Einstweiliger Rechtsschutz und Eisenbahnverkehr: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Christian Heinze]]''
von ''[[Helga Jesser-Huß]]''
== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Entwicklung und Bedeutung ==
„To no one will we sell, to no one will we refuse or delay, right or justice”, dieses Versprechen schleunigen Rechtsschutzes stellt auch 800 Jahre nach der ''Magna Charta Libertatum ''von 1215 (1297 c.9, Kap. 40) eine fortdauernde Herausforderung für das Zivilprozessrecht dar. Zu seiner Verwirklichung haben die europäischen Prozessordnungen unterschiedliche Formen der Beschleunigung auf dem Weg zu einem vollstreckbaren Titel entwickelt, die neben dem einstweiligen Rechtsschutz auch Institute wie das Mahnverfahren, die vorläufige Vollstreckbarkeit nichtrechtskräftiger Entscheidungen, den Urkundenprozess und die konzentrierten und vereinfachten Verfahren (insbesondere bei niedrigen Streitwerten) umfassen. Von den übrigen Formen beschleunigter Verfahren unterscheidet sich der einstweilige Rechtsschutz durch seine verfahrensrechtliche und inhaltliche Einstweiligkeit. Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sind verfahrensrechtlich einstweilig, denn sie behalten die endgültige und abschließende Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vor. Sie sind auch inhaltlich einstweilig, weil faktisch endgültige und dem Hauptsacherechtsschutz unwiderruflich vorgreifende Entscheidungen grundsätzlich vermieden werden sollen. Schließlich sind sie (häufig) auch im Hinblick auf den zugrunde liegenden Tatsachenstoff einstweilig, weil die Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzes zuweilen eine Einschränkung der gerichtlichen Kognition bedingt. Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, die Wirksamkeit des Rechtsschutzes in der Hauptsache und damit letztendlich des materiellen Rechts zu sichern (vgl. Ziffer 8.1 der ALI/UNIDROIT'' Principles of Transnational Civil Procedure'').  
Nach der Inbetriebnahme der ersten Eisenbahnverbindungen in verschiedenen europäischen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann die Eisenbahn zunehmend an Bedeutung und entwickelte sich infolge des rasanten Ausbaus des Schienennetzes bald zum wichtigsten Landverkehrsträger. Da der Personen- und Gütertransport von strategischer Bedeutung in der wirtschaftlichen, insbesondere in der industriellen Entwicklung der einzelnen Staaten war und ihm auch in militärischen Auseinandersetzungen entscheidende Bedeutung zukam, entwickelte sich die Eisenbahn unter starker staatlicher Beteiligung, vornehmlich unter Berücksichtigung der jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten. Daraus resultierten nationale Eisenbahnmärkte, die von integrierten staatlichen Eisenbahnunternehmen, die zugleich Verkehrsdienstleistungen erbrachten sowie das jeweilige nationale Schienennetz betrieben, bedient wurden; die technischen Rahmenbedingungen variierten von Land zu Land, sodass der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr mit unterschiedlichen Spurweiten, schließlich mit unterschiedlichen Stromsystemen oder unterschiedlichen Ausbildungsstandards des Personals etc. konfrontiert war. Anstelle eines einheitlichen europäischen Eisenbahnsystems entwickelten sich unzulänglich miteinander verbundene einzelstaatliche Systeme, welche Verzögerungen in der Beförderungsgeschwindigkeit und zusätzliche Kosten bedingen und damit der Schiene Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Verkehrsträgern, insbesondere der Straße, bereiten. Demzufolge hat über Jahrzehnte hinweg und bis in die jüngste Vergangenheit sowohl der Güter- als auch der Personentransport mit der Eisenbahn an Bedeutung verloren; die Beförderungsleistung ist zwar annähernd gleich geblieben, doch bedeutet das angesichts des gestiegenen Gütertransportvolumens erhebliche Marktanteilsverluste vornehmlich zugunsten der Straße; im Personenverkehr zeigte der wachsende Pkw-Verkehr und auch der expandierende Flugverkehr seine Auswirkungen. Umweltschutz und Verkehrssicherheit – die Eisenbahn ist ein sauberes und sicheres Transportmittel – sprechen jedoch für ihre Renaissance.


== 2. Ursprung und Erscheinungsformen ==
Für die Zukunft stellt die Eisenbahn im Güterverkehr eine umweltfreundliche Alternative zur zunehmend überlasteten Straße dar und erscheint insbesondere als Bestandteil eines integrierten Verkehrssystems auf der Basis der Verwendung verkehrsmittelunabhängiger, normierter Transportgefäße wie Containern von wachsender Bedeutung ([[multimodaler Transport]]). Im Personenverkehr sind Verlagerungen von Marktanteilen zulasten des Flugzeugs besonders auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zu erwarten; im Personennahverkehr bildet die Bahn, ein entsprechendes Angebot vorausgesetzt, eine Alternative zum Individualverkehr auf der Straße.
Das römische Recht kannte keinen einheitlichen Typ des beschleunigten oder summarischen Verfahrens. Beschleunigter und vorläufiger Rechtsschutz war zunächst möglich durch die Interdikte des Prätors, die vor allem den Besitzschutz und den Rechtsfrieden sicherten. Allerdings verblasste der Unterschied zwischen ''actio'' und ''interdictum'' zunehmend, bis er sowohl bei ''Justinian'' wie im weströmischen Vulgarrecht weitgehend gegenstandslos wurde. Erst die ''Clementina Saepe'' von 1306 schuf für das kanonische Verfahren einen allgemeinen summarischen Prozess, während das gemeine Recht als „bestimmt summarische“ Verfahren den Mandatsprozess (als Vorläufer des Mahnverfahrens), den Exekutivprozess (als Vorläufer des Urkundenverfahrens) und den Arrestprozess entwickelte, die durch partikularrechtliche Vorläufer der einstweiligen Anordnung ergänzt wurden. Einen anderen Weg ging das englische Recht, das in Anknüpfung an die römischen Interdikte die ''injunction'' als Rechtsbehelf der ''[[equity]]'' auch zur Gewährleistung einstweiligen Rechtsschutzes ausformte.  


Im modernen Recht unterscheidet die Prozessrechtsvergleichung drei Grundtypen des einstweiligen Rechtsschutzes, nämlich Maßnahmen zur Sicherung des Vollstreckungszugriffs, Maßnahmen zur vorläufigen Aufrechterhaltung oder Regelung einer Sach- oder Rechtslage sowie Maßnahmen zur endurteilsgleichen Befriedigung (vgl. auch Ziffern 10.1.1-10.1.3 ''Storme-Principles''<nowiki>). Zu ergänzen sind Beweissicherungsmaßnahmen, deren Qualifikation als einstweilige Maßnahmen bisher umstritten ist. Im Gemeinschaftsrecht findet sich der Begriff der einstweiligen oder vorläufigen Maßnahme inzwischen in zahlreichen Rechtsakten (z.B. Art.&nbsp;242, 243 EG/ 278, 279 AEUV; Art.&nbsp;31, 47 EuGVO [VO&nbsp;44/2001]; Art.&nbsp;20 Brüssel&nbsp;IIa-VO [VO&nbsp;2201/2003]; Art.&nbsp;99 Gemeinschaftsmarken-VO [VO&nbsp;40/94 = Art.&nbsp;103 VO&nbsp;207/2009 (konsolidierte Fassung)]; Art.&nbsp;90 Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO [VO&nbsp;6/ 2002]; Art.&nbsp;7, 9 Durchsetzungs-RL [RL 2004/48]; Art.&nbsp;18(1) E&#8209;Commerce-RL [RL&nbsp;2000/31]; Art. 11(2) der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken [RL&nbsp;2005/29]; Art.&nbsp;2(1)(a) der Unterlassungsklagen-RL [RL&nbsp;98/27]; Art.&nbsp;50 TRIPS). Der </nowiki>[[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] definiert die „einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“ i.S.d. Art.&nbsp;31 EuGVO als Maßnahmen, die „eine Veränderung der Sach- und Rechtslage verhindern sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird“ (EuGH Rs.&nbsp;C-261/90 – ''Reichert'', Slg. 1992, I-2149, Rn.&nbsp;34). In seiner Rechtsprechung zu Art.&nbsp;50 TRIPS hat der Gerichtshof demgegenüber bei der Subsumtion unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme darauf abgestellt, dass die relevante Maßnahme im nationalen Recht als „sofortige einstweilige Maßnahme“ bezeichnet wird, aus Gründen der Dringlichkeit erlassen wird und nicht rechtlich endgültig ist, weil die Parteien das Recht haben, nach Erlass der Maßnahme ein Hauptsacheverfahren einzuleiten (EuGH Rs.&nbsp;C-53/96 – ''Hermès'', Slg. 1998, I-3603, Rn.&nbsp;37&nbsp;f.). Im Folgenden sollen einstweilige Maßnahmen als Maßnahmen definiert werden, die aus Gründen der Dringlichkeit erlassen werden, um bis zum Abschluss eines rechtlich möglichen Hauptsacheverfahrens Beweismaterial oder Vermögen vorläufig zu sichern oder eine bestehende Sach- oder Rechtslage vorläufig aufrechtzuerhalten oder zu regeln, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem Hauptsachegericht beantragt werden kann.  
== 2. Tendenzen der Rechts&shy;entwicklung ==
Mit der wachsenden Bedeutung der Eisenbahnen für den Gütertransport in der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jahrhunderts gingen bald Sondervorschriften für den Eisenbahnverkehr im Rahmen allgemeiner transportvertraglicher Bestimmungen einher. Solche fanden sich etwa bereits im [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch||ADHGB]] von 1861. Die Vorschriften beinhalteten zwingende Mindeststandards für die Transportkunden, ein Regelungsanliegen, welches aus den von den monopolistisch agierenden Eisenbahnen einseitig im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen standardisierten Vertragsbedingungen, die im Allgemeinen auch nicht im Einzelnen auszuhandeln waren, entstand ([[Transportvertrag]]). Im Übrigen ist die europäische Privatrechtsentwicklung im Bereich des Eisenbahnverkehrs vom frühen Erfolg internationaler Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen geprägt: Die Vorschriften des IÜG beeinflussten nationale Bestimmungen. Auch in seinen späteren Fassungen blieb das internationale Eisenbahnrecht Vorbild für Reformen nationalen Rechts, so etwa in Deutschland, Österreich, Schweiz, den Niederlanden, Italien, Norwegen und Polen.


=== a) Sicherung des Vollstreckungszugriffs und Beschlagnahme ===
== 3. Internationale Konventionen ==
Zur ''Sicherung der Vollstreckung von Zahlungsanordnungen'' sehen die meisten europäischen Rechtsordnungen die Möglichkeit einer Pfändung (zuweilen aufgrund eines vorhergehenden Arrestbeschlusses) vor (Deutschland: Arrest, §§&nbsp;916, 930, 932 ZPO; Frankreich: ''saisie conservatoire'' und ''sûreté judiciaire'', Art. 67 ''Loi No. 91-650'' vom 9.7.1991 i.V.m. Art.&nbsp;210&nbsp;ff. ''Décret No.&nbsp;92-755'' vom 31.7.1992; Italien: ''sequestro conservativo'', Art.&nbsp;671, 677-679 CPC; Schweiz: Arrest, Art.&nbsp;271-281 SchKG; Spanien: ''embargo preventivo'', Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;1 LEC). Als Alternativmodell findet sich das persönliche Verfügungsverbot in England (''freezing injunction'', CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;f) und Österreich (§&nbsp;379 Abs.&nbsp;3 Nr. 2-5, Abs.&nbsp;4 EO), zuweilen auch als subsidiäres Institut der persönliche Arrest (Deutschland: §§&nbsp;918, 933 ZPO; England: ''injunction ne exeat regno''<nowiki>; Österreich: §&nbsp;386 EO). Die </nowiki>''Sicherung von beweglichen Sachen'' erfolgt durch Beschlagnahme, Sequestration oder Veräußerungsverbote (Deutschland: §§&nbsp;935, 938 Abs.&nbsp;2 ZPO, 135&nbsp;f. BGB; England: CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;c (i); Frankreich: Art.&nbsp;1961 ''Code civil'', Art.&nbsp;155&nbsp;ff. Décret 1992; Italien: Art.&nbsp;670 Nr.&nbsp;1 CPC; Österreich: §&nbsp;382 Nr.1-7 EO; Schweiz: Art.&nbsp;262 eidg. ZPO; Spanien: Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;2, 3, 9 LEC). Das Gemeinschaftsrecht garantiert in Art.&nbsp;9(2) Durchsetzungs-RL für Immaterialgüterrechtsverletzungen im gewerblichem Ausmaß nach dem Vorbild der englischen ''freezing injunction'' die Möglichkeit der vorsorglichen Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens einschließlich der Sperrung von Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte, wenn die geschädigte Partei glaubhaft macht, dass die Erfüllung ihrer Schadensersatzforderung fraglich ist. Zu diesem Zweck können die zuständigen Behörden auch die Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen anordnen. Es gewährleistet ferner durch Art.&nbsp;9(1)(a) Durchsetzungs-RL die Beschlagnahme oder Herausgabe der Waren, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums besteht (zu Beschlagnahmeanordnungen auch Art.&nbsp;7(2) RL 91/250; Art.&nbsp;8(2) RL 2001/29; Art. 89(1)(b) und (c) Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO).
Die Möglichkeiten, die die Eisenbahn im Gütertransport bot, wurden auch im internationalen Warenaustausch genutzt. Infolge der Besonderheiten des internationalen Eisenbahntransportvertrages, insbesondere wegen der wechselseitigen Angewiesenheit der beteiligten Bahnen mit ihrer jeweiligen eigenen Traktionsleistung aufeinander, erwiesen sich die unterschiedlichen nationalen Vorschriften als hinderlich. Daher gab es schon früh Bestrebungen, ein internationales Übereinkommen für den Eisenbahnfrachtverkehr auszuarbeiten, ein Unterfangen, welches mit dem IÜG&nbsp;1890, dem ersten transportrechtlichen Übereinkommen überhaupt und dem Vorläufer der heutigen CIM, zum Erfolg geführt wurde. 1924 wurde ein entsprechendes Regelwerk für den Personenverkehr, das IÜP, die Vorgängerbestimmung zur heutigen CIV, geschaffen. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des IÜG&nbsp;1893 gehörte auch Russland diesem Übereinkommen an; allerdings setzte Sowjetrussland nach dem Ersten Weltkrieg diese Mitgliedschaft nicht fort. In den Volksrepubliken entwickelten sich schließlich eigene Vorschriften für den internationalen Eisenbahngüter- (SMGS) und Eisenbahnpersonenverkehr (SMPS), wobei manche Staaten beiden Übereinkommenssystemen angehörten.


=== b) Vorläufige Regelung einer Sach- und Rechtslage ===
Sowohl beim IÜG als auch beim IÜP war von Anfang an vorgesehen, diese Vorschriften in bestimmten zeitlichen Intervallen Revisionen zu unterziehen, sodass das internationale Eisenbahntransportrecht im Laufe der Zeit immer wieder an die geänderten Verhältnisse angepasst wurde. Dabei konnte im Gegensatz zum internationalen Luftfahrtrecht ([[Luftverkehr]]) die erreichte Rechtseinheit gewahrt werden; der internationale Eisenbahnbeförderungsvertrag, der mit der jeweiligen Versandbahn geschlossen wurde, in den aber die nachfolgenden Bahnen als Vertragspartner eintraten, setzte in besonderem Maße homogene Vorschriften voraus. Für Teilbereiche etablierten sich früh vereinfachte Revisionsverfahren, wobei die geänderten Vorschriften insbesondere im Gefahrgutrecht (RID) ohne das Erfordernis der Ratifizierung seitens der einzelnen Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt wurden.  
Zweiter Grundtyp der einstweiligen Maßnahme ist die ''vorläufige Regelung einer Sach- und Rechtslage'', die aufgrund ihrer vielgestaltigen Erscheinungsformen regelmäßig durch eine Generalklausel garantiert wird (Deutschland: §&nbsp;940 ZPO, England: CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;a; Frankreich: Art.&nbsp;808, 809 Abs.&nbsp;1 CPC; Österreich: §&nbsp;381 Nr.&nbsp;2 EO; Schweiz: Art.&nbsp;262, insbesondere lit.&nbsp;a und b eidg. ZPO; Spanien: Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;11 LEC).  


=== c) Vorläufige Befriedigung ===
Die bereits seit Jahrzehnten angestrebte Strukturänderung des internationalen Eisenbahnbeförderungsrechts wurde schließlich 1980 im Rahmen der achten Revisionskonferenz mit dem Beschluss der COTIF erreicht. Das Grundübereinkommen enthält institutionelle Vorschriften; die Parteien des Übereinkommens bilden als Mitgliedstaaten die OTIF, die Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr, deren Aufgabe unter anderem in der Fortentwicklung der beförderungsrechtlichen Vorschriften liegt. Zuständig sind verschiedene Organe, eigene Vorschriften leisten Gewähr für die Erhaltung der bereits erreichten Rechtseinheit trotz Revisionen. Das eigentliche Eisenbahnbeförderungsrecht, die jeweils überarbeiteten CIV und CIM, wurde in zwei Anhänge übernommen, die RID, die RIP, die RICo und die RIEx als Anlagen der CIM angefügt. Diese Anhänge bzw. Anlagen sind integrierte Bestandteile des Übereinkommens.  
==== aa) Unterlassungs&shy;anordnungen ====
Zwischen der vorläufigen Regelung und der vorläufigen Befriedigung stehen die in allen Rechtsordnungen anerkannten ''einstweiligen Unterlassungsanordnungen'' (Deutschland: §&nbsp;940 ZPO, England: CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;a; Frankreich: Art.&nbsp;808, 809 Abs. 1 CPC; Italien: Art.&nbsp;700 CPC; Österreich: §&nbsp;381 Nr.&nbsp;2 EO; Schweiz: Art.&nbsp;262 lit.&nbsp;a eidg. ZPO; Spanien: Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;7 LEC), die zuweilen in Spezialgesetzen (etwa des geistigen Eigentums) geregelt sind. Nach dem Vorbild <nowiki>von Art.&nbsp;50(1)(a) TRIPS garantiert auch das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit einstweiliger Unterlassungsanordnungen zur Abwehr von (drohenden) Immaterialgüterrechtsverletzungen (Art. 9(1)(a) Durchsetzungs-RL; Art.&nbsp;98(1)1, 99 Gemeinschaftsmarken-VO [= Art. 102, 103 VO 207/2009]; Art.&nbsp;89(1)(a), 90 Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO; Art.&nbsp;94(1) Gemeinschaftssortenschutz-VO (VO&nbsp;2100/94); Art. 8(2), 3 RL 2001/29; Art.&nbsp;18(1) RL&nbsp;2000/31).</nowiki>


==== bb) Leistungs&shy;anord&shy;nungen ====
Bald nach ihrem Inkrafttreten im Mai 1985 zeigte sich, dass die COTIF 1980, die ihre Vorschriften nach wie vor am in Europa verbreiteten Staatsbahnsystem mit seinem Netz- und Traktionsmonopol ausrichtete, den durch die bevorstehenden ordnungspolitischen Änderungen hervorgerufenen Herausforderungen in privatrechtlicher Hinsicht nicht gewachsen sein würde. Sie hielt wie ihre Vorläufer am System der eingetragenen Linien, die von einer im Allgemeinen staatlichen, integrierten Eisenbahn betrieben und auch befahren wurden, fest; daraus resultierte im Privatrecht die Haftungsgemeinschaft der aufeinanderfolgenden Eisenbahnen, von denen jede nur ihr eigenes Netz befährt und an der Grenze den Zug mit den beförderten Personen oder Gütern an die nächste Eisenbahn übergibt. Ihre Zusammenarbeit war durch die Beförderungs- und Tarifpflicht gesichert; dadurch wurden nicht nur grenzüberschreitende Beförderungsleistungen sichergestellt, sondern auch gewährleistet, dass diese allen Kunden zur Verfügung stehen und nicht einzelnen versagt würden. Diese Konzeption war jedoch mit den von der EG eingeleiteten Maßnahmen zur Ablöse des Staatsbahnsystems nicht vereinbar. Darüber hinaus schien infolge der Ostöffnung und den immer stärker werdenden internationalen Handelsbeziehungen eine Erweiterung der OTIF-Mitgliedstaaten vor allem in Richtung Osten durchaus wünschenswert. Die COTIF 1999 trägt diesen Veränderungen Rechnung. Im Güterbeförderungsrecht stehen einander nicht mehr Absender und „Eisenbahn“, sondern Absender und „Beförderer“, also Frachtführer, gegenüber, im Personenverkehr „Beförderer“ und „Reisender“. Der Anwendungsbereich wurde erweitert, indem die Linienbindung der COTIF 1980 aufgegeben wurde. Transitländer müssen nicht länger Mitgliedstaaten der COTIF sein; die Vorschriften des Übereinkommens gelangen zur Anwendung, wenn der Abgangs- und der Bestimmungsort in zwei Mitgliedstaaten liegen. Entfallen sind die Beförderungs- und die Tarifpflicht; die grenzüberschreitende Zusammenarbeit muss nunmehr zwischen den Beförderern vereinbart werden. Der vertragliche Gestaltungsspielraum zwischen Beförderern und Kunden sowie Eisenbahnunternehmen untereinander wurde erweitert. Auch den durch den Entfall des Netz- und Traktionsmonopols der staatlichen Eisenbahnunternehmen bedingten Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Schienenbeförderungen wurde Rechnung getragen. Im Rahmen seiner Netzzugangsrechte kann ein Beförderer nunmehr solche allein als vertraglicher Beförderer abwickeln oder wie bisher unter Hinzuziehung aufeinanderfolgender Beförderer durchführen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit der Einschaltung eines ausführenden Beförderers. Aufgehoben wurden die Anlagen zur CIM RIP, RICo und RIEx. Diese haben sich durch die Neugestaltung der wirtschaftlichen Basis des europäischen Eisenbahnverkehrs überholt. Das internationale Gefahrgutrecht wurde als eigenständiger Anhang C zur COTIF ausgestaltet (RID); neu aufgenommen wurden in den Anhängen D bis G Vorschriften über die Verwendung von Wagen (CUV), über die Nutzung der Infrastruktur (CUI), über verbindliche technische Normen (APTU) sowie die technische Zulassung von Eisenbahnmaterial (ATMF). Die CIV und die CIM bilden wie bisher die Anhänge A und B. Bei der Revision der CIM wurden Besonderheiten der SMGS-Länder berücksichtigt, um so noch weitere Staaten zum Beitritt zur OTIF zu bewegen und durchgehende Eisenbahnbeförderungen vom Atlantik bis zum Pazifik zu ermöglichen. Mit der COTIF 1999 ist dies zumindest durch entsprechende Vereinbarung zu erreichen: Nach Art.&nbsp;1 §&nbsp;2 CIM finden diese Vorschriften auch Anwendung, wenn der Abgangs- und Bestimmungsort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen nur einer Mitgliedstaat der COTIF ist, sofern die Parteien des Beförderungsvertrages dies vereinbaren.
Deutlich gespaltener als bei Unterlassungsanordnungen sind die Prozessordnungen Europas bei ''vorläufigen Zahlungsanordnungen''. Am großzügigsten sind hier die französischen Gerichte, die vorläufige Zahlungen im ''référé''-Verfahren (Art.&nbsp;809 Abs.&nbsp;2 1.&nbsp;Alt., 484&nbsp;ff. CPC) sowohl vor wie während eines laufenden Hauptsacheverfahrens nach liberalen Maßstäben gewähren. Ebenfalls eher großzügig mit Zahlungsanordnungen während eines laufenden Hauptsacheverfahrens sind die englischen (''interim payment order'', CPR&nbsp;25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;k, Abs.&nbsp;6, 7) und die italienischen Gerichte (Art.&nbsp;186bis, 186quater CPC). Dem steht eine größere Zurückhaltung in Deutschland, der Schweiz und Spanien gegenüber. Die deutschen Gerichte gestatten vorläufige Leistungsanordnungen im Wesentlichen nur zur Deckung des Unterhaltsbedarfs (sog. Leistungsverfügung analog §&nbsp;940 ZPO; siehe auch §&nbsp;381 Nr. 8 lit. a EO). Der Entwurf für eine eidgenössische ZPO ermöglicht die Anordnung einer Geldzahlung durch einstweilige Maßnahme nur in den durch Gesetz bestimmten Fällen (Art.&nbsp;262 lit.&nbsp;e eidg. ZPO), ähnlich ist die Rechtslage in Spanien aufgrund des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache (''homogeneidad'', Art.&nbsp;726 Nr.&nbsp;2 LEC) und der fehlenden ausdrücklichen Regelung vorläufiger Zahlungsanordnungen im Katalog des Art.&nbsp;727 (siehe aber Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;11 LEC). Der EuGH zählt zwar im Interesse der Wirksamkeit des Eilrechtsschutzes im Grundsatz auch die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung zu den einstweiligen Maßnahmen i.S.d. Art.&nbsp;31 EuGVO, allerdings zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache und Umgehung der Hauptsachezuständigkeiten der Art.&nbsp;2-24 EuGVO nur dann, „wenn die Rückzahlung des zugesprochenen Betrages an den Antragsgegner in dem Fall, dass der Antragsteller nicht in der Hauptsache obsiegt, gewährleistet ist und wenn die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten“ (EuGH Rs.&nbsp;C-391/95 – ''van Uden'', Slg. 1998, I-7091, Rn.&nbsp;47). Größere Skepsis besteht in allen Mitgliedstaaten im Hinblick auf ''positive Leistungsanordnungen'', soweit sie nicht die Geldzahlung betreffen. Obwohl die Rechtsordnungen solche Anordnungen im Grundsatz gestatten (z.B. Deutschland: Leistungsverfügung analog §&nbsp;940 ZPO; Frankreich: Art.&nbsp;809 Abs.&nbsp;2 Alt. 2 CPC; England: ''mandatory injunction'', CPR 25.1&nbsp;Abs.&nbsp;3; Schweiz: Art. 262 lit. d eidg. ZPO) werden sie in der Praxis nur zurückhaltend erlassen.


==== cc) Durchsetzung von Hilfsansprüchen ====
Die COTIF-Reform ist am 1.7.2006 in Kraft getreten, steht allerdings bis heute nicht in allen 43 Mitgliedstaaten in Geltung, insbesondere nicht in allen europäischen Staaten. So haben Irland, Italien und Schweden das Protokoll 1999 bislang nicht ratifiziert. Darüber hinaus erklärten eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten auf Verlangen der Europäischen Kommission Vorbehalte, wonach sie die drei Anhänge F-G des Übereinkommens, CUI, APTU und ATMF, zur Gänze nicht anwenden, weil diese teilweise in Widerspruch zu mittlerweile ergangenem Gemeinschaftsrecht stünden. Dadurch sollen drohende Vertragsverletzungsverfahren vermieden werden.
Wiederum anders stellt sich das Panorama der europäischen Prozessordnungen bei der ''Durchsetzung von Hilfs- und Informationsansprüchen'' (Auskunft, Rechnungslegung, Besichtigung) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dar. Hier ist vor allem im Immaterialgüterprozessrecht eine Tendenz unverkennbar, eine Durchsetzung der Informationsansprüche bereits im Wege einstweiliger Maßnahmen zu gestatten und das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache auf die Durchsetzung des Hauptanspruchs zu beziehen (Deutschland: §&nbsp;140b Abs.&nbsp;7 PatG, §&nbsp;19 Abs.&nbsp;7 MarkenG, §&nbsp;101 Abs.&nbsp;7 UrhG; England: CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;g, n, o; Spanien: Art.&nbsp;727 Nr.&nbsp;4 LEC; siehe auch Art. 9(2)2 Durchsetzungs-RL).  


=== d) Beweissicherung ===
== 4. Europäisierung des Eisen&shy;bahntransportrechts ==
Eng verwandt mit der Durchsetzung materiellrechtlicher Hilfsansprüche sind ''Maßnahmen der Beweissicherung und Beweisgewinnung''. Solche Maßnahmen zählen Art.&nbsp;50(1)(b) TRIPS und Art.&nbsp;7(1) Durchsetzungs-RL ausdrücklich zu den einstweiligen Maßnahmen. Der EuGH will demgegenüber eine vorgezogene Zeugenvernehmung, deren wesentliches Ziel darin besteht, es dem Antragsteller zu ermöglichen, die Chancen und Risiken eines eventuellen Rechtsstreits zu beurteilen, nicht als einstweilige Maßnahme i.S.d. Art.&nbsp;31 EuGVO qualifizieren (EuGH Rs.&nbsp;C-104/03 – ''St. Paul Dairy'', Slg. 2005, I-3481, Rn.&nbsp;24). Die nationalen Prozessordnungen sind in dieser Frage gespalten. Traditionell sehen manche Staaten die Beweissicherung eher als vorgezogenen Bestandteil des Beweisverfahrens an (Deutschland: §§&nbsp;485&nbsp;ff. ZPO, Italien: Art.&nbsp;692&nbsp;ff. CPC; Österreich: §§&nbsp;384&nbsp;ff. ZPO; Spanien: Art.&nbsp;293&nbsp;ff. LEC), während andere Prozessordnungen die Beweissicherung zu den einstweiligen Maßnahmen zählen (England: CPR 25.1 Abs.&nbsp;1 lit.&nbsp;c (ii) – (iv), lit. h, i, j; Frankreich: Art. 145 CPC). Mit Blick auf die europäischen und internationalen Vorgaben empfiehlt es sich, auch die Beweissicherung als einstweilige Sicherungsmaßnahme anzusehen. Eine solche Sichtweise scheint sich zumindest im Immaterialgüterprozessrecht durchzusetzen (Deutschland: §&nbsp;140c Abs.&nbsp;3 PatG, §&nbsp;19a Abs.&nbsp;3 MarkenG, §&nbsp;101a Abs.&nbsp;3 UrhG; Italien: Art.&nbsp;121&nbsp;f., 128-130 ''Codice della proprietà industriale'') und wäre auch konsequent, denn letztendlich geht es um eine einstweilige Sicherung zwar nicht des prozessualen Anspruchs, aber der Aufklärungsmittel zum Beweis desselben. Sie lässt sich auch mit der unglücklichen ''St. Paul Dairy''-Entscheidung des EuGH vereinbaren, soweit die Beweismaßnahme neben der Zweckmäßigkeitsausforschung zumindest auch der Sicherung von Rechten durch Sicherung von Beweisen dient.  
Die EG hat erst spät Maßnahmen zur Förderung der Eisenbahn als sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel ergriffen; im Rahmen verkehrspolitischer Entscheidungen genießen sie nunmehr höchste Priorität. Ziel ist die Verschmelzung der Eisenbahnsysteme der einzelnen Mitgliedstaaten zu einem einzigen europäischen Eisenbahnsystem. Die dazu notwendigen Reformen haben zur Aufgabe, die Eisenbahnen Europas aus der veralteten Staatsbahnstruktur zu lösen und zu marktorientierten Wirtschaftsunternehmen reifen zu lassen. Verstärkte Investitionen in die Infrastruktur sollen die Attraktivität der Bahn steigern.


== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Mit der RL&nbsp;91/440 wurden erste Maßnahmen zur Marktöffnung für bestimmte Bereiche des Eisenbahnverkehrs geschaffen, insbesondere die Gewährung von Zugangsrechten für Eisenbahnen anderer Mitgliedstaaten für die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen auf fremden Schienennetzen oder die Trennung von Infrastrukturbetrieb und der Erbringung von Verkehrsdienstleistungen.
Die Rechtsentwicklung Europas seit dem römischen Recht deutet auf einen stetigen Bedeutungsgewinn einstweiliger Maßnahmen hin, der sich vor allem auf zwei Ursachen zurückführen lässt. Zum einen erweist sich der Hauptsacherechtsschutz in vielen Staaten schlicht als zu schwerfällig, was sich nicht zuletzt an der Vielzahl der Beschwerden über die Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung in angemessener Frist (Art.&nbsp;6(1) EMRK) ablesen lässt. Zum anderen hat die Ausdifferenzierung der Rechtsordnung, die Schnelligkeit gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technischer Innovation und die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung das Bedürfnis für schleunigen Rechtsschutz durch die Zivilgerichte verstärkt. Nicht nur bei Streitigkeiten auf „marktnahen“ Feldern wie dem geistigen Eigentum oder dem Wettbewerbsrecht, sondern etwa auch in familienrechtlichen Auseinandersetzungen über Sorgerecht, Unterhaltszahlung oder Gewaltschutzanordnungen ist die Schnelligkeit der Entscheidung ein entscheidender Faktor für ihre Wirksamkeit. Folge dieses Bedeutungsgewinns ist eine zunehmende Überblendung und Substitution des Hauptsacherechtsschutzes durch Eilverfahren, indem entweder aus Gründen effektiven Rechtsschutzes bereits rechtlich eine Vorwegnahme der Hauptsache gestattet wird oder zumindest faktisch eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz von den Parteien als endgültig akzeptiert wird. Im Widerspruch zur Bedeutung des Eilrechtsschutzes stand bisher seine Berücksichtigung bei europäischen und internationalen Vereinheitlichungsprojekten. Erst in den neunziger Jahren nahmen durch die Rechtsprechung des EuGH und die Rechtssetzung in Spezialgebieten (TRIPS, Durchsetzungsrichtlinie) die europäischen und internationalen Vorgaben für den einstweiligen Rechtsschutz deutlichere Konturen an, so dass sich heute gemeinsame Mindeststandards einstweiliger Maßnahmen identifizieren lassen.


== 4. Regelungsstrukturen des Gemeinschaftsrechts ==
Im März 2004 hat die Kommission ihr sog. drittes Eisenbahnpaket und damit neben einer Fortsetzung und Intensivierung der begonnenen Maßnahmen zur Liberalisierung (und Begleitmaßnahmen) erstmals auch privatrechtliche Mindeststandards für Beförderungsverträge im Güter- und Personenverkehr, insbesondere Entschädigungen bei Verspätungen vorgeschlagen (KOM(2004) 143 und 144 endg.), die schließlich nur zum Teil bzw. gegenüber den ursprünglichen Vorhaben in stark veränderter Form verwirklicht wurden. Mit der VO&nbsp;1371/2007 hat die Gemeinschaft nunmehr nach höchst umfangreichen ordnungspolitischen Maßnahmen auch transportprivatrechtliche Regelungen (und zwar nur) für den Personenverkehr erlassen. Dabei wurde derselbe Weg gewählt wie zuvor schon im [[Luftverkehr (Vertragliche Haftung)|Luftfahrtrecht]] mit der VO&nbsp;889/2002, welche das Montrealer Übereinkommen auch im Inlandsverkehr für anwendbar erklärte. Entsprechend wird für den Eisenbahnpersonenverkehr der Geltungsbereich der CIV auf den reinen Inlandsverkehr erstreckt. Die Verordnung enthält darüber hinaus neben verschiedenen ordnungspolitischen Maßnahmen besondere Vorschriften über die Beförderung von Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität, und trägt damit einem Anliegen Rechnung, welches im [[Luftverkehr (Vertragliche Haftung)|Luftfahrtrecht]] in einer gesonderten Verordnung (VO&nbsp;1107/2006) festgelegt ist. Hinsichtlich der Haftung für Fahrgäste und Gepäck legt die Verordnung mit Vorschriften der CIV einen Mindeststandard fest; weitergehende Vorschriften nationalen Rechts bleiben unberührt (Art.&nbsp;11). Lediglich bei Verspätung werden eigenständige, über die CIV hinausgehende Ansprüche der Reisenden statuiert (Art.&nbsp;16-18). Nach dem Vorbild des [[Luftverkehr (Vertragliche Haftung)|Luftfahrtrecht]]s wird eine Vorschusspflicht bei Personenschäden festgelegt (Art.&nbsp;13).
=== a) Garantie des einstweiligen Rechtsschutzes ===
Im Gemeinschaftsrecht hat der EuGH aus dem Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art.&nbsp;47 GRCh, [[Faires Verfahren]]) und dem aus dem Mitwirkungsgebot des Art.&nbsp;10 EG/4(3), 19(1)3 EU(2007)) abgeleiteten [[Effektivitätsgrundsatz]] über die Art.&nbsp;242 und 243 EG/278, 279 AEUV hinaus eine allgemeine Garantie des einstweiligen Rechtsschutzes durch die mitgliedstaatlichen Gerichte entwickelt: Danach muss ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes nationales Gericht in der Lage sein, vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (EuGH Rs.&nbsp;C-432/05 – ''Unibet'', Slg. 2007, I-2271, Rn.&nbsp;37&nbsp;f., 67, 75). Deutlich zurückhaltender ist demgegenüber der EGMR, der Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art.&nbsp;6(1) EMRK einbeziehen will (EGMR Nr. 41237/98 – ''Moura Carreira''). In internationalen Staatsverträgen findet sich eine Garantie einstweiligen Rechtsschutzes etwa auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Art.&nbsp;41(1), 50 TRIPS).


=== b) Zuständigkeit ===
In der COTIF 1999 ist die Beitrittsmöglichkeit für regionale Organisationen für wirtschaftliche Integration vorgesehen. Im Rahmen des sogenannten zweiten Eisenbahnpaketes erklärte die EG den Beitritt zur COTIF als eines ihrer Ziele (KOM(2002) 24 endg.) und wurde schließlich vom Rat ermächtigt, mit der OTIF Beitrittsverhandlungen zu führen, die allerdings bis heute nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Hemmend wirken Spannungen zwischen dem Bestreben der OTIF, nach dem Vorbild der [[International Maritime Organization]] oder der [[International Civil Aviation Organization]] eine Internationale Organisation des Verkehrsträgers Eisenbahn mit umfassender Zuständigkeit zu werden, und den Zuständigkeiten der EG, die etwa hinsichtlich der Festlegung technischer Spezifikationen für die Interoperabilität ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit beansprucht.
Bei der [[Zuständigkeit, internationale|internationalen Zuständigkeit]] zum Erlass einstweiliger Maßnahmen lässt sich regelmäßig ein zweispuriges System beobachten (vgl. Art.&nbsp;31 EuGVO; Art.&nbsp;99 Gemeinschaftsmarken-VO = Art. 103 VO 207/2009; ''Storme-Principles ''Ziffer 10.4). Zum einen können einstweilige Maßnahmen bei einem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt werden, auch wenn es noch nicht angerufen wurde. Zum anderen sind daneben auch die Gerichte des Staates zuständig, wo sich die begehrten einstweiligen Maßnahmen auswirken (EuGH Rs.&nbsp;C-391/95 – ''van Uden'', Slg. 1998, I-7091, Rn.&nbsp;40), insbesondere wo sie vollzogen werden können. Die Zuständigkeitsöffnung zugunsten der Gerichte am Wirkungs- und Vollstreckungsort der Maßnahmen erklärt sich aus der Nähe des Eilrechtsschutzes zur Vollstreckung und dem Interesse am Zusammenfall von Erlassgericht und Vollstreckungsgericht zur schleunigen Vollziehung der Maßnahmen. Sie wirft allerdings aufgrund der Häufung der Zuständigkeiten die Frage nach einer sinnvollen Koordination der Eilmaßnahmen auf. Ein Modell könnte insofern Art.&nbsp;20(2) Brüssel IIa-VO bieten, demzufolge die Eilmaßnahmen anderer Gerichte außer Kraft treten, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht die Maßnahmen getroffen hat, die es für angemessen hält (zur Reform des Art. 31 EuGVO, insbesondere zur Einführung einer Koordinationsbefugnis KOM(2009) 175 endg., Frage 6).
 
=== c) Voraussetzungen einstweiliger Maßnahmen ===
Voraussetzung für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ist grundsätzlich die Plausibilität des zugrunde liegenden materiellen Anspruchs (''fumus boni iuris'') sowie der besondere Grund für den Erlass einer Maßnahmen gerade im einstweiligen Rechtsschutz (''periculum in mora'', siehe auch Ziffer 10.2 ''Storme-Principles''). Soweit manche Rechtsordnungen Abschlagszahlungen oder Leistungsanordnungen auch ohne „periculum in mora“ bereits bei hinreichend klarem Recht gestatten, liegt darin die Gefahr einer Verwischung mit den beschleunigten Hauptsacheverfahren. Zwar mag es erwägenswert sein, einen solchen Typ schleuniger summarischer Hauptsacheverfahren in Fällen klaren Rechts zu gestatten, jedoch sollte dieser Verfahrenstyp vom einstweiligen Rechtsschutz getrennt bleiben.
 
=== d) Verfahren und Rechtsbehelfe ===
Grundsätzlich ist dem Antragsgegner vor Erlass einstweiliger Maßnahmen rechtliches Gehör zu gewähren. Sofern der Antragsteller allerdings glaubhaft macht, dass zur Wirksamkeit des Rechtsschutzes eine besonders schleunige oder überraschende Entscheidung erforderlich ist, kann eine einstweilige Maßnahme auch ohne vorherige Anhörung der Gegenseite im ''ex parte''-Verfahren erlassen werden (Art. 7(1)3, Art. 9(4) Durchsetzungs-RL; Art. 50(2) TRIPS; Ziffer 10.3.1 ''Storme-Principles''<nowiki>; Ziffer 8.2 ALI/UNIDROIT</nowiki>''-Principles''). Das rechtliche Gehör ist allerdings unverzüglich nachzuholen und die einseitige Maßnahme auf Antrag der Gegenseite zu überprüfen und ggf. abzuändern oder aufzuheben (Art. 50(4) TRIPS: Art.&nbsp;7(1)4, 5, Art.&nbsp;9(4)2, 3 Durchsetzungs-RL; Ziffer 10.3.1 ''Storme-Principles''<nowiki>; Ziffer 8.2 ALI/UNIDROIT</nowiki>'' Principles'', zum fehlenden rechtlichen Gehör als Anerkennungshindernis KOM(2009) 175 endg., Frage 6). Neben dem Antrag auf Überprüfung einseitiger einstweiliger Maßnahmen wird zur Sicherung des Vorbehalts der Hauptsacheentscheidung ferner als besonderer Rechtsbehelf der Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Maßnahme bei Versäumung der Frist zur Hauptsacheklage vorgesehen (Art.&nbsp;7(3), Art.&nbsp;9(5) Durchsetzungs-RL; Art.&nbsp;50(6) TRIPS; vgl. auch Ziffer 10.7.3 ''Storme-Principles''). Schließlich ist die Bindung des Richters an die Parteianträge geringer und dementsprechend sein Ermessen bei der Gestaltung der Eilmaßnahmen regelmäßig stärker ausgeprägt als in Hauptsacheverfahren (Ziffer 10.1.1, 10.3.2 ''Storme-Principles'').
 
=== e) Prozessuale Gefährdungshaftung und Sicherheitsleistung ===
Die Beschleunigung des Verfahrens und die Abkürzung der Einlassungs- und Kognitionsmöglichkeiten erhöht die Gefahr unrichtiger Entscheidungen. Der Antragsteller als Verursacher solcher prozessualen Risiken ist daher einer prozessualen Gefährdungshaftung für die durch einstweilige Maßnahmen entstandenen Schäden des Antragsgegners zu unterwerfen, wenn sich die Maßnahme als unrichtig erweist (Art.&nbsp;7(4), Art.&nbsp;9(7) Durchsetzungs-RL; Art.&nbsp;50(3)7 TRIPS; Ziffer 8.3 ALI/UNIDROIT''-Principles''). Zur Sicherung des Schadensersatzanspruchs kann das Gericht eine Sicherheitsleistung des Antragstellers anordnen (Art.&nbsp;7(2), Art.&nbsp;9(6) Durchsetzungs-RL; Art.&nbsp;50(3) TRIPS; Ziffer 8.3 ALI/UNIDROIT''-Principles'').


==Literatur==
==Literatur==
''Dieter Leipold'', Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes im zivil-, verfassungs- und verwaltungsrechtlichem Verfahren, 1971; ''Wolf-Dietrich'' ''Walker'', Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 1993; ''Gilles Cuniberti'', Les mesures conservatoires portant sur des biens situés á l’etranger, 2000; ''Xandra Ellen Kramer'', Het kort geding in internationaal perspectief, 2001; ''Steven Gee'', Commercial Injunctions, 5.&nbsp;Aufl. 2004;'' Burkhard Heß'','' ''Study No. JAI/ A3/2002/02 on making more efficient the enforcement of judicial decisions within the European Union: Transparency of a Debtor’s Assets, Attachment of Bank Accounts, Provisional Enforcement and Protective Measures, Fassung vom 18.2.2004; ''Sabine Kofmel Ehrenzeller'', Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005; ''Rolf Stürner'', Einstweiliger Rechtsschutz: General Bericht, in: Marcel Storme (Hg.), Procedural Laws in Europe: Towards Harmonisation, 2003, 143&nbsp;ff.; ''Christian Heinze'', Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007; ''Kathrin Wannenmacher'', Einstweilige Maßnahmen im Anwendungsbereich von Art. 31 EuGVVO in Frankreich und Deutschland, 2007. Hilfreicher Link: <nowiki><http://ec.europa.eu/civiljustice></nowiki> (Europäisches Justizielles Netz, Stichwort „Vorläufige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen“, „Vereinfachte und beschleunigte Verfahren“), letzter Zugriff am 10.6.2009.
''Béla von Nánássy'', Das internationale Eisenbahnfrachtrecht, 1956; ''Joseph'' ''Haenni'', Carriage by Rail, in: International Encyclopedia of Comparative Law XII/2, 1973; ''Marc Allégret'', Historique des conventions CIM, CIV, COTIF et des unions ou organismes internationaux ferroviaires, Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr 1994, 3&nbsp;ff.;'' Gerfried Mutz'', Eisenbahntransport: Internationales Recht, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd.&nbsp;VII, 1997; ''Beate'' ''Czerwenka'','' Christian Heidersdorf'','' Martin Schönbeck'', Eisenbahn-Beförderungsrecht, 4. Aufl. 2001; ''Anusch Alexander'' ''Tavakoli'', Privatisierung und Haftung der Eisenbahn, 2001;'' Rainer Freise'', Reform der Reform des Eisenbahntransportrechts in Europa? Transportrecht 2004, 377&nbsp;ff.;'' idem'', Neue Entwicklungen im Eisenbahnrecht anlässlich des Inkrafttretens des Übereinkommens COTIF 1999, Transportrecht 2007, 45&nbsp;ff.; ''Mihael A.'' ''Pohar'', Rechtsbeziehungen zwischen Fahrgast und Eisenbahn, 2006; ''Rüdiger Schmidt-Bendun'', Haftung der Eisenbahnverkehrsunternehmen, 2007; ''Rainer'' ''Freise'', Internationaler Eisenbahnverkehr, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. VII, 2.&nbsp;Aufl. 2009.


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[[en:Provisional_Measures]]
[[en:Railway_Transportation]]

Version vom 28. September 2021, 15:49 Uhr

von Helga Jesser-Huß

1. Entwicklung und Bedeutung

Nach der Inbetriebnahme der ersten Eisenbahnverbindungen in verschiedenen europäischen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann die Eisenbahn zunehmend an Bedeutung und entwickelte sich infolge des rasanten Ausbaus des Schienennetzes bald zum wichtigsten Landverkehrsträger. Da der Personen- und Gütertransport von strategischer Bedeutung in der wirtschaftlichen, insbesondere in der industriellen Entwicklung der einzelnen Staaten war und ihm auch in militärischen Auseinandersetzungen entscheidende Bedeutung zukam, entwickelte sich die Eisenbahn unter starker staatlicher Beteiligung, vornehmlich unter Berücksichtigung der jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten. Daraus resultierten nationale Eisenbahnmärkte, die von integrierten staatlichen Eisenbahnunternehmen, die zugleich Verkehrsdienstleistungen erbrachten sowie das jeweilige nationale Schienennetz betrieben, bedient wurden; die technischen Rahmenbedingungen variierten von Land zu Land, sodass der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr mit unterschiedlichen Spurweiten, schließlich mit unterschiedlichen Stromsystemen oder unterschiedlichen Ausbildungsstandards des Personals etc. konfrontiert war. Anstelle eines einheitlichen europäischen Eisenbahnsystems entwickelten sich unzulänglich miteinander verbundene einzelstaatliche Systeme, welche Verzögerungen in der Beförderungsgeschwindigkeit und zusätzliche Kosten bedingen und damit der Schiene Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Verkehrsträgern, insbesondere der Straße, bereiten. Demzufolge hat über Jahrzehnte hinweg und bis in die jüngste Vergangenheit sowohl der Güter- als auch der Personentransport mit der Eisenbahn an Bedeutung verloren; die Beförderungsleistung ist zwar annähernd gleich geblieben, doch bedeutet das angesichts des gestiegenen Gütertransportvolumens erhebliche Marktanteilsverluste vornehmlich zugunsten der Straße; im Personenverkehr zeigte der wachsende Pkw-Verkehr und auch der expandierende Flugverkehr seine Auswirkungen. Umweltschutz und Verkehrssicherheit – die Eisenbahn ist ein sauberes und sicheres Transportmittel – sprechen jedoch für ihre Renaissance.

Für die Zukunft stellt die Eisenbahn im Güterverkehr eine umweltfreundliche Alternative zur zunehmend überlasteten Straße dar und erscheint insbesondere als Bestandteil eines integrierten Verkehrssystems auf der Basis der Verwendung verkehrsmittelunabhängiger, normierter Transportgefäße wie Containern von wachsender Bedeutung (multimodaler Transport). Im Personenverkehr sind Verlagerungen von Marktanteilen zulasten des Flugzeugs besonders auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zu erwarten; im Personennahverkehr bildet die Bahn, ein entsprechendes Angebot vorausgesetzt, eine Alternative zum Individualverkehr auf der Straße.

2. Tendenzen der Rechts­entwicklung

Mit der wachsenden Bedeutung der Eisenbahnen für den Gütertransport in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen bald Sondervorschriften für den Eisenbahnverkehr im Rahmen allgemeiner transportvertraglicher Bestimmungen einher. Solche fanden sich etwa bereits im |ADHGB von 1861. Die Vorschriften beinhalteten zwingende Mindeststandards für die Transportkunden, ein Regelungsanliegen, welches aus den von den monopolistisch agierenden Eisenbahnen einseitig im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen standardisierten Vertragsbedingungen, die im Allgemeinen auch nicht im Einzelnen auszuhandeln waren, entstand (Transportvertrag). Im Übrigen ist die europäische Privatrechtsentwicklung im Bereich des Eisenbahnverkehrs vom frühen Erfolg internationaler Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen geprägt: Die Vorschriften des IÜG beeinflussten nationale Bestimmungen. Auch in seinen späteren Fassungen blieb das internationale Eisenbahnrecht Vorbild für Reformen nationalen Rechts, so etwa in Deutschland, Österreich, Schweiz, den Niederlanden, Italien, Norwegen und Polen.

3. Internationale Konventionen

Die Möglichkeiten, die die Eisenbahn im Gütertransport bot, wurden auch im internationalen Warenaustausch genutzt. Infolge der Besonderheiten des internationalen Eisenbahntransportvertrages, insbesondere wegen der wechselseitigen Angewiesenheit der beteiligten Bahnen mit ihrer jeweiligen eigenen Traktionsleistung aufeinander, erwiesen sich die unterschiedlichen nationalen Vorschriften als hinderlich. Daher gab es schon früh Bestrebungen, ein internationales Übereinkommen für den Eisenbahnfrachtverkehr auszuarbeiten, ein Unterfangen, welches mit dem IÜG 1890, dem ersten transportrechtlichen Übereinkommen überhaupt und dem Vorläufer der heutigen CIM, zum Erfolg geführt wurde. 1924 wurde ein entsprechendes Regelwerk für den Personenverkehr, das IÜP, die Vorgängerbestimmung zur heutigen CIV, geschaffen. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des IÜG 1893 gehörte auch Russland diesem Übereinkommen an; allerdings setzte Sowjetrussland nach dem Ersten Weltkrieg diese Mitgliedschaft nicht fort. In den Volksrepubliken entwickelten sich schließlich eigene Vorschriften für den internationalen Eisenbahngüter- (SMGS) und Eisenbahnpersonenverkehr (SMPS), wobei manche Staaten beiden Übereinkommenssystemen angehörten.

Sowohl beim IÜG als auch beim IÜP war von Anfang an vorgesehen, diese Vorschriften in bestimmten zeitlichen Intervallen Revisionen zu unterziehen, sodass das internationale Eisenbahntransportrecht im Laufe der Zeit immer wieder an die geänderten Verhältnisse angepasst wurde. Dabei konnte im Gegensatz zum internationalen Luftfahrtrecht (Luftverkehr) die erreichte Rechtseinheit gewahrt werden; der internationale Eisenbahnbeförderungsvertrag, der mit der jeweiligen Versandbahn geschlossen wurde, in den aber die nachfolgenden Bahnen als Vertragspartner eintraten, setzte in besonderem Maße homogene Vorschriften voraus. Für Teilbereiche etablierten sich früh vereinfachte Revisionsverfahren, wobei die geänderten Vorschriften insbesondere im Gefahrgutrecht (RID) ohne das Erfordernis der Ratifizierung seitens der einzelnen Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt wurden.

Die bereits seit Jahrzehnten angestrebte Strukturänderung des internationalen Eisenbahnbeförderungsrechts wurde schließlich 1980 im Rahmen der achten Revisionskonferenz mit dem Beschluss der COTIF erreicht. Das Grundübereinkommen enthält institutionelle Vorschriften; die Parteien des Übereinkommens bilden als Mitgliedstaaten die OTIF, die Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr, deren Aufgabe unter anderem in der Fortentwicklung der beförderungsrechtlichen Vorschriften liegt. Zuständig sind verschiedene Organe, eigene Vorschriften leisten Gewähr für die Erhaltung der bereits erreichten Rechtseinheit trotz Revisionen. Das eigentliche Eisenbahnbeförderungsrecht, die jeweils überarbeiteten CIV und CIM, wurde in zwei Anhänge übernommen, die RID, die RIP, die RICo und die RIEx als Anlagen der CIM angefügt. Diese Anhänge bzw. Anlagen sind integrierte Bestandteile des Übereinkommens.

Bald nach ihrem Inkrafttreten im Mai 1985 zeigte sich, dass die COTIF 1980, die ihre Vorschriften nach wie vor am in Europa verbreiteten Staatsbahnsystem mit seinem Netz- und Traktionsmonopol ausrichtete, den durch die bevorstehenden ordnungspolitischen Änderungen hervorgerufenen Herausforderungen in privatrechtlicher Hinsicht nicht gewachsen sein würde. Sie hielt wie ihre Vorläufer am System der eingetragenen Linien, die von einer im Allgemeinen staatlichen, integrierten Eisenbahn betrieben und auch befahren wurden, fest; daraus resultierte im Privatrecht die Haftungsgemeinschaft der aufeinanderfolgenden Eisenbahnen, von denen jede nur ihr eigenes Netz befährt und an der Grenze den Zug mit den beförderten Personen oder Gütern an die nächste Eisenbahn übergibt. Ihre Zusammenarbeit war durch die Beförderungs- und Tarifpflicht gesichert; dadurch wurden nicht nur grenzüberschreitende Beförderungsleistungen sichergestellt, sondern auch gewährleistet, dass diese allen Kunden zur Verfügung stehen und nicht einzelnen versagt würden. Diese Konzeption war jedoch mit den von der EG eingeleiteten Maßnahmen zur Ablöse des Staatsbahnsystems nicht vereinbar. Darüber hinaus schien infolge der Ostöffnung und den immer stärker werdenden internationalen Handelsbeziehungen eine Erweiterung der OTIF-Mitgliedstaaten vor allem in Richtung Osten durchaus wünschenswert. Die COTIF 1999 trägt diesen Veränderungen Rechnung. Im Güterbeförderungsrecht stehen einander nicht mehr Absender und „Eisenbahn“, sondern Absender und „Beförderer“, also Frachtführer, gegenüber, im Personenverkehr „Beförderer“ und „Reisender“. Der Anwendungsbereich wurde erweitert, indem die Linienbindung der COTIF 1980 aufgegeben wurde. Transitländer müssen nicht länger Mitgliedstaaten der COTIF sein; die Vorschriften des Übereinkommens gelangen zur Anwendung, wenn der Abgangs- und der Bestimmungsort in zwei Mitgliedstaaten liegen. Entfallen sind die Beförderungs- und die Tarifpflicht; die grenzüberschreitende Zusammenarbeit muss nunmehr zwischen den Beförderern vereinbart werden. Der vertragliche Gestaltungsspielraum zwischen Beförderern und Kunden sowie Eisenbahnunternehmen untereinander wurde erweitert. Auch den durch den Entfall des Netz- und Traktionsmonopols der staatlichen Eisenbahnunternehmen bedingten Gestaltungsmöglichkeiten internationaler Schienenbeförderungen wurde Rechnung getragen. Im Rahmen seiner Netzzugangsrechte kann ein Beförderer nunmehr solche allein als vertraglicher Beförderer abwickeln oder wie bisher unter Hinzuziehung aufeinanderfolgender Beförderer durchführen. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit der Einschaltung eines ausführenden Beförderers. Aufgehoben wurden die Anlagen zur CIM RIP, RICo und RIEx. Diese haben sich durch die Neugestaltung der wirtschaftlichen Basis des europäischen Eisenbahnverkehrs überholt. Das internationale Gefahrgutrecht wurde als eigenständiger Anhang C zur COTIF ausgestaltet (RID); neu aufgenommen wurden in den Anhängen D bis G Vorschriften über die Verwendung von Wagen (CUV), über die Nutzung der Infrastruktur (CUI), über verbindliche technische Normen (APTU) sowie die technische Zulassung von Eisenbahnmaterial (ATMF). Die CIV und die CIM bilden wie bisher die Anhänge A und B. Bei der Revision der CIM wurden Besonderheiten der SMGS-Länder berücksichtigt, um so noch weitere Staaten zum Beitritt zur OTIF zu bewegen und durchgehende Eisenbahnbeförderungen vom Atlantik bis zum Pazifik zu ermöglichen. Mit der COTIF 1999 ist dies zumindest durch entsprechende Vereinbarung zu erreichen: Nach Art. 1 § 2 CIM finden diese Vorschriften auch Anwendung, wenn der Abgangs- und Bestimmungsort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen nur einer Mitgliedstaat der COTIF ist, sofern die Parteien des Beförderungsvertrages dies vereinbaren.

Die COTIF-Reform ist am 1.7.2006 in Kraft getreten, steht allerdings bis heute nicht in allen 43 Mitgliedstaaten in Geltung, insbesondere nicht in allen europäischen Staaten. So haben Irland, Italien und Schweden das Protokoll 1999 bislang nicht ratifiziert. Darüber hinaus erklärten eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten auf Verlangen der Europäischen Kommission Vorbehalte, wonach sie die drei Anhänge F-G des Übereinkommens, CUI, APTU und ATMF, zur Gänze nicht anwenden, weil diese teilweise in Widerspruch zu mittlerweile ergangenem Gemeinschaftsrecht stünden. Dadurch sollen drohende Vertragsverletzungsverfahren vermieden werden.

4. Europäisierung des Eisen­bahntransportrechts

Die EG hat erst spät Maßnahmen zur Förderung der Eisenbahn als sicheres und umweltfreundliches Verkehrsmittel ergriffen; im Rahmen verkehrspolitischer Entscheidungen genießen sie nunmehr höchste Priorität. Ziel ist die Verschmelzung der Eisenbahnsysteme der einzelnen Mitgliedstaaten zu einem einzigen europäischen Eisenbahnsystem. Die dazu notwendigen Reformen haben zur Aufgabe, die Eisenbahnen Europas aus der veralteten Staatsbahnstruktur zu lösen und zu marktorientierten Wirtschaftsunternehmen reifen zu lassen. Verstärkte Investitionen in die Infrastruktur sollen die Attraktivität der Bahn steigern.

Mit der RL 91/440 wurden erste Maßnahmen zur Marktöffnung für bestimmte Bereiche des Eisenbahnverkehrs geschaffen, insbesondere die Gewährung von Zugangsrechten für Eisenbahnen anderer Mitgliedstaaten für die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen auf fremden Schienennetzen oder die Trennung von Infrastrukturbetrieb und der Erbringung von Verkehrsdienstleistungen.

Im März 2004 hat die Kommission ihr sog. drittes Eisenbahnpaket und damit neben einer Fortsetzung und Intensivierung der begonnenen Maßnahmen zur Liberalisierung (und Begleitmaßnahmen) erstmals auch privatrechtliche Mindeststandards für Beförderungsverträge im Güter- und Personenverkehr, insbesondere Entschädigungen bei Verspätungen vorgeschlagen (KOM(2004) 143 und 144 endg.), die schließlich nur zum Teil bzw. gegenüber den ursprünglichen Vorhaben in stark veränderter Form verwirklicht wurden. Mit der VO 1371/2007 hat die Gemeinschaft nunmehr nach höchst umfangreichen ordnungspolitischen Maßnahmen auch transportprivatrechtliche Regelungen (und zwar nur) für den Personenverkehr erlassen. Dabei wurde derselbe Weg gewählt wie zuvor schon im Luftfahrtrecht mit der VO 889/2002, welche das Montrealer Übereinkommen auch im Inlandsverkehr für anwendbar erklärte. Entsprechend wird für den Eisenbahnpersonenverkehr der Geltungsbereich der CIV auf den reinen Inlandsverkehr erstreckt. Die Verordnung enthält darüber hinaus neben verschiedenen ordnungspolitischen Maßnahmen besondere Vorschriften über die Beförderung von Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität, und trägt damit einem Anliegen Rechnung, welches im Luftfahrtrecht in einer gesonderten Verordnung (VO 1107/2006) festgelegt ist. Hinsichtlich der Haftung für Fahrgäste und Gepäck legt die Verordnung mit Vorschriften der CIV einen Mindeststandard fest; weitergehende Vorschriften nationalen Rechts bleiben unberührt (Art. 11). Lediglich bei Verspätung werden eigenständige, über die CIV hinausgehende Ansprüche der Reisenden statuiert (Art. 16-18). Nach dem Vorbild des Luftfahrtrechts wird eine Vorschusspflicht bei Personenschäden festgelegt (Art. 13).

In der COTIF 1999 ist die Beitrittsmöglichkeit für regionale Organisationen für wirtschaftliche Integration vorgesehen. Im Rahmen des sogenannten zweiten Eisenbahnpaketes erklärte die EG den Beitritt zur COTIF als eines ihrer Ziele (KOM(2002) 24 endg.) und wurde schließlich vom Rat ermächtigt, mit der OTIF Beitrittsverhandlungen zu führen, die allerdings bis heute nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Hemmend wirken Spannungen zwischen dem Bestreben der OTIF, nach dem Vorbild der International Maritime Organization oder der International Civil Aviation Organization eine Internationale Organisation des Verkehrsträgers Eisenbahn mit umfassender Zuständigkeit zu werden, und den Zuständigkeiten der EG, die etwa hinsichtlich der Festlegung technischer Spezifikationen für die Interoperabilität ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit beansprucht.

Literatur

Béla von Nánássy, Das internationale Eisenbahnfrachtrecht, 1956; Joseph Haenni, Carriage by Rail, in: International Encyclopedia of Comparative Law XII/2, 1973; Marc Allégret, Historique des conventions CIM, CIV, COTIF et des unions ou organismes internationaux ferroviaires, Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr 1994, 3 ff.; Gerfried Mutz, Eisenbahntransport: Internationales Recht, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. VII, 1997; Beate Czerwenka, Christian Heidersdorf, Martin Schönbeck, Eisenbahn-Beförderungsrecht, 4. Aufl. 2001; Anusch Alexander Tavakoli, Privatisierung und Haftung der Eisenbahn, 2001; Rainer Freise, Reform der Reform des Eisenbahntransportrechts in Europa? Transportrecht 2004, 377 ff.; idem, Neue Entwicklungen im Eisenbahnrecht anlässlich des Inkrafttretens des Übereinkommens COTIF 1999, Transportrecht 2007, 45 ff.; Mihael A. Pohar, Rechtsbeziehungen zwischen Fahrgast und Eisenbahn, 2006; Rüdiger Schmidt-Bendun, Haftung der Eisenbahnverkehrsunternehmen, 2007; Rainer Freise, Internationaler Eisenbahnverkehr, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. VII, 2. Aufl. 2009.