Sitten- und Gesetzwidrigkeit von Verträgen und Skandinavische Rechtsvereinheitlichung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Hein Kötz]]''
von ''[[Anneken Kari Sperr]]''
== 1. Allgemeines ==
== 1. Begriff und Abgrenzung ==
Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz sind Verträge ungültig, wenn und soweit sie gegen die guten Sitten (''boni mores''), gegen die öffentliche Ordnung (''ordre public'','' ordine pubblico'','' public policy'') oder gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen. In Frankreich und Italien wird die Ungültigkeit eines Vertrages mit dem Begriff der ''cause'' oder ''causa'' in Verbindung gebracht. Ungültig ist demnach der Vertrag, dem ''une cause illicite'' zugrunde liegt; eine ''cause illicite'' ist gegeben, wenn sie ''prohibée par la loi'' oder ''contraire aux bonnes mœurs ou à l’ordre public'' ist (vgl. Art. 1131, 1133 ''Code civil'', Art. 1343, 1418 ''Codice civile''). In den Rechtsordnungen des ''[[common law]]'' wird der gesetz- oder sittenwidrige Vertrag oft als „unenforceable“ bezeichnet.
Der Begriff der skandinavischen Rechtsvereinheitlichung umfasst zunächst die Zusammenarbeit der nordischen Länder bei der Schaffung und Abstimmung von Gesetzgebungsakten mit dem Ziel einer größtmöglichen Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen. Des Weiteren schließt er einen rechtskulturellen Aspekt ([[Rechtskultur]]), die Gemeinschaft der nordischen Juristen, ein, die aus vielfältigen Kontakten, Anknüpfungspunkten und Netzwerken zwischen den Rechtgelehrten, Juristen im öffentlichen Dienst und Anwälten der verschiedenen nordischen Länder besteht.


Was unter einem Verstoß gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung zu verstehen ist, wird in den Rechtsordnungen manchmal unterschiedlich und oft auch heute anders als früher beurteilt; auch kann in der einen Rechtsordnung durch gesetzliche Vorschriften verboten sein, was anderswo gegen ungeschriebene Regeln des Anstandsgefühls oder der öffentlichen Ordnung verstößt. In jedem Falle lässt sich das Problem mit legislatorischen Mitteln nur annäherungsweise – nur durch „Generalklauseln“ – lösen. Ob und in welchem Umfang ein bestimmter Vertrag unwirksam ist, kann man daher in jeder nationalen Rechtsordnung, aber auch bei rechtsvergleichender Betrachtung nur dann beurteilen, wenn man auch die Rechtsprechung in Betracht zieht und zur Ordnung des Stoffs Fallgruppen bildet. Das gilt auch für die Frage, ob im Falle der Sitten- oder Gesetzwidrigkeit eines Vertrages nur der Erfüllungsanspruch und der Anspruch auf Schadensersatz wegen Vertragsbruchs oder ob auch Ansprüche auf Rückforderung der bereits erbrachten Leistungen ausgeschlossen oder beschränkt sind.
Beide Elemente haben im Laufe der vergangenen gut 150 Jahre zu einer Reihe nahezu gleichlautender Gesetze auf dem Gebiet des Privatrechts geführt. Darüber hinaus haben sie gemeinsame Grundzüge und Rechtstraditionen geschaffen, die es ermöglichen, vom nordischen Recht als einer eigenen Rechtsfamilie ([[Rechtskreislehre]]), einer nordischen Rechtstradition unter den Rechtssystemen der Welt zu sprechen.


== 2. Verstöße gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung ==
Kennzeichnend für die skandinavische Rechtsvereinheitlichung ist, dass sie nur in sehr bescheidenem Maße institutionalisiert ist. Sie beruht im Wesentlichen auf einer gemeinsamen Wertegrundlage, einer mehr oder weniger gemeinsamen Sprache und auf persönlichen Kontakten; gleichwohl wird auf vereinzelte gemeinsame Institutionen noch zurückzukommen sein.  
Ungültig sind z.B. Verträge, deren Inhalt gegen anerkannte Gebote der Sexualmoral und der Ordnung des Familienlebens verstößt. Das gleiche gilt für Verträge, die auf eine Irreführung staatlicher Behörden, auf die Bestechung von Amtspersonen oder auf die Vorbereitung oder Begehung einer strafbaren Handlung abzielen oder das ordnungsmäßige Funktionieren des Justizapparats z.B. dadurch untergraben, dass für bestimmte Streitigkeiten die Anrufung der staatlichen Gerichte ausgeschlossen, einem Zeugen für seine Falschaussage Geld gezahlt oder einem Rechtsanwalt nur im Falle des Prozesserfolgs ein Honorar geschuldet sein soll.


Ungültig sind ferner Verträge, durch die sich der eine Vertragspartner einer übermäßigen Beschränkung seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Handlungsfreiheit unterwirft. Hierher gehören z.B. Verträge, in denen sich ein Arbeitnehmer oder Gesellschafter verpflichtet, nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder der Gesellschaft nicht in Wettbewerb zu treten. Ähnlich liegen Fälle, in denen sich der Verkäufer eines Unternehmens dem Käufer gegenüber zur Unterlassung von Wettbewerb verpflichtet. Solche Wettbewerbsverbote sind ungültig, wenn sie in Bezug auf ihren Umfang, ihre zeitliche Dauer und ihren örtlichen Geltungsbereich bestimmte Grenzen überschreiten. Diese Grenzen werden manchmal – besonders bei Arbeitsverhältnissen – durch gesetzliche Vorschriften festgelegt und sonst je nach den Umständen des Falles von der Rechtsprechung bestimmt. Ungültig können Verträge auch insoweit sein, als sie eine übermäßig lange Bindungsdauer vorsehen. Wenn ein Wettbewerbsverbot oder die Dauer einer Vertragsbindung die erlaubten Grenzen überschreitet, so wird in der Regel angenommen, dass die darüber getroffene Vereinbarung nicht ''in toto'' ungültig ist, sondern auf das zulässige Maß reduziert werden darf und in diesem Umfang wirksam ist. So liegt es typischerweise bei Verträgen, durch die sich die Betreiber von Gaststätten oder Tankstellen für lange Zeit verpflichten, ihren Bedarf an Getränken oder Kraftstoffen ausschließlich von ihrem Vertragspartner zu beziehen. In allen diesen Fällen kann sich die gänzliche oder teilweise Unwirksamkeit des Vertrages auch aus einem Verstoß gegen das nationale oder europäische Wettbewerbsrecht ergeben.
In jüngerer Zeit wird die skandinavische Rechtsvereinheitlichung vor allem durch den europäischen Integrationsprozess vor neue Herausforderungen gestellt. Innerhalb der nordischen Diskussion wird das Recht der [[Europäische Union|Europäischen Union]] als übernationales Rechtssystem zum Teil als Bedrohung bzw. jedenfalls als wesentlicher Faktor für den Rückgang der nordischen Zusammenarbeit wahrgenommen. Andere verstehen die Mitgliedschaft in der EU bzw. im EWR ([[Europäischer Binnenmarkt]]) als Anlass zur Revitalisierung und zur Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit.


In manchen Rechtsordnungen findet man Regeln, die einer Partei gestatten, die Ungültigkeit des Vertrages geltend zu machen, wenn sie für die Leistung, die sie versprochen hat, eine Gegenleistung erhalten soll, die in einem bestimmten Umfang weniger wert ist als die eigene Leistung, also z.B. einen Wert von weniger als der Hälfte oder weniger als 7/‌12 des Werts der eigenen Leistung hat (''[[laesio enormis]]''). Grundsätzlich ist aber anerkannt, dass ein Vertrag nicht allein deshalb aufgehoben werden darf, weil sich in ihm ein Käufer oder ein Verkäufer auf einen übermäßig niedrigen oder hohen Kaufpreis oder ein Darlehensnehmer auf einen übermäßig hohen Zins eingelassen hat. Immerhin wird in vielen Rechtsordnungen ein Vertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten als unwirksam angesehen, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein krasses Missverhältnis besteht und außerdem die eine Partei den für sie ungünstigen Vertrag nur deshalb eingegangen ist, weil sie – so Art. 4:109 PECL – „was dependent on or had a relationship of trust with the other party, was in economic distress or had urgent needs, was improvident, ignorant, inexperienced or lacking in bargaining skill“. In einem solchen Fall kann die benachteiligte Partei die Ungültigkeit des Vertrages geltend machen, wenn ihre Notlage dem anderen Vertragspartner bekannt war oder bekannt sein musste und von ihm zu seinem Vorteil ausgenutzt worden ist. Manche Rechtsordnungen verzichten auf das Erfordernis eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, gestatten also z.B. der arglosen Witwe, die sich von einem durchtriebenen Käufer zur Hergabe ihres Grundstücks hat bewegen lassen, die Auflösung des Vertrages selbst dann, wenn der Kaufpreis dem objektiven Wert des Grundstücks entspricht (so Art. 3:44 Abs. 4 BW). Andere Rechtsordnungen kennen den geschilderten allgemeinen Grundsatz zwar nicht, erreichen aber ähnliche Ergebnisse auf einem anderen Wege, so etwa dadurch, dass sie der benachteiligten Partei, deren Arglosigkeit oder Notlage ausgenutzt worden ist, die Auflösung des Vertrages wegen ''erreur'','' dol ''oder'' violence'' (so in Frankreich) oder wegen ''economic duress'' oder ''[[undue influence]]'' gestatten ([[Drohung]], [[Täuschung]]). Besondere Regeln gelten, wenn die benachteiligte Partei Verbraucher ist und sich z.B. in einem Verbraucherkreditvertrag auf einen übermäßig hohen Zins eingelassen hat ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]], [[Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)]]), ebenso dann, wenn die dem Vertragspartner nachteilige Vereinbarung in Gestalt einer AGB-Klausel Vertragsbestandteil geworden ist und daher vom Richter auf ihre Angemessenheit überprüft und ggf. für unwirksam erklärt werden kann ([[Allgemeine Geschäftsbedingungen]]).
== 2. Nordische Gesetzeszusammenarbeit ==
Die Zusammenarbeit der nordischen Länder bei der Schaffung und Anpassung von Gesetzgebungsakten begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Den Auftakt machte nach allgemeiner Auffassung das erste Nordische Juristentreffen im Jahre 1872, an dem zahlreiche erfolgreiche und bekannte Juristen aus Schweden, Dänemark und Norwegen konkrete Initiativen für gemeinsame Gesetze entwickelten. Finnland kam erst nach seiner Unabhängigkeit vom Russischen Reich im Jahre 1918 hinzu. Island hat sich aufgrund von mangelnden Ressourcen häufig aus der aktiven Beteiligung an der Gesetzeszusammenarbeit herausgehalten, deren Resultate aber für sich nutzbar gemacht.


== 3. Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften ==
Neben der sprachlichen Nähe zwischen den nordischen Ländern, dem geografischen Aspekt und den historisch-politischen Idealen Skandinaviens war die Gesetzeszusammenarbeit während der vergangenen ca. 150 Jahre im Wesentlichen von vier Faktoren geprägt: ''Zunächst'' bestand gerade nach dem Niedergang des Skandinavismus, einer politischen Bewegung, die im 19. Jahrhundert eine Vereinigung der skandinavischen Länder anstrebte, die romantisierte Vorstellung von einem gemeinsamen nordischen Rechtserbe, das es wieder zu beleben und zu entwickeln galt. Diese Vorstellung war zum einen in einzelnen tatsächlichen Gemeinsamkeiten begründet, die in die altnordische, klassisch-norrøne Zeit (1050–1350) zurückreichten. Zum anderen bestanden weitgehende Parallelen zwischen den Rechtsordnungen in Dänemark und Norwegen (eingeschränkt auch Island) auf der einen und Schweden und Finnland auf der anderen Seite. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kann also eine gewisse Annäherung zwischen der westnordischen und der ostnordischen Rechtstradition konstatiert werden. Ein ''weiterer Faktor'' waren die Einsparungen und die qualitative Verbesserung der Gesetzgebung, die durch die Zusammenarbeit dieser relativ kleinen Nationalstaaten erzielt werden konnten. Gemeinsame Rechtsgrundlagen wurden ''außerdem'' für den wirtschaftlichen Handelsverkehr zwischen den nordischen Ländern als wünschenswert und ökonomisch günstig erachtet. ''Schließlich'' wird die skandinavische Rechtsvereinheitlichung gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung gegen die Internationalisierung dieser Zeit verstanden. Unter dem Druck neuer europäischer Strömungen entschieden sich die nordischen Juristen bewusst für eine eigene Rechtstradition als dritte Alternative zum kontinentaleuropäischen romanisch-deutschen und angloamerikanischen Recht. Dies ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass das [[römisches Recht|römische Recht]] in Skandinavien nur begrenzt rezepiert worden war, u.a. auch aufgrund der geringen Anzahl an Universitäten ([[Rezeption]]). Zugleich war man inspiriert vom deutschen Reich mit seiner Entwicklung hin zu einem einheitlichen Rechtssystem.
Überall anerkannt ist der allgemeine Grundsatz, dass ein Vertrag unwirksam ist, soweit er gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die gesetzliche Vorschrift die Ungültigkeit des Vertrages ausdrücklich bestimmt. Oft liegt es aber so, dass sie sich zu der Frage der Gültigkeit des verbotswidrig geschlossen Vertrages nicht äußert und sich darauf beschränkt, denjenigen mit einer Strafe, mit dem Widerruf einer Erlaubnis oder mit einer anderen Sanktion zu bedrohen, der das gesetzliche Verbot verletzt hat. Hier muss der Richter durch Auslegung des Gesetzes klären, ob es nach seinem Sinn und Zweck (auch) die Nichtigkeit des verbotswidrig abgeschlossenen Vertrages gebietet. Dies wird in der Regel anzunehmen sein, wenn sich das gesetzliche Verbot gegen beide Parteien richtet. Wie aber liegt es, wenn die gesetzliche Vorschrift das Verhalten nur einer Partei steuern will und z.B. bestimmt, dass Gerichtsvollzieher oder andere Amtspersonen Geschäfte für private Rechnung nicht abschließen, Steuerberater ohne eine behördliche Erlaubnis ihren Beruf nicht ausüben, Einzelhändler Waren an gesetzlichen Feiertagen nicht verkaufen oder Rechtsanwälte sich für die Vermittlung eines anderen Anwalts eine Provision nicht versprechen lassen dürfen? Für die Frage, ob in diesen Fällen verbotswidrig abgeschlossene Verträge ungültig sind oder nicht, kommt es in der Regel – auch gemäß Art. 15:102 PECL – darauf an, ob z.B. der von dem Gesetz erstrebte Erfolg schon durch die in ihm selbst vorgesehenen Sanktionen erreicht wird oder dafür auch noch die Unwirksamkeit des Vertrages erforderlich ist, ob das Gesetz zum Schutz der einen Vertragspartei erlassen worden ist und diesem Schutzzweck besser durch die Gültigkeit oder die Ungültigkeit des Vertrages Rechnung getragen wird, ob der Gesetzesverstoß dem anderen Vertragspartner bewusst war oder ob ihm im Falle der Ungültigkeit des Vertrages ein unverdienter Vorteil zufließt usw.


== 4. Rückforderung von Leistungen ==
Im Wesentlichen bedurfte die nordische Gesetzeszusammenarbeit keiner festen Rahmenvereinbarungen oder besonderer Institutionen. Zwar wurde mit den Art. 2–7 des Abkommens von Helsinki (1962) eine gewisse Verpflichtung zur Zusammenarbeit vereinbart, diese Bestimmungen bleiben jedoch vage und werden selten erwähnt. Die Errichtung des Nordischen Rates (1952) und des Nordischen Ministerrates (1971) stellte die Gesetzeszusammenarbeit unter eine stärkere politische Steuerung. In den vergangenen Jahrzehnten war das nordische ''Embetsmannskomiteen for lovgivningssaker'' (Staatsbeamtenkomitee für Gesetzgebungsfragen), das sich aus Repräsentanten der verschiedenen nationalen Justizministerien zusammensetzt, das wichtigste Einzelorgan. Es bereitet u.a. die jährlichen nordischen Justizministerkonferenzen vor und bildet je nach Bedarf besondere Arbeitsgruppen. Von gewisser Dauer und daher besonders erwähnenswert sind hier vor allem die nordischen Expertengruppen für Familien- und Sorgerecht und für Strafrecht.
Ist ein Vertrag ungültig, weil er gegen die guten Sitten, die öffentliche Ordnung oder gesetzliche Vorschriften verstößt, so kann keine Partei von der anderen die Erfüllung des Vertrages oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Zweifelhaft ist aber, ob sie dasjenige, was sie auf den ungültigen Vertrag hin geleistet hat, zurückfordern kann. Im römischen Recht wurde die Frage verneint: ''in pari turpitudine melior est causa possidentis''. Dieser alte Satz lebt in manchen Zivilgesetzbüchern noch heute fort (vgl. §§ 817 S. 2 BGB, 1174 ABGB, Art. 66 OR, Art. 2035 ''Codice civile''); in anderen Rechtsordnungen ist er von der Rechtsprechung anerkannt (z.B. im französischen und englischen Recht). Die Gründe, mit denen der Grundsatz früher und auch noch heute gerechtfertigt wird, liegen darin, dass das Rückforderungsverbot als „Strafe“ anzusehen sei, die von der Betätigung verwerflicher Gesinnung abschrecken soll, manchmal auch darin, dass die Gerichte davor geschützt werden müssen, sich durch die Abwicklung der Geschäfte von Rechtsbrechern die Hände schmutzig zu machen. Diese Gründe mögen so lange plausibel sein, wie die Parteien gegen elementare sittliche Gebote verstoßen oder sich gemeinsam zur Begehung einer eindeutig verbotenen Handlung verbündet haben. Heute stellt sich das Problem aber oft in Fällen, in denen der Vertrag gegen Verbote verstößt, die einen eher technischen Charakter haben, nämlich bestimmte Ziele der staatlichen Wirtschafts- oder Sozialpolitik durchsetzen sollen. In solchen Fällen kommt es schon für die Frage, ob der Vertrag gültig oder ungültig ist, auf den Zweck des Verbotsgesetzes an (vgl. oben unter 3.). Ist der Vertrag ungültig, so ist wiederum zu fragen, ob dem Zweck des Verbotsgesetzes besser dadurch gedient wird, dass die bereits erbrachten Leistungen dem Empfänger verbleiben, oder besser dadurch, dass sie von ihm zurückerstattet werden. Darin liegt der Kern der allgemein anerkannten Regel, nach der der Empfänger die Leistung behalten darf, wenn er nicht ''in pari delicto'' ist, ihm also z.B. der Gesetzesverstoß nicht bewusst war, oder er ihn zwar kannte, er sich aber auf den Vertrag nur widerstrebend oder nur aufgrund einer Notlage oder seiner Unerfahrenheit eingelassen hat. Hingegen muss eine Partei ihre bereits erbrachten Leistungen zurückfordern dürfen, wenn die gesetzliche Vorschrift ihren Schutz bezweckt hat und dieser Zweck verfehlt würde, wenn der andere Teil das Empfangene behalten dürfte, ebenso dann, wenn durch den Ausschluss der Rückforderung der Zustand hergestellt oder aufrechterhalten würde, den das Verbotsgesetz verhindern oder beenden wollte. Ist z.B. ein Pachtvertrag über ein Freudenhaus wegen Verstoßes gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung ungültig, so ist anerkannt, dass der Verpächter das Grundstück zurückfordern darf. Das wird vom englischen Recht damit begründet, dass der Verpächter zur Begründung seines Anspruchs lediglich sein Eigentum darzulegen und über die anstößigen Umstände des Geschäfts kein Wort zu verlieren braucht, vom deutschen Recht damit, dass das Rückforderungsverbot nur einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, nicht eine Eigentumsklage entgegengehalten werden dürfe. Der wahre Grund für die Zulassung der Rückforderung liegt aber wohl darin, dass anderenfalls das Grundstück vom Pächter weiterhin für den verbotenen Zweck genutzt, also gerade derjenige Zustand aufrechterhalten würde, den das Verbot zu beenden trachtet.


== 5. Regeln des europäischen Vertragsrechts ==
Die Zielrichtung der skandinavischen Gesetzeszusammenarbeit variierte je nach Rechtsgebiet, grundsätzlich wurde aber die Schaffung uniformer Gesetzestexte mit gleicher Struktur und gleichem Begriffsapparat angestrebt. Ein hohes Maß an Übereinstimmung erreichte man insbesondere in einigen zentralen Bereichen des Privat- und Familienrechts. In anderen Rechtsgebieten hat man sich auf gleiche Grundprinzipien oder auf die Vereinheitlichung von Einzelregelungen beschränkt oder lediglich Informationen über die gegenwärtige nationale Gesetzgebung ausgetauscht, in der Hoffung auf gegenseitige Anregung zu analogen Lösungen.
Gemäß Art. 15:101 PECL ist ein Vertrag „of no effect“, soweit er gegen „principles recognised as fundamental in the laws of the Member States of the European Union“ verstößt (ebenso Art. II.-7:301 DCFR). Durch diese Formel sollte der Rekurs auf die national unterschiedlich interpretierten Begriffe der „guten Sitten“, des ''ordre public'' oder der ''public policy'' vermieden werden. Aus dem gleichen Grunde werden die von dieser Bestimmung erfassten Verträge nicht als „nichtig“ oder ''unenforceable'', sondern als ''of no effect'' bezeichnet. Welche Prinzipien als ''fundamental'' anzusehen sind, wird sich insbesondere aus den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] und Grundrechten ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]) ergeben, wie sie im [[EG-Vertrag]], in der EMRK und in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten geregelt sind. Art. 15:102 PECL erfasst sodann den Fall, in dem der Vertrag gegen zwingende gesetzliche Vorschriften derjenigen Rechtsordnung verstößt, die nach dem [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrecht]] des Forumstaats auf den Vertrag anzuwenden ist. Hier wird es meist um eher „technische“ Verstöße gegen Regeln gehen, deren Erlass auf Gründen bloßer wirtschafts- oder sozialpolitischer Zweckmäßigkeit beruht. Ob und in welchem Umfang ein gesetzwidriger Vertrag wirkungslos ist, soll sich in erster Linie nach dem Gesetz selbst beurteilen. Fehlt es dazu in ihm an klaren Bestimmungen, so muss der Richter abwägen, ob der Vertrag wegen des Verstoßes ganz wirkungslos oder ob er trotz des Verstoßes ganz oder teilweise gültig ist. Für diese Abwägung soll es u.a. auf den Zweck des Verbotsgesetzes ankommen, weiterhin darauf, ob diesem Zweck schon durch die in dem Verbotsgesetz selbst enthaltenen Sanktionen genügend Rechnung getragen wird, schließlich auch darauf, ob die Unwirksamkeit des Vertrages von einer Person geltend gemacht wird, deren Schutz das Verbotsgesetz bezweckt (vgl. im Einzelnen Art. 15:102(3)).


Nach dem Wortlaut der PECL ist eine solche Abwägung ausgeschlossen, wenn der Vertrag einen Verstoß gegen „fundamentale“ Rechtsprinzipien enthält. Auch in diesem Fall ist er aber nur ''to the extent'' wirkungslos, in dem er solche Prinzipien verletzt. Ist also das in einem Vertrag enthaltene Wettbewerbsverbot mit dem „fundamentalen“ Prinzip der Berufs- oder Wettbewerbsfreiheit unvereinbar, so wird es für die Frage, in welchem Umfang es aufrecht erhalten werden darf, letztlich auf ähnliche Erwägungen ankommen, wie sie gemäß Art. 15:102(3) bei Gesetzesverstößen anzuwenden sind. Jedenfalls wird zwischen den beiden Gründen der Vertragsunwirksamkeit insoweit keinerlei Unterschied gemacht, als es um die Frage geht, ob die aufgrund des unwirksamen Vertrages erbrachten Leistungen zurückgefordert werden dürfen (vgl. Art. 15:104 PECL; Art. II:-7:303 DCFR).
Unter den positiven Ergebnissen der Gesetzeszusammenarbeit seien, in chronologischer Reihenfolge, vor allem die größeren Projekte genannt wie etwa die Wechselgesetze aus den 1880er Jahren, die Seerechtsgesetze aus den 1890er Jahren und die gemeinsamen Kaufrechts‑, Vertrags- und Kommissionsgesetze zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den 1920er Jahren wurden die Ehegesetze, Versicherungsvertragsgesetze und Transportrechtsgesetze geschaffen, in den 1930er Jahren die Schuldbrief- und Scheckgesetze, Ergänzungen zu den Seerechtsgesetzen und gemeinsame Konventionen über die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und Rechtswahl im Bereich des Ehe-, Erb- und Konkursrechts. In den 1940er Jahren erarbeitete man gemeinsame Grundprinzipien zum Haftungs- und Schadensrecht, in den 1960er Jahren kamen Gesetze zum Urheber-, Marken- und Patenrecht hinzu sowie eine Konvention zur Durchsetzung von Strafurteilen. Aus den 1970er Jahren sind vor allem die gemeinsamen Aktiengesetze zu nennen. In den 1980er Jahren formulierte man einen Vorschlag zu einem neuen gemeinsamen Kaufrechtsgesetz, der jedoch nur teilweise umgesetzt wurde. In den 1990er Jahren kam es zu einer umfassenden Revision der Seerechtsgesetze.
 
Keinen Erfolg hatten dagegen zahlreiche schwedische und dänische Initiativen zur Schaffung einer ganzheitlichen Regulierung des zentralen Privatrechts, einem nordischen Zivilgesetzbuch; den letzten Vorschlag hierzu machte der dänische Rechtsgelehrte ''Vinding Kruse ''im Jahre 1948. In den Fällen, in denen grundsätzlich uniforme privatrechtliche Einzelgesetze geschaffen worden sind, finden sich zum Teil nicht unerhebliche Abweichungen in den Details. Im Bereich des öffentlichen Rechts gab es schließlich von je her nur geringe Ambitionen zur Rechtsvereinheitlichung.
 
Erwähnenswert ist außerdem eine umfangreiche rechtsvergleichende Studie zum nordischen Familien- und Erbrecht, die im Jahre 1998 vom Nordischen Ministerrat in Auftrag gegeben wurde. Sie mündete im Jahre 2003 in insgesamt vier Büchern zum dänischen, finnischen, isländischen, norwegischen und schwedischen Erb-, Ehe- Kindschafts- und Sorgerecht. Neben einer Darstellung der jeweiligen nationalen Regelungen ging es vor allem um die Erörterung von Reformerfordernissen und Harmonisierungsmöglichkeiten. Zwar hat diese Studie bislang keine grundlegende neue Gesetzeszusammenarbeit auf diesem Gebiet ausgelöst, sie dient jedoch der Rechtspraxis als wertvolle Orientierungshilfe und bietet der Rechtswissenschaft wie auch dem Gesetzgeber wichtige Anhaltspunkte und Anregungen für Rechtsfortentwicklungen im Einzelnen.
 
Seit der Nachkriegszeit, insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten, ist ein erheblicher Rückgang der nordischen Gesetzeszusammenarbeit festzustellen. Großprojekte werden immer seltener unternommen, und das mit einem geringeren Maß an Einheitlichkeit der Ergebnisse; dies gilt etwa für das Kaufvertragsrecht aus den 1980er Jahren. Ferner haben zunächst gleichlautende Rechtsgrundlagen durch nationale Gesetzesänderungen und unterschiedliche nationale Entwicklungen in Auslegung und Rechtspraxis einen immer unterschiedlicheren Inhalt erhalten. Schließlich wurden im Laufe der Jahre mehrere wichtige, ursprünglich einheitliche nordische Einzelgesetze auf nationaler Ebene novelliert, ohne dass ernsthafte Versuche zur Vereinheitlichung unternommen worden wären. Letzteres gilt etwa für das Versicherungsrecht und das Aktienrecht.
 
Für diesen Rückgang in der Gesetzeszusammenarbeit sind im Wesentlichen drei Hauptursachen anzuführen: ''Zum einen'' hat sich seit der Nachkriegszeit die Funktion des Rechts und der Gesetzgebung gewandelt; ausgehend von einem ursprünglich eher technischen Verständnis des Rechts als einer Domäne juristischer Fachleute wurde insbesondere die Gesetzgebung zunehmend als Instrument zur politischen Steuerung verstanden. Immer mehr Rechtsbereiche wurden gerade auch mit ihren politischen Bezügen wahrgenommen, immer weniger Bereiche galten als politisch unumstritten. Für die nationalen Politiker stellte das Bemühen um die nordische Rechtsvereinheitlichung ein Hindernis, zumindest aber eine Beeinträchtigung für erwünschte Fortentwicklungen und/‌oder Änderungen des Rechts dar. Eine'' weitere Ursache'' wird in der Ressourcenfrage und in strukturellen Änderungen in der Justizverwaltung gesehen. Inzwischen verfügen alle nordischen Länder zum einen über einen eigenen, gut ausgebauten Apparat zur Gesetzesvorbereitung, zum anderen können immer weniger gute Juristen für langwierige Arbeitsprozesse in internordischen Gesetzgebungsgremien abgestellt werden. Damit lässt die nordische Gesetzeszusammenarbeit heute weniger Einsparungen erwarten, als dies früher der Fall war. Ferner war sie traditionell maßgeblich von bestimmten Schlüsselpersonen in der Justizverwaltung abhängig, die sich über lange Jahre ein nordisches Netzwerk für ihr jeweiliges Fachgebiet aufgebaut haben. Heute wechseln diese zentralen Personen immer häufiger und schneller ihre Positionen, was die frühere Kontinuität in der Justizverwaltung und damit letztlich auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit schwächt. Die'' dritte Ursache'' wird in den besonderen Herausforderungen und Entwicklungen des europäischen Integrationsprozesses gesehen (s. unten 4.).
 
== 3. Die Gemeinschaft der nordischen Juristen ==
Der skandinavische Rechtsraum war und ist für viele Juristen eine attraktive Arena, weil er einerseits groß genug ist, um eine gewisse inhaltliche und qualitative Vielfalt zu bieten, andererseits ist er überschaubar genug, um den einzelnen Akteuren den Überblick über das eigene Fachgebiet zu gewähren und persönliche Kontakte zu ermöglichen. Auch gibt es kaum sprachliche Barrieren; jeder kann in der eigenen Sprache publizieren und rechtspraktisch agieren und zugleich verstehen, was von anderen veröffentlicht worden ist; für Finnland und Island gilt dies etwas eingeschränkter.
 
Ein wichtiges Forum sowohl auf wissenschaftlicher als auch rechtspraktischer Ebene waren und sind die schon erwähnten Nordischen Juristentreffen, die seit 1872 jedes dritte Jahr an wechselnden Orten arrangiert werden. Zwar haben diese über die Jahre ihre Bedeutung als zentrale Arena für die nordische Gesetzeszusammenarbeit verloren, sie finden gleichwohl noch immer großen Anklang.
 
Zwischen den Universitätsjuristen bestehen seit je her enge persönliche Kontakte, die jedoch auch durch gewachsene Traditionen aufrechterhalten werden. So ist es üblich und erforderlich, in der wissenschaftlichen Arbeit Referenzen aus der Lehre und Rechtspraxis der anderen nordischen Länder aufzugreifen. In den Prüfungsausschüssen von Doktorarbeiten und in den Kommissionen zur Berufung neuer Professoren wird grundsätzlich die Teilnahme eines ausländischen, zumeist nordischen Rechtswissenschaftlers vorausgesetzt. Auf diese Weise wird ein gemeinsamer rechtswissenschaftlicher Standard gewährleistet.
 
Ein weiteres Band sind die gemeinsamen juristischen Fachzeitschriften. Zu nennen sind hier vor allem die ''Tidskrift for Rettsvitenskap ''(TfR), des Weiteren Zeitschriften in den Bereichen Immaterialgüterrecht, Völkerrecht, Strafrecht, Rechtssoziologie, Kriminologie und Verwaltung (''Nordisk Immateriellt Rättsskyld''<nowiki>; </nowiki>''Nordic Journal of International Law''<nowiki>; </nowiki>''Retfærd''<nowiki>; </nowiki>''Nordisk'' ''Tidskrift'' ''for'' ''Kriminalvitenskab''<nowiki>; </nowiki>''Nordisk'' ''Administrativt'' ''Tidsskrift''). Von der Universität Stockholm wird ferner das Jahrbuch ''Scandinavian Studies in Law'' herausgegeben.
 
Unter den Studenten sind Auslandssemester an anderen nordeuropäischen Fakultäten wenig verbreitet, ein Austausch findet jedoch etwa durch die sog. ''Studentjuriststevnene'' statt, einem einwöchigen Arrangement intensiven fachlichen und sozialen Austauschs für etwa 60 Studenten aller nordischen Fakultäten, das seit 1843 jedes dritte Jahr stattfindet. Ferner sind hier der nordische Moot Court für Menschenrechte zu nennen sowie die jährlich arrangierte ''Nordisk Uke'' (Nordische Woche), die den Austausch zwischen den gewählten Studentenvertretern ermöglicht.
 
In der Rechtspraxis beschränkt sich die Zusammenarbeit auf Kooperationsverträge zwischen den größeren Anwaltsfirmen der jeweiligen nordischen Länder. Zwar gibt es eine nordische Urteilssammlung, doch wird sie selten verwendet; auch enthalten die gerichtlichen Entscheidungen kaum Verweisungen auf die Rechtspraxis der Nachbarländer.
 
Im Bereich des Seerechts ist die Zusammenarbeit der nordischen Juristen sehr weit fortgeschritten: zusätzlich zur engen Gesetzeszusammenarbeit hat der Nordische Ministerrat ein Nordisches Institut für Seerecht (''Nordisk institutt for sjørett'', NIFS) mit Sitz in Oslo eingerichtet, das u.a. Gastwissenschaftler und Studenten der anderen nordischen Länder aufnimmt, jährliche Richterseminare arrangiert und eine eigene, viel genutzte nordische Urteilssammlung für See- und Transportrecht herausgibt (''Nordiske dommer i sjøfartsanliggender)''.
 
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Austausch und fachliche Kooperation in der Gemeinschaft der nordischen Juristen deutlich weiter entwickelt und stärker ausgeprägt sind, als die anderer Professionen.
 
== 4. Nordische Rechtsvereinheitlichung und Europäische Integration ==
Traditionell hatten internationale Rechtsentwicklungen die skandinavische Rechtsvereinheitlichung beflügelt; die Gesetzeszusammenarbeit verlief vor allem dort erfolgreich, wo es um die gemeinsame Umsetzung und Weiterentwicklung völkerrechtlicher Traktate ging. Gleichwohl stellt der europäische Integrationsprozess nicht nur neue Herausforderungen dar, er wird auch mehr als eine Bedrohung denn als ein Anlass zur Renaissance nordischer Rechtsvereinheitlichung wahrgenommen. Dies ist mit den Besonderheiten dieser neuartigen Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtssystems zu erklären, die sich nicht nur in ihren Voraussetzungen und Zielen, sondern auch in ihrem institutionalisierten Verfahren und in ihren Ergebnissen von der nordischen Rechtsvereinheitlichung unterscheidet. Neben den oben bereits angeführten spezifisch skandinavischen Aspekten (Wandlung der Funktion des Rechts und ökonomisch-strukturelle Änderungen innerhalb der nationalen Justizverwaltungen) tragen vor allem vier Faktoren der Europäisierung des Rechts zum Rückgang der nordischen Rechtsvereinheitlichung bei:
 
''Erstens ''hinterlässt die Europäisierung des Rechts immer weniger Raum für nationale oder nordische Sonderregelungen. Dies gilt etwa für das Verbraucherrecht, Gesellschaftsrecht, das Immaterialgüterrecht, Transportrecht und das Versicherungsrecht, teilweise auch für das Umweltrecht und Arbeitsrecht. Zum Teil überschneiden sich die Regelungsgegenstände des europäischen Rechts und des nordischen Rechts auch nur, was etwa für das Schengen-Abkommen und die nordischen Regelungen zur Passfreiheit wie auch für die Zusammenarbeit der nationalen Polizeibehörden gilt. Damit reduziert sich die spezifisch nordische Gesetzeszusammenarbeit auf diejenigen Rechtsbereiche, die (noch) nicht oder aber nur in geringerem Maße vom europäischen Integrationsprozess erfasst sind, wie teilweise das Vertragsrecht, das Kaufrecht und das Familienrecht.
 
''Zweitens ''hemmt die Erwartung zukünftiger Gesetzesvorhaben der [[Europäische Union|Europäischen Union]] die nordische Rechtsvereinheitlichung, da eigene skandinavische Gesetzgebungsinitiativen und die dafür erforderliche Investition von Ressourcen selbst dann kaum als viel versprechend erscheinen, wenn europäische Bestimmungen noch in weiter Ferne liegen. So wurde Ende der 1980er Jahre etwa eine Revision des nordischen Vertragsrechts gestoppt, weil eine europäische Richtlinie zu missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen, die spätere RL&nbsp;93/‌13 vom 5.4.1993, angekündigt worden war.
 
''Drittens ''hat sich innerhalb der nordischen Länder das Ideal einer nordischen Rechtsgemeinschaft hin zum Ideal eines gemeinsamen europäischen Rechtssystems gewandelt. Dies gilt ganz besonders für Finnland, das den europäischen Integrationsprozess in stärkerem Maße und vorbehaltsloser noch als Schweden und Dänemark mitverfolgt. Für die EFTA-Staaten Norwegen und Island gilt dies naturgemäß in etwas geringerem Ausmaß.
 
''Viertens ''erfordern die Umsetzung von rechtlichen Vorgaben der EU und des EWR ins nationale Recht wie auch die laufenden europäischen Gesetzgebungsprozesse zeitlich und personell einen hohen Einsatz der Mitgliedstaaten, so dass für eine zusätzliche, rein skandinavische Zusammenarbeit immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen.
 
Im Ergebnis bleibt neben und im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses nur in zwei Bereichen Raum für eine Fortsetzung der skandinavischen Rechtvereinheitlichung: Zum einen kann in denjenigen Rechtsbereichen, in denen bereits übereinstimmende nordische Regelungen erzielt worden sind und die nicht oder kaum vom Europarecht berührt werden, eine Zusammenarbeit aufrecht erhalten und auch in Zukunft eine Abstimmung angestrebt werden. Dies ist etwa bei der Revision der Seerechtsgesetze in den 1990er Jahren geglückt. Zum anderen gibt es den mehrfach erklärten und in verschiedenen Traktaten festgehaltenen politischen Willen zur nordischen Zusammenarbeit ''innerhalb ''der EU, d.h. bei der Umsetzung von bestehenden europarechtlichen Vorgaben, bei der Verwaltung des bestehenden und bei der Ausformung des zukünftigen Europarechts (vgl. etwa die Schlusserklärung des EU-Beitritts von Schweden und Finnland (Nr.&nbsp;28), Art.&nbsp;121 des EWR-Abkommens, Art.&nbsp;33 des Abkommens von Helsinki sowie das Programm zur nordischen Zusammenarbeit des Nordischen Ministerrates von 1993). Bislang haben jedoch u.a. divergierende nationale Interessen, teilweise auch eine Konkurrenzsituation, ferner der unterschiedliche Grad der Beteiligung der nordischen Länder an der EU, der Wunsch zur Vermeidung einer nordischen Blockbildung innerhalb der EU, häufiger Zeitdruck bei der Umsetzung von Europarecht sowie weitere Faktoren zur Folge, dass diese Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der nordischen Länder ''innerhalb'' der EU noch vergleichsweise wenig genutzt werden.
 
== 5. Ausblick ==
Die Europäisierung des Rechts hat bislang keinen signifikanten Einfluss auf die tradierte Gemeinschaft der nordischen Juristen als dem rechtskulturellen Aspekt der nordischen Rechtsvereinheitlichung, sie verstärkt jedoch den Rückgang der nordischen Gesetzeszusammenarbeit in erheblichem Maße. Zwar bestünde auch innerhalb des europäischen Integrationsprozesses durchaus Raum für eine Fortentwicklung der traditionellen Gesetzeszusammenarbeit hin zu einer stärkeren Kooperation hinsichtlich der Verwaltung und Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Diese Möglichkeiten werden jedoch aus praktischen und politischen Gründen bislang nur teilweise und zögerlich genutzt. Die weitere Entwicklung hängt hier vor allem von dem Bewusstsein der politischen Akteure für den Wert der Fortsetzung der nordischen Rechtsvereinheitlichung ab, die vor allem von den Juristen selbst als wichtige Tradition geschätzt wird.


==Literatur==
==Literatur==
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Version vom 29. September 2021, 09:36 Uhr

von Anneken Kari Sperr

1. Begriff und Abgrenzung

Der Begriff der skandinavischen Rechtsvereinheitlichung umfasst zunächst die Zusammenarbeit der nordischen Länder bei der Schaffung und Abstimmung von Gesetzgebungsakten mit dem Ziel einer größtmöglichen Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen. Des Weiteren schließt er einen rechtskulturellen Aspekt (Rechtskultur), die Gemeinschaft der nordischen Juristen, ein, die aus vielfältigen Kontakten, Anknüpfungspunkten und Netzwerken zwischen den Rechtgelehrten, Juristen im öffentlichen Dienst und Anwälten der verschiedenen nordischen Länder besteht.

Beide Elemente haben im Laufe der vergangenen gut 150 Jahre zu einer Reihe nahezu gleichlautender Gesetze auf dem Gebiet des Privatrechts geführt. Darüber hinaus haben sie gemeinsame Grundzüge und Rechtstraditionen geschaffen, die es ermöglichen, vom nordischen Recht als einer eigenen Rechtsfamilie (Rechtskreislehre), einer nordischen Rechtstradition unter den Rechtssystemen der Welt zu sprechen.

Kennzeichnend für die skandinavische Rechtsvereinheitlichung ist, dass sie nur in sehr bescheidenem Maße institutionalisiert ist. Sie beruht im Wesentlichen auf einer gemeinsamen Wertegrundlage, einer mehr oder weniger gemeinsamen Sprache und auf persönlichen Kontakten; gleichwohl wird auf vereinzelte gemeinsame Institutionen noch zurückzukommen sein.

In jüngerer Zeit wird die skandinavische Rechtsvereinheitlichung vor allem durch den europäischen Integrationsprozess vor neue Herausforderungen gestellt. Innerhalb der nordischen Diskussion wird das Recht der Europäischen Union als übernationales Rechtssystem zum Teil als Bedrohung bzw. jedenfalls als wesentlicher Faktor für den Rückgang der nordischen Zusammenarbeit wahrgenommen. Andere verstehen die Mitgliedschaft in der EU bzw. im EWR (Europäischer Binnenmarkt) als Anlass zur Revitalisierung und zur Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit.

2. Nordische Gesetzeszusammenarbeit

Die Zusammenarbeit der nordischen Länder bei der Schaffung und Anpassung von Gesetzgebungsakten begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Den Auftakt machte nach allgemeiner Auffassung das erste Nordische Juristentreffen im Jahre 1872, an dem zahlreiche erfolgreiche und bekannte Juristen aus Schweden, Dänemark und Norwegen konkrete Initiativen für gemeinsame Gesetze entwickelten. Finnland kam erst nach seiner Unabhängigkeit vom Russischen Reich im Jahre 1918 hinzu. Island hat sich aufgrund von mangelnden Ressourcen häufig aus der aktiven Beteiligung an der Gesetzeszusammenarbeit herausgehalten, deren Resultate aber für sich nutzbar gemacht.

Neben der sprachlichen Nähe zwischen den nordischen Ländern, dem geografischen Aspekt und den historisch-politischen Idealen Skandinaviens war die Gesetzeszusammenarbeit während der vergangenen ca. 150 Jahre im Wesentlichen von vier Faktoren geprägt: Zunächst bestand gerade nach dem Niedergang des Skandinavismus, einer politischen Bewegung, die im 19. Jahrhundert eine Vereinigung der skandinavischen Länder anstrebte, die romantisierte Vorstellung von einem gemeinsamen nordischen Rechtserbe, das es wieder zu beleben und zu entwickeln galt. Diese Vorstellung war zum einen in einzelnen tatsächlichen Gemeinsamkeiten begründet, die in die altnordische, klassisch-norrøne Zeit (1050–1350) zurückreichten. Zum anderen bestanden weitgehende Parallelen zwischen den Rechtsordnungen in Dänemark und Norwegen (eingeschränkt auch Island) auf der einen und Schweden und Finnland auf der anderen Seite. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kann also eine gewisse Annäherung zwischen der westnordischen und der ostnordischen Rechtstradition konstatiert werden. Ein weiterer Faktor waren die Einsparungen und die qualitative Verbesserung der Gesetzgebung, die durch die Zusammenarbeit dieser relativ kleinen Nationalstaaten erzielt werden konnten. Gemeinsame Rechtsgrundlagen wurden außerdem für den wirtschaftlichen Handelsverkehr zwischen den nordischen Ländern als wünschenswert und ökonomisch günstig erachtet. Schließlich wird die skandinavische Rechtsvereinheitlichung gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung gegen die Internationalisierung dieser Zeit verstanden. Unter dem Druck neuer europäischer Strömungen entschieden sich die nordischen Juristen bewusst für eine eigene Rechtstradition als dritte Alternative zum kontinentaleuropäischen romanisch-deutschen und angloamerikanischen Recht. Dies ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass das römische Recht in Skandinavien nur begrenzt rezepiert worden war, u.a. auch aufgrund der geringen Anzahl an Universitäten (Rezeption). Zugleich war man inspiriert vom deutschen Reich mit seiner Entwicklung hin zu einem einheitlichen Rechtssystem.

Im Wesentlichen bedurfte die nordische Gesetzeszusammenarbeit keiner festen Rahmenvereinbarungen oder besonderer Institutionen. Zwar wurde mit den Art. 2–7 des Abkommens von Helsinki (1962) eine gewisse Verpflichtung zur Zusammenarbeit vereinbart, diese Bestimmungen bleiben jedoch vage und werden selten erwähnt. Die Errichtung des Nordischen Rates (1952) und des Nordischen Ministerrates (1971) stellte die Gesetzeszusammenarbeit unter eine stärkere politische Steuerung. In den vergangenen Jahrzehnten war das nordische Embetsmannskomiteen for lovgivningssaker (Staatsbeamtenkomitee für Gesetzgebungsfragen), das sich aus Repräsentanten der verschiedenen nationalen Justizministerien zusammensetzt, das wichtigste Einzelorgan. Es bereitet u.a. die jährlichen nordischen Justizministerkonferenzen vor und bildet je nach Bedarf besondere Arbeitsgruppen. Von gewisser Dauer und daher besonders erwähnenswert sind hier vor allem die nordischen Expertengruppen für Familien- und Sorgerecht und für Strafrecht.

Die Zielrichtung der skandinavischen Gesetzeszusammenarbeit variierte je nach Rechtsgebiet, grundsätzlich wurde aber die Schaffung uniformer Gesetzestexte mit gleicher Struktur und gleichem Begriffsapparat angestrebt. Ein hohes Maß an Übereinstimmung erreichte man insbesondere in einigen zentralen Bereichen des Privat- und Familienrechts. In anderen Rechtsgebieten hat man sich auf gleiche Grundprinzipien oder auf die Vereinheitlichung von Einzelregelungen beschränkt oder lediglich Informationen über die gegenwärtige nationale Gesetzgebung ausgetauscht, in der Hoffung auf gegenseitige Anregung zu analogen Lösungen.

Unter den positiven Ergebnissen der Gesetzeszusammenarbeit seien, in chronologischer Reihenfolge, vor allem die größeren Projekte genannt wie etwa die Wechselgesetze aus den 1880er Jahren, die Seerechtsgesetze aus den 1890er Jahren und die gemeinsamen Kaufrechts‑, Vertrags- und Kommissionsgesetze zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den 1920er Jahren wurden die Ehegesetze, Versicherungsvertragsgesetze und Transportrechtsgesetze geschaffen, in den 1930er Jahren die Schuldbrief- und Scheckgesetze, Ergänzungen zu den Seerechtsgesetzen und gemeinsame Konventionen über die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und Rechtswahl im Bereich des Ehe-, Erb- und Konkursrechts. In den 1940er Jahren erarbeitete man gemeinsame Grundprinzipien zum Haftungs- und Schadensrecht, in den 1960er Jahren kamen Gesetze zum Urheber-, Marken- und Patenrecht hinzu sowie eine Konvention zur Durchsetzung von Strafurteilen. Aus den 1970er Jahren sind vor allem die gemeinsamen Aktiengesetze zu nennen. In den 1980er Jahren formulierte man einen Vorschlag zu einem neuen gemeinsamen Kaufrechtsgesetz, der jedoch nur teilweise umgesetzt wurde. In den 1990er Jahren kam es zu einer umfassenden Revision der Seerechtsgesetze.

Keinen Erfolg hatten dagegen zahlreiche schwedische und dänische Initiativen zur Schaffung einer ganzheitlichen Regulierung des zentralen Privatrechts, einem nordischen Zivilgesetzbuch; den letzten Vorschlag hierzu machte der dänische Rechtsgelehrte Vinding Kruse im Jahre 1948. In den Fällen, in denen grundsätzlich uniforme privatrechtliche Einzelgesetze geschaffen worden sind, finden sich zum Teil nicht unerhebliche Abweichungen in den Details. Im Bereich des öffentlichen Rechts gab es schließlich von je her nur geringe Ambitionen zur Rechtsvereinheitlichung.

Erwähnenswert ist außerdem eine umfangreiche rechtsvergleichende Studie zum nordischen Familien- und Erbrecht, die im Jahre 1998 vom Nordischen Ministerrat in Auftrag gegeben wurde. Sie mündete im Jahre 2003 in insgesamt vier Büchern zum dänischen, finnischen, isländischen, norwegischen und schwedischen Erb-, Ehe- Kindschafts- und Sorgerecht. Neben einer Darstellung der jeweiligen nationalen Regelungen ging es vor allem um die Erörterung von Reformerfordernissen und Harmonisierungsmöglichkeiten. Zwar hat diese Studie bislang keine grundlegende neue Gesetzeszusammenarbeit auf diesem Gebiet ausgelöst, sie dient jedoch der Rechtspraxis als wertvolle Orientierungshilfe und bietet der Rechtswissenschaft wie auch dem Gesetzgeber wichtige Anhaltspunkte und Anregungen für Rechtsfortentwicklungen im Einzelnen.

Seit der Nachkriegszeit, insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten, ist ein erheblicher Rückgang der nordischen Gesetzeszusammenarbeit festzustellen. Großprojekte werden immer seltener unternommen, und das mit einem geringeren Maß an Einheitlichkeit der Ergebnisse; dies gilt etwa für das Kaufvertragsrecht aus den 1980er Jahren. Ferner haben zunächst gleichlautende Rechtsgrundlagen durch nationale Gesetzesänderungen und unterschiedliche nationale Entwicklungen in Auslegung und Rechtspraxis einen immer unterschiedlicheren Inhalt erhalten. Schließlich wurden im Laufe der Jahre mehrere wichtige, ursprünglich einheitliche nordische Einzelgesetze auf nationaler Ebene novelliert, ohne dass ernsthafte Versuche zur Vereinheitlichung unternommen worden wären. Letzteres gilt etwa für das Versicherungsrecht und das Aktienrecht.

Für diesen Rückgang in der Gesetzeszusammenarbeit sind im Wesentlichen drei Hauptursachen anzuführen: Zum einen hat sich seit der Nachkriegszeit die Funktion des Rechts und der Gesetzgebung gewandelt; ausgehend von einem ursprünglich eher technischen Verständnis des Rechts als einer Domäne juristischer Fachleute wurde insbesondere die Gesetzgebung zunehmend als Instrument zur politischen Steuerung verstanden. Immer mehr Rechtsbereiche wurden gerade auch mit ihren politischen Bezügen wahrgenommen, immer weniger Bereiche galten als politisch unumstritten. Für die nationalen Politiker stellte das Bemühen um die nordische Rechtsvereinheitlichung ein Hindernis, zumindest aber eine Beeinträchtigung für erwünschte Fortentwicklungen und/‌oder Änderungen des Rechts dar. Eine weitere Ursache wird in der Ressourcenfrage und in strukturellen Änderungen in der Justizverwaltung gesehen. Inzwischen verfügen alle nordischen Länder zum einen über einen eigenen, gut ausgebauten Apparat zur Gesetzesvorbereitung, zum anderen können immer weniger gute Juristen für langwierige Arbeitsprozesse in internordischen Gesetzgebungsgremien abgestellt werden. Damit lässt die nordische Gesetzeszusammenarbeit heute weniger Einsparungen erwarten, als dies früher der Fall war. Ferner war sie traditionell maßgeblich von bestimmten Schlüsselpersonen in der Justizverwaltung abhängig, die sich über lange Jahre ein nordisches Netzwerk für ihr jeweiliges Fachgebiet aufgebaut haben. Heute wechseln diese zentralen Personen immer häufiger und schneller ihre Positionen, was die frühere Kontinuität in der Justizverwaltung und damit letztlich auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit schwächt. Die dritte Ursache wird in den besonderen Herausforderungen und Entwicklungen des europäischen Integrationsprozesses gesehen (s. unten 4.).

3. Die Gemeinschaft der nordischen Juristen

Der skandinavische Rechtsraum war und ist für viele Juristen eine attraktive Arena, weil er einerseits groß genug ist, um eine gewisse inhaltliche und qualitative Vielfalt zu bieten, andererseits ist er überschaubar genug, um den einzelnen Akteuren den Überblick über das eigene Fachgebiet zu gewähren und persönliche Kontakte zu ermöglichen. Auch gibt es kaum sprachliche Barrieren; jeder kann in der eigenen Sprache publizieren und rechtspraktisch agieren und zugleich verstehen, was von anderen veröffentlicht worden ist; für Finnland und Island gilt dies etwas eingeschränkter.

Ein wichtiges Forum sowohl auf wissenschaftlicher als auch rechtspraktischer Ebene waren und sind die schon erwähnten Nordischen Juristentreffen, die seit 1872 jedes dritte Jahr an wechselnden Orten arrangiert werden. Zwar haben diese über die Jahre ihre Bedeutung als zentrale Arena für die nordische Gesetzeszusammenarbeit verloren, sie finden gleichwohl noch immer großen Anklang.

Zwischen den Universitätsjuristen bestehen seit je her enge persönliche Kontakte, die jedoch auch durch gewachsene Traditionen aufrechterhalten werden. So ist es üblich und erforderlich, in der wissenschaftlichen Arbeit Referenzen aus der Lehre und Rechtspraxis der anderen nordischen Länder aufzugreifen. In den Prüfungsausschüssen von Doktorarbeiten und in den Kommissionen zur Berufung neuer Professoren wird grundsätzlich die Teilnahme eines ausländischen, zumeist nordischen Rechtswissenschaftlers vorausgesetzt. Auf diese Weise wird ein gemeinsamer rechtswissenschaftlicher Standard gewährleistet.

Ein weiteres Band sind die gemeinsamen juristischen Fachzeitschriften. Zu nennen sind hier vor allem die Tidskrift for Rettsvitenskap (TfR), des Weiteren Zeitschriften in den Bereichen Immaterialgüterrecht, Völkerrecht, Strafrecht, Rechtssoziologie, Kriminologie und Verwaltung (Nordisk Immateriellt Rättsskyld; Nordic Journal of International Law; Retfærd; Nordisk Tidskrift for Kriminalvitenskab; Nordisk Administrativt Tidsskrift). Von der Universität Stockholm wird ferner das Jahrbuch Scandinavian Studies in Law herausgegeben.

Unter den Studenten sind Auslandssemester an anderen nordeuropäischen Fakultäten wenig verbreitet, ein Austausch findet jedoch etwa durch die sog. Studentjuriststevnene statt, einem einwöchigen Arrangement intensiven fachlichen und sozialen Austauschs für etwa 60 Studenten aller nordischen Fakultäten, das seit 1843 jedes dritte Jahr stattfindet. Ferner sind hier der nordische Moot Court für Menschenrechte zu nennen sowie die jährlich arrangierte Nordisk Uke (Nordische Woche), die den Austausch zwischen den gewählten Studentenvertretern ermöglicht.

In der Rechtspraxis beschränkt sich die Zusammenarbeit auf Kooperationsverträge zwischen den größeren Anwaltsfirmen der jeweiligen nordischen Länder. Zwar gibt es eine nordische Urteilssammlung, doch wird sie selten verwendet; auch enthalten die gerichtlichen Entscheidungen kaum Verweisungen auf die Rechtspraxis der Nachbarländer.

Im Bereich des Seerechts ist die Zusammenarbeit der nordischen Juristen sehr weit fortgeschritten: zusätzlich zur engen Gesetzeszusammenarbeit hat der Nordische Ministerrat ein Nordisches Institut für Seerecht (Nordisk institutt for sjørett, NIFS) mit Sitz in Oslo eingerichtet, das u.a. Gastwissenschaftler und Studenten der anderen nordischen Länder aufnimmt, jährliche Richterseminare arrangiert und eine eigene, viel genutzte nordische Urteilssammlung für See- und Transportrecht herausgibt (Nordiske dommer i sjøfartsanliggender).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Austausch und fachliche Kooperation in der Gemeinschaft der nordischen Juristen deutlich weiter entwickelt und stärker ausgeprägt sind, als die anderer Professionen.

4. Nordische Rechtsvereinheitlichung und Europäische Integration

Traditionell hatten internationale Rechtsentwicklungen die skandinavische Rechtsvereinheitlichung beflügelt; die Gesetzeszusammenarbeit verlief vor allem dort erfolgreich, wo es um die gemeinsame Umsetzung und Weiterentwicklung völkerrechtlicher Traktate ging. Gleichwohl stellt der europäische Integrationsprozess nicht nur neue Herausforderungen dar, er wird auch mehr als eine Bedrohung denn als ein Anlass zur Renaissance nordischer Rechtsvereinheitlichung wahrgenommen. Dies ist mit den Besonderheiten dieser neuartigen Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtssystems zu erklären, die sich nicht nur in ihren Voraussetzungen und Zielen, sondern auch in ihrem institutionalisierten Verfahren und in ihren Ergebnissen von der nordischen Rechtsvereinheitlichung unterscheidet. Neben den oben bereits angeführten spezifisch skandinavischen Aspekten (Wandlung der Funktion des Rechts und ökonomisch-strukturelle Änderungen innerhalb der nationalen Justizverwaltungen) tragen vor allem vier Faktoren der Europäisierung des Rechts zum Rückgang der nordischen Rechtsvereinheitlichung bei:

Erstens hinterlässt die Europäisierung des Rechts immer weniger Raum für nationale oder nordische Sonderregelungen. Dies gilt etwa für das Verbraucherrecht, Gesellschaftsrecht, das Immaterialgüterrecht, Transportrecht und das Versicherungsrecht, teilweise auch für das Umweltrecht und Arbeitsrecht. Zum Teil überschneiden sich die Regelungsgegenstände des europäischen Rechts und des nordischen Rechts auch nur, was etwa für das Schengen-Abkommen und die nordischen Regelungen zur Passfreiheit wie auch für die Zusammenarbeit der nationalen Polizeibehörden gilt. Damit reduziert sich die spezifisch nordische Gesetzeszusammenarbeit auf diejenigen Rechtsbereiche, die (noch) nicht oder aber nur in geringerem Maße vom europäischen Integrationsprozess erfasst sind, wie teilweise das Vertragsrecht, das Kaufrecht und das Familienrecht.

Zweitens hemmt die Erwartung zukünftiger Gesetzesvorhaben der Europäischen Union die nordische Rechtsvereinheitlichung, da eigene skandinavische Gesetzgebungsinitiativen und die dafür erforderliche Investition von Ressourcen selbst dann kaum als viel versprechend erscheinen, wenn europäische Bestimmungen noch in weiter Ferne liegen. So wurde Ende der 1980er Jahre etwa eine Revision des nordischen Vertragsrechts gestoppt, weil eine europäische Richtlinie zu missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen, die spätere RL 93/‌13 vom 5.4.1993, angekündigt worden war.

Drittens hat sich innerhalb der nordischen Länder das Ideal einer nordischen Rechtsgemeinschaft hin zum Ideal eines gemeinsamen europäischen Rechtssystems gewandelt. Dies gilt ganz besonders für Finnland, das den europäischen Integrationsprozess in stärkerem Maße und vorbehaltsloser noch als Schweden und Dänemark mitverfolgt. Für die EFTA-Staaten Norwegen und Island gilt dies naturgemäß in etwas geringerem Ausmaß.

Viertens erfordern die Umsetzung von rechtlichen Vorgaben der EU und des EWR ins nationale Recht wie auch die laufenden europäischen Gesetzgebungsprozesse zeitlich und personell einen hohen Einsatz der Mitgliedstaaten, so dass für eine zusätzliche, rein skandinavische Zusammenarbeit immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen.

Im Ergebnis bleibt neben und im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses nur in zwei Bereichen Raum für eine Fortsetzung der skandinavischen Rechtvereinheitlichung: Zum einen kann in denjenigen Rechtsbereichen, in denen bereits übereinstimmende nordische Regelungen erzielt worden sind und die nicht oder kaum vom Europarecht berührt werden, eine Zusammenarbeit aufrecht erhalten und auch in Zukunft eine Abstimmung angestrebt werden. Dies ist etwa bei der Revision der Seerechtsgesetze in den 1990er Jahren geglückt. Zum anderen gibt es den mehrfach erklärten und in verschiedenen Traktaten festgehaltenen politischen Willen zur nordischen Zusammenarbeit innerhalb der EU, d.h. bei der Umsetzung von bestehenden europarechtlichen Vorgaben, bei der Verwaltung des bestehenden und bei der Ausformung des zukünftigen Europarechts (vgl. etwa die Schlusserklärung des EU-Beitritts von Schweden und Finnland (Nr. 28), Art. 121 des EWR-Abkommens, Art. 33 des Abkommens von Helsinki sowie das Programm zur nordischen Zusammenarbeit des Nordischen Ministerrates von 1993). Bislang haben jedoch u.a. divergierende nationale Interessen, teilweise auch eine Konkurrenzsituation, ferner der unterschiedliche Grad der Beteiligung der nordischen Länder an der EU, der Wunsch zur Vermeidung einer nordischen Blockbildung innerhalb der EU, häufiger Zeitdruck bei der Umsetzung von Europarecht sowie weitere Faktoren zur Folge, dass diese Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der nordischen Länder innerhalb der EU noch vergleichsweise wenig genutzt werden.

5. Ausblick

Die Europäisierung des Rechts hat bislang keinen signifikanten Einfluss auf die tradierte Gemeinschaft der nordischen Juristen als dem rechtskulturellen Aspekt der nordischen Rechtsvereinheitlichung, sie verstärkt jedoch den Rückgang der nordischen Gesetzeszusammenarbeit in erheblichem Maße. Zwar bestünde auch innerhalb des europäischen Integrationsprozesses durchaus Raum für eine Fortentwicklung der traditionellen Gesetzeszusammenarbeit hin zu einer stärkeren Kooperation hinsichtlich der Verwaltung und Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Diese Möglichkeiten werden jedoch aus praktischen und politischen Gründen bislang nur teilweise und zögerlich genutzt. Die weitere Entwicklung hängt hier vor allem von dem Bewusstsein der politischen Akteure für den Wert der Fortsetzung der nordischen Rechtsvereinheitlichung ab, die vor allem von den Juristen selbst als wichtige Tradition geschätzt wird.

Literatur

W.E. v. Eyben, Retssystemet og retsfølelsen, 1961, 1962; Jan Hellner, Unification of Law in Scandinavia, The American Journal of Comparative Law, 16 (1968) 88 ff.; Henrik Tamm, De nordiske juristmøder 1872–1972: Nordisk Retssamvirke gennem 100 år, 1972; Gustaf Petrén, Nordiskt lagstiftningssamarbete, Nordisk tidskrift för vetenskap, konst och industri; 1985, 405 ff.; Ulf Bernitz, Ola Wiklund (Hg.), Nordiskt lagstiftningssamarbete i det nya Europa, 1996; Fredrik Sejersted, Nordisk rettssamarbeid og europeisk integrasjon, in: Johan P. Olsen, Bjørn Otto Sverdrup (Hg.), Europa i Norden: Europeisering av nordisk samarbeid, 1998, 214 ff.; Peter Lødrup, Nordisk arverett, 2003; Anders Agell, Nordisk äktenskapsrätt, 2003; Anders Agell, Anna Singer, Peter Lødrup, Nordisk børneret Bd. I, 2003; Svend Danielsen, Nordisk børneret, Bd. II, 2003; Torstein Frantzen, Harmonisering av familie- og arveretten i Norden: hvorfor det?, Tidsskrift for familierett, arverett og barnevernrettslige spørsmål, 2004, 236 ff.