Werbung für Tabakprodukte
von Matthias Wühler
1. Gegenstand; Terminologie; Hintergrund
Der gesetzgeberische Zugriff auf die Tabakwerbung steht im größeren Kontext der internationalen Tabakpolitik. Zahlreiche Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten haben lange Zeit verborgenes Wissen der Tabakindustrie im Umfang von über 40 Mio. Textseiten zugänglich gemacht. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens sind mittlerweile allgemein bekannt. Studien belegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Werbung für Tabakprodukte und deren Konsum. Vor diesem Hintergrund unterliegen sämtliche Aspekte der Tabakwirtschaft auf allen Ebenen der europäischen Rechtsordnung(en) strengen Regeln.
Tabakprodukte sind alle aus Tabak hergestellten Erzeugnisse, welche zum Rauchen, Schnupfen, Lutschen oder Kauen bestimmt sind, vgl. Art. 2(a) der Tabakwerbe-RL (RL 2003/33). Wirtschaftlich besonders bedeutsam sind Zigaretten. Zigarren, Schnupf-, Kau- oder Pfeifentabak sind demgegenüber von untergeordneter Relevanz. Werbung für Tabak umfasst jede Art kommerzieller Kommunikation mit dem Ziel oder der direkten oder indirekten Wirkung, den Verkauf eines Tabakerzeugnisses zu fördern, Art. 2(b) Tabakwerbe-RL. Wird die Verkaufsförderung bezweckt oder bewirkt durch jedweden öffentlichen oder privaten Beitrag zu einer Veranstaltung oder Aktivität oder durch eine Unterstützung von Einzelpersonen, so liegt Sponsoring vor, vgl. Art. 2(c) Tabakwerbe-RL.
Das Recht der Tabakwerbung in diesem Sinne betrifft also die Zulässigkeit, sowie die konkrete Ausgestaltung erlaubter Absatzförderung. Hierzu gehören, wie bei der Werbung für Humanarzneimittel, bestimmte Warnhinweise. Neben den werbebezogenen Warnhinweisen (in der Regel nicht gesetzlich vorgeschrieben) bestehen produktbezogene Hinweispflichten, bspw. auf Zigarettenschachteln. Die einschlägigen Bestimmungen gehören nicht zum Werberecht im engeren Sinne. Sie werfen jedoch ähnliche Fragen auf, und sind deswegen Teil dieser Übersicht.
Normen mit Bezug zur Tabakwerbung bestehen auf allen Ebenen der Rechtsordnung. Adressaten des einschlägigen Völker- und Europarechts sind grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten. Für Private verbindliches Recht haben auf dem Gebiet der Tabakwerbung nur die nationalen Gesetzgeber erlassen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber bezieht seine Kompetenz für die Materie aus einer binnenmarktbezogenen, finalen, Ermächtigung (Europäischer Binnenmarkt). Die nationale Regelungshoheit demgegenüber beruht auf dem Gesundheitsschutz, einem sachbereichsbezogenen Begriff. Der unterschiedliche Zuschnitt dieser Kompetenzen führt zu Konflikten und verdeutlicht allgemeine Probleme der Rechtsetzung in einem Mehrebenensystem (Gesetzgebungskompetenz der EG/EU). Mit der fortschreitenden Integration sind vergleichbare Probleme auf anderen Rechtsgebieten vorprogrammiert. Eine Reform der Kompetenzordnung ist demnach von besonderer Bedeutung (Europäische Verfassung).
2. Einzelausgestaltung der Werbung für Tabakprodukte
In Umsetzung von Art. 4(1) der Tabakwerbe-RL sind alle Formen der Rundfunkwerbung für Tabakerzeugnisse verboten. Rundfunkprogramme dürfen nach Art. 4(2) nicht von Tabakunternehmen gesponsert werden. Ebenso untersagt sind das Sponsoring grenzüberschreitender Veranstaltungen oder Aktivitäten sowie die kostenlose Verteilung von Tabakerzeugnissen im Zusammenhang mit solchem Sponsoring, Art. 5. Diese Verbote zeitigen mitunter erhebliche Einnahmeausfälle, bspw. bei Autorennen. Im Grundsatz verboten ist schließlich die Tabakwerbung in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen, Art. 3(1), sowie in Diensten der Informationsgesellschaft, bspw. dem World Wide Web, Art. 3(2). Eine Ausnahme besteht nach Art. 3 lediglich für Veröffentlichungen, welche ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt sind oder aus Drittländern stammen und nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind. Im Ergebnis ist Tabakwerbung in der Presse, im Hörfunk, im Internet und durch Sponsoring in Umsetzung der Tabakwerbe-RL in allen Mitgliedstaaten der EU fast vollständig verboten. Gleiches gilt für die Tabakwerbung in audiovisuellen Mediendiensten. Schon die ursprüngliche Fernseh-RL (RL 89/552) sah in Art. 13 vor: Jede Form der Fernsehwerbung für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse ist untersagt. Mit der Konvergenz der Medien wurde die Terminologie übergreifender. Nach Art. 3e(d) der geänderten RL 89/552 ist jede Form der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation für Zigaretten untersagt, vgl. Art. 1 Nr. 7 der (Änderungs‑) Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 2007/65). Es gilt zudem ein Sponsoringverbot für audiovisuelle Medien, Art. 3f(2), sowie ein Verbot der Produktplatzierung, Art. 3f(3) geänderte RL 89/522. Alle übrigen Formen der Tabakwerbung sind nicht gemeinschaftsrechtlich determiniert. Hierunter fallen etwa die Plakatwerbung oder das Sponsoring mit rein innerstaatlichem Bezug, siehe auch Begründungserwägung Nr. 12 der Tabakwerbe-RL.
Zur Ausgestaltung zulässiger Tabakwerbung trifft die Tabakwerbe-RL keine Aussagen. Nähere Vorgaben finden sich auf nationaler Ebene. So regelt etwa § 17 Nr. 5 des dt. Vorläufigen Tabakgesetzes speziell die irreführende Werbung für Tabak. Eine Irreführung liegt nach § 17 Nr. 5 lit. b insbesondere dann vor, wenn zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Eigenschaften gemacht werden. § 17 Nr. 5 lit. a untersagt, Tabakprodukten wissenschaftlich nicht gesicherte Wirkungen beizulegen. Warnhinweise in der Werbung beruhen, wie einige weitere Schranken legaler Tabakwerbung, auf freiwilligen Selbstbeschränkungen der Tabakindustrie. Der genaue Inhalt dieser Selbstbeschränkungen ist nicht öffentlich zugänglich.
Die produktbezogenen Hinweispflichten sind demgegenüber gesetzlich vorgeschrieben. Auf Gemeinschaftsebene gilt die Tabakprodukt-RL (RL 2001/37). Neben Höchstgehalten von Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid, anzuwendender Messverfahren sowie Offenlegungspflichten der Hersteller schreibt die Richtlinie in Art. 5 detaillierte Etikettierungspflichten vor. Die in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie gemessenen Gift- und Schadstoffwerte von Zigaretten sind auf der Schmalseite der Zigarettenschachtel zu nennen, Art. 5(1). Nach Art. 5(2) müssen auf der Breitseite von Zigarettenschachteln sowie auf allen Verpackungen der letzten Handelsstufe zudem Warnhinweise angebracht sein. Auf der einen Breitseite einer Zigarettenschachtel muss ein allgemein gehaltener Warnhinweis aufgedruckt sein, Art. 5(2)(a), auf der anderen Breitseite ein spezifischer Warnhinweis nach Anhang I der Richtlinie, Art. 5(2) (b). Alle Warnhinweise sind abwechselnd so zu verwenden, dass sie regelmäßig auf den Packungen erscheinen. Die Formulierungen reichen von „Rauchen fügt … erheblichen Schaden zu“ bis „Raucher sterben früher“. Die Richtlinie stellt es in das Ermessen der Mitgliedstaaten, die Angabe der Behörde zu verlangen, von der die Warnhinweise stammen. In Deutschland ist dies der bekannte Hinweis „Die EG-Gesundheitsminister“, welcher bis Oktober 2005 nach § 7 Abs. 4 a.F. der nationalen Tabakprodukt-Verordnung (TabProdV) vorgeschrieben war. Mit der Streichung des § 7 Abs. 4 ist dieser Hinweis nicht mehr zulässig. Es fragt sich, ob dies die grundrechtlich geschützte negative Meinungsfreiheit der Hersteller verletzt. Warnhinweise in Form von Farbfotografien oder anderen Abbildungen können die Mitgliedstaaten nach Art. 5 (3) der Tabakprodukt-RL vorschreiben.
Gemäß Art. 7 der Tabakprodukt-RL dürfen auf Verpackungen von Tabakerzeunissen keine Begriffe, Marken oder Zeichen verwendet werden, die den Eindruck erwecken, dass ein bestimmtes Erzeugnis weniger schädlich sei als andere. Hiermit zielt die Richtlinie auf Begriffe wie „light“, „ultra-light“ oder „mild“. Zigarettenmarken, welche diese Begriffe beinhalten, müssen mit entsprechendem Aufwand neu benannt und vermarktet werden.
3. Querschnittsproblem: Tabakrichtlinien
Die für nichtig erklärte erste Tabakwerbe-RL (RL 98/43), die Tabakprodukt-RL und die zweite Tabakwerbe-RL (RL 2003/33) waren Gegenstand von Verfahren vor dem EuGH. Die Urteile des EuGH stehen im Zeichen der umfassenderen rechtspolitischen Debatte um die föderale Struktur der Europäischen Union und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Gesetzgebungskompetenz der EG). Gegenüber dem horizontal gelegenen Aspekt des institutionellen Gleichgewichts zwischen den Gemeinschaftsorganen bildet die vertikale Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten den Schwerpunkt der Debatte.
Ausgangspunkt der hier betrachteten Rechtsprechungsreihe ist das Urteil des EuGH zur ersten Tabakwerbe-RL in der Rs. C-376/98 – Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419. Der Gemeinschaftsgesetzgeber stützte die erste Tabakwerbe-RL neben Art. 57(2) und 66 EG a.F. auf Art. 100a EG a.F. (nun Art. 95 EG/114 AEUV). Diese zentrale Bestimmung des EG-Vertrages ist eine funktionale Rechtsetzungsermächtigung. Maßnahmen in Wahrnehmung dieser Kompetenz müssen „für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 14“ (Art. 95(1)1 EG/114(1) AEUV) ergehen und „die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes“ zum Gegenstand haben (Art. 95(1)2 EG/114(1)2 AEUV). Dieses Konzept einer binnenmarktbezogenen, funktionalen Kompetenz bedingt, dass bei Vorliegen der geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen grundsätzlich kein Lebenssachverhalt von gemeinschaftlicher Harmonisierung nach Art. 95 EG/114 AEUV ausgenommen ist, „sofern im EG-Vertrag nichts anderes bestimmt ist“ (Art. 95(1)1 EG/114(1)1 AEUV). Der speziellere Art. 152(4)(c) EG/168(5) AEUV wiederum normiert für den Schutz der menschlichen Gesundheit einen „Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“. Mit seinem Urteil zur ersten Tabakwerbe-RL hat der EuGH zunächst das Verhältnis dieser beiden Bestimmungen konkretisiert. Der Gerichtshof stellte klar, dass Art. 152(4)(c) beim Worte zu nehmen ist; andere Bestimmungen des EG-Vertrages dürften nicht zu einer Umgehung herangezogen werden. Jedoch sei dies nicht als kategorisches Verbot jeglichen Sekundärrechts mit Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz zu verstehen. Sofern nur die Voraussetzungen des Art. 95 EG vorlägen, verstoße eine Richtlinie nicht schon dadurch gegen das Umgehungsverbot, dass sie auch den Gesundheitsschutz bezwecke, zumal Art. 95(3) EG ein Optimierungsgebot zugunsten des Gesundheitsschutzes enthalte. Der Verweis auf Art. 95(3) EG/114(3) AEUV sieht sich dem Einwand ausgesetzt, ein Optimierungsgebot betreffe lediglich die Ausübung einer bestehenden Kompetenz, könne eine Kompetenz jedoch nicht begründen. Sodann ergänzte der EuGH den weit formulierten Art. 95(1) EG/114(1) AEUV um ungeschriebene, richterrechtliche Tatbestandsmerkmale. Zunächst müsse der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Harmonisierung eine Förderung des europäischen Binnenmarktes subjektiv bezwecken. Im Interesse der Justiziabilität müsse der auf Grundlage von Art. 95 EG/114 AEUV erlassene Rechtsakt außerdem nach seinem Inhalt objektiv eine solche Wirkung entfalten. Letzteres sei nur dann der Fall, wenn der harmonisierende Rechtsakt Handelshemmnisse oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen beseitige. Dieses ungeschriebene Merkmal wiederum setzt voraus, dass der normierte Lebenssachverhalt, hier die Werbung für Tabakprodukte, tatsächlich von Handelshemmnissen oder spürbaren Wettbewerbsverzerrungen geprägt ist. Die Handhabung dieser Anforderungen wirkt sich unmittelbar auf das institutionelle Gefüge der Gemeinschaftsorgane untereinander, sowie die Machtbalance zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten aus. Je strenger der EuGH das tatsächliche Bestehen von Handelshemmnissen oder Wettbewerbsverzerrungen nachprüft, desto weniger Gewicht haben die Einschätzungen von Parlament, Rat und Kommission. Umgekehrt räumt der EuGH diesen anderen Organen eine stärkere Stellung ein, je eher er die Voraussetzungen des Art. 95 EG/114 AEUV unter Verweis auf Einschätzungsprärogativen bejaht. In der Vertikalen bedeutet eine solchermaßen zurückhaltende Kontrolle tendenziell eine Schwächung der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft. Das Urteil des EuGH zur ersten Tabakwerbe-RL ruht auf einem strengen Kontrollmaßstab. Letztlich sah der Gerichtshof die von ihm aufgestellten ungeschriebenen Voraussetzungen insbesondere wegen zu weitgehender Verbotstatbestände nicht erfüllt, siehe nur EuGH Rs. C-376/98 – Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 99.
Seine richterrechtliche Konkretisierung des Art. 95 EG/114 AEUV hat der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren zur Tabakprodukt-RL (EuGH Rs. C-491/01 – BAT u.a., Slg. 2002, I-11453) bestätigt. Insbesondere bestätigte der Gerichtshof das Alternativverhältnis zwischen Handelshemmnissen für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr und spürbaren Wettbewerbsverzerrungen. Es genüge, wenn die Harmonisierungsmaßnahme zur Beseitigung eines dieser beiden Binnenmarkthindernisse beitrage, s. EuGH Rs. C-491/01 – BAT u.a., Slg. 2002, I-11453, Rn. 60.
Die zweite Tabakwerbe-RL erging, neben Art. 133 EG/207 AEUV, ebenfalls auf Grundlage des binnenmarktbezogenen Art. 95 EG/114 AEUV. Die deutsche Bundesregierung beantragte daraufhin, Art. 3 (Verbot der Online- und Pressewerbung) und Art. 4 (Verbot der Rundfunkwerbung und des Rundfunksponsoring) für nichtig zu erklären. Auch bei der zweiten Tabakwerbe-RL standen die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des Art. 95 EG/114 AEUV im Vordergrund. Angesichts einiger Abweichungen gegenüber der Vorgänger-RL sah der Gerichtshof die Voraussetzungen jedoch als erfüllt an. Maßgebliche Bedeutung kommt hierbei aus Sicht des Gerichtshofs der sog. Freiverkehrsklausel in Art. 8 der Tabakwerbe-RL zu. Auf die Regelungstechnik der Freiverkehrsklausel hatte der Gerichtshof bereits in seinem ersten Tabakwerbeurteil hingewiesen, siehe EuGH Rs. C-376/98 – Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 101, 104. Nach Art. 8 dürfen die Mitgliedstaaten keine Beschränkungen gegenüber solchen Handelsgütern und ‑dienstleistungen erlassen, welche im Einklang mit der Richtlinie stehen, also Fachpublikationen und Fachonlinediensten, in welchen für Tabakprodukte geworben werden darf. Dies belege, so der Gerichtshof, dass der Abbau von Handelshemmnissen nicht lediglich ein gegenüber dem Gesundheitsschutz vorgeschobener Zweck der Richtlinie sei, sondern deren maßgebliches Anliegen. Da die Richtlinie bereits aus diesem Grund objektiv eine Förderung des Binnenmarktes bewirke, umgehe der Gesetzgeber mit der Inanspruchnahme des binnenmarktfinalen Art. 95 EG/114 AEUV nicht das Harmonisierungsverbot für den Gesundheitsschutz nach Art. 152(4)(c) EG/168(5) AEUV. Da zwischen dem Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen Alternativität bestehe, sei es schließlich nicht entscheidungserheblich, ob die von der Richtlinie geregelten Märkte zusätzlich von Wettbewerbsverzerrungen geprägt sind, s. EuGH Rs. C-380/03 – Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2006, I-11573, Rn. 67. Der Gerichtshof betont mehrfach den Ermessensspielraum der gesetzgebenden Organe, EuGH Rs. C-380/03 – Deutschland/ Parlament und Rat, Slg. 2006, I-11573, Rn. 42, 145. Diese zurückhaltendere Wahrnehmung der eigenen Kontrollkompetenz wird vielfach kritisiert. An dieser Stelle sei nochmals hervorgehoben, dass sich die Strenge, mit welcher der EuGH gemeinschaftliche Gesetzgebung überprüft, nicht nur auf seine Stellung im institutionellen Gefüge der Gemeinschaft auswirkt, sondern zugleich auf die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Dies umso mehr, als Rechtsakte nach Art. 95 EG/114 AEUV im Rat per Mehrheitsbeschluss erlassen werden können. Kritiker des zweiten Tabakwerbeurteils fürchten, dass eine zurückhaltende gerichtliche Kontrolle zu Lasten der Mitgliedstaaten Kompetenzen auf die Gemeinschaft verschiebt und das in Art. 5 EG/5 EU (2007) niedergelegte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aushöhlt. Einen weiteren Ansatzpunkt für Kritik bietet das richterrechtliche Tatbestandsmerkmal von Art. 95(3) EG/114(3) AEUV, eine Harmonisierungsmaßnahme müsse objektiv binnenmarktfördernde Wirkung entfalten. Kritische Stimmen sehen eine widersprüchliche Handhabung dieses Kriteriums. Während der EuGH Werbeverbote für Tabakprodukte im Ergebnis als binnenmarktfördernd aufrechterhält, hat der Gerichtshof auf allen anderen Gebieten Werbeverbote für legal gehandelte Produkte als unzulässige Binnenmarktschranken zurückgewiesen, siehe zuletzt für Arzneimittel EuGH Rs. C-143/06 – Ludwigs-Apotheke, Slg. 2007, I-9623.
Das Harmonisierungsverbot für den Gesundheitsschutz nach Art. 152(4)(c) EG erstreckt Art. 168(5) AEUV nunmehr ausdrücklich auf „Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum … zum Ziel haben“. Insbesondere mit Blick auf den Zusatz „unmittelbar“ kann man hierin eine Kodifizierung der hier referierten Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Tabak-Richtlinien sehen. Einer Verordnung oder einer Richtlinie etwa, welche ein EG-weites Rauchverbot in Gaststätten einführt, stünde Art. 168(5) AEUV jedoch unmissverständlich entgegen. So belegt die Neufassung des Art. 152(4) EG durch den AEUV letztlich, welche Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH im Schnittbereich von Tabakpolitik und Gesetzgebungskompetenzen beigemessen wird.
4. Das WHO-Rahmenübereinkommen
Am 27.2.2005 trat das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation vom 21.3.2003 zur Eindämmung des Tabakgebrauchs in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland ist Signatarstaat des Übereinkommens und hat das Übereinkommen im Dezember 2004 ratifiziert. Auch die EG ist, gestützt auf Art. 95, 133, 152 und 300 EG/114, 207, 168, 218 AEUV, Partei, siehe hierzu Beschluss des Rates vom 2.6.2004 (2004/513). Das Übereinkommen befasst sich in Art. 11 mit der Etikettierung von Tabakerzeugnissen sowie in Art. 13 mit Absatzförderungsmaßnahmen. Tabakwerbung definiert Art. 1(c) des Übereinkommens ähnlich Art. 2(b) der zweiten Tabakwerbe-RL als jegliche kommerzielle Kommunikation mit dem Ziel, den Absatz von Tabakwaren zu fördern. Auch die Definition des Tabaksponsoring in Art. 1(g) des Übereinkommens stimmt inhaltlich mit Art. 2(c) der Tabakwerbe-RL überein. Art. 11 des Übereinkommens (Etikettierung von Tabakerzeugnissen) sieht wie die Tabakprodukt-RL Kennzeichnungspflichten vor und fordert ein Verbot irreführender Bezeichnungen wie „light“ oder „mild“. Art. 13(2) des Übereinkommens (Absatzförderungsmaßnahmen) fordert ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung. Art. 13(3) enthält eine Ausnahmeklausel für eine Vertragspartei, „die aufgrund ihrer Verfassung oder ihrer verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht in der Lage ist, ein umfassendes Verbot zu erlassen“, und fordert in Verbindung mit Art. 13(4) die Einhaltung gewisser Minimalstandards in der Regulierung von Tabakwerbung. Über die gesetzgeberischen Maßnahmen ist der Weltgesundheitsorganisation zu berichten. Dies ermöglicht einen internationalen Vergleich der Standards. Das WHO-Rahmenübereinkommen zeigt, dass die Notwendigkeit der Regulierung von Tabakwerbung international anerkannt ist. Für die EU ist das Übereinkommen von besonderer Bedeutung, da sowohl Mitgliedstaaten als auch die Europäische Gemeinschaft Partei sind. Die Kontroverse um die richtige Zuständigkeitsverteilung dürfte sich über die Werbung hinaus auf anderen Feldern der Tabakpolitik fortsetzen. Das WHO-Rahmenübereinkommen fordert nicht zuletzt wirksame Maßnahmen zum Schutze der Nichtraucher vor dem Passivrauchen (Art. 8). Obwohl die Ziele des Übereinkommens ausdrücklich unter dem Vorbehalt von Kompetenzerwägungen und anderen Interna der Parteien stehen, erhöht es doch den Handlungsdruck auf alle Beteiligten. Was die Aufgabenteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten angeht, so beschränkt sich die Gemeinschaft bislang auf die Feststellung, „die in dem Übereinkommen festgelegten Verpflichtungen gemeinsam zu erfüllen und die Rechte, die das Übereinkommen in Fällen geteilter Zuständigkeit verleiht, gemeinsam auszuüben, damit eine einheitliche Anwendung des Übereinkommens gewährleistet wird“, siehe Erwägungsgrund 4 des Ratsbeschlusses 2004/513. Wie diese gemeinsame Tabakpolitik im Einzelnen, vor allem kompetenziell, auszugestalten ist, lässt diese Feststellung offen. Bis zum Inkrafttreten des AEUV oder eines anderen Reformvertrages, welcher in diesem Bereich für Rechtssicherheit sorgt, bleibt die Diskussion über die Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft in der Tabakpolitik von besonderer Bedeutung.
Literatur
Christian Hillgruber, Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung, in: Rüdiger Krause, Winfried Veelken, Klaus Vieweg (Hg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, 597 ff.; Kurt Faßbender, Der grundrechtliche Schutz der Werbefreiheit in Deutschland und Europa, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil 2006, 965 ff.; Mattias Kum, Constitutionalising Subsidiarity in Integrated Markets: The Case of Tobacco Regulation in the European Union, European Law Journal 12 (2006) 503 ff.; Sebastian Strohmayr, Kompetenzkollisionen zwischen europäischem und nationalem Recht, 2006; Christian Maierhöfer, Anmerkung zu EuGH Rs. C-380/03 – Deutschland/Parlament und Rat, Juristenzeitung 2007, 463 ff.; Felix Hardach, Markus Ludwigs, Die Novellierung der Warnhinweispflicht für Tabakerzeugnisse im Lichte der negativen Meinungsfreiheit, Die öffentliche Verwaltung 2007, 288 ff.; Jürgen Schwarze, Grenzen des Richterrechts in der europäischen Rechtsordnung, in: Festschrift für Günter Hirsch, 2008, 165 ff.; Thomas Kyriss, Martina Pötschke-Langer, Thilo Grüning, Der Verband der Cigarettenindustrie – Verhinderung wirksamer Tabakkontrollpolitik in Deutschland, Gesundheitswesen 2008, 315 ff.