Zwingendes Recht (Regelungsstrukturen): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 12:40 Uhr

von Hans Christoph Grigoleit

1. Rechtsakte der EG

Die Richtlinien der EG im Bereich des Privatrechts dienen ganz überwiegend dem Verbraucherschutz; soweit dies der Fall ist, enthalten sie konsequenterweise (vgl. Zwingendes Recht (Grundlagen)) Anordnungen, welche ihren zwingenden Charakter zu Gunsten des Verbrauchers („einseitig zwingendes Recht“) festschreiben. Dies betrifft die wichtigsten Verbraucherschutzinstrumente, nämlich die Widerrufsrechte und die Informationspflichten sowie deren Rahmenbedingungen (vgl. Art. 6 Haustürgeschäfte-RL [RL 85/577]; Art. 12 Fernabsatz-RL [RL 97/7]; Art. 12(1) Finanzdienstleistungen-Fernabsatz-RL [RL 2002/65]; Art. 8 Teilzeitnutzungsrechte-RL [RL 94/47]; Art. 11 E‑Commerce-RL [RL 2000/31]). Auch die verbraucherschützende Inhaltskontrolle nach der Klausel-RL (RL 93/13) wird ausdrücklich der Parteidisposition entzogen (Art. 6(1) Klausel-RL). Neben einem umfangreichen Verbotskatalog ist in der Klauselrichtlinie ein generalklauselartiger Maßstab für die Inhaltskontrolle vorgesehen; danach sind im Einzelnen ausgehandelte Vereinbarungen unverbindlich, wenn sie „zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten“ verursachen (Art. 3 Klausel-RL). Darüber hinaus ist auch für bestimmte Vertragstypen aufgrund von EG-Richtlinien ein weitergehender Kernbereich der vertraglichen Rechte des Verbrauchers vorgesehen, der ebenfalls zwingenden Charakter hat. Dies gilt insbesondere für den Verbrauchsgüterkauf (Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL [RL 99/44]), für Verbraucherkreditverträge (Art. 22 Verbraucherkredit-RL [RL 87/102, ab 12.5.2010 RL 2008/48]; Verbraucherkreditrecht der Gemeinschaft) und für den Reisevertrag, hinsichtlich dessen der zwingende Charakter zwar nur für einen Teilbereich ausdrücklich festgelegt (Art. 5(3) Pauschalreise-RL [RL 90/314]), aber auch im Übrigen wegen des verbraucherschützenden Zweckes unzweifelhaft ist. Schließlich ist der zwingende Charakter des Verbraucherschutzes auch im Entwurf für eine allgemeine Verbraucherrechte-RL (KOM(2008) 614 endg.) vorgesehen (Art. 43).

Ein weiteres Feld „naturgemäß“ zwingender (vgl. Zwingendes Recht (Grundlagen)) Vorgaben des EG-Rechts bilden die europarechtlichen Diskriminierungsverbote. Diese sind schon im EG-Vertrag angelegt (Art. 12, 13, 141 EG/18, 19, 157 AEUV) und werden durch zahlreiche, recht unübersichtliche Antidiskriminierungs-Richtlinien ausgestaltet. Im allgemeinen Geschäftsverkehr, namentlich bei den sog. Massengeschäften, betreffen die Diskriminierungsverbote nur das Geschlecht (RL 2004/113) sowie Rasse und ethnische Herkunft (RL 2000/43). Weitergehende Diskriminierungsverbote (Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung) sind auf der Grundlage von Art. 13 EG/ 19 AEUV lediglich für den Bereich Beruf und Beschäftigung niedergelegt, so dass die Reichweite des AGG (vgl. Zwingendes Recht (Grundlagen)) deutlich über den europarechtlich veranlassten Mindestschutz hinausgeht.

Auch jenseits des Verbraucher- und Diskriminierungsschutzes finden sich einzelne zwingend ausgestaltete Regelungsbereiche des EG-Rechts. So stellt etwa die für den Geschäftsverkehr geltende Zahlungsverzugs-RL (RL 2000/35) abweichende Vereinbarungen über den Zahlungstermin oder die Folgen des Zahlungsverzugs unter den Vorbehalt grober Nachteiligkeit für den Gläubiger (Art. 3(3)1). Auch die Handelsvertreter-RL (RL 86/653) verlangt nach einer zwingenden Ausgestaltung der Ausgleichs- bzw. Schadensersatzansprüche des Handelsvertreters sowie nach einer Einschränkung von Wettbewerbsabreden (Art. 19, 20). Die Produkthaftungs-RL (RL 85/374) ordnet an, dass[Haftungsbeschränkungen zu Lasten des Geschädigten grundsätzlich auszuschließen sind (Art. 12; Produkthaftung). Schließlich mögen noch die verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien genannt werden, deren Vorschriften sich in den – europaweit praktizierten – gesellschaftsrechtlichen Typenzwang fügen und damit jedenfalls mittelbar zwingendes Recht betreffen.

Insgesamt gelten auch für die zwingenden Privatrechtsvorschriften auf europäischer Ebene die oben angeführten Legitimitätsanforderungen. Das Ziel der Rechtsvereinheitlichung bildet demgegenüber keine eigenständige Legitimierung für die zwingende Ausgestaltung privatrechtlicher Regelungen. Denn die Harmonisierung ist kein Selbstzweck, sondern sie dient dazu, für die Privatrechtssubjekte grenzüberschreitend Rechtssicherheit herzustellen und einheitliche Rahmenbedingungen für den Binnenmarkt zu schaffen (vgl. auch Art. 95 EG/ 114 AEUV). Die Zulassung freiwilliger Dispositionen der Parteien über das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis beeinträchtigt die Rechtssicherheit nicht. Sie behindert auch keinesfalls den Binnenmarkt, vielmehr trägt sie zu dessen Stärkung bei. Diesen Erwägungen hat auch die gegenwärtige Debatte Rechnung zu tragen, ob der Rechtsvereinheitlichungsprozess dem Prinzip der Mindestharmonisierung oder demjenigen der Vollharmonisierung folgen sollte: Der Gedanke der Vollharmonisierung allein kann den Vorrang der Parteidisposition nicht in Frage stellen.

2. Internationales Einheitsrecht: UN‑Kaufrecht

Das UN-Kaufrecht (CISG; Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) steht nach Art. 6 CISG sowohl im Ganzen als auch hinsichtlich einzelner Anordnungen zur Disposition der Parteien. Ein Vorbehalt gilt gemäß Art. 12 CISG nur insoweit, als ein Vertragsstaat, in dem eine der Parteien ihre Niederlassung hat, durch Erklärung nach Art. 96 CISG – unter Abweichung von der grundsätzlichen Formfreiheit nach Art. 11, 29 CISG – die Schriftform als verbindliche Wirksamkeitsvoraussetzung von Vereinbarungen festgelegt hat. Inhaltliche Schranken für Parteivereinbarungen sind im CISG nicht vorgesehen.

3. Modellgesetze ohne Einbeziehung des geltenden EG-Rechts

a) Principles of European Contract Law

Auch in den Principles of European Contract Law (PECL) ist der grundsätzliche Vorrang der Parteidispositionen in Art. 1:102 PECL ausdrücklich verankert. Eine potentielle Öffnung für zwingende Vorgaben ist hier aber dadurch angelegt, dass die Vertragfreiheit von vornherein unter den Vorbehalt von Treu und Glauben gestellt wird (Art. 1:102(1) PECL: „subject to the requirements of good faith and fair dealing, and the mandatory rules established by these Principles“). Auch werden die Gebote von Treu und Glauben als Quelle für allgemeine Vertragspflichten qualifiziert, die der Parteivereinbarung entzogen sein sollen (Art. 1:201 PECL). Der konkrete Regelungsgehalt dieser Vorschriften, namentlich die Reichweite daraus abzuleitender zwingender Inhaltsschranken, ist allerdings unklar. Durch den Wortlaut der genannten Regelungen wird zwar der Eindruck hervorgerufen, dass die Gebote von Treu und Glauben als generalklauselartige Quelle zwingenden Richterrechts grundsätzlichen Vorrang vor den Festlegungen der Parteien beanspruchen würden. Indessen dürfte dies eher unvollkommener Regelungstechnik geschuldet sein als dem Ausdruck eines wohlerwogenen Regelungsplans (vgl. auch unten 4. a)). Dafür spricht auch, dass in den PECL im Übrigen nur wenige Regelungen den Parteivereinbarungen zwingende Schranken setzen, dabei aber sehr strenge Eingriffsschwellen definieren.

Eine solche Schranke betrifft insbesondere die sog. Wuchergeschäfte: Der Bewucherte ist zur Anfechtung berechtigt, wenn der Wucherer eine bestimmte Zwangslage zu einer Vereinbarung ausgenutzt hat, die „grossly unfair“ ist oder ihm einen „excessive benefit“ einbringt (Art. 4:109 PECL). Eine weitere zwingende Anordnung begrenzt die Inhaltsfreiheit im Hinblick auf Klauseln, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind. Eine solche Klausel ist anfechtbar, wenn „… contrary to the requirements of good faith and fair dealing it causes a significant imbalance in the parties’ rights and obligations …” (Art. 4:110 PECL). Diese Inhaltskontrolle ist keinen personalen Anwendungsschranken unterworfen, sie gilt damit insbesondere auch für Verträge zwischen Unternehmern.

Die Verfasser der PECL haben davon abgesehen, eigenständige Maßstäbe für das Verbot gesetzeswidriger oder sittenwidriger Vertragsinhalte zu formulieren (vgl. auch Art. 4:101 PECL). Allerdings verweisen die PECL für die Ableitung generalklauselartiger Inhaltsverbote auf externe Rechtsquellen, nämlich auf „fundamental principles“ der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie auf „mandatory rules of law“, die nach den Regeln des IPR Anwendung finden. Während aus einem Verstoß gegen „fundamental principles“ mitgliedstaatlichen Rechts die Unwirksamkeit der Vereinbarung folgen soll (Art. 15:101 PECL), ist für Verstöße gegen kollisionsrechtlich anwendbare „mandatory rules of law“ ein flexibles, am Inhalt der Vorschrift, deren Zweck und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiertes Rechtsfolgenprogramm verankert, das von unveränderter Aufrechterhaltung der Vereinbarung über deren Anpassung bis zu ihrer Nichtigkeit reicht (Art. 1:103, 15:102 PECL). Diese Regelungen enthalten als richtigen Kern das Gebot der schutzzweckorientierten, verhältnismäßigen Rechtsfolgenbestimmung. Sie drücken insoweit aber nur Selbstverständliches überkompliziert aus. Im Übrigen lassen die Regelungen keine hinreichend deutlichen Rückschlüsse über die Art der „fundamental principles“ und des „mandatory law“ erkennen.

Ferner finden sich verschiedene „besondere“ Schranken für die Leistungsbestimmung durch (nur) eine Vertragspartei bzw. durch Dritte (Art. 6:105, 6:106(2) PECL, „grossly unreasonable“), für den Ausschluss der Rechtsbehelfe bei elementaren Willensmängeln (Art. 4:118 PECL) sowie bei Leistungsstörungen (Art. 8:109 PECL, „good-faith“-Vorbehalt), für Vertragsstrafen (Art. 9:509(2) PECL, „grossly excessive“) und für Verjährungsvereinbarungen (Art. 14:601 (2) PECL). In den „Notes“ zur Kündigungsvorschrift für zeitlich unbegrenzte Dauerschuldverhältnisse (Nr. 1 zu Art. 6:109 PECL) wird ferner das allgemeine Rechtsprinzip hervorgehoben, dass eine zeitlich unbegrenzte Bindung unwirksam sei.

b) UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts

Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (UNIDROIT PICC) verankern ebenfalls die Vertragsfreiheit sowie den dispositiven Charakter der Modellregeln als Grundsatz (Art. 1.1 und 1.5 UNIDROIT PICC). Die Gebote von Treu und Glauben sind in den UNIDROIT PICC – anders als in den PECL – nicht als Vorbehalt der Inhaltsfreiheit aufgenommen, wohl aber als indisponible, allgemeine Verhaltenspflicht (Art. 1.7 UNIDROIT PICC). Von einer allgemeinen Regelung gesetzes- und sittenwidriger Vertragsinhalte wurde bislang abgesehen (Art. 3.1(b) UNIDROIT PICC). Im Übrigen finden sich in den UNIDROIT PICC für dieselben „besonderen“ Regelungsgegenstände wie in den PECL zwingende Schranken, die freilich im Detail von den PECL abweichen und in der Tendenz weniger weitreichend sind. Insgesamt liegt den UNIDROIT PICC eine deutlich liberalere Grundtendenz zugrunde als den PECL.

4. Modellgesetze unter Einbeziehung des geltenden EG-Rechts

a) Acquis Principles

Die ACQP enthalten ihrer Grundkonzeption entsprechend insbesondere auch zahlreiche Übernahmen und Verallgemeinerungen aus dem europäischen Verbraucherschutzrecht (Widerrufsrechte, Informationspflichten, Klauselkontrolle etc.). Die starke Orientierung der EG-Richtlinien und damit auch der ACQP am Verbraucherschutz haben zur Folge, dass die ACQP verhältnismäßig breitflächig zwingenden Charakter haben. Insbesondere ist der zwingende Charakter des Verbraucherschutzes allgemein in Art. 1:203 ACQP niedergelegt, freilich versehen mit einer Ausnahme für Vergleiche. Dieser Grundsatz wird in verschiedenen Einzelvorschriften wiederholt und zwar z.T. mit ausdrücklichem Bezug zur allgemeinen Vorschrift des Art. 1:203 ACQP (Art. 1:302, 2:205(2), 2:301; 4:108(4) ACQP; vgl. dazu auch die Verwahrung gegen einen Umkehrschluss im Kommentar zu Art. 1:203, Rn. 8). Für den gesamten Regelungskomplex der Widerrufsrechte ist eine gesonderte Bekräftigung dessen zwingenden Charakters ohne Bezugnahme auf Art. 1:203 ACQP in Art. 5:101 ACQP vorgesehen. Dahinter steht die – höchst angreifbare – Erwägung, dass die Schutzwirkung der Widerrufsrechte möglicherweise über das b2c-Rechtsverhältnis hinaus erweitert werden kann (vgl. Kommentar zu Art. 5:101 Rn. 2, 9 unter Berufung auf Art. 2 der Lebensversicherungs-RL [RL 2002/83]).

Auch außerhalb von Verbraucherverträgen enthalten die ACQP zwingende Regelungen (vgl. Kommentar zu Art. 1:203 Rn. 9). So wird die Verpflichtung von Unternehmen, beim elektronischen Vertragsschluss auf die verwendeten Vertragsbedingungen hinzuweisen und diese abrufbar zu halten, auch im Hinblick auf b2b-Rechtsverhältnisse für zwingend erklärt (Art. 2:205(1) ACQP). In Anlehnung an die Zahlungsverzugs-RL sind ferner bestimmte Vereinbarungen über die Zahlungspflicht des Schuldners nicht bindend, wenn der Gläubiger dadurch in grob unangemessener Weise benachteiligt wird (Art. 8:407 ACQP).

Ohne gesonderte Anordnung hat auch der für „nicht im Einzelnen ausgehandelte“ Vertragsklauseln vorgesehene und an der Klausel-RL ausgerichtete Regelungskomplex (Art. 6:301 ff. ACQP) zwingenden Charakter. Der Klausel-RL entnommen – damit aber auch der Formel der PECL ähnlich (vgl. oben 3. a) und c)) – ist insbesondere auch der für b2c- (und c2c-)Verträge geltende, allgemeine Maßstab der Inhaltskontrolle (Art. 6:301(1) ACQP). Über den Anwendungsbereich der Klausel-RL hinaus erstrecken die ACQP die Klauselkontrolle jedoch nach Art. 6:301(2) ACQP auch auf b2b-Verträge. Insoweit wird aber – anders als in den PECL – ein besonderer Kontrollstandard formuliert: Eine Klausel ist nur dann „unfair“, wenn sie in grober Weise von der „good commercial practice“ abweicht. Ohne weiteres indisponibel sind ferner auch die Diskriminierungsverbote (vgl. Kommentar zu Art. 1:203 Rn. 8), die nach Art. 3:101 ACQP für die Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft vorgesehen sind und sich offenbar – ebenfalls unter radikaler Erweiterung der Vorgaben des EG-Rechts – auf alle Privatrechtsakte erstrecken sollen.

Bemerkenswert ist schließlich die Behandlung der Gebote von Treu und Glauben in den ACQP, die hier lediglich für den vorvertraglichen Kontakt und als Leitlinie für die Erfüllung und die Rechtsausübung vorgesehen sind (Art. 2:101, 7:101, 102 ACQP). Die Verfasser der ACQP gehen zwar von einem zwingenden Charakter des Rechtsprinzips aus, verzichten aber darauf, diesen regelhaft auszudrücken (vgl. Kommentar zu Art. 1:203 Rn. 9). Dahinter steht die – gerade im Vergleich zum nebulösen Ansatz der PECL – überzeugende Erwägung, dass eine Parteivereinbarung im Regelfall schon wegen des freiwilligen Einverständnisses der Parteien mit den Geboten von Treu und Glauben im Einklang steht, dass also in diesem Sinne dem Willen der Parteien Vorrang gegenüber den Geboten von Treu und Glauben einzuräumen ist (vgl. Kommentar zu Art. 2:101 Rn. 18). Der zwingende Charakter beschränkt sich somit darauf, dass die Parteien die Gebote von Treu und Glauben nicht vollständig suspendieren können: Sofern ein Interessenkonflikt von den Parteien nicht durch eine konkrete Vereinbarung gelöst ist, kommen die Gebote von Treu und Glauben stets ergänzend zur Anwendung. Somit besteht eine Wechselwirkung zwischen der Parteivereinbarung und den Anforderungen von Treu und Glauben, und diese wird durch eine ausdrückliche Verankerung des zwingenden Charakters von Treu und Glauben verschleiert.

b) Draft Common Frame of Reference

In der Einleitung zum Draft Common Frame of Reference (s. dort Principles) deutet die insgesamt wertungsoffene Ausrichtung darauf hin, dass die Verfasser der traditionell liberalen Ausrichtung des Privatrechts eine stärker regulativ orientierte Tendenz entgegensetzen wollen (DCFR Principles, Nr. 1 ff.). Immerhin wird aber der grundsätzliche Vorrang der Vertragsfreiheit im Ansatz bekräftigt und für Eingriffe in diese der „Vorrang des milderen Mittels“ propagiert. Auch Billigkeitsvorbehalte werden indes im Vergleich zu zwingendem Recht als milderes Mittel qualifiziert (DCFR Principles, Nr. 11). Dabei wird übersehen, dass Billigkeitsvorbehalte jedenfalls dann, wenn sie die Geltung vertraglicher Vereinbarungen einschränken, eine besondere Form zwingenden Rechts darstellen, deren Besonderheit lediglich darin liegt, dass die Konkretisierung der zwingenden Norm den Gerichten überantwortet wird (vgl. Zwingendes Recht (Grundlagen)). Hinsichtlich der Einzelvorschriften wirkt sich die konzeptionelle Orientierung des DCFR an den PECL und den Acquis Principles aus.

Aus den PECL ist der grundsätzliche Vorrang der Parteidispositionen übernommen worden, allerdings ist bemerkenswerterweise der Treu-und-Glauben-Vorbehalt, der im ersten Entwurf des DCFR noch enthalten war, in der endgültigen Fassung gestrichen worden; ergänzend findet sich im DCFR der Hinweis, dass zwingende Vorschriften nicht den bewussten Verzicht auf ein bereits entstandenes Recht ausschließen sollen (Art. II.-1:102 DCFR). Im Übrigen ist die Pflicht zur Befolgung der Gebote von Treu und Glauben im DCFR sowohl für den vorvertraglichen Kontakt (Art. II.-3:301(2) DCFR) als auch als vertragliche Pflicht (Art. III.-1:103(1) und (2) DCFR) ausdrücklich der Parteidisposition entzogen (vgl. dazu soeben unter 4. a)). Ferner finden sich im DCFR im Wesentlichen dieselben inhaltlichen Schranken für Vertragsinhalte wie in den PECL (vgl. oben 3. a)) Hinsichtlich der Freizeichnung für Leistungsstörungen ist der allgemeine good-faith-Vorbehalt der PECL allerdings im DCFR um ein ausdrückliches Verbot des Haftungsausschlusses für vorsätzliche und grob fahrlässige Körperverletzungen ergänzt worden (Art. III.-3:105 DCFR).

Diejenigen zwingenden Schranken Gebote, die das geltende EG-Recht im DCFR abbilden sollen, sind an den ACQP orientiert. Dies gilt insbesondere für verschiedene Ausprägungen des Verbraucherschutzrechts (Verbraucher und Verbraucherschutz), etwa die Regelungen über Informationspflichten (Art. II.-3:101 ff. DCFR) oder über das verbraucherschützende Widerrufsrecht (Art. II.-5:101 ff. DCFR). Eine allgemeine Anordnung des zwingenden Charakters des Verbraucherschutzes findet sich nicht, wohl aber sachgebietsspezifische Einzelanordnungen (vgl. z.B. Art. II.-3:107(5) und Art. II.-3:201(3) DCFR, Informationspflichten; Art. II.-5:101(2) DCFR, Widerrufsrechte).

Ausdrücklich und umfassend für zwingend erklärt wird auch die besondere Inhaltskontrolle für nicht im Einzelnen ausgehandelte Verträge (Art. II.-9:401 DCFR). Dieser Regelungskomplex ähnelt in vielfacher Hinsicht der in den ACQP vorzufindenden „Bearbeitung“ der Klausel-RL; insbesondere wird der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle auch auf b2b- und c2c-Rechtsverhältnisse erstreckt. Allerdings wird für b2c-Verträge (anders als in den ACQP) die Möglichkeit offen gehalten, dass die Inhaltskontrolle auch auf nicht individuell ausgehandelte Verträge ausgedehnt werden kann (Art. II.-9:403, 9:404 DCFR). Bemerkenswert (und geradezu kurios) ist auch der „gedoppelte“ Billigkeitsmaßstab für die Inhaltskontrolle von b2b-Verträgen: Hier soll eine Klausel dann „unfair” sein, wenn sie „grossly deviates from good commercial practice, contrary to good faith and fair dealing“ (Art. II.-9:405 DCFR).

Ein weiterer, in Anlehnung an die Acquis Principles formulierter und naturgemäß zwingender (vgl. Zwingendes Recht (Grundlagen) 2. a)) Regelungskomplex des DCFR betrifft das Diskriminierungsverbot (allgemein) (Art. II.-2:101 ff., III.-1:105 DCFR). Seine Reichweite wird allerdings in Abweichung von den ACQP (und in engerer Bindung an die EG-Richtlinien) beschränkt auf Diskriminierungen „in relation to a contract or other juridical act the object of which is to provide access to, or supply, goods or services which are available to the public“ (Art. II.-2:101 DCFR).

Schließlich finden sich auch in den Vorschriften für besondere Vertragstypen an einigen Stellen des DCFR Vorschriften mit zwingendem Charakter. Maßgebend ist hier zunächst wiederum der Gedanke des Verbraucherschutzes, namentlich die Sicherung der Rechte des Käufers beim Verbrauchsgüterkauf (Art. IV.A.-2:309, 4:102, 5:103(4), 6:101 ff. DCFR) und bestimmter Mieterrechte (Art. IV.B.-1:104, 2:103(2), 6:102 DCFR). Die übrigen zwingenden Einzelvorschriften des besonderen Vertragsrechts sind z.T. durch EG-rechtliche Vorgaben veranlasst und folgen keinem übergreifenden systematischen Plan. Zu nennen sind etwa Konkretisierungen für zulässige Haftungsbeschränkungen in „service contracts“ (vgl. etwa Art. IV.C.-4:108, 5:109, 6:107 DCFR) und Dispositionsschranken für den Zahlungsanspruch von Handelsvertretern (Art. IV.E.-3:302(2) DCFR) sowie für verschiedene Rechte des Franchisenehmers (Franchising) (Art. IV.E.-4:102(3), 4:202(2), 4:204(3), 4:206(4), 4:303(4) DCFR).

Literatur

Hein Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996; Claus-Wilhelm Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Privatrecht, 1997; Jörg Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999; Oliver Remien, Zwingendes Vertragsrecht, 2003; Sibylle Hofer, Vor § 241, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-Kritischer Kommentar, Bd. II/1, 2007; Matthias E. Storme, Freedom of Contract: Mandatory and Non-Mandatory Rules, European Review of Contract Law 2007, 233 ff.; Andreas Thier, § 311, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-Kritischer Kommentar, Bd. II/2, 2007; Horst Eidenmüller, Florian Faust, Hans-Christoph Grigoleit, Nils Jansen, Gerhard Wagner, Reinhard Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, Juristenzeitung 2008, 529 ff.; Hans-Christoph Grigoleit, Anforderungen des Privatrechts an die Rechtstheorie, in: Matthias Jestaedt, Oliver Lepsius (Hg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, 52 ff.

Abgerufen von Zwingendes Recht (Regelungsstrukturen) – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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