Fusionskontrolle
1. Entstehung und Rechtsgrundlagen
Die erste europäische Fusionskontrolle war im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von 1952 enthalten, der 2002 außer Kraft trat.
Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1958 enthielt in Art. 81 EG ein Kartellverbot mit Erlaubnisvorbehalt und in Art. 82 EG ein Missbrauchsverbot für beherrschende Unternehmen; es fehlen jedoch Vorschriften über eine Fusionskontrolle. Sie wurde durch die VO 4064/89 vom 21.12.1989 eingeführt, durch die VO 1310/97 vom 30.6.1997 neu gefasst und durch die VO 139/2004 vom 20.1.2004 (FKVO) ersetzt.
Die Verordnungen sind auf Art. 83 EG/103 AEUV in Verbindung mit Art. 308 EG/352 AEUV gestützt. Die Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 308 ist notwendig, weil die Wettbewerbsregeln keine ausreichende Grundlage für eine umfassende Fusionskontrolle sind. Art. 82 EG/102 AEUV ist auf Zusammenschlüsse nach der Rechtsprechung des EuGH nur anwendbar, wenn eines der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen vor dem Zusammenschluss bereits eine beherrschende Stellung innehatte (EuGH Rs. 6/72 – Continental Can, Slg. 1973, 215). Die Zusammenschlusskontrolle soll aber auch die Entstehung beherrschender Stellungen durch Zusammenschluss verhindern. Der in Continental Can begründete Strukturbezug des Missbrauchsverbots in Art. 82 EG/102 AEUV bleibt neben der Fusionskontrolle erheblich. Art. 81 EG/101 AEUV ist auf Zusammenschlüsse nur anwendbar, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen nach dem Zusammenschluss selbständige Unternehmen bleiben (EuGH verb. Rs. 142/84 und 156/84 – Moris/ Rothmans, Slg. 1987, 4487). Die Fusionskontrolle soll aber für Zusammenschlüsse auch dann gelten, wenn die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluss als selbständige Wettbewerber entfallen. Die Abgrenzung von Zusammenschluss und Vereinbarung im Sinne von Art. 81/101 AEUV bleibt neben der FKVO erheblich, insbesondere für die Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen (Art. 2(4) und (5) FKVO).
Zu den Regelungsprinzipien der FKVO gehören:
(i) Die Untersagung von Zusammenschlüssen, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung (Art. 2(3)) (Wettbewerb im Binnenmarkt).
(ii) Das System der präventiven Fusionskontrolle, das durch die Pflicht zur vorherigen Anmeldung (Art. 4), durch ein Vollzugsverbot (Art. 7(1) und Art. 14(2)(b)) und die zivilrechtliche Unwirksamkeit dagegen verstoßender Rechtsgeschäfte (Art. 7(4)) gekennzeichnet ist.
(iii) Die Definition der kontrollpflichtigen Zusammenschlusstatbestände (Art. 3) und die Normierung des Anwendungsbereichs der Verordnung für Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung (Art. 1).
(iv) Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission für die Anwendung der FKVO auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung (Art. 21(2) – one-stop-shop).
(v) Eine im Vergleich zum allgemeinen Wettbewerbsrecht der VO 1/2003 abweichende Abgrenzung von den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten.
2. Anwendungsbereich
a) Aufgreiftatbestände (Art. 1(2) und (3) FKVO)
Die FKVO gilt für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung (Art. 1(1)). Ob ein Zusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung hat, bestimmt sich nach den in Art. 1(2) und (3) festgelegten quantitativen Umsatzschwellen der beteiligten Unternehmen. Die Umsatzschwellen sind Aufgreifkriterien. Sie gelten unabhängig von der wettbewerbsrechtlichen Bedeutung des Zusammenschlusses. Gleichzeitig grenzen sie das Gemeinschaftsrecht vom mitgliedstaatlichen Recht ab und sollen der Kommission die Prüfung potentiell bedenklicher Zusammenschlüsse ermöglichen.
Die Verwendung von Umsatzkriterien führt dazu, dass die FKVO auch auf Zusammenschlüsse von Unternehmen Anwendung findet, die ihren Sitz nicht in den Mitgliedstaaten haben. Im Verhältnis zu Unternehmen aus Drittstatten setzt die Anwendung des materiellrechtlichen Untersagungstatbestandes zusätzlich voraus, dass die völkerrechtlichen Kriterien für die extraterritoriale Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts erfüllt sind.
b) Mitgliedstaatliche Fusionskontrolle bei Zusammenschlüssen von gemeinschaftsweiter Bedeutung
In Ausnahmefällen kann das mitgliedstaatliche Recht auch auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung angewendet werden. Nach Art. 9 können die Mitgliedstaaten bei der Kommission die Verweisung eines Falles beantragen, wenn ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einen mitgliedstaatlichen Sondermarkt erheblich zu beeinträchtigen droht oder es sich um einen Zusammenschluss handelt, der keinen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes darstellt (Art. 9(2)(b)). Die Entscheidung über die Verweisung trifft die Kommission.
3. Verfahren
Das Verfahren der Fusionskontrolle ist in zeitlich streng abgegrenzte Abschnitte gegliedert. Die einzelnen Abschnitte werden mit Entscheidungen abgeschlossen (Art. 6(1)(c)2). Entscheidet die Kommission nicht innerhalb der für ihre Entscheidungen geltenden Fristen, so gilt der Zusammenschluss als mit dem Gemeinschaftsrecht für vereinbar erklärt (Art. 10(6)).
a) Verfahrensablauf
Die an einem Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung Beteiligten sind verpflichtet, den Zusammenschluss bei der Kommission nach dem Vertragsschluss, der Veröffentlichung des Kauf- oder Umtauschangebots oder dem Erwerb der Kontrolle anzumelden (Art. 4(1)). Die Kommission muss im Vorverfahren innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang der Anmeldung (Art. 10(1)) entscheiden, ob der angemeldete Zusammenschluss unter die FKVO (Art. 6(1)(a)) fällt. Ist der der angemeldete Zusammenschluss kontrollpflichtig, gibt aber keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken, so ist er für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären (Art. 6(1)(b)). Das Hauptverfahren wird eingeleitet, wenn der Zusammenschluss Anlass zu ernsthaften Bedenken gibt (Art. 6(1)(c)). Nach der Einleitung des Hauptverfahrens sind die weiter in Betracht kommenden Entscheidungen der Kommission innerhalb einer Frist von 90 Arbeitstagen zu treffen (Art. 10(3)): Das Verfahren an eine nationale Wettbewerbsbehörde abzugeben (Art. 9); den Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären (Art. 8(2) i.V.m. Art. 2(2) und(4)); den Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären (Art. 8(3) i.V.m. Art. 2(3) und(4)); und einen trotz Vollzugsverbot vollzogenen Zusammenschluss aufzulösen (Art. 8(4)). Alle genannten Entscheidungen sind unter den Voraussetzungen von Art. 230 EG/Art. 263 AEUV beim Gericht erster Instanz anfechtbar.
b) Zusagen
Die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt kann durch Zusagen der beteiligten Unternehmen hergestellt werden. Die Kommission kann die Vereinbarkeitsentscheidung nach Art. 8(2)2 mit Bedingungen und Auflagen verbinden. Sie sollen sicherstellen, dass die beteiligten Unternehmen den Verpflichtungen nachkommen, die sie gegenüber der Kommission durch Zusagen übernommen haben. Zusagen sind zulässig, wenn sie die Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung auf Dauer verhindern. Unzureichend ist eine Zusage, die beherrschende Stellung nicht zu missbrauchen. Wirksam und häufig sind Zusagen zur Veräußerung von Unternehmensteilen, die Beendigung langfristiger Alleinbezugs- und Alleinvertriebsverträge, die Beendigung oder der Abschluss von Lizenzverträgen, die Zusammenlegung von Netzwerken.
c) Vollzugsverbot (Art. 7 FKVO)
Ein geplanter oder angemeldeter Zusammenschluss darf nicht vollzogen werden, solange keine Entscheidung über die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ergangen ist (Art. 7(1)). Dagegen verstoßende Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam (Art. 7(4)). Die Rechtsfolgen der endgültigen Unwirksamkeit bestimmen sich nach nationalem Recht. Der Vollzug eines nach Art. 8(3) untersagten Zusammenschlusses ist rechtswidrig und mit hohen Bußgeldern sanktioniert (Art. 14(2)(b)). Hiernach rechtswidrige Zusammenschlüsse können aufgelöst werden.
4. Zusammenschlusstatbestände
a) Beteiligte Unternehmen
Die FKVO richtet sich an die Unternehmen, die am Zusammenschluss beteiligt sind. Die Unternehmenseigenschaft wird in der Fusionskontrolle ebenso wie bei Art. 81, 82 EG/101, 102 AEUV durch jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit begründet. Der Begriff des Unternehmens ist ein allgemeiner Begriff des europäischen Wettbewerbsrechts. Unerheblich sind danach die Art der Organisation, die Absicht der Gewinnerzielung, die Art der Finanzierung und die rechtliche Qualifikation der Tätigkeit nach dem Recht der Mitgliedstaaten. In Übereinstimmung mit Art. 86(1) EG/106(1) AEUV gilt die FKVO auch für öffentliche Unternehmen.
b) Kontrolle und Kontrollerwerb
Die Transaktionen, die zu einem Zusammenschluss führen, definiert Art. 3(1)(b) im Anschluss an Art. 66 § 1 EGKS als den Erwerb der Kontrolle über ein oder mehrere Unternehmen. Die Kontrolle wird begründet durch „bestimmenden Einfluss“ eines oder mehrerer Unternehmen auf die Tätigkeit eines anderen Unternehmens (Art. 3(2)).
Kontrolle und Kontrollerwerb sind gemeinschaftsrechtliche Begriffe. Sie unterscheiden sich vom mitgliedstaatlichen Recht der Unternehmensverbindungen ebenso wie von den Zusammenschlusstatbeständen der mitgliedstaatlichen Fusionskontrollen.
c) Gemeinschaftsunternehmen
Art. 3(4) und (5) nennen als Zusammenschluss die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt. Bezweckt oder bewirkt ein solcher Zusammenschluss die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen, so ist die Koordinierung nach Art. 81 EG/101 AEUV zu beurteilen (Art. 2(4) und (5)). Auch über die Anwendung von Art. 81 EG/101 AEUV ist im Verfahren der Fusionskontrolle zu entscheiden.
5. Untersagung und Freistellung von Zusammenschlüssen
a) Beherrschende Stellung und wirksamer Wettbewerb
Nach dem Untersagungstatbestand, der bis zum 30.4.2004 galt, war ein Zusammenschluss zu untersagen, der eine beherrschende Stellung begründete oder verstärkte, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert würde. Der Begriff der beherrschenden Stellung war Art. 82 EG/102 AEUV unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Fusionskontrolle zu entnehmen. Die präventive Fusionskontrolle fordert die vorausschauende Beurteilung der von dem Zusammenschluss bewirkten Veränderung der Marktstruktur, die zur Marktbeherrschung führt oder eine bestehende beherrschende Stellung verstärkt. Das Tatbestandsmerkmal einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs erlangte keine Eigenbedeutung, weil die Marktbeherrschung auf einem hohen Grad der Wettbewerbsbeschränkung beruht und damit auch wirksamen Wettbewerb erheblich behindert.
Die FKVO 2004 hat den Untersagungstatbestand für Zusammenschlüsse im Oligopol neu gefasst (Art. 2(3)) und in Art. 2(2) einen rechtfertigenden Vorbehalt für überwiegende Effizienzvorteile eingefügt. Art. 2(3) FKVO lautet: „Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, sind für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären“. Die Neufassung zielt auf Zusammenschlüsse, die geeignet sind, auf oligopolistischen Märkten wirksamen Wettbewerb zu behindern, ohne dass die am Zusammenschluss beteiligten Oligopolisten nach dem Zusammenschluss ihr Marktverhalten koordinieren. Im Oligopol sind mithin neben den koordinierten auch die nicht koordinierten Wirkungen des Zusammenschlusses darauf zu prüfen, ob sie zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen. Im Erwägungsgrund 25 heißt es dazu, dass sich die Neufassung über das Konzept der Marktbeherrschung hinaus ausschließlich auf diejenigen wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erstrecken solle, die sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden. Für alle anderen Arten von Zusammenschlüssen bewendet es mithin beim Marktbeherrschungstest in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Gerichte und der Praxis der Kommission (Erwägungsgrund 26). Das stellt auch der Verordnungstext klar, wonach „wirksamer Wettbewerb insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung“ erheblich behindert wird.
Die materiellrechtliche Eigenbedeutung des Tatbestandsmerkmals der nicht erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs gemäß Art. 2(2) FKVO 2004 folgt aus der Möglichkeit, dass ein Zusammenschluss eine beherrschende Stellung begründen kann, ohne dass wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird. Den Vorbehalt für solche Sonderfälle erklärt der Erwägungsgrund 29: „Um die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt bestimmen zu können, sollte begründeten und wahrscheinlichen Effizienzvorteilen Rechnung getragen werden, die von den beteiligten Unternehmen dargelegt werden. Es ist möglich, dass die durch einen Zusammenschluss bewirkten Effizienzvorteile, die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb, insbesondere den möglichen Schaden für die Verbraucher, ausgleichen, so dass durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, nicht erheblich behindert würde.“ Im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle ist danach zu beurteilen, ob die neue Kombination der Produktionsfaktoren durch Zusammenschluss effizienter sein würde, als ihre weiter getrennte Nutzung. Die zu beurteilende neue Kombination der Produktionsfaktoren wird von den beteiligten Unternehmen geplant. Ihre Verwirklichung ist Sache des zusammengeschlossenen Unternehmens. Dessen Handlungsmöglichkeiten hängen außer vom Markt und den neuen Wettbewerbsbedingungen von der effizienten Integration der bisher getrennten unternehmerischen Tätigkeiten ab. In Beziehung zu setzen sind die vom Wettbewerb nicht kontrollierten Verhaltensspielräume auf dem Markt, die Effizienz der neuen Kombination der Produktionsfaktoren und deren Auswirkungen auf das Marktverhalten. Für die verschiedenen Arten von Effizienzvorteilen ist zu beurteilen, ob es für das zusammengeschlossene Unternehmen rational ist, Effizienzgewinne an die Verbraucher weiterzugeben, ohne dazu vom Markt gezwungen zu sein, oder von der Wettbewerbsbehörde gezwungen zu werden. Die zuletzt genannte Möglichkeit ist mit einer wettbewerblichen Fusionskontrolle unvereinbar.
b) Überblick über die Beurteilungskriterien
In einem umfangreichen rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum ist die Tendenz erkennbar, die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs (significant impediment to effective competition, SIEC-Test) der Fusionskontrolle als letztlich maßgebliches Tatbestandsmerkmal zugrunde zu legen. Die Entstehungsgeschichte spricht jedoch gegen die Verdrängung des Kriteriums der Marktbeherrschung. Sie kann auch nicht durch den Hinweis auf die Parallele im amerikanischen Antitrustrecht (sec. 7 Clayton Act) gestützt werden. Es ist weitgehend offen, ob und inwieweit die neugefassten Art. 2(2) und (3) zu grundlegenden Veränderungen in der Fusionskontrollpraxis führen werden. Unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte bevorzugt die Kommission auch für nichthorizontale Zusammenschlüsse die Unterscheidung von koordinierten und nicht koordinierten Zusammenschlusswirkungen. Daraus folgt jedoch kein veränderter Maßstab für die Prüfung der Wettbewerbswirkungen, die von einem Zusammenschluss im Innenverhältnis der beteiligten Unternehmen (koordinierte Wirkung) und im Außenverhältnis auf den betroffenen Märkten (nicht koordinierte Wirkungen) ausgehen.
Für die Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 2(2) und (3) sind der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 82 EG/102 AEUV die wichtigsten Anhaltspunkte zu entnehmen. Danach ist die beherrschende Stellung eine wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich dem Verbraucher gegenüber in einem wesentlichen Umfang unabhängig zu verhalten. Die Definition umfasst die Behinderung wirksamen Wettbewerbs.
Ein Zusammenschluss ist auch dann zu untersagen, wenn er eine schon bestehende beherrschende Stellung verstärkt. Darin kommt der allgemein wichtige Grundsatz zum Ausdruck, dass das Wettbewerbsrecht den auf beherrschten Märkten noch möglichen Restwettbewerb schützt.
Die in das Gesamturteil über die Auswirkungen eines Zusammenschlusses einzubeziehenden Umstände normiert Art. 2(1)(a) und (b). Ihnen gemeinsam ist der Bezug auf den Zweck der Fusionskontrolle, wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Hervorgehoben wird durchgängig der Strukturbezug der Fusionskontrolle. Die Auswirkungen auf den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb auf allen betroffenen Märkten für alle innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft tätigen Unternehmen betreffen hauptsächlich den Zusammenschluss zwischen Wettbewerbern (horizontale Integration). Die Auswirkungen auf den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten betreffen hauptsächlich den Zusammenschluss von Unternehmen, die auf verschiedenen Stufen der Lieferkette tätig sind (vertikale Integration). Daneben können im Ausnahmefall auch Zusammenschlüsse von Unternehmen, die nicht horizontal oder vertikal verbunden sind, zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung beitragen (konglomerate Konzentration).
c) Relevante Märkte
Für die Beurteilung des Einflusses, der von einem Zusammenschluss auf den Wettbewerb ausgeht, ist die Ermittlung des relevanten Marktes eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Die Abgrenzung des relevanten Marktes setzt sich aus der Abgrenzung des Marktes in sachlicher und räumlicher Hinsicht zusammen. Daraus ergeben sich das Produkt, das Gegenstand des Wettbewerbs ist und das Gebiet, in dem sich die dasselbe Produkt anbietenden Unternehmen als Wettbewerber begegnen. So werden die Wettbewerbskräfte ermittelt, die für die beteiligten Unternehmen wirksam sind.
Der sachlich relevante Markt umfasst sämtliche Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden (Bedarfsmarktkonzept). Abgrenzungsprinzip ist mithin die Substituierbarkeit aus Sicht der Marktgegenseite; auf Angebotsmärkten sind das die Abnehmer, auf Nachfragemärkten die Anbieter.
Der räumlich relevante Markt kennzeichnet einen abgegrenzten Bereich wirksamen Wettbewerbs, der sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet (Definition in Art. 9 (7) FKVO). Der relevante räumliche Markt muss ein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes sein. Die Gebiete der Mitgliedstaaten, auch die der kleineren Mitgliedstaaten sowie Teilgebiete in größeren Mitgliedstaaten sind in der Regel wesentliche Teile des Gemeinsamen Marktes.
d) Marktanteile
Den auf der Grundlage des relevanten Marktes ermittelten Marktanteilen kommt für die Bewertung der Wettbewerbswirkung von Zusammenschlüssen auch für nicht horizontale Zusammenschlüsse hervorgehobene Bedeutung zu. Nach Erwägungsgrund 32 zur FKVO ist bei einem gemeinsamen Marktanteil von unter 25 % anzunehmen, dass der Zusammenschluss nicht geeignet ist, den wirksamen Wettbewerb zu behindern. Ein besonders hoher Marktanteil in der Größenordnung von 50 % rechtfertigt – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – die Annahme einer beherrschenden Stellung und damit die Untersagung von horizontalen Zusammenschlüssen. Die Bedeutung des Marktanteils variiert in Abhängigkeit von den Wettbewerbsbedingungen.
e) Marktzutrittsschranken
Marktzutrittsschranken können durch den Zusammenschluss entstehen oder verstärkt werden. Die Theorie der bestreitbaren Märkte (contestable markets) zielt auf den Nachweis, dass zwischen aktuellem und potentiellem Wettbewerb keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Eine Annäherung an die Wirklichkeit soll dadurch erreicht werden, dass als wichtigste Ursache für Marktzutrittsschranken versunkene Kosten (sunk costs) eingeführt werden. Das sind die Kosten, die potentielle Wettbewerber für den Eintritt in den Markt aufzuwenden haben und die im Falle des Misserfolgs endgültig verloren sind.
In der Fusionskontrollpraxis kommt strategischen Vorteilen für die Bewertung von Marktzutrittsschranken die größte Bedeutung zu. Dazu gehören die Gesamtheit der auf langfristige Sicherung der eigenen Marktstellung gerichteten Unternehmensstrategien, zum Beispiel die Art der Unternehmensintegration und ‑organisation, Größenvorteile, technische und vertragliche Netzwerke, ausschließliche Vertriebssysteme, Produktdifferenzierungen und durch Patente abgeschirmte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten.
Der Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten gehört zu den wesentlichen Beurteilungskriterien für die vertikale Integration. Zusammenschlüsse, durch die Unternehmen ihren Einkauf oder ihren Absatz unternehmensintern organisieren, sind in der Regel geeignet, Transaktionskosten zu sparen und vom Markt ausgehende Unsicherheiten herabzusetzen. Gleichwohl kann die vertikale Integration durch Zusammenschluss zu Konflikten mit den Erfordernissen wirksamen Wettbewerbs führen, wenn ein integriertes Unternehmen auf einer oder mehreren Wirtschaftsstufen über eine beherrschende Stellung verfügt. Ein Unternehmen, das eine solche Alleinstellung erwirbt, kann geringer integrierte Unternehmen oder neu auf den Markt drängende Unternehmen, die ihm auf der nächsten Stufe als Wettbewerber begegnen, vom Zugang zum Markt ausschließen oder sie durch Preisdiskriminierung behindern (Abschottung).
Nachbarmärkte können so miteinander verbunden sein, dass ein Zusammenschluss zwischen einem Unternehmen mit beherrschender Stellung auf dem einen Markt mit einem Unternehmen in führender Position auf dem anderen Markt die Möglichkeit begründet, in kurzer Zeit durch die Hebelwirkung seiner Marktmacht eine beherrschende Stellung auch auf dem anderen Markt zu erringen (EuG Rs. T-80/02 – Tetra Laval, Slg. 2002, II-4519, Rn. 151; teilweise bestätigend EuGH Rs. C-12/03 P – Tetra Laval, Slg. 2005, I-987, Rn. 71 ff.). Wettbewerbswidrige konglomerate Wirkungen kommen hauptsächlich in Betracht, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen komplementäre Produkte anbieten.
Literatur
Wolfgang Kerber, Die Europäische Fusionskontrollpraxis und die Wettbewerbskonzeption der EG, 1994; John Cook, Christopher Kerse, EC Merger Control, 4. Aufl. 2005; Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004; Moritz Pellmann, Significant impediment to effective competition: SIEC-Test in der Europäischen Fusionskontrolle, 2006; Oliver Koch, Andreas Strom, Frank Montag, Andreas von Bonin, Thomas Wessely, Anne Wegner, Dirk Schroeder, Ulrich von Koppenfels, Annette Luise Schild, Stefan Ohlhoff, Oliver Fleischmann, Helmut Bergmann, Andreas Hahn, FKVO, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, Bd. 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, 2007; Ulrich Immenga, Thorsten Körber, Fusionskontrollverordnung, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, EG Teil II, 4. Aufl. 2007; Wulf-Henning Roth, Wernhard Möschel, Aktuelle Probleme der europäischen Fusionskontrolle, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 2008, 670 ff.; Markus Wagemann, Gerhard Wiedemann, Fusionskontrolle, in: Gerhard Wiedemann (Hg.), Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. 2008, § 15–17; Maximilian Herrmann, Die Neufassung des materiellen Untersagungskriteriums in Art. 2(2) und 3 EG-FKVO, 2008.