Code de Commerce

Aus HWB-EuP 2009

von Gebhard Rehm

1. Geschichte und Bedeutung

Der frz. Code de commerce, erlassen ursprünglich 1807, sollte die Regelungen des Code civil für handelsrechtliche Sachverhalte ergänzen. Insbesondere sahen viele seine Bedeutung in der in ihm gewährten bzw. vorausgesetzten Handels- und Gewerbefreiheit als einer wesentlichen Errungenschaft der französischen Revolution neben Vertragsfreiheit und Eigentumsschutz. Der Code de Commerce steht jedoch inhaltlich stärker in der Tradition der Ordonnance du Commerce (sog. Code Marchand bzw. Code Savary) (Ordonnances) von 1673, die erstmals das französische Handelsrecht auf Initiative von Jean-Baptiste Colbert im Einklang mit seinen merkantilistischen Prinzipien kodifiziert hatte. Die ursprüngliche Version des Code de Commerce vom 15.9.1807, in Kraft getreten am 1.1.1808, einer der sog. napoleonischen Grands Codes u.a. neben dem Code civil, orientiert sich trotz der formalen Anpassung an den kurz zuvor erlassenen Code civil noch stark an diesem Vorbild. Der Code de Commerce stieß daher längst nicht auf die gleiche Begeisterung wie der Code civil. Vor allem wurde seine aus dem Code Marchand übernommene Grundtendenz kritisiert, Handelsgewerbetreibende zu kontrollieren statt ihre unternehmerischen Freiheiten zu schützen und auszuweiten. Seine gesetzgeberische Qualität wurde über viele Jahrzehnte für allenfalls mittelmäßig gehalten, wenngleich sein Regelungsgebiet nicht den gleichen Anspruch auf revolutionäre Änderungen beanspruchen konnte wie der Code civil als „zivile Verfassung“. Dennoch beschränkte das Gesetz sich auf die Regelung von Einzelproblemen statt einer umfassenden Kodifikation – der Handelskauf wurde etwa in einer einzigen Vorschrift geregelt. Eine der wesentlichen Neuerungen des Code de Commerce war die erstmalige, wenngleich spärliche Regelung des Aktienrechts und der Kommanditgesellschaft auf Aktien, die allerdings in der Praxis des 18. Jahrhunderts bereits anerkannt waren. Anders als das deutsche HGB folgte das Gesetz einem objektiven, nicht einem subjektiven System, stellte für die Anwendbarkeit seiner Normen also entscheidend auf das Vorliegen eines Handelsgeschäfts (acte de commerce) statt auf die Beteiligung eines Kaufmanns (commerçant) ab. Es sollte vermieden werden, mit einer auf Kaufleute zugeschnittenen Gerichtsbarkeit den Eindruck der Einrichtung von Sondergerichten zu erwecken, die gerade erst durch die Revolution abgeschafft worden waren.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Im Gegensatz zum Code civil und den anderen napoleonischen Gesetzbüchern sind viele ursprüngliche Regelungsgegenstände des Code de Commerce durch die Entwicklung zahlreicher Rechtsgebiete und den Erlass zahlreicher Gesetze außerhalb des Gesetzbuches entwertet worden (sog. décodification). So wurden die ursprünglichen Bestimmungen über die Handelsgerichte in die Zivilprozessordnung oder das Gerichtsverfahrensgesetz überführt, das Gesellschafts- und Insolvenzrecht zeitweise ausgegliedert. Bestehend aus zunächst 648 Artikeln in vier Büchern (Allgemeines Handelsrecht, das etwas eklektisch Vorschriften zu Kaufleuten, Gesellschaften, Handelsbüchern, Wechselrecht etc. zusammenfasste; Seehandelsrecht; Unternehmenskonkurs; Handelsgerichtsbarkeit) enthielt er zuletzt nur noch etwa 150 – weitestgehend zusammenhanglose und nur noch zu einem geringen Teil im ursprünglichen Gesetz enthaltene – Vorschriften. Das unübersichtliche Nebeneinander von Normen unterschiedlicher Rechtsqualität – ohnehin ein Problem des französischen Rechts – führte zu erheblicher Rechtsunsicherheit insbesondere im Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Schon 1947 hatte der Gesetzgeber mit Einsetzung einer Reformkommission geplant, alle handelsrechtlichen Sondergesetze in ihn zu reintegrieren. Allerdings war diese selbst nicht recht davon überzeugt, dass ein eigenständiges Handelsgesetzbuch sinnvoll sei bzw. eine Kodifikation die entstandenen Probleme lösen könnte. 1993 begann der eigentliche Rekodifikationsprozess, der mit Verordnung vom 18.9.2000 (endgültig abgeschlossen 2007) das Handelsrecht in den Code de Commerce zurückführte. Die freilich erneut weithin methodisch, sprachlich und systematisch für misslungen erachtete Rekodifikation erfolgte im Wege der sog. codification à droit constant (Kodifikation bei gleichbleibendem Recht: der Wortlaut des Gesetzes wird geändert und frühere Gesetze werden aufgehoben, doch der Inhalt bleibt mit Ausnahme bereits implizit außer Kraft getretener oder verfassungswidriger Texte gleich, um das Recht zugänglicher und leichter erfassbar zu machen und ggf. redaktionell zu harmonisieren – grob vergleichbar der US-amerikanischen Technik des Restatement). Seitdem finden sich etwa auch das Wettbewerbsrecht, Lauterkeitsrecht, Insolvenzrecht und das Handelsverfahrensrecht (wieder) im Code de Commerce. In der modernen Literatur wird der Begriff des Handelsrechts (droit commercial) daher mittlerweile von vielen Autoren für zu eng erachtet und die Bezeichnung des alle ökonomischen Aktivitäten erfassenden Rechtsgebiets als Wirtschaftsrecht (droit des affaires) vorgeschlagen. Gesetzgebungssprachlich hat sich diese Bezeichnung bislang nicht durchsetzen können. Für unglücklich halten viele auch, dass das Wirtschaftsrecht ohne erkennbaren legislativen Plan zwischen verschiedenen Ministerien (insbesondere dem Finanzministerium, Justizministerium, Industrieministerium, Verbraucherschutzministerium u.a.) und damit insbesondere zwischen dem Code de Commerce (Justizministerium) und dem in die Zuständigkeit des Finanzministeriums fallenden Code monétaire et financier zersplittert ist. Schließlich ist die Redaktion des Gesetzes durch die Neuordnung und ‑zusammenfügung der Vorschriften weit davon entfernt, inhaltlich lediglich Bekanntes neu zu formulieren. Sprachliche Fehler geschahen zuhauf und sind bis heute nicht vollständig ausgemerzt.

3. Regelungssystematik

Ähnlich dem deutschen HGB folgt der Code de Commerce heute nicht mehr einem rein objektiven System (Anknüpfung an bestimmte Rechtsgeschäfte). Er ist auch nicht zum subjektiven Kriterium (Anknüpfung an Personenqualität des Kaufmanns) übergegangen, sondern wählt gemischte Merkmale. Der Code de Commerce ist zum einen auf die Handelsgeschäfte (actes de commerce) des Kaufmanns (commerçant) anwendbar. Daneben gibt es zum zweiten Handelsgeschäfte kraft Form, die also stets als solche gelten, ohne dass ein Kaufmann beteiligt wäre (z.B. Wechsel). Auch das Unternehmensinsolvenzrecht ist ebenso unabhängig von der Kaufmannsqualität wie die Vorschriften für bestimmte Berufsgruppen, die sich im 8. Buch finden. Zum dritten enthält er Vorschriften zu zahlreichen Problemen, die nicht als spezifisch handelsrechtlich im Sinne eines auf Umsatzgeschäfte bezogenen und spezialisierten Rechts angesehen werden können. Diese verschwommene Systematik ist ebenfalls auf scharfe Kritik gestoßen.

Die Handelsgeschäfte sind gemäß Art. L 110-1 (ex-Art. 632 Code de Commerce) in drei Kategorien – allerdings lückenhaft (so fehlen etwa Transportgeschäfte) – aufgezählt/gegliedert: Neben Handelsgeschäften kraft Form wie Wechsel und Handelsgesellschaften kennt der Code de Commerce isolierte Handelsgeschäfte wie den Kauf zum Zwecke des Weiterverkaufs und die sog. Unternehmensgeschäfte, also Rechtsgeschäfte, die wiederholt im Rahmen einer bestimmten Organisationsstruktur vorgenommen werden. Dem Handelsrecht unterfallen grundsätzlich Absatzgeschäfte, industrielle Tätigkeit und Dienstleistungen. So sind Kommissions-, Bank-, Börsen- und Versicherungsgeschäfte Handelsgeschäfte. Dagegen wird die handwerkliche Tätigkeit mangels eines Elements der „spéculation“ dem Zivilrecht zugerechnet. Als Handelsgeschäft werden nicht nur die deren Charakteristika eigentlich erfüllenden Tätigkeiten, sondern auch Geschäfte angesehen, die ein Kaufmann zu Zwecken seiner Berufsausübung tätigt. Ebenso gelten Rechtsgeschäfte, die wie die eine handelsrechtliche Verbindlichkeit sichernde Bürgschaft eng mit einem Handelsgeschäft verknüpft sind, als Handelsgeschäfte.

Kaufmann ist gemäß Art. L 121-1 (ex-Art. 1) Code de Commerce jede natürliche und juristische Person, die Handelsgeschäfte in eigenem Namen und auf eigene Rechnung zur gewöhnlichen Berufsausübung tätigt. Natürliche Personen müssen volle Geschäftsfähigkeit genießen und dürfen nicht unter Vormundschaft stehen.

Der moderne Code de Commerce ist in neun Bücher aufgeteilt:

1. Buch: Allgemeines Handelsrecht (Handelsgewerbe; Kaufmannsbegriff; einzelne Kaufleute wie Kommissionäre, Frachtführer, Handelsvertreter; fonds de commerce (einem unternehmerischen Zweck gewidmete Vermögensgesamtheit, grob als Handelsgeschäft bzw. Handelsunternehmen zu verstehen);

2. Buch: Handelsgesellschaften und Wirtschaftliche Interessenvereinigungen (OHG, KG, GmbH, AG incl. Umwandlungsrecht, KGaA, SE, frz. WIV, EWIV);

3. Buch: Besondere Formen des Kaufes (Liquidation, Schlussverkäufe, Fabrikverkäufe, öffentliche Versteigerungen); Ausschließlichkeitsklauseln;

4. Buch: Preisfreiheit und Wettbewerbsrecht;

5. Buch: Wechsel und Garantien;

6. Buch: Unternehmen in der Krise (inklusive Sanierungs- und Insolvenzrecht);

7. Buch: Handelsgerichtsbarkeit und Handelsorganisationsrecht;

8. Buch: Besonders reglementierte Berufsgruppen (u.a. Insolvenzverwalter und Wirtschaftsprüfer);

9. Buch: Anwendbarkeit des Code de Commerce auf Überseeterritorien.

4. Prinzipien

Handels- und Gewerbefreiheit genießen Verfassungsrang, sind aber im Code de Commerce nicht mehr auf einfacher Gesetzesebene enthalten. Einschränkungen sind durch oder aufgrund Gesetzes z.B. aus sicherheitsrechtlichen Gründen in Form von Genehmigungserfordernissen zulässig. Gewisse Beschränkungen gelten auch für Ausländer (höchst ausnahmsweise auch EU-Bürger), Personen, deren Beruf nicht mit der Kaufmannseigenschaft vereinbar ist (Beamte, Abgeordnete oder Angehörige freier Berufe) oder Personen, denen im Einzelfall wegen mangelnder Zuverlässigkeit – etwa bei Verurteilung wegen Vermögensdelikten – eine Gewerbetätigkeit untersagt ist.

Kaufleute sind verpflichtet, sich in das Handels- und Gesellschaftsregister eintragen zu lassen. Die entsprechende Eintragung wirkt für natürliche Personen als Vermutung der Kaufmannseigenschaft, während sie juristischen Personen (nach französischem Verständnis auch Personenhandelsgesellschaften) den körperschaftlichen Status verleiht, ohne eine entsprechende Vermutung zu begründen. So müssen sich bürgerlich-rechtliche Gesellschaften ebenfalls eintragen lassen, ohne dass sich daraus eine Kaufmannseigenschaft ableitet. Daneben trifft Kaufleute eine Buchführungs- und Bilanzpflicht. Sie haben außerdem ein Bankkonto einzurichten und für jede Transaktion eine Rechnung auszustellen.

Ansonsten ist eine durchgehende Gesetzgebungspolitik angesichts der bereits beschriebenen redaktionellen, systematischen und sprachlichen Mängel dem Gesetz kaum zu entnehmen.

Literatur

Bruno Oppetit, La décodification du droit commercial français, in: Études offertes à René Rodières, 1981, 197 ff.; Carola Arrighi de Casanova, Oliver Douvreleur, La codification par ordonnances: A propos du Code de commerce, Juris Classeur périodique – La Semaine Juridique Édition Generale 2001, 61 ff.; Dominique Bureau, Nicolas Molfessis, Le nouveau code de commerce? Une mystification, 2001, 361 ff.; Hervé Moysan, La codification à droit constant ne résiste pas à l’épreuve de la consolidation, Juris Classeur périodique – La Semaine Juridique Édition Générale 2002, 1231 ff.; François Licari, Jochen Bauerreis, Das neue französische Handelsgesetzbuch: Ein kritischer Beitrag zur Methode der codification à droit constant, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 12 (2004) 132 ff.; Université Panthéon-Assas (Hg.), Le Code de Commerce 1807-2007, Livre du Bicentenaire, 2007; Pascale Bloch, Sophie Schiller (Hg.), Quel Code de commerce pour demain?, 2007; Hans-Jürgen Sonnenberger, Reinhard Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008.

Quellen

Die aktuelle Fassung des Code de commerce findet sich gedruckt etwa bei Nicolas Rontchewsky, Eric Chevrier, Pascal Pisoni (Hg.), Code de Commerce, 104. Aufl. 2009; im Internet über http://www.legifrance.gouv.fr, dort unter http://www.legifrance.gouv.fr/telecharger_pdf.do?cidTexte=LEGITEXT000005634379; eine englische Übersetzung findet sich unter http://195.83.177.9/code/liste.phtml?lang=uk&c=32 (Stand 20.3.2006); eine spanische Übersetzung findet sich unter http://195.83.177.9/code/liste.phtml?lang=esp&c=57 (Stand 20.3.2006); die Ursprungsfassung von 1807 ist am leichtesten zugänglich unter http://www.bicentenaireducodedecommerce.org. Die Gesetzesmaterialien finden sich etwa in Projet de Code de Commerce présenté par la commission nommée par le gouvernement le 13 germinal an IX Paris, De l`Imprimerie de la République, Paris 1801-1802; Observations des tribunaux de cassation et d´appel, des tribunaux et conseils de commerce, & c: sur le projet de Code du Commerce, De l´Imprimerie de la République, 1802-1803.

Abgerufen von Code de Commerce – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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