Europäisches Gericht erster Instanz

Aus HWB-EuP 2009
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von Jörg Pirrung

1. Aufgabe

Wie der EuGH sichert das Gericht erster Instanz der EG (EuG) im Rahmen seiner Zuständigkeit die Wahrung des Rechts bei der Auslegung des EG-Vertrags und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft einschließlich des Sekundärgemeinschaftsrechts, Art. 220(1) EG/19(1) EU (2007), 136(1) EuratomV. Es ist vorbehaltlich Art. 51 der Satzung des EuGH allgemeines Eingangsgericht der EU. Ihm ist grundsätzlich die Entscheidung über Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen gegen die Organe der Gemeinschaften, also Europäisches Parlament, Rat (Rat und Europäischer Rat), Europäische Kommission sowie EZB und Rechnungshof, über Schadensersatzklagen wegen außervertraglicher Haftung der Gemeinschaften und aufgrund von Schiedsklauseln übertragen, Art. 225(1) EG/256(1) AEUV, 140a EuratomV als entsprechende, im Folgenden nicht mehr besonders angegebene Parallelvorschrift; es ist also Verwaltungs- und Zivilgericht. Gegen alle seine Entscheidungen kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel zum EuGH eingelegt werden. Ihm ist das Gericht für den öffentlichen Dienst der Gemeinschaften beigeordnet, das über alle Streitsachen zwischen der EU und ihren Beamten und Angestellten vor allem nach dem Beamtenstatut entscheidet. Gegen dessen Entscheidungen kann das EuG mit einem ebenfalls auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsmittel angerufen werden.

Das EuG wurde durch den Ratsbeschluss 88/591/EGKS, EWG, Euratom vom 24.10.1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1988 L 319/1) auf der Basis der Ermächtigungsgrundlagen in der EEA errichtet; es hat 1989 seine Tätigkeit aufgenommen. Das EuG sollte aufgrund eng begrenzter Zuständigkeiten zunächst den EuGH von in der Sachverhaltsermittlung besonders aufwendigen Verfahren wie Kartellsachen und von den für ein oberstes Gericht zu wenig bedeutsamen Bedienstetenstreitigkeiten entlasten. Im Lauf der Jahre sind immer mehr Zuständigkeiten vom EuGH an das EuG übertragen worden, so Antidumpingverfahren, Fusionssachen, Klagen in staatlichen Beihilfeangelegenheiten und europäische Markensachen. Die wichtigsten Streitigkeiten, über die das EuG in erster Instanz befindet, sind die Wettbewerbssachen. Hierbei geht es oft um Streitgegenstände mit einem Wert von Hunderten von Millionen Euro. Von der Möglichkeit, das EuG auch über Vorabentscheidungsersuchen entscheiden zu lassen, Art. 225(3) EG/256(3) AEUV, wie dies insbesondere für das Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen vielfach vorgeschlagen worden ist, ist bisher kein Gebrauch gemacht worden. Seit 2007 ist das EuG auch Rechtsmittelgericht, so dass sein Name nicht mehr zutrifft; das soll im Vertrag von Lissabon korrigiert werden, der es in „Gericht“ umbenennt. Besonders die Erweiterung der EU um zwölf neue Mitgliedstaaten 2004 und 2007 hat auch das EuG vor große Herausforderungen gestellt. Es ist heute ähnlich überlastet, wie es der EuGH 1989 war.

2. Organisation

Dem EuG gehört mindestens ein Richter je Mitgliedstaat an, Art. 224 EG/254 AEUV; es hat seit 2007 27 richterliche Mitglieder und anders als der EuGH keine besonderen Generalanwälte. Die Richter müssen jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und über die Befähigung zur Ausübung hoher richterlicher Tätigkeiten verfügen. Vor ihrer Richterzeit waren die meisten in ihren Heimatstaaten Ministerialbeamte, Richter, Professoren oder Anwälte. Die Regierungen der Mitgliedstaaten ernennen sie im gegenseitigen Einvernehmen jeweils für sechs Jahre mit teilweiser Neubesetzung alle drei Jahre; sie können, auch mehrfach, wieder ernannt werden. Die durchschnittliche Amtszeit beträgt bisher etwas über acht Jahre.

Auf die Organisation des EuG finden die Satzung des EuGH und die Verfahrensordnung des EuG Anwendung, die es im Einvernehmen mit dem EuGH nach Zustimmung des Rates mit qualifizierter Mehrheit erlässt. Die Richter wählen in einer Vollversammlung den Präsidenten des Gerichts für drei Jahre bei zulässiger Wiederwahl. Die bisherigen Präsidenten waren der Portugiese José Luis Da Cruz Vilaça (1989-1995), der Italiener Antonio Saggio (1995-1998) und der Däne Bo Vesterdorf (1998-2007); gegenwärtiger Präsident ist seit September 2007 der Luxemburger Marc Jaeger. Die Richter wählen auch den Kanzler des Gerichts, der für die Verwaltung des EuG zuständig ist, für eine verlängerbare Amtszeit von sechs Jahren.

Nach Art. 50 der Satzung des EuGH tagt das EuG grundsätzlich in Kammern mit drei oder fünf Richtern; es kann bei besonders bedeutsamen Verfahren oder solchen mit besonderen rechtlichen Schwierigkeiten als Große Kammer mit 13 und ausnahmsweise als Plenum mit 27 Richtern tagen; in einfachen Verfahren kann auch ein Einzelrichter entscheiden. Alle 27 Richter wählen aus ihrer Mitte die Kammervorsitzenden, diejenigen der „erweiterten“ Kammern mit fünf Richtern für drei Jahre mit einmaliger Wiederwahlmöglichkeit. Für die Zeit bis Ende August 2010 hat das Gericht acht Richter zugleich zu Präsidenten der mit fünf und der mit drei Richtern besetzten Kammern gewählt. Dabei ergänzen jeweils nach im Amtsblatt veröffentlichten Beschlüssen vom 19./25.9.2007 in den ersten sechs Kammern die Beisitzer der Nachbarkammer die Kammer mit drei Richtern zu einer erweiterten Kammer. Der siebten und achten Kammer sind je drei Beisitzer zugewiesen, die in drei unterschiedlichen Besetzungen tagen; diese werden dadurch zu erweiterten Kammern, dass ihnen der jeweils nicht dem ursprünglichen Spruchkörper zugewiesene Richter der betreffenden Kammer und jährlich wechselnd ein Richter der anderen mit vier Richtern besetzten Kammer zugeordnet wird.

Die Große Kammer besteht aus dem Präsidenten des Gerichts, den acht Kammerpräsidenten und den vier beisitzenden Richtern der erweiterten Kammer, die hätte entscheiden müssen, wenn die Sache von fünf Richtern zu entscheiden wäre. Der Rechtsmittelkammer gehören der Präsident des EuG und vier nach einem Rotationssystem bestimmte Kammervorsitzende an. Die eingehenden Sachen teilt der Präsident des EuG in der Reihenfolge ihres Eingangs nach Sachgebieten den Dreier-Kammern (bzw. bei Rechtsmitteln gegen Entscheidungen des Beamtengerichts der Rechtsmittelkammer) zu; die Kammervorsitzenden schlagen die jeweiligen Berichterstatter vor, die der Präsident bestätigt. Die Kammern oder der Präsident des EuG können dem Plenum vorschlagen, eine Sache an eine erweiterte Kammer, die Große Kammer oder das Plenum zu verweisen. Mit einstimmigem Beschluss der Dreier-Kammer können auf bestimmten Sachgebieten weniger bedeutsame und rechtlich einfachere Sachen dem Berichterstatter als Einzelrichter zugewiesen werden.

3. Verfahren

Die Vorschriften über das Verfahren finden sich im Anschluss an die Art. 230 ff. EG/263 ff. AEUV in der Verfahrensordnung des EuG. Die wichtigste Verfahrensart vor dem EuG leitet die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV/263 AEUV ein. Sie wird mit dem Ziel erhoben, Handlungen der EU-Organe für nichtig zu erklären. Beklagte können nur das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, die EZB und nachgeordnete EU-Stellen wie Europol sein. Die binnen zwei Monaten zu erhebende Klage kann nur auf Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des EG-Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder auf Ermessensmissbrauch gestützt werden. Während derartige Klagen der Organe selbst gegeneinander und solche der Mitgliedstaaten gegen andere Organe als die Kommission nach Art. 51 der Satzung dem EuGH selbst vorbehalten sind, ist für Klagen der Mitgliedstaaten gegen die Kommission (und ausnahmsweise in Antidumpingsachen den Rat) das EuG zuständig. Unter gleichen Voraussetzungen kann jede natürliche oder juristische Person, auch (und nur so) eine solche des öffentlichen Rechts unterhalb der Mitgliedstaatenebene, sich gegen an sie ergangene Entscheidungen wenden; sie kann auch gegen Entscheidungen klagen, die als Verordnung oder als an eine andere Person gerichtete Akte ergangen sind, aber nur, wenn diese sie ungeachtet dessen unmittelbar und individuell betreffen. Diese letzte Einschränkung hat der EuGH (Rs. C-25/62 – Plaumann/ Kommission, Slg. 1963, 213, 238) am 15.7.1963 so ausgelegt: „Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten.“ Ein Versuch von GA Francis G. Jacobs (Schlussanträge zu EuGH Rs. C-50/00 P – Union de Pequeños Agricultores [UPA]/Rat, Slg. 2002, I-6677) vom 21.3.2002 und der ersten erweiterten Kammer des EuG (Rs. T-177/01 – Jégo-Quéré/Kommission, Slg. 2002, II-2365) vom 3.5.2002, hierzu allgemein geringere Anforderungen zu stellen, ist de lege lata gescheitert: Der EuGH hat in der Rs. C-50/00 P – Union de Pequenos Agricultores, Slg. 2002, I-6677 an der Voraussetzung individueller Betroffenheit festgehalten und eine Änderung dem Gemeinschaftsgesetzgeber überlassen; dieses Erfordernis wird so voraussichtlich erst mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon abgeschafft werden.

Das Gemeinschaftsrecht kennt weder eine allgemeine Feststellungs- noch eine Verpflichtungsklage. Die Unterlassungsklage nach Art. 232 EG/265 AEUV kann nur dazu führen, das Organ dazu zu veranlassen, überhaupt eine Entscheidung zu fällen, nicht zu einer Verurteilung zu einer bestimmten Entscheidung. Sie hat daher nur begrenzte praktische Bedeutung, und das beklagte Organ macht sie häufig gegenstandslos, indem es während des Verfahrens die bisher unterlassene Entscheidung trifft; danach kommt es in der Regel zu einem Nichtigkeitsverfahren gegen diese Entscheidung. Vertragliche Schadensersatzklagen vor dem EuG können auf Schiedsklauseln zu seinen Gunsten, Art. 238 EG/ 272 AEUV, deliktische auf Art. 235, 288 EG/268, 340 AEUV gestützt werden.

Klagen in Markensachen richten sich gegen Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Markenamts in Alicante; sie entsprechen inhaltlich weitgehend Rechtsmitteln, sind aber nach den allgemeinen Regeln für Nichtigkeitsklagen zu behandeln.

Zum Ablauf des Verfahrens, in dem sich die privaten Parteien durch vor mitgliedstaatlichen Gerichten zugelassene Rechtsanwälte vertreten lassen müssen, sind auch die Dienstanweisung für den Kanzler des EuG und die praktischen Hinweise für die Parteien zu beachten. Der Kläger wählt eine der offiziellen Amtssprachen der Gemeinschaft als Verfahrenssprache, die in den schriftlichen und mündlichen Ausführungen der Parteien sowie in den Schreiben, Protokollen und Entscheidungen des Gerichts zu verwenden ist. Ist die in der Klage bestimmte Verfahrenssprache nicht Französisch, so veranlasst der Kanzler Übersetzungen der Schriftsätze in diese Sprache als Arbeitssprache des Gerichts und sorgt gegebenenfalls für Simultanübersetzung in der mündlichen Verhandlung. Der Berichterstatter erstellt mit Hilfe seiner Referenten (je Richter drei wissenschaftliche Mitarbeiter) nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens (Klagebeantwortung sowie im Allgemeinen – außer in Markensachen – Erwiderung und Gegenerwiderung) einen internen Vorbericht für die Kammer mit Votum und Vorschlägen für verfahrensleitende Maßnahmen, wie z.B. Fragen an die Parteien, sowie einen Sitzungsbericht für die mündliche Verhandlung.

Diese führt nach den Plädoyers der Parteivertreter aufgrund von Fragen des Berichterstatters und häufig auch der übrigen Richter zu einer oft recht eingehenden Erörterung der Streitsache. Von einer mündlichen Verhandlung kann von Amts wegen nur abgesehen werden, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist oder ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, Art. 145 der Verfahrensordnung des EuG; in einem solchen Fall wie auch grundsätzlich bei auf Unzulässigkeitsfeststellung gerichteten Anträgen der beklagten Partei entscheidet das Gericht meist durch Beschluss. Über das Urteil nach einer mündlichen Verhandlung berät die Kammer unter Ausschluss aller anderen Personen als der Richter aufgrund eines Entscheidungsentwurfs des Berichterstatters, der grundsätzlich in französischer Sprache als der Arbeitssprache des Gerichts vorzulegen ist. Der von der Kammer – gegebenenfalls mit Mehrheit – gebilligte Wortlaut wird anschließend von den lecteurs d'arrêts (dem Präsidenten des EuG zugewiesenen französischsprachigen Referenten) auf technische und sprachliche Anforderungen hin geprüft und in seiner von der Kammer beschlossenen endgültigen Fassung in die Verfahrenssprache (wenn dies nicht das Französische ist) übersetzt. In öffentlicher Sitzung verkündet wird ausschließlich der Urteilstenor in der Verfahrenssprache. Noch am selben Tag ist der volle Wortlaut der Entscheidung im Internet verfügbar, ebenso dann schon vorhandene Übersetzungen des Urteils. Grundsätzlich sind alle Urteile der erweiterten Kammern, der Großen Kammer und des Plenums in der Amtlichen Sammlung in allen Sprachen der EU zu veröffentlichen, andere Entscheidungen nur aus besonderen Gründen.

Besondere Regeln gibt es unter anderem für einstweiligen Rechtsschutz (vor dem Präsidenten des EuG) nach Art. 242 f. EG/278 f. AEUV, Prozesskostenhilfe und außerordentliche Rechtsbehelfe zur Urteilsauslegung oder ‑berichtigung. Die ersten Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts für den öffentlichen Dienst haben in zwei Fällen zu einer Aufhebung, meist aber zu Zurückweisungen, davon mehrere wegen offensichtlicher Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit, geführt.

4. Wichtige Entscheidungen des EuG

In einer der wenigen Plenarentscheidungen des EuG hat sich dieses ganz zu Beginn seiner Tätigkeit am 10.7.1990 mit der Einordnung von Gruppenfreistellungen im Gemeinschaftswettbewerbsrecht befasst (Rs. T-51/89 – Tetra Pak/ Kommission, Slg. 1990, II-312, 347). In der Rechtssache British Airways u.a. und British Midland/Kommission (Rs. T- 371/94, T-394/94, Slg. 1998, II-2412) hat das Gericht eine von Konkurrenzflugunternehmen angefochtene Entscheidung der Kommission, mit der diese Beihilfen des französischen Staates zugunsten von Air France gebilligt hatte, (nur) wegen mangelnder Begründung aufgehoben. Mit knapp 1200 Seiten in der Amtlichen Sammlung betrifft das umfangreichste Urteil des EuG in der Rechtssache Cimenteries CBR u.a./Kommission (verb. Rs. T-25/95 u.a., Slg. 2000, II-491) 41 verbundene Verfahren zu einem Kartell betreffend Grau- und Weißzement; das Urteil hat die Bußgeldentscheidung der Kommission gegen neun Unternehmen wegen ihrer nicht bewiesenen Teilnahme an der Kartellabsprache ganz, für die übrigen Unternehmen für bestimmte Teilzeiträume aufgehoben und die Geldbußen dementsprechend herabgesetzt; der EuGH hat diese Entscheidung fast vollständig, nämlich bis auf eine im Verhältnis zum Gesamtumfang der Beträge nicht sehr bedeutsame Herabsetzung der Buße in einem Fall, bestätigt (EuGH Rs. C-204/00 P – Aalborg Portland/ Kommission, Slg. 2004, I-403). Mit drei Urteilen aus dem Jahr 2002 hat das EuG Entscheidungen der Kommission in Fusionssachen für nichtig erklärt: Rs. T-342/99 – Airtours/Kommission, Slg. 2002, II-2585, Rs. T-310/01 – Schneider Electric/ Kommission, Slg. 2002, II-4071, Rs. T-5/02 – Tetra Laval/Kommission, Slg. 2002, II-4381, bestätigt von der Großen Kammer des EuGH (Rs. C 12/03 P – Kommission/Tetra Laval, Slg. 2005, I-987), weil sie den Anforderungen an den eindeutigen Beweis der Begründung oder Verstärkung einer wettbewerbsbehindernden beherrschenden Stellung nicht genügten; die Kommission hat daraufhin ihr Verfahren entsprechend geändert. In der Rechtssache Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat (Rs. T-228/02, Slg. 2006, II-4674) hat das EuG erstmals eine Kontenbeschlagnahme im Rahmen der Terrorismusbekämpfung für nichtig erklärt, weil sie die Verteidigungsrechte der Organisation verletzte. Besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat sich auf das Urteil der Großen Kammer des EuG in der Rechtssache Microsoft (Rs. T-201/04, Slg. 2007, II-3601) gerichtet, mit dem die gegen Microsoft verhängte Geldbuße der Kommission von fast EUR 500,- Mio. wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bestätigt und die Entscheidung nur in bezug auf die Einsetzung eines trustee aufgehoben worden ist.

5. Gericht für den öffentlichen Dienst der EU

Seit der Einsetzung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU Ende 2005 ist das EuG mit Bedienstetensachen der Gemeinschaftsorgane im Wesentlichen nur noch als Rechtsmittelgericht befasst. Das neue Gericht ist mit sieben Richtern besetzt, die der Rat aufgrund eines besonderen Auswahlverfahrens abweichend von den (mitgliedstaatlichen) Verfahren bei der Benennung von Richtern an EuGH und EuG ernannt hat. Ihre Amtszeit beträgt grundsätzlich sechs Jahre; nach drei Jahren hätte eine erste Teilauswechslung für die Hälfte der Richter stattfinden können; tatsächlich wurden die Mandate der betreffenden Richter verlängert. Das Gericht folgte zunächst der entsprechend herangezogenen Verfahrensordnung des EuG, bevor es seine eigene vom 1.11.2007 erarbeitete. Es hat von den 2005 im Wesentlichen vom EuG übernommenen (130) und 2006 bzw. 2007 bei ihm selbst eingegangenen (je rund 150) Sachen in den ersten beiden Jahren insgesamt 87 durch Urteil, zahlreiche weitere durch Beschluss erledigt.

6. Reformtendenzen

Das EuG ist seit Jahren überlastet. Die Einsetzung des Gerichts für den öffentlichen Dienst hat nicht zu einer spürbaren Besserung der Lage geführt. Das EuG war trotz der deutlichen Vermehrung seiner Mitglieder im Jahr 2004 nicht in der Lage, die Anzahl seiner Entscheidungen im entsprechenden Verhältnis zu steigern und so Rückstände abzubauen. Deshalb hat es schon seit Jahren Überlegungen zur Schaffung eines europäischen Markengerichts oder eines speziellen Wettbewerbsgerichts gegeben. Letzteres würde dem EuG einen wesentlichen Teil seiner zentralen Aufgaben nehmen und seine Funktion als allgemeines Eingangsgericht der EU daher stark verändern. Ob die EU-Kommission frühere Vorarbeiten für ein spezielles Markengericht wieder aufgreifen wird, ist zurzeit nicht zu sagen. Das EuG kann daher nur erneut versuchen, seine Arbeitsweise durch weitere Beschleunigung der Verfahren wie durch kürzere Urteile zu verbessern.

Literatur

Richard O. Plender (Hg.), European Courts: Practice and Precedents, 1997; Heinrich Kirschner, Karin Klüpfel, Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, Aufbau, Zuständigkeiten, Verfahren, 2. Aufl. 1998; Joël Rideau, Fabrice Picod, Code des procédures juridictionnelles de l'Union européenne, 2. Aufl. 2002; Jürgen Gündisch, Sigrid Wienhues, Rechtsschutz in der Europäischen Union, Ein Leitfaden für die Praxis, 2. Aufl. 2003; Hans-Werner Rengeling, Andreas Middeke, Martin Gellermann (Hg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003; Koen Lenaerts, Dirk Arts, Ignace Maselis, Robert Bray (Hg.), Procedural Law of the European Union, 2. Aufl. 2006; Matthias Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007; Emmanuel Coulon, Les mutations du Tribunal de première instance sous la présidence de Bo Vesterdorf: la continuité dans le changement, in: Liber Amicorum en l'honneur de Bo Vesterdorf, 2007, 13; Karol P.E. Lasok, Lasok’s European Court Practice and Procedure, 3. Aufl. 2008; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Jahresberichte (zuletzt für 2008, 2009).

Abgerufen von Europäisches Gericht erster Instanz – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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