Rügeobliegenheit

Aus HWB-EuP 2009

von Knut B. Pißler

1. Gegenstand und Zweck

Im Zivilrecht spielt die Rügeobliegenheit in den europäischen Rechtsordnungen vor allem im Kaufrecht (Kauf) eine Rolle, außerhalb des Zivilrechts aber beispielsweise auch im öffentlichen Vergaberecht.

Im Kaufrecht dient sie – verbunden mit der Sanktion von Rechtsverlusten bei Versäumung dieser Obliegenheit – der Realisierung des Prinzips der Mitverantwortung des Käufers für eine rechtzeitige Klärung und Abwicklung von Mangelproblemen. Der Verkäufer soll in die Lage versetzt werden, durch Nach-, Ersatzlieferung oder Nachbesserung die Vertragswidrigkeit zu beheben oder einen Schaden des Käufers zu verringern. Außerdem soll der Verkäufer durch die Rüge die Möglichkeit erhalten, sich auf eventuelle Verhandlungen oder Streitigkeiten mit dem Käufer über die Vertragswidrigkeit der Ware einzustellen und sich darauf vorzubereiten, indem er beispielsweise das notwendige Beweismaterial sichert. Überdies wird der Verkäufer so in die Lage versetzt, sich auch auf einen Rückgriff auf den Zulieferer vorzubereiten. Schließlich soll der Verkäufer zu einem bestimmten Zeitpunkt Gewissheit darüber haben, welche Rechnungsposten er in seine Bücher einstellen kann.

Ähnliche Ziele verfolgen auch Regelungen zur Verjährung, so dass einige Rechtsordnungen statt mit Rügeobliegenheiten mit Verjährungsfristen sicherstellen, dass die schutzwürdigen Interessen des Verkäufers ausreichend Berücksichtigung finden.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Die Lösungen, den einzelne Rechtsordnungen für diesen Problemkreis anbieten, sind dementsprechend recht unterschiedlich, auch weil sie teilweise eher zugunsten des Käufers teilweise eher zugunsten des Verkäufers ausgestaltet sind.

Zunächst ist festzustellen, dass einige Rechtsordnungen eine ausdrückliche Rügepflicht des Käufers kennen: Zu diesen zählt vor allem das deutsche (§§ 377, 378 HGB) und das österreichische (§§ 377, 378 Unternehmensgesetz), das schweizerische (Art. 201 OR), das italienische (Art. 1495 Abs. 1 Codice civile), das dänische (§§ 51, 52 Løv om køp [Kaufgesetz]) und das niederländische Recht (Art. 7:23 Abs. 1 BW). In einigen der Rechtsordnungen, die eine Rügepflicht kennen, ist diese allerdings auf den Handelskauf beschränkt: Als Beispiele sind hier wiederum das deutsche und das österreichische Recht zu nennen. Italien und die Niederlande kennen hingegen eine allgemeine Rügepflicht. Auch das dänische Recht sieht eine Rügepflicht sowohl im Handelskauf als auch im Zivilkauf vor.

Im englischen Recht braucht der Käufer nach sec. 35 Abs. 4 Sale of Goods Act 1979 hingegen nur zu rügen, wenn er Vertragsaufhebung geltend machen will. In Spanien ist für den zivilrechtlichen Kauf nur vorgesehen, dass der Käufer sein Recht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich ausübt. Beim handelsrechtlichen Kauf muss der Käufer Mängel rügen, wobei aber unklar ist, ob diese Rüge außergerichtlich erfolgen kann und welche Fristen einzuhalten sind.

Auch in den anderen Rechtsordnungen, die eine Rügepflicht kennen, wird die Frist, innerhalb derer gerügt werden muss, unterschiedlich bemessen. Im deutschen Rechtskreis wird die unverzügliche oder (in der Schweiz) sofortige Anzeige verlangt, während in England die Einhaltung einer reasonable time genügt. In den Niederlanden muss die Anzeige grundsätzlich innerhalb einer angemessenen Frist ab Entdeckung oder ab Entdeckbarkeit des Mangels erfolgen; bei Verbraucherverträgen kommt es hingegen seit 2003 auf die Entdeckbarkeit nicht an und eine Anzeige innerhalb von zwei Monaten nach der Entdeckung gilt als angemessen. In Italien gilt hingegen eine zeitlich genau bestimmte allgemeine Rügefrist von acht Tagen ab Entdeckung der Mängel. In Dänemark muss der Käufer bei einem Handelskauf sofort rügen, während bei einem Verbraucherkauf gemäß § 81 Løv om køp (Kaufgesetz) innerhalb einer angemessenen Frist gerügt werden muss. Liegt weder ein Handelskauf noch ein Verbraucherkauf vor, ist ohne schuldhaftes Zögern zu rügen.

Im französischen Recht fehlt eine Rügepflicht gänzlich, da man sich für eine Lösung durch das Festsetzen einer Verjährungsfrist entschieden hat. Einzige Voraussetzung für das Geltendmachen von Käuferansprüchen ist dort, dass dieser Sachmängel innerhalb eines bref délai gerichtlich geltend macht, Art. 1648 Code civile.

Eine jüngere Tendenz, Rügeobliegenheiten beim Verbrauchsgüterkauf einzuführen, damit Verbraucher in den Genuss eines besonderen Schutzes kommen, ist nach der Verabschiedung der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 99/‌‌44) vom 7.7.1999 festzustellen. Gemäß Art. 5(2) der Verbrauchsgüterkauf-RL können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Verbraucher den Verkäufer zur Inanspruchnahme seiner Rechte über die Vertragswidrigkeit binnen zwei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem er die Vertragswidrigkeit festgestellt hat, unterrichten muss.

Sechzehn Mitgliedstaaten haben sich nach einer Mitteilung der Kommission vom 24.4.2007 (KOM(2007)210 endg.) dafür entschieden, in ihren Gesetzen eine Anzeigepflicht vorzusehen, wobei allerdings einige Mitgliedstaaten von der Anzeigepflicht unter bestimmten Bedingungen absehen: In Dänemark und Finnland besteht keine Anzeigepflicht, wenn der Verkäufer gegen das Gebot der Redlichkeit verstoßen oder grob fahrlässig gehandelt hat. In Italien hat der Käufer keine Anzeigepflicht, wenn der Verkäufer Kenntnis von der Vertragswidrigkeit hatte. Das belgische Gesetz sieht eine abweichende Regelung vor, der zufolge die Vertragsparteien eine bestimmte Frist, innerhalb der eine Vertragwidrigkeit mitzuteilen ist, vereinbaren können und untereinander die Rechtsfolgen im Falle des Ausbleibens einer solchen Mitteilung festlegen dürfen. Die Anzeigefrist darf jedoch nicht weniger als zwei Monate betragen. Nach slowakischem Recht muss der Verbraucher eine Vertragswidrigkeit „ohne ungebührliche Verzögerung“ mitteilen; diese Bestimmung interpretiert die Mitteilung der Kommission dahingehend, dass die Frist weniger als zwei Monate beträgt. Folgende Mitgliedstaaten haben nicht von dieser Möglichkeit, die ihnen die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bietet, Gebrauch gemacht: Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Lettland, Luxemburg, Österreich, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Es handelt sich bei den Ländern größtenteils gerade um diejenigen Mitgliedstaaten, die entweder gar keine Rügeobliegenheiten oder diese nur für den handelsrechtlichen Kauf kennen.

3. Regelungsstrukturen im Einheitsrecht

Im UN-Kaufrecht (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) trifft den Käufer nach Art. 38 und 39 bei Abnahme der Ware die Pflicht, diese am Bestimmungsort zu untersuchen oder untersuchen zu lassen und eine Vertragswidrigkeit anzuzeigen. Die Rüge ist innerhalb einer angemessenen Frist zu erheben; eine noch in Art. 39(1)1 EKG für die Rüge normierte „kurze“ Frist konnte sich gegen Wünsche nach einer flexibleren Ausgestaltung der Rügeregelung nicht durchsetzen. Der Verlust von Käuferansprüchen als Rechtsfolge bei Rügeversäumung erfasst gemäß Art. 44 UN-Kaufrecht nicht die Minderung und einen eingeschränkten Schadensersatzanspruch (außer auf entgangenen Gewinn) wenn der Käufer eine „vernünftige Entschuldigung“ dafür hat, dass er die erforderliche Anzeige unterlassen hat. Der Käufer verliert seine Rechte nach Art. 39(2) UN-Kaufrecht wegen vertragswidriger Beschaffenheit der Ware jedenfalls zwei Jahre nach tatsächlicher Übergabe der Ware. Art. 43 UN-Kaufrecht sieht außerdem eine Rügepflicht bei Rechtsmängeln vor, die den meisten nationalen Rechtsordnungen jedoch fremd ist.

4. Vereinheitlichungsprojekte

In den PECL sind Rügeobliegenheiten nicht festgelegt. Der Draft DCFR enthält hingegen in den Art. IV.A.-4:302 und 4:303 Rügeobliegenheiten, wenn der Kaufsache nicht Vertragsgemäß ist. Der Rügeobliegenheit ist in Art. IV.A.-4:301 DCFR eine Untersuchungspflicht vorgeschaltet, die allerdings nicht für den Verbraucherkauf gilt (Art. IV.A.-4:301 Abs. 4 DCFR). Die Rüge muss gemäß Art. IV.A.-4:302(1) DCFR innerhalb einer angemessenen Frist erhoben werden. Wird die Rüge versäumt, verliert der Käufer das Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit der Kaufsache zu berufen. Art. IV.A.-4:302(3) DCFR normiert eine Ausschlussfrist, nach der der Käufer in jedem Fall das Recht verliert, sich auf die Vertragswidrigkeit zu berufen, wenn er sie nicht spätestens innerhalb von zwei Jahren anzeigt, nachdem ihm die Ware tatsächlich übergeben worden ist.

Bei Verbraucherkäufen gelten einige Ausnahmen: Zunächst gilt gemäß Art. IV.A.-4:302(2) DCFR eine Frist von zwei Monaten als angemessen im Sinne von Art. IV.A.-4:302(1) DCFR. Der Käufer verliert außerdem nach Art. IV.A.-4:302(6) DCFR nicht die Ansprüche auf Minderung und Schadensersatz, soweit letzterer nicht den Kaufpreis übersteigt. Dies bedeutet, dass der Käufer auch nach Ablauf der Ausschlussfrist Minderung und Schadensersatz verlangen kann; der Verkäufer soll in diesem Fall aber die Möglichkeit haben, die Behebung der Vertragswidrigkeit anzubieten, wenn dies für ihn günstiger ist. Art. IV.A.-4:303 DCFR legt schließlich fest, dass der Käufer dem Verkäufer nicht anzeigen muss, dass nicht alle Ware geliefert worden ist, soweit er Grund zu der Annahme hat, die ausstehende Ware werde noch geliefert.

Literatur

Friedrich Graf von Westphalen (Hg.), Handbuch des Kaufvertragsrechts in den EG-Staaten, 1992; Michael Georg Gerny, Untersuchungs- und Rügepflichten beim Kauf nach schweizerischem, französischem und US-amerikanischen Recht sowie nach CISG, 1999; André Janssen, Die Untersuchungs- und Rügepflichten im deutschen, niederländischen und internationalen Kaufrecht, 2001; Ulrich Magnus, Wiener UN-Kaufrecht, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Neubearbeitung 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Anwendung der Richtlinie 1999/‌44/‌EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Produzentenhaftung, 2007 (KOM(2007)210 endg.); Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5. Aufl. 2008.

Abgerufen von Rügeobliegenheit – HWB-EuP 2009 am 06. Oktober 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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