Versprechen und Vertikalvereinbarungen im EG‑Kartellrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Martin Illmer]]''
von ''[[Reinhard Ellger]]''
== 1. Begriff und Gegenstand ==
== 1. Begriff und Funktion von Vertikalvereinbarungen  ==
Das Versprechen ist ein Grundbegriff der Rechtsgeschäftslehre ([[Rechtsgeschäft]]) und des allgemeinen Rechts der vertraglichen Schuldverhältnisse.
Die in Art. 81 ff. EG/101 ff. AEUV enthaltenen Wettbewerbsregeln, die den Kern des europäischen Wettbewerbsrechts bilden, haben den umfassenden Schutz des Wettbewerbs als einer der wesentlichen Grundbedingungen einer freien Marktwirtschaft im [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]] zum Ziel. Dabei wendet sich Art. 81 EG/101 AEUV gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die Bildung von Kartellen ([[Kartellverbot und Freistellung]]), die im Wege von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen bzw. durch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen bewirkt werden. Naturgemäß stehen dabei wettbewerbsbeschränkende Abreden zwischen Wettbewerbern im Vordergrund der kartellrechtlichen Betrachtung, weil durch sie in unmittelbarer und schwerwiegender Weise die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt beeinträchtigt oder beseitigt werden kann. Wettbewerbsbeschränkende Zwecke und Wirkungen können daneben aber auch mit Vereinbarungen verbunden sein, die nicht zwischen Wettbewerbern, sondern zwischen Angehörigen unterschiedlicher Produktions- oder Handelsstufen abgeschlossen werden. Dementsprechend definiert Art. 2(1) der VO 2790/1999 für Vertikalvereinbarungen dieselben als „Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- und Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.


Zentral ist die Frage, ob ein einseitiges Versprechen den Versprechenden verpflichten und damit ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis begründen kann (Versprechensprinzip) oder ob dies nur der Vertrag vermag (Vertragsprinzip). Praktische Bedeutung hat die Frage für solche, auf eine Verpflichtung zielende Rechtsgeschäfte, die an sich keine Wechselseitigkeit erfordern, da es nicht um den Austausch von Leistungen geht. Dies betrifft insbesondere die Auslobung und [[unentgeltliche Geschäfte]], etwa die [[Schenkung]]. Zwängt man sie ins Vertragskorsett oder erkennt man das einseitig verpflichtende Versprechen neben dem Vertrag an? Die Frage stellt sich aber auch für den [[Vertrag zugunsten Dritter]] (aus Sicht des Dritten) und für den Verzicht ([[Erlass einer Forderung|Erlass]]).
Vertikale Vereinbarungen in diesem Sinne sind vor allem Vertriebsvereinbarungen ([[Vertrieb]]), die Hersteller mit Unternehmen der Vertriebsstufe wie Groß- oder Einzelhändlern abschließen, die dann die Vermarktung der Produkte bis hin zum Endverbraucher übernehmen. Als vertikale Vereinbarungen sind aber auch Verträge zu qualifizieren, die der Hersteller eines Produktes mit einem Lieferanten über den Verkauf einer Ware abschließt, die der Käufer als Einsatzstoff für sein eigenes Produkt verwendet (''industrial supply''). Vertriebsvereinbarungen sind für die Versorgung der Bevölkerung im europäischen Binnenmarkt von außerordentlicher Bedeutung, weil sich die Hersteller von Waren in großem Umfang des Handels bedienen, um Vertriebskanäle zu den Endverbrauchern zu schaffen. Nach Angaben der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] waren im Jahr 2003 ca. 15&nbsp;% aller Erwerbstätigen in der Gemeinschaft im Handel tätig. Im Groß- und Einzelhandelsbereich betätigten sich 5,5 Mio. Unternehmen, deren Wertschöpfung sich auf EUR 880 Mrd. und damit immerhin 13&nbsp;% der Gesamtwertschöpfung der Gemeinschaft belief. Daher überrascht es nicht, wenn die Kommission den Handel als „einen Schlüssel für das Funktionieren des Binnenmarktes“ bezeichnet, wobei die Händler nicht nur den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen an die Endverbraucher kanalisieren, sondern auch Informationen über Änderungen von Nachfragestruktur und Geschmackstrends an die Hersteller weiterleiten (Europäische Kommission, <nowiki>http://ec.europa.eu/internal_market/services/brs/distri-trades_de.htm</nowiki> <nowiki> [letzter Zugriff am 15.7.2009] </nowiki>). Soweit die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern lediglich Preis und Menge der abzusetzenden Waren oder Dienstleistungen festlegen, weisen die Vertikalvereinbarungen in aller Regel keine wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auf. Solche Wirkungen können jedoch dann auftreten, wenn durch die Vereinbarung dem Lieferanten oder dem Abnehmer Beschränkungen auferlegt werden, die über die genannten Abreden hinausgehen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Lieferant einem Händler einräumt, für ein bestimmtes Gebiet die Waren des Lieferanten allein zu vertreiben (Alleinvertriebsvereinbarung). Dadurch werden andere Händler daran gehindert, Waren des Herstellers in dem Gebiet des Alleinhändlers zu vertreiben. Wettbewerbsbeschränkend wirken auch Vereinbarungen, durch die sich ein Händler verpflichtet, bestimmte Waren ausschließlich bei einem einzigen Lieferanten zu beziehen (Alleinbezugsverpflichtung). Dadurch wird der Händler gehindert, die Waren aus anderen, möglicherweise preiswerteren Bezugsquellen zu beziehen. Andererseits können vertikale Beschränkungen nicht nur negative, sondern durchaus auch positive Auswirkungen mit sich bringen. So kann eine Alleinvertriebsvereinbarung dazu dienen, dass konkurrierende dritte Händler sich nicht an die Werbeinvestitionen des Alleinhändlers anhängen (''free-rider''-Problem) oder das Erpressungspontial vermindert wird, das sich aus kundenspezifischen Investitionen einer Partei ergibt (''hold-up''-Problem). Auch kann die Alleinstellung den Händler veranlassen, sich intensiver auf die Vertriebsanstrengungen und die Marktbearbeitung zu konzentrieren, als dies der Fall wäre, wenn er mehrere Hersteller mit gleichen oder ähnlichen Produkten zu vertreten hätte.


== 2. Historische Entwicklung ==
Demgemäß ist eine Vertikalvereinbarung nach Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV verboten, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Markes bezweckt oder bewirkt und dazu geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. In der Anfangszeit der Anwendung der Wettbewerbsregeln des (damaligen) EWG-Vertrages war es zunächst umstritten gewesen, ob der wortgleiche Vorgänger des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV Vertikalvereinbarungen überhaupt erfasst. Dies hat der EuGH in einer seiner ersten Entscheidungen zu den Wettbewerbsregeln des Vertrages eindeutig festgestellt: Da der Vertrag ganz allgemein von der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs spreche, sei es nicht angängig hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV auf horizontale und vertikale Vereinbarungen Unterscheidungen zu treffen, wo der Vertrag dies nicht tue (EuGH verb. Rs.&nbsp;56 und 58/64 – ''Consten und Grundig'', Slg. 1966, 322, 387). Diese Auffassung ist später in mehreren Entscheidungen des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz bestätigt und nicht mehr in Zweifel gezogen worden.
=== a) Römisches Recht ===
Das frühe Grundmodell des römischen Vertragsrechts war der einseitig verpflichtende Vertrag der ''stipulatio''. Er bestand aus der an eine bestimmte Form geknüpften Frage des Gläubigers an den Schuldner, etwas zu tun oder zu unterlassen, und der ebenfalls an eine bestimmte Form geknüpften bejahenden Antwort in Form eines Versprechens. Obwohl das Versprechen der zentrale Bestandteil der ''stipulatio'' war, begründete es für sich genommen keine Verpflichtung des Versprechenden. Da die Frage des Gläubigers Ausgangspunkt der Vertragsanbahnung war, war aus Sicht des versprechenden Schuldners das jeweilige Versprechen durch die vorangegangene Frage bereits angenommen.


Neben der ''stipulatio'', deren mündliche Form zunehmend durch eine Schriftform (der Austausch der Spruchformeln wurde beurkundet) ersetzt worden war, gewannen formfreie Verträge immer mehr an Bedeutung (ursprünglich waren nur Kauf, Werk-, Dienst- und Mietvertrag, Auftrag und Gesellschaft als formfreie Konsensualverträge anerkannt). Der bis dahin geltende Grundsatz ''ex nudo pacto non oritur actio'' wurde zunehmend durchbrochen. Die Grenze zwischen ''contractus'' (klagbar) und ''pactum'' (ursprünglich nicht klagbar) verlor schrittweise an Bedeutung. Als Ausgleich für den Verzicht auf eine bestimmte Form trat der Konsens als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses und der aus ihm erwachsenden wechselseitigen Erfüllungsansprüche in den Vordergrund.
Wettbewerbspolitisch wird die Gefährlichkeit vertikaler Beschränkungen für den Wettbewerb geringer eingeschätzt als das Risiko, das durch horizontale Wettbewerbsbeschränkungen verursacht wird. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Konkurrenten behindern den Markenwettbewerb (d.h., den Wettbewerb zwischen Produkten verschiedener Hersteller, sog. ''inter-brand competition''), führen tendenziell zu höheren Preisen und reduzieren die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher. Demgegenüber engen Vertikalbeschränkungen den Wettbewerb zwischen den Händlern derselben Marke ein (markeninterner Wettbewerb, ''intra-brand competition''). Bei Vertikalvereinbarungen ist das Produkt der einen Seite das Einsatzgut der anderen Partei. Dies führt dazu, dass die Ausübung von Marktmacht ([[Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung]]) auf dem vorgelagerten oder dem nachgelagerten Markt, die in der Vertikalbeschränkung zum Ausdruck kommt, die Nachfrage des auf dem jeweils anderen Markt tätigen Unternehmens beeinträchtigt. Daher hat dieses Unternehmen regelmäßig einen Anreiz, solche Vertikalbeschränkungen soweit wie möglich zu verhindern. Allerdings darf dieser Anreiz auch nicht überschätzt werden. Unternehmen, die nicht über Marktmacht verfügen, können ihre Herstellungs- und Vertriebsmethoden unter Einsatz vertikaler Beschränkungen verbessern; Unternehmen mit Marktmacht können darüber hinaus ihre Gewinne zu Lasten ihrer Mitbewerber steigern indem sie deren Kosten auf dem vor- oder nachgelagerten Markt in die Höhe treiben und so Kunden auf sich ziehen (Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn.&nbsp;100&nbsp;f.). Die negativen Wirkungen vertikaler Beschränkungen auf den Wettbewerb lassen sich wie folgt zusammenfassen: sie können zur Errichtung von Marktzutrittsschranken verwendet werden, die zum Ausschluss anderer Lieferanten bzw. Erwerber von Produkten führen. Weiterhin können Vertikalbeschränkungen zur Verringerung des Markenwettbewerbs und zur Kollusion zwischen Lieferanten und zwischen Käufern beitragen. Eine zentrale negative Wirkung vertikaler Beschränkungen besteht in der Verringerung des ''intra-brand''-Wettbewerbs. Schließlich können vertikale Beschränkungen, etwa in der Form von Alleinvertriebsvereinbarungen oder von Alleinbezugsverpflichtungen, zur territorialen Segmentierung von Märkten führen und die Verbraucher daran hindern, von den Vorteilen des Binnenmarktes Gebrauch zu machen.


Im Gegensatz zur ''stipulatio'' und den Konsensualverträgen begründete das formfreie einseitige Versprechen kein Schuldverhältnis. Die einzige Ausnahme hiervon war das einseitig verpflichtende Versprechen einer Leistung zum öffentlichen Nutzen an eine Gemeinde, die sogenannte ''pollicitatio''. Dementsprechend findet sich in den Digesten (Ulp. D.&nbsp;50,12,3) die Unterscheidung zwischen dem auf Konsens beruhenden Vertrag (''pactum est duorum consensus atque conventio'') und dem einzigen einseitigen Versprechen, das den Versprechenden auch ohne Annahme verpflichtete (''pollicitatio vero offerentis solius promissum''). Damit war das Vertragsprinzip bereits im römischen Recht angelegt.
Andererseits sind bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung vertikaler Beschränkungen aber auch deren positive Wirkungen zu bedenken, die – bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/ 101(3) AEUV oder der einschlägigen [[Gruppenfreistellungsverordnungen]] – eine Freistellung vom Verbot des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV rechtfertigen können. So können vertikale Beschränkungen zu einer Förderung anderer Formen der Konkurrenz als des Preiswettbewerbs führen, etwa zu einer Verbesserung von Kundendienst-, Service- und Beratungsleistungen bei technisch anspruchsvollen Waren wie der Unterhaltungselektronik. Auch können Vertikalvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen zur Erschließung neuer Märkte beitragen, wie z.B. Alleinvertriebsverträge und ''Franchise''-Vereinbarungen (''[[Franchising]]'').


=== b) Spätscholastik und Naturrecht ===
Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV differenziert zwischen Vereinbarungen, die Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken und solchen, die Wettbewerbsbeschränkungen bewirken. Wird durch eine Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist sie nach Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV verboten, ohne dass es auf die tatsächliche Auswirkung auf den Wettbewerb auf dem relevanten Markt ankäme. Dabei ist auf den (objektiven) Zweck der Maßnahme selbst abzustellen, nicht auf die (subjektiven) Absichten und Motive der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen; erforderlich ist allerdings noch, dass die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist. Sie muss folglich geeignet sein, den Wettbewerb zu beschränken. Vereinbarungen, die Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken, sind vor allem die sogenannten Kern- oder ''hard-core''-Beschränkungen, im Bereich der Vertikalvereinbarungen etwa die Preisbindung der zweiten Hand oder die Einräumung absoluten Gebietsschutzes für die Abnehmer von Waren, weil dadurch der markeninterne Wettbewerb beschränkt wird. Ebenso wie Maßnahmen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken, untersagt Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkungen aufweisen. Bei ihnen ist die Auswirkung der Maßnahme auf die Verhältnisse auf dem relevanten Produktmarkt gesondert zu untersuchen. In diesem Zusammenhang kommt es insbesondere auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit an: eine Vereinbarung unterfällt nur dann dem Verbotstatbestand des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV, wenn sie spürbare Auswirkungen auf den relevanten Markt aufweist. In ihrer ''De Minimis-''Bekanntmachung hat die Kommission festgelegt, dass vertikale Vereinbarungen den Wettbewerb nicht spürbar beschränken, wenn der von jedem beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil auf keinem der betroffenen relevanten Märkte mehr als 15&nbsp;% beträgt. Bei der kartellrechtlichen Beurteilung vertikaler Vereinbarungen reicht es nicht immer aus, nur die Wirkungen einer einzelnen, isolierten Vereinbarung zu erfassen, sondern auch die Auswirkungen ganzer Vertragsnetze sind zu berücksichtigen. So mag eine einzelne Vereinbarung, z.B. ein Bierlieferungsvertrag zwischen einer Brauerei und einem Gastwirt, für sich genommen ohne nennenswerte Auswirkungen auf den relevanten Markt sein; ist die Vereinbarung jedoch Teil eines den gesamten Markt kennzeichnenden Gesamtsystems gleichartiger Vertragsbindungen, die z.B. eine Vielzahl von Brauereien mit einer Vielzahl von Wirten abgeschlossen hat, so kann nur die Beurteilung des Gesamtsystems eine angemessene kartellrechtliche Erfassung der von ihm möglicherweise ausgehenden Marktausschlusswirkungen für Brauereien, die noch nicht auf den betreffenden Markt vertreten sind, gewährleisten. Eine Berücksichtigung gleichartiger Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen sowie Vereinbarungen Dritter ermöglicht die vom EuGH entwickelte Bündeltheorie, nach der bei der Beurteilung einzelner Vertikalvereinbarungen diese nicht aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang gelöst werden können und im Rahmen der kumulativen Auswirkungen des gesamten Vertragsnetzes zu bewerten sind (EuGH Rs.&nbsp;C-234/89 – ''Delimitis/Henninger Bräu'', Slg. 1991, I-977, 983&nbsp;ff.; EuGH Rs.&nbsp;23/67 – ''Brasserie de Haecht'', Slg. 1967, 544, 555&nbsp;f.).
Die spanischen Spätscholastiker ([[Scholastik]]) versuchten im 16.&nbsp;Jahrhundert, auf der Grundlage der philosophischen und theologischen Lehren des ''Aristoteles'' und ''Thomas von Aquin'' aus der in den Digesten vorgefundenen Kasuistik einzelner Schuldverhältnisse ein allgemeines System des Rechts der Schuldverhältnisse zu entwickeln. Dabei gingen sie vom Versprechen und der darin zum Ausdruck kommenden Treue (''fidelitas'') aus, deren Bruch eine Sünde gegen Gott darstelle.


Insbesondere ''Hugo Grotius'' griff die Konzepte der Spätscholastiker auf, entwickelte daraus jedoch ein eigenes, abweichendes Modell des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses. ''Grotius'' differenzierte zwischen der (Selbst‑)Bindungswirkung des Versprechens einerseits und seiner Verpflichtungswirkung andererseits. In jedem Versprechen liege zunächst ein Akt der (Selbst‑) Bindung, von ihm als ''pollicitatio'' bezeichnet (innerer Konsens). Erst die Abgabe des Versprechens, die ''alienatio'', sei auf die Verpflichtung des Versprechenden gegenüber dem Versprechensempfänger durch Übertragung des Versprechens (in Analogie zur Sachübertragung) gerichtet. Um eine Verpflichtung zu begründen, bedürfe dieses abgegebene Versprechen zunächst einer ''causa'' als Grundlage des Willens zur Übertragung des Versprechens. Als ''causa'' erkannte ''Grotius'' nur die Erwartung einer Gegenleistung (Austauschgeschäft) und die erlaubte Freigiebigkeit an. Für den Fall des Austauschgeschäfts sei zur Verpflichtung neben der ''causa'' in Anlehnung an das römische Recht ein äußerer Konsens zwischen den Parteien erforderlich, der durch die Annahme des Versprechens (regelmäßig verbunden mit dem Versprechen zur Gegenleistung), die ''acceptatio'', hergestellt werde. Die Verpflichtungswirkung des Versprechens war hiernach durch das Gegenversprechen bedingt. Für den Fall des auf eine unentgeltliche Leistung gerichteten einseitigen Versprechens, insbesondere für die Schenkung, waren bestimmte [[Formerfordernisse]] einzuhalten. Durch sie war sichergestellt, dass der Versprechende dem Versprechensempfänger tatsächlich ein Forderungsrecht einräumen wollte.
Die Rechtsprechung des EuGH und die Verwaltungspraxis der Kommission haben für gewisse Arten von Vertikalvereinbarungen Tatbestandsrestriktionen herausgearbeitet. So fallen etwa die sog. echten Handelsvertreterverträge, bei denen der [[Handelsvertreter]] Waren oder Dienstleistungen für den Prinzipal vertreibt oder erwirbt, ohne ein eigenes über seinen Provisionsanspruch hinausgehendes wirtschaftliches Risiko (wie z.B. geschäftsspezifische Investitionen oder die Übernahme von Lagerkosten etc.) trägt, nicht in den Tatbestand des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV. Der EuGH hat darüber hinaus selektive Vertriebssysteme in der Form der einfachen Fachhandelsbindung vom Tatbestand des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV ausgenommen. Voraussetzung ist dabei, dass das betreffende selektive Vertriebssystem nach der Beschaffenheit des Produkts erforderlich ist und die Auswahl der Wiederverkäufer allein nach qualitativen Kriterien und diskriminierungsfrei erfolgt, das System zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und insoweit im Interesse der Verbraucher liegt und schließlich nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß an Wettbewerbsbeschränkung hinausgeht (EuGH Rs.&nbsp;26/76 – ''Metro/Kommission I'', Slg. 1977, 1875, 1907&nbsp;ff.).


Somit sah ''Grotius'' abgesehen von einigen unentgeltlichen Rechtsgeschäften den sich aus wechselseitigen Versprechen zusammensetzenden Vertrag, nicht hingegen das einseitige Versprechen als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen an. Auch ''Jean Domat'','' Robert Joseph Pothier'','' Christian Thomasius'','' Samuel von Pufendorf'' und ''Christian Wolff'' folgten diesem Modell des auf einen Doppelkonsens gegründeten „translativen Versprechensvertrags“ (''Bruno Schmidlin''). Erst im späten Naturrecht (in Ansätzen bereits bei ''Thomasius'' und ''Wolff'') rückte der (äußere), sich im Vertrag konstituierende Konsens der Parteien als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses in den Vordergrund.
== 2. Erscheinungsformen vertikaler Vereinbarungen  ==
Die Erscheinungsformen der Vertikalvereinbarungen spiegeln die vielfältigen wirtschaftlichen und rechtlichen Bedürfnisse wider, die die beteiligten Unternehmen bei der Ausgestaltung der Vertriebswege vom Hersteller zum Endkunden zu befriedigen suchen. In der mehr als 50jährigen Anwendungspraxis des Art.&nbsp;81(1) EG/ 101 (1) AEUV (ex 85 EWGV) haben sich bestimmte Arten von Vereinbarungen als besonders bedeutsam und häufig vorkommend erwiesen.


== 3. Entwicklungstendenzen in den nationalen Rechtsordnungen ==
=== a) Alleinvertriebsverträge ===
=== a) Entwicklung auf dem Kontinent ===
Es handelt sich dabei um Vereinbarungen, in denen sich ein Hersteller einem Händler gegenüber verpflichtet, zum Zweck des Wiederverkaufs bestimmte Waren in einem abgegrenzten Gebiet nur an ihn zu liefern. Üblicherweise darf der Händler auch keine aktiven Verkäufe an Kunden in Gebieten vornehmen, die der Lieferant einem anderen Händler vorbehalten hat. Häufig darf auch der Hersteller selbst keine Waren an Kunden im Gebiet des Händlers veräußern. Gefahren für den Wettbewerb liegen vor allem darin, dass der markeninterne Wettbewerb beschränkt wird und eine Marktaufteilung stattfindet. Es kann zu Preisdiskriminierung kommen. Bei flächendeckender Anwendung von Alleinvertriebssystemen besteht die Gefahr der Kollusion zwischen Herstellern und Händlern. Allerdings können Alleinvertriebsvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Abreden auch positive Wirkungen aufweisen. So kann durch den Alleinvertrieb eine Verminderung der Transaktionskosten erreicht werden, indem der Lieferant seine Absatztätigkeit auf wenige Händler beschränken kann. Darüber hinaus wird sich der Alleinhändler in besonders intensiver Weise um den Absatz in dem ihm zugewiesenen Gebiet bemühen.
Mit der Aufklärung und der durch sie beeinflussten Willenstheorien setzte sich endgültig der Konsens zwischen den Parteien als alleinige Grundlage des Schuldverhältnisses durch. Die den Konsens konstituierenden Verpflichtungsversprechen, die sich systematisch noch heute in Angebot und Annahme finden, traten dabei gedanklich und systematisch immer mehr in den Hintergrund. Grundlage der Verpflichtung ist etwa bei ''Friedrich Carl von Savigny'', aber auch in der Rechtslehre ''Immanuel Kants'' („Vertrag ist der Akt der vereinigten Willkür“), nicht mehr die Übertragung des Versprechens, sondern die durch die Versprechen zum Ausdruck kommende Willensvereinigung. Nicht die Versprechen als Elemente, sondern der vereinigte Wille konstituiert den Vertrag und begründet die wechselseitigen Verpflichtungen. Die Pandektisten ([[Pandektensystem]]) griffen dieses Vertragsmodell auf und verfeinerten es (''Bernhard Windscheid'': „Der Vertrag ist nicht nur Willensübereinstimmung, sondern Willensvereinigung.“).


Die neueren Kodifikationen, insbesondere das [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]], das [[Schweizerisches Obligationenrecht|OR]] und das [[Burgerlijk Wetboek|BW]] übernahmen das pandektistische Vertragsmodell (vgl. insb. Art.&nbsp;1 OR, aber implizit auch §&nbsp;311 Abs.&nbsp;1 BGB und die Regeln über den [[Vertragsschluss]] in §&nbsp;145&nbsp;ff. BGB; ebenso heute implizit Art.&nbsp;6:213 BW). Dagegen spiegeln die frühen europäischen [[Kodifikation]]en, insbesondere Art. 1101 ff. ''Code civil'' (''convention'' als äußerer Konsens und ''consentement de la partie qui s’oblige'' als innerer Konsens) und §&nbsp;861 ABGB (Versprechen zur Übertragung eines Rechts und dessen Annahme durch ein Gegenversprechen), nach Wortlaut und Systematik noch immer das naturrechtliche Modell wieder. Rechtsprechung und Lehre haben sich davon allerdings weitgehend gelöst und knüpfen heute ebenfalls allein an den (äußeren) Konsens an. Der ''[[Codice civile]]'' hat diese Loslösung auch im Gesetzestext vollzogen (Art.&nbsp;1321, 1325 Nr.&nbsp;1: ''accordo delle partie''). Das allein auf den (äußeren) Konsens gegründete Vertragsmodell bedarf mangels Übertragung eines Versprechens an sich nicht mehr der von ''Grotius'' geforderten ''causa''. Der vereinigte Wille ist Grund genug für das Entstehen wechselseitiger Verpflichtungen und erfüllt die Funktion der ''causa''. Das Erfordernis einer ''causa'' wurde daher in den meisten Rechtsordnungen aufgegeben. Im französischen Recht findet sich in Anlehnung vor allem an ''Pothier'' neben dem Konsenserfordernis (Art.&nbsp;1101, 1108&nbsp;ff. ''Code civil'') zwar noch heute die ''cause''-Doktrin (vgl. Art.&nbsp;1131 ''Code civil''<nowiki>; ebenso in Art.&nbsp;1343, 1418 </nowiki>''Codice civile'' und Art.&nbsp;1261 span. ''Código civil''), doch ist nahezu jedes Motiv als ''cause'' anerkannt, so dass diese eher als Auffangbecken zahlreicher Unwirksamkeitsgründe des Vertragsrechts dient.
=== b) Alleinbezugsverpflichtungen ===
Bei Alleinbezugsverträgen verpflichtet sich ein Abnehmer, ein Erzeugnis allein oder zu einem weit überwiegenden Teil von einem Lieferanten zu beziehen. Damit wird der Marktzutritt für konkurrierende Lieferanten erschwert; zudem kann es zu Kollusionen zwischen verschiedenen Lieferanten kommen. Auch kann der Markenwettbewerb in den Verkaufsstätten des Beziehers eingeschränkt werden, wenn der Lieferant nur bestimmte, aber nicht alle Marken eines Produkts liefert. Als positive Wirkungen können sich eine Verminderung der Vertriebskosten durch längerfristige Planung des Absatzes, die nachhaltige Sicherung des Absatzes, die Begrenzung von Risiken bei Marktschwankungen sowie ein Anreiz für den Bezieher, sich intensiv für den Absatz der betreffenden Waren einzusetzen, ergeben.


Unabhängig davon, welchem Vertragsmodell man folgte, war für das einseitige Verpflichtungsversprechen unter dem Vertragsprinzip kein Platz. Bereits die frühen Kodifikationen, etwa der ''Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis'' (1756) sowie das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (1794) schlossen eine Verpflichtung aufgrund einseitigen Versprechens ausdrücklich aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bis auf das [[Schottisches Privatrecht|schottische Privatrecht]] und einige skandinavische Rechtsordnungen (s. unten c) erkennt keine der europäischen Rechtsordnungen das einseitig verpflichtende Versprechen als Grundlage eines Schuldverhältnisses an. Auch im Zuge einer der letzten großen Kodifikationsreformen in den Niederlanden wurde es Anfang der 1990er Jahre für das ''[[Burgerlijk Wetboek]]'' abgelehnt. Dem Vertragsprinzip ist auch das Schenkungsversprechen zum Oper gefallen. Anders als von ''Grotius'' wird es nicht als einseitig verpflichtend angesehen. Um eine Verpflichtung des Schenkenden zu begründen, bedarf es der Annahme durch den Beschenkten (vgl. §&nbsp;516 Abs.&nbsp;2 BGB; Art.&nbsp;932 frz. ''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;7:175 BW sieht allerdings wie im Hinblick auf den Vertrag zugunsten Dritter eine Annahmefiktion vor). Dabei wurde das Formerfordernis, das den Schenkenden vor Übereilung schützen soll, häufig beibehalten (vgl. §&nbsp;518 BGB; Art.&nbsp;931 frz. </nowiki>''Code civil'', nicht hingegen im BW).
=== c) Selektiver Vertrieb ===
Charakteristisch für ein selektives Vertriebssystem ist, dass ein Hersteller seine Vertriebsorganisation von vornherein auf bestimmte Händler beschränkt und es durch entsprechende vertragliche Klauseln diesen Händlern untersagt, die Vertragswaren an andere Händler zu liefern. Generell gilt, dass selektive Vertriebssysteme nicht für die Vermarktung aller Produkte zulässig sind, sondern nur für Waren, bei denen ein solches System – etwa zur Wahrung der Qualität oder zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs – erforderlich ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei langlebigen, hochwertigen und technisch komplizierten Erzeugnissen oder bestimmten Luxusgütern, bei denen ein Bedarf des Verbrauchers nach Beratung, Information und Service besteht. In der Rechtspraxis haben sich verschiedene Formen des selektiven Vertriebs entwickelt, die sich unterschiedlich stark auf den Wettbewerb auswirken und die daher kartellrechtlich differenziert zu beurteilen sind (qualitativer selektiver Vertrieb in den Formen der einfachen und der qualifizierten Fachhandelsbindung und quantitativer selektiver Vertrieb). Selektive Vertriebssysteme können zu einer Verminderung des markeninternen Wettbewerbs und – bei Verwendung solcher Systeme durch alle wichtigen Hersteller – zum Marktausschluss von bestimmten Kategorien von Händlern führen. Auch erleichtern solche Systeme die Kollusion zwischen Händlern und zwischen Herstellern. Diese Systeme können sich allerdings auch positiv auswirken, indem sie etwa die Erbringung bestimmter Dienstleistungen, wie Kundendienst an den Endverbraucher, sicherstellen, Trittbrettfahrerprobleme zwischen Händlern vermindern (z.B. im Bereich von Werbung und Beratung), ein Markenimage sichern und vertragsspezifische Investitionen der Vertragshändler schützen.


Das Vertragsprinzip blieb allerdings nicht unangefochten, sondern sah sich insbesondere gegen Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland teils heftiger Kritik ausgesetzt. So sprach sich etwa ''Heinrich Siegel'' dafür aus, das einseitige Versprechen als Verpflichtungsgrund neben dem Vertrag anzuerkennen. Auch während der Vorarbeiten zum BGB stand die Entscheidung für das Vertragsprinzip im deutschen Recht nicht von Beginn an fest. Der zuständige Redaktor des BGB, ''Franz Philipp von Kübel'', ging in seiner ersten Vorlage von der Verpflichtungswirkung des einseitigen Versprechens unabhängig von einer Annahme aus. Er zog diesen Vorschlag erst infolge der Erörterungen in der 1.&nbsp;Kommission zurück und schrieb in seiner zweiten Vorlage das Vertragsprinzip als Grundsatz fest. Hiervon machte er nur einige wenige gesetzliche Ausnahmen für die Auslobung, das Versprechen der Leistung an einen Dritten und Inhaberpapiere. Auch nach Inkrafttreten des BGB kritisierte ''Philipp Heck'' das Vertragsprinzip noch in den 1920er Jahren vehement.
=== d) ''Franchising'' ===
Unter dem Begriff des (Waren- oder Dienstleistungs‑)''[[Franchising]]'' ist eine Vertriebsform zu verstehen, bei der der Franchisegeber dem Franchisenehmer gestattet, bestimmte Erzeugnisse unter Verwendung des Namens und der Marke, der Ausstattung und des ''Know-how'' des Franchisegebers zu verkaufen oder zu nutzen. In der Regel sehen die ''Franchise''-Vereinbarungen vor, dass der Franchisenehmer die Vertragswaren ausschließlich vom Franchisegeber zu beziehen hat. Daneben enthalten solche Vereinbarungen nicht selten noch weitere wettbewerbsbeschränkende Elemente, etwa die Verpflichtung des Franchisegebers, Vertragswaren nur in einem bestimmten Geschäftslokal zu vertreiben. Dadurch sollen die Franchisenehmer vor Konkurrenz durch andere Franchisenehmer geschützt werden. Denselben Zweck verfolgen die sog. Bannmeilenregelungen, in denen sich der Franchisegeber verpflichtet, in einem bestimmten Umkreis um das Geschäftslokal eines Franchisenehmers keine weiteren Franchisenehmer zuzulassen. Neben den wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen bringen solche Vereinbarungen auch positive Effekte mit sich. Sie ermöglichen es Herstellern, sich ohne hohen Investitionsaufwand auf neuen Märkten zu etablieren. ''Franchise''-Verträge können durch die Vereinheitlichung von Geschäftsmethoden zu Kostenersparnissen führen. Auch der Markenwettbewerb kann unter Umständen verbessert werden, indem der Vertrieb über Franchise-Verträge die Konkurrenz zu den großen filialisierten Vertriebsketten verstärkt.


=== b) Entwicklung im englischen ''common law ''===
== 3. Freistellung ==
Das englische ''law of contract'' war bis ins 19.&nbsp;Jahrhundert hinein durch das Konzept des Versprechens geprägt. Im Aktionensystem des ''[[common law]]'' war der ''writ of assumpsit'' die zentrale Klage des Vertragsrechts. Er erforderte ein Versprechen, eine ''consideration'' und den Bruch des Versprechens. Der ''writ of covenant'' hingegen konnte nur auf ''promises under seal'', also Versprechen unter Einhaltung besonderer Förmlichkeiten, ursprünglich eines Eides, gestützt werden. ''Promises under seal'' bedurften dafür keiner ''consideration'', sondern konnten einseitig verpflichtend sein. Sie betrafen insbesondere [[unentgeltliche Geschäfte]].
Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV legt die Voraussetzungen und die Formen fest, unter denen eine Vertikalvereinbarung mit wettbewerbsbeschränkenden Abreden, die unter das Verbot des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV fällt, von diesem Verbot freigestellt werden kann. Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV sieht zwei unterschiedliche Wege der Freistellung vor: Zum einen kann die einzelne Vereinbarung, die zwischen zwei oder mehr Parteien abgeschlossen worden ist, unmittelbar nach Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV freigestellt sein, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Des Weiteren sieht Art.&nbsp;81(3) EG/ 101(3) AEUV neben dieser Einzelfreistellung auch die gruppenweise Freistellung vor. Die [[Europäische Kommission]] hat zwei [[Gruppenfreistellungsverordnungen]] (GFVOen) erlassen, die für die Frage der Freistellung vertikaler Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen vom Kartellverbot von außerordentlich großer praktischer Bedeutung sind. Es handelt sich dabei um die VO&nbsp;2790/1999 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81(3) des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen und die VO&nbsp;1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor. Die Verordnungen konkretisieren die vagen und unbestimmten Freistellungsvoraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/ 101(3) AEUV speziell für den Sektor der Vertikalvereinbarungen und erleichtern damit den betroffenen Unternehmen, den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sowie den Gerichten, die Rechtmäßigkeit solcher Vereinbarungen zu prüfen ([[Gruppenfreistellungsverordnungen]]).


Im Zuge der ''treatises'' des 19.&nbsp;Jahrhunderts, insbesondere der Werke von ''John Joseph'' ''Powell'','' Joseph Chitty'','' Frederick Pollock'' und ''William Anson'', wurde das römische Vertragsrecht in der Form, die es durch die naturrechtliche Systematisierung von ''Grotius'','' Pufendorf'','' Domat und Pothier'' erfahren hatte, rezipiert. Sogar die ''common law''-Gerichte nahmen teilweise darauf Bezug (''Cox v. Troy'' (1822) 5 B & Ald 474). In der Folge der sich auch in England durchsetzenden Willenstheorien wurde schließlich das einseitige verpflichtende Konzept des Versprechens durch das zweiseitige, auf Konsens aufbauende Konzept des Vertrages ersetzt. Dessen Bestandteile sind zwei für sich genommen nicht verpflichtende Versprechen, ''offer and acceptance'', die sich als Grundlage des Vertragsschlusses und systembildendes Konzept des englischen Vertragsrechts durchsetzten (vgl. ''Adams v. Lindsell'' (1818) 1 B & Ald 681 (KB) und ''Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company''<nowiki> [1893] 1 QB 256 (CA)). Die </nowiki>''offer'' erwuchs aus dem einseitigen Versprechen; das Schuldverhältnis wurde jedoch erst durch die ''acceptance'' begründet. Nur vor dem Hintergrund dieser Genese des englischen ''law of contract'' lässt sich das Überleben der ''consideration''-Doktrin erklären ([[Seriositätsindizien]]); denn die ''consideration'' ist auf ein Versprechen, nicht auf einen Vertrag bezogen. Für den Austauschvertrag werden die wechselseitigen Verpflichtungserklärungen als ''consideration'' füreinander angesehen. Einseitige unentgeltliche Versprechen, etwa eine Schenkung, entfalten hingegen mangels ''consideration'', abgesehen von ''promises in deeds'' (die heute nicht mehr ''under seal'' erfolgen müssen), keine Verpflichtungswirkung (das Erfordernis ist allerdings stark entwertet, da eine ''nominal consideration'' ausreicht). Obwohl tatsächlich häufig zusammenfallend, ist die ''consideration'' im Hinblick auf die Verpflichtungswirkung systematisch vom Erfordernis der Annahme zu trennen.
Liegen die Voraussetzungen der Vertikal- oder der KFZ-GFVO nicht vor, weil etwa die Art.&nbsp;3(1) Vertikal-GFVO oder Art.&nbsp;3(1) und (2) KFZ-GFVO festgelegten Marktanteilsschwellen von 30&nbsp;% überschritten sind, kommt eine Freistellung der betreffenden Vereinbarung unmittelbar nach Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV in Betracht. Dazu ist erforderlich, dass die Vereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zum wirtschaftlichen oder technischen Fortschritt beiträgt, die Verbraucher angemessen am entstehenden Gewinn beteiligt werden, die Beschränkungen zur Erreichung dieser Ziele unerlässlich sind sowie der Wettbewerb nicht für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet wird. Vereinbarungen, die die oben genannten Kernbeschränkungen enthalten, sind in aller Regel nicht nach Art. 81(3) EG/101(3) AEUV freistellbar.


=== c) Abweichende Entwicklungen in Schottland und Skandinavien ===
== 4. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 81 EG/101 AEUV ==
Im [[Schottisches Privatrecht|schottischen Privatrecht]] als [[Mischrechtsordnungen|Mischrechtsordnung]] ist das einseitige Versprechen neben dem Vertrag als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtung basierend auf den Institutionen von ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'', anerkannt. ''Stair'' unterschied zwischen der ''offer'' als Versprechen unter der Bedingung der Annahme durch den Versprechensempfänger, der ''pollicitatio'' als Versprechen unter der Bedingung der Vornahme einer bestimmten Handlung (dies erfasst insbesondere den Fall der Auslobung) und schließlich der ''promise'' als unbedingtem einseitig verpflichtenden Versprechen.
Fällt eine Vertikalvereinbarung unter den Tatbestand des Art.&nbsp;81(1) EG/101(1) AEUV, weil sie wettbewerbsbeschränkende Zwecke verfolgt oder solche Wirkungen aufweist und ist sie nicht aufgrund einer GFVO oder unmittelbar nach Art.&nbsp;81(3) EG/101(3) AEUV freigestellt, so ist die Vereinbarung gemäß Art.&nbsp;81(2) EG/101(2) AEUV nichtig und erzeugt keine Rechtswirkungen ([[Kartellverbot und Freistellung]]).
 
In den skandinavischen Rechtsordnungen ist nach der sog. ''Løfte''-Theorie trotz des Einflusses der Willenstheorien das Versprechen die Grundlage des Schuldverhältnisses geblieben. Das einseitige Versprechen verpflichtet den Versprechenden im Falle einseitiger Rechtsgeschäfte, etwa der Schenkung und Auslobung, unbedingt (also ohne eine Annahme), im Falle gegenseitiger Rechtsgeschäfte dagegen nur bedingt durch das Versprechen der anderen Partei zur Gegenleistung. Die auf einen gegenseitigen Vertrag abzielenden, bedingten Versprechen werden als Angebot und Annahme bezeichnet. Verpflichtungsgrund ist also selbst beim gegenseitigen Rechtsgeschäft nicht der Vertrag; es sind vielmehr die jeweiligen Versprechen. Die Bedingtheit der Versprechen stellt den materiellen Konsens sicher.
 
== 4. Auslobung ==
Aufgrund der Hinwendung zum Vertragsprinzip in den meisten Rechtsordnungen erwies es sich als dogmatisch schwierig, die Verpflichtungswirkung strukturell einseitiger Versprechen zu erklären. Während die Schenkung dem Vertragsdogma unterworfen wurde, haben die europäischen Rechtsordnungen für die Auslobung unterschiedliche Lösungen entwickelt.
 
Im deutschen und österreichischen Recht hat sich in §&nbsp;657 BGB bzw. §&nbsp;860 S.&nbsp;1 ABGB die Konstruktion des einseitig verpflichtenden Versprechens als gesetzliche Ausnahme vom Vertragsprinzip durchgesetzt (Pollizitationstheorie); ebenso im Ergebnis Art.&nbsp;6:120 BW, Art.&nbsp;1989 ''Codice civile'' sowie das spanische und dänische Recht. Die Verpflichtung zur Leistung der Belohnung ist allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung, nicht jedoch durch eine (auch nur konkludente) Annahme des Auslobungsversprechens bedingt. Das Versprechen bindet daher auch dann, wenn die Handlung in Unkenntnis der Auslobung vorgenommen wird. Anders als das Angebot zum Vertragsschluss ist das einseitige Auslobungsversprechen bis zur Vornahme der Handlung einseitig widerrufbar (§&nbsp;658 BGB; §&nbsp;860a ABGB). Auch die mit der Auslobung verwandte Gewinnzusage nach §&nbsp;661a BGB bzw. §&nbsp;860 S.&nbsp;2 ABGB ist ein einseitig verpflichtendes Versprechen.
 
Im französischen Recht wird die Auslobung überwiegend nicht als einseitig verpflichtendes Versprechen angesehen, sondern als Vertrag konstruiert. Die Auslobung ist ein Angebot ''ad incertas personas'', das der konkludenten Annahme durch Vornahme der ausgelobten Handlung bedarf, um den Erfüllungsanspruch auf die Belohnung zu begründen. Im Hinblick auf Gewinnzusagen ist die jüngere französische Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich. Sie stützt sich teils auf ein einseitiges Versprechen, teils auf einen Vertrag oder Quasi-Vertrag und bisweilen sogar auf ein Quasi-Delikt.
 
Im englischen Recht stellte sich die Problematik der dogmatischen Einordnung der Auslobung im bereits erwähnten Fall ''Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company''<nowiki> [1893] 1 QB 256 </nowiki>(CA). Die Klägerin hatte die Voraussetzungen der versprochenen Belohnung erfüllt und forderte diese vom Beklagten ein. Unter dem ''writ of assumpsit'' hätte die Klage Erfolg gehabt (die ''consideration'' im Zeitpunkt der Abgabe des Belohnungsversprechens bestand in der zukünftigen Vornahme der ausgelobten Handlung). Um nun aber dem Vertragsprinzip gerecht zu werden, konstruierte der ''Court of Appeal'' die Figur eines ''unilateral contract'' (statt der naheliegenden ''unilateral promise''). Das Angebot (''ad incertas personas'') bestand in der Auslobung. Zur Annahme sollte die Vornahme der ausgelobten Handlung genügen; die Annahme musste also nicht gegenüber dem Anbietenden erklärt werden. Mit einem Vertrag als Willensübereinstimmung hat diese Konstruktion nur wenig gemein. Sie presst vielmehr einen einseitigen Vorgang in ein zweiseitiges Erklärungsmodell.
 
Im schottischen Recht sah die Rechtsprechung die Auslobung zunächst in Anlehnung an ''Stair'' als einseitig verpflichtendes Versprechen an, bedingt allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung. Unter dem Einfluss der Entscheidung in ''Carlill'' gewann allerdings auch im schottischen Recht die Lehre vom ''unilateral contract'' an Bedeutung.
 
== 5. Dualismus im Europäischen Privatrecht ==
Im Europäischen Privatrecht zeichnet sich entgegen den nationalen Vorbildern ein Dualismus von Vertrags- und Versprechensprinzip ab. Der Vertrag ist zwar nach wie vor die zentrale Grundlage des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses (vgl. Art.&nbsp;2:101 PECL, Art.&nbsp;4:101 ACQP; Art.&nbsp;II.-4:101 DCFR), doch erkennt Art.&nbsp;2:107 PECL, der von den [[Acquis Principles|ACQP]] in Art.&nbsp;4:107(1) übernommen wird, neben dem Vertrag ausdrücklich das einseitige Versprechen als verpflichtend an, wobei dies missverständlich durch die Formulierung „binding“ bzw. „bindend“ (gemeint ist nicht die Selbstbindung, sondern die Verpflichtung gegenüber dem Versprechensempfänger) zum Ausdruck gebracht wird. Auch der [[Common Frame of Reference|DCFR]] greift das Versprechensprinzip in Art.&nbsp;II.-4:301 bis 4:303 unter dem weiter gefassten Konzept der ''other/unilateral juridical acts'' auf. Dagegen ist Grundlage rechtsgeschäftlicher Bindung nach den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] nur der Vertrag (Art.&nbsp;3.2). Nach PECL, ACQP und DCFR ist für die Verpflichtungswirkung der Rechtsbindungswille des Versprechenden entscheidend. Er ist nach dem Wortlaut des Versprechens und den es begleitenden Umständen zu ermitteln. Die ACQP enthalten in Art.&nbsp;4:107(2) zudem eine Regelung, die die Schutzmechanismen des Vertragsrechts zugunsten einer der Parteien des Rechtsgeschäfts (gemeint sind wohl insbesondere [[Widerrufsrecht]]e und andere Schutzmechanismen zugunsten von Verbrauchern) auch für das einseitige Versprechen für anwendbar erklärt. Die PECL lösen diese, praktisch wohl eher selten relevante Problematik ausweislich der Erläuterungen dadurch, dass sie das einseitig verpflichtende Versprechen unter einen sehr weit verstandenen Vertragsbegriff subsumieren.
 
Die Auslobung ist weder in den PECL noch in den ACQP noch im DCFR gesondert geregelt. Während sich eine Verpflichtung nach den Vorschriften über das einseitige Versprechen leicht begründen lässt, fehlt es an Regelungen zur Widerruflichkeit und zu den weiteren, etwa in §§&nbsp;659&nbsp;ff. BGB angesprochenen Aspekten.
 
Hinsichtlich des Sonderfalls der Garantie nach Art.&nbsp;6 der Verbrauchsgüterkaufrechts-RL (RL&nbsp;1999/44) bzw. den nationalen Umsetzungen ist umstritten, ob sie als einseitig verpflichtendes Versprechen ausgestaltet sind oder einen Vertrag, mithin eine Annahme, erfordern. Der EuGH hatte noch nicht über die Frage zu entscheiden. Die nationalen Rechte gehen freilich meist von einem Vertrag aus, da er sich konsistenter in das vorherrschende Vertragsprinzip einfügt.


== Literatur==
== Literatur==
''Heinrich Siegel'', Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht, 1873; ''Klaus Wennberg'', Die skandinavische Löftetheorie, 1966; ''Arthur T. von Mehren'', The Formation of Contracts, in: IECL VII/1, Kap.&nbsp;9-9&nbsp;ff., 1991; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, Kap.&nbsp;18 (insb. 572&nbsp;ff); ''James Gordley'', Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, 71&nbsp;ff.; ''Bruno Schmidlin'', Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: Das naturrrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektistische Modell der vereinigten Willenserklärungen, in: Reinhard Zimmermann, Rolf Knütel, Jens Peter Meincke (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, 187&nbsp;ff.; ''James Gordley'' (Hg.), The Enforceability of Promises in European Contract Law, 2001; ''Reinhard Zimmermann'', Vertrag und Versprechen, in: Festschrift für Andreas Heldrich, 2005, 467&nbsp;ff.; ''Caroline Cauffman'', De verbindende eenzijdige belofte, 2005; ''Jens Kleinschmidt'', Unilateral contract und einseitiges Versprechen, Jura 2007, 249&nbsp;ff.
''Ernst-Joachim Mestmäcker'', ''Heike Schweitzer'', Europäisches Wettbewerbsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2004, §§&nbsp;12, 14; ''Volker Emmerich'', Kartellrecht, 11.&nbsp;Aufl. 2008, §&nbsp;5&nbsp;II; ''Thorsten Mäger'', §&nbsp;16, Abschn.&nbsp;C: Kartellrecht, in: Reiner Schulze, Manfred Zuleeg'' ''(Hg.), Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis; ''Markus Buchner'', EG-Kartellrecht und Vertriebssysteme, insbesondere der KFZ-Vertrieb, 2006; ''Jonathan Faull'', ''Ali Nikpay'', The EC Law of Competition, 2.&nbsp;Aufl. 2007, Rn.&nbsp;9.01&nbsp;ff.; ''Peter Roth'', ''Vivien Rose'' (Hg.), Bellamy & Child European Community Law of Competition, 6.&nbsp;Aufl. 2008, Rn.&nbsp;6.001&nbsp;ff.; ''D.G. Goyder'', EC Competition Law, 3.&nbsp;Aufl. 1998, 177&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
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[[en:Promise,_Unilateral]]
[[en:Vertical_Agreements_in_EU_Competition_Law]]

Version vom 23. November 2021, 18:18 Uhr

von Reinhard Ellger

1. Begriff und Funktion von Vertikalvereinbarungen

Die in Art. 81 ff. EG/101 ff. AEUV enthaltenen Wettbewerbsregeln, die den Kern des europäischen Wettbewerbsrechts bilden, haben den umfassenden Schutz des Wettbewerbs als einer der wesentlichen Grundbedingungen einer freien Marktwirtschaft im europäischen Binnenmarkt zum Ziel. Dabei wendet sich Art. 81 EG/101 AEUV gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die Bildung von Kartellen (Kartellverbot und Freistellung), die im Wege von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen bzw. durch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen bewirkt werden. Naturgemäß stehen dabei wettbewerbsbeschränkende Abreden zwischen Wettbewerbern im Vordergrund der kartellrechtlichen Betrachtung, weil durch sie in unmittelbarer und schwerwiegender Weise die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt beeinträchtigt oder beseitigt werden kann. Wettbewerbsbeschränkende Zwecke und Wirkungen können daneben aber auch mit Vereinbarungen verbunden sein, die nicht zwischen Wettbewerbern, sondern zwischen Angehörigen unterschiedlicher Produktions- oder Handelsstufen abgeschlossen werden. Dementsprechend definiert Art. 2(1) der VO 2790/1999 für Vertikalvereinbarungen dieselben als „Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- und Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.“

Vertikale Vereinbarungen in diesem Sinne sind vor allem Vertriebsvereinbarungen (Vertrieb), die Hersteller mit Unternehmen der Vertriebsstufe wie Groß- oder Einzelhändlern abschließen, die dann die Vermarktung der Produkte bis hin zum Endverbraucher übernehmen. Als vertikale Vereinbarungen sind aber auch Verträge zu qualifizieren, die der Hersteller eines Produktes mit einem Lieferanten über den Verkauf einer Ware abschließt, die der Käufer als Einsatzstoff für sein eigenes Produkt verwendet (industrial supply). Vertriebsvereinbarungen sind für die Versorgung der Bevölkerung im europäischen Binnenmarkt von außerordentlicher Bedeutung, weil sich die Hersteller von Waren in großem Umfang des Handels bedienen, um Vertriebskanäle zu den Endverbrauchern zu schaffen. Nach Angaben der Europäischen Kommission waren im Jahr 2003 ca. 15 % aller Erwerbstätigen in der Gemeinschaft im Handel tätig. Im Groß- und Einzelhandelsbereich betätigten sich 5,5 Mio. Unternehmen, deren Wertschöpfung sich auf EUR 880 Mrd. und damit immerhin 13 % der Gesamtwertschöpfung der Gemeinschaft belief. Daher überrascht es nicht, wenn die Kommission den Handel als „einen Schlüssel für das Funktionieren des Binnenmarktes“ bezeichnet, wobei die Händler nicht nur den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen an die Endverbraucher kanalisieren, sondern auch Informationen über Änderungen von Nachfragestruktur und Geschmackstrends an die Hersteller weiterleiten (Europäische Kommission, http://ec.europa.eu/internal_market/services/brs/distri-trades_de.htm [letzter Zugriff am 15.7.2009] ). Soweit die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern lediglich Preis und Menge der abzusetzenden Waren oder Dienstleistungen festlegen, weisen die Vertikalvereinbarungen in aller Regel keine wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auf. Solche Wirkungen können jedoch dann auftreten, wenn durch die Vereinbarung dem Lieferanten oder dem Abnehmer Beschränkungen auferlegt werden, die über die genannten Abreden hinausgehen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Lieferant einem Händler einräumt, für ein bestimmtes Gebiet die Waren des Lieferanten allein zu vertreiben (Alleinvertriebsvereinbarung). Dadurch werden andere Händler daran gehindert, Waren des Herstellers in dem Gebiet des Alleinhändlers zu vertreiben. Wettbewerbsbeschränkend wirken auch Vereinbarungen, durch die sich ein Händler verpflichtet, bestimmte Waren ausschließlich bei einem einzigen Lieferanten zu beziehen (Alleinbezugsverpflichtung). Dadurch wird der Händler gehindert, die Waren aus anderen, möglicherweise preiswerteren Bezugsquellen zu beziehen. Andererseits können vertikale Beschränkungen nicht nur negative, sondern durchaus auch positive Auswirkungen mit sich bringen. So kann eine Alleinvertriebsvereinbarung dazu dienen, dass konkurrierende dritte Händler sich nicht an die Werbeinvestitionen des Alleinhändlers anhängen (free-rider-Problem) oder das Erpressungspontial vermindert wird, das sich aus kundenspezifischen Investitionen einer Partei ergibt (hold-up-Problem). Auch kann die Alleinstellung den Händler veranlassen, sich intensiver auf die Vertriebsanstrengungen und die Marktbearbeitung zu konzentrieren, als dies der Fall wäre, wenn er mehrere Hersteller mit gleichen oder ähnlichen Produkten zu vertreten hätte.

Demgemäß ist eine Vertikalvereinbarung nach Art. 81(1) EG/101(1) AEUV verboten, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Markes bezweckt oder bewirkt und dazu geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. In der Anfangszeit der Anwendung der Wettbewerbsregeln des (damaligen) EWG-Vertrages war es zunächst umstritten gewesen, ob der wortgleiche Vorgänger des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV Vertikalvereinbarungen überhaupt erfasst. Dies hat der EuGH in einer seiner ersten Entscheidungen zu den Wettbewerbsregeln des Vertrages eindeutig festgestellt: Da der Vertrag ganz allgemein von der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs spreche, sei es nicht angängig hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV auf horizontale und vertikale Vereinbarungen Unterscheidungen zu treffen, wo der Vertrag dies nicht tue (EuGH verb. Rs. 56 und 58/64 – Consten und Grundig, Slg. 1966, 322, 387). Diese Auffassung ist später in mehreren Entscheidungen des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz bestätigt und nicht mehr in Zweifel gezogen worden.

Wettbewerbspolitisch wird die Gefährlichkeit vertikaler Beschränkungen für den Wettbewerb geringer eingeschätzt als das Risiko, das durch horizontale Wettbewerbsbeschränkungen verursacht wird. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Konkurrenten behindern den Markenwettbewerb (d.h., den Wettbewerb zwischen Produkten verschiedener Hersteller, sog. inter-brand competition), führen tendenziell zu höheren Preisen und reduzieren die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher. Demgegenüber engen Vertikalbeschränkungen den Wettbewerb zwischen den Händlern derselben Marke ein (markeninterner Wettbewerb, intra-brand competition). Bei Vertikalvereinbarungen ist das Produkt der einen Seite das Einsatzgut der anderen Partei. Dies führt dazu, dass die Ausübung von Marktmacht (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) auf dem vorgelagerten oder dem nachgelagerten Markt, die in der Vertikalbeschränkung zum Ausdruck kommt, die Nachfrage des auf dem jeweils anderen Markt tätigen Unternehmens beeinträchtigt. Daher hat dieses Unternehmen regelmäßig einen Anreiz, solche Vertikalbeschränkungen soweit wie möglich zu verhindern. Allerdings darf dieser Anreiz auch nicht überschätzt werden. Unternehmen, die nicht über Marktmacht verfügen, können ihre Herstellungs- und Vertriebsmethoden unter Einsatz vertikaler Beschränkungen verbessern; Unternehmen mit Marktmacht können darüber hinaus ihre Gewinne zu Lasten ihrer Mitbewerber steigern indem sie deren Kosten auf dem vor- oder nachgelagerten Markt in die Höhe treiben und so Kunden auf sich ziehen (Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn. 100 f.). Die negativen Wirkungen vertikaler Beschränkungen auf den Wettbewerb lassen sich wie folgt zusammenfassen: sie können zur Errichtung von Marktzutrittsschranken verwendet werden, die zum Ausschluss anderer Lieferanten bzw. Erwerber von Produkten führen. Weiterhin können Vertikalbeschränkungen zur Verringerung des Markenwettbewerbs und zur Kollusion zwischen Lieferanten und zwischen Käufern beitragen. Eine zentrale negative Wirkung vertikaler Beschränkungen besteht in der Verringerung des intra-brand-Wettbewerbs. Schließlich können vertikale Beschränkungen, etwa in der Form von Alleinvertriebsvereinbarungen oder von Alleinbezugsverpflichtungen, zur territorialen Segmentierung von Märkten führen und die Verbraucher daran hindern, von den Vorteilen des Binnenmarktes Gebrauch zu machen.

Andererseits sind bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung vertikaler Beschränkungen aber auch deren positive Wirkungen zu bedenken, die – bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 81(3) EG/ 101(3) AEUV oder der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnungen – eine Freistellung vom Verbot des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV rechtfertigen können. So können vertikale Beschränkungen zu einer Förderung anderer Formen der Konkurrenz als des Preiswettbewerbs führen, etwa zu einer Verbesserung von Kundendienst-, Service- und Beratungsleistungen bei technisch anspruchsvollen Waren wie der Unterhaltungselektronik. Auch können Vertikalvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen zur Erschließung neuer Märkte beitragen, wie z.B. Alleinvertriebsverträge und Franchise-Vereinbarungen (Franchising).

Art. 81(1) EG/101(1) AEUV differenziert zwischen Vereinbarungen, die Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken und solchen, die Wettbewerbsbeschränkungen bewirken. Wird durch eine Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist sie nach Art. 81(1) EG/101(1) AEUV verboten, ohne dass es auf die tatsächliche Auswirkung auf den Wettbewerb auf dem relevanten Markt ankäme. Dabei ist auf den (objektiven) Zweck der Maßnahme selbst abzustellen, nicht auf die (subjektiven) Absichten und Motive der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen; erforderlich ist allerdings noch, dass die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist. Sie muss folglich geeignet sein, den Wettbewerb zu beschränken. Vereinbarungen, die Wettbewerbsbeschränkungen bezwecken, sind vor allem die sogenannten Kern- oder hard-core-Beschränkungen, im Bereich der Vertikalvereinbarungen etwa die Preisbindung der zweiten Hand oder die Einräumung absoluten Gebietsschutzes für die Abnehmer von Waren, weil dadurch der markeninterne Wettbewerb beschränkt wird. Ebenso wie Maßnahmen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken, untersagt Art. 81(1) EG/101(1) AEUV Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkungen aufweisen. Bei ihnen ist die Auswirkung der Maßnahme auf die Verhältnisse auf dem relevanten Produktmarkt gesondert zu untersuchen. In diesem Zusammenhang kommt es insbesondere auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit an: eine Vereinbarung unterfällt nur dann dem Verbotstatbestand des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV, wenn sie spürbare Auswirkungen auf den relevanten Markt aufweist. In ihrer De Minimis-Bekanntmachung hat die Kommission festgelegt, dass vertikale Vereinbarungen den Wettbewerb nicht spürbar beschränken, wenn der von jedem beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil auf keinem der betroffenen relevanten Märkte mehr als 15 % beträgt. Bei der kartellrechtlichen Beurteilung vertikaler Vereinbarungen reicht es nicht immer aus, nur die Wirkungen einer einzelnen, isolierten Vereinbarung zu erfassen, sondern auch die Auswirkungen ganzer Vertragsnetze sind zu berücksichtigen. So mag eine einzelne Vereinbarung, z.B. ein Bierlieferungsvertrag zwischen einer Brauerei und einem Gastwirt, für sich genommen ohne nennenswerte Auswirkungen auf den relevanten Markt sein; ist die Vereinbarung jedoch Teil eines den gesamten Markt kennzeichnenden Gesamtsystems gleichartiger Vertragsbindungen, die z.B. eine Vielzahl von Brauereien mit einer Vielzahl von Wirten abgeschlossen hat, so kann nur die Beurteilung des Gesamtsystems eine angemessene kartellrechtliche Erfassung der von ihm möglicherweise ausgehenden Marktausschlusswirkungen für Brauereien, die noch nicht auf den betreffenden Markt vertreten sind, gewährleisten. Eine Berücksichtigung gleichartiger Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen sowie Vereinbarungen Dritter ermöglicht die vom EuGH entwickelte Bündeltheorie, nach der bei der Beurteilung einzelner Vertikalvereinbarungen diese nicht aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang gelöst werden können und im Rahmen der kumulativen Auswirkungen des gesamten Vertragsnetzes zu bewerten sind (EuGH Rs. C-234/89 – Delimitis/Henninger Bräu, Slg. 1991, I-977, 983 ff.; EuGH Rs. 23/67 – Brasserie de Haecht, Slg. 1967, 544, 555 f.).

Die Rechtsprechung des EuGH und die Verwaltungspraxis der Kommission haben für gewisse Arten von Vertikalvereinbarungen Tatbestandsrestriktionen herausgearbeitet. So fallen etwa die sog. echten Handelsvertreterverträge, bei denen der Handelsvertreter Waren oder Dienstleistungen für den Prinzipal vertreibt oder erwirbt, ohne ein eigenes über seinen Provisionsanspruch hinausgehendes wirtschaftliches Risiko (wie z.B. geschäftsspezifische Investitionen oder die Übernahme von Lagerkosten etc.) trägt, nicht in den Tatbestand des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV. Der EuGH hat darüber hinaus selektive Vertriebssysteme in der Form der einfachen Fachhandelsbindung vom Tatbestand des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV ausgenommen. Voraussetzung ist dabei, dass das betreffende selektive Vertriebssystem nach der Beschaffenheit des Produkts erforderlich ist und die Auswahl der Wiederverkäufer allein nach qualitativen Kriterien und diskriminierungsfrei erfolgt, das System zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und insoweit im Interesse der Verbraucher liegt und schließlich nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß an Wettbewerbsbeschränkung hinausgeht (EuGH Rs. 26/76 – Metro/Kommission I, Slg. 1977, 1875, 1907 ff.).

2. Erscheinungsformen vertikaler Vereinbarungen

Die Erscheinungsformen der Vertikalvereinbarungen spiegeln die vielfältigen wirtschaftlichen und rechtlichen Bedürfnisse wider, die die beteiligten Unternehmen bei der Ausgestaltung der Vertriebswege vom Hersteller zum Endkunden zu befriedigen suchen. In der mehr als 50jährigen Anwendungspraxis des Art. 81(1) EG/ 101 (1) AEUV (ex 85 EWGV) haben sich bestimmte Arten von Vereinbarungen als besonders bedeutsam und häufig vorkommend erwiesen.

a) Alleinvertriebsverträge

Es handelt sich dabei um Vereinbarungen, in denen sich ein Hersteller einem Händler gegenüber verpflichtet, zum Zweck des Wiederverkaufs bestimmte Waren in einem abgegrenzten Gebiet nur an ihn zu liefern. Üblicherweise darf der Händler auch keine aktiven Verkäufe an Kunden in Gebieten vornehmen, die der Lieferant einem anderen Händler vorbehalten hat. Häufig darf auch der Hersteller selbst keine Waren an Kunden im Gebiet des Händlers veräußern. Gefahren für den Wettbewerb liegen vor allem darin, dass der markeninterne Wettbewerb beschränkt wird und eine Marktaufteilung stattfindet. Es kann zu Preisdiskriminierung kommen. Bei flächendeckender Anwendung von Alleinvertriebssystemen besteht die Gefahr der Kollusion zwischen Herstellern und Händlern. Allerdings können Alleinvertriebsvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Abreden auch positive Wirkungen aufweisen. So kann durch den Alleinvertrieb eine Verminderung der Transaktionskosten erreicht werden, indem der Lieferant seine Absatztätigkeit auf wenige Händler beschränken kann. Darüber hinaus wird sich der Alleinhändler in besonders intensiver Weise um den Absatz in dem ihm zugewiesenen Gebiet bemühen.

b) Alleinbezugsverpflichtungen

Bei Alleinbezugsverträgen verpflichtet sich ein Abnehmer, ein Erzeugnis allein oder zu einem weit überwiegenden Teil von einem Lieferanten zu beziehen. Damit wird der Marktzutritt für konkurrierende Lieferanten erschwert; zudem kann es zu Kollusionen zwischen verschiedenen Lieferanten kommen. Auch kann der Markenwettbewerb in den Verkaufsstätten des Beziehers eingeschränkt werden, wenn der Lieferant nur bestimmte, aber nicht alle Marken eines Produkts liefert. Als positive Wirkungen können sich eine Verminderung der Vertriebskosten durch längerfristige Planung des Absatzes, die nachhaltige Sicherung des Absatzes, die Begrenzung von Risiken bei Marktschwankungen sowie ein Anreiz für den Bezieher, sich intensiv für den Absatz der betreffenden Waren einzusetzen, ergeben.

c) Selektiver Vertrieb

Charakteristisch für ein selektives Vertriebssystem ist, dass ein Hersteller seine Vertriebsorganisation von vornherein auf bestimmte Händler beschränkt und es durch entsprechende vertragliche Klauseln diesen Händlern untersagt, die Vertragswaren an andere Händler zu liefern. Generell gilt, dass selektive Vertriebssysteme nicht für die Vermarktung aller Produkte zulässig sind, sondern nur für Waren, bei denen ein solches System – etwa zur Wahrung der Qualität oder zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs – erforderlich ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei langlebigen, hochwertigen und technisch komplizierten Erzeugnissen oder bestimmten Luxusgütern, bei denen ein Bedarf des Verbrauchers nach Beratung, Information und Service besteht. In der Rechtspraxis haben sich verschiedene Formen des selektiven Vertriebs entwickelt, die sich unterschiedlich stark auf den Wettbewerb auswirken und die daher kartellrechtlich differenziert zu beurteilen sind (qualitativer selektiver Vertrieb in den Formen der einfachen und der qualifizierten Fachhandelsbindung und quantitativer selektiver Vertrieb). Selektive Vertriebssysteme können zu einer Verminderung des markeninternen Wettbewerbs und – bei Verwendung solcher Systeme durch alle wichtigen Hersteller – zum Marktausschluss von bestimmten Kategorien von Händlern führen. Auch erleichtern solche Systeme die Kollusion zwischen Händlern und zwischen Herstellern. Diese Systeme können sich allerdings auch positiv auswirken, indem sie etwa die Erbringung bestimmter Dienstleistungen, wie Kundendienst an den Endverbraucher, sicherstellen, Trittbrettfahrerprobleme zwischen Händlern vermindern (z.B. im Bereich von Werbung und Beratung), ein Markenimage sichern und vertragsspezifische Investitionen der Vertragshändler schützen.

d) Franchising

Unter dem Begriff des (Waren- oder Dienstleistungs‑)Franchising ist eine Vertriebsform zu verstehen, bei der der Franchisegeber dem Franchisenehmer gestattet, bestimmte Erzeugnisse unter Verwendung des Namens und der Marke, der Ausstattung und des Know-how des Franchisegebers zu verkaufen oder zu nutzen. In der Regel sehen die Franchise-Vereinbarungen vor, dass der Franchisenehmer die Vertragswaren ausschließlich vom Franchisegeber zu beziehen hat. Daneben enthalten solche Vereinbarungen nicht selten noch weitere wettbewerbsbeschränkende Elemente, etwa die Verpflichtung des Franchisegebers, Vertragswaren nur in einem bestimmten Geschäftslokal zu vertreiben. Dadurch sollen die Franchisenehmer vor Konkurrenz durch andere Franchisenehmer geschützt werden. Denselben Zweck verfolgen die sog. Bannmeilenregelungen, in denen sich der Franchisegeber verpflichtet, in einem bestimmten Umkreis um das Geschäftslokal eines Franchisenehmers keine weiteren Franchisenehmer zuzulassen. Neben den wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen bringen solche Vereinbarungen auch positive Effekte mit sich. Sie ermöglichen es Herstellern, sich ohne hohen Investitionsaufwand auf neuen Märkten zu etablieren. Franchise-Verträge können durch die Vereinheitlichung von Geschäftsmethoden zu Kostenersparnissen führen. Auch der Markenwettbewerb kann unter Umständen verbessert werden, indem der Vertrieb über Franchise-Verträge die Konkurrenz zu den großen filialisierten Vertriebsketten verstärkt.

3. Freistellung

Art. 81(3) EG/101(3) AEUV legt die Voraussetzungen und die Formen fest, unter denen eine Vertikalvereinbarung mit wettbewerbsbeschränkenden Abreden, die unter das Verbot des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV fällt, von diesem Verbot freigestellt werden kann. Art. 81(3) EG/101(3) AEUV sieht zwei unterschiedliche Wege der Freistellung vor: Zum einen kann die einzelne Vereinbarung, die zwischen zwei oder mehr Parteien abgeschlossen worden ist, unmittelbar nach Art. 81(3) EG/101(3) AEUV freigestellt sein, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Des Weiteren sieht Art. 81(3) EG/ 101(3) AEUV neben dieser Einzelfreistellung auch die gruppenweise Freistellung vor. Die Europäische Kommission hat zwei Gruppenfreistellungsverordnungen (GFVOen) erlassen, die für die Frage der Freistellung vertikaler Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen vom Kartellverbot von außerordentlich großer praktischer Bedeutung sind. Es handelt sich dabei um die VO 2790/1999 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Artikel 81(3) des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen und die VO 1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Art. 81(3) EG/101(3) AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor. Die Verordnungen konkretisieren die vagen und unbestimmten Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81(3) EG/ 101(3) AEUV speziell für den Sektor der Vertikalvereinbarungen und erleichtern damit den betroffenen Unternehmen, den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sowie den Gerichten, die Rechtmäßigkeit solcher Vereinbarungen zu prüfen (Gruppenfreistellungsverordnungen).

Liegen die Voraussetzungen der Vertikal- oder der KFZ-GFVO nicht vor, weil etwa die Art. 3(1) Vertikal-GFVO oder Art. 3(1) und (2) KFZ-GFVO festgelegten Marktanteilsschwellen von 30 % überschritten sind, kommt eine Freistellung der betreffenden Vereinbarung unmittelbar nach Art. 81(3) EG/101(3) AEUV in Betracht. Dazu ist erforderlich, dass die Vereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zum wirtschaftlichen oder technischen Fortschritt beiträgt, die Verbraucher angemessen am entstehenden Gewinn beteiligt werden, die Beschränkungen zur Erreichung dieser Ziele unerlässlich sind sowie der Wettbewerb nicht für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet wird. Vereinbarungen, die die oben genannten Kernbeschränkungen enthalten, sind in aller Regel nicht nach Art. 81(3) EG/101(3) AEUV freistellbar.

4. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 81 EG/101 AEUV

Fällt eine Vertikalvereinbarung unter den Tatbestand des Art. 81(1) EG/101(1) AEUV, weil sie wettbewerbsbeschränkende Zwecke verfolgt oder solche Wirkungen aufweist und ist sie nicht aufgrund einer GFVO oder unmittelbar nach Art. 81(3) EG/101(3) AEUV freigestellt, so ist die Vereinbarung gemäß Art. 81(2) EG/101(2) AEUV nichtig und erzeugt keine Rechtswirkungen (Kartellverbot und Freistellung).

Literatur

Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, §§ 12, 14; Volker Emmerich, Kartellrecht, 11. Aufl. 2008, § 5 II; Thorsten Mäger, § 16, Abschn. C: Kartellrecht, in: Reiner Schulze, Manfred Zuleeg (Hg.), Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis; Markus Buchner, EG-Kartellrecht und Vertriebssysteme, insbesondere der KFZ-Vertrieb, 2006; Jonathan Faull, Ali Nikpay, The EC Law of Competition, 2. Aufl. 2007, Rn. 9.01 ff.; Peter Roth, Vivien Rose (Hg.), Bellamy & Child European Community Law of Competition, 6. Aufl. 2008, Rn. 6.001 ff.; D.G. Goyder, EC Competition Law, 3. Aufl. 1998, 177 ff.