Versprechen und Wettbewerb der Rechtsordnungen: Unterschied zwischen den Seiten

Aus HWB-EuP 2009
(Unterschied zwischen Seiten)
K (1 Version importiert)
 
K (1 Version importiert)
 
Zeile 1: Zeile 1:
von ''[[Martin Illmer]]''
von ''[[Eva-Maria Kieninger]]''
== 1. Begriff und Gegenstand ==
== 1. Grundlagen und Quellen ==
Das Versprechen ist ein Grundbegriff der Rechtsgeschäftslehre ([[Rechtsgeschäft]]) und des allgemeinen Rechts der vertraglichen Schuldverhältnisse.
Mit dem Stichwort „Wettbewerb der Rechtsordnungen“, auch „Systemwettbewerb“ oder „institutioneller Wettbewerb“ genannt, ist die Vorstellung verbunden, dass Rechtsregeln (Institutionen) ebenso angeboten und nachgefragt werden können wie Güter oder Dienstleistungen. Soweit es um staatlich gesetztes Recht geht, sind die Gesetzgeber Anbieter, die Rechtsunterworfenen (natürliche und juristische Personen) die Nachfrager des Produkts „Gesetzgebung“. Im Europäischen Privatrecht wird das Konzept eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen vor allem als Gegenentwurf zur Harmonisierung oder Vereinheitlichung durch den Brüsseler Gesetzgeber diskutiert. Einen Schwerpunkt bildet dabei das Gesellschaftsrecht, insbesondere ausgelöst durch die ''Centros-''Entscheidung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] (Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459).


Zentral ist die Frage, ob ein einseitiges Versprechen den Versprechenden verpflichten und damit ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis begründen kann (Versprechensprinzip) oder ob dies nur der Vertrag vermag (Vertragsprinzip). Praktische Bedeutung hat die Frage für solche, auf eine Verpflichtung zielende Rechtsgeschäfte, die an sich keine Wechselseitigkeit erfordern, da es nicht um den Austausch von Leistungen geht. Dies betrifft insbesondere die Auslobung und [[unentgeltliche Geschäfte]], etwa die [[Schenkung]]. Zwängt man sie ins Vertragskorsett oder erkennt man das einseitig verpflichtende Versprechen neben dem Vertrag an? Die Frage stellt sich aber auch für den [[Vertrag zugunsten Dritter]] (aus Sicht des Dritten) und für den Verzicht ([[Erlass einer Forderung|Erlass]]).
Der Begriff des Wettbewerbs der Rechtsordnungen wird in der Literatur mit unterschiedlichem, oft nicht näher präzisiertem Inhalt verwendet. Richtigerweise sind drei Stufen zu unterscheiden: Auf einer ersten Stufe koexistieren verschiedene Rechtsordnungen miteinander, ohne dass die Rechtsunterworfenen eine Wahl zwischen ihnen treffen könnten. Auf dieser Stufe herrscht Wettbewerb lediglich in der Form eines Ideenwettbewerbs, der vor allem durch die Rechtsvergleichung fruchtbar gemacht werden kann. Auf einer zweiten Stufe können die Rechtssubjekte unter verschiedenen Angeboten von Rechtsregeln wählen, ohne dass es schon zu einer Reaktion der Gesetzgeber als Anbieter von Rechtsregeln kommt. Sie tritt erst auf der dritten Stufe hinzu und setzt irgendwie geartete, finanzielle oder auch nur ideelle Anreize voraus, die den Gesetzgeber zum Handeln bewegen. Erst auf dieser Stufe lässt sich von einem institutionellen Wettbewerb in Sinne eines Wettbewerbskreislaufs sprechen. Das klassische Beispiel hierfür ist die Entwicklung des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts (siehe unter 2.).


== 2. Historische Entwicklung ==
Die Literatur zum Wettbewerb der Rechtsordnungen speist sich aus verschiedenen Quellen.
=== a) Römisches Recht ===
Zum einen gibt es eine starke Strömung in der wirtschaftwissenschaftlichen Literatur (vgl. z.B. ''Manfred E. Streit'','' Wolfgang Kerber'','' Roger van den Bergh''). Sie argumentiert aus der Sicht der evolutorischen Ökonomik, dass der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (''Friedrich August von Hayek'')'' ''nicht nur in Bezug auf Güter, sondern auch im Hinblick auf Institutionen eine stetige Verbesserung des Angebots hervorbringen könne. Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages werden als Grundlage eines regulatorischen Wettbewerbs begriffen, denn mit dem Erwerb eines ausländischen Produkts oder der Verlagerung des Unternehmensstandorts in einen anderen Mitgliedstaat werden mittelbar die Institutionen (beispielsweise Produktregulierungen, Umweltrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht) des Zielstaates gewählt. Die Freiverkehrsrechte geben den Rechtsunterworfenen daher die Möglichkeit, unter verschiedenen einzelstaatlichen Regulierungen zu wählen, um so einerseits ihre eigenen Präferenzen besser befriedigen zu können, andererseits dem Anbieterstaat Akzeptanz oder Ablehnung seiner Rechtsordnung zu signalisieren und ihn gegebenenfalls zu Reformen anzuhalten.
Das frühe Grundmodell des römischen Vertragsrechts war der einseitig verpflichtende Vertrag der ''stipulatio''. Er bestand aus der an eine bestimmte Form geknüpften Frage des Gläubigers an den Schuldner, etwas zu tun oder zu unterlassen, und der ebenfalls an eine bestimmte Form geknüpften bejahenden Antwort in Form eines Versprechens. Obwohl das Versprechen der zentrale Bestandteil der ''stipulatio'' war, begründete es für sich genommen keine Verpflichtung des Versprechenden. Da die Frage des Gläubigers Ausgangspunkt der Vertragsanbahnung war, war aus Sicht des versprechenden Schuldners das jeweilige Versprechen durch die vorangegangene Frage bereits angenommen.


Neben der ''stipulatio'', deren mündliche Form zunehmend durch eine Schriftform (der Austausch der Spruchformeln wurde beurkundet) ersetzt worden war, gewannen formfreie Verträge immer mehr an Bedeutung (ursprünglich waren nur Kauf, Werk-, Dienst- und Mietvertrag, Auftrag und Gesellschaft als formfreie Konsensualverträge anerkannt). Der bis dahin geltende Grundsatz ''ex nudo pacto non oritur actio'' wurde zunehmend durchbrochen. Die Grenze zwischen ''contractus'' (klagbar) und ''pactum'' (ursprünglich nicht klagbar) verlor schrittweise an Bedeutung. Als Ausgleich für den Verzicht auf eine bestimmte Form trat der Konsens als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses und der aus ihm erwachsenden wechselseitigen Erfüllungsansprüche in den Vordergrund.
== 2. Delaware-Effekt ==
Eine reichhaltige Literatur zum Systemwettbewerb im Privatrecht existiert außerdem in den USA, wo insbesondere der „Delaware-Effekt“ Anlass zur Reflexion gegeben hat. In den USA gilt traditionell die Gründungstheorie, so dass eine Gesellschaft unabhängig von ihrem tatsächlichen Sitz in dem Bundessstaat gegründet werden kann, dessen Recht die Gründer präferieren ([[Gesellschaftsrecht, internationales]]). Außerdem kann das Gesellschaftsstatut auch nach der Gründung durch sogenannte Reinkorporationsfusion, d.h., die Gründung einer neuen Gesellschaft im Zielstaat und die Verschmelzung der bestehenden Gesellschaft hierauf, wieder geändert werden. Da die Bundesstaaten der USA – anders als die Mitgliedstaaten der EU – die Eintragung einer Gesellschaft mit einer jährlichen Inkorporationssteuer (''franchise tax'') belegen können, ist die Anziehung von Gesellschaften insbesondere für kleinere Bundesstaaten eine lukrative Einnahmequelle. Daraus entstand am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Wettbewerb unter den Bundesstaaten, aus dem Delaware als Sieger hervorgegangen ist. Lange Zeit wurde diese Entwicklung in der gesellschaftsrechtlichen Literatur als schädliches ''race to the bottom'' beurteilt. Heute herrscht eine positivere Sicht vor (vgl. z.B. ''Roberta'' ''Romano''). Es wird argumentiert, dass sich das Management durch eine (Re‑)Inkorporation in Delaware nicht auf Kosten der Gesellschafter bereichern könne, da die Kräfte des Kapitalmarkts und des Markts für Unternehmensübernahmen kontrollierend wirken würden. Statt als ''race to the bottom'' sei der Delaware-Effekt vielmehr als ''race to the top'' zu betrachten, denn den Aktionären stünden in Delaware Anwälte und Richter mit besonderer Expertise, sowie ein ausgefeiltes Gesellschaftsrecht mit Präzedenzfällen zu fast jeder Rechtsfrage zu Verfügung (''the mother court of corporate law''). Außerdem könnten Management und Gesellschafter darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber in Delaware bemüht sein werde, sein Gesellschaftsrecht auch weiterhin attraktiv zu gestalten.  


Im Gegensatz zur ''stipulatio'' und den Konsensualverträgen begründete das formfreie einseitige Versprechen kein Schuldverhältnis. Die einzige Ausnahme hiervon war das einseitig verpflichtende Versprechen einer Leistung zum öffentlichen Nutzen an eine Gemeinde, die sogenannte ''pollicitatio''. Dementsprechend findet sich in den Digesten (Ulp. D. 50,12,3) die Unterscheidung zwischen dem auf Konsens beruhenden Vertrag (''pactum est duorum consensus atque conventio'') und dem einzigen einseitigen Versprechen, das den Versprechenden auch ohne Annahme verpflichtete (''pollicitatio vero offerentis solius promissum''). Damit war das Vertragsprinzip bereits im römischen Recht angelegt.
== 3. Funktionen des Wettbewerbs der Rechtsordnungen ==
Dem Wettbewerb der Rechtsordnungen werden verschiedene Funktionen zugeschrieben, die sich freilich teilweise widersprechen. Erstens soll der Wettbewerb – im Gegensatz zum Einheitsrecht – die Erfüllung unterschiedlicher Präferenzen ermöglichen. Ausgangspunkt dieser These ist, dass die Rechtsunterworfenen keine einheitlichen Präferenzen haben. Manche Verbraucher würden beispielsweise ein weniger strenges Verbrauchervertrags- oder Produkthaftungsrecht präferieren, wenn dies niedrigere Preise zur Folge hätte. Ein einheitlich hohes Niveau nimmt ihnen diese Wahlmöglichkeit. Eine zweite Funktion ist die Begrenzung gesetzgeberischer Fehlentscheidungen. Wird nicht auf europäischer, sondern auf mitgliedstaalicher Ebene legiferiert, wirken sich Fehler im politischen System oder mangelnde Kenntnis der effizientesten Lösung nur auf das betreffende mitgliedstaatliche Rechtssystem aus. Hinzu kommt, dass der Brüsseler Gesetzgebungstätigkeit eine höhere Fehleranfälligkeit als der nationalen zugesprochen wird. Insbesondere der Zwang zum Kompromiss und die Vermischung von Sachfragen mit politischen Konflikten führten zu suboptimalen Ergebnissen. Eine dritte Funktion ist die Fähigkeit des Wettbewerbs, Innovation zu fördern. Das geschieht schon dadurch, dass die Effizienz von parallel existierenden, unterschiedlichen Rechtsregeln verglichen werden kann. Kommt, wie im Beispiel des Delaware-Effekts, ein starker finanzieller Anreiz für die Anbieter hinzu, möglichst viele Nachfrager zu gewinnen, so wird der Gesetzgeber sich sogar aktiv auf die Suche nach den attraktivsten Regeln machen und diese übernehmen. Das könnte, viertens, dazu führen, dass die Rechtsordnungen konvergieren, und so das Ziel einer einheitlichen Rechtsordnung quasi „von unten“ erreicht wird. Die Befürworter des Wettbewerbs sehen daher in ihrem Konzept geradezu den Königsweg für die europäische Rechtsvereinheitlichung, der noch dazu dem Subsidiaritätsprinzip entspreche. Durch den Wettbewerb würden sich im Laufe der Zeit die besten Lösungen herausschälen und von den anderen Mitgliedstaaten übernommen werden.  


=== b) Spätscholastik und Naturrecht ===
Freilich widerspricht diese letzte Funktion den an erster und dritter Stelle genannten. Wenn es zutrifft, dass Rechtsunterworfene als Einzelne oder auch als Kollektiv (das aber entgegen ''Roger van den Bergh'' wohl kaum mit den mitgliedstaatlichen Grenzen zu umschreiben sein dürfte) unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf Rechtsregeln haben, dann sollte die Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen bewahrt werden. Dasselbe gilt von der Innovationsfunktion, denn auch sie beruht auf der Koexistenz und Wählbarkeit unterschiedlicher Rechtsregeln. Wer also den Systemwettbewerb gegenüber der Vereinheitlichung durch supranationales Recht favorisiert, wird auf Dauer mit erheblichen Rechtsunterschieden innerhalb des Binnenmarkts leben müssen. Eine Symbiose des Wettbewerbsgedankens mit dem Streben nach Einheitsrecht für transnationale Rechtsbeziehungen liegt dagegen in der Schöpfung zusätzlich wählbarer, supranationaler Institutionen ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft (''Societas Europaea'')]], [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäische Privatgesellschaft (''Societas Privata Europaea'')]], Europäisches Vertragsrecht (''[[Principles of European Contract Law]]'') als optionales Instrument).
Die spanischen Spätscholastiker ([[Scholastik]]) versuchten im 16. Jahrhundert, auf der Grundlage der philosophischen und theologischen Lehren des ''Aristoteles'' und ''Thomas von Aquin'' aus der in den Digesten vorgefundenen Kasuistik einzelner Schuldverhältnisse ein allgemeines System des Rechts der Schuldverhältnisse zu entwickeln. Dabei gingen sie vom Versprechen und der darin zum Ausdruck kommenden Treue (''fidelitas'') aus, deren Bruch eine Sünde gegen Gott darstelle.


Insbesondere ''Hugo Grotius'' griff die Konzepte der Spätscholastiker auf, entwickelte daraus jedoch ein eigenes, abweichendes Modell des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses. ''Grotius'' differenzierte zwischen der (Selbst‑)Bindungswirkung des Versprechens einerseits und seiner Verpflichtungswirkung andererseits. In jedem Versprechen liege zunächst ein Akt der (Selbst‑) Bindung, von ihm als ''pollicitatio'' bezeichnet (innerer Konsens). Erst die Abgabe des Versprechens, die ''alienatio'', sei auf die Verpflichtung des Versprechenden gegenüber dem Versprechensempfänger durch Übertragung des Versprechens (in Analogie zur Sachübertragung) gerichtet. Um eine Verpflichtung zu begründen, bedürfe dieses abgegebene Versprechen zunächst einer ''causa'' als Grundlage des Willens zur Übertragung des Versprechens. Als ''causa'' erkannte ''Grotius'' nur die Erwartung einer Gegenleistung (Austauschgeschäft) und die erlaubte Freigiebigkeit an. Für den Fall des Austauschgeschäfts sei zur Verpflichtung neben der ''causa'' in Anlehnung an das römische Recht ein äußerer Konsens zwischen den Parteien erforderlich, der durch die Annahme des Versprechens (regelmäßig verbunden mit dem Versprechen zur Gegenleistung), die ''acceptatio'', hergestellt werde. Die Verpflichtungswirkung des Versprechens war hiernach durch das Gegenversprechen bedingt. Für den Fall des auf eine unentgeltliche Leistung gerichteten einseitigen Versprechens, insbesondere für die Schenkung, waren bestimmte [[Formerfordernisse]] einzuhalten. Durch sie war sichergestellt, dass der Versprechende dem Versprechensempfänger tatsächlich ein Forderungsrecht einräumen wollte.
== 4. Voraussetzungen eines wirksamen Wettbewerbs ==
Die Diskussion um den Wettbewerb dreht sich vielfach nur um die Wirkungen, also vor allem darum, ob er als schädliche Deregulierungsspirale oder als ''race to the top'' zu beurteilen ist. Gerade im Privatrecht ist aber unklar, ob schon die Voraussetzungen eines wirksamen Wettbewerbs erfüllt sind. Um hierzu nähere Feststellungen treffen zu können, sind die unter 1. skizzierten verschiedene Formen zu unterscheiden. Meist ist schon dann von Wettbewerb die Rede, wenn unterschiedliche Rechtssysteme miteinander koexistieren (zweite Stufe). In diesem Fall können Nachfrager unter verschiedenen Angeboten von Rechtsregeln wählen. Dies kann entweder direkt geschehen, so beispielsweise im Privatrecht, wo Rechtswahlfreiheit im internationalprivatrechtlichen Sinn herrscht, oder indirekt durch Wahl eines Standorts, an dem bestimmte Rechtsregeln gelten, oder eines Produkts oder einer Dienstleistung, die nach bestimmten Regeln hergestellt und angeboten werden. Bei der nur indirekten Wahl tritt das sogenannte Bündelproblem auf, also die Schwierigkeit, dass bestimmte Institutionen nur in Kombination mit anderen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten gewählt werden können. Die Wahl eines Unternehmensstandorts wird beispielweise selten nur durch das am Ort der Niederlassung geltende Gesellschaftsrecht determiniert werden, sondern durch ein Bündel aus tatsächlichen und rechtlichen Faktoren, insbesondere durch das Steuerrecht.  


Somit sah ''Grotius'' abgesehen von einigen unentgeltlichen Rechtsgeschäften den sich aus wechselseitigen Versprechen zusammensetzenden Vertrag, nicht hingegen das einseitige Versprechen als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen an. Auch ''Jean Domat'','' Robert Joseph Pothier'','' Christian Thomasius'','' Samuel von Pufendorf'' und ''Christian Wolff'' folgten diesem Modell des auf einen Doppelkonsens gegründeten „translativen Versprechensvertrags“ (''Bruno Schmidlin''). Erst im späten Naturrecht (in Ansätzen bereits bei ''Thomasius'' und ''Wolff'') rückte der (äußere), sich im Vertrag konstituierende Konsens der Parteien als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses in den Vordergrund.
== 5. Institutioneller Wettbewerb ==
Institutioneller Wettbewerb im Sinne der ökonomischen Theorie und der ''competition for corporate charter''-Literatur in den USA hat über die Koexistenz verschiedener Rechtssysteme und die Wahlfreiheit hinaus weiter zur Voraussetzung, dass die Gesetzgeber als Anbieter von Recht einen Anreiz haben, den Erfolg ihres Angebots wahrzunehmen und nach Verbesserungen zu suchen. Diese Form des Wettbewerbs, bei dem es zu einem Wettbewerbskreislauf ähnlich wie auf Gütermärkten kommt, ist besonders geeignet, für Innovation zu sorgen und damit einer Erstarrung des Rechtssystems vorzubeugen. Ein starker Anreiz für den Gesetzgeber sind direkte Steuereinnahmen, die sich wie z.B. in Delaware aus der Wahl der eigenen Rechtsordnung generieren lassen. In manchen Bereichen wie z.B. im Vertragsrecht sind solche direkten Anreize allerdings nicht möglich oder in der EU untersagt (siehe für das Gesellschaftsrecht die RL 69/335). Hier werden andere, allerdings wesentlich schwächere Anreize wie Prestigegewinn und indirekte Steuereinnahmen durch Förderung von Rechtsberatungsdienstleistungen im eigenen Land diskutiert.  


== 3. Entwicklungstendenzen in den nationalen Rechtsordnungen ==
== 6. Wettbewerb im Europäischen Privatrecht ==
=== a) Entwicklung auf dem Kontinent ===
=== a) Gesellschaftsrecht ===
Mit der Aufklärung und der durch sie beeinflussten Willenstheorien setzte sich endgültig der Konsens zwischen den Parteien als alleinige Grundlage des Schuldverhältnisses durch. Die den Konsens konstituierenden Verpflichtungsversprechen, die sich systematisch noch heute in Angebot und Annahme finden, traten dabei gedanklich und systematisch immer mehr in den Hintergrund. Grundlage der Verpflichtung ist etwa bei ''Friedrich Carl von Savigny'', aber auch in der Rechtslehre ''Immanuel Kants'' („Vertrag ist der Akt der vereinigten Willkür“), nicht mehr die Übertragung des Versprechens, sondern die durch die Versprechen zum Ausdruck kommende Willensvereinigung. Nicht die Versprechen als Elemente, sondern der vereinigte Wille konstituiert den Vertrag und begründet die wechselseitigen Verpflichtungen. Die Pandektisten ([[Pandektensystem]]) griffen dieses Vertragsmodell auf und verfeinerten es (''Bernhard Windscheid'': „Der Vertrag ist nicht nur Willensübereinstimmung, sondern Willensvereinigung.).
Im Europäischen Privatrecht wird die Existenz eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen bzw. der Gesetzgeber vor allem für das Gesellschaftsrecht angenommen. Die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] (EuGH Rs. C-212/97 – ''Centros'', Slg. 1999, I-1459; EuGH Rs. C-208/00 – ''Überseering'', Slg. 2002, I-9919; EuGH Rs. C-167/01 – ''Inspire Art'', Slg. 2003, I-10155) verpflichtet die Mitgliedstaaten, auf Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der EU oder des EWR gegründet sind, das Gründungsrecht anzuwenden, soweit nicht ausnahmsweise die Anwendung des Rechts am tatsächlichen Sitz durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist oder ein Missbrauch der [[Niederlassungsfreiheit]] vorliegt. Zwar hat der EuGH in ''Cartesio'' (Rs. C-210/06, NJW 2009, 569) den Mitgliedstaaten die Freiheit belassen, die nach dem eigenen Recht gegründeten Gesellschaften im Fall eines (isolierten) Wegzugs des tatsächlichen Sitzes aufzulösen, jedoch hat er gleichzeitig angedeutet, dass er den Fall der Verlegung des Verwaltungssitzes unter Umwandlung in eine Gesellschaft nach dem Recht des neuen tatsächlichen Sitzes unter die Niederlassungsfreiheit subsumieren würde. Die EuGH-Entscheidung ''SEVIC'' (Rs. C-411/03 – ''SEVIC'', Slg. 2005, I-10805) und die Umsetzung der RL 2005/56 zur grenzüberschreitenden Fusion ermöglichen des Weiteren den nachträglichen Wechsel des Gesellschaftsstatuts, allerdings nur über den Umweg der Neugründung und Fusion. Damit herrscht, soweit das Gesellschaftsrecht noch nicht harmonisiert ist, Wettbewerb im Sinne der Koexistenz von unterschiedlichen Rechtsordnungen plus Wahlfreiheit. Des weiteren ist eine Grundvoraussetzung des institutionellen Wettbewerbs, nämlich die Freiheit der Wahl des Gesellschaftsstatuts, ebenso wie in den USA auch innerhalb der EU und des EWR erfüllt. Ob es in Europa allerdings tatsächlich zu einem institutionellen Wettbewerb gekommen ist oder noch kommen wird, also zu einem wettbewerblichen Verhalten der Gesetzgeber als Anbieter von Gesellschaftsrecht, ist umstritten. Manche beurteilen die GmbH-Gesetzgebungen der jüngeren Zeit in Frankreich, Spanien, Italien und zuletzt auch in Deutschland (vgl. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMIG)) als Ausfluss eines solchen Wettbewerbs. Andere vermissen finanzielle Anreize für die Gesetzeber, sich am Wettbewerb zu beteiligen, da Inkorporationssteuern in der EU untersagt sind, und betrachten die neuere Gesetzgebung als durch innere Reformnotwendigkeiten motiviert.  


Die neueren Kodifikationen, insbesondere das [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]], das [[Schweizerisches Obligationenrecht|OR]] und das [[Burgerlijk Wetboek|BW]] übernahmen das pandektistische Vertragsmodell (vgl. insb. Art.&nbsp;1 OR, aber implizit auch §&nbsp;311 Abs.&nbsp;1 BGB und die Regeln über den [[Vertragsschluss]] in §&nbsp;145&nbsp;ff. BGB; ebenso heute implizit Art.&nbsp;6:213 BW). Dagegen spiegeln die frühen europäischen [[Kodifikation]]en, insbesondere Art. 1101 ff. ''Code civil'' (''convention'' als äußerer Konsens und ''consentement de la partie qui s’oblige'' als innerer Konsens) und §&nbsp;861 ABGB (Versprechen zur Übertragung eines Rechts und dessen Annahme durch ein Gegenversprechen), nach Wortlaut und Systematik noch immer das naturrechtliche Modell wieder. Rechtsprechung und Lehre haben sich davon allerdings weitgehend gelöst und knüpfen heute ebenfalls allein an den (äußeren) Konsens an. Der ''[[Codice civile]]'' hat diese Loslösung auch im Gesetzestext vollzogen (Art.&nbsp;1321, 1325 Nr.&nbsp;1: ''accordo delle partie''). Das allein auf den (äußeren) Konsens gegründete Vertragsmodell bedarf mangels Übertragung eines Versprechens an sich nicht mehr der von ''Grotius'' geforderten ''causa''. Der vereinigte Wille ist Grund genug für das Entstehen wechselseitiger Verpflichtungen und erfüllt die Funktion der ''causa''. Das Erfordernis einer ''causa'' wurde daher in den meisten Rechtsordnungen aufgegeben. Im französischen Recht findet sich in Anlehnung vor allem an ''Pothier'' neben dem Konsenserfordernis (Art.&nbsp;1101, 1108&nbsp;ff. ''Code civil'') zwar noch heute die ''cause''-Doktrin (vgl. Art.&nbsp;1131 ''Code civil''<nowiki>; ebenso in Art.&nbsp;1343, 1418 </nowiki>''Codice civile'' und Art.&nbsp;1261 span. ''Código civil''), doch ist nahezu jedes Motiv als ''cause'' anerkannt, so dass diese eher als Auffangbecken zahlreicher Unwirksamkeitsgründe des Vertragsrechts dient.
=== b) Allgemeines Vertragsrecht ===
 
<nowiki>Im allgemeinen Vertragsrecht herrscht Rechtswahlfreiheit (vgl. Art.&nbsp;3 Rom&nbsp;I-VO [VO&nbsp;593/ 2008]), so dass Nachfrager unter den verschiedenen mitglied- und drittstaatlichen Vertragsrechtsordnungen frei wählen können. Ob allerdings die Wahl in der Praxis tatsächlich an inhaltlichen Kriterien, wie der Geeignetheit des gewählten Rechts für die in Aussicht genommene Transaktion, ausgerichtet wird, kann bezweifelt werden. Eine empirische Studie zum Europäischen Vertragsrecht (vgl. </nowiki>''Stefan Vogenauer'', ''Steve Weatherill'') hat gezeigt, dass die Vertragsschließenden fast immer das eigene Recht präferieren, weil es dasjenige ist, das sie und ihre Berater am besten kennen. Interessanterweise hielt die überwiegende Mehrheit der Interviewpartner das eigene Recht auch insgesamt für das beste. Betrachtet man die Chancen für ein wettbewerbliches Verhalten der Gesetzgeber als Anbieter von Vertragsrecht, so können allenfalls mittelbare Anreize ausgemacht werden. Ein international für besonders geeignet gehaltenes Vertragsrecht wie das englische mag zur Förderung der Einkünfte von Rechtsberatern beitragen, wovon der Staat indirekt durch Schaffung von Arbeitsplätzen und Steigerung der Einkommenssteuereinnahmen profitiert. Wo keine Rechtswahlfreiheit herrscht, wie namentlich im Verbrauchervertragsrecht, kann nur ein indirekter Wettbewerb stattfinden. Wegen des Bündelproblems ist es allerdings schwierig, die Wahl eines bestimmten Absatzmarktes als Wahl des dort herrschenden Verbraucherschutzrechts zu interpretieren. Meist werden zahlreiche andere Faktoren (Absatzmöglichkeiten, Preise, Steuern, Transportkosten) eine erhebliche Rolle spielen. Der sogenannte Wettbewerb im Verbraucherrecht, den namentlich ''Robert van den Bergh'' fordert, würde sich damit auf die Koexistenz unterschiedlicher Verbraucherschutzniveaus in den Mitgliedstaaten reduzieren, was zwar den Vergleich der Wirksamkeit verschiedener Verbraucherschutzkonzepte ermöglichen würde, aber nicht dem institutionellem Wettbewerb im Sinne von ''Streit'' oder der amerikanischen ''competition for corporate charter''-Literatur entspricht.  
Unabhängig davon, welchem Vertragsmodell man folgte, war für das einseitige Verpflichtungsversprechen unter dem Vertragsprinzip kein Platz. Bereits die frühen Kodifikationen, etwa der ''Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis'' (1756) sowie das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (1794) schlossen eine Verpflichtung aufgrund einseitigen Versprechens ausdrücklich aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bis auf das [[Schottisches Privatrecht|schottische Privatrecht]] und einige skandinavische Rechtsordnungen (s. unten c) erkennt keine der europäischen Rechtsordnungen das einseitig verpflichtende Versprechen als Grundlage eines Schuldverhältnisses an. Auch im Zuge einer der letzten großen Kodifikationsreformen in den Niederlanden wurde es Anfang der 1990er Jahre für das ''[[Burgerlijk Wetboek]]'' abgelehnt. Dem Vertragsprinzip ist auch das Schenkungsversprechen zum Oper gefallen. Anders als von ''Grotius'' wird es nicht als einseitig verpflichtend angesehen. Um eine Verpflichtung des Schenkenden zu begründen, bedarf es der Annahme durch den Beschenkten (vgl. §&nbsp;516 Abs.&nbsp;2 BGB; Art.&nbsp;932 frz. ''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;7:175 BW sieht allerdings wie im Hinblick auf den Vertrag zugunsten Dritter eine Annahmefiktion vor). Dabei wurde das Formerfordernis, das den Schenkenden vor Übereilung schützen soll, häufig beibehalten (vgl. §&nbsp;518 BGB; Art.&nbsp;931 frz. </nowiki>''Code civil'', nicht hingegen im BW).
 
Das Vertragsprinzip blieb allerdings nicht unangefochten, sondern sah sich insbesondere gegen Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland teils heftiger Kritik ausgesetzt. So sprach sich etwa ''Heinrich Siegel'' dafür aus, das einseitige Versprechen als Verpflichtungsgrund neben dem Vertrag anzuerkennen. Auch während der Vorarbeiten zum BGB stand die Entscheidung für das Vertragsprinzip im deutschen Recht nicht von Beginn an fest. Der zuständige Redaktor des BGB, ''Franz Philipp von Kübel'', ging in seiner ersten Vorlage von der Verpflichtungswirkung des einseitigen Versprechens unabhängig von einer Annahme aus. Er zog diesen Vorschlag erst infolge der Erörterungen in der 1.&nbsp;Kommission zurück und schrieb in seiner zweiten Vorlage das Vertragsprinzip als Grundsatz fest. Hiervon machte er nur einige wenige gesetzliche Ausnahmen für die Auslobung, das Versprechen der Leistung an einen Dritten und Inhaberpapiere. Auch nach Inkrafttreten des BGB kritisierte ''Philipp Heck'' das Vertragsprinzip noch in den 1920er Jahren vehement.
 
=== b) Entwicklung im englischen ''common law ''===
Das englische ''law of contract'' war bis ins 19.&nbsp;Jahrhundert hinein durch das Konzept des Versprechens geprägt. Im Aktionensystem des ''[[common law]]'' war der ''writ of assumpsit'' die zentrale Klage des Vertragsrechts. Er erforderte ein Versprechen, eine ''consideration'' und den Bruch des Versprechens. Der ''writ of covenant'' hingegen konnte nur auf ''promises under seal'', also Versprechen unter Einhaltung besonderer Förmlichkeiten, ursprünglich eines Eides, gestützt werden. ''Promises under seal'' bedurften dafür keiner ''consideration'', sondern konnten einseitig verpflichtend sein. Sie betrafen insbesondere [[unentgeltliche Geschäfte]].
 
Im Zuge der ''treatises'' des 19.&nbsp;Jahrhunderts, insbesondere der Werke von ''John Joseph'' ''Powell'','' Joseph Chitty'','' Frederick Pollock'' und ''William Anson'', wurde das römische Vertragsrecht in der Form, die es durch die naturrechtliche Systematisierung von ''Grotius'','' Pufendorf'','' Domat und Pothier'' erfahren hatte, rezipiert. Sogar die ''common law''-Gerichte nahmen teilweise darauf Bezug (''Cox v. Troy'' (1822) 5 B & Ald 474). In der Folge der sich auch in England durchsetzenden Willenstheorien wurde schließlich das einseitige verpflichtende Konzept des Versprechens durch das zweiseitige, auf Konsens aufbauende Konzept des Vertrages ersetzt. Dessen Bestandteile sind zwei für sich genommen nicht verpflichtende Versprechen, ''offer and acceptance'', die sich als Grundlage des Vertragsschlusses und systembildendes Konzept des englischen Vertragsrechts durchsetzten (vgl. ''Adams v. Lindsell'' (1818) 1 B & Ald 681 (KB) und ''Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company''<nowiki> [1893] 1 QB 256 (CA)). Die </nowiki>''offer'' erwuchs aus dem einseitigen Versprechen; das Schuldverhältnis wurde jedoch erst durch die ''acceptance'' begründet. Nur vor dem Hintergrund dieser Genese des englischen ''law of contract'' lässt sich das Überleben der ''consideration''-Doktrin erklären ([[Seriositätsindizien]]); denn die ''consideration'' ist auf ein Versprechen, nicht auf einen Vertrag bezogen. Für den Austauschvertrag werden die wechselseitigen Verpflichtungserklärungen als ''consideration'' füreinander angesehen. Einseitige unentgeltliche Versprechen, etwa eine Schenkung, entfalten hingegen mangels ''consideration'', abgesehen von ''promises in deeds'' (die heute nicht mehr ''under seal'' erfolgen müssen), keine Verpflichtungswirkung (das Erfordernis ist allerdings stark entwertet, da eine ''nominal consideration'' ausreicht). Obwohl tatsächlich häufig zusammenfallend, ist die ''consideration'' im Hinblick auf die Verpflichtungswirkung systematisch vom Erfordernis der Annahme zu trennen.
 
=== c) Abweichende Entwicklungen in Schottland und Skandinavien ===
Im [[Schottisches Privatrecht|schottischen Privatrecht]] als [[Mischrechtsordnungen|Mischrechtsordnung]] ist das einseitige Versprechen neben dem Vertrag als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtung basierend auf den Institutionen von ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'', anerkannt. ''Stair'' unterschied zwischen der ''offer'' als Versprechen unter der Bedingung der Annahme durch den Versprechensempfänger, der ''pollicitatio'' als Versprechen unter der Bedingung der Vornahme einer bestimmten Handlung (dies erfasst insbesondere den Fall der Auslobung) und schließlich der ''promise'' als unbedingtem einseitig verpflichtenden Versprechen.
 
In den skandinavischen Rechtsordnungen ist nach der sog. ''Løfte''-Theorie trotz des Einflusses der Willenstheorien das Versprechen die Grundlage des Schuldverhältnisses geblieben. Das einseitige Versprechen verpflichtet den Versprechenden im Falle einseitiger Rechtsgeschäfte, etwa der Schenkung und Auslobung, unbedingt (also ohne eine Annahme), im Falle gegenseitiger Rechtsgeschäfte dagegen nur bedingt durch das Versprechen der anderen Partei zur Gegenleistung. Die auf einen gegenseitigen Vertrag abzielenden, bedingten Versprechen werden als Angebot und Annahme bezeichnet. Verpflichtungsgrund ist also selbst beim gegenseitigen Rechtsgeschäft nicht der Vertrag; es sind vielmehr die jeweiligen Versprechen. Die Bedingtheit der Versprechen stellt den materiellen Konsens sicher.
 
== 4. Auslobung ==
Aufgrund der Hinwendung zum Vertragsprinzip in den meisten Rechtsordnungen erwies es sich als dogmatisch schwierig, die Verpflichtungswirkung strukturell einseitiger Versprechen zu erklären. Während die Schenkung dem Vertragsdogma unterworfen wurde, haben die europäischen Rechtsordnungen für die Auslobung unterschiedliche Lösungen entwickelt.
 
Im deutschen und österreichischen Recht hat sich in §&nbsp;657 BGB bzw. §&nbsp;860 S.&nbsp;1 ABGB die Konstruktion des einseitig verpflichtenden Versprechens als gesetzliche Ausnahme vom Vertragsprinzip durchgesetzt (Pollizitationstheorie); ebenso im Ergebnis Art.&nbsp;6:120 BW, Art.&nbsp;1989 ''Codice civile'' sowie das spanische und dänische Recht. Die Verpflichtung zur Leistung der Belohnung ist allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung, nicht jedoch durch eine (auch nur konkludente) Annahme des Auslobungsversprechens bedingt. Das Versprechen bindet daher auch dann, wenn die Handlung in Unkenntnis der Auslobung vorgenommen wird. Anders als das Angebot zum Vertragsschluss ist das einseitige Auslobungsversprechen bis zur Vornahme der Handlung einseitig widerrufbar (§&nbsp;658 BGB; §&nbsp;860a ABGB). Auch die mit der Auslobung verwandte Gewinnzusage nach §&nbsp;661a BGB bzw. §&nbsp;860 S.&nbsp;2 ABGB ist ein einseitig verpflichtendes Versprechen.
 
Im französischen Recht wird die Auslobung überwiegend nicht als einseitig verpflichtendes Versprechen angesehen, sondern als Vertrag konstruiert. Die Auslobung ist ein Angebot ''ad incertas personas'', das der konkludenten Annahme durch Vornahme der ausgelobten Handlung bedarf, um den Erfüllungsanspruch auf die Belohnung zu begründen. Im Hinblick auf Gewinnzusagen ist die jüngere französische Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich. Sie stützt sich teils auf ein einseitiges Versprechen, teils auf einen Vertrag oder Quasi-Vertrag und bisweilen sogar auf ein Quasi-Delikt.
 
Im englischen Recht stellte sich die Problematik der dogmatischen Einordnung der Auslobung im bereits erwähnten Fall ''Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company''<nowiki> [1893] 1 QB 256 </nowiki>(CA). Die Klägerin hatte die Voraussetzungen der versprochenen Belohnung erfüllt und forderte diese vom Beklagten ein. Unter dem ''writ of assumpsit'' hätte die Klage Erfolg gehabt (die ''consideration'' im Zeitpunkt der Abgabe des Belohnungsversprechens bestand in der zukünftigen Vornahme der ausgelobten Handlung). Um nun aber dem Vertragsprinzip gerecht zu werden, konstruierte der ''Court of Appeal'' die Figur eines ''unilateral contract'' (statt der naheliegenden ''unilateral promise''). Das Angebot (''ad incertas personas'') bestand in der Auslobung. Zur Annahme sollte die Vornahme der ausgelobten Handlung genügen; die Annahme musste also nicht gegenüber dem Anbietenden erklärt werden. Mit einem Vertrag als Willensübereinstimmung hat diese Konstruktion nur wenig gemein. Sie presst vielmehr einen einseitigen Vorgang in ein zweiseitiges Erklärungsmodell.
 
Im schottischen Recht sah die Rechtsprechung die Auslobung zunächst in Anlehnung an ''Stair'' als einseitig verpflichtendes Versprechen an, bedingt allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung. Unter dem Einfluss der Entscheidung in ''Carlill'' gewann allerdings auch im schottischen Recht die Lehre vom ''unilateral contract'' an Bedeutung.
 
== 5. Dualismus im Europäischen Privatrecht ==
Im Europäischen Privatrecht zeichnet sich entgegen den nationalen Vorbildern ein Dualismus von Vertrags- und Versprechensprinzip ab. Der Vertrag ist zwar nach wie vor die zentrale Grundlage des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses (vgl. Art.&nbsp;2:101 PECL, Art.&nbsp;4:101 ACQP; Art.&nbsp;II.-4:101 DCFR), doch erkennt Art.&nbsp;2:107 PECL, der von den [[Acquis Principles|ACQP]] in Art.&nbsp;4:107(1) übernommen wird, neben dem Vertrag ausdrücklich das einseitige Versprechen als verpflichtend an, wobei dies missverständlich durch die Formulierung „binding“ bzw. „bindend“ (gemeint ist nicht die Selbstbindung, sondern die Verpflichtung gegenüber dem Versprechensempfänger) zum Ausdruck gebracht wird. Auch der [[Common Frame of Reference|DCFR]] greift das Versprechensprinzip in Art.&nbsp;II.-4:301 bis 4:303 unter dem weiter gefassten Konzept der ''other/unilateral juridical acts'' auf. Dagegen ist Grundlage rechtsgeschäftlicher Bindung nach den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] nur der Vertrag (Art.&nbsp;3.2). Nach PECL, ACQP und DCFR ist für die Verpflichtungswirkung der Rechtsbindungswille des Versprechenden entscheidend. Er ist nach dem Wortlaut des Versprechens und den es begleitenden Umständen zu ermitteln. Die ACQP enthalten in Art.&nbsp;4:107(2) zudem eine Regelung, die die Schutzmechanismen des Vertragsrechts zugunsten einer der Parteien des Rechtsgeschäfts (gemeint sind wohl insbesondere [[Widerrufsrecht]]e und andere Schutzmechanismen zugunsten von Verbrauchern) auch für das einseitige Versprechen für anwendbar erklärt. Die PECL lösen diese, praktisch wohl eher selten relevante Problematik ausweislich der Erläuterungen dadurch, dass sie das einseitig verpflichtende Versprechen unter einen sehr weit verstandenen Vertragsbegriff subsumieren.
 
Die Auslobung ist weder in den PECL noch in den ACQP noch im DCFR gesondert geregelt. Während sich eine Verpflichtung nach den Vorschriften über das einseitige Versprechen leicht begründen lässt, fehlt es an Regelungen zur Widerruflichkeit und zu den weiteren, etwa in §§&nbsp;659&nbsp;ff. BGB angesprochenen Aspekten.
 
Hinsichtlich des Sonderfalls der Garantie nach Art.&nbsp;6 der Verbrauchsgüterkaufrechts-RL (RL&nbsp;1999/44) bzw. den nationalen Umsetzungen ist umstritten, ob sie als einseitig verpflichtendes Versprechen ausgestaltet sind oder einen Vertrag, mithin eine Annahme, erfordern. Der EuGH hatte noch nicht über die Frage zu entscheiden. Die nationalen Rechte gehen freilich meist von einem Vertrag aus, da er sich konsistenter in das vorherrschende Vertragsprinzip einfügt.


== Literatur==
== Literatur==
''Heinrich Siegel'', Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht, 1873; ''Klaus Wennberg'', Die skandinavische Löftetheorie, 1966; ''Arthur T. von Mehren'', The Formation of Contracts, in: IECL VII/1, Kap.&nbsp;9-9&nbsp;ff., 1991; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, Kap.&nbsp;18 (insb. 572&nbsp;ff); ''James Gordley'', Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, 71&nbsp;ff.; ''Bruno Schmidlin'', Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: Das naturrrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektistische Modell der vereinigten Willenserklärungen, in: Reinhard Zimmermann, Rolf Knütel, Jens Peter Meincke (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, 187&nbsp;ff.; ''James Gordley'' (Hg.), The Enforceability of Promises in European Contract Law, 2001; ''Reinhard Zimmermann'', Vertrag und Versprechen, in: Festschrift für Andreas Heldrich, 2005, 467&nbsp;ff.; ''Caroline Cauffman'', De verbindende eenzijdige belofte, 2005; ''Jens Kleinschmidt'', Unilateral contract und einseitiges Versprechen, Jura 2007, 249&nbsp;ff.
''Lucian Arye Bebchuk'', Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105 (1992) 1435&nbsp;ff.; ''Roberta'' ''Romano'', The Genius of American Corporate Law, 1993; ''Roger'' ''van den Bergh'','' ''Subsidiarity as an Economic Demarcation Principle and the Emergence of European Private Law, Maastricht Journal of European and Comparative Law 5 (1998) 129&nbsp;ff.; ''Manfred E. Streit'','' Daniel Kiwit'','' ''Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Manfred E. Streit, Michael Wohlgemuth (Hg.), Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, 1999, 13&nbsp;ff.; ''Wolfgang Kerber'', Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 23 (2000) 217&nbsp;ff.; ''idem'', Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, 67&nbsp;ff.; ''Eva-Maria'' ''Kieninger'', Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002; ''Klaus Heine'','' ''Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, 2003; ''Stefan Vogenauer'', ''Steve Weatherill'', Eine empirische Untersuchung zur Angleichung des Vertragsrechts in der EG, Juristenzeitung 2005, 870&nbsp;ff.; ''Eva-Maria Kieninger'', Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, in: Hans-Bernd Schäfer, Thomas Eger (Hg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, 170&nbsp;ff; ''William W. Bratton, Joseph A. McCahery, Erik P.M. Vermeulen'', How Does Corporate Mobility Affect Lawmaking? A Comparative Analysis, American Journal of Comparative Law 57 (2009) 347 ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]

Version vom 31. August 2021, 19:08 Uhr

von Eva-Maria Kieninger

1. Grundlagen und Quellen

Mit dem Stichwort „Wettbewerb der Rechtsordnungen“, auch „Systemwettbewerb“ oder „institutioneller Wettbewerb“ genannt, ist die Vorstellung verbunden, dass Rechtsregeln (Institutionen) ebenso angeboten und nachgefragt werden können wie Güter oder Dienstleistungen. Soweit es um staatlich gesetztes Recht geht, sind die Gesetzgeber Anbieter, die Rechtsunterworfenen (natürliche und juristische Personen) die Nachfrager des Produkts „Gesetzgebung“. Im Europäischen Privatrecht wird das Konzept eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen vor allem als Gegenentwurf zur Harmonisierung oder Vereinheitlichung durch den Brüsseler Gesetzgeber diskutiert. Einen Schwerpunkt bildet dabei das Gesellschaftsrecht, insbesondere ausgelöst durch die Centros-Entscheidung des EuGH (Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459).

Der Begriff des Wettbewerbs der Rechtsordnungen wird in der Literatur mit unterschiedlichem, oft nicht näher präzisiertem Inhalt verwendet. Richtigerweise sind drei Stufen zu unterscheiden: Auf einer ersten Stufe koexistieren verschiedene Rechtsordnungen miteinander, ohne dass die Rechtsunterworfenen eine Wahl zwischen ihnen treffen könnten. Auf dieser Stufe herrscht Wettbewerb lediglich in der Form eines Ideenwettbewerbs, der vor allem durch die Rechtsvergleichung fruchtbar gemacht werden kann. Auf einer zweiten Stufe können die Rechtssubjekte unter verschiedenen Angeboten von Rechtsregeln wählen, ohne dass es schon zu einer Reaktion der Gesetzgeber als Anbieter von Rechtsregeln kommt. Sie tritt erst auf der dritten Stufe hinzu und setzt irgendwie geartete, finanzielle oder auch nur ideelle Anreize voraus, die den Gesetzgeber zum Handeln bewegen. Erst auf dieser Stufe lässt sich von einem institutionellen Wettbewerb in Sinne eines Wettbewerbskreislaufs sprechen. Das klassische Beispiel hierfür ist die Entwicklung des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts (siehe unter 2.).

Die Literatur zum Wettbewerb der Rechtsordnungen speist sich aus verschiedenen Quellen. Zum einen gibt es eine starke Strömung in der wirtschaftwissenschaftlichen Literatur (vgl. z.B. Manfred E. Streit, Wolfgang Kerber, Roger van den Bergh). Sie argumentiert aus der Sicht der evolutorischen Ökonomik, dass der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (Friedrich August von Hayek) nicht nur in Bezug auf Güter, sondern auch im Hinblick auf Institutionen eine stetige Verbesserung des Angebots hervorbringen könne. Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages werden als Grundlage eines regulatorischen Wettbewerbs begriffen, denn mit dem Erwerb eines ausländischen Produkts oder der Verlagerung des Unternehmensstandorts in einen anderen Mitgliedstaat werden mittelbar die Institutionen (beispielsweise Produktregulierungen, Umweltrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht) des Zielstaates gewählt. Die Freiverkehrsrechte geben den Rechtsunterworfenen daher die Möglichkeit, unter verschiedenen einzelstaatlichen Regulierungen zu wählen, um so einerseits ihre eigenen Präferenzen besser befriedigen zu können, andererseits dem Anbieterstaat Akzeptanz oder Ablehnung seiner Rechtsordnung zu signalisieren und ihn gegebenenfalls zu Reformen anzuhalten.

2. Delaware-Effekt

Eine reichhaltige Literatur zum Systemwettbewerb im Privatrecht existiert außerdem in den USA, wo insbesondere der „Delaware-Effekt“ Anlass zur Reflexion gegeben hat. In den USA gilt traditionell die Gründungstheorie, so dass eine Gesellschaft unabhängig von ihrem tatsächlichen Sitz in dem Bundessstaat gegründet werden kann, dessen Recht die Gründer präferieren (Gesellschaftsrecht, internationales). Außerdem kann das Gesellschaftsstatut auch nach der Gründung durch sogenannte Reinkorporationsfusion, d.h., die Gründung einer neuen Gesellschaft im Zielstaat und die Verschmelzung der bestehenden Gesellschaft hierauf, wieder geändert werden. Da die Bundesstaaten der USA – anders als die Mitgliedstaaten der EU – die Eintragung einer Gesellschaft mit einer jährlichen Inkorporationssteuer (franchise tax) belegen können, ist die Anziehung von Gesellschaften insbesondere für kleinere Bundesstaaten eine lukrative Einnahmequelle. Daraus entstand am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Wettbewerb unter den Bundesstaaten, aus dem Delaware als Sieger hervorgegangen ist. Lange Zeit wurde diese Entwicklung in der gesellschaftsrechtlichen Literatur als schädliches race to the bottom beurteilt. Heute herrscht eine positivere Sicht vor (vgl. z.B. Roberta Romano). Es wird argumentiert, dass sich das Management durch eine (Re‑)Inkorporation in Delaware nicht auf Kosten der Gesellschafter bereichern könne, da die Kräfte des Kapitalmarkts und des Markts für Unternehmensübernahmen kontrollierend wirken würden. Statt als race to the bottom sei der Delaware-Effekt vielmehr als race to the top zu betrachten, denn den Aktionären stünden in Delaware Anwälte und Richter mit besonderer Expertise, sowie ein ausgefeiltes Gesellschaftsrecht mit Präzedenzfällen zu fast jeder Rechtsfrage zu Verfügung (the mother court of corporate law). Außerdem könnten Management und Gesellschafter darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber in Delaware bemüht sein werde, sein Gesellschaftsrecht auch weiterhin attraktiv zu gestalten.

3. Funktionen des Wettbewerbs der Rechtsordnungen

Dem Wettbewerb der Rechtsordnungen werden verschiedene Funktionen zugeschrieben, die sich freilich teilweise widersprechen. Erstens soll der Wettbewerb – im Gegensatz zum Einheitsrecht – die Erfüllung unterschiedlicher Präferenzen ermöglichen. Ausgangspunkt dieser These ist, dass die Rechtsunterworfenen keine einheitlichen Präferenzen haben. Manche Verbraucher würden beispielsweise ein weniger strenges Verbrauchervertrags- oder Produkthaftungsrecht präferieren, wenn dies niedrigere Preise zur Folge hätte. Ein einheitlich hohes Niveau nimmt ihnen diese Wahlmöglichkeit. Eine zweite Funktion ist die Begrenzung gesetzgeberischer Fehlentscheidungen. Wird nicht auf europäischer, sondern auf mitgliedstaalicher Ebene legiferiert, wirken sich Fehler im politischen System oder mangelnde Kenntnis der effizientesten Lösung nur auf das betreffende mitgliedstaatliche Rechtssystem aus. Hinzu kommt, dass der Brüsseler Gesetzgebungstätigkeit eine höhere Fehleranfälligkeit als der nationalen zugesprochen wird. Insbesondere der Zwang zum Kompromiss und die Vermischung von Sachfragen mit politischen Konflikten führten zu suboptimalen Ergebnissen. Eine dritte Funktion ist die Fähigkeit des Wettbewerbs, Innovation zu fördern. Das geschieht schon dadurch, dass die Effizienz von parallel existierenden, unterschiedlichen Rechtsregeln verglichen werden kann. Kommt, wie im Beispiel des Delaware-Effekts, ein starker finanzieller Anreiz für die Anbieter hinzu, möglichst viele Nachfrager zu gewinnen, so wird der Gesetzgeber sich sogar aktiv auf die Suche nach den attraktivsten Regeln machen und diese übernehmen. Das könnte, viertens, dazu führen, dass die Rechtsordnungen konvergieren, und so das Ziel einer einheitlichen Rechtsordnung quasi „von unten“ erreicht wird. Die Befürworter des Wettbewerbs sehen daher in ihrem Konzept geradezu den Königsweg für die europäische Rechtsvereinheitlichung, der noch dazu dem Subsidiaritätsprinzip entspreche. Durch den Wettbewerb würden sich im Laufe der Zeit die besten Lösungen herausschälen und von den anderen Mitgliedstaaten übernommen werden.

Freilich widerspricht diese letzte Funktion den an erster und dritter Stelle genannten. Wenn es zutrifft, dass Rechtsunterworfene als Einzelne oder auch als Kollektiv (das aber entgegen Roger van den Bergh wohl kaum mit den mitgliedstaatlichen Grenzen zu umschreiben sein dürfte) unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf Rechtsregeln haben, dann sollte die Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen bewahrt werden. Dasselbe gilt von der Innovationsfunktion, denn auch sie beruht auf der Koexistenz und Wählbarkeit unterschiedlicher Rechtsregeln. Wer also den Systemwettbewerb gegenüber der Vereinheitlichung durch supranationales Recht favorisiert, wird auf Dauer mit erheblichen Rechtsunterschieden innerhalb des Binnenmarkts leben müssen. Eine Symbiose des Wettbewerbsgedankens mit dem Streben nach Einheitsrecht für transnationale Rechtsbeziehungen liegt dagegen in der Schöpfung zusätzlich wählbarer, supranationaler Institutionen (Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea), Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea), Europäisches Vertragsrecht (Principles of European Contract Law) als optionales Instrument).

4. Voraussetzungen eines wirksamen Wettbewerbs

Die Diskussion um den Wettbewerb dreht sich vielfach nur um die Wirkungen, also vor allem darum, ob er als schädliche Deregulierungsspirale oder als race to the top zu beurteilen ist. Gerade im Privatrecht ist aber unklar, ob schon die Voraussetzungen eines wirksamen Wettbewerbs erfüllt sind. Um hierzu nähere Feststellungen treffen zu können, sind die unter 1. skizzierten verschiedene Formen zu unterscheiden. Meist ist schon dann von Wettbewerb die Rede, wenn unterschiedliche Rechtssysteme miteinander koexistieren (zweite Stufe). In diesem Fall können Nachfrager unter verschiedenen Angeboten von Rechtsregeln wählen. Dies kann entweder direkt geschehen, so beispielsweise im Privatrecht, wo Rechtswahlfreiheit im internationalprivatrechtlichen Sinn herrscht, oder indirekt durch Wahl eines Standorts, an dem bestimmte Rechtsregeln gelten, oder eines Produkts oder einer Dienstleistung, die nach bestimmten Regeln hergestellt und angeboten werden. Bei der nur indirekten Wahl tritt das sogenannte Bündelproblem auf, also die Schwierigkeit, dass bestimmte Institutionen nur in Kombination mit anderen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten gewählt werden können. Die Wahl eines Unternehmensstandorts wird beispielweise selten nur durch das am Ort der Niederlassung geltende Gesellschaftsrecht determiniert werden, sondern durch ein Bündel aus tatsächlichen und rechtlichen Faktoren, insbesondere durch das Steuerrecht.

5. Institutioneller Wettbewerb

Institutioneller Wettbewerb im Sinne der ökonomischen Theorie und der competition for corporate charter-Literatur in den USA hat über die Koexistenz verschiedener Rechtssysteme und die Wahlfreiheit hinaus weiter zur Voraussetzung, dass die Gesetzgeber als Anbieter von Recht einen Anreiz haben, den Erfolg ihres Angebots wahrzunehmen und nach Verbesserungen zu suchen. Diese Form des Wettbewerbs, bei dem es zu einem Wettbewerbskreislauf ähnlich wie auf Gütermärkten kommt, ist besonders geeignet, für Innovation zu sorgen und damit einer Erstarrung des Rechtssystems vorzubeugen. Ein starker Anreiz für den Gesetzgeber sind direkte Steuereinnahmen, die sich wie z.B. in Delaware aus der Wahl der eigenen Rechtsordnung generieren lassen. In manchen Bereichen wie z.B. im Vertragsrecht sind solche direkten Anreize allerdings nicht möglich oder in der EU untersagt (siehe für das Gesellschaftsrecht die RL 69/335). Hier werden andere, allerdings wesentlich schwächere Anreize wie Prestigegewinn und indirekte Steuereinnahmen durch Förderung von Rechtsberatungsdienstleistungen im eigenen Land diskutiert.

6. Wettbewerb im Europäischen Privatrecht

a) Gesellschaftsrecht

Im Europäischen Privatrecht wird die Existenz eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen bzw. der Gesetzgeber vor allem für das Gesellschaftsrecht angenommen. Die Rechtsprechung des EuGH (EuGH Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459; EuGH Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919; EuGH Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155) verpflichtet die Mitgliedstaaten, auf Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der EU oder des EWR gegründet sind, das Gründungsrecht anzuwenden, soweit nicht ausnahmsweise die Anwendung des Rechts am tatsächlichen Sitz durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist oder ein Missbrauch der Niederlassungsfreiheit vorliegt. Zwar hat der EuGH in Cartesio (Rs. C-210/06, NJW 2009, 569) den Mitgliedstaaten die Freiheit belassen, die nach dem eigenen Recht gegründeten Gesellschaften im Fall eines (isolierten) Wegzugs des tatsächlichen Sitzes aufzulösen, jedoch hat er gleichzeitig angedeutet, dass er den Fall der Verlegung des Verwaltungssitzes unter Umwandlung in eine Gesellschaft nach dem Recht des neuen tatsächlichen Sitzes unter die Niederlassungsfreiheit subsumieren würde. Die EuGH-Entscheidung SEVIC (Rs. C-411/03 – SEVIC, Slg. 2005, I-10805) und die Umsetzung der RL 2005/56 zur grenzüberschreitenden Fusion ermöglichen des Weiteren den nachträglichen Wechsel des Gesellschaftsstatuts, allerdings nur über den Umweg der Neugründung und Fusion. Damit herrscht, soweit das Gesellschaftsrecht noch nicht harmonisiert ist, Wettbewerb im Sinne der Koexistenz von unterschiedlichen Rechtsordnungen plus Wahlfreiheit. Des weiteren ist eine Grundvoraussetzung des institutionellen Wettbewerbs, nämlich die Freiheit der Wahl des Gesellschaftsstatuts, ebenso wie in den USA auch innerhalb der EU und des EWR erfüllt. Ob es in Europa allerdings tatsächlich zu einem institutionellen Wettbewerb gekommen ist oder noch kommen wird, also zu einem wettbewerblichen Verhalten der Gesetzgeber als Anbieter von Gesellschaftsrecht, ist umstritten. Manche beurteilen die GmbH-Gesetzgebungen der jüngeren Zeit in Frankreich, Spanien, Italien und zuletzt auch in Deutschland (vgl. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMIG)) als Ausfluss eines solchen Wettbewerbs. Andere vermissen finanzielle Anreize für die Gesetzeber, sich am Wettbewerb zu beteiligen, da Inkorporationssteuern in der EU untersagt sind, und betrachten die neuere Gesetzgebung als durch innere Reformnotwendigkeiten motiviert.

b) Allgemeines Vertragsrecht

Im allgemeinen Vertragsrecht herrscht Rechtswahlfreiheit (vgl. Art. 3 Rom I-VO [VO 593/ 2008]), so dass Nachfrager unter den verschiedenen mitglied- und drittstaatlichen Vertragsrechtsordnungen frei wählen können. Ob allerdings die Wahl in der Praxis tatsächlich an inhaltlichen Kriterien, wie der Geeignetheit des gewählten Rechts für die in Aussicht genommene Transaktion, ausgerichtet wird, kann bezweifelt werden. Eine empirische Studie zum Europäischen Vertragsrecht (vgl. Stefan Vogenauer, Steve Weatherill) hat gezeigt, dass die Vertragsschließenden fast immer das eigene Recht präferieren, weil es dasjenige ist, das sie und ihre Berater am besten kennen. Interessanterweise hielt die überwiegende Mehrheit der Interviewpartner das eigene Recht auch insgesamt für das beste. Betrachtet man die Chancen für ein wettbewerbliches Verhalten der Gesetzgeber als Anbieter von Vertragsrecht, so können allenfalls mittelbare Anreize ausgemacht werden. Ein international für besonders geeignet gehaltenes Vertragsrecht wie das englische mag zur Förderung der Einkünfte von Rechtsberatern beitragen, wovon der Staat indirekt durch Schaffung von Arbeitsplätzen und Steigerung der Einkommenssteuereinnahmen profitiert. Wo keine Rechtswahlfreiheit herrscht, wie namentlich im Verbrauchervertragsrecht, kann nur ein indirekter Wettbewerb stattfinden. Wegen des Bündelproblems ist es allerdings schwierig, die Wahl eines bestimmten Absatzmarktes als Wahl des dort herrschenden Verbraucherschutzrechts zu interpretieren. Meist werden zahlreiche andere Faktoren (Absatzmöglichkeiten, Preise, Steuern, Transportkosten) eine erhebliche Rolle spielen. Der sogenannte Wettbewerb im Verbraucherrecht, den namentlich Robert van den Bergh fordert, würde sich damit auf die Koexistenz unterschiedlicher Verbraucherschutzniveaus in den Mitgliedstaaten reduzieren, was zwar den Vergleich der Wirksamkeit verschiedener Verbraucherschutzkonzepte ermöglichen würde, aber nicht dem institutionellem Wettbewerb im Sinne von Streit oder der amerikanischen competition for corporate charter-Literatur entspricht.

Literatur

Lucian Arye Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, Harvard Law Review 105 (1992) 1435 ff.; Roberta Romano, The Genius of American Corporate Law, 1993; Roger van den Bergh, Subsidiarity as an Economic Demarcation Principle and the Emergence of European Private Law, Maastricht Journal of European and Comparative Law 5 (1998) 129 ff.; Manfred E. Streit, Daniel Kiwit, Zur Theorie des Systemwettbewerbs, in: Manfred E. Streit, Michael Wohlgemuth (Hg.), Systemwettbewerb als Herausforderung an Politik und Theorie, 1999, 13 ff.; Wolfgang Kerber, Interjurisdictional Competition within the European Union, Fordham International Law Journal 23 (2000) 217 ff.; idem, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, 67 ff.; Eva-Maria Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002; Klaus Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, 2003; Stefan Vogenauer, Steve Weatherill, Eine empirische Untersuchung zur Angleichung des Vertragsrechts in der EG, Juristenzeitung 2005, 870 ff.; Eva-Maria Kieninger, Aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, in: Hans-Bernd Schäfer, Thomas Eger (Hg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, 170 ff; William W. Bratton, Joseph A. McCahery, Erik P.M. Vermeulen, How Does Corporate Mobility Affect Lawmaking? A Comparative Analysis, American Journal of Comparative Law 57 (2009) 347 ff.

Abgerufen von Versprechen – HWB-EuP 2009 am 26. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).