erlass des [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] fortgeführt wurde. Im 20. Jahrhundert war der nationale Charakter des Privatrechts dann überall in Europa selbstverständlich.
Der Gedanke, das Europäische Privatrecht zu kodifizieren, ist am zeitlichen Maßstab der europäischen Privatrechtsentwicklung gemessen vergleichsweise jung und geht wohl auf die Forderung von ''Ole Lando'' aus dem Jahre 1978, einen ''European Uniform Commercial Code'' zu schaffen, zurück. Vereinzelt (etwa von ''Jürgen'' ''Basedow'' und ''Ernst'' ''Kramer'') aufgenommen und von ''Lando'' in der von ihm gegründeten Kommission (''[[Principles of European Contract Law]]'') gezielt weiterverfolgt, stand der Gedanke in der öffentlichen Diskussion jedoch zunächst hinter der Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Privatrechte („Europäisierung des Privatrechts“) und der rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Suche nach Grundlinien eines gemeineuropäischen Privatrechts zurück.  


Erst seit den 1980er Jahren ist wieder verbreitet von einem „Europäischen Privatrecht“ die Rede. Das Privatrecht ist damit ein Gegenstand der Europäisierung des Rechts und überhaupt der politischen Kultur in Europa geworden. Wenig klar ist allerdings, welche Motive diesen Prozess tragen. Sie reichen von der wohl vordergründigen Behauptung, dass der europäische Binnenmarkt ein vereinheitlichtes Privatrecht erfordere, über genuin rechtswissenschaftliche Motive, die das Privatrecht aus dem Zustand seiner nationalen und kodifikatorischen Verkrustung lösen wollen, bis hin zu einer abstrakten Begeisterung für die „Idee Europa“ und zum Gedanken, dass das Privatrecht ein Element der kulturellen Identität Europas bilde. Dabei divergiert das Interesse am Europäischen Privatrecht in den unterschiedlichen Staaten Europas erheblich: Der Schwerpunkt liegt traditionell in Deutschland und in den Niederlanden sowie in Teilen Spaniens (insb. Katalonien), in Schottland und an einigen Universitäten Italiens. Während die Juristen Frankreichs und des ''[[common law]]'' auf die Europäisierung des Privatrechts zurückhaltend reagiert haben, zeigt sich die Wissenschaft in einigen ost- und nordeuropäischen Mitgliedstaaten der [[Europäische Union|Europäischen Union]] deutlich offener.
Ein eigenes Gewicht in einer breiteren Fachöffentlichkeit erhielt er erst, als mit der Publikation des ersten Teils der ''[[Principles of European Contract Law]]'' im Jahre 1995 deutlich wurde, dass der Weg zur regelförmigen Formulierung jedenfalls von Teilen des europäischen Privatrechts gangbar ist. Was bislang nur Utopie oder gar Phantom war, schien realisierbar zu werden. Das Ideal vom Europäischen Zivilgesetzbuch wurde zu einem Leitbild der europäischen Privatrechtswissenschaft: 1994 erschien in den Niederlanden erstmals der von ''Arthur S.'' ''Hartkamp'' und anderen herausgegebene Band „Towards a European Civil Code“. 1997 veranstaltete die niederländische Ratspräsidentschaft in Scheveningen bei Den Haag eine gleichnamige Konferenz, an der viele Mitglieder der ''Lando''-Kommission sowie zahlreiche weitere führende europäische Privatrechtsvergleicher teilnahmen und deren Redner ganz überwiegend die Realisierung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs befürworteten. Damit war das Ideal etabliert und mündete wenig später in die Gründung der ''[[Study Group on a European Civil Code]]'', beflügelte aber auch sämtliche übrigen Projekte europäischer Privatrechtsvereinheitlichung (''[[Code Européen des Contrats (Avant‑projet)]]''<nowiki>; </nowiki>''[[Acquis Principles]]''<nowiki>; </nowiki>''[[Principles of European Tort Law]]''<nowiki>; </nowiki>''[[Principles of European Insurance Contract Law]]'').  


Je nach der Perspektive lässt sich die Europäisierung des Privatrechts entweder als die Etablierung einer neuen supranationalen Privatrechtsordnung oder als die Fortsetzung bzw. Wiederanknüpfung an den unterbrochenen Privatrechtsdiskurs des Gemeinen Rechts ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) verstehen. Jedenfalls handelt es sich bei dem Europäischen Privatrecht aber weniger um eine voll entwickelte Rechtsordnung als um ein politisches und wissenschaftliches Projekt. Die Rede von einem Europäischen Privatrecht kann daher einstweilen nicht bloß deskriptiv sein, sondern steht jeweils für ein bestimmtes rechts- und wissenschaftspolitisches Programm. In der gegenwärtigen Diskussion konkurrieren dementsprechend Konzeptionen, die das Europäische Privatrecht primär auf den ''acquis communautaire'', also auf die Rechtstexte der [[Europäische Union|Europäischen Union]], gründen wollen, mit Ansätzen, die primär auf den ''acquis commun'' abstellen, also auf die gemeinsame Wissenschaftstradition des Gemeinen Rechts, die ihren Niederschlag in den einzelnen nationalen Privatrechtsordnungen Europas gefunden hat.
== 2. Diskussion über die Realisierbarkeit ==
Zu Beginn der Diskussion wurde die Realisierbarkeit eines Europäischen Zivilgesetzbuchs häufig angezweifelt. Dabei verschließt sich die politische Realisierbarkeit dem (rechts&#8209;)wissenschaftlichen Zugang. Aber auch die praktische Realisierbarkeit wurde vielfach bestritten; die rechtskulturellen Unterschiede – vor allem zwischen dem Kontinent und den Staaten des ''[[common law]]'' – seien zu groß, war das Hauptargument. Die Vorlage eines akademischen Entwurfs für einen ''[[Common Frame of Reference]]'' sowie des Entwurfs der ''Gandolfi''-Gruppe (''[[Code Européen des Contrats (Avant‑projet)]]'') dürfte hier nur insoweit Klarheit gebracht haben, als sie die Fähigkeit der europäischen Privatrechtswissenschaft belegen, entsprechende Texte mit einem gewissen Grad systematischer und terminologischer Kohärenz zu entwickeln.


== 2. ''Acquis commun'' ==
Gewichtiger war der zweite – vielfach mit dem Kodifikationsstreit zwischen ''Friedrich Carl von Savigny'' und ''Anton Friedrich Justus Thibaut'' in Zusammenhang gebrachte – Einwand, vor der Schaffung eines Europäischen Privatrechts und damit eines allgemein akzeptierten Europäischen Zivilgesetzbuchs müsse sich nach dem Vorbild der [[Historische Rechtsschule|historischen Rechtsschule]] zunächst eine „organisch fortscheitende“ übernationale Rechtswissenschaft ausbilden, welche die Landes- und Disziplinengrenzen zu überwinden hätte (dafür vor allem ''Reinhard'' ''Zimmermann''). Allerdings lässt sich die Frage der zeitlichen Abfolge einer Verwirklichung beider Ideale schon deshalb nicht klar beantworten, weil die Gesetzgebungsorgane der Gemeinschaft nicht willens und der [[Europäischer Gerichtshof|Europäische Gerichtshof]] und die übrigen Rechtsanwender – dementsprechend – nicht in der Lage sind, auf die wissenschaftliche Entwicklung zu warten. Außerdem zeigt die europaweite Diskussion insbesondere um den Entwurf zum ''Common Frame of Reference'', dass diese Entwürfe – gerade weil sie als mögliche Gesetzgebungsbasis ernst genommen werden – eine wichtige Katalysatorfunktion erfüllen. Allein die Vorlage der Entwürfe hat die Privatrechtswissenschaft und ihren Diskurs deutlich europäischer werden lassen.
Auch zu Zeiten des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] galt in Europa nicht überall gleiches Recht; vielmehr ging die Rechtspraxis von divergierenden örtlichen Vorschriften und Gewohnheiten aus. Wenn das Privatrecht gleichzeitig als „Gemeines“, also gemeinsames, Recht verstanden wurde, so bezieht sich das primär auf die wissenschaftliche Diskussion. Die Rechtswissenschaft war nämlich einheitlich auf die in der Praxis zumeist nur subsidiär anwendbaren römischen Texte des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' bezogen und konnte damit weitgehend unabhängig von regionalen bzw. später auch frühnationalen Rechtstexten bleiben: Überall in Europa wurde das Recht anhand der Institutionen ''Justinians'' gelehrt und anhand der Digesten fortgebildet. Werke wie die [[Institutionenlehrbücher]] von ''Vinnius'' oder ''Heineccius'' konnten deshalb überall in Europa für den akademischen Unterricht benutzt werden; häufig wurde sogar das lokale Recht anhand der Institutionen ''Justinians'' dargestellt. Das Gemeine Recht bildete damit einen rechtsordnungsübergreifenden europäischen Wissenschaftsdiskurs, der die einzelnen kontinentalen Rechtsordnungen ebenso miteinander verbunden hat wie das ''[[common law]]'' mit kontinentalem Rechtsdenken.


Bereits in der Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts wurde ein solcher Diskurs wieder aufgenommen; Meilensteine waren etwa ''Ernst Rabels'' „Recht des Warenkaufs“ (1936/1958) und ''Reinhard Zimmermanns'' „Law of Obligations“ (1990). Dahinter stand die Überzeugung, dass sich die grundlegenden, strukturellen Fragen des Privatrechts unabhängig von einzelnen Bestimmungen der positiven nationalen Rechte verstehen und lehren lassen. Auch heute gibt es deshalb wieder ein Europäisches Privatrecht als den Gegenstand der europäischen Privatrechtswissenschaft. Es findet seinen Ausdruck in einer rasch zunehmenden Zahl von Lehr- und Handbüchern; Beispiele sind insbesondere die „Ius Commune Casebooks for the Common Law of Europe“, das „Europäische Vertragsrecht“ von ''Hein Kötz'' (1996), das „Europäische Obligationenrecht“ von ''Filippo Ranieri'' (3.&nbsp;Aufl. 2009) sowie die Handbücher zum Deliktsrecht von ''Christian von Bar'' (1996/1999) und ''Cees von Dam'' (2006) bzw. zum Bereicherungsrecht von'' Peter Schlechtriem'' (2000/2001). Seine normativen Grundlagen findet der ''acquis commun'' dabei in den einzelnen nationalen Privatrechtsordnungen Europas, die insgesamt als eine gemeinsame Tradition begriffen werden können. Rechtsvergleichend zeigt sich das in strukturellen, teleologischen und dogmatischen Gemeinsamkeiten, wobei sich Unterschiede im Einzelnen aus einer historischen Perspektive häufig als Resultat zufälliger Entwicklungen erklären oder als divergierende Antworten auf ein ursprünglich gemeinsames Problem verstehen lassen.
Als wichtigste Einschränkung der Realisierbarkeit eines Europäischen Zivilgesetzbuchs erweist sich freilich derzeit das weitgehende Fehlen einer gemeineuropäischen Methodik und Dogmatik. Die Entwicklung einer solchen Methodik für den Umgang mit Normtexten, Rechtsprechung und anderen Autoritäten steht erst ganz am Anfang. Die Standards der nationalen Privatrechtsordnungen divergieren hier ganz erheblich. Die vor allem auf seine Durchsetzung und die Schaffung des [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarktes]] ausgerichtete Methodik des Gemeinschaftsrechts mit ihrer starken Betonung des teleologischen Arguments erweist sich als unzureichend. Methodennormen nach dem Vorbild von Art.&nbsp;7 CISG, wie sie etwa auch Art.&nbsp;I.-1:102 DCFR enthält, entfalten bislang nur begrenzte Wirkungen. In den Diskussionen über den Entwurf des ''Common Frame of Reference'' zeigt sich, dass weder unterschiedliche Strenge im Umgang mit dem Wortlaut von Vorschriften noch divergierende Auffassungen zum Wert des historischen Arguments den Kern des Problems bilden: Im Mittelpunkt der aufkommenden Auslegungsstreitigkeiten stehen vielmehr Unterschiede im Verständnis der Funktion einer Kodifikation und damit des Werts des Systems und der auf diesem beruhenden Argumenten, insbesondere des ''argumentum e contrario''. Ohne einen wenigstens ansatzweisen Konsens über diese Fragen lässt sich der dauerhafte Vereinheitlichungsgewinn durch eine Zivilrechtskodifikation nicht sicherstellen.  


Das Europäische Privatrecht war als ein „gelehrtes Recht“ von jeher durch das Bestreben nach wissenschaftlicher Systematisierung der einzelnen Normen geprägt. Diese Tradition hat neuerdings in systematisierend angelegten rechtsordnungsübergreifenden Regelwerken zum europäischen Privatrecht neue Aktualität gewonnen. Maßstäbe setzten hier die ''[[Principles of European Contract Law]]'' der sog. ''Lando''-Kommission, die alsbald eine quasirechtliche Autorität erlangt haben. In den letzten Jahren ist eine Fülle vergleichbarer Regelwerke anderer europäischer Forschergruppen, wie der ''[[Study Group on a European Civil Code]]'' und der ''European Group on Tort Law'' (''[[Principles of European Tort Law]]''), hinzugekommen, die freilich noch nicht als gleichermaßen autoritativ gelten können. Insbesondere die ''Study Group'' versteht ihre ''Principles of European Law'' dabei zugleich als Entwürfe für ein [[Europäisches Zivilgesetzbuch]]. Allerdings ist zweifelhaft, inwieweit dies gegenwärtig politisch wünschenswert ist; wissenschaftlich wäre eine Kodifikation jedenfalls verfrüht.
== 3. Diskussion über das politische Ziel ==
Mit der Etablierung des Ideals begann zugleich die rechtspolitische Diskussion darüber, ob ein Europäisches Zivilgesetzbuch (wirklich) wünschenswert sei. Von Anfang an gingen dabei die Vorstellungen stark auseinander. Nicht nur wurde mahnend auf das ideelle Vermächtnis'' Savignys'' verwiesen und über Fragen des Wegs zu einem Gesetzbuch und über die Dauer der erforderlichen Vorbereitungszeit gestritten. Vielmehr waren auch die Vorstellungen von den Funktionen einer [[Kodifikation]] des Zivilrechts und den daraus zu folgernden Ansprüchen an die Regelungsstruktur von vornherein disparat. Der Antagonismus zwischen dem von der Vollständigkeit des zu schaffenden Systems ausgehenden und diesem daher eigenständiges normatives Gewicht zubilligenden Ansatz und Vorstellungen von einer ordnend darstellenden und daher nicht notwendig vollständigen Systematik, die mit einer notorischen Schwäche systematischer Argumente einhergeht, ist in vielen Entwurfstexten heute spürbar und prägt zahlreiche Debatten über das richtige Verständnis einzelner Regeln der vorliegenden Entwürfe. Das Fehlen des methodischen Konsenses zieht hier das politische Bedenken nach sich.


== 3. ''Acquis communautaire'' ==
Zusätzlich wurde schon bald auf die rechtskulturelle Vielfalt ([[Rechtskultur]]) Europas verwiesen, die als hohes Gut angesehen und – teilweise sehr polemisch, insbesondere von ''Pierre Legrand'' – verteidigt wurde. Den gewachsenen Rechtstraditionen wurde hierbei ein besonderer Wert zugeschrieben, der denjenigen einer Vereinheitlichung überwiege. Zudem wurden die erheblichen Differenzen zwischen ''common law'' und ''civil law'' betont, obwohl deren Überwindbarkeit durch zahlreiche Arbeiten insbesondere von ''Reinhard Zimmermann'' als gesichert betrachtet werden darf.  
Einen gegenläufigen Ansatz wählen die Vertreter von ''acquis communautaire''-Konzeptionen des Europäischen Privatrechts, die primär auf das positive Recht der [[Europäische Union|Europäischen Union]] abstellen. Seit den 1980er Jahren ist die Europäische Union auch auf dem Gebiet des Privatrechts aktiv geworden, etwa 1985 mit der Produkthaftungsrichtlinie (RL&nbsp;85/374) und der Haustürgeschäfts-RL (RL&nbsp;85/577), 1986 mit der Handelsvertreter-RL (RL&nbsp;86/653) und 1987 mit der Verbraucherkredit-RL (RL&nbsp;87/102). Seit den 1990er Jahre haben diese Aktivitäten mit der Klausel-RL (RL&nbsp;93/13) und der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL&nbsp;1999/44) erheblich an Intensität gewonnen. Hinzu kommen privatrechtliche Aussagen in Richtlinien, die zwar nicht genuin privatrechtlich angelegt sind, jedoch möglicherweise auch für eine privatrechtliche Deutung offen stehen; ein Beispiel bietet die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL&nbsp;2005/29). Gleiches gilt für Teile des Primärrechts, insbesondere für die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht.


Während sich der ''acquis commun'' als eine Schöpfung der Wissenschaft nicht ohne Weiteres als geltendes Recht im Sinne einer Summe hoheitlicher Rechtsregeln verstehen lässt, können die Normtexte des ''acquis communautaire ''und die darauf bezogene Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s unproblematisch als das positive Privatrecht der [[Europäische Union|Europäischen Union]] gelten. Gleichzeitig hat der ''acquis communautaire ''freilich nach wie vor einen fragmentarischen Charakter; er besteht aus punktuellen, gedanklich ursprünglich unverbundenen Regelungen spezieller Probleme. Zugleich tragen die meisten dieser Regeln einen instrumentellen, regulatorischen Charakter und stehen damit quer zum traditionell ausgleichsbezogenen Schuldrecht des ''acquis commun''. Das Ziel der Regelungen des ''acquis communautaire''<nowiki> besteht nämlich nicht lediglich in einem fairen Ausgleich gegenläufiger Parteiinteressen, sondern stets auch – oder sogar primär – in einer Förderung des Binnenmarktes, also in einer Stärkung der Position von Verbrauchern zur Motivation einer stärkeren Nachfrage (Beispiel: Haustürgeschäfts-RL) oder in einem Abbau wettbewerbsverzerrender Rechtsunterschiede (Beispiel: Produkthaftungs-RL [RL 85/374]).</nowiki>
Auch die Befürworter eines Zivilgesetzbuchs beriefen sich teilweise auf rechtskulturelle Überlegungen: Bei allen Unterschieden im Detail bestehe in Europa eine gemeinsame Privatrechtskultur, zu deren Ausbau und Verfestigung das Zivilgesetzbuch diene. Deutlicher noch wurde die Instrumentalisierung der Privatrechtskodifikation, wenn diese als dem Binnenmarktziel entsprechend oder gar dem Grundsatz der Subsidiarität geschuldet angesehen wurde. Die Überwindung von Störungen des Binnenmarktes mittels Rechtsvereinheitlichung ist denn auch bis heute das zentrale Argument auf politischer Ebene.  


Auch aus der Perspektive der Praxis ist der ''acquis communautaire ''heute von kaum zu überschätzender praktischer Bedeutung. Trotz seines im Ansatz fragmentarischen Charakters wird er dabei in der Wissenschaft zunehmend als ein geschlossenes Rechtssystem begriffen; das zeigt sich in ersten umfassenden Darstellungen des „Europäischen Vertragsrechts“ (''Karl Riesenhuber'', 2.&nbsp;Aufl. 2006), des „Gemeinschaftsprivatrechts“ (''Bettina Heiderhoff'', 2.&nbsp;Aufl. 2007) bzw. des „Europäischen Haftungsrechts“ (''Wolfgang Wurmnest'', 2003). Vor allem gibt es aber mit den ''[[Acquis Principles]] ''der ''Research Group on the Existing EC Private Law ''(''Acquis Group'')'' ''auch hier ein Normwerk in der Tradition der ''Lando''-Prinzipien (''[[Principles of European Contract Law]]''), das auf eine regelförmig systematisierende Zusammenfassung des ''acquis communautaire ''zielt. Allerdings kann auch dieses Regelwerk einstweilen nicht eine gleiche quasirechtliche Autorität wie die ''Lando''-Prinzipien beanspruchen. Denn angesichts des nach wie vor überaus fragmentarischen Charakters des ''acquis communautaire'' bedeutet die Verallgemeinerung einzelner Regeln stets eine weitreichende rechtspolitische Entscheidung, für die einer selbstkonstituierten Wissenschaftlergruppe die erforderliche politische Legitimation fehlt. Zudem ist zweifelhaft, wie weit die regulatorischen Einzelregeln des ''acquis communautaire'' ein vollständiges Vertragsrecht tragen.
Befürworter eines Europäischen Zivilgesetzbuchs können zudem auf die Situation der kleineren Mitgliedstaaten verweisen, deren Einwohner häufig nicht unter eigenem Recht handeln könnten. Hier besteht ein dauerhaftes und legitimes Interesse an einer weiteren, auch formalisierten Harmonisierung des Privatrechts. Es ist verbunden mit der inzwischen lancierten Idee, vorhandene Entwürfe der Vereinheitlichungsprojekte als nationales Privatrecht für grenzüberschreitende Rechtsbeziehungen zu erlassen und damit kollisionsrechtlich wählbar zu machen. Sofern und soweit dem nicht die Regeln über die verstärkte Zusammenarbeit nach Art.&nbsp;43-45 EUV/49-51 AEUV entgegenstehen, käme auch ein konzertiertes Vorgehen mehrerer kleinerer Staaten mit dem Ziel in Betracht, einem solchen optionalen Instrument eigener Art größere Aussicht auf Erfolg zu verschaffen.


== 4. Aufgaben und Ausblick ==
== 4. Politische Entwicklungen ==
Keiner dieser beiden Ansätze bietet allein ein adäquates, vollständiges Bild des Europäischen Privatrechts. Offenkundig ist das für Darstellungen, die das Europäische Privatrecht auf den ''acquis commun'' reduzieren, das europäische Sekundärrecht also gänzlich ausblenden. Gleiches gilt aber auch umgekehrt für Konzeptionen, die allein auf den ''acquis communautaire'' abstellen, und zwar nicht nur aufgrund dessen fragmentarischen Charakters. Vor allem sind die regulatorischen Rechtsakte des Europäischen Gesetzgebers nämlich nur vor dem Hintergrund des ''acquis commun'' verständlich: Das in den nationalen Rechtsordnungen tradierte Privatrecht bildet sowohl für die Normgeber als auch für die Rechtsadressaten den selbstverständlichen hermeneutischen Hintergrund einzelner Aussagen, wie sie sich in den verschiedenen regulatorischen [[Richtlinie]]n finden. Auch der [[Europäischer Gerichtshof|Europäische Gerichtshof]] stützt seine privatrechtliche Judikatur deshalb nicht nur auf den ''acquis communautaire'', sondern auch auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, also auf den ''acquis commun''.
Die politische Entwicklung der Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs lässt sich an den inzwischen kaum mehr zu überblickenden Dokumenten der Organe der Europäischen Gemeinschaft zum Thema ablesen. Ausgangspunkt sind die frühen Entschließungen des [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlament]]s von 1989 und 1994, in welchen es dazu aufrief, mit den Arbeiten für ein Europäisches Zivilgesetzbuch zu beginnen.  


Das Europäische Privatrecht erschließt sich heute nur aus der Gesamtschau einer Vielzahl unterschiedlicher, gleichermaßen autoritativer Texte: Neben dem ''acquis communautaire'' sind das einerseits die nationalen Gesetze und die nationale Judikatur und andererseits die internationalen Regelwerke, wie die ''[[Principles of European Contract Law]]'', die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT'' Principles of International Commercial Contracts'']], oder das UN-Kaufrecht ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)|Warenkauf, internationaler]]). Ein solcher Autoritätspluralismus macht spezifisch juristische Techniken erforderlich, die die Uneindeutigkeit und die Komplexität des gegenwärtigen Europäischen Privatrechts zu reduzieren vermögen. Insbesondere wird es in Zukunft darum gehen, den ''acquis commun ''mit dem ''acquis communautaire ''gedanklich in ein einheitliches Rechtssystem zu integrieren. Die Arbeiten an einem akademischen [[Common Frame of Reference|Gemeinsamen Referenzrahmen]] für das Europäische Privatrecht bilden einen wichtigen Schritt in diese Richtung.
Die von der niederländischen Ratspräsidentschaft 1997 veranstaltete Tagung war – abgesehen von einer nicht weiter dokumentierten Rede der niederländischen Justizministerin – nicht mit politischen Festlegungen des Rates ([[Rat und Europäischer Rat]]) verbunden. In der berühmten Formel in Punkt 39 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere 1999 ist von einem Zivilgesetzbuch ebenfalls nicht die Rede: „Im Bereich des materiellen Zivilrechts bedarf es einer allgemeinen Studie über die Frage, ob zur Beseitigung von Hindernissen für das reibungslose Funktionieren von zivilrechtlichen Verfahren die zivilrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden müssen“.  


Angesichts dessen ist das Europäische Privatrecht inhaltlich nach wie vor nur in groben Konturen erkennbar. Das gilt insbesondere für Rechtsgebiete wie das [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Delikts-]] und Sachenrecht, die begrifflich und dogmatisch mehr durch Unterschiede als durch Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind. Hier gilt es überhaupt erst die rechtsordnungsübergreifenden Grundlagen für ein gemeinsames Verständnis zu legen, also ein adäquates Begriffsinstrumentarium zu formulieren, das eine rechtsordnungsunabhängige Diskussion der jeweiligen Sachfragen und Wertungsprobleme möglich macht, und das damit die Grundlage für einen weiterführenden Vergleich und eine konsens- und identitätsstiftende Diskussion der nationalen Regelungen bieten kann. Die Entwürfe der ''Study Group ''bieten Ansätze dazu, doch sind gerade hier auch gründlichere Einzelstudien unverzichtbar, die den einschlägigen Rechtsstoff ohne Rücksicht auf die Kompromisserfordernisse innerhalb einer internationalen Kommission in den Blick nehmen. Schließlich verlangen aber auch die grundlegenden politischen Fragen des Europäischen Privatrechts eine angemessene Antwort; angesichts der konzeptionellen Marktorientierung des ''acquis communautaire'' gehört dazu nicht zuletzt auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Europäischen Privatrecht.  
Die [[Europäische Kommission]] erwähnte dann in ihrer Mitteilung von 2001 das Europäische Zivilgesetzbuch nur ganz am Rande, ohne sich die Idee zu eigen zu machen. Hingegen war von der Idee im Aktionsplan von 2003 sehr viel die Rede, freilich nur in den Zusammenfassungen der Äußerungen zur Mitteilung von 2001. Dabei fällt deutlich der Versuch auf, die zahlreichen Äußerungen zugunsten des Europäischen Zivilgesetzbuchs zu deuten. Ganz offensichtlich hat sich die Kommission hier bewusst die Kodifikationsoption für den Fall offen gelassen, dass die politische Unterstützung für ein solches Vorhaben zustande gekommen wäre. Bereits in der Mitteilung von 2004 wird jedoch klargestellt, „dass die Kommission nicht beabsichtigt, ein ‚Europäisches Zivilgesetzbuch‘ vorzuschlagen“.
 
Auf Gemeinschaftsebene ist das Projekt eines Europäischen Zivilgesetzbuchs damit vorläufig vom Tisch: Der Rat begrüßte 2005, dass die Kommission wiederholt erklärt habe, kein Europäisches Zivilgesetzbuch vorzuschlagen. Im ersten Fortschrittsbericht der Kommission von 2005 war von einem Zivilgesetzbuch keine Rede mehr. Die erste Entschließung des Parlaments aus dem Jahre 2006 ließ das Ziel zwar nicht ausdrücklich fallen, jedoch widmeten sich alle weiteren Entschließungen nicht mehr dem Europäischen Zivilgesetzbuch, sondern gingen allein auf die Arbeiten zum ''[[Common Frame of Reference]]'' ein. Die politische Debatte hat mit dem ''Common Frame of Reference'' einen neuen Gegenstand, der die Idee des Zivilgesetzbuchs verdrängt hat.
 
Dass die Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs damit auch bei den Organen der Europäischen Union nicht in Vergessenheit geraten ist, wird in späteren Erklärungen von Rat (Bericht vom April 2008) und Kommission (2. Bericht von 2007) deutlich: Beide sahen sich genötigt, zu betonen, der ''Common Frame of Reference'' bilde nicht die Basis für ein Europäisches Zivilgesetzbuch (Rat), respektive die Arbeiten am Referenzrahmen liefen nicht auf ein solches hinaus (Kommission). Das Parlament hat das Projekt nie (ausdrücklich) aufgegeben.
 
== 5. Die Frage nach der Kompetenz ==
Bereits früh ist die Frage nach der Kompetenz der [[Europäische Gemeinschaft|Europäischen Gemeinschaft]] für ein Zivilgesetzbuch gestellt worden ([[Gesetzgebungskompetenz der EG/‌EU]]). Sie hat die wissenschaftliche Entwicklung und die privatrechtliche Diskussion um vorgelegte Entwürfe freilich nicht spürbar beeinflusst. Ohne Klärung des inhaltlichen Umfangs, des Anwendungsbereichs und der angestrebten Rechtsform lässt sich die Frage auch nicht abschließend beantworten. Jedenfalls dürfte als geklärt anzusehen sein, dass Aussagen über Bestehen oder Nichtbestehen einer Kompetenz für das allgemeine Privatrecht insgesamt bei weitem zu undifferenziert sind.
 
Für das geltende Primärrecht ist die Kompetenz der Gemeinschaft umstritten: Überwiegend wird die Möglichkeit verneint, eine gesamte Privatrechtskodifikation auf Art.&nbsp;95 EG/114 AEUV zu stützen, weil die schlichte Rechtsverschiedenheit nicht als Binnenmarkthindernis angesehen wird. Weitgehende Einigkeit besteht auch in der Ablehnung von Art.&nbsp;61 EG/67-71 AEUV als Kompetenzgrundlage. Auch Art.&nbsp;308 EG/352 AEUV wird häufig kritisch gesehen, und die geforderte Einstimmigkeit lässt die Vorschrift nicht als realistische Grundlage erscheinen. Aber auch wenn man eine Kompetenz der Gemeinschaft richtigerweise bejaht, wird man ein Projekt der Größenordnung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs nicht auf die geltende Kompetenzordnung stützen wollen; die rechtlichen Risiken sind dafür zu groß. Der Vertrag von Lissabon wird daran trotz entsprechender Vorstöße im Verfassungskonvent und einer Neufassung von Art.&nbsp;65 EG in Art.&nbsp;81 AEUV nichts ändern.
 
== 6. Wirkungen des Ideals auf die europäische Rechtswissenschaft ==
Die tatsächlichen Wirkungen des Ideals vom Europäischen Zivilgesetzbuch waren und sind freilich viel größere, als die Diskussionen darüber, ob es wünschenswert und realisierbar ist, und über Kompetenz und zugrunde zu legende Methodik es erwarten ließen. Es hat eine Dynamik freigesetzt, die eine groß angelegte Umgestaltung der europäischen Privatrechtswissenschaft eingeleitet hat: Durch den Idealismus der europäischen Privatrechtswissenschaftler ist in den vergangenen anderthalb Dekaden eine Vielzahl an Texten zu nahezu allen Bereichen des allgemeinen Privat- und zu Teilen des [[Handelsrecht]]s entstanden, die – abgesehen von Erb- und Immobiliarsachenrecht – kaum etwas offen lassen. Das Gesellschafts- und das Arbeitsrecht werden sicher bald folgen. Ein Ausgreifen der eingesetzten Arbeitsweisen und Instrumente auf das öffentliche Recht ist in der Diskussion.  
 
Dass von all diesen Projekten heute vor allem der ''Draft [[Common Frame of Reference]]'' im Mittelpunkt der fachlichen Aufmerksamkeit steht, liegt nicht nur an seiner besonders großen Ambition, sondern beruht auf einer bislang kaum vorstellbaren Nähe des Projekts zu den politischen Akteuren. Die vermeintliche Realisierungsnähe eines Rechtsinstruments, das die Kernmaterien des bürgerlichen Vermögensrechts behandelt, hat trotz seines zurückgenommenen Geltungsanspruchs in bislang unbekanntem Maße einen gemeineuropäischen Diskurs über Fragen des Privatrechts eröffnet. Waren es lange Zeit die Spezialisten der Rechtsvergleichung und des Gemeinschaftsprivatrechts, die weitgehend unter sich blieben, beteiligen sich nunmehr zunehmend Wissenschaftler und Praktiker, deren Hauptbetätigungsfeld ein rein nationales ist, an den europäischen Debatten. Zugleich vernetzt sich das Rechtsgespräch zu den bislang weitgehend national diskutierten Fragen des allgemeinen Privatrechts heute zunehmend auch über Länder- und Sprachgrenzen hinweg.
 
Die entstehende europäische Privatrechtswissenschaft ringt bereits um ein gemeinsames Methodenverständnis. In ihrer Wiedergeburt liegt der eigentliche Wert der Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs: in seiner motivierenden Kraft für eine von Idealen geprägte Wissenschaft. Trotz der Ähnlichkeit des Vorgangs mit den Folgen des deutschen Kodifikationsstreits verläuft die Entwicklung dabei in einem wichtigen Punkt anders als im 19.&nbsp;Jahrhundert: Der gemeinsame Diskurs bezieht sich auf gesetzesförmige, als Einheitsrecht gedachte Texte und schöpft aus diesen wesentliche Teile seiner inneren Ordnung. Diese Ordnung ist nicht nur der erste Ertrag des Ideals eines Europäischen Zivilgesetzbuchs, die Artikel der Entwürfe sind auch die Koordinaten der Diskussion.  


==Literatur==
==Literatur==
''Reinhard Zimmermann'', Konturen eines europäischen Vertragsrechts, Juristenzeitung 1995, 477&nbsp;ff.; ''idem'', Savignys Vermächtnis: Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer Europäischen Rechtswissenschaft, Juristische Blätter 1998, 273&nbsp;ff.; ''Hans-W. Micklitz'', Perspektiven eines europäischen Privatrechts: Ius commune praeter legem, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 6 (1998) 253&nbsp;ff.; ''Karl Riesenhuber'', System und Prinzipien des Europäischen Privatrechts, 2003; ''Nils Jansen'', Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, 2004; ''Study Group on Social Justice in European Private Law'', Social Justice in European Private Law: a Manifesto, European Law Journal 10 (2004) 653&nbsp;ff.; ''Reiner Schulze'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), Europäisches Privatrecht: Basistexte, 3.&nbsp;Aufl. 2005; ''Thomas Eger'','' Hans-Bernhard Schäfer'' (Hg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007; ''Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group)'', Principles of the Existing EC Contract Law: Contract I, 2007; ''Nils Jansen'','' Reinhard Zimmermann'', Restating the Acquis communautaire? A Critical Examination of the “Principles of the Existing EC Contract Law”, Modern Law Review 71 (2008) 505&nbsp;ff.
''Ole Lando'', Unfair Contract Clauses and a European Uniform Commercial Code, in: ''Mauro Cappeletti'' (Hg.), New Perspectives for a Common Law of Europe, 1978, 267&nbsp;ff.; ''Jürgen Basedow'', Grundfragen der Vertragsrechtsreform: Niederländische Erfahrungen, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 79 (1980) 134&nbsp;ff.; ''Arthur S.'' ''Hartkamp'' u.a. (Hg.), Towards a European Civil Code, 1.&nbsp;Aufl. 1994, 2.&nbsp;Aufl. 1998, 3.&nbsp;Aufl. 2004; ''Ole Lando'', Why Codify European Contract Law, European Review of Private Law 5 (1997) 525&nbsp;ff.; ''Pierre Legrand'', Against a European Civil Code, Modern Law Review 60 (1997) 44&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', Savignys Vermächtnis, Juristische Blätter 1998, 273, 288; ''Martin Schmidt-Kessel'', Auf dem Weg zu einem Europäischen Vertragsrecht: Zur Einordnung des Aktionsplans der Kommission, Recht der internationalen Wirtschaft 2003, 481&nbsp;ff.; ''Hans Schulte-Nölke'', Ziele und Arbeitsweisen von Study Group und Acquis Group bei der Vorbereitung des DCFR, in: Martin Schmidt-Kessel (Hg.), Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, 2009, 9&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', Textstufen in der modernen Entwicklung des europäischen Privatrechts, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2009, 319&nbsp;ff.; ''Lars-Peter Brandt'', Die Chancen einer dauerhaften Rechtsvereinheitlichung durch ein europäisches Zivilgesetzbuch, 2009.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:European_Private_Law]]
[[en:European_Civil_Code]]

Version vom 28. September 2021, 16:46 Uhr

von Martin Schmidt-Kessel

1. Die Entstehung des Ideals eines Europäischen Zivilgesetzbuchs

Der Gedanke, das Europäische Privatrecht zu kodifizieren, ist am zeitlichen Maßstab der europäischen Privatrechtsentwicklung gemessen vergleichsweise jung und geht wohl auf die Forderung von Ole Lando aus dem Jahre 1978, einen European Uniform Commercial Code zu schaffen, zurück. Vereinzelt (etwa von Jürgen Basedow und Ernst Kramer) aufgenommen und von Lando in der von ihm gegründeten Kommission (Principles of European Contract Law) gezielt weiterverfolgt, stand der Gedanke in der öffentlichen Diskussion jedoch zunächst hinter der Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Privatrechte („Europäisierung des Privatrechts“) und der rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Suche nach Grundlinien eines gemeineuropäischen Privatrechts zurück.

Ein eigenes Gewicht in einer breiteren Fachöffentlichkeit erhielt er erst, als mit der Publikation des ersten Teils der Principles of European Contract Law im Jahre 1995 deutlich wurde, dass der Weg zur regelförmigen Formulierung jedenfalls von Teilen des europäischen Privatrechts gangbar ist. Was bislang nur Utopie oder gar Phantom war, schien realisierbar zu werden. Das Ideal vom Europäischen Zivilgesetzbuch wurde zu einem Leitbild der europäischen Privatrechtswissenschaft: 1994 erschien in den Niederlanden erstmals der von Arthur S. Hartkamp und anderen herausgegebene Band „Towards a European Civil Code“. 1997 veranstaltete die niederländische Ratspräsidentschaft in Scheveningen bei Den Haag eine gleichnamige Konferenz, an der viele Mitglieder der Lando-Kommission sowie zahlreiche weitere führende europäische Privatrechtsvergleicher teilnahmen und deren Redner ganz überwiegend die Realisierung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs befürworteten. Damit war das Ideal etabliert und mündete wenig später in die Gründung der Study Group on a European Civil Code, beflügelte aber auch sämtliche übrigen Projekte europäischer Privatrechtsvereinheitlichung (Code Européen des Contrats (Avant‑projet); Acquis Principles; Principles of European Tort Law; Principles of European Insurance Contract Law).

2. Diskussion über die Realisierbarkeit

Zu Beginn der Diskussion wurde die Realisierbarkeit eines Europäischen Zivilgesetzbuchs häufig angezweifelt. Dabei verschließt sich die politische Realisierbarkeit dem (rechts‑)wissenschaftlichen Zugang. Aber auch die praktische Realisierbarkeit wurde vielfach bestritten; die rechtskulturellen Unterschiede – vor allem zwischen dem Kontinent und den Staaten des common law – seien zu groß, war das Hauptargument. Die Vorlage eines akademischen Entwurfs für einen Common Frame of Reference sowie des Entwurfs der Gandolfi-Gruppe (Code Européen des Contrats (Avant‑projet)) dürfte hier nur insoweit Klarheit gebracht haben, als sie die Fähigkeit der europäischen Privatrechtswissenschaft belegen, entsprechende Texte mit einem gewissen Grad systematischer und terminologischer Kohärenz zu entwickeln.

Gewichtiger war der zweite – vielfach mit dem Kodifikationsstreit zwischen Friedrich Carl von Savigny und Anton Friedrich Justus Thibaut in Zusammenhang gebrachte – Einwand, vor der Schaffung eines Europäischen Privatrechts und damit eines allgemein akzeptierten Europäischen Zivilgesetzbuchs müsse sich nach dem Vorbild der historischen Rechtsschule zunächst eine „organisch fortscheitende“ übernationale Rechtswissenschaft ausbilden, welche die Landes- und Disziplinengrenzen zu überwinden hätte (dafür vor allem Reinhard Zimmermann). Allerdings lässt sich die Frage der zeitlichen Abfolge einer Verwirklichung beider Ideale schon deshalb nicht klar beantworten, weil die Gesetzgebungsorgane der Gemeinschaft nicht willens und der Europäische Gerichtshof und die übrigen Rechtsanwender – dementsprechend – nicht in der Lage sind, auf die wissenschaftliche Entwicklung zu warten. Außerdem zeigt die europaweite Diskussion insbesondere um den Entwurf zum Common Frame of Reference, dass diese Entwürfe – gerade weil sie als mögliche Gesetzgebungsbasis ernst genommen werden – eine wichtige Katalysatorfunktion erfüllen. Allein die Vorlage der Entwürfe hat die Privatrechtswissenschaft und ihren Diskurs deutlich europäischer werden lassen.

Als wichtigste Einschränkung der Realisierbarkeit eines Europäischen Zivilgesetzbuchs erweist sich freilich derzeit das weitgehende Fehlen einer gemeineuropäischen Methodik und Dogmatik. Die Entwicklung einer solchen Methodik für den Umgang mit Normtexten, Rechtsprechung und anderen Autoritäten steht erst ganz am Anfang. Die Standards der nationalen Privatrechtsordnungen divergieren hier ganz erheblich. Die vor allem auf seine Durchsetzung und die Schaffung des europäischen Binnenmarktes ausgerichtete Methodik des Gemeinschaftsrechts mit ihrer starken Betonung des teleologischen Arguments erweist sich als unzureichend. Methodennormen nach dem Vorbild von Art. 7 CISG, wie sie etwa auch Art. I.-1:102 DCFR enthält, entfalten bislang nur begrenzte Wirkungen. In den Diskussionen über den Entwurf des Common Frame of Reference zeigt sich, dass weder unterschiedliche Strenge im Umgang mit dem Wortlaut von Vorschriften noch divergierende Auffassungen zum Wert des historischen Arguments den Kern des Problems bilden: Im Mittelpunkt der aufkommenden Auslegungsstreitigkeiten stehen vielmehr Unterschiede im Verständnis der Funktion einer Kodifikation und damit des Werts des Systems und der auf diesem beruhenden Argumenten, insbesondere des argumentum e contrario. Ohne einen wenigstens ansatzweisen Konsens über diese Fragen lässt sich der dauerhafte Vereinheitlichungsgewinn durch eine Zivilrechtskodifikation nicht sicherstellen.

3. Diskussion über das politische Ziel

Mit der Etablierung des Ideals begann zugleich die rechtspolitische Diskussion darüber, ob ein Europäisches Zivilgesetzbuch (wirklich) wünschenswert sei. Von Anfang an gingen dabei die Vorstellungen stark auseinander. Nicht nur wurde mahnend auf das ideelle Vermächtnis Savignys verwiesen und über Fragen des Wegs zu einem Gesetzbuch und über die Dauer der erforderlichen Vorbereitungszeit gestritten. Vielmehr waren auch die Vorstellungen von den Funktionen einer Kodifikation des Zivilrechts und den daraus zu folgernden Ansprüchen an die Regelungsstruktur von vornherein disparat. Der Antagonismus zwischen dem von der Vollständigkeit des zu schaffenden Systems ausgehenden und diesem daher eigenständiges normatives Gewicht zubilligenden Ansatz und Vorstellungen von einer ordnend darstellenden und daher nicht notwendig vollständigen Systematik, die mit einer notorischen Schwäche systematischer Argumente einhergeht, ist in vielen Entwurfstexten heute spürbar und prägt zahlreiche Debatten über das richtige Verständnis einzelner Regeln der vorliegenden Entwürfe. Das Fehlen des methodischen Konsenses zieht hier das politische Bedenken nach sich.

Zusätzlich wurde schon bald auf die rechtskulturelle Vielfalt (Rechtskultur) Europas verwiesen, die als hohes Gut angesehen und – teilweise sehr polemisch, insbesondere von Pierre Legrand – verteidigt wurde. Den gewachsenen Rechtstraditionen wurde hierbei ein besonderer Wert zugeschrieben, der denjenigen einer Vereinheitlichung überwiege. Zudem wurden die erheblichen Differenzen zwischen common law und civil law betont, obwohl deren Überwindbarkeit durch zahlreiche Arbeiten insbesondere von Reinhard Zimmermann als gesichert betrachtet werden darf.

Auch die Befürworter eines Zivilgesetzbuchs beriefen sich teilweise auf rechtskulturelle Überlegungen: Bei allen Unterschieden im Detail bestehe in Europa eine gemeinsame Privatrechtskultur, zu deren Ausbau und Verfestigung das Zivilgesetzbuch diene. Deutlicher noch wurde die Instrumentalisierung der Privatrechtskodifikation, wenn diese als dem Binnenmarktziel entsprechend oder gar dem Grundsatz der Subsidiarität geschuldet angesehen wurde. Die Überwindung von Störungen des Binnenmarktes mittels Rechtsvereinheitlichung ist denn auch bis heute das zentrale Argument auf politischer Ebene.

Befürworter eines Europäischen Zivilgesetzbuchs können zudem auf die Situation der kleineren Mitgliedstaaten verweisen, deren Einwohner häufig nicht unter eigenem Recht handeln könnten. Hier besteht ein dauerhaftes und legitimes Interesse an einer weiteren, auch formalisierten Harmonisierung des Privatrechts. Es ist verbunden mit der inzwischen lancierten Idee, vorhandene Entwürfe der Vereinheitlichungsprojekte als nationales Privatrecht für grenzüberschreitende Rechtsbeziehungen zu erlassen und damit kollisionsrechtlich wählbar zu machen. Sofern und soweit dem nicht die Regeln über die verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 43-45 EUV/49-51 AEUV entgegenstehen, käme auch ein konzertiertes Vorgehen mehrerer kleinerer Staaten mit dem Ziel in Betracht, einem solchen optionalen Instrument eigener Art größere Aussicht auf Erfolg zu verschaffen.

4. Politische Entwicklungen

Die politische Entwicklung der Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs lässt sich an den inzwischen kaum mehr zu überblickenden Dokumenten der Organe der Europäischen Gemeinschaft zum Thema ablesen. Ausgangspunkt sind die frühen Entschließungen des Europäischen Parlaments von 1989 und 1994, in welchen es dazu aufrief, mit den Arbeiten für ein Europäisches Zivilgesetzbuch zu beginnen.

Die von der niederländischen Ratspräsidentschaft 1997 veranstaltete Tagung war – abgesehen von einer nicht weiter dokumentierten Rede der niederländischen Justizministerin – nicht mit politischen Festlegungen des Rates (Rat und Europäischer Rat) verbunden. In der berühmten Formel in Punkt 39 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere 1999 ist von einem Zivilgesetzbuch ebenfalls nicht die Rede: „Im Bereich des materiellen Zivilrechts bedarf es einer allgemeinen Studie über die Frage, ob zur Beseitigung von Hindernissen für das reibungslose Funktionieren von zivilrechtlichen Verfahren die zivilrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen werden müssen“.

Die Europäische Kommission erwähnte dann in ihrer Mitteilung von 2001 das Europäische Zivilgesetzbuch nur ganz am Rande, ohne sich die Idee zu eigen zu machen. Hingegen war von der Idee im Aktionsplan von 2003 sehr viel die Rede, freilich nur in den Zusammenfassungen der Äußerungen zur Mitteilung von 2001. Dabei fällt deutlich der Versuch auf, die zahlreichen Äußerungen zugunsten des Europäischen Zivilgesetzbuchs zu deuten. Ganz offensichtlich hat sich die Kommission hier bewusst die Kodifikationsoption für den Fall offen gelassen, dass die politische Unterstützung für ein solches Vorhaben zustande gekommen wäre. Bereits in der Mitteilung von 2004 wird jedoch klargestellt, „dass die Kommission nicht beabsichtigt, ein ‚Europäisches Zivilgesetzbuch‘ vorzuschlagen“.

Auf Gemeinschaftsebene ist das Projekt eines Europäischen Zivilgesetzbuchs damit vorläufig vom Tisch: Der Rat begrüßte 2005, dass die Kommission wiederholt erklärt habe, kein Europäisches Zivilgesetzbuch vorzuschlagen. Im ersten Fortschrittsbericht der Kommission von 2005 war von einem Zivilgesetzbuch keine Rede mehr. Die erste Entschließung des Parlaments aus dem Jahre 2006 ließ das Ziel zwar nicht ausdrücklich fallen, jedoch widmeten sich alle weiteren Entschließungen nicht mehr dem Europäischen Zivilgesetzbuch, sondern gingen allein auf die Arbeiten zum Common Frame of Reference ein. Die politische Debatte hat mit dem Common Frame of Reference einen neuen Gegenstand, der die Idee des Zivilgesetzbuchs verdrängt hat.

Dass die Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs damit auch bei den Organen der Europäischen Union nicht in Vergessenheit geraten ist, wird in späteren Erklärungen von Rat (Bericht vom April 2008) und Kommission (2. Bericht von 2007) deutlich: Beide sahen sich genötigt, zu betonen, der Common Frame of Reference bilde nicht die Basis für ein Europäisches Zivilgesetzbuch (Rat), respektive die Arbeiten am Referenzrahmen liefen nicht auf ein solches hinaus (Kommission). Das Parlament hat das Projekt nie (ausdrücklich) aufgegeben.

5. Die Frage nach der Kompetenz

Bereits früh ist die Frage nach der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für ein Zivilgesetzbuch gestellt worden (Gesetzgebungskompetenz der EG/‌EU). Sie hat die wissenschaftliche Entwicklung und die privatrechtliche Diskussion um vorgelegte Entwürfe freilich nicht spürbar beeinflusst. Ohne Klärung des inhaltlichen Umfangs, des Anwendungsbereichs und der angestrebten Rechtsform lässt sich die Frage auch nicht abschließend beantworten. Jedenfalls dürfte als geklärt anzusehen sein, dass Aussagen über Bestehen oder Nichtbestehen einer Kompetenz für das allgemeine Privatrecht insgesamt bei weitem zu undifferenziert sind.

Für das geltende Primärrecht ist die Kompetenz der Gemeinschaft umstritten: Überwiegend wird die Möglichkeit verneint, eine gesamte Privatrechtskodifikation auf Art. 95 EG/114 AEUV zu stützen, weil die schlichte Rechtsverschiedenheit nicht als Binnenmarkthindernis angesehen wird. Weitgehende Einigkeit besteht auch in der Ablehnung von Art. 61 EG/67-71 AEUV als Kompetenzgrundlage. Auch Art. 308 EG/352 AEUV wird häufig kritisch gesehen, und die geforderte Einstimmigkeit lässt die Vorschrift nicht als realistische Grundlage erscheinen. Aber auch wenn man eine Kompetenz der Gemeinschaft richtigerweise bejaht, wird man ein Projekt der Größenordnung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs nicht auf die geltende Kompetenzordnung stützen wollen; die rechtlichen Risiken sind dafür zu groß. Der Vertrag von Lissabon wird daran trotz entsprechender Vorstöße im Verfassungskonvent und einer Neufassung von Art. 65 EG in Art. 81 AEUV nichts ändern.

6. Wirkungen des Ideals auf die europäische Rechtswissenschaft

Die tatsächlichen Wirkungen des Ideals vom Europäischen Zivilgesetzbuch waren und sind freilich viel größere, als die Diskussionen darüber, ob es wünschenswert und realisierbar ist, und über Kompetenz und zugrunde zu legende Methodik es erwarten ließen. Es hat eine Dynamik freigesetzt, die eine groß angelegte Umgestaltung der europäischen Privatrechtswissenschaft eingeleitet hat: Durch den Idealismus der europäischen Privatrechtswissenschaftler ist in den vergangenen anderthalb Dekaden eine Vielzahl an Texten zu nahezu allen Bereichen des allgemeinen Privat- und zu Teilen des Handelsrechts entstanden, die – abgesehen von Erb- und Immobiliarsachenrecht – kaum etwas offen lassen. Das Gesellschafts- und das Arbeitsrecht werden sicher bald folgen. Ein Ausgreifen der eingesetzten Arbeitsweisen und Instrumente auf das öffentliche Recht ist in der Diskussion.

Dass von all diesen Projekten heute vor allem der Draft Common Frame of Reference im Mittelpunkt der fachlichen Aufmerksamkeit steht, liegt nicht nur an seiner besonders großen Ambition, sondern beruht auf einer bislang kaum vorstellbaren Nähe des Projekts zu den politischen Akteuren. Die vermeintliche Realisierungsnähe eines Rechtsinstruments, das die Kernmaterien des bürgerlichen Vermögensrechts behandelt, hat trotz seines zurückgenommenen Geltungsanspruchs in bislang unbekanntem Maße einen gemeineuropäischen Diskurs über Fragen des Privatrechts eröffnet. Waren es lange Zeit die Spezialisten der Rechtsvergleichung und des Gemeinschaftsprivatrechts, die weitgehend unter sich blieben, beteiligen sich nunmehr zunehmend Wissenschaftler und Praktiker, deren Hauptbetätigungsfeld ein rein nationales ist, an den europäischen Debatten. Zugleich vernetzt sich das Rechtsgespräch zu den bislang weitgehend national diskutierten Fragen des allgemeinen Privatrechts heute zunehmend auch über Länder- und Sprachgrenzen hinweg.

Die entstehende europäische Privatrechtswissenschaft ringt bereits um ein gemeinsames Methodenverständnis. In ihrer Wiedergeburt liegt der eigentliche Wert der Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuchs: in seiner motivierenden Kraft für eine von Idealen geprägte Wissenschaft. Trotz der Ähnlichkeit des Vorgangs mit den Folgen des deutschen Kodifikationsstreits verläuft die Entwicklung dabei in einem wichtigen Punkt anders als im 19. Jahrhundert: Der gemeinsame Diskurs bezieht sich auf gesetzesförmige, als Einheitsrecht gedachte Texte und schöpft aus diesen wesentliche Teile seiner inneren Ordnung. Diese Ordnung ist nicht nur der erste Ertrag des Ideals eines Europäischen Zivilgesetzbuchs, die Artikel der Entwürfe sind auch die Koordinaten der Diskussion.

Literatur

Ole Lando, Unfair Contract Clauses and a European Uniform Commercial Code, in: Mauro Cappeletti (Hg.), New Perspectives for a Common Law of Europe, 1978, 267 ff.; Jürgen Basedow, Grundfragen der Vertragsrechtsreform: Niederländische Erfahrungen, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 79 (1980) 134 ff.; Arthur S. Hartkamp u.a. (Hg.), Towards a European Civil Code, 1. Aufl. 1994, 2. Aufl. 1998, 3. Aufl. 2004; Ole Lando, Why Codify European Contract Law, European Review of Private Law 5 (1997) 525 ff.; Pierre Legrand, Against a European Civil Code, Modern Law Review 60 (1997) 44 ff.; Reinhard Zimmermann, Savignys Vermächtnis, Juristische Blätter 1998, 273, 288; Martin Schmidt-Kessel, Auf dem Weg zu einem Europäischen Vertragsrecht: Zur Einordnung des Aktionsplans der Kommission, Recht der internationalen Wirtschaft 2003, 481 ff.; Hans Schulte-Nölke, Ziele und Arbeitsweisen von Study Group und Acquis Group bei der Vorbereitung des DCFR, in: Martin Schmidt-Kessel (Hg.), Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, 2009, 9 ff.; Reinhard Zimmermann, Textstufen in der modernen Entwicklung des europäischen Privatrechts, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2009, 319 ff.; Lars-Peter Brandt, Die Chancen einer dauerhaften Rechtsvereinheitlichung durch ein europäisches Zivilgesetzbuch, 2009.