Dienst(leistungs)vertrag und Dienstleistungsfreiheit: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Florian Möslein]]''
von ''[[Oliver Remien]]''
== 1. Begriff und Kategorien ==
== 1. Bedeutung und Struktur ==
Die ökonomische Bedeutung von Dienstleistungen ist enorm. Nach neueren Schätzungen der Europäischen Kommission sollen europaweit 50 % des Bruttoinlandsprodukts und 60 % der Arbeitsplätze dem Dienstleistungssektor zuzurechnen sein. Der Sektor dürfte sogar noch an Bedeutung gewinnen: „Alles wird zur Dienstleistung“ titelt ''Jeremy Rifkin'' pointiert in seinem Buch zur Zugangsgesellschaft.
Dienstleistungen sind neben Warenlieferungen ein weiterer wesentlicher Wirtschaftssektor und werden von der Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EG/56 ff. AEUV erfasst. Es geht um alle Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden; Art. 50 EG/57 AEUV gibt dazu die Definition und fügt hinzu, dass insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten darunter fallen. Erfasst wird damit ein weites Spektrum, zu dem etwa zählen: anwaltliche Tätigkeit, Bauarbeiten im Hoch- und Tiefbau, Bauplanung eines Architekten, Bank- und Versicherungsdienstleistungen, Börsentermingeschäfte, Franchisevertrag (EuGH Rs. C-36/02 – ''Omega'', Slg. 2004, I-9609), Glücksspiele, Patentüberwachungsdienste, Rundfunk, Fernsehen, Telekommunikation, Wirtschaftsprüfung, Wach- und Sicherheitsdienste und vieles mehr. Auch im Rahmen sportlicher Tätigkeiten können Dienstleistungen erbracht werden. Für Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs gelten nach Art. 51(1) EG/58(1) AEUV die Bestimmungen zur Verkehrspolitik der Art. 70 ff. EG/90 ff. AEUV. Mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Dienstleistungen sind gemäß Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 45 EG/51 AEUV ausgenommen. Die Dienstleistungsfreiheit kann in verschiedenen Formen ausgeübt werden. Bei der aktiven/positiven Dienstleistungsfreiheit erbringt der Dienstleistende die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat, bei der passiven/negativen Dienstleistungsfreiheit nimmt der Empfänger die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat entgegen, bei der Korrespondenzdienstleistung hingegen überschreiten nicht Dienstleistender oder Dienstleistungsempfänger die Grenze, sondern die Dienstleistung selbst. Ferner greift die Dienstleistungsfreiheit auch ein, wenn Erbringer und Empfänger der Dienstleistung im selben Mitgliedstaat niedergelassen sind, die Dienstleistung selbst jedoch in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wird. Begibt sich ein Angehöriger eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat und nimmt dort seinen Hauptaufenthalt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu erbringen oder zu empfangen, so greift wegen der Dauer nicht die Dienstleistungsfreiheit ein, möglicherweise aber eine der Personenverkehrsfreiheiten (EuGH Rs. 196/87 – ''Steymann'', Slg. 1988, 6159); hinsichtlich Dienstleistungen für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten in einem Altenheim soll somit die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezug der Tätigkeit nicht einschlägig sein (EuGH Rs. C-70/95 – ''Sodemare'', Slg. 1997, I-3395).


Die rechtlichen Konturen des Dienst(leistungs)vertrages sind demgegenüber unscharf. Auf europäischer Ebene gibt es keinen übergreifenden, konsistenten Regelungskomplex, sondern unzählige, schwer überschaubare Einzelregeln; die nationalen Rechtsordnungen regeln Dienstleistungen ausgesprochen uneinheitlich. Die Unschärfe beginnt im Begrifflichen. Während im deutschen BGB vom „Dienstvertrag“ die Rede ist, findet sich in vielen ausländischen Rechtsordnungen und auf europäischer Ebene ausschließlich der Begriff der „Dienstleistungen“ (''services''), den das deutsche Recht ebenfalls, allerdings uneinheitlich verwendet, vgl. nur §§ 612 Abs. 1 und § 631 Abs. 2 BGB. Rechtsvergleichend finden sich unterschiedliche Abgrenzungen dienstleistungsbezogener Vertragstypen: (1.) Die Unterscheidung zwischen tätigkeits- und erfolgsbezogenen Vertragstypen, d.h. zwischen Dienst- bzw. Werkvertrag, kennt vor allem das deutsche Recht. Es erfasst damit auch Arbeitsverträge, für die jedoch zahlreiche Sonderregeln gelten. (2.) Viel verbreiteter ist die Differenzierung von „intellektuellen“, ungegenständlichen Dienstleistungen und solchen, die mit der Herstellung oder Bearbeitung beweglicher oder unbeweglicher Sachen einhergehen (etwa: ''contratos de servicio'' bzw. ''contratos de obra''), oder aber (3.) die Verwendung eines einheitlichen Vertragstypus aller Dienstleistungen, teils sogar unter Einbeziehung der Arbeitsverträge (''contrat d’entreprise'', ''contract for the supply of a service''). Selbst in den Rechtsordnungen mit diesem übergreifenden Ansatz gelten indessen einzelne Sonderregime, insbesondere für Verwahrverträge. Die PEL SC und der Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] sind in diesem Punkt noch umfassender, nehmen allerdings umgekehrt Arbeitsverträge sowie eine Reihe spezieller Vertragstypen aus (insbes. [[Transportvertrag|Transport-]], [[Versicherungsvertrag|Versicherungs-]], und Finanzdienstleistungsverträge), und differenzieren dann eine Ebene tiefer zwischen unterschiedlichen Typen von Dienstleistungsverträgen (Bau-, Verarbeitungs-, Verwahr-, Entwurfs-, Informations- und Behandlungsverträge), für die zusätzlich jeweils spezifische Regeln Anwendung finden.
Die Dienstleistungsfreiheit ist seit langem nicht mehr nur als [[Diskriminierungsverbot (allgemein)|Diskriminierungsverbot]], sondern auch als Beschränkungsverbot anerkannt (EuGH Rs. C-76/90 – ''Säger'', Slg. 1991, I-4221; EuGH Rs. C-3/95 – ''Reisebüro Broede'', Slg. 1996, I-6511), wenngleich dies später erfolgte als bei der [[Warenverkehrsfreiheit]]. Insbesondere darf die Erbringung von Dienstleistungen nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für eine Niederlassung gelten (EuGH Rs. C-76/90 – ''Säger'', Slg. 1991, I-4221, Rn. 13). Auswahlregeln für einen hochrangigen internationalen Wettkampf sind keine Beschränkung, soweit sie erforderlich sind (EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – ''Deliège'', Slg. 2000, I-2549). Nach der Dienstleistungsfreiheit kann ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringer von Dienstleistungen nicht verbieten, sich mit seinem gesamten Personal frei im Gebiet des letztgenannten Staates zu bewegen, oder die Überstellung des betreffenden Personals von restriktiven Bedingungen abhängig machen (EuGH Rs. C-341/05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767). Bei der Dienstleistungsfreiheit wurde insgesamt weitgehend die Entwicklung der [[Warenverkehrsfreiheit]] nachvollzogen. Umstritten ist, ob die zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte ''Keck''-Rechtsprechung zu den Verkaufsmodalitäten auch für die Dienstleistungsfreiheit gilt. Auch wenn die EuGH-Rechtsprechung (EuGH Rs. C-384/93 – ''Alpine Investments'', Slg. 1995, I-1141) ganz unterschiedlich gedeutet wird, ist dies doch grundsätzlich zu bejahen. Allerdings entfaltet die ''Keck''-Rechtsprechung hier nicht notwendig dieselbe Bedeutung. Dienstleistungen werden nämlich wohl öfter durch Rechtsnormen definiert als Warenlieferungen, plastisch wird etwa von der Versicherung als Rechtsprodukt gesprochen.


Im geltenden europäischen Recht, wo eine vergleichbare vertragsrechtliche Kategorienbildung bisher fehlt, ist selbst der (Ober‑)Begriff der Dienstleistung nicht eindeutig bestimmt. Eine positive Definition sucht man vergeblich, stattdessen wird der Begriff, wenn überhaupt, (unterschiedlich) negativ abgegrenzt. Im Ausgangspunkt ist jede selbständig erbrachte Leistung des Wirtschaftsverkehrs erfasst, die ''nicht'' in der Lieferung von Waren besteht. Ausgespart sind damit im Wesentlichen nur Arbeitsverträge ([[Europäisches Arbeitsrecht]]) und Kaufverträge ([[Kauf]], [[Verbrauchsgüterkauf]]), nicht jedoch [[Werkvertrag|Werkverträge]], zumindest nicht flächendeckend.
Eine Beschränkung kann aber – über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe nach Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 46 EG/52 AEUV hinaus – gerechtfertigt sein, wofür der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] vier Voraussetzungen nennt: „Es muß in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, es muß aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, es muß geeignet sein die Verwirklichung des von ihm verfolgten Zieles zu gewährleisten, und es darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.“ (EuGH Rs. C-55/94 – ''Gebhard'', Slg. 1995, I-4165). Manchmal überlässt der EuGH die nähere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit aber dem nationalen Gericht. Ein Mitgliedstaat darf die Erbringung von Dienstleistungen nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen, die für eine Niederlassung gelten. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge hinsichtlich der Mindestlöhne aber auf jedermann erstrecken, der in ihrem Hoheitsgebiet einer nichtselbständigen Arbeit nachgeht. In diesem Zusammenhang wurde die Entsende-RL (RL 96/71) erlassen. Der Grundrechtsschutz kann ein berechtigtes Interesse sein, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen (EuGH Rs. C- 341/07 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767, Rn. 93).


Der europäische Dienstleistungsbegriff dient insofern vor allem als Auffangtatbestand, der jedoch teils zu umfassend erscheint. Schwierigkeiten bereitet vor allem die Zuordnung von Verträgen, die nicht schwerpunktmäßig tätigkeitsbezogen sind: Selbst Gebrauchsüberlassung ([[Miete und Pacht]]) und Übertragung von Rechten (dingliche Rechte, Forderungen, Immaterialgüter) zählt der europäische Regelgeber zu den Dienstleistungen, allerdings nur in Teilbereichen, vgl. vor allem Art. 3(1) Fernabsatz-RL (RL 97/7), Art. 3(2)(a) Haustürwiderrufs-RL (RL 85/577), Art. 2(a) Irreführende und vergleichende Werbung-RL (RL 2006/114), andererseits jedoch Art. 3(c) 2. Halbsatz Verbraucherkredit-RL (RL 2008/48), vgl. auch Art. 2 des Vorschlags einer RL über die Haftung bei Dienstleistungen (KOM (90) 482). Der EuGH qualifizierte deshalb beispielsweise Automietverträge, mit denen Verbrauchern ein Beförderungsmittel zur Verfügung gestellt wird, als „Dienstleistung“ und unterstellte sie dem Regime der Fernabsatz-RL (EuGH Rs. C-336/03 – ''easy car'', Slg. 2005, I-1947). Auch die sog. „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ sind nicht primär tätigkeitsbezogen (Energie, Wasser, Telekommunikation, Post und Eisenbahn). Einzelne Rechtsakte nehmen umgekehrt bestimmte Dienstleistungen von ihrem Anwendungsbereich aus (nicht jedoch vom Dienstleistungsbegriff), besonders ausgeprägt in Art. 1(2) und (3) Dienstleistungs-RL (RL 2006/ 123). Enger gefasst ist schließlich der primärrechtliche Dienstleistungsbegriff ([[Dienstleistungsfreiheit]]), was einerseits Überschneidungen mit anderen Grundfreiheiten vermeiden soll (insbesondere mit der [[Niederlassungsfreiheit]]: keine dauerhafte Präsenz) und andererseits schlicht mit der Funktion der Grundfreiheiten zusammenhängt (grenzüberschreitendes Element). In sachlicher Hinsicht bringen beide Einschränkungen keinerlei Präzisierung mit sich.
== 2. Adressat und Bindung Privater ==
Auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können sich die Angehörigen der Mitgliedstaaten, nach Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 48 EG/54 AEUV einschließlich der Gesellschaften, nicht aber Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat (EuGH Rs. C-452/04 – ''Fidium'', Slg. 2006, I-9521, Rn. 25). Für in der Gemeinschaft ansässige Drittstaatsangehörige kann die Dienstleistungsfreiheit nach Maßgabe des Art. 49(2) EG/56(2) AEUV anwendbar erklärt werden. Die Dienstleistungsfreiheit richtet sich vor allem an die Mitgliedstaaten. Aber sie gilt nicht nur für Akte staatlicher Behörden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Maßnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten (EuGH Rs. 36/74 – ''Walrave'', Slg. 1974, 1405; EuGH Rs. C-341/05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767, Rn. 98), auch die Satzung eines Sportverbandes und Streikmaßnahmen (EuGH Rs. C-341/05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767, Rn. 98). Im Übrigen ist die Drittwirkung jedoch abzulehnen.


Wie umfassend das Spektrum von Dienstleistungen insgesamt sein kann, illustriert das Handbuch der Kommission zur Umsetzung der Dienstleistungs-RL, das – nicht abschließend! – die folgenden Beispiele aufzählt: „Tätigkeiten der meisten reglementierten Berufe (z.B. Rechts- und Steuerberater, Architekten, Ingenieure, Buchhalter, Vermessungsingenieure), Handwerker, unternehmensbezogene Dienstleistungen (wie z.B. Unterhaltung von Büroräumen, Managementberatung, Organisation von Veranstaltungen, Beitreibung von Forderungen, Werbung und Personalagenturen), Handel (einschließlich des Einzel- und Großhandels von Gütern und Dienstleistungen), Dienstleistungen im Bereich des Fremdenverkehrs (wie z.B. die Dienstleistungen von Reisebüros), Dienstleistungen im Freizeitbereich (wie z.B. von Sportzentren und Freizeitparks), Dienstleistungen des Baugewerbes, Dienstleistungen auf dem Gebiet der Installation und Wartung von Ausrüstungen, Informationsdienstleistungen (wie z.B. Web-Portale, Nachrichtenagenturen, Verlagswesen und Computerprogrammierung), Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen (wie z.B. Hotels, Restaurants, Catering-Service), Dienstleistungen auf dem Gebiet der Ausbildung und Bildung, Miet- (einschließlich der Vermietung von Fahrzeugen) und Leasingdienstleistungen, Immobiliendienstleistungen, Zertifizierungs- und Prüfungstätigkeiten, Unterstützungsdienste im Haushalt (wie z.B. Reinigungsdienste, private Kinderbetreuung und Gärtnerdienstleistungen)“. Dass selbst Aktivitäten aufgeführt werden, die nicht einmal unter die denkbar breite Ausgangsabgrenzung von Dienstleistungen fallen (Handel), führt die definitorische Unschärfe und Kontextabhängigkeit des europäischen Dienstleistungsbegriffs deutlich vor Augen. In der Begriffswelt des europäischen Rechts wird offenbar ebenfalls „alles zur Dienstleistung“.
== 3. Privatrechtsnormen und Dienstleistungsfreiheit ==
Privatrechtlich in Erscheinung getreten ist die Dienstleistungsfreiheit bereits in verschiedener Weise, nicht nur hinsichtlich freier Berufe. Dies gilt zum einen für das Diskriminierungsverbot: Die Prozesskostensicherheit für Ausländer soll eine verbotene Ungleichbehandlung sein (EuGH Rs. C-20/92 – ''Hubbard'', Slg. 1993, I-3777; zum allgemeinen [[Diskriminierungsverbot (allgemein)|Diskriminierungsverbot]] EuGH Rs. C-43/95 – ''Data Delecta'', Slg. 1996, I-4661; EuGH Rs. C-323/95 – ''Hayes'', Slg. 1997, I-1711; EuGH Rs. C-122/96 – ''Saldanha'', Slg. 1997, I-5325). Eine Diskriminierung enthielt die frühere deutsche Norm, die bei ausländischen Handelsvertretern einen Ausschluss des sonst zwingenden Ausgleichsanspruchs gestattete. Das gleiche muss wohl auch für die niederländische Regel gelten, dass der Vermittler ausländischer Reiseleistungen selbst als Reiseveranstalter angesehen werde. Zur Insolvenzsicherung nach Art. 7 der Pauschalreise-RL (RL 90/314) hat der EuGH eine französische Regel, die bei der Gewährung der Sicherheit durch einen ausländischen Finanzdienstleister verlangte, dass dieser einen zweiten Vertrag mit einem in Frankreich ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen schließt, als Beschränkung angesehen und eine Rechtfertigung durch den Verbraucherschutz verneint (EuGH Rs. C-410/96 – ''Ambry'', Slg. 1998, I-7875).


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Besonderes Potential hat das Beschränkungsverbot. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 hat der EuGH den Ausschluss von Spielschulden und gleichgestellten Verbindlichkeiten aus Differenzgeschäften von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit nicht als Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit angesehen (EuGH Rs. 15/78 – ''Koestler'', Slg. 1978, 1971), doch hat er damals die Dienstleistungsfreiheit noch nicht als Beschränkungsverbot angewandt. Eine Privatrechtsnorm, die bestimmte Forderungen zu Naturalobligationen oder sonst nicht durchsetzbar macht, ist heute hingegen als Beschränkung anzusehen, so dass es auf deren Rechtfertigung ankommt. Dementsprechend ist an der bloßen Naturalobligation bei Ehemäklerei nach § 656 BGB zu zweifeln, mildere Verbraucherschutzmaßnahmen wären wohl möglich. Wenn eine Norm eine Art von Vertrag wegen Gesetzes- oder Sittenverstoß für nichtig erklärt, so wird eine Grundfreiheitsbeschränkung vorliegen – manche sagen, die Nichtigkeitssanktion habe bei Dienstleistungen die gleiche Wirkung wie ein Einfuhrverbot bei Waren. Man kann hier an Zwergenwerfen, Prostitution, Telefonsex, Leihmutterschaftsverträge denken, doch ist eine Rechtfertigung durch zwingende Erwägungen des Allgemeininteresses naheliegend und mit der Entscheidung in Sachen ''Omega'' nicht unrealistisch (EuGH Rs. C-36/02 – ''Omega'', Slg. 2004, I-9609). Bei Subunternehmerverträgen kann man die in einigen Rechten vorgesehene ''action directe'' und bei Bauverträgen die besonderen Versicherungslösungen des französischen Systems aus der Sicht der Dienstleistungsfreiheit problematisieren.
Dienstleistungsverträge bilden auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung ein ausgesprochen uneinheitliches Bild. Das römische Recht kannte kein eigenständiges Rechtsinstitut. Die ''locatio conductio'' umfasste, neben Miete und Pacht, auch die sog. Dienstmiete, zu der die Erbringung von Dienstleistungen (''locatio cunductio operarum'') ebenso gehörte wie die Bearbeitung von Sachen (''locatio conductio operis''). Im Gegensatz zu diesen einfachen, fremdgesteuerten und entgeltlichen Dienstleistungen wurden Dienste höherer Art grundsätzlich auf der Grundlage eines ''mandatum'' erbracht, also ohne rechtlichen Anspruch auf Gegenleistung (bloßes Ehrengeld: „Honorar“). Während sich der französische ''[[Code civil]]'' in Anlehnung an dieses römisch-rechtliche Modell weiterhin am Leitbild der Gebrauchsüberlassung orientierte, behielt das preußische [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|ALR]] zwar ebenfalls die Unterscheidung von einfachen und höheren Diensten bei, regelte aber die tätigkeitsbezogenen Verträge in einem eigenen Abschnitt. Bei den Vorarbeiten zum BGB wurden Dienste jeder Art schließlich zu einem einheitlichen Vertragstyp zusammengefasst (trotz allen Widerstands von Ärzten und Rechtsanwälten), Werkverträge allerdings separat geregelt.  


Die Rechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts zeichnet sich durch europaweit ganz unterschiedliche Entwicklungsstränge aus. Verbreitet ist vor allem die Tendenz zur Zerfaserung in speziellere Vertragstypen (Maklervertrag, Transportvertrag, Versicherungsvertrag etc.), umgekehrt sind allerdings auch (kodifikatorische) Schritte hin zu einem umfassenden Dienstleistungsvertrag zu beobachten, insbesondere im schwedischen, portugiesischen und englischen Recht. Auf europäischer Ebene zeichnet sich mit dem Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] eine gewisse Kombination dieser eigentlich widersprüchlichen Tendenzen ab. Das Regelwerk versucht nämlich, funktional unterschiedliche Vertragstypen in dem gemeinsamen Rahmen der Dienstleistungsverträge zusammenzufassen, also Spezialisierung und Generalisierung zu verbinden. Abgrenzungsfragen werden dadurch allerdings nicht erspart bleiben.
Besonderes wirtschaftliches Gewicht und wissenschaftliche Aufmerksamkeit werden Fragen der Finanzdienstleistungen von Banken und Versicherungen zugemessen und dargebracht. Da die Bankrechtskoordinierung entgegen einer eher vereinzelt gebliebenen Literaturansicht noch nicht zur Anerkennung der dienstleistungsspezifischen Vertragsrechtsregeln des Herkunftsstaates des Anbieters verpflichtet, können die Grundfreiheiten unmittelbar ins Spiel kommen. Die Kommission hat in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Banken-RL (RL 89/646) von 1997 (SEK(97) 1193 endg.) gesagt, man könne „zweifellos einräumen, dass die Mehrzahl der vertraglichen Regelungen des Zivilrechts oder Zivilprozeßrechts (Tilgungsmodus für Verbindlichkeiten, Verjährung, Aberkennung von Ansprüchen, Nichtigkeit usw.) kaum geeignet sind, Behinderungen des freien Bankdienstleistungsverkehrs darzustellen“, aber Regeln, die Zinsvariabilität ausschließen oder ein Recht zur vorzeitigen Rückzahlung gewähren, als Beschränkungen angesehen. In der Literatur ist sehr umstritten, ob zwingende Kündigungsrechte bei Darlehen (in Deutschland § 489 BGB) eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen oder eine bloße Verkaufsmodalität. Es geht hier vor allem um die Anwendung der ''Keck''-Rechtsprechung, den Begriff des Produktes („Darlehen mit variablem Zins und fester Laufzeit“ als Produkt oder Zins und Dauer als Modalität des Produktes Darlehen?) und die Würdigung des Marktzutritts. Ein französisches Verbot der Verzinsung von Sichteinlagen hat der EuGH sogar als Beschränkung der [[Niederlassungsfreiheit]] gesehen (EuGH Rs. C-442/02 – ''Caixa Bank France'', Slg. 2004, I-8961). Neben derartigen Kündigungsrechten oder Vorschriften über die Vertragsdauer wird auch über Vermittlungsverbote, Widerrufsrechte, Kontrahierungszwang, zwingende Sprachvorschriften, Pflichtinhalte, Wuchergrenzen, Einwendungsdurchgriff und versicherungsrechtliche Obliegenheiten diskutiert. Hinsichtlich der Klauselkontrolle ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4(2) RL 93/13 den Hauptgegenstand des Vertrages von dieser ausnimmt. Aus dem Verbraucherleitbild des EuGH ist abgeleitet worden, dass bei Bankdienstleistungen statt mit Verbotsvorschriften mit Informationsanforderungen zu arbeiten sei. Mit Bezug auf ihre Charakterisierung als Rechtsprodukt wird für die Versicherung – und oft auch für Bankdienstleistungen – eine weitgehende Überprüfung ihrer somit oft nicht nur Verkaufsmodalitäten darstellenden rechtlichen Regelung angenommen. Allerdings wird, worauf auch die Kommission in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen von 2000 hingewiesen hat, oftmals der Verbraucherschutz als Rechtfertigung eingreifen, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist ([[Verhältnismäßigkeit]]). Auch in der Literatur wird manchmal eine ganz weitgehende Rechtfertigung dieser Beschränkungen durch zwingende Erwägungen des Allgemeininteresses bejaht. Ein Erfordernis, zur Geltendmachung von Ansprüchen im Adhäsionsverfahren eine besondere Vollmacht zu erteilen, beschränkt nicht die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit des klagenden ausländischen Versicherers (EuGH Rs. C-177/94 – ''Perfili'', Slg. 1996, I-161) – diese erfassen „nicht Unterschiede, die sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben können, sofern“ alle gleichbehandelt werden.


== 3. Regelungsschwerpunkte im Gemeinschaftsprivatrecht ==
In verschiedenen Sektoren sind Entgeltregelungen ein weiteres bedeutsames Thema. Mindestlöhne für entsandte Arbeitnehmer sind den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht verwehrt, wenn sie im Allgemeininteresse, nämlich zum Schutz der Arbeitnehmer ergehen, doch ist zu überprüfen, ob die Regelung bei objektiver Betrachtung den Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet (EuGH Rs. C-164/99 – ''Portugaia Construçoes'', Slg. 2002, I-787). Die Zulässigkeit einer kollektiven Maßnahme in Form einer Baustellenblockade, um einen ausländischen Dienstleister zu zwingen, für seine entsandten Arbeitnehmer einen günstigeren Tarifvertrag abzuschließen, ist an der Dienstleistungsfreiheit gemessen worden (EuGH C-341/05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767). Ein Verbot, durch Vereinbarung von durch die Rechtsanwaltsgebührenordnung festgesetzten Mindesthonoraren abzuweichen, ist eine Beschränkung (EuGH verb. Rs. C-94/04 und C-202/04 – ''Cipolla'', Slg. 2006, I-11421), deren Rechtfertigung jedoch nicht ausgeschlossen ist. Die Festlegung der Preise für private Sicherheitsdienste innerhalb einer bestimmten Bandbreite durch eine Erlaubnis des Präfekten wurde als Beschränkung der Freiheit der Preisfestsetzung, Marktzugangshindernis und somit Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gewertet (EuGH Rs. C-465/05 – ''Kommission/Italien'', Slg. 2007, I-11091, Rn. 122 ff.). Ob die Mindestsatzregelungen der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt werden können, ist umstritten und vom Bundesgerichtshof zur Klärung durch den EuGH empfohlen worden (BGH 27.2.2003, BGHZ 154, 110). Ein Erfordernis patentanwaltlicher Qualifikation für Dienstleistungen zur Überwachung und Aufrechterhaltung von Patenten war eine nicht erforderliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (EuGH Rs. C-76/90 – ''Säger'', Slg. 1991, I-4221), ein Verbot der geschäftsmäßigen gerichtlichen Forderungseinziehung durch Inkassobüros wurde hingegen gebilligt (EuGH Rs. C-3/95 – ''Reisebüro Broede'', Slg. 1996, I-6511). Deutsche Regeln über einen Einvernehmensanwalt für ausländische Anwälte sind an der Dienstleistungsfreiheit gemessen worden (EuGH Rs. 427/85 – ''Kommission/Deutschland'', Slg. 1988, 1123). Im Prozesskostenrecht ist eine Regel, nach der es für den Obsiegenden keinen Kostenersatz für den neben dem ausländischen Anwalt beim entscheidenden Gericht zugelassenen herangezogenen Anwalt gibt, eine Behinderung (EuGH Rs. C-289/02 – ''AMOK'', Slg. 2003, I-15059). Der Ausschluss selbständiger Dienstleistungserbringung durch eine griechische Regelung, die Tourismus- und Reisebüros den Abschluss von Arbeitsverträgen mit Fremdenführern verbindlich vorschrieb, verstieß gegen die Dienstleistungsfreiheit (EuGH Rs. C-308/95 – ''Syndesmos ten en Elladi Touristiko'', Slg. 1997, I-3091).
Im geltenden europäischen Recht gewinnen, teils im Kontrast zum klassischen nationalen Dienst(leistungs)vertragsrecht, vor allem drei Fragenkreise an Bedeutung, die schwerpunktmäßig, aber nicht ausschließlich, den vorvertraglichen Bereich betreffen.
 
<nowiki>Erstens fokussieren sich die europäischen Vorschriften auf den Zugang zu Dienstleistungen. Besonders ausgeprägt finden sich entsprechende Regelungen für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die zunehmend von privaten Dienstleistern auf grundsätzlich liberalisierten Märkten erbracht werden. Sektorspezifische Rechtsakte, die vor allem regulierenden Charakter haben, aber teils durchaus auch Fragen des klassischen Vertragsrechts ansprechen, sollen sicherstellen, dass jeder Verbraucher Zugang zu entsprechenden Dienstleistungen von hoher Qualität zu erschwinglichen Preisen erhält (vgl. etwa Art.&nbsp;20(2)1 Universaldienste-RL [RL 2002/22]). Die vertragsrechtliche Grundsatzfrage geht dahin, ob sich diese Grundsätze auf Dienstleistungen aller Art oder gar generell auf Verbraucherverträge übertragen lassen. Einer allzu pauschalen Verallgemeinerung dürfte entgegenstehen, dass die Zugangsregeln jeweils in spezifischen </nowiki><nowiki>Besonderheiten der jeweiligen Märkte wurzeln (insbesondere Netzabhängigkeit). Gleichwohl gewinnen Fragen des Zugangs zu Dienstleistungen unzweifelhaft an allgemeiner Bedeutung. Namentlich der Zugang zu (Gütern und) Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und bekannt gemacht werden, muss diskriminierungsfrei offen stehen: Der Dienstleistungserbringer darf grundsätzlich weder nach Ethnie oder Geschlecht differenzieren (RL zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft [RL&nbsp;2000/43],</nowiki> <nowiki>RL zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen [RL&nbsp;2004/113]), noch nach Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz des Dienstleistungsempfängers (Art.&nbsp;20(2) Dienstleistungs-RL). Der Kriterienkatalog soll künftig möglicherweise sogar noch ausgeweitet werden (z.B. Religion, sexuelle Orientierung, Behinderung).</nowiki>
 
<nowiki>Ein zweiter Regelungsschwerpunkt betrifft den Vertrieb von Dienstleistungen. Hier geht es nicht um die Sicherstellung der Versorgung mit bestimmten Dienstleistungen, sondern darum, wohlinformierte, teils auch wohlüberlegte Entscheidungen über den Vertragsschluss zu ermöglichen, und treuwidriges Verhalten der Gegenseite zu verhindern. Dem Dienstleistungserbringer werden deshalb vorvertragliche Informations- und Verhaltenspflichten auferlegt. Diese Pflichten sind zwar größtenteils in übergreifenden, vertrags- oder auch lauterkeitsrechtlichen Rechtsakten verankert, die Dienstleistungsverträge aber jeweils ausdrücklich mit einschließen (etwa Art.&nbsp;2(1) Fernabsatz-RL; Art.&nbsp;1(1) Haustürwiderrufs-RL bzw. Art.&nbsp;2(f) E&#8209;Commerce-RL [RL&nbsp;2000/31]; Art.&nbsp;2(c) Unlautere Geschäftspraktiken-RL [RL&nbsp;2005/29]; Art.&nbsp;2(a) Irreführende und vergleichende Werbungs-RL). Mitunter finden sich entsprechende Pflichten auch in Rechtsakten zu speziellen Typen von </nowiki>Dienstleistungen, insbesondere im Finanz<nowiki>dienstleistungsbereich (Art.&nbsp;2(b) Fernabsatz von Finanzdienstleistungen-RL [RL&nbsp;2002/65] und besonders Art.&nbsp;19&nbsp;ff. Märkte für Finanzinstrumente-RL [RL&nbsp;2004/39]; außerdem Art.&nbsp;2(1) Pauschalreise-RL [RL&nbsp;90/314]). Mit der Dienstleistungs-RL treten nun erstmals vorvertragliche Informationspflichten hinzu, die spezifisch für Dienstleistungsverträge gelten und diesen Vertragstyp zugleich „horizontal“, also grundsätzlich flächendeckend, betreffen. Überdies sind diese Pflichten nicht auf Verbrauchergeschäfte beschränkt. Die Informationen müssen vom Dienstleister teils selbständig, teils erst auf Nachfrage erteilt werden. Sie betreffen insbesondere die eigene Identität und Vertrauenswürdigkeit des Dienstleistungserbringers, die Merkmale und rechtliche Ausgestaltung der fraglichen Dienstleistung sowie die Grundlagen der Preisbestimmung (vgl. Art.&nbsp;22 Dienstleistungs-RL). Die Ausweitung der vorvertraglichen </nowiki>Informationspflichten trägt dem Phänomen Rechnung, dass Dienstleistungen im Regelfall ungleich schwerer vergleich- und determinierbar sind als Waren, und dass deshalb erhöhter Informationsbedarf über den Vertragsgegenstand, aber auch über Vertragspartner und &#8209;gestaltung besteht.
 
Ein dritter Regelungsschwerpunkt betrifft den Vertragsgegenstand selbst. Auch hier deutet sich ein dienstleistungsspezifischer Regelungsansatz an, und zwar aus ähnlichen Gründen. Der klassische vertragsrechtliche Mechanismus, Qualitätsmängel durch Haftung zu sanktionieren, stößt bei Dienstleistungen an Grenzen. Der Vertragsgegenstand ist meist zu spezifisch, um ihn am Marktüblichen messen zu können, und zu wenig konturiert, um von den Vertragsparteien (unschwer) qualitativ festgelegt werden zu können. Der Vorschlag einer RL über die Haftung bei Dienstleistungen, der die vertragliche Haftung ohnehin nur partiell geregelt hätte, wurde bereits vor langem zurückgezogen. Nachweislich Art.&nbsp;26 Dienstleistungs-RL geht die Tendenz stattdessen (zunächst?) zu einer stärkeren Standardisierung von Dienstleistungen, und zwar nicht in erster Linie durch den (europäischen) Gesetzgeber selbst, sondern im Wege der Selbstregulierung durch Branchen- und Verbraucherverbände.
 
== 4. Grundlinien im gemeineuropäischen Privatrecht (DCFR) ==
Während die ''Principles of European Contract Law'' keine spezifischen Regelungen enthielten, formulierten die ''[[Study Group on a European Civil Code]]'' und, darauf aufbauend, die Verfasser des Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] ein umfangreiches Dienstleistungsvertragsrecht: Die PEL&nbsp;SC umfassen, mit Erläuterungen, etwa 1000 Seiten. Sie sind in einen – eher knappen – allgemeinen Teil und ausführliche Sonderregeln zu spezifischen Vertragstypen unterteilt. Inhaltlich gleicht der Regelungsbestand zwar naturgemäß stärker seinen nationalen Vorbildern, weil eine flächendeckende Regelung einschließlich des gesamten dispositiven Dienstleistungsvertragsrechts angestrebt wurde. Deshalb finden sich hier beispielsweise durchaus auch Haftungs- und Gewährleistungsregeln. Eine Parallele zum Regelungsansatz des Gemeinschaftsrechts besteht jedoch insofern, als vorvertragliche Hinweispflichten besonders eingehend geregelt werden. Auch auf die Standardisierung von Dienstleistungen durch Branchenverbände wird explizit Bezug genommen, und zwar im Rahmen des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs. Auffällig ist schließlich, dass die Vertragsdurchführung weniger als bloßer Leistungsaustausch, sondern primär als laufende Kooperationsbeziehung begriffen wird, die besonderer ''Governance''-Instrumente bedarf. Dahinter steckt wiederum der Gedanke, dass sich Dienstleistungen als Vertragsgegenstand oft nicht im Vorhinein exakt bestimmen lassen. Dienstleistungserbringer und &#8209;empfänger werden deshalb während der Vertragslaufzeit zahlreichen gegenseitigen Kooperations- und Informationspflichten unterworfen; umgekehrt werden ihnen Anpassungs- und Lossagungsrechte eingeräumt.


==Literatur==
==Literatur==
''Stefan Grundmann'', Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999; ''Monika Anders'', ''Burkhard Gehle'','' ''Das Recht der freien Dienste, 2001; ''Marco B.M. Loos'','' ''Towards a European Law of Service Contracts, European Review of Private Law 9 (2001) 565&nbsp;ff.; ''Karl Riesenhuber'','' Jens-Uwe Franck'', Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 2005, 245&nbsp;ff.; ''Peter Rott'', A New Social Contract Law for Public Services, European Review of Contract Law 3 (2005) 323&nbsp;ff.; ''Karl Riesenhuber'', Europäisches Vertragsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2006; ''Christiane Wendehorst'', Das Vertragsrecht der Dienstleistungen im deutschen und künftigen europäischen Recht, Archiv für die civilistische Praxis 206 (2006) 205&nbsp;ff.; ''Hans-W. Micklitz'', Service Standards: Defining the Core Consumer Elements and their Minimum Requirements, 2007, abrufbar unter <nowiki>http://www.anec.eu/attach ments/ANEC-R&T-2006-SERV-004final.pdf</nowiki> (zuletzt abgerufen am 12.5.2009); ''Martin Schauer'', Contract Law of the Services Directive, European Review of Contract Law 4 (2008) 1&nbsp;ff.; ''Martin Schmidt-Kessel'','' ''Die Informationspflichten des Dienstleisters nach der Dienstleistungsrichtlinie, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht 2008, 63&nbsp;ff.
''Manfred Wolf'', Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, Auswirkungen der II. EG-Bankrechtsrichtlinie auf privatrechtliche Bankgeschäfte, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1990, 1941&nbsp;ff.; ''Thomas Wernicke'', Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt 1996; ''Nils Wördemann'', International zwingende Normen im Internationalen Privatrecht des europäischen Versicherungsvertrages, 1997; ''Oliver Remien'', Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003; ''Torsten'' ''Körber'', Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; ''Eckhard'' ''Pache'', Dienstleistungsfreiheit, in: Dirk Ehlers (Hg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2.&nbsp;Aufl. 2005; ''Josef'' ''Heimann'', Zwingender Verbraucherschutz und Grundfreiheiten im Bereich der Finanzdienstleistungen, 2005; ''Catherine'' ''Barnard'', The Substantive Law of the EU, 2.&nbsp;Aufl. 2007; ''Kolja'' ''Stehl'', Die Überwindung der Inkohärenz des Internationalen Privatrechts der Bank- und Versicherungsverträge, 2008.


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Version vom 28. September 2021, 15:36 Uhr

von Oliver Remien

1. Bedeutung und Struktur

Dienstleistungen sind neben Warenlieferungen ein weiterer wesentlicher Wirtschaftssektor und werden von der Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EG/56 ff. AEUV erfasst. Es geht um alle Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden; Art. 50 EG/57 AEUV gibt dazu die Definition und fügt hinzu, dass insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten darunter fallen. Erfasst wird damit ein weites Spektrum, zu dem etwa zählen: anwaltliche Tätigkeit, Bauarbeiten im Hoch- und Tiefbau, Bauplanung eines Architekten, Bank- und Versicherungsdienstleistungen, Börsentermingeschäfte, Franchisevertrag (EuGH Rs. C-36/02 – Omega, Slg. 2004, I-9609), Glücksspiele, Patentüberwachungsdienste, Rundfunk, Fernsehen, Telekommunikation, Wirtschaftsprüfung, Wach- und Sicherheitsdienste und vieles mehr. Auch im Rahmen sportlicher Tätigkeiten können Dienstleistungen erbracht werden. Für Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs gelten nach Art. 51(1) EG/58(1) AEUV die Bestimmungen zur Verkehrspolitik der Art. 70 ff. EG/90 ff. AEUV. Mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Dienstleistungen sind gemäß Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 45 EG/51 AEUV ausgenommen. Die Dienstleistungsfreiheit kann in verschiedenen Formen ausgeübt werden. Bei der aktiven/positiven Dienstleistungsfreiheit erbringt der Dienstleistende die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat, bei der passiven/negativen Dienstleistungsfreiheit nimmt der Empfänger die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat entgegen, bei der Korrespondenzdienstleistung hingegen überschreiten nicht Dienstleistender oder Dienstleistungsempfänger die Grenze, sondern die Dienstleistung selbst. Ferner greift die Dienstleistungsfreiheit auch ein, wenn Erbringer und Empfänger der Dienstleistung im selben Mitgliedstaat niedergelassen sind, die Dienstleistung selbst jedoch in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wird. Begibt sich ein Angehöriger eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat und nimmt dort seinen Hauptaufenthalt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu erbringen oder zu empfangen, so greift wegen der Dauer nicht die Dienstleistungsfreiheit ein, möglicherweise aber eine der Personenverkehrsfreiheiten (EuGH Rs. 196/87 – Steymann, Slg. 1988, 6159); hinsichtlich Dienstleistungen für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten in einem Altenheim soll somit die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezug der Tätigkeit nicht einschlägig sein (EuGH Rs. C-70/95 – Sodemare, Slg. 1997, I-3395).

Die Dienstleistungsfreiheit ist seit langem nicht mehr nur als Diskriminierungsverbot, sondern auch als Beschränkungsverbot anerkannt (EuGH Rs. C-76/90 – Säger, Slg. 1991, I-4221; EuGH Rs. C-3/95 – Reisebüro Broede, Slg. 1996, I-6511), wenngleich dies später erfolgte als bei der Warenverkehrsfreiheit. Insbesondere darf die Erbringung von Dienstleistungen nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für eine Niederlassung gelten (EuGH Rs. C-76/90 – Säger, Slg. 1991, I-4221, Rn. 13). Auswahlregeln für einen hochrangigen internationalen Wettkampf sind keine Beschränkung, soweit sie erforderlich sind (EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Deliège, Slg. 2000, I-2549). Nach der Dienstleistungsfreiheit kann ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringer von Dienstleistungen nicht verbieten, sich mit seinem gesamten Personal frei im Gebiet des letztgenannten Staates zu bewegen, oder die Überstellung des betreffenden Personals von restriktiven Bedingungen abhängig machen (EuGH Rs. C-341/05 – Laval, Slg. 2007, I-11767). Bei der Dienstleistungsfreiheit wurde insgesamt weitgehend die Entwicklung der Warenverkehrsfreiheit nachvollzogen. Umstritten ist, ob die zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte Keck-Rechtsprechung zu den Verkaufsmodalitäten auch für die Dienstleistungsfreiheit gilt. Auch wenn die EuGH-Rechtsprechung (EuGH Rs. C-384/93 – Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141) ganz unterschiedlich gedeutet wird, ist dies doch grundsätzlich zu bejahen. Allerdings entfaltet die Keck-Rechtsprechung hier nicht notwendig dieselbe Bedeutung. Dienstleistungen werden nämlich wohl öfter durch Rechtsnormen definiert als Warenlieferungen, plastisch wird etwa von der Versicherung als Rechtsprodukt gesprochen.

Eine Beschränkung kann aber – über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe nach Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 46 EG/52 AEUV hinaus – gerechtfertigt sein, wofür der EuGH vier Voraussetzungen nennt: „Es muß in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, es muß aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, es muß geeignet sein die Verwirklichung des von ihm verfolgten Zieles zu gewährleisten, und es darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.“ (EuGH Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165). Manchmal überlässt der EuGH die nähere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit aber dem nationalen Gericht. Ein Mitgliedstaat darf die Erbringung von Dienstleistungen nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen, die für eine Niederlassung gelten. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge hinsichtlich der Mindestlöhne aber auf jedermann erstrecken, der in ihrem Hoheitsgebiet einer nichtselbständigen Arbeit nachgeht. In diesem Zusammenhang wurde die Entsende-RL (RL 96/71) erlassen. Der Grundrechtsschutz kann ein berechtigtes Interesse sein, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen (EuGH Rs. C- 341/07 – Laval, Slg. 2007, I-11767, Rn. 93).

2. Adressat und Bindung Privater

Auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können sich die Angehörigen der Mitgliedstaaten, nach Art. 55 EG/62 AEUV i.V.m. Art. 48 EG/54 AEUV einschließlich der Gesellschaften, nicht aber Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat (EuGH Rs. C-452/04 – Fidium, Slg. 2006, I-9521, Rn. 25). Für in der Gemeinschaft ansässige Drittstaatsangehörige kann die Dienstleistungsfreiheit nach Maßgabe des Art. 49(2) EG/56(2) AEUV anwendbar erklärt werden. Die Dienstleistungsfreiheit richtet sich vor allem an die Mitgliedstaaten. Aber sie gilt nicht nur für Akte staatlicher Behörden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Maßnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten (EuGH Rs. 36/74 – Walrave, Slg. 1974, 1405; EuGH Rs. C-341/05 – Laval, Slg. 2007, I-11767, Rn. 98), auch die Satzung eines Sportverbandes und Streikmaßnahmen (EuGH Rs. C-341/05 – Laval, Slg. 2007, I-11767, Rn. 98). Im Übrigen ist die Drittwirkung jedoch abzulehnen.

3. Privatrechtsnormen und Dienstleistungsfreiheit

Privatrechtlich in Erscheinung getreten ist die Dienstleistungsfreiheit bereits in verschiedener Weise, nicht nur hinsichtlich freier Berufe. Dies gilt zum einen für das Diskriminierungsverbot: Die Prozesskostensicherheit für Ausländer soll eine verbotene Ungleichbehandlung sein (EuGH Rs. C-20/92 – Hubbard, Slg. 1993, I-3777; zum allgemeinen Diskriminierungsverbot EuGH Rs. C-43/95 – Data Delecta, Slg. 1996, I-4661; EuGH Rs. C-323/95 – Hayes, Slg. 1997, I-1711; EuGH Rs. C-122/96 – Saldanha, Slg. 1997, I-5325). Eine Diskriminierung enthielt die frühere deutsche Norm, die bei ausländischen Handelsvertretern einen Ausschluss des sonst zwingenden Ausgleichsanspruchs gestattete. Das gleiche muss wohl auch für die niederländische Regel gelten, dass der Vermittler ausländischer Reiseleistungen selbst als Reiseveranstalter angesehen werde. Zur Insolvenzsicherung nach Art. 7 der Pauschalreise-RL (RL 90/314) hat der EuGH eine französische Regel, die bei der Gewährung der Sicherheit durch einen ausländischen Finanzdienstleister verlangte, dass dieser einen zweiten Vertrag mit einem in Frankreich ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen schließt, als Beschränkung angesehen und eine Rechtfertigung durch den Verbraucherschutz verneint (EuGH Rs. C-410/96 – Ambry, Slg. 1998, I-7875).

Besonderes Potential hat das Beschränkungsverbot. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 hat der EuGH den Ausschluss von Spielschulden und gleichgestellten Verbindlichkeiten aus Differenzgeschäften von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit nicht als Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit angesehen (EuGH Rs. 15/78 – Koestler, Slg. 1978, 1971), doch hat er damals die Dienstleistungsfreiheit noch nicht als Beschränkungsverbot angewandt. Eine Privatrechtsnorm, die bestimmte Forderungen zu Naturalobligationen oder sonst nicht durchsetzbar macht, ist heute hingegen als Beschränkung anzusehen, so dass es auf deren Rechtfertigung ankommt. Dementsprechend ist an der bloßen Naturalobligation bei Ehemäklerei nach § 656 BGB zu zweifeln, mildere Verbraucherschutzmaßnahmen wären wohl möglich. Wenn eine Norm eine Art von Vertrag wegen Gesetzes- oder Sittenverstoß für nichtig erklärt, so wird eine Grundfreiheitsbeschränkung vorliegen – manche sagen, die Nichtigkeitssanktion habe bei Dienstleistungen die gleiche Wirkung wie ein Einfuhrverbot bei Waren. Man kann hier an Zwergenwerfen, Prostitution, Telefonsex, Leihmutterschaftsverträge denken, doch ist eine Rechtfertigung durch zwingende Erwägungen des Allgemeininteresses naheliegend und mit der Entscheidung in Sachen Omega nicht unrealistisch (EuGH Rs. C-36/02 – Omega, Slg. 2004, I-9609). Bei Subunternehmerverträgen kann man die in einigen Rechten vorgesehene action directe und bei Bauverträgen die besonderen Versicherungslösungen des französischen Systems aus der Sicht der Dienstleistungsfreiheit problematisieren.

Besonderes wirtschaftliches Gewicht und wissenschaftliche Aufmerksamkeit werden Fragen der Finanzdienstleistungen von Banken und Versicherungen zugemessen und dargebracht. Da die Bankrechtskoordinierung entgegen einer eher vereinzelt gebliebenen Literaturansicht noch nicht zur Anerkennung der dienstleistungsspezifischen Vertragsrechtsregeln des Herkunftsstaates des Anbieters verpflichtet, können die Grundfreiheiten unmittelbar ins Spiel kommen. Die Kommission hat in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen über den freien Dienstleistungsverkehr und das Allgemeininteresse in der Zweiten Banken-RL (RL 89/646) von 1997 (SEK(97) 1193 endg.) gesagt, man könne „zweifellos einräumen, dass die Mehrzahl der vertraglichen Regelungen des Zivilrechts oder Zivilprozeßrechts (Tilgungsmodus für Verbindlichkeiten, Verjährung, Aberkennung von Ansprüchen, Nichtigkeit usw.) kaum geeignet sind, Behinderungen des freien Bankdienstleistungsverkehrs darzustellen“, aber Regeln, die Zinsvariabilität ausschließen oder ein Recht zur vorzeitigen Rückzahlung gewähren, als Beschränkungen angesehen. In der Literatur ist sehr umstritten, ob zwingende Kündigungsrechte bei Darlehen (in Deutschland § 489 BGB) eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen oder eine bloße Verkaufsmodalität. Es geht hier vor allem um die Anwendung der Keck-Rechtsprechung, den Begriff des Produktes („Darlehen mit variablem Zins und fester Laufzeit“ als Produkt oder Zins und Dauer als Modalität des Produktes Darlehen?) und die Würdigung des Marktzutritts. Ein französisches Verbot der Verzinsung von Sichteinlagen hat der EuGH sogar als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gesehen (EuGH Rs. C-442/02 – Caixa Bank France, Slg. 2004, I-8961). Neben derartigen Kündigungsrechten oder Vorschriften über die Vertragsdauer wird auch über Vermittlungsverbote, Widerrufsrechte, Kontrahierungszwang, zwingende Sprachvorschriften, Pflichtinhalte, Wuchergrenzen, Einwendungsdurchgriff und versicherungsrechtliche Obliegenheiten diskutiert. Hinsichtlich der Klauselkontrolle ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4(2) RL 93/13 den Hauptgegenstand des Vertrages von dieser ausnimmt. Aus dem Verbraucherleitbild des EuGH ist abgeleitet worden, dass bei Bankdienstleistungen statt mit Verbotsvorschriften mit Informationsanforderungen zu arbeiten sei. Mit Bezug auf ihre Charakterisierung als Rechtsprodukt wird für die Versicherung – und oft auch für Bankdienstleistungen – eine weitgehende Überprüfung ihrer somit oft nicht nur Verkaufsmodalitäten darstellenden rechtlichen Regelung angenommen. Allerdings wird, worauf auch die Kommission in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen von 2000 hingewiesen hat, oftmals der Verbraucherschutz als Rechtfertigung eingreifen, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist (Verhältnismäßigkeit). Auch in der Literatur wird manchmal eine ganz weitgehende Rechtfertigung dieser Beschränkungen durch zwingende Erwägungen des Allgemeininteresses bejaht. Ein Erfordernis, zur Geltendmachung von Ansprüchen im Adhäsionsverfahren eine besondere Vollmacht zu erteilen, beschränkt nicht die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit des klagenden ausländischen Versicherers (EuGH Rs. C-177/94 – Perfili, Slg. 1996, I-161) – diese erfassen „nicht Unterschiede, die sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben können, sofern“ alle gleichbehandelt werden.

In verschiedenen Sektoren sind Entgeltregelungen ein weiteres bedeutsames Thema. Mindestlöhne für entsandte Arbeitnehmer sind den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht verwehrt, wenn sie im Allgemeininteresse, nämlich zum Schutz der Arbeitnehmer ergehen, doch ist zu überprüfen, ob die Regelung bei objektiver Betrachtung den Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet (EuGH Rs. C-164/99 – Portugaia Construçoes, Slg. 2002, I-787). Die Zulässigkeit einer kollektiven Maßnahme in Form einer Baustellenblockade, um einen ausländischen Dienstleister zu zwingen, für seine entsandten Arbeitnehmer einen günstigeren Tarifvertrag abzuschließen, ist an der Dienstleistungsfreiheit gemessen worden (EuGH C-341/05 – Laval, Slg. 2007, I-11767). Ein Verbot, durch Vereinbarung von durch die Rechtsanwaltsgebührenordnung festgesetzten Mindesthonoraren abzuweichen, ist eine Beschränkung (EuGH verb. Rs. C-94/04 und C-202/04 – Cipolla, Slg. 2006, I-11421), deren Rechtfertigung jedoch nicht ausgeschlossen ist. Die Festlegung der Preise für private Sicherheitsdienste innerhalb einer bestimmten Bandbreite durch eine Erlaubnis des Präfekten wurde als Beschränkung der Freiheit der Preisfestsetzung, Marktzugangshindernis und somit Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gewertet (EuGH Rs. C-465/05 – Kommission/Italien, Slg. 2007, I-11091, Rn. 122 ff.). Ob die Mindestsatzregelungen der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt werden können, ist umstritten und vom Bundesgerichtshof zur Klärung durch den EuGH empfohlen worden (BGH 27.2.2003, BGHZ 154, 110). Ein Erfordernis patentanwaltlicher Qualifikation für Dienstleistungen zur Überwachung und Aufrechterhaltung von Patenten war eine nicht erforderliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (EuGH Rs. C-76/90 – Säger, Slg. 1991, I-4221), ein Verbot der geschäftsmäßigen gerichtlichen Forderungseinziehung durch Inkassobüros wurde hingegen gebilligt (EuGH Rs. C-3/95 – Reisebüro Broede, Slg. 1996, I-6511). Deutsche Regeln über einen Einvernehmensanwalt für ausländische Anwälte sind an der Dienstleistungsfreiheit gemessen worden (EuGH Rs. 427/85 – Kommission/Deutschland, Slg. 1988, 1123). Im Prozesskostenrecht ist eine Regel, nach der es für den Obsiegenden keinen Kostenersatz für den neben dem ausländischen Anwalt beim entscheidenden Gericht zugelassenen herangezogenen Anwalt gibt, eine Behinderung (EuGH Rs. C-289/02 – AMOK, Slg. 2003, I-15059). Der Ausschluss selbständiger Dienstleistungserbringung durch eine griechische Regelung, die Tourismus- und Reisebüros den Abschluss von Arbeitsverträgen mit Fremdenführern verbindlich vorschrieb, verstieß gegen die Dienstleistungsfreiheit (EuGH Rs. C-308/95 – Syndesmos ten en Elladi Touristiko, Slg. 1997, I-3091).

Literatur

Manfred Wolf, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, Auswirkungen der II. EG-Bankrechtsrichtlinie auf privatrechtliche Bankgeschäfte, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1990, 1941 ff.; Thomas Wernicke, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt 1996; Nils Wördemann, International zwingende Normen im Internationalen Privatrecht des europäischen Versicherungsvertrages, 1997; Oliver Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003; Torsten Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; Eckhard Pache, Dienstleistungsfreiheit, in: Dirk Ehlers (Hg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005; Josef Heimann, Zwingender Verbraucherschutz und Grundfreiheiten im Bereich der Finanzdienstleistungen, 2005; Catherine Barnard, The Substantive Law of the EU, 2. Aufl. 2007; Kolja Stehl, Die Überwindung der Inkohärenz des Internationalen Privatrechts der Bank- und Versicherungsverträge, 2008.