Transportvertrag und Treu und Glauben: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Jürgen Basedow]]''
von ''[[Filippo Ranieri]]''
== 1. Begriff, Abgrenzung und Zweck ==
== 1. Die gemeinrechtlichen Wurzeln ==
Durch den Transportvertrag wird der Beförderer verpflichtet, gegen Entrichtung der vereinbarten Vergütung Personen oder Güter in eigener Verantwortung zu befördern. Diese weite Definition weist zwei charakteristische Merkmale auf: Das Versprechen der Ortsveränderung und der dafür erforderlichen Handlungen in eigener Regie und Verantwortung. Die letztere Voraussetzung grenzt den Transportvertrag ab von den verschiedenen Formen der [[Spedition; die Tätigkeit des Spediteurs ist ebenfalls auf Ortsveränderung ausgerichtet, doch verspricht er lediglich, andere mit der Ortsveränderung zu betrauen. Die Ortsveränderung muss vertragliche Hauptpflicht sein. Wer als Verkäufer eine Bringschuld eingeht und damit die Anlieferung beim Kunden verspricht, wird dadurch nicht zum Beförderer. Durch das Begriffsmerkmal der Ortsveränderung bezieht sich der Transportvertrag stets auf den Gegenstand des Transports, also Ladungsgüter oder Passagiere. Dies ist auch bei der Reisecharter und allenfalls noch bei der Zeitcharter gegeben. Rein verkehrsmittelbezogene Verträge wie die Miete oder Bareboatcharter stehen jedoch außerhalb des Transportvertrages.
Historischer Ausgangspunkt dieses zentralen Prinzips der kontinentalen Rechtstradition war die römische ''bona fides''. Es handelt sich dabei um eine sozial-normative Wertvorstellung, die bereits das klassische [[römisches Recht|römische Recht]] zutiefst geprägt hat. Die romanischen Übersetzungen davon, ''bonne foi'' bzw. ''buona fede'' oder ''buena fé'', stehen in sprachlicher Kontinuität dazu und enthalten zugleich eine sprachliche Ambivalenz, da sie zugleich auch den subjektiven ''guten Glauben'' (etwa des Besitzers) bezeichnen. In diesem subjektiven Sinne erscheint die ''bona fides'' erst in den Justinianischen Rechtsquellen und bei den mittelalterlichen Glossatoren. Die Funktion des Prinzips der ''bona fides'' wird aus den prozessualen Strukturen des klassischen römischen Rechts verständlich.  


Die vorangehende Umschreibung eignet sich für Güter- und Personentransportverträge. Weitere Begriffselemente, die sich in manchen nationalen Gesetzen finden, beziehen sich dagegen nur auf Gütertransporte. Das gilt für die Obhut an den Gütern, vgl. in Frankreich Art. 15 Loi No. 66-420, aber auch für die Ablieferungspflicht, vgl. für Deutschland § 407 Abs. 1 HGB. Zum Teil wird auch die Angabe eines bestimmten Transportmittels oder Verkehrsweges mit in die Definition des Transportvertrages aufgenommen, doch führt dies zu Schwierigkeiten bei der Beurteilung von unbenannten Transportverträgen, die dem Beförderer die Wahl des Verkehrsmittels überlassen. Eine unangemessene Einengung liegt auch in dem zusätzlichen Begriffsmerkmal der Entgeltlichkeit. Denn auch die unentgeltliche Beförderung von Passagieren oder Gütern für andere ist keineswegs immer nur Gefälligkeit, die Anwendung des Vertragsrechts kann angebracht sein.
Historischer Ausgangspunkt war die prozessuale Behandlung im Formularprozess der Stipulationsverpflichtung, eine bestimmte Sache zu geben (''obligatio dandi certam rem''). Es handelte sich dabei um eine ''actio stricti iuris''. Bereits in seiner früheren Phase kennt das römische Recht hier eine strikte objektive Haftung des säumigen Schuldners. Zentrales Instrument zur Korrektur dieser Strenge war die ''exceptio doli''. Einerseits stellte die ''exceptio doli praeteriti'' einen Einwand des Beklagten dar, wodurch dieser einen bestimmten einzelnen Tatbestand, etwa eine arglistige Täuschung, zum Zwecke der Abweisung des Anspruchs des Klägers geltend machen konnte. Damit bezog sich die ''exceptio doli praeteriti'' auf die Vergangenheit, d.h. auf den Zeitpunkt der Entstehung des geltend gemachten Anspruchs. Dagegen war die ''exceptio doli praesentis'' gegen die Klageerhebung selbst gerichtet und diente somit auch demjenigen Beklagten, gegen den der Kläger die Klage trotz Kenntnis von der Rechtsmissbräuchlichkeit seines Verhaltens erhob. In diesem letzteren Sinne diente die ''exceptio doli'' den römischen Juristen als ein prozessuales Mittel, um die Härte des ''ius civile'' bei wörtlich verpflichtenden Geschäften zu mildern und unbillige Rechtsfolgen zu korrigieren (''exceptio pacti seu doli'', etwa Ulp. D. 2,14,7,7; Ulp. D. 2,14,16pr.).


Der hier skizzierte vertragliche Ansatz hat sich im Laufe der Zeit auch gegenüber einer statusbezogenen Definition durchgesetzt. Im ''[[common law]]'' hatte die scharfe Haftung des ''common carrier'' gegenüber dem Transportkunden nicht an den Abschluss eines Vertrages angeknüpft, sondern daran, dass er sich allgemein gegenüber der Öffentlichkeit bereit erklärt hat, alle oder bestimmte Transporte zu übernehmen. In der englischen Praxis schließen die Transportunternehmen diesen Status freilich – anders als in den USA – regelmäßig durch Erklärung aus, so dass die Leistungsbeziehungen zwischen den Transportunternehmen und ihren Kunden letztlich auch in England vertraglich determiniert sind. Auch Regelungsansätze, die am Status des Beförderers als professioneller Transportunternehmer oder als Kaufmann ansetzen, sind überholt. Zwar genügen sie den Bedürfnissen der Verkehrsunternehmen, können aber Transportverträge anderer Beförderer nicht erfassen, so dass darauf letztlich relativ abstrakte und oft unpassende Vorschriften des Werkvertragsrechts ([[Werkvertrag]]) oder des allgemeinen Vertragsrechts anzuwenden sind.
Anders gestaltet sich die Rechtslage bei den Konsensualverträgen, die bereits im Formularprozess zu den ''iudicia bonae fidei'' gehören. Hier ist erst prozessual festzustellen, was der Schuldner im Einzelfall nach der ''bona fides'' leisten muss (''dare facere oportet ex fide bona''). Der Schuldner hat also nicht nur die geschuldete Leistung zu erbringen, sondern auch alles Übrige zu tun, was zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist und alles zu unterlassen, was dem zuwiderläuft. Das Kriterium der ''bona fides'' wird demnach der zentrale Gesichtspunkt bei der prozessualen Ausgestaltung der ''iudicia bonae fidei'' und damit mittelbar des Rechts der Konsensualverträge. Bei Konsensualverträgen, etwa im Kaufvertrag, brauchte die ''exceptio doli'' nämlich als Konkretisierung der ''bona fides'' nicht formell im Prozess erhoben zu werden. Es galt hier die Regel ''exceptio doli'','' metus'','' pacti … iudiciis bonae fidei insunt'' (Pomp. D. 19,1,6,9).


Der Zweck der hier vertretenen weiten Definition des Transportvertrages geht dahin, die spezifischen Probleme der Beförderung für andere mit möglichst sachnahen Vorschriften zu lösen, statt auf abstraktere und zum Teil unangemessene Regelungen zurückzugreifen. Der Beförderungsvertrag enthält Elemente verschiedener Vertragstypen, insbesondere des Auftrags, der [[Verwahrung (allgemein)|Verwahrung]], der Dienstleistung ([[Dienst(leistungs)vertrag|Dienstleistungsvertrag]]) und manchmal auch der Miete ([[Miete und Pacht]]). Die schillernde Eigenart des Vertrages hat die Qualifikation und rechtliche Behandlung in historischer und vergleichender Perspektive schwanken lassen. Ausgehend von der ''locatio conductio'' des [[römisches Recht|römischen Recht]]s wurde der Vertragstyp zum Teil mehr dem Dienstvertrag und zum Teil mehr dem Werkvertrag zugeordnet. So oder so wird seinen Besonderheiten aber nicht ausreichend Rechnung getragen. Der rechtsvergleichende Blick auf die transportrechtlichen Regelungen weist vor allem auf drei Besonderheiten hin: Es sind dies die hohen Haftungsrisiken im Güter- und Personentransport; die Besonderheiten des Drei-Personen-Verhältnisses im Gütertransport, insbesondere die Koordination der vertraglichen Rechte von Absender und Empfänger in ihrem Verhältnis zum Beförderer, und die Ausstellung von Transportdokumenten und ihr Verhältnis zu den eigentlichen Rechten aus dem Vertrag.
Mit dem Untergang des Formularprozesses verliert die ''exceptio doli'' ihre ursprüngliche Funktion. Als Verteidigungsmittel des Beklagten blieb sie allerdings im technischen Sprachgebrauch der römischen Rechtsquellen bestehen (Ulp. D. 44,4,2,5). Im römisch-gemeinen Recht spricht man hier seit dem Mittelalter von der sog. ''exceptio doli praesentis seu generalis''. Die Bezeichnung ''generalis'' erscheint erstmals in der akkursischen ''Glossa generalis'' zu D. 44,4,4,33. Auf der Grundlage dieses Textes tritt die Rechtsfigur in den argumentativen Haushalt des europäischen [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] ein. Die Autoren des französischen ''ancien droit'' betonen seit dem 16. Jahrhundert, dass alle Verträge nunmehr ''bonae fidei'' sind. Sie verlieren deshalb bereits im 17. Jahrhundert das Verständnis für die Lösungen ''ope exceptionis'' in den römischen Quellen. Diese werden als ''subtilitates iuris romani'' qualifiziert. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die ''exceptio doli generalis'' aus dem Sprachgebrauch der französischen Juristen seit dem 17. Jahrhundert verschwindet. Die Autoren der deutschen Pandektenwissenschaft im 19. Jahrhundert erwähnen sie noch, obwohl in dieser Epoche die Lösungen ''ope exceptionis'' aus der Kasuistik der römischen Quellen bereits materiellrechtlich verstanden wurden. Die deutsche gemeinrechtliche Rechtsprechung jener Jahrzehnte kennt deshalb viele Beispiele für die Anwendung der ''exceptio doli''.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 2. Die deutsche Rechtsprechung ==
Schon das römische Recht hat mit der scharfen Erfolgshaftung für Seeverfrachter nach dem ''receptum nautarum'', ''cauponum et stabulariorum'' Sonderregeln für Frachtverträge entwickelt und rechnete den Beförderungsvertrag im Übrigen zusammen mit Miete, Pacht, Dienst- und Werkverdingung dem weitesten seiner Vertragstypen, der ''locatio conductio'', zu. Die praktische Bedeutung eines eigenen Transportvertragsrechts war im Altertum, im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein jedoch gering. Gewerbliche Transporte für Dritte waren eher die Ausnahme, im Allgemeinen beförderte der Kaufmann seine Güter selbst, lagen also Warenhandel und Transport in einer Hand. Erst in merkantilistischer Zeit bildete sich in dem Fuhrmanns-, Kutschen- und Postwesen ein eigenständiges Verkehrsgewerbe heraus, im Seehandel dauerte dies sogar bis ins 19. Jahrhundert. Damit wurde das Transportvertragsrecht zur zivilrechtlichen Grundlage einer eigenen Dienstleistungsbranche. Die großen Gesetzbücher der Naturrechtszeit widmen ihm schon spezielle Abschnitte, so das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (2. Teil, 8. Titel, 11. und 15. Abschnitt) und der französische ''[[Code de Commerce]]'' (Art. 103 ff.). Darauf baute auch das [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch||ADHGB]] von 1861 auf, das in den Art. 390 ff. und 557 ff. den Landfrachtvertrag und den Eisenbahnfrachtvertrag sowie in Art. 665 ff. den Seefrachtvertrag umfassend regelte.
Die römische ''bona fides'' lebt in der deutschen [[Kodifikation]] von 1900 fort, vor allem in der richterlichen Anwendung der Generalklauseln von §§ 242 und 157 BGB. Bereits unmittelbar nach der Kodifikation knüpfte das Reichsgericht an die frühere gemeinrechtliche Judikatur zur ''exceptio doli'' an und setzte diese fort. Typisches Beispiel für diese Rechtsfortbildung ist etwa die Entwicklung des Rechtsinstituts der [[Verwirkung]], wonach derjenige, der sein Recht längere Zeit nicht ausübt, sein Recht verliert, wenn die Gegenseite nach Treu und Glauben darauf vertrauen darf, das Recht werde in Zukunft nicht mehr ausgeübt. Umgekehrt kann ebenso auf der Grundlage des allgemeinen Prinzips von „Treu und Glauben“ auch der Gläubiger selbst den Einwand der Arglist gegenüber dem Schuldner geltend machen. So ist bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts angenommen worden, dass demjenigen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden kann, der sich auf eine zwischenzeitlich eingetretene [[Verjährung]] beruft, obwohl er bei der Gegenseite ein schutzwürdiges Vertrauen darauf erweckt hat, er werde die Verjährungseinrede nicht mehr erheben. Derselbe Rechtsgedanke wurde auch herangezogen, um in Einzelfällen bei der Nichtbeachtung der gesetzlichen [[Formerfordernisse]] die strenge Sanktion der Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 BGB) zu vermeiden. Von den deutschen Gerichten wurde zunächst versucht, diese Anwendungsfälle der ''exceptio doli'' auf die gesetzliche Basis des § 826 BGB (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung) zurückzuführen. Ende der 1920er Jahre berief sich das Reichsgericht immer öfter auf das allgemeine Prinzip von „Treu und Glauben“, dem man eine selbständige normative Reichweite zubilligte, und das man gesetzlich in der Vorschrift des § 242 BGB verankert sah. In den 1930er Jahren ordnete dann ''Wolfgang Siebert'' (1905–1959) diese Kasuistik aus der Rechtsprechung in die Kategorie der „unzulässigen Rechtsausübung“ ein: eine dogmatische Einordnung, die bis heute allgemein akzeptiert wird. Das Reichsgericht hat solche Lösungen zunächst weit ausgedehnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Rechtsprechung hier allerdings zurückhaltender geworden. Heute ist der Bundesgerichtshof erst dann bereit, eine solche Korrektur gesetzlicher Vorschriften vorzunehmen, wenn das Ergebnis im Einzelfall nicht nur hart, sondern „schlechthin untragbar“ ist. In der deutschen Rechtsprechung hat sich demnach heute der Rechtsgedanke durchgesetzt, dass die treuwidrige Geltendmachung einer Rechtsposition ein ''venire contra factum proprium'' und folglich, nach dieser dogmatischen Einordnung, einen [[Rechtsmissbrauch]] darstellt.


=== a) Zwingendes Haftungsrecht und Haftungsbeschränkung  ===
Die beschriebenen Anwendungen des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ stellen nur einige klassische Fallkonstellationen dar, bei denen bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf § 242 zurückgegriffen hat. Exemplarisch ist auch die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg der Lehre des Wegfalls der [[Geschäftsgrundlage]]. Im Jahre 1963 gab ''Karl Larenz'' (1903–1993) dieser Lehre den endgültigen dogmatischen Standort im deutschen Recht als Anwendungsfall von § 242 BGB. Die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Prinzipien sind bei der Reform des Schuldrechts im Jahre 2002 in § 313 BGB nunmehr kodifiziert worden. Damit erlaubt es der Grundsatz von „Treu und Glauben“ dem deutschen Richter, gleichsam als Gesetzgeber zu operieren, indem ihm die Möglichkeit eröffnet wird, neue Rechtssätze zu schaffen, um unbillige gesetzliche oder vertragliche Härten abzumildern. Insoweit stellt die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben von § 242 BGB häufig nur eine Durchgangsstation dar, bis sich eigenständige Rechtsfiguren (etwa des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder der Verwirkung) gebildet haben (so ''Jürgen Schmidt'' und später ''Martijn Hesselink'').
Mit dem Bau von Eisenbahnen und von Stahlschiffen veränderte sich das Verhältnis von Verkehrsangebot und ‑nachfrage. Regelmäßige Linienverkehre wurden eingerichtet, durchweg von Anbietern, die für die bedienten Verkehrsrelationen ein Monopol innehatten oder mit ihren Wettbewerbern kartelliert waren. Die Reedereien und Eisenbahngesellschaften standardisierten die Vertragsbeziehungen mit ihren Kunden durch Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen, die einseitig ausgestaltet waren und unter den Bedingungen ungleicher Marktmacht auch nur selten zur Disposition standen. So wuchs im 19. Jahrhundert das Bedürfnis der Transportkunden für zwingende Mindeststandards; im Seeverkehr, wo die schwimmende Ware mittels Konnossementen weitergehandelt wurde, trat ein entsprechendes Bedürfnis weiter Kreise des Handels hinzu. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts steht die Entwicklung des Transportrechts ganz im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen solchen Forderungen der verladenden Wirtschaft und den entgegengesetzten Interessen der Eisenbahngesellschaften. Zwingende Bestimmungen für den Eisenbahnverkehr finden sich so schon im ADHGB von 1861. Über die erste Eisenbahnkonvention von 1891 werden sie zum europäischen Standard und setzen sich auch in anderen europäischen Ländern durch, so etwa innerfranzösisch in Art. 3 Abs. 3 ''Code de commerce'' von 1905.  


Im Seeverkehr halten die europäischen Länder mit ihren starken Flotteninteressen lange an der Vertragsfreiheit für Seefrachtverträge fest. Dagegen drängen überseeische Länder, deren Handelsinteressen auf die europäischen Handelsflotten und die sie entrechtenden Vertragsbedingungen angewiesen sind, auf die Einführung zwingender Mindeststandards. Dazu kommt es zuerst in den USA im ''Harter Act'' von 1893. In der Folge divergiert die Beurteilung von Konnossements-Klauseln vor europäischen und amerikanischen Gerichten ganz erheblich, Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung setzen ein. Nach dem Ersten Weltkrieg verabschiedet die ''International Law Association'', eine private Organisation, zunächst in Den Haag Musterkonnossementsbedingungen, die so genannten Haager Regeln, die zur weltweiten Verwendung empfohlen werden. Als es dazu nicht kommt, werden die Haager Regeln auf einer diplomatischen Konferenz in Brüssel 1924 als völkerrechtliche Konvention vereinbart, die im Verhältnis zwischen dem Verfrachter und dem Drittinhaber eines Konnossements zwingende Haftungsregeln schafft. Seither hat sich zwingendes Haftungsrecht in allen Verkehrszweigen für den Güter- und Personentransport durchgesetzt, wenngleich Umfang und Einzelheiten sich vielfältig unterscheiden. Als ''quid pro quo'' haben die Beförderer durchgehend Haftungsbeschränkungen erlangt, die jedoch im Allgemeinen bei Vorsatz und qualifiziertem Verschulden einer unbeschränkten Haftung weichen.
== 3. Das deutsche Recht als kontinentales Modell ==
Gerade die Sorge um eine allzu starke Richterposition führte in Frankreich und in Italien Mitte des 20. Jahrhunderts in Doktrin und Rechtsprechung zu einer sehr skeptischen Haltung gegenüber solchen Entwicklungen im deutschen Recht. Das von den deutschen Gerichten entwickelte Prinzip des Verbots eines treuwidrigen Verhaltens hat dagegen in anderen kontinentalen Rechtssystemen – insbesondere bei der schweizerischen und, später, bei der österreichischen und niederländischen Rechtsprechung – als Modell gedient. Das [[schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerische Zivilgesetzbuch]] von 1912 bestimmt ausdrücklich in Art. 2 das Gebot der Ausübung eines Rechts nach den Grundsätzen von „Treu und Glauben“, aber auch, dass der „offenbare Missbrauch“ eines Rechts keinen Rechtsschutz findet. In Anwendung dieser Norm kennt das schweizerische Bundesgericht seit langem Lösungen, die mit der beschriebenen deutschen Judikatur zum Teil vergleichbar sind. So kennt die schweizerische Rechtsprechung beispielsweise die Lehre der Verwirkung. Sie akzeptiert jedoch die Rechtsfigur des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ in weit engeren Grenzen als der deutsche Bundesgerichtshof. In besonders großem Umfang beobachtet man eine solche Rezeption in der niederländischen Rechtsprechung, und zwar bereits unter dem ''[[Burgerlijk Wetboek]]'' von 1838. Der niederländische Gesetzgeber von 1992 hat diese Rechtsentwicklung in Art. 6:2 BW verankert. Demnach ist eine gesetzliche oder eine vertragliche Norm dann nicht vom Richter zu beachten, wenn sie zu Ergebnissen führt, die mit der Billigkeit und mit der Redlichkeit unvereinbar sind. Eine solche Grenze für eine treuwidrige Rechtsausübung haben ausdrücklich auch – offenbar ebenfalls unter dem Einfluss des deutschen und des schweizerischen Rechts – das [[Griechisches Zivilgesetzbuch|griechische Zivilgesetzbuch]] von 1940/‌1946, in Art. 281, und der neue portugiesische ''Código civil'' von 1966, in Art. 303–334, vorgesehen. Dasselbe gilt für Art. 7 der neuen Fassung aus dem Jahre 1974 des ''titulo preliminar'' zum spanischen ''[[Código civil]]'' und zuletzt für § 6 des estnischen Obligationenrechts von 2002.


=== b) Internationale Rechtsvereinheitlichung  ===
Die Praxis in anderen kontinentalen Rechtsordnungen ist dagegen bis heute weit zurückhaltender geblieben. Besonders zurückhaltend scheint die Rechtsprechung der französischen ''Cour de Cassation'' zu sein, die bis heute den Rechtsgedanken der ''bonne foi contractuelle'' (Art. 1134 Abs. 3 ''Code civil'') nur auf vertragliche Beziehungen beschränkt sehen will. Die französische Rechtsprechung hat bisher auf diese Norm relativ selten zurückgegriffen. Ein Eingreifen des Richters in vertragliche Beziehungen wird in vergleichbaren Fallkonstellationen wie bei der deutschen Lehre des ''Wegfalls der Geschäftsgrundlage'' im französischen Recht durchweg abgelehnt. Der Rechtsgedanke des Verbots eines treuwidrigen ''venire contra factum proprium'' wird in der französischen Judikatur nur indirekt herangezogen, häufig versteckt in der Fiktion eines Verzichtswillens des Rechtsinhabers. Ähnlich war bis vor einigen Jahren die Zurückhaltung im spanischen und im italienischen Recht. Das italienische Kassationsgericht hat unter dem Einfluss der jüngsten italienischen Doktrin neuerdings seine Haltung geändert. Eine Vielzahl von Entscheidungen greift auf den allgemeinen Grundsatz der ''buona fede ''zurück, die in Art. 1375 ''Codice civile'' als verankert angesehen wird. Die konkreten italienischen Anwendungen dieser Rechtsgedanken bei der Inhaltskontrolle von vertraglichen Klauseln oder bei der Heranziehung von gesetzlichen Normen stehen allerdings hinter der deutschen und schweizerischen oder auch niederländischen Judikatur weit zurück. Eine grundlegende Wandlung zeichnet sich inzwischen auch im französischen Recht ab. Art. 8 des im Sommer 2008 vorgelegten ''Projet de Réforme du droit des contrats'' verankert nunmehr den allgemeinen Grundsatz: „chacune des parties est tenue d’agir de bonne foi''“''.
Das Transportvertragsrecht ist – zusammen mit dem geistigen Eigentum – eine Domäne des international vereinheitlichten Privatrechts. Grenzüberschreitende Gütertransporte sind die physische Seite des Außenhandels; ebenso wie dort hat sich deshalb auch im Transportrecht schon früh das Bedürfnis für einheitliche rechtliche Standards ergeben. Die Technik des internationalen Privatrechts, die den grenzüberschreitenden Sachverhalt einer nationalen Rechtsordnung zuweist und ihn damit gleichsam nationalisiert, eignet sich für den Gütertransport auch noch weniger als für den Kaufvertrag. Für sämtliche Verkehrsträger sind deshalb, beginnend mit der Eisenbahnkonvention von 1891, internationale Übereinkommen abgeschlossen worden, und zwar im Laufe der Zeit sowohl für den Gütertransport wie für den Personentransport, s.u. 3. Sie weisen durchweg einen hohen Ratifikationsstand auf und haben regelmäßig eine außerordentlich hohe praktische Bedeutung. Beispielsweise hat man in den 1970er Jahren geschätzt, dass die Haager Regeln für rund 80 % der Seetransporte gelten. Während die Übereinkommen des See- und Lufttransports einen universellen Zuschnitt haben, beschränken sich die Landtransportkonventionen auf Europa und angrenzende Gebiete von Afrika und Asien. Allen ist gemeinsam, dass sie nur internationale Transporte regeln. Gleichwohl geht ihre faktische Bedeutung darüber weit hinaus: Das innerstaatliche Transportrecht wurde im Laufe der Jahrzehnte in vielen Ländern dem Standard der internationalen Konventionen angepasst.


=== c) Intermodale Angleichung  ===
== 4. ''Good faith'' im englischen Recht ==
Die modalen Transportrechte der einzelnen Verkehrszweige haben sich aus zum Teil sehr alten Traditionen und unter dem Eindruck spezifischer technischer und betriebswirtschaftlicher Gegebenheiten der Produktion der Verkehrsleistung entwickelt. Dies hat zu beträchtlichen Unterschieden geführt, sei es beim Vertragsabschluss, den Weisungsrechten des Absenders, den Haftungsgrundlagen, dem Haftungsumfang oder auch bei der Dokumentation der Transporte. Diese Divergenzen waren unschädlich, solange die Transportgüter bei jeder Umladung inspiziert und neu verpackt wurden. Sie wurden indessen in dem Maße zunehmend als störend empfunden, wie sich der Containertransport durchsetzte. Da der Container während der gesamten Reise mit mehreren Verkehrsmitteln nicht geöffnet wird, kann der Empfänger im Allgemeinen nicht erkennen, welchem Teilstück der Gesamtbeförderung ein Ladungsschaden zuzuordnen ist, welches Transportrechtsregime dafür also maßgeblich ist. Dies hat zu einem erheblichen faktischen Angleichungsdruck auf die nationalen und internationalen transportrechtlichen Regelungen geführt. Die alles überragende Bedeutung des Straßengütertransports hat dessen Regime, das CMR-Übereinkommen, damit in der Sache zum Orientierungsmaßstab gemacht. Spürbar ist diese Angleichung schon in den Hamburger Regeln zum Seefrachtrecht von 1978, aber auch in den neueren Instrumenten zum Eisenbahntransport. Auf nationaler Ebene ist vor allem die deutsche Transportrechtsreform von 1998 zu nennen, die ein weitgehend einheitliches Regime für Straße ([[Straßengüterverkehr]]), Schiene ([[Eisenbahnverkehr]]), [[Luftverkehr]] und [[Binnenschifffahrt]] geschaffen hat; über die Regelung des [[Multimodaler Transport|multimodalen Transports]] erfasst sie sogar die Seetransporte in weitem Umfang.
Das englische ''[[common law]]'' kennt bis heute keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien, sich bei der Durchführung des [[Vertrag]]s an ein generelles Prinzip von Treu und Glauben (''good faith'') zu halten. „We in England find it difficult to adopt a general concept of good faith“ so bezeichnenderweise vor wenigen Jahren der englische Rechtslehrer ''Royston Goode''. „(…) The predictability of the legal outcome of a case – schreibt er fort – ist more important than absolute justice. (…) The last thing that we want to do is to drive business away by vague concepts of fairness which make judicial decisions unpredictable, and if that means that the outcome of disputes is sometimes hard on a party we regard that as an acceptable price to pay in the interest of the great majority of business litigants.” Im historischen c''ommon law'' hat der Gedanke der römischen ''bona fides'' keine Rolle gespielt. Im 18.&nbsp;Jahrhundert hat eine solche Möglichkeit allerdings durchaus bestanden. ''Lord Mansfield'' war derjenige, der diesen Rechtsgedanken in das damalige englische [[Handelsrecht]] einzuführen versuchte. Berühmt blieben insbesondere seine Aussagen im versicherungsrechtlichen Fall ''Carter v. Boehm ''<nowiki>[1766] 97 ER 1162. Das englische </nowiki>''common law'' hat allerdings die Ansicht von ''Lord Mansfield'' im Wesentlichen nicht über den Ausgangspunkt des Versicherungsvertrages hinaus weiter entwickelt. Die ''ueberrima fides'' ist bis heute im englischen Recht nur im Versicherungsrecht ein Merkmal der ''duty to disclose'' geblieben. Dennoch werden auch im englischen Recht heute bei bestimmten Fallkonstellationen mit Hilfe anderer Rechtsfiguren Lösungen erzielt, die auch mit dem kontinentalen Rechtsgedanken von Treu und Glauben begründet werden könnten. Zu erwähnen ist z.B. die Rechtsfigur des ''promissory estoppel'' und des ''estoppel by acquiescence'', wonach eine Person einen möglichen Rechtsstandpunkt nicht mehr einnehmen kann, wenn sie sich durch ihr früheres Verhalten gebunden hat. Dies entspricht etwa der Lehre der Verwirkung und des Verbotes des ''venire contra factum proprium'' im kontinentalen Recht.


== 3. Internationale Konventionen ==
Das Verständnis des englischen ''good faith'' bleibt dennoch bis heute psychologisch-subjektiv gefärbt i.S. also des subjektiven ''guten Glaubens'' und insoweit recht verschieden von den kontinentalen ''buona fede'','' bonne foi'' oder ''Treu und Glauben''. Im Wesentlichen bleibt die Haltung der englischen Juristen den beschriebenen kontinentalen Rechtsentwicklungen gegenüber skeptisch. Sie lehnen insbesondere entschieden die kontinentale Idee ab, dem Richter eine weitgehende Kontroll- und Gestaltungsbefugnis der vertraglichen Rechtsbeziehungen einzuräumen. So wird etwa eine allgemeine Haftung aus ''[[Culpa in Contrahendo|culpa in contrahendo]]'' auf der Grundlage eines allgemeinen Prinzips von Treu und Glauben bis heute abgelehnt (''Lord Ackner'' in ''Walford v. Miles''<nowiki> [1992] 2 AC 128, 138 (HL): „A duty to negotiate in good faith is as unworkable in practice as it is inherently inconsistent with the position of the negotiating parties“. Dieser Befund rechtfertigt die Skepsis derjenigen, die sich fragen, „ob die britischen Richter, wenn ein europäisches Vertragsrecht mitsamt einer Treu- und Glauben-Klausel in Kraft getreten ist, alle jene überkommenen Regeln aus ihren Nischen im </nowiki>''case law'' hervorsuchen und gerade so anwenden dürfen, als sei nichts gewesen, sofern nur klar ist, was immer klar sein durfte: nämlich dass diese Regeln mit dem Wortlaut der Treu- und Glauben-Klausel vereinbar sind“ (''Hein Kötz''). Die europäische Klausel-RL (RL&nbsp;93/‌13) hat übrigens im Jahre 1993 in ihrem Art.&nbsp;3 auch im englischen Recht den Begriff der „good faith“ bzw. „bonne foi“ oder Treu und Glauben als Kriterium einer Inhaltskontrolle von [[Allgemeine Geschäftsbedingungen|[Allgemeinen Geschäftsbedingungen]] eingeführt und die hier aufgeworfene Frage aktuell gemacht. Das ''House of Lords'' hat allerdings in seiner grundlegenden Entscheidung ''Director General of Fair Trading v. First National Bank''<nowiki> [2001] 3 WLR 1297 deutlich gemacht, dass das englische Recht auch in diesem Bereich nicht bereit ist, das kontinentale Verständnis einer solchen Generalklausel über den Umweg des europäischen Gemeinschaftsprivatrechts zu akzeptieren.</nowiki>
Das erste Übereinkommen zum einheitlichen Transportvertragsrecht wurde 1891 für den ''[[Eisenbahnverkehr]]'' geschlossen. Internationale Eisenbahntransporte, die über die Gleise verschiedener Länder führen, waren danach als durchgehende Beförderungen konzipiert, bei denen die einzelnen Eisenbahnunternehmen nacheinander in den von der Absendebahn geschlossenen Transportvertrag eintreten. Da die nachfolgenden Bahnen mit dem Absender nicht weiter verhandelten, sondern aufgrund ihrer Beförderungspflicht in den Transportvertrag eintraten, war ein einheitliches Regime für den Gesamttransport erforderlich. Die ursprüngliche Konvention für den Gütertransport (CIM) wurde später um eine Konvention über den Personentransport im Eisenbahnverkehr (CIV) ergänzt. Heute sind beide Konventionen in das Übereinkommen COTIF integriert, das nach mehreren Revisionen gegenwärtig in der stark liberalisierten Fassung von 1999 gilt.  


Auch für den ''Seetransport'' ([[Seeverkehr (Gütertransportverträge)]]; [[Seeverkehr (Personenbeförderungsverträge)]]; [[Seeverkehr (globale Haftungsbegrenzung)]]) wurden mehrere Generationen von Texten vereinbart. Die schon erwähnten Haager Regeln schufen 1924 ein zwingendes Haftungsregime, dessen Anwendung allerdings nach überwiegender Auffassung von der Ausstellung eines Konnossements abhängig war; es galt auch nur zugunsten des Drittinhabers, nicht zugunsten des direkten Vertragspartners. Die Haager Regeln wurden mehrfach überarbeitet, vor allem durch das Visby-Protokoll von 1968. Einen völlig neuartigen Ansatz verfolgt dagegen die UN-Konvention über den Seetransport von Gütern, die so genannten „Hamburg Regeln“, mit einem zwingenden Vertragsrecht, das auch unabhängig von der Ausstellung eines Transportdokuments gilt. Die Hamburg Regeln sind zwar von über 30 Staaten ratifiziert worden, von denen aber nur wenige über eigene Flotten verfügen. Um die Haag-Visby-Regeln einerseits und die Hamburg Regeln andererseits in Einklang zu bringen, arbeitet [[UNCITRAL]] gegenwärtig an einer neuen Konvention, den Rotterdam Regeln, siehe UN-Dok. A/‌CN.9/‌XLI/‌CRP.9 vom 27.6.2008. Für den Transport von Passagieren und ihrem Gepäck zur See wurde 1974 das Athener Übereinkommen geschlossen, das ebenfalls durch mehrere Protokolle, zuletzt im Jahre 2002, ergänzt wurde.
== 5. Das Europäische Privatrecht ==
Die ausdrückliche Anerkennung eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben entspricht heute, wenigstens aus kontinentaler Sicht, einer gesamteuropäischen Überzeugung. Dieser allgemeine Rechtsgedanke hat deshalb zuletzt Eingang in Art.&nbsp;1:201 PECL gefunden. Fraglich bleibt allerdings, ob er im gleichen Umfang auch in das heutige [[Gemeinschaftsprivatrecht/‌ Unionsprivatrecht]] Eingang gefunden hat. Die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s hat es bis heute vermieden, einen solchen Grundsatz als allgemeines Rechtsprinzip des Europäischen Gemeinschaftsprivatrechts ausdrücklich anzuerkennen. In der Richtliniengesetzgebung wird das Wort hingegen mehrfach verwendet. Exemplarisch ist hier der bereits erwähnte Art.&nbsp;3(1) der Klausel-RL (RL&nbsp;93/‌13). Der europäische Gesetzgeber greift auf diese Regel bei der Verankerung des Kriteriums der „Missbräuchlichkeit“ in der Klausel-RL zurück. Bereits die sprachliche Fassung der Klausel-RL lautet allerdings unterschiedlich. In der deutschen Fassung wird in Art.&nbsp;3(1) vom „Gebot von Treu und Glauben“ gesprochen. Für die deutschen Juristen bestehen hier keine Zweifel, dass es sich dabei um denselben Rechtsgedanken wie in §&nbsp;242 BGB und in dessen judizieller deutscher Konkretisierung handelt. Die englische Fassung lautet: „requirement of good faith“, in der französischen ist von „exigence de bonne foi“ die Rede, in der italienischen spricht man wiederum von „clausole che, malgrado la buona fede, determinano'' ''… “. Die nationalen Rechtstraditionen verstehen allerdings darunter nicht immer dasselbe. Wie bereits erwähnt, ordnet die deutsche Judikatur unter die Kategorie von „Treu und Glauben“ im Sinne von §&nbsp;242 BGB eine Verhaltens- und Auslegungsnorm zur Inhaltskontrolle von vertraglichen Bestimmungen ein. Die ''bonne foi'' des französischen Rechts, ebenso wie die ''buona fede'' im italienischen Recht oder die ''goede trouw'' des niederländischen Rechts indizieren dagegen nicht nur diesen objektiven Sinn, sondern auch eine subjektive Bedeutung hinsichtlich des psychologischen Wissens oder Nichtwissens eines Rechtssubjekts. Auch das englische Recht versteht unter ''good faith'' primär das subjektive Wissen oder Nichtwissen der Kontrahenten und intendiert darunter keinesfalls eine objektive Auslegungsanweisung für den Richter zur Inhaltskontrolle einer vertraglichen Abrede. In diesem Zusammenhang wird deshalb verständlich, warum in der französischen Umsetzung der fraglichen Norm (Art.&nbsp;L.132-1 ''Code de la consommation'') der Gesetzgeber bewusst von der Verwendung der Formulierung ''bonne foi'' abgesehen hat.  


Der europäische ''[[Straßengüterverkehr]]'' wird vollständig von dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) von 1956 beherrscht, das nicht nur in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt, sondern darüber hinaus auch zum Teil in Nordafrika und Zentralasien. Da es für die Anwendung der Konvention genügt, dass entweder der Absendeort oder der Empfangsort in einem Vertragsstaat liegt, reicht die praktische Bedeutung noch weit darüber hinaus, zumal das Übereinkommen absolut zwingend ist und vertragliche Abweichungen nur ausnahmsweise zulässt. Verglichen damit ist das Übereinkommen CVR zum Vertrag über die internationale Beförderung von Passagieren und Gepäck über die Straße von 1973 vergleichsweise unbedeutend; es ist nur in einigen Staaten Ost- und Südosteuropas in Kraft getreten.  
Die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s ist bis heute zu dieser Frage uneinheitlich. Im Jahre 2000 sah er sich in einem spanischen Fall dazu berufen, unmittelbar eine Vertragsklausel, die eine auch für den Verbraucher verbindliche Regelung des Gerichtsstandes enthielt, im Einzelnen als missbräuchlich zu qualifizieren (EuGH Rs. C-240/‌98 bis 244/‌98– ''Océano grupo'', Slg. 2000, I-4941). Vier Jahre später, auf eine Vorlage des deutschen Bundesgerichtshofs hin, erklärte sich das Gericht überraschend für unzuständig. Ob eine Vertragsklausel dem Gebot von Art. 3(1) der Klausel-RL im Einzelnen widerspreche, falle in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts (EuGH Rs. C-237/‌02 – ''Freiburger Kommunalbauten'', Slg. 2004, I–3403). Es ist allerdings den zahlreichen Kritikern der Entscheidung zuzugeben, dass der Gerichtshof, nachdem er sich ausdrücklich vorbehalten hat, die Anwendungsbedingungen der [[Richtlinie]]n zu präzisieren, dem nationalen Gericht einige Anhaltspunkte zur Auslegung der Begriffe „Treu und Glauben“ und „missbräuchlich“ in Art. 3(1) der Klausel-RL hätte an die Hand geben können.


Für den internationalen ''Lufttransport'' ([[Luftverkehr (Deliktische Haftung)]]; [[Luftverkehr (Vertragliche Haftung)]]) wurde noch in der Pionierphase der zivilen Luftfahrt 1929 das Warschauer Abkommen vereinbart, das über Jahrzehnte mit über 150 Ratifikationen weltweites Einheitsrecht für den Güter- und Personentransport schuf, auch wenn die niedrigen Haftungsgrenzen schon bald auf verbreitete Kritik stießen. Sie wurden in einem Haager Protokoll von 1955 angehoben, doch erwiesen sich die Entschädigungen auch danach als unzureichend. In den folgenden Jahrzehnten zersplitterte das Warschauer Haftungssystem aufgrund verschiedener einseitiger und regionaler Maßnahmen. Mit dem Übereinkommen von Montreal von 1999 hat die internationale Staatengemeinschaft nun einen neuen Versuch unternommen, ein weltweit einheitliches, einseitig zwingendes Lufttransportrecht zu schaffen, das inzwischen schon über 80 Ratifikationen erhalten hat.  
Die Geltung und die Einführung eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben im Europäischen Gemeinschaftsprivatrecht, „… la bête noire des juristes anglais“, bleiben bis heute auf der rechtspolitischen Tagesordnung. Der im Jahre 2007 vorgelegte wissenschaftliche Entwurf zu den ''Acquis Principles'', der zugleich auch eine der wesentlichen Grundlagen des Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] zum derzeitigen Europäischen Gemeinschaftsprivatrecht bildet, bleibt hier ambivalent. Nach Ansicht der Redaktoren, die sich streng auf den vorhandenen ''acquis communautaire'' beschränkt haben, bietet das gegenwärtige Gemeinschaftsprivatrecht keinen hinreichenden Anhaltspunkt für einen umfassenden Grundsatz von Treu und Glauben. Der Entwurf verzichtet deshalb darauf, eine allgemeine Generalklausel vorzuschlagen. Das Prinzip von Treu und Glauben wird stattdessen in einzelnen Zusammenhängen erwähnt, so als Pflicht bei den vorvertraglichen Verhandlungen und als Maßstab bei der Klauselkontrolle. Eine allgemein lautende Generalklausel zum Grundsatz von Treu und Glauben soll dagegen in das Dritte Buch des DCFR (Art.&nbsp;III-1:103 DCFR) aufgenommen werden, wobei allerdings auch hier in einem dritten Absatz die eindeutige normative Aussage von Art.&nbsp;1:201 PECL eingeschränkt werden soll.
 
Für die ''[[Binnenschifffahrt]]'' ist im Jahre 2001 das Budapester CMNI-Übereinkommen vereinbart worden. Es schafft erstmalig ein zwingendes Haftungsrecht für den Gütertransport und gilt mittlerweile für zahlreiche wichtige Anrainerstaaten von Rhein und Donau. Das CVN-Übereinkommen über den Passagiertransport in der Binnenschifffahrt von 1976 ist dagegen nie in Kraft getreten.
 
Schließlich ist das UN-Übereinkommen über den internationalen ''multimodalen Gütertransport'' von 1980 zu erwähnen ([[multimodaler Transport]]). Es ist anzuwenden auf internationale Beförderungen, die mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln aufgrund eines einzigen Vertrages durchgeführt werden. Zwar ist auch dieses Übereinkommen nicht in Kraft getreten, doch dient es nationalen Gesetzgebern, die den multimodalen Transport regeln wollen, gelegentlich als Quelle der Inspiration.
 
== 4. Europäisierung des Transportvertragsrechts  ==
Der Europäischen Gemeinschaft war von Anfang an das Ziel einer gemeinsamen Verkehrspolitik gesetzt; gemäß Art.&nbsp;71 EG/‌91 AEUV verfügt sie demgemäß über eine höchst umfassende Gesetzgebungskompetenz, die sich gemäß Art.&nbsp;80 EG/‌100 AEUV auf alle fünf Verkehrsträger erstreckt.
 
Auf das Gebiet des Transportprivatrechts ist die Gemeinschaft gleichwohl erst relativ spät und mit eher punktuellen Maßnahmen vorgedrungen. Am Anfang stand die VO&nbsp;295/‌91, die den Passagieren von Linienflügen einen Anspruch auf Pauschalentschädigung im Falle der Überbuchung und einige andere Rechte einräumte; sie ist inzwischen durch die umfassendere VO&nbsp;261/‌‌2004 ersetzt worden. Weitere Maßnahmen zum Luftverkehr betrafen mit der VO&nbsp;2027/‌97 die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen und damit einen Gegenstand, der zugleich im Warschauer Abkommen und im neuen Übereinkommen von Montreal geregelt ist. Eine weitere Verordnung (VO&nbsp;1107/‌2006) regelt die Rechte von Flugreisenden mit Behinderung und eingeschränkter Mobilität gegenüber Luftfahrtunternehmen (und Flughäfen). Schließlich hat die Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/‌539 das Übereinkommen von Montreal ratifiziert und es damit zu einem Bestandteil des Gemeinschaftsrechts gemacht, das vom Europäischen Gerichtshof ausgelegt wird, EuGH Rs.&nbsp;C-344/‌04 – ''IATA'', Slg.&nbsp;2006, I-403, Rn.&nbsp;34, 39.
 
Auch in anderen Verkehrszweigen knüpft die Gemeinschaft an bestehende internationale Übereinkommen an und inkorporiert sie, dies freilich zum Teil unter Abänderung und/‌oder Hinzufügung weiterer Regelungen. So wird für Personenbeförderungsverträge im Eisenbahnverkehr durch die VO&nbsp;1371/‌2007 das Internationale Eisenbahnübereinkommen (CIV) für verbindlich erklärt und damit auch auf innerstaatliche Eisenbahntransportverträge erstreckt. Ähnliches plant die Kommission für die Beförderung von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr. Hier ist nicht nur die Ratifikation des Athener Übereinkommens durch die Gemeinschaft geplant, KOM(2003) 375 endg., sondern auch die weitgehende Erstreckung der Regelungen des Übereinkommens auf innerstaatliche Transporte und auf die Binnenschifffahrt, KOM(2005) 592 endg. Die Übernahme völkerrechtlicher Transportrechtskonventionen für innerstaatliche Beförderungen ist nicht völlig neu. Viele Staaten haben in der Vergangenheit das Warschauer Abkommen auf ihre innerstaatlichen Lufttransporte oder die CMR auf den nationalen Straßengüterverkehr angewendet. Neu ist jedoch der ''Octroi'' der Europäischen Union. Wo es zu Abweichungen des gemeinschaftsrechtlichen Texts von der internationalen Konvention kommt, können sich schwierige Konflikte zwischen dem Gemeinschaftsrecht und der völkerrechtlichen Bindung der Mitgliedstaaten ergeben. Art.&nbsp;307 EG/‌351 AEUV löst diese Konflikte nur zum kleineren Teil.  


==Literatur==
==Literatur==
''Lars'' ''Gorton'', The Concept of the Common Carrier in Anglo-American Law, 1971; ''Jürgen'' ''Basedow'', Der Transportvertrag, 1987; ''idem'', Hundert Jahre Transportrecht: Vom Scheitern der Kodifikationsidee und ihrer Renaissance, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 161 (1997) 186&nbsp;ff.; ''Krijn Haak'', Revision der CMR? Transportrecht 2006, 325&nbsp;ff.; ''Hans''-''Georg'' ''Bollweg'', ''Annette'' ''Schnellenbach'', Die Neuordnung der Luftverkehrshaftung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 798&nbsp;ff.; ''Ingo Koller'', Transportrecht, 6.&nbsp;Aufl. 2007; ''Rainer Freise'', Neue Entwicklungen im Eisenbahnrecht anlässlich des Inkrafttretens des Übereinkommens COTIF 1999, Transportrecht 2007, 45&nbsp;ff.; ''Jens Karsten'', Passengers, consumers and travellers: The rise of passenger rights in EC transport law and its repercussions for Community consumer law and policy, Journal of Consumer Policy 30 (2007) 117&nbsp;ff.; ''Olaf Hartenstein'', Grenzüberschreitende Transporte in der Binnenschifffahrt, Transportrecht 2007, 385&nbsp;ff.; ''Nicolai Lagoni'', Die Haftung des Beförderers von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr und das Gemeinschaftsrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 1079&nbsp;ff. mit Erwiderung ''Erik'' ''Røsæg'', Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 599&nbsp;ff.; zu den Rotterdam Regeln siehe das Sonderheft (Heft 6) des Journal of International Maritime Law 14 (2008) 459&nbsp;ff.
''Franz Wieacker'', Zur rechtstheoretischen Präzisierung von § 242 BGB, 1956;'' Royston Goode'', The Concept of “Good Faith” in English Law, 1992; ''Antonio Menezes-Cordeiro'', Da boa fé no direito civil, 1984, Bde.&nbsp;I-II, 2.&nbsp;Aufl. 1997; ''Hein Kötz'', Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, in: Peter Cane (Hg.), The Law of Obligations: Essays in celebration of John Fleming, 1998, 243&nbsp;ff.; ''Martijn Hesselink'', De redelijkheid en billijkheid in het europese privaatrecht: Good Faith in European Private Law, 1999; ''Reinhard Zimmermann'', ''Simon Whittaker'' (Hg.), Good Faith in European Contract Law, 2000; ''Béatrice Jaluzot'', La bonne foi dans les contrats, 2001; ''Benedicte Fauvarque-Cosson ''(Hg.), La confiance légitime et l’estoppel, 2007; ''Christian Eckl'', Treu und Glauben im spanischen Vertragsrecht, 2007; ''Filippo Ranieri'', Europäisches Obligationenrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2009, 1801&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Carriage,_Contract_of]]
[[en:Good_Faith]]

Version vom 29. September 2021, 12:57 Uhr

von Filippo Ranieri

1. Die gemeinrechtlichen Wurzeln

Historischer Ausgangspunkt dieses zentralen Prinzips der kontinentalen Rechtstradition war die römische bona fides. Es handelt sich dabei um eine sozial-normative Wertvorstellung, die bereits das klassische römische Recht zutiefst geprägt hat. Die romanischen Übersetzungen davon, bonne foi bzw. buona fede oder buena fé, stehen in sprachlicher Kontinuität dazu und enthalten zugleich eine sprachliche Ambivalenz, da sie zugleich auch den subjektiven guten Glauben (etwa des Besitzers) bezeichnen. In diesem subjektiven Sinne erscheint die bona fides erst in den Justinianischen Rechtsquellen und bei den mittelalterlichen Glossatoren. Die Funktion des Prinzips der bona fides wird aus den prozessualen Strukturen des klassischen römischen Rechts verständlich.

Historischer Ausgangspunkt war die prozessuale Behandlung im Formularprozess der Stipulationsverpflichtung, eine bestimmte Sache zu geben (obligatio dandi certam rem). Es handelte sich dabei um eine actio stricti iuris. Bereits in seiner früheren Phase kennt das römische Recht hier eine strikte objektive Haftung des säumigen Schuldners. Zentrales Instrument zur Korrektur dieser Strenge war die exceptio doli. Einerseits stellte die exceptio doli praeteriti einen Einwand des Beklagten dar, wodurch dieser einen bestimmten einzelnen Tatbestand, etwa eine arglistige Täuschung, zum Zwecke der Abweisung des Anspruchs des Klägers geltend machen konnte. Damit bezog sich die exceptio doli praeteriti auf die Vergangenheit, d.h. auf den Zeitpunkt der Entstehung des geltend gemachten Anspruchs. Dagegen war die exceptio doli praesentis gegen die Klageerhebung selbst gerichtet und diente somit auch demjenigen Beklagten, gegen den der Kläger die Klage trotz Kenntnis von der Rechtsmissbräuchlichkeit seines Verhaltens erhob. In diesem letzteren Sinne diente die exceptio doli den römischen Juristen als ein prozessuales Mittel, um die Härte des ius civile bei wörtlich verpflichtenden Geschäften zu mildern und unbillige Rechtsfolgen zu korrigieren (exceptio pacti seu doli, etwa Ulp. D. 2,14,7,7; Ulp. D. 2,14,16pr.).

Anders gestaltet sich die Rechtslage bei den Konsensualverträgen, die bereits im Formularprozess zu den iudicia bonae fidei gehören. Hier ist erst prozessual festzustellen, was der Schuldner im Einzelfall nach der bona fides leisten muss (dare facere oportet ex fide bona). Der Schuldner hat also nicht nur die geschuldete Leistung zu erbringen, sondern auch alles Übrige zu tun, was zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist und alles zu unterlassen, was dem zuwiderläuft. Das Kriterium der bona fides wird demnach der zentrale Gesichtspunkt bei der prozessualen Ausgestaltung der iudicia bonae fidei und damit mittelbar des Rechts der Konsensualverträge. Bei Konsensualverträgen, etwa im Kaufvertrag, brauchte die exceptio doli nämlich als Konkretisierung der bona fides nicht formell im Prozess erhoben zu werden. Es galt hier die Regel exceptio doli, metus, pacti … iudiciis bonae fidei insunt (Pomp. D. 19,1,6,9).

Mit dem Untergang des Formularprozesses verliert die exceptio doli ihre ursprüngliche Funktion. Als Verteidigungsmittel des Beklagten blieb sie allerdings im technischen Sprachgebrauch der römischen Rechtsquellen bestehen (Ulp. D. 44,4,2,5). Im römisch-gemeinen Recht spricht man hier seit dem Mittelalter von der sog. exceptio doli praesentis seu generalis. Die Bezeichnung generalis erscheint erstmals in der akkursischen Glossa generalis zu D. 44,4,4,33. Auf der Grundlage dieses Textes tritt die Rechtsfigur in den argumentativen Haushalt des europäischen ius commune ein. Die Autoren des französischen ancien droit betonen seit dem 16. Jahrhundert, dass alle Verträge nunmehr bonae fidei sind. Sie verlieren deshalb bereits im 17. Jahrhundert das Verständnis für die Lösungen ope exceptionis in den römischen Quellen. Diese werden als subtilitates iuris romani qualifiziert. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die exceptio doli generalis aus dem Sprachgebrauch der französischen Juristen seit dem 17. Jahrhundert verschwindet. Die Autoren der deutschen Pandektenwissenschaft im 19. Jahrhundert erwähnen sie noch, obwohl in dieser Epoche die Lösungen ope exceptionis aus der Kasuistik der römischen Quellen bereits materiellrechtlich verstanden wurden. Die deutsche gemeinrechtliche Rechtsprechung jener Jahrzehnte kennt deshalb viele Beispiele für die Anwendung der exceptio doli.

2. Die deutsche Rechtsprechung

Die römische bona fides lebt in der deutschen Kodifikation von 1900 fort, vor allem in der richterlichen Anwendung der Generalklauseln von §§ 242 und 157 BGB. Bereits unmittelbar nach der Kodifikation knüpfte das Reichsgericht an die frühere gemeinrechtliche Judikatur zur exceptio doli an und setzte diese fort. Typisches Beispiel für diese Rechtsfortbildung ist etwa die Entwicklung des Rechtsinstituts der Verwirkung, wonach derjenige, der sein Recht längere Zeit nicht ausübt, sein Recht verliert, wenn die Gegenseite nach Treu und Glauben darauf vertrauen darf, das Recht werde in Zukunft nicht mehr ausgeübt. Umgekehrt kann ebenso auf der Grundlage des allgemeinen Prinzips von „Treu und Glauben“ auch der Gläubiger selbst den Einwand der Arglist gegenüber dem Schuldner geltend machen. So ist bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts angenommen worden, dass demjenigen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden kann, der sich auf eine zwischenzeitlich eingetretene Verjährung beruft, obwohl er bei der Gegenseite ein schutzwürdiges Vertrauen darauf erweckt hat, er werde die Verjährungseinrede nicht mehr erheben. Derselbe Rechtsgedanke wurde auch herangezogen, um in Einzelfällen bei der Nichtbeachtung der gesetzlichen Formerfordernisse die strenge Sanktion der Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 BGB) zu vermeiden. Von den deutschen Gerichten wurde zunächst versucht, diese Anwendungsfälle der exceptio doli auf die gesetzliche Basis des § 826 BGB (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung) zurückzuführen. Ende der 1920er Jahre berief sich das Reichsgericht immer öfter auf das allgemeine Prinzip von „Treu und Glauben“, dem man eine selbständige normative Reichweite zubilligte, und das man gesetzlich in der Vorschrift des § 242 BGB verankert sah. In den 1930er Jahren ordnete dann Wolfgang Siebert (1905–1959) diese Kasuistik aus der Rechtsprechung in die Kategorie der „unzulässigen Rechtsausübung“ ein: eine dogmatische Einordnung, die bis heute allgemein akzeptiert wird. Das Reichsgericht hat solche Lösungen zunächst weit ausgedehnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Rechtsprechung hier allerdings zurückhaltender geworden. Heute ist der Bundesgerichtshof erst dann bereit, eine solche Korrektur gesetzlicher Vorschriften vorzunehmen, wenn das Ergebnis im Einzelfall nicht nur hart, sondern „schlechthin untragbar“ ist. In der deutschen Rechtsprechung hat sich demnach heute der Rechtsgedanke durchgesetzt, dass die treuwidrige Geltendmachung einer Rechtsposition ein venire contra factum proprium und folglich, nach dieser dogmatischen Einordnung, einen Rechtsmissbrauch darstellt.

Die beschriebenen Anwendungen des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ stellen nur einige klassische Fallkonstellationen dar, bei denen bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf § 242 zurückgegriffen hat. Exemplarisch ist auch die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg der Lehre des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Im Jahre 1963 gab Karl Larenz (1903–1993) dieser Lehre den endgültigen dogmatischen Standort im deutschen Recht als Anwendungsfall von § 242 BGB. Die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Prinzipien sind bei der Reform des Schuldrechts im Jahre 2002 in § 313 BGB nunmehr kodifiziert worden. Damit erlaubt es der Grundsatz von „Treu und Glauben“ dem deutschen Richter, gleichsam als Gesetzgeber zu operieren, indem ihm die Möglichkeit eröffnet wird, neue Rechtssätze zu schaffen, um unbillige gesetzliche oder vertragliche Härten abzumildern. Insoweit stellt die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben von § 242 BGB häufig nur eine Durchgangsstation dar, bis sich eigenständige Rechtsfiguren (etwa des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder der Verwirkung) gebildet haben (so Jürgen Schmidt und später Martijn Hesselink).

3. Das deutsche Recht als kontinentales Modell

Gerade die Sorge um eine allzu starke Richterposition führte in Frankreich und in Italien Mitte des 20. Jahrhunderts in Doktrin und Rechtsprechung zu einer sehr skeptischen Haltung gegenüber solchen Entwicklungen im deutschen Recht. Das von den deutschen Gerichten entwickelte Prinzip des Verbots eines treuwidrigen Verhaltens hat dagegen in anderen kontinentalen Rechtssystemen – insbesondere bei der schweizerischen und, später, bei der österreichischen und niederländischen Rechtsprechung – als Modell gedient. Das schweizerische Zivilgesetzbuch von 1912 bestimmt ausdrücklich in Art. 2 das Gebot der Ausübung eines Rechts nach den Grundsätzen von „Treu und Glauben“, aber auch, dass der „offenbare Missbrauch“ eines Rechts keinen Rechtsschutz findet. In Anwendung dieser Norm kennt das schweizerische Bundesgericht seit langem Lösungen, die mit der beschriebenen deutschen Judikatur zum Teil vergleichbar sind. So kennt die schweizerische Rechtsprechung beispielsweise die Lehre der Verwirkung. Sie akzeptiert jedoch die Rechtsfigur des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ in weit engeren Grenzen als der deutsche Bundesgerichtshof. In besonders großem Umfang beobachtet man eine solche Rezeption in der niederländischen Rechtsprechung, und zwar bereits unter dem Burgerlijk Wetboek von 1838. Der niederländische Gesetzgeber von 1992 hat diese Rechtsentwicklung in Art. 6:2 BW verankert. Demnach ist eine gesetzliche oder eine vertragliche Norm dann nicht vom Richter zu beachten, wenn sie zu Ergebnissen führt, die mit der Billigkeit und mit der Redlichkeit unvereinbar sind. Eine solche Grenze für eine treuwidrige Rechtsausübung haben ausdrücklich auch – offenbar ebenfalls unter dem Einfluss des deutschen und des schweizerischen Rechts – das griechische Zivilgesetzbuch von 1940/‌1946, in Art. 281, und der neue portugiesische Código civil von 1966, in Art. 303–334, vorgesehen. Dasselbe gilt für Art. 7 der neuen Fassung aus dem Jahre 1974 des titulo preliminar zum spanischen Código civil und zuletzt für § 6 des estnischen Obligationenrechts von 2002.

Die Praxis in anderen kontinentalen Rechtsordnungen ist dagegen bis heute weit zurückhaltender geblieben. Besonders zurückhaltend scheint die Rechtsprechung der französischen Cour de Cassation zu sein, die bis heute den Rechtsgedanken der bonne foi contractuelle (Art. 1134 Abs. 3 Code civil) nur auf vertragliche Beziehungen beschränkt sehen will. Die französische Rechtsprechung hat bisher auf diese Norm relativ selten zurückgegriffen. Ein Eingreifen des Richters in vertragliche Beziehungen wird in vergleichbaren Fallkonstellationen wie bei der deutschen Lehre des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im französischen Recht durchweg abgelehnt. Der Rechtsgedanke des Verbots eines treuwidrigen venire contra factum proprium wird in der französischen Judikatur nur indirekt herangezogen, häufig versteckt in der Fiktion eines Verzichtswillens des Rechtsinhabers. Ähnlich war bis vor einigen Jahren die Zurückhaltung im spanischen und im italienischen Recht. Das italienische Kassationsgericht hat unter dem Einfluss der jüngsten italienischen Doktrin neuerdings seine Haltung geändert. Eine Vielzahl von Entscheidungen greift auf den allgemeinen Grundsatz der buona fede zurück, die in Art. 1375 Codice civile als verankert angesehen wird. Die konkreten italienischen Anwendungen dieser Rechtsgedanken bei der Inhaltskontrolle von vertraglichen Klauseln oder bei der Heranziehung von gesetzlichen Normen stehen allerdings hinter der deutschen und schweizerischen oder auch niederländischen Judikatur weit zurück. Eine grundlegende Wandlung zeichnet sich inzwischen auch im französischen Recht ab. Art. 8 des im Sommer 2008 vorgelegten Projet de Réforme du droit des contrats verankert nunmehr den allgemeinen Grundsatz: „chacune des parties est tenue d’agir de bonne foi.

4. Good faith im englischen Recht

Das englische common law kennt bis heute keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien, sich bei der Durchführung des Vertrags an ein generelles Prinzip von Treu und Glauben (good faith) zu halten. „We in England find it difficult to adopt a general concept of good faith“ so bezeichnenderweise vor wenigen Jahren der englische Rechtslehrer Royston Goode. „(…) The predictability of the legal outcome of a case – schreibt er fort – ist more important than absolute justice. (…) The last thing that we want to do is to drive business away by vague concepts of fairness which make judicial decisions unpredictable, and if that means that the outcome of disputes is sometimes hard on a party we regard that as an acceptable price to pay in the interest of the great majority of business litigants.” Im historischen common law hat der Gedanke der römischen bona fides keine Rolle gespielt. Im 18. Jahrhundert hat eine solche Möglichkeit allerdings durchaus bestanden. Lord Mansfield war derjenige, der diesen Rechtsgedanken in das damalige englische Handelsrecht einzuführen versuchte. Berühmt blieben insbesondere seine Aussagen im versicherungsrechtlichen Fall Carter v. Boehm [1766] 97 ER 1162. Das englische common law hat allerdings die Ansicht von Lord Mansfield im Wesentlichen nicht über den Ausgangspunkt des Versicherungsvertrages hinaus weiter entwickelt. Die ueberrima fides ist bis heute im englischen Recht nur im Versicherungsrecht ein Merkmal der duty to disclose geblieben. Dennoch werden auch im englischen Recht heute bei bestimmten Fallkonstellationen mit Hilfe anderer Rechtsfiguren Lösungen erzielt, die auch mit dem kontinentalen Rechtsgedanken von Treu und Glauben begründet werden könnten. Zu erwähnen ist z.B. die Rechtsfigur des promissory estoppel und des estoppel by acquiescence, wonach eine Person einen möglichen Rechtsstandpunkt nicht mehr einnehmen kann, wenn sie sich durch ihr früheres Verhalten gebunden hat. Dies entspricht etwa der Lehre der Verwirkung und des Verbotes des venire contra factum proprium im kontinentalen Recht.

Das Verständnis des englischen good faith bleibt dennoch bis heute psychologisch-subjektiv gefärbt i.S. also des subjektiven guten Glaubens und insoweit recht verschieden von den kontinentalen buona fede, bonne foi oder Treu und Glauben. Im Wesentlichen bleibt die Haltung der englischen Juristen den beschriebenen kontinentalen Rechtsentwicklungen gegenüber skeptisch. Sie lehnen insbesondere entschieden die kontinentale Idee ab, dem Richter eine weitgehende Kontroll- und Gestaltungsbefugnis der vertraglichen Rechtsbeziehungen einzuräumen. So wird etwa eine allgemeine Haftung aus culpa in contrahendo auf der Grundlage eines allgemeinen Prinzips von Treu und Glauben bis heute abgelehnt (Lord Ackner in Walford v. Miles [1992] 2 AC 128, 138 (HL): „A duty to negotiate in good faith is as unworkable in practice as it is inherently inconsistent with the position of the negotiating parties“. Dieser Befund rechtfertigt die Skepsis derjenigen, die sich fragen, „ob die britischen Richter, wenn ein europäisches Vertragsrecht mitsamt einer Treu- und Glauben-Klausel in Kraft getreten ist, alle jene überkommenen Regeln aus ihren Nischen im case law hervorsuchen und gerade so anwenden dürfen, als sei nichts gewesen, sofern nur klar ist, was immer klar sein durfte: nämlich dass diese Regeln mit dem Wortlaut der Treu- und Glauben-Klausel vereinbar sind“ (Hein Kötz). Die europäische Klausel-RL (RL 93/‌13) hat übrigens im Jahre 1993 in ihrem Art. 3 auch im englischen Recht den Begriff der „good faith“ bzw. „bonne foi“ oder Treu und Glauben als Kriterium einer Inhaltskontrolle von [Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeführt und die hier aufgeworfene Frage aktuell gemacht. Das House of Lords hat allerdings in seiner grundlegenden Entscheidung Director General of Fair Trading v. First National Bank [2001] 3 WLR 1297 deutlich gemacht, dass das englische Recht auch in diesem Bereich nicht bereit ist, das kontinentale Verständnis einer solchen Generalklausel über den Umweg des europäischen Gemeinschaftsprivatrechts zu akzeptieren.

5. Das Europäische Privatrecht

Die ausdrückliche Anerkennung eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben entspricht heute, wenigstens aus kontinentaler Sicht, einer gesamteuropäischen Überzeugung. Dieser allgemeine Rechtsgedanke hat deshalb zuletzt Eingang in Art. 1:201 PECL gefunden. Fraglich bleibt allerdings, ob er im gleichen Umfang auch in das heutige Gemeinschaftsprivatrecht/‌ Unionsprivatrecht Eingang gefunden hat. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat es bis heute vermieden, einen solchen Grundsatz als allgemeines Rechtsprinzip des Europäischen Gemeinschaftsprivatrechts ausdrücklich anzuerkennen. In der Richtliniengesetzgebung wird das Wort hingegen mehrfach verwendet. Exemplarisch ist hier der bereits erwähnte Art. 3(1) der Klausel-RL (RL 93/‌13). Der europäische Gesetzgeber greift auf diese Regel bei der Verankerung des Kriteriums der „Missbräuchlichkeit“ in der Klausel-RL zurück. Bereits die sprachliche Fassung der Klausel-RL lautet allerdings unterschiedlich. In der deutschen Fassung wird in Art. 3(1) vom „Gebot von Treu und Glauben“ gesprochen. Für die deutschen Juristen bestehen hier keine Zweifel, dass es sich dabei um denselben Rechtsgedanken wie in § 242 BGB und in dessen judizieller deutscher Konkretisierung handelt. Die englische Fassung lautet: „requirement of good faith“, in der französischen ist von „exigence de bonne foi“ die Rede, in der italienischen spricht man wiederum von „clausole che, malgrado la buona fede, determinano … “. Die nationalen Rechtstraditionen verstehen allerdings darunter nicht immer dasselbe. Wie bereits erwähnt, ordnet die deutsche Judikatur unter die Kategorie von „Treu und Glauben“ im Sinne von § 242 BGB eine Verhaltens- und Auslegungsnorm zur Inhaltskontrolle von vertraglichen Bestimmungen ein. Die bonne foi des französischen Rechts, ebenso wie die buona fede im italienischen Recht oder die goede trouw des niederländischen Rechts indizieren dagegen nicht nur diesen objektiven Sinn, sondern auch eine subjektive Bedeutung hinsichtlich des psychologischen Wissens oder Nichtwissens eines Rechtssubjekts. Auch das englische Recht versteht unter good faith primär das subjektive Wissen oder Nichtwissen der Kontrahenten und intendiert darunter keinesfalls eine objektive Auslegungsanweisung für den Richter zur Inhaltskontrolle einer vertraglichen Abrede. In diesem Zusammenhang wird deshalb verständlich, warum in der französischen Umsetzung der fraglichen Norm (Art. L.132-1 Code de la consommation) der Gesetzgeber bewusst von der Verwendung der Formulierung bonne foi abgesehen hat.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bis heute zu dieser Frage uneinheitlich. Im Jahre 2000 sah er sich in einem spanischen Fall dazu berufen, unmittelbar eine Vertragsklausel, die eine auch für den Verbraucher verbindliche Regelung des Gerichtsstandes enthielt, im Einzelnen als missbräuchlich zu qualifizieren (EuGH Rs. C-240/‌98 bis 244/‌98– Océano grupo, Slg. 2000, I-4941). Vier Jahre später, auf eine Vorlage des deutschen Bundesgerichtshofs hin, erklärte sich das Gericht überraschend für unzuständig. Ob eine Vertragsklausel dem Gebot von Art. 3(1) der Klausel-RL im Einzelnen widerspreche, falle in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts (EuGH Rs. C-237/‌02 – Freiburger Kommunalbauten, Slg. 2004, I–3403). Es ist allerdings den zahlreichen Kritikern der Entscheidung zuzugeben, dass der Gerichtshof, nachdem er sich ausdrücklich vorbehalten hat, die Anwendungsbedingungen der Richtlinien zu präzisieren, dem nationalen Gericht einige Anhaltspunkte zur Auslegung der Begriffe „Treu und Glauben“ und „missbräuchlich“ in Art. 3(1) der Klausel-RL hätte an die Hand geben können.

Die Geltung und die Einführung eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben im Europäischen Gemeinschaftsprivatrecht, „… la bête noire des juristes anglais“, bleiben bis heute auf der rechtspolitischen Tagesordnung. Der im Jahre 2007 vorgelegte wissenschaftliche Entwurf zu den Acquis Principles, der zugleich auch eine der wesentlichen Grundlagen des Draft DCFR zum derzeitigen Europäischen Gemeinschaftsprivatrecht bildet, bleibt hier ambivalent. Nach Ansicht der Redaktoren, die sich streng auf den vorhandenen acquis communautaire beschränkt haben, bietet das gegenwärtige Gemeinschaftsprivatrecht keinen hinreichenden Anhaltspunkt für einen umfassenden Grundsatz von Treu und Glauben. Der Entwurf verzichtet deshalb darauf, eine allgemeine Generalklausel vorzuschlagen. Das Prinzip von Treu und Glauben wird stattdessen in einzelnen Zusammenhängen erwähnt, so als Pflicht bei den vorvertraglichen Verhandlungen und als Maßstab bei der Klauselkontrolle. Eine allgemein lautende Generalklausel zum Grundsatz von Treu und Glauben soll dagegen in das Dritte Buch des DCFR (Art. III-1:103 DCFR) aufgenommen werden, wobei allerdings auch hier in einem dritten Absatz die eindeutige normative Aussage von Art. 1:201 PECL eingeschränkt werden soll.

Literatur

Franz Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung von § 242 BGB, 1956; Royston Goode, The Concept of “Good Faith” in English Law, 1992; Antonio Menezes-Cordeiro, Da boa fé no direito civil, 1984, Bde. I-II, 2. Aufl. 1997; Hein Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, in: Peter Cane (Hg.), The Law of Obligations: Essays in celebration of John Fleming, 1998, 243 ff.; Martijn Hesselink, De redelijkheid en billijkheid in het europese privaatrecht: Good Faith in European Private Law, 1999; Reinhard Zimmermann, Simon Whittaker (Hg.), Good Faith in European Contract Law, 2000; Béatrice Jaluzot, La bonne foi dans les contrats, 2001; Benedicte Fauvarque-Cosson (Hg.), La confiance légitime et l’estoppel, 2007; Christian Eckl, Treu und Glauben im spanischen Vertragsrecht, 2007; Filippo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, 1801 ff.