Finanzsicherheiten: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 15:52 Uhr

von Simon Schwarz

1. Gegenstand und Zweck

Der Begriff der Finanzsicherheit geht auf die Richtlinie über Finanzsicherheiten (RL 47/2002) zurück, die der Angleichung der mitgliedstaatlichen Kreditsicherungsrechte in einem finanzwirtschaftlichen Bereich dient. Sie beweckt die Schaffung einer gemeinschaftsweit einheitlichen Regelung für die Stellung von Wertpapieren und Bankguthaben als Sicherheit in Form eines beschränkt dinglichen Rechts oder im Wege der Vollrechtsübertragung („Finanzsicherheit“, Art. 2(1)(a)-(e)); seit dem Jahr 2009 wird auch die Sicherungszession von Kreditforderungen erfasst. Ziel der auf Art. 95 EG/114 AEUV gestützten Richtlinie ist die Minimierung des mit der (grenzüberschreitenden) Verwendung von Sicherheiten verbundenen Rechtsrisikos innerhalb des europäischen Binnenmarkts. Sie dient der Stabilisierung und Integration des europäischen Finanzsystems. Denn im globalen Kapitalverkehr nimmt der Bedarf an Kreditsicherheiten und diesbezüglicher Rechtssicherheit wegen der Sorge vor systembedingten Ansteckungseffekten im Falle der der Insolvenz eines bedeutenden Marktteilnehmers stetig zu.

Die Finanzsicherheiten-RL ist wichtiger Teil des acquis communautaire im Bereich des Kapitalmarktrechts und des Bankrechts. Zugleich repräsentiert sie eine der wenigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Harmonierung des materiellen Sachenrechts, namentlich des Rechts der Mobiliarsicherheiten und der Abtretung. Aus diesem Grund hat die RL 47/ 2002 eine über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinausweisende Bedeutung für das europäische allgemeine Zivilrecht. Schließlich ist sie wegen ihrer kollisionsrechtlichen Vorschrift dem europäischen internationalen Privatrecht zuzurechnen. Die Richtlinie steht in engem sachlichen Zusammenhang mit anderen finanzmarktbezogenen Rechtsakten, insbesondere der Richtlinie über Zahlungs-, Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssysteme (Finalitäts-RL) (RL 26/1998), der Insolvenz-VO (VO 1346/2000; Insolvenz, grenzüberschreitende), der Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten (RL 24/2001), der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (RL 39/2004) nebst Durchführungs-RL (RL 73/2006) sowie den kreditbezogenen Eigenkapital-RL (RL 48/2006, RL 49/2006).

Die Finanzsicherheiten-RL lässt sich inhaltlich in fünf Abschnitte unterteilen: Anwendungsbereich und Definitionen (Art. 1, 2), materielles Kreditsicherungsrecht (Art. 3‑6), materielles Insolvenzrecht (Art. 7, 8), Kollisionsrecht (Art. 9), Schlussbestimmungen (Art. 10-13).

2. Anwendungsbereich

Dem persönlichen Anwendungsbereich wurde erhebliche Beachtung geschenkt, weil die Sonderbehandlung von Finanzsicherheiten (s.u. 3.-5.) vielfach als eine Verletzung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung angesehen wurde, die zu weitgehend masselosen Insolvenzverfahren für allgemeine Gläubiger führe. Die in der Richtlinie niedergelegten Privilegien gelten nämlich nur für bestimmte Sicherungsparteien, bei denen es sich vornehmlich um Teilnehmer des Interbankenverkehrs handelt (Art. 1(2)(a)-(d)). Zwar werden grundsätzlich auch sonstige Unternehmen erfasst, falls deren Vertragspartner ein professioneller Finanzmarktteilnehmer ist (Art. 1(2)(e)). Diesbezüglich konnten die Mitgliedstaaten jedoch eine opt out-Möglichkeit ausüben (Art. 1(3)). Hiervon hat ein Mitgliedstaat vollständig und fünf weitere teilweisen Gebrauch gemacht, während zehn Staaten ihre Umsetzungsgesetze umgekehrt sogar auf nicht von der Richtlinie erfasste Bereiche des allgemeinen Rechtsverkehrs erweiterten haben. Dadurch ist ein nicht unerhebliches Harmonisierungsgefälle entstanden (KOM(2006) 833 endg.).

Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf Abreden aller Art, welche die Stellung von Bankguthaben oder Finanzinstrumenten (nahezu alle handelbaren Kapitalmarkttitel, Art. 2(1)(e)) als Sicherungsgut oder zur anderweitigen Deckung einer Verbindlichkeit zum Gegenstand haben. Dies gilt unabhängig von der konkret gewählten sachenrechtlichen Konstruktion (beschränkt dingliches Recht, Vollrechtsübertragung). Entscheidend ist allein der wirtschaftlich verfolgte Zweck der Kreditsicherung, so dass etwa auch Wertpapierpensionsgeschäfte (repos) erfasst werden (Art. 2(2)(b), (c)). Dieser funktionale Ansatz soll vor allem die Gefahr einer Umdeutung von Sicherungseigentum in ein Pfandrecht (das wegen Form- oder Verfahrensmängeln unwirksam sein könnte) durch das anwendbare nationale Recht verhindern (Erwägungsgrund 13).

3. Materielles Kredit­sicherungsrecht

Nach der Richtlinie gilt die Finanzsicherheit als wirksam bestellt, sobald sie dem Sicherungsnehmer geliefert, im Wege des Effektengiros auf einem Depotkonto gutgeschrieben oder ihm auf sonstige Weise Besitz oder „Kontrolle“ verschafft wurde (Art. 2(2)), und diese Bestellung schriftlich oder elektronisch nachgewiesen werden kann (Art. 1(5), 2(3), 3(2)). Weitere Formerfordernisse dürfen gemäß Art. 3(1) vom mitgliedstaatlichen Recht nicht vorgesehen werden (Registereintrag, Ausfertigung bestimmter Dokumente). Bemerkenswert hieran ist erstens, dass der Begriff der „Kontrolle“ als Funktionsäquivalent zum traditionellen Rechtsinstitut des Besitzes in das europäische Recht eingeführt wird. Dies entspricht modernen internationalen Entwicklungstendenzen (etwa Uniform Commercial Code, UNCITRAL Legislative Guide Secured Transactions). „Kontrolle“ liegt in der Regel vor, wenn sich der den Vermögensgegenstand verwaltende Intermediär (auch ohne Umbuchung) dazu verpflichtet, nur noch den Verfügungsanweisungen des Gläubigers Folge zu leisten. Zweitens wird in Art. 2(2) der Verfügungsmodus „Depotgutschrift“ für „im Effektengiro übertragbare Wertpapiere“ (Art. 2(1)(g)) anerkannt. Auch dies korrespondiert mit der internationalen Rechtsentwicklung (Verwahrung (Wertpapiere)). Nach der in diesem Zusammenhang ferner zu beachtenden Finalitäts-RL darf ein entsprechender Umbuchungsauftrag im Interbankenverkehr nicht mehr widerrufen werden, sobald er in ein Lieferungssystem eingestellt und von diesem als endgültig qualifiziert wurde (Art. 5 RL 26/1998). Ergänzend sei erwähnt, dass der Abschnitt über Mobiliarsicherheiten des Draft DCFR Intermediär-verwahrte Wertpapiere auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Finanzsicherheiten-RL erfasst (Art. IX.-1:201 (7), (8)). Die Drittwirkung von Sicherungsrechten wird dort ebenfalls von der „Kontrolle“ des Sicherungsgläubigers abhängig gemacht (Art. IX.-3.204).

Als Folge des funktionalen Ansatzes schreibt die Richtlinie den Mitgliedstaten vor, auch solche Sicherungsgeschäfte als wirksam zu behandeln, die im Wege der Vollrechts- oder Eigentumsübertragung vollzogen werden (Art. 6). Da die meisten Rechtsordnungen das Rechtsinstitut der Sicherungsübereignung nicht anerkennen und einige auch die Sicherungszession im Kontext des allgemeinen Zivilrechts bisher teilweise ablehnen (z.B. Frankreich, Italien, Niederlande), stellt diese Bestimmung für manche Mitgliedstaaten ein Novum dar. Die RL 47/ 2002 überwindet insofern also traditionelle nationale Regelungsstrukturen und könnte wegweisend für ein allgemeines europäisches Sachenrecht sein.

Eine weitere Neuerung folgt aus Art. 4. Danach kann sich der Gläubiger in Bezug auf das Sicherungsgut ein einseitiges Aneignungsrecht einräumen lassen, welches im Sicherungsfall ohne vorherige Androhung oder sonstige Maßnahme unmittelbar ausgeübt werden kann (Art. 4(1)-(4)). Vor der Richtlinienumsetzung haben praktisch alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen derartige Verfallklauseln zudem aus Schuldnerschutzgründen für unzulässig erklärt. Das Verbot des pactum commissorium lässt sich bis ins römische Recht zurückverfolgen (C. 8, 34,3). Den Mitgliedstaaten wurde daher zunächst eine opt out-Möglichkeit zugebilligt (Art. 4(3)), die jedoch in keiner Umsetzungsmaßnahme genutzt und deshalb gestrichen wurde (KOM (2008) 213 endg., Art. 2 RL 44/2009).

Eine letzte Innovation basiert auf Art. 5. Diese Norm ermöglicht es den Parteien, dem Gläubiger für die Laufzeit der Sicherungsabrede ein umfassendes „Verfügungs-“ (deutsche Sprachfassung) bzw. „Gebrauchsrecht“ (Mehrzahl der Sprachfassungen) in Bezug auf die gestellten Finanzsicherheiten zu gewähren (hierzu Art. 19 RL 73/ 2006). Der Sicherungsnehmer darf dann die an ihn verpfändeten Vermögensgegenstände zur Refinanzierung seinerseits belasten oder wie ein Eigentümer veräußern (Art. 5(1), 2(1)(m)) und muss nicht mehr dieselbe Sache, sondern lediglich gattungsgleiche Finanzaktiva an den Sicherungsnehmer zurückführen (Art. 5(2)(I)) (pignus irregulare). Gegebenenfalls darf er seine Rückführungspflicht sogar mit der gesicherten Verbindlichkeit aufrechnen (Art. 5(2)(II)). Die europaweite Anerkennung dieser als rehypothecation bekannten Marktpraxis soll vor allem die Marktliquidität erhöhen. Wirtschaftlich betrachtet führt das Nutzungsrecht zu einem Hybrid zwischen Übereignung und klassischem Pfand.

4. Materielles Insolvenzrecht

Die Finanzsicherheiten-RL stellt die von ihr erfassten Sicherungsgüter von wichtigen Regelungen der nationalen Insolvenzrechte frei (Art. 4(5), 7(1), 8). Vor allem soll das für das Risikomanagement der Finanzmarkteilnehmer zentrale close out netting („Aufrechnung infolge Beendigung“, Art. 2(1)(n)) insolvenzrechtlich geschützt werden (Art. 7(1)), da in manchen Rechtsordnungen Forderungen gegenüber einer insolventen Vertragspartei nicht ohne Weiteres aufgerechnet werden können (z.B. Griechenland, Spanien, teilweise Luxemburg). Beim close out netting handelt es sich um die Abrede, alle vereinbarten, aber noch nicht fälligen Verbindlichkeiten und Forderungen zwischen den Sicherungsparteien im Falle der Insolvenz miteinander zu verrechnen und nur den Nettosaldo auszugleichen, wodurch das jeweilige Kreditrisiko erheblich verringert wird (Erwägungsgrund 14). Eine weitere insolvenzrechtliche Privilegierung der Finanzsicherheit folgt aus Art. 8. Danach darf sie nicht deshalb für unwirksam erklärt werden, weil sie erst am Tag der Eröffnung des Liquidationsverfahren oder kurz davor bestellt wurde (Art. 8(1)-(3)). Allerdings bleiben die nationalen Vorschriften zur Insolvenzanfechtung unberührt (Art. 8(4), auch Art. 4(2)(m), 5(4) VO 1346/2000).

Die genannten Vorschriften ergänzen die Prinzipien der Finalitäts-RL, die der Verhinderung von Dominoeffekten innerhalb von Zahlungs- bzw. Wertpapierlieferungssystemen aufgrund der Insolvenz eines Teilnehmers dienen. Zu diesem Zweck erfordert die RL 26/98 die insolvenzrechtliche Anerkennung der Unwiderruflichkeit von in das System eingestellten Übertragungsaufträgen nebst der systeminternen gegenseitigen Verrechnung (netting) (Art. 3, 5). Zudem dürfen sich Insolvenzverfahren über einen Systemteilnehmer nicht rückwirkend auf dessen Rechte und Pflichten aus der Systembeteiligung auswirken (Abschaffung sog. zero hour rules einiger nationaler Insolvenzrechte, Art. 8).

5. Erweiterung auf Kreditforderungen

Aufgrund der RL 44/2009 zur Änderung der RL 26/1998 und der RL 47/2002 erstrecken sich die vorgenannten Regelungen (mit Ausnahme des Nutzungsrechts, Art. 5(6) n.F.) nunmehr auch auf bestimmte Darlehensforderungen (Art. 1(4)(a) n.F.).

Im Zentrum der Neufassung steht die Abschaffung formaler Hürden für die wirksame Verpfändung und effektive Verwertung von „Kreditforderungen“ (Art. 2(1)(o) n.F.). Letztere werden seit dem 1.1.2007 von der Europäischen Zentralbank als Sicherungsgut zur Absicherung von Kreditgeschäften im Eurosystem akzeptiert. Für die Wirksamkeit einer entsprechenden (Sicherungs‑)Abtretung verlangen einige Staaten einen besonderen Publizitätsakt, etwa die Registrierung (z.B. Belgien, Griechenland, Spanien) oder die Mitteilung an den Schuldner (z.B. Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Frankreich), während andere auf vergleichbare Regelungen verzichten (z.B. Deutschland). Nach dem Kommissionsentwurf sollten derartige Publizitätsanforderungen auf Kreditforderungen nicht mehr angewendet werden dürfen (Art. 3(1)(II) KOM(2008) 213 endg.). Der Vorschlag sollte also auch im Zessionsrecht zur Harmonisierung jenseits nationaler Traditionen führen (Abtretung). Indes hat sich das Europäische Parlament für eine Beibehaltung nationaler Formvorschriften für die Zwecke der Wirkung gegenüber dem Drittschuldner und Dritten ausgesprochen. Im Ergebnis wurde lediglich eine Überprüfungspflicht nach fünf Jahren aufgenommen (Art. 3(1)(III) n.F.). Die allgemeinen Regeln der PECL und des DCFR verlangen zur Rangsicherung grundsätzlich ebenfalls eine Mitteilung an den Schuldner (Art. 11:401 PECL bzw. Art. III.-5:121 DCFR); allerdings nimmt der DCFR Sicherungsgeschäfte von diesem Erfordernis explizit aus (Art. IX.-2:301(2)).

Darüber hinaus kann der Sicherungswert von Kreditforderungen vertraglich erheblich aufgewertet werden: Der Schuldner der Kreditforderung (Drittschuldner) kann schriftlich auf etwaige Aufrechungsmöglichkeiten gegenüber seinem Gläubiger (dem Sicherungszedenten) und jedem zukünftigen Sicherungszessionar verzichten (Art. 3(3)(i) n.F.). Ferner kann der Drittschuldner eine schriftliche Verzichtserklärung hinsichtlich seiner aus dem Bankgeheimnis erwachsenden Rechte abgeben (Art. 3(3)(ii) n.F.). Hierdurch kann der Gläubiger die zum Zwecke der Refinanzierung notwendigen Informationen an Dritte übermitteln. Diese Vorschriften lassen die im Verbraucherkreditrecht der Gemeinschaft verbürgten Rechte des Verbrauchers unberührt (Art. 3(3), 9a n.F.).

6. Internationales Privatrecht

Das internationale Privatrecht der Wertpapiere unterscheidet zwischen dem Wertpapierrechtsstatut (Hauptstatut) und dem Wertpapiersachstatut. Ersteres regelt, welche Normen auf Art und Umfang des verbrieften (bzw. durch Registereintrag repräsentierten) Rechts anzuwenden sind. Letzterem ist zu entnehmen, welche dinglichen Rechte an dem Wertpapier als Sache bestehen und wie diese Berechtigungen übertragen werden können; es entscheidet also über die sachenrechtliche Zuordnung des Vermögensgegenstandes. Während das Wertpapierrechtsstatut vom Typus des Rechts abhängt (lex societatis für Mitgliedschaftsrechte (Gesellschaftsrecht, internationales), lex contractus für Forderungen (Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR))), folgt das Wertpapiersachstatut traditionell der Anknüpfung an den Belegenheitsort der Sache (Urkunde/Register) (lex rei sitae bzw. lex cartae/libri sitae (Sachenrecht, internationales).

Heute halten Anleger ihre Finanzinstrumente physisch allerdings nicht mehr selbst, sondern lassen sie über Intermediäre (Depotbanken) bei Zentralverwahrern dauerhaft drittverwahren (hierzu Art. 17 RL 73/2006). In diesem mediatisierten Verwahrungssystem vollziehen sich Verfügungen faktisch nur noch durch Depotkontobuchungen (Verwahrung (Wertpapiere)). Auf modernen Finanzmärkten bereitet das Konzept der lex rei sitae daher erhebliche Schwierigkeiten. Denn der tatsächliche Aufbewahrungsort der Urkunde ist weitgehend zufällig und lässt sich bei international gehandelten Titeln aufgrund mehrerer Verwahrungsorte in unterschiedlichen Ländern oft nicht eindeutig feststellen. Im Rahmen der (Sicherungs‑)Übertragung international diversifizierter Portfolios beruft die Belegenheitsanknüpfung zudem mehrere Sachenrechte nebeneinander und verursacht daher hohe Transaktionskosten.

Aus diesen Gründen sieht die Finanzsicherheitenrichtlinie für „im Effektengiro übertragbare Wertpapiere“ (book entry securities, instruments financiers transmissibles par inscription en compte, Art. 2(2)(g)) eine buchungsbezogene Anknüpfung vor, die als Place of the Relevant Intermediary Approach (PRIMA) bezeichnet wird und im Wesentlichen bereits in früheren Rechtsakten verwendet wurde (Art. 9(2) RL 26/1998, Art. 24 RL 24/2001). In Bezug auf die Rechtsnatur und die dingliche Wirkung von Depotgutschriften sowie deren Übertragung, Verpfändung und Verwertung (Art. 9(2)) verweist die RL 47/2002 auf das Recht des Landes, „in dem das maßgebliche Konto geführt wird“ (Art. 9(1)). Als maßgebliches Konto wird das Depotkonto (Register) definiert, auf dem die maßgebliche Buchung (der Eintrag) erfolgt, aufgrund deren der Sicherungsnehmer die Sicherheit erlangt (Art. 2(2)(h)). Die Übertragung von Finanzinstrumenten wird damit an das Konto des Empfängers angeknüpft. Ausdrückliche Regelungen zur Lokalisierung des Kontos oder zu Prioritätskonflikten bei Mehrfachverfügungen wurden nicht getroffen; eine Rechtswahl ist unzulässig.

Zum Insolvenzkollisionsrecht enthält die Richtlinie keine eigene Regelung, insoweit gelten die allgemeinen Regeln (Insolvenz, grenzüberschreitende). Grundsätzlich ist die lex concursus maßgeblich. Rechte und Pflichten aus der Teilnahme an einem Abwicklungssystem oder einem Finanzmarkt werden dem für das System bzw. den Markt maßgeblichen Recht unterworfen, ohne diesbezüglich ein Anknüpfungsmoment zu benennen (Art. 8 RL 98/1998, Art. 9(1) VO 1346/2000). Dingliche Rechte bleiben von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt (Art. 8(1) RL 98/1998, Art. 5(1) VO 1346/2000, Art. 8(1)-(3) RL 47/2002).

7. Projekte des Einheitsrechts

Auf dem Gebiet des Sachrechts hat UNIDROIT eine Draft Convention on Substantive Rules regarding Intermediated Securities ausgearbeitet, die im Oktober 2009 in Genf angenommen werden soll. Sie betrifft die Harmonisierung des materiellen Rechts Intermediär-verwahrter Wertpapiere (Verwahrung (Wertpapiere)). Weitgehend im Einklang mit der RL 47/2002 ermöglichst der Entwurf eine wirksame Verpfändung im Wege der Gutschrift im Depot des Sicherungsnehmers (Art. 11(4)). Des Weiteren genügen eine Kontrollvereinbarung oder ein Sperrvermerk zugunsten des Sicherungsnehmers, sofern die Vertragsstaaten eine dahingehende Erklärung abgegeben haben (Art. 12(1)). Wegen dieses opt in-Vorbehalts bleibt der Harmonisierungsgrad der Konvention hinter demjenigen der europäischen Regeln zurück. Weitere zentrale Regelungsgegenstände der Finanzsicherheiten-RL werden in einem insgesamt nur optionalen Kapitel über Sicherungsgeschäfte behandelt (Art. 31-38, z.B. Aneignungs- und Nutzungsrecht, Anerkennung von close out netting).

Für das Kollisionsrecht liegt mit dem 2002 von der Haager Konferenz für IPR verabschiedeten Haager Wertpapierübereinkommen vom 5.6. 2006 (HWpÜ) bereits ein einheitsrechtliches Regelungswerk vor, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist und nur von drei Staaten gezeichnet wurde (USA, Schweiz, Mauritius). Es regelt die Anknüpfung aller dinglichen Rechtsfragen betreffend die Depotverbuchung von Finanzinstrumenten, insbesondere deren Rechtsnatur und Übertragung (Art. 2(1), (2)). In Abweichung von der rein objektiven PRIMA Regel des europäischen Rechts, stellt das HWpÜ primär auf das von den Parteien der maßgeblichen Kontovereinbarung gewählte Recht ab (Art. 4(1)(1)), jedoch nur, falls der maßgebliche Intermediär in dem Staat eine Geschäftsstelle unterhält (Art. 4 (1)(2)). „Maßgeblich“ ist der Intermediär, der das Depotkonto für den Depotinhaber führt (Art. 1 (1)(g)). Dabei ist umstritten, ob es sich hierbei um den Intermediär des Veräußerers, des Empfängers oder um eine gespaltene Anknüpfung (jeder Intermediär ist relevant, h.M.) handelt. Nach den Materialien ist die akzessorische Anknüpfung an das im Depotvertrag gewählte Recht dem Umstand geschuldet, dass Depotkonten weder materialisiert sind, noch vereinheitlichte Ländercodes (wie die IBAN für Geldkonten) existieren, weshalb sich insbesondere Konten global agierender Investoren nur schwer lokalisieren ließen. Damit eröffnet das HWpÜ im Grundsatz zwar eine (beschränkte) Rechtswahl auch für dingliche Fragestellungen. Es handelt sich indes nicht um Parteiautonomie im klassischen Sinne, weil nicht die Verfügungsparteien das anwendbare Recht bestimmen, sondern auf einen Vertrag mit einem Dritten verwiesen wird. Eine nachträgliche Änderung der dort getroffen Wahl ist Dritten gegenüber unbeachtlich (Art. 7). In Ermangelung einer depotvertraglichen Rechtswahl stellt Art. 5 eine objektive Anknüpfungskaskade zur Verfügung, die jeweils beim maßgeblichen Intermediär ansetzt (schriftlich identifizierte Geschäftsstelle des Vertragsschlusses, Gründungsstatut, Hauptsitz). Die Lösungen des HWpÜ stimmen nicht mit dem Modell der Richtlinien überein. Die Kommission hatte sich dennoch für die Zeichnung des Übereinkommens durch die EG (Außenkompetenzen der EG) und eine Änderung der Richtlinien ausgesprochen (KOM(2003) 783 endg., SEC(2006) 910 endg.). Hiergegen wurde von einigen Mitgliedstaaten massiver Widerstand geäußert, weshalb eine Ratifikation durch die Gemeinschaft nicht weiter verfolgt (SEC(2008) 491 endg.), sondern eine Überarbeitung der geltenden Lösungen überprüft wird.

Literatur

François T’Kint, Werner Derijke, La directive 2002/47/CE concernant les contrats de garantie financière au regard des principes généraux du droit des sûretés, Euredia 2003, 41 ff.; Katarina Kollmann, Zur Umsetzung der Richtlinie 2002/47/EG vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten in das deutsche Recht, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2004, 1012 ff.; Roy Goode, Hideka Kanda, Karl Kreuzer, Explanatory Report on the Hague Convention on the Law Applicable to Certain Rights in Respect of Securities held with an Intermediary, 2005; Thomas Keijser, Financial Collateral Arrangements, 2006; Stefan Saager, Effektengiroverkehr und Internationals Privatrecht, 2007; James Steven Rogers, Conflict of Laws for Transactions in Securities Held Through Intermediaries, Cornell International Law Journal 39 (2006) 285 ff.; Klaus Löber, Ewa Klima, The implementation of Directive 2002/47 on Financial Collateral Arrangements, Journal of International Banking Law and Regulation 2006, 203 ff.; Dorothee Einsele, Security Interests in Financial Instruments, in: Horst Eidenmüller, Eva-Maria Kieninger (Hg.), The Future of Secured Credit in Europe, 2008, 350 ff.; Louise Gullifer, Goode on Legal Problems of Credit and Security, 4. Aufl. 2008, Rn. 6-34 ff; Peter von Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, in: Peter Derleder, Kai-Oliver Knops, Heinz Georg Bamberger (Hg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 75

Abgerufen von Finanzsicherheiten – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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