Vertragsfreiheit und Zustellung: Unterschied zwischen den Seiten

Aus HWB-EuP 2009
(Unterschied zwischen Seiten)
K (1 Version importiert)
 
hwb>Admin
 
Zeile 1: Zeile 1:
von ''[[Hannes Unberath]]''
von ''[[Bettina Heiderhoff]]''
== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Gegenstand und Zweck der Zustellung ==
Privatautonomie ist „die Befugnis, innerhalb der Grenzen des dispositiven Rechts die privaten Angelegenheiten im Wege des Rechtsgeschäfts zu regeln“ (Motive). Die Vertragsfreiheit als zentrales Element der Privatautonomie folgt aus der Funktion des [[Vertrag]]es: Die staatlich sanktionierte Bindung an den Vertrag eröffnet die Möglichkeit der Kooperation durch den Austausch von Leistungen zwischen Fremden. Zu welchen Leistungen und wem gegenüber eine solche Selbstbindung erfolgt, entscheiden die Privatrechtssubjekte. Legte der Staat hingegen die Parteien (Abschlussfreiheit) und mittels zwingenden Rechts (''ius cogens'') den Inhalt des Schuldverhältnisses (Inhaltsfreiheit) fest, würde nicht nur die Vertragsfreiheit aufgehoben, was nach verfassungsrechtlicher Dogmatik der Institutsgarantie der Vertragsfreiheit zuwider liefe, vielmehr könnte schon nicht mehr von einem „Vertrag“ gesprochen werden. Wenn gleichwohl oft zu lesen ist, die Geschichte der Vertragsfreiheit sei die Geschichte ihrer Einschränkung, muss zugleich an ein bekanntes Zitat ''Sir Henry'' ''Maines'' erinnert werden, dass die Entwicklung von primitiven Gesellschaftsformen zum klassischen [[Römisches Recht|römischen Recht]] die Entwicklung ''from status to contract'' war.  
Zustellung meint die förmliche Übersendung eines Schriftstücks an den Empfänger. Alle Mitgliedstaaten kennen die Zustellung als wesentliches Element des gerichtlichen Verfahrens. In vielen Mitgliedstaaten ist die Zustellung auch außerhalb von Gerichtsverfahren erforderlich, wenn rechtlich bedeutsame Schriftstücke zu übermitteln sind. Erwähnt sei hier Portugal, wo die Zustellung durch eine so genannte ''notificação'' auch für viele wichtige privatrechtliche Erklärungen vorgesehen ist.


Strukturelle Normen, die vom Wesen des Vertrages abgeleitet werden können, sind von Eingriffen in die Vertragsfreiheit zu unterscheiden, die vertragsexterne, aus der Rechtsordnung im übrigen gewonnene Maßstäbe an den Vertrag anlegen. Zurechnungsnormen, die die Voraussetzungen formulieren, unter denen Gerichte die Erklärungen der Parteien, insbesondere den Vertragsschluss, als „freiwillig“, also selbstverantwortet bewerten, enthalten die Bedingungen der Möglichkeit eines Vertrages und können daher wiederum nicht selbst vertraglich determiniert werden. Beispiele sind das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit und die Regeln über den Irrtum. Welchen ''Grad'' ''an Selbstverantwortung'' eine Person im Rechtsverkehr aufbringen muss und wie sie näher zu bestimmen ist, berührt die Fundamente der Privatrechtsordnung und ist Gegenstand grundsätzlicher Kontroversen. Zwar erheben die Vertreter der rivalisierenden Schulen wechselseitig den Vorwurf, die jeweils andere Position verkenne die Prämissen der Privatautonomie, gemeinsames Ziel der Theorien ist jedoch Verwirklichung, nicht Aufhebung der Vertragsfreiheit. Keine Schranken sind ferner alle Regeln, die die ''Bindung an den Vertrag'' verwirklichen, etwa die Anordnung von [[Schadensersatz]] bei einer Vertragsverletzung. Die zwangsweise Durchsetzung des aus dem Vertrag erwachsenden subjektiven Rechts ist der Vertragsfreiheit nicht hinderlich, sondern dieser immanent: Das Wesen des Rechtsgeschäfts ist ein sich betätigender Wille des Individuums, den die Rechtsordnung dadurch anerkennt, dass sie die gewollte rechtliche Gestaltung „in der Rechtswelt verwirklicht“ (Motive). Ebenfalls bereits prinzipiell keine externe Einschränkung der Vertragsfreiheit ist die Existenz dispositiven Rechts. Weil Vertragsparteien unter realen Bedingungen ihren Willen stets lückenhaft artikulieren, bedarf es ergänzenden Rechts, das, da es die Intention der Parteien nur vervollständigen aber nicht derogieren soll, ''dispositiv'' sein muss. Idealtypisches Beispiel ist § 269 Abs. 1 BGB.
Es gibt zwei wesentliche unterschiedliche Formen der Zustellung. Die Zustellung kann entweder von Amts wegen, also durch Veranlassung des zuständigen Gerichts erfolgen. Oder sie erfolgt auf Betreiben der Parteien, die z.B. einen Gerichtsvollzieher beauftragen können. Dabei bedienen sich sowohl das Gericht als auch die Parteien unterschiedlicher Instrumente, um den Zugang des Schriftstücks beim Empfänger sicher zu stellen. Häufig werden besondere Formen der Postzustellung verwendet (z.B. Einschreiben mit Rückschein). Häufig werden auch besondere Amtspersonen eingesetzt (z.B. der ''hussier de justice''). Bei der Zustellung in das Ausland müssen demgegenüber besondere Methoden eingesetzt werden, wie die Zustellung im Wege der Amtshilfe durch den Zustellungsstaat oder über die dortigen Vertretungen (konsularische Zustellung).  


Dagegen wird die Vertragsfreiheit aufgrund externer Erwägungen eingeschränkt, wenn Verträgen die Anerkennung versagt wird, die von der Rechtsordnung ''missbilligte'' Zwecke verfolgen, etwa weil sie auf die Begehung einer Straftat gerichtet sind. Die Unwirksamkeit folgt aus dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Einschränkungen der Vertragsfreiheit, mit denen ein Regelungsziel verfolgt wird, das nicht der Verwirklichung der Intention der Parteien und auch nicht der Verhinderung missbilligter Zwecke dient, bedürfen als intensivste Form des externen Eingriffs stets ''besonderer'' Rechtfertigung. Paradigmatisch sind solche Normen, die mittels zwingenden Rechts den Inhalt der Verträge bestimmen, etwa die Höhe des Entgelts festlegen, das Ende von [[Dauerschuldverhältnisse]]n regulieren, oder Bedingungen der Wahl des Vertragspartners formulieren, wie etwa die Regelungen zum Schutz gegen Diskriminierung ([[Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht]]).
Die ordnungsgemäße Zustellung der Dokumente und insbesondere der Klageschrift ist wesentliches Element des rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens. Mit der Zustellung der Klageschrift wird zum einen sichergestellt, dass der Beklagte von dem gegen ihn anhängigen Verfahren erfährt und sich verteidigen kann. Darin liegt eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör seitens des Beklagten, vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6(1) EMRK. Zum anderen ermöglicht die Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) dem Zustellenden den Nachweis, dass der Zustellungsadressat von der Klageschrift Kenntnis hätte nehmen können.  


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 2. Ausgestaltung des Zustellungsrechts in den europäischen Rechtsordnungen ==
=== a) Wirtschaftsordnung ===
=== a) Inlandszustellung ===
Sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen der Ausübung der Vertragsfreiheit als auch hinsichtlich externer Einschränkungen der Vertragsfreiheit hat im Laufe des 20. Jahrhunderts in den meisten westeuropäischen Staaten und in der [[Europäische Union|Europäischen Union]] eine restriktive, die Privatrechtssubjekte zu ihrem Schutz bevormundende Sichtweise (Paternalismus) die Oberhand gewonnen. Dies ist bemerkenswert, weil in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts einerseits die [[europäische Wirtschaftsverfassung]] mit Wettbewerbsrecht und [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] auch und gerade auf europäischer Ebene die faktischen Rahmenbedingungen des Marktes verbessert hat, und andererseits mit dem Ausbau des Sozialstaats die Zahl und Intensität materieller Notlagen, die die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen, faktisch stark gemindert wurde. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa erlebt die Vertragsfreiheit allerdings gegenwärtig wieder eine neue Blütezeit.
Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU kennt die Zustellung durch das Gericht – also von Amts wegen – als regelmäßige Zustellungsform. Dabei schließt aber die Zustellung von Amts wegen häufig den Postweg mit ein. Das Gericht gibt dann selbst die Dokumente zur Post auf (z.B. § 175 ZPO).


Das Wettbewerbsrecht beruht zwar auf materiellen Kriterien, da es danach trachtet, die realen Bedingungen der Vertragsfreiheit im Sinne von realen Auswahlmöglichkeiten zu verbessern und in das Marktgeschehen mit einer Vielzahl von Maßnahmen, insb. zur Verhinderung von Monopolen, einzugreifen, jedoch ist der ordnungspolitische Rahmen des Marktes ohne die Autarkie des darin wirkenden, von privater Initiative getragenen Vertragsrechts sinn- und zwecklos. Die Beschränkung auf die möglichst unverfälschte Durchsetzung des Parteiwillens ist nicht zuletzt auch eine Forderung der ökonomischen Analyse, für die der Vertrag in einer idealen Welt ohne Transaktionskosten und externe Effekte Ausgangs- und Endpunkt effizienter Güterallokation ist.
In einigen Mitgliedstaaten wird die Zustellung auch als Parteizustellung betrieben. Dann erfolgt die Zustellung der Dokumente nicht durch das Gericht (oder eine zuständige Behörde), sondern die Rechtsanwälte bzw. Privatpersonen veranlassen selbst, dass die Dokumente an den Empfänger übermittelt werden. Dies bedeutet nicht, dass die Zustellung formlos wäre. Vielmehr muss dann die zustellende Privatperson die vorgesehenen Zustellungsvorschriften einhalten (vgl. in England etwa ''Part 6 Civil Procedure Rules'').


=== b) Prozedurale und materielle Ansätze ===
Häufig kennt eine Rechtsordnung auch beide Systeme. So gibt es in Deutschland Zustellungsakte, die nur von Amts wegen erfolgen dürfen (§ 166 Abs. 2 ZPO, z.B. die Klageschrift), und solche, die von den Parteien ausgeführt werden. Beispiele für letzteres sind der Anordnungsbeschluss beim Arrest und bei der einstweiligen Verfügung (§§ 922 Abs. 2, 936 ZPO) sowie der Pfändungsbeschluss im Falle der Forderungspfändung (§ 829 Abs. 2 ZPO). In den englischen ''Civil Procedure Rules'' sind die gerichtlichen Dokumente (im Gegensatz zu den Schriftsätzen der Parteien) in der Regel von Amts wegen zuzustellen (Art. 6.3). Einen kurzen Einblick in die Zustellungsvorschriften der Mitgliedstaaten kann man sich auf der von der Kommission geführten Internetseite http://ec.europa.eu/civiljustice/ verschaffen.
Hinsichtlich der Maßstäbe der Verantwortlichkeit bei [[Vertragsschluss]] wird traditionell zwischen prozeduralen und materiellen Theorien unterschieden. Als „prozedural gerecht“ wird dabei ein Vertrag angesehen, wenn die vertragschließende Person grundsätzlich zu rechtsgeschäftlichem Handeln in der Lage ist und keine den Prozess des Vertragsschlusses störenden Faktoren vorgelegen haben. Als solche die Freiwilligkeit ausschließenden Gründe gelten klassischerweise Zwang und [[Irrtum]]. Materielle Ansätze stellen demgegenüber auf den Inhalt des Vertrages ab. Ein Beispiel ist die ''[[Laesio enormis|laesio enormis]]'' des gemeinen Rechts (''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]''), heute etwa § 934 ABGB, wonach eine Unterschreitung des „wahren“ Wertes um die Hälfte als solche bereits zur Unwirksamkeit führen kann. Bei diesem Ansatz wird ein ''iustum pretium'' nicht von den Parteien selbst bestimmt, sondern vom Staat, womit letztlich externe Schranken gesetzt werden. Die vielzitierte These ''Walter'' ''Schmidt-Rimplers'' von der „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrages ist Teil einer materiellen Theorie, die zwar zunächst an prozedurale Elemente anknüpft, den Vertrag als bloßes Ordnungsmittel aber unter den Vorbehalt der externen Kontrolle des Ergebnisses stellt. Nach wohl auch rechtsvergleichend geteiltem heutigem Verständnis bedürfen demgegenüber zwar der Vertrag wie das Eigentum notwendig der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, doch sind deren Regeln wiederum am Ideal der Vertragsfreiheit und damit der Befugnis zur prinzipiell eigenverantwortlichen Gestaltung der Rechtsverhältnisse zu messen.


Die ursprüngliche Position des deutschen und französischen Rechts betont die prozeduralen Maßstäbe, die jedoch gelegentlich mit materiellen Kriterien kombiniert werden. Formal-prozedurale Elemente sind im englischen Recht heute noch dominant. Das [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] sah neben Regeln der [[Geschäftsfähigkeit]] und der Willensmängel [[Drohung]], [[Täuschung]] und [[Irrtum]] keine sonstigen, die Wirksamkeit der Willenserklärung einschränkenden Bedingungen vor (vgl. im französischen Recht ''erreur'', Art. 1110, ''violence'', Art. 1112, ''dol'', Art. 1116 des ''Code civil''). Ein auffälliges Missverhältnis der Leistungen reichte nach § 138 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit nur aus, wenn zudem die Zwangslage oder die Unfähigkeit der benachteiligten Partei „ausgebeutet“ wurden (im Ausgangspunkt die Unwirksamkeit wegen ''lésion'' ablehnend auch das französische Recht, vgl. Art. 1118 ''Code civil'' mit Ausnahmen, etwa Art. 1674 bezüglich Grundstücken). Aufgegeben wurde das Erfordernis eines Willensdefizits auch später nicht, jedoch verlegte die Rechtsprechung den Schwerpunkt auf die materiellen Kriterien, als sie bei „wucherähnlichen“ Rechtsgeschäften dazu überging, bei Vorliegen materiell bestimmter Nachteile prozedurale Mängel zu vermuten (RG 13.3.1936, RGZ 150, 1).  
Da die Zustellung kein reiner Formalakt ist, sondern allein dem Zweck dient, die Kenntnisnahme des Dokuments sicherzustellen, kennen, soweit ersichtlich, alle Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit, Zustellungsfehler zu heilen. Das bedeutet, dass das Verfahren fortgesetzt werden kann, wenn zwar die Zustellung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen formellen Weise erfolgt ist, der tatsächliche Zugang des Dokuments jedoch nachgewiesen werden kann.


Verhältnismäßig früh wurden in Deutschland Regelungen in [[Allgemeine Geschäftsbedingungen|Allgemeinen Geschäftsbedingungen]] inhaltlich überprüft (zunächst auf der Grundlage von § 138 BGB sowie [[Treu und Glauben]] ohne explizite gesetzliche Ermächtigung, nunmehr Klausel-RL<nowiki> [RL&nbsp;93/13], §§&nbsp;305&nbsp;ff. BGB). Obwohl sich die Rechtsprechung dabei vom „Gerechtigkeitsgehalt“ des dispositiven Rechts leiten lässt (BGH 17.2.1964, </nowiki>BGHZ 41,&nbsp;151), beruht der richterliche Eingriff in den Vertrag auf einem im Kern prozeduralen Manko, denn es ist angesichts knapper Verhandlungsressourcen nicht durchweg praktikabel, den Inhalt vorgefertigter Klauseln auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Daneben gab es immer schon extern, gesamtwirtschaftlich motivierte Einschränkungen, etwa den Kontrahierungszwang bei Transportverträgen.
=== b) Auslandszustellungen ===
Wenn internationale Gerichtsverfahren durchgeführt werden, müssen die Schriftstücke häufig im Ausland zugestellt werden. Dabei sind rechtliche und faktische Schwierigkeiten zu überwinden. Rechtlich ist problematisch, dass mit der Zustellung in das Ausland ein Hoheitsakt vorgenommen wird, der zu einem wesentlichen Teil in einem anderen Staat wirkt. Faktisch ist problematisch, dass die wirksame Zustellung an den Empfänger durch sprachliche Schwierigkeiten und unterschiedlich funktionierende Postsysteme oft nicht ohne weiteres möglich ist. Zustellungen in Staaten, mit denen kein Zustellungsübereinkommen besteht, sind von freiwillig gewährter Amtshilfe im Einzelfall abhängig.


=== c) Vertragsparität und sozialer Rechtsstaat ===
Die europäischen Rechtsordnungen kennen unterschiedliche Systeme, um mit dieser Problematik umzugehen. Häufig ist die so genannte fiktive Inlandszustellung anzutreffen, bei der die Zustellung ins Ausland dadurch ersetzt wird, dass das Schriftstück an eine inländische Behörde übergeben wird. Diese setzt den Empfänger dann formlos von der Zustellung in Kenntnis (sog. ''remise au parquet''). Teils wird, wenigstens im laufenden Verfahren, die Bestellung inländischer Zustellungsbevollmächtigter verlangt (so §&nbsp;184 ZPO). Notfalls erfolgt die öffentliche Zustellung, also der bloße Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel.
Für den Strukturwandel seit dem Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts steht also eine andere Entwicklung, die ''Ludwig'' ''Raiser'' schon 1958 mit den Worten zusammenfasst, dass das dem BGB zugrunde liegende Leitbild der „freien selbstverantworteten Persönlichkeit“ nicht „unverändert“ übernommen werden könne. In den siebziger Jahren attestierte sodann ''Ernst A.'' ''Kramer'' liberalem Vertragsdenken eine „Krise“. Diese bereits von zeitgenössischen Kritikern des BGB formulierte Gegenposition zu seinem Prinzip „formal gleicher Freiheit“ (''Joachim'' ''Rückert'') hält vordergründig an der prozeduralen Konzeption des Vertrages fest, bestimmt die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses aber nun nicht mehr allein negativ-„formal“, durch die Abwesenheit von Zwang oder Irrtum, sondern verlangt positiv, dass den Vertragsparteien „reale“ Entscheidungsfreiheit zukommt. Begrifflich kommt dies unter anderem in der Forderung nach „Vertragsparität“ zum Ausdruck (so insb.'' Günther Hönn'', der den Ansatz des BAG 31.10.1969, NJW 1970, 1145,'' ''aufnimmt; in England steht ''Patrick'' ''Atiyah'' für eine ähnliche Analyse; dagegen ist ''Lord Dennings'' Ansatz einer ''inequality of bargaining power'' in ''Lloyd’s Bank Ltd v. Bundy''<nowiki> [1975] 1 QB 326 (CA), isoliert geblieben). Sei die Parität „gestört“, drohe Fremdbestimmung und das Vertragsrecht müsse „kompensierend“ zum Schutz der schwächeren Partei eingreifen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung dürfte mit der sog. „Bürgen-Entscheidung“ des BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, erreicht worden sein, in der das BVerfG die Zivilgerichte nachdrücklich aufforderte, jeden materiell für eine Seite ungewöhnlich nachteiligen Vertrag daraufhin zu überprüfen, „ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist“. Die Kehrseite des wohlmeinenden Schutzes der „schwächeren“ Partei, wie jedes paternalistischen Ansatzes, ist die Übertragung der Verantwortung auf den Staat und die Einschränkung der Fähigkeit des Einzelnen, insofern rechtsgeschäftlich tätig zu sein.</nowiki>


Dass die Fälle, die Anlass dieser Entwicklung waren und die aus emotionaler Verbundenheit übernommene, ruinöse Bürgschaften naher Angehöriger des Hauptschuldners betrafen, mit Hilfe klassisch-prozeduraler Kategorien erfasst werden können, zeigen die Parallelentscheidungen englischer Gerichte (''Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2)''<nowiki> [2001] UKHL 44 (HL)). Auch der auf den Vertragsschluss bezogene Verbraucherschutz ([[Verbraucher und Verbraucherschutz)]]), der den Schutz des „kleinen Mannes“ gegen den „großen Konzern“ auf der Stirn zu tragen scheint (so </nowiki>''Lord Denning ''in'' George Mitchell (Chesterhall) Ltd v. Finney Lock Seeds Ltd''<nowiki> [1983] 2 AC 803 (HL)), kann überwiegend als Reaktion auf klassisch prozedurale Mängel des Vertragsschlusses rationalisiert werden, wenn diese Mechanismen auch mit groben Typisierungen operieren. Paradigmatisch dafür steht der Vertragsschluss in einer Haustürsituation, bei dem angenommen wird, dass der „überrumpelte“ Verbraucher in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt war. Auch die vielfältigen Informationspflichten (etwa über den effektiven Jahreszins eines Darlehens, §&nbsp;492 Abs.&nbsp;5 S.&nbsp;5 Nr.&nbsp;5 BGB) bezwecken einen prozedural einwandfreien Vertragsschluss und sind daher grundsätzlich gleichfalls mit klassischen Zurechnungskriterien vereinbar. </nowiki>
Durch die internationale Zustellung kommt es folglich häufig zu erheblichen Verfahrensverzögerungen und zu Anerkennungsproblemen. Seit dem 31.5.2001 ist das Recht der internationalen Zustellung in der EU durch die Zustellungs-VO (VO&nbsp;1348/2000, mit Wirkung zum 13.11.2008 abgelöst durch die VO&nbsp;1393/2007) vereinheitlicht worden. Seitdem hat die Dauer des Zustellungsverfahrens innerhalb der EU deutlich abgenommen.


Der Übergang von Regelungen des Vertragsrechts, die die Vertragsfreiheit prozedural ausformen, zur Förderung außerhalb des Vertrages liegender Zwecke unter den Schlagworten der Parität und des „Ethos des sozialen Rechtsstaats“ (''Franz'' ''Wieacker'') ist fließend. Die Tendenz, einzelne Vertragstypen mit präsumtiv „unterlegenen“ Vertragspartnern inhaltlich zwingend auszugestalten ([[Zwingendes Recht]]), löst sich bewusst weitgehend vom klassisch-liberalen Vertragsmodell. Die Entwicklung in Deutschland ist typisch auch für andere europäische Länder, insbesondere Frankreich (''dirigisme'', ''Code de la consommation'' von 1992). Praktisch bedeutsam sind die Regelungen des Individualarbeitsrechts sowie des „sozialen“ Mietrechts und einzelne dem Verbraucherschutzrecht zuzuordnende und zwingend ausgestaltete Vertragstypen (Verbrauchsgüterkauf ([[Kauf]]), Verbraucherdarlehen ([[Darlehen]]), Pauschalreise ([[Reisevertrag (Pauschalreisen)]]) usw.). Waren die Einschränkungen im Wohnraummietrecht zunächst jedenfalls noch durch eine Schieflage des Marktes und Wohnraumnot bedingt, so wurde die Regulierung des Arbeitsvertrages in einer Periode relativ großer Nachfrage nach Arbeitnehmern nach Ende des zweiten Weltkrieges intensiviert. Zwingend ausgestaltet sind dabei einzelne Aspekte (etwa der Urlaub des Arbeitsnehmers, die Modernisierung des Wohnraums), restriktiv reguliert ist aber vor allem die Beendigung dieser [[Dauerschuldverhältnisse]] (etwa bezüglich der Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung nach §&nbsp;1 Abs.&nbsp;3 KSchG oder dem Erfordernis der Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung des Vermieters gemäß §&nbsp;573 BGB). Darüber hinaus sind bestimmte Typen der Dienstleistung umfassend reguliert, etwa die Vergütung von ärztlicher Behandlung (u.a. Gebührenordnung für Ärzte) oder Rechtsdienstleistungen (RVG). Schließlich ist der Bereich der sog. „Daseinsvorsorge“, in dem der Staat bestimmte wirtschaftlich relevante Leistungen erbringt und damit ein Monopol in Anspruch nimmt, noch ganz überwiegend reguliert, selbst wenn in bestimmten Bereichen, wie etwa Energie und Telekommunikation, die Privatisierung und mit ihr der Wettbewerb eingesetzt hat. In diesen Bereichen ist regelmäßig ein sog. Kontrahierungszwang (als Einschränkung der Abschlussfreiheit) vorgesehen.  
== 3. Einheitsrecht ==
Die Zustellung ist Gegenstand sowohl europäischer als auch internationaler Regelungen. Dabei ist nicht nur die internationale Zustellung Gegenstand des Einheitsrechts, sondern teilweise auch die nationale Zustellung.


Welche verteilungspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Effekte durch diese flächendeckenden Eingriffe in die Vertragsfreiheit mittels externer Schranken erzielt werden, ist ebenso umstritten, wie die grundsätzliche Frage, ob der Vertrag aus prinzipieller und ökonomischer Sicht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Erzielung distributiver Gerechtigkeit ist. Die Gegenposition fordert dabei nicht notwendig den Abbau des Schutzes des „Schwächeren“, etwa des Arbeitnehmers oder des Mieters, sondern weist diese Aufgabe vielmehr dem Sozialstaat zu. Eine solch strenge Trennung von Privatrecht mit prozeduralem, inhaltlich neutralem Charakter und öffentlichem Recht, dem die Aufgabe zufällt, die faktischen Rahmenbedingungen freier Persönlichkeitsentfaltung zu schaffen, entspricht am ehesten auch der ursprünglichen Konzeption des BGB.
Das wichtigste internationale Übereinkommen ist das Haager Zustellungsübereinkommen vom 15.11.1965 (HZÜ). Es ist in 56 Staaten in Kraft, darunter die USA, Russland und China sowie die meisten EU-Mitgliedstaaten (nicht Österreich). Das HZÜ kennt die Zustellung über eine zentrale Empfangsstelle, welche die Zustellung im Inland für den ausländischen Zustellenden übernimmt, ohne dass eine Legalisation oder ähnliche Formalitäten erforderlich sind (Art.&nbsp;3 HZÜ). Optional ist die Zulassung der Postzustellung vorgesehen (Art.&nbsp;10 HZÜ). Davon haben jedoch nur einige Staaten Gebrauch gemacht. Stets ist auch die konsularische Zustellung möglich. Für Zustellungen innerhalb der EU wird das HZÜ wie andere internationale Übereinkommen durch die einschlägigen EG-Verordnungen verdrängt; es gilt in der EU daher lediglich noch für Zustellungen in Drittstaaten. Gleich mehrere europäische Verordnungen befassen sich mit der Zustellung.


Neben diesen am Marktmechanismus des Vertrages ansetzenden Schutzmechanismen geht eine neuere Tendenz dahin, die Wahl des Vertragspartners sowie die inhaltliche Gestaltung des Vertrages auf ihre Richtigkeit nach einem staatlich vorgebebenen Wertekanon hin zu überprüfen, so insb. im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Geschlechter und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund rassischer oder sonstiger Merkmale ([[Diskriminierungsverbot (allgemein)]]). Verträge sind danach kein Wert an sich selbst, sondern werthaltig, weil die vertraglich verfolgten Ziele anerkennenswert sind (so dezidiert insb. der perfektionistische Liberalismus des ''Joseph'' ''Raz''). Die Kritik hieran stellt nicht die mit dieser Materialisierung des Vertrages verfolgten Ziele als solche in Frage, sondern stellt lediglich die Kompetenz des Staates zur Regelung dieser nach ihrer Auffassung dem Bereich der Tugendlehre zugewiesenen Fragen in Abrede.
Der zentrale Rechtsakt zum innereuropäischen, grenzüberschreitenden Zustellungsrecht ist die Zustellungs-VO. Sie regelt, wie grenzüberschreitende Zustellungen innerhalb der EU erfolgen müssen. Die Vorschriften der Zustellungs-VO gelten dabei ausschließlich, so dass die Mitgliedstaaten daran gehindert sind, neben der Zustellungs-VO noch nationale Zustellungsnormen anzuwenden, wenn eine grenzüberschreitende Zustellung innerhalb der EU erfolgen soll. Daher sind insbesondere die oben (dazu oben 2. b) beschriebenen fiktiven Zustellungsformen heute nicht mehr zulässig. Entsprechend hat z.B. Frankreich seine frühere Praxis aufgegeben, Auslandszustellung in der Form der ''remise au parquet'' als Inlandszustellungen durchzuführen. Darüber hinaus muss bezweifelt werden, ob die Zustellung an inländische Zustellungsbevollmächtigte, wie sie etwa §&nbsp;184 ZPO vorsieht, ohne Einverständnis des Betroffenen noch zulässig ist.


== 3. Europäisches Einheitsrecht ==
Die Besonderheit der Zustellungs-VO besteht darin, dass sie die Direktzustellung durch die Post stärkt. Sie sieht vor, dass die Gerichte Dokumente auf dem Postweg per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg in das Ausland zustellen dürfen (Art.&nbsp;14 Zustellungs-VO). Die Mitgliedstaaten können, anders als nach dem HZÜ, die Postzustellung nicht mehr insgesamt ausschließen. Die Zustellung im Parteibetrieb (Direktzustellung, Art.&nbsp;15 Zustellungs-VO) ist nur dann erlaubt, wenn der Empfangsmitgliedstaat diese akzeptiert. Weiteres wesentliches Merkmal einer wirksamen Zustellung ist die Übersetzung. Wird ein Dokument ohne Übersetzung übersendet und versteht der Empfänger es nicht, so darf er das Dokument zurückweisen (Art.&nbsp;8 Zustellungs-VO). Allerdings ist bei der Neufassung der Zustellungs-VO in Art.&nbsp;8 Zustellungs-VO die Regelung eingefügt worden, dass in diesem Fall eine Übersetzung auch noch nachgesendet werden kann, und so die Wirksamkeit des ersten Zustellungsversuchs in Hinsicht auf zum Absender zu wahrende Fristen gesichert werden kann (so auch schon EuGH Rs.&nbsp;C-443/03 – ''Leffler'', Slg. 2005, I-9611). Der EuGH hat außerdem erklärt, dass nicht alle Anlagen mit übersetzt werden müssen. Es kommt nur darauf an, dass der Empfänger auf der Basis der übersetzten Teile seine Rechte geltend machen kann (EuGH Rs.&nbsp;C-14/07 – ''Weiss'','' ''Slg. 2008, I-3367).
Die Reichweite der Vertragsfreiheit wird in den [[Principles of European Contract Law|PECL]] einerseits und dem [[Common Frame of Reference|DCFR]] andererseits unterschiedlich interpretiert. Hauptgrund dafür ist das Bestreben des DCFR, nach entsprechender Vorarbeit der sog. ''Acquis-''Gruppe, dem Regelungsansatz des Europäischen Sekundärrechts Rechnung zu tragen, der eine verbraucherschützende Tendenz aufweist. Weil zwingendes Recht im Lichte der Privatautonomie als Anomalie erscheint, ist das Unternehmen, die Vertragsprinzipien dem gegenwärtigen ''acquis communautaire'' durch Induktion zu entnehmen, auf Widerspruch gestoßen.


Die PECL (insoweit ähnlich die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]]) gehen nicht auf externe Schranken (Rechtswidrigkeit, Sittenwidrigkeit) der Vertragsfreiheit ein, bei denen die nationalen Traditionen stark divergieren. Insgesamt beschränken sich die Grundregeln auf die Kernelemente des Vertragsrechts und lassen weitgehend offen, welche der vorgesehenen Regeln überhaupt zwingenden Charakter aufweisen, der somit lediglich aus der Natur der Regelung geschlossen werden kann. Kap.&nbsp;4 regelt detailliert den Irrtum, die Täuschung und Drohung, das Ausnutzen eines Willensdefizites sowie die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Weitergehende Anforderungen an „reale“ Vertragsparität enthalten die Grundregeln nicht; insbesondere wird die Problematik der „Bürgen-Entscheidung“ mit Hilfe prozeduraler Mittel gelöst (unter Hinweis auf das Ausnutzen der Zwangslage oder Unerfahrenheit des Bürgen). Kap.&nbsp;8 und 9 beschreiben die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Vertrages.
Neben der Zustellung auf dem Postweg ist in jedem Fall auch die Zustellung über Übermittlungs- und Empfangsstellen möglich (Art.&nbsp;4 Zustellungs-VO). Bei dieser Form der Zustellung wird das Dokument von einer mit dieser Aufgabe betrauten inländischen Übermittlungsstelle an eine ebenfalls speziell hierzu eingesetzte Empfangsstelle im Empfangsmitgliedstaat gesendet. Die Empfangsstelle kümmert sich um die Zustellung an den Empfänger. Diese kann förmlich erfolgen (etwa mit Postzustellungsurkunde oder durch den Gerichtsvollzieher) oder, soweit die Übermittlungsstelle dies nicht ausschließt, auch per Einschreiben auf dem Postweg durchgeführt werden. Gegenüber dem HZÜ besteht dabei die geringfügige Abweichung, dass die Übermittlungs- und Empfangsstellen möglichst dezentralisiert sein sollen. Auch sind einheitliche Formulare zu verwenden, die die Verständigung einfacher und schneller machen. Die EuGVO (VO&nbsp;44/2001) und die Brüssel&nbsp;IIa-VO (VO&nbsp;2201/ 2003) enthalten zum einen Regelungen für die Anerkennung von Entscheidungen in dem Fall, dass die Zustellung bestimmten Anforderungen nicht genügt. Nach Art.&nbsp;34 Nr.&nbsp;2 EuGVO (Art.&nbsp;22 (b) Brüssel&nbsp;IIa-VO) kann ein Urteil nicht anerkannt werden, wenn der Beklagte, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, die Klage nicht so früh und in solcher Weise zugestellt bekommen hat, dass er sich gegen sie verteidigen konnte. Dabei wird eine Zustellung, die den Regeln der Zustellungs-VO folgt, immer ausreichend sein. Umgekehrt muss die Anerkennung dann scheitern, wenn in grobem Maße gegen die Zustellungs-VO verstoßen wurde – etwa bei Übersendung eines einfachen Briefs.


<nowiki>Der DCFR nimmt die in den PECL enthaltenen strukturellen Normen des Vertragsrechts weitgehend unverändert auf, ergänzt diese jedoch in wesentlicher Hinsicht. So wird etwa hinsichtlich der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Regelungsansatz der Grundregeln fortgeführt und die im Sekundärrecht vorgesehene Beschränkung auf den Verbraucherschutz aufgegeben, andererseits aber auch die Klausel-RL berücksichtigt und eine Liste regelmäßig unzulässiger Klauseln vorgeschlagen (Art.&nbsp;II.-9:411). Der DCFR greift zudem die den Vertragsschluss betreffenden, prozedural erklärbaren und aus dem Sekundärrecht (wie etwa der Haustürwiderrufs-RL [RL&nbsp;85/577] </nowiki>) stammenden Mechanismen des Verbraucherschutzes auf (insb. [[Informationspflichten (Verbrauchervertrag)|Informationspflichten]], z.B. Art.&nbsp;II.-3:102, und [[Widerrufsrecht]]e, z.B. Art.&nbsp;II.-5:201). Hinsichtlich externer Schranken wird zum einen erstmals normiert, dass von der Rechtsordnung der EU oder der Mitgliedstaaten missbilligte Zwecke nicht Gegenstand eines Vertrages sein können (Art.&nbsp;II.-7:401). Des Weiteren werden die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt (Art.&nbsp;II.-2:101 ff.). In den Bereichen, in denen der DCFR auf Europäischer Ebene erstmals systematisch die besonderen Vertragsverhältnisse regelt, nimmt er die gleiche die Vertragsfreiheit einschränkende Haltung wie das Sekundärrecht ein. So wird etwa in Art.&nbsp;IV.A.-4:102 der zwingende Charakter der Regelung der Rechtsbehelfe bei Schlechtleistung, wie sie die Verbrauchsgüterkauf-RL (RL&nbsp;1999/44) vorsieht, repliziert und sogar noch auf den Schadensersatz ausgedehnt. Aber auch in Bereichen, in denen das Sekundärrecht keine zwingende Regelung kennt, bevorzugt der DCFR diese wiederholt (z.B. Art.&nbsp;IV.C.-8:103). Der DCFR spiegelt damit die restriktive Tendenz des Sekundärrechts wider, die in der Rechtsprechung des EuGH meist noch verstärkt wird.
Zum anderen findet sich in Art.&nbsp;43(5) EuGVO eine Regelung über die Zustellung im Rahmen der Vollstreckbarerklärung. Diese Vorschrift hat sich als problematisch erwiesen, weil sie, anders als das nationale Recht, Heilungsmöglichkeiten nicht vorsieht und der EuGH auf ihrer strikten Einhaltung besteht (EuGH Rs.&nbsp;C-3/05 – ''Verdoliva'', Slg. 2006, I-1579).


Das Europarecht hat jedoch seit seinen Anfängen insgesamt überwiegend deregulierend gewirkt, weil der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] früh dazu übergegangen war, nationale Beschränkungen des Handels mit Waren und Dienstleistungen, des Kapitalverkehrs und der Freizügigkeit unmittelbar an den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] des [[EG-Vertrag]]es zu messen. Externe Schranken der Vertragsfreiheit bedürfen somit, sofern sie den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr signifikant beeinflussen, der Rechtfertigung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es sind damit zwei gegenläufige Effekte innerhalb des europäischen Rechts zu beobachten: einerseits Restriktion und paternalistischer Verbraucherschutz durch Rechtsakte der EG, andererseits das Leitprinzip freien Handels, sofern es um nationale Beschränkungen der Ausübung der Vertragsfreiheit geht.
Die EuVTVO (VO&nbsp;805/2004) und EuMahnVO (VO&nbsp;1896/2006) enthalten gewisse Mindestvorschriften, die erfüllt sein müssen, um den jeweils angestrebten Titel (den europäischen Vollstreckungstitel bzw. den europäischen Zahlungsbefehl) erhalten zu können. Sie gelten nicht nur für internationale Zustellungen, sondern generell. Ist für den Erhalt eines europäischen Titels oder Zahlungsbefehls eine internationale Zustellung erforderlich, so muss diese nach den Vorgaben der Zustellungs-VO durchgeführt werden. Zustellungs-VO und EuVTVO bzw. EuMahnVO gelten dann kumulativ.
 
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es umstritten und in den europäischen Verordnungen nicht ausdrücklich geklärt ist, ob auch bei einer internationalen Zustellung, die nach der Zustellungs-VO erfolgt, eine Heilung von Zustellungsmängeln, wie sie die nationalen Rechtsordnungen kennen, (dazu oben 2.a) denkbar ist. Dieser Streit ist vielschichtig und von erheblicher Bedeutung. Ist die Klageschrift nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so wird er im Rahmen des Art.&nbsp;34 Nr.&nbsp;2 EuGVO ausgetragen. Dem Wortlaut dieser Norm nach kommt es für die Anerkennung nicht auf die Einhaltung von Formvorschriften an. Wie bereits angesprochen, wird davon ausgegangen, dass wenigstens kleinere Formverstöße für die Anerkennung unschädlich sind.
 
Sind andere Dokumente nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so hilft Art.&nbsp;34 Nr.&nbsp;2 EuGVO nicht. Weitere Regelungen im Gemeinschaftsrecht bestehen nicht. Insbesondere kann Art.&nbsp;19 EuGVO insofern keine Vorgabe entnommen werden. Die Rechtsprechung des EuGH ist ausgesprochen zwiespältig. Es erscheint richtig, bei der Frage der Heilung vom Zweck der Zustellung und der Zustellungsvorschriften auszugehen. Dann gelangt man zu dem Ergebnis, dass ein Mangel bei der Einhaltung der Form geheilt werden kann, wenn die Zustellung nachgewiesen ist. Anders sollte es nur dann sein, wenn die Zustellungsvorschriften mutwillig verletzt worden sind.
 
== 4. Ausblick ==
Die Zustellung ins Ausland ist weiterhin als ein zeitraubender und problematischer Teil internationaler Gerichtsverfahren anzusehen. Jedoch ist die weitere Vereinfachung der internationalen Zustellung auf rechtlicher Ebene nicht zu bewerkstelligen. Die Probleme sind faktischer Art. Zentral sind die unterschiedlichen Sprachen sowie die unterschiedlichen Postzustellungssysteme.


== Literatur==
== Literatur==
''Walter Eucken'', Grundsätze der Wirtschaftpolitik, 2.&nbsp;Aufl. 1959, 276&nbsp;ff.; ''Franz Wieacker'', Das Bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages, 1960, 1&nbsp;ff.; ''Arthur T. von Mehren'', A General View of Contract, in: IECL VII/1, Kap.&nbsp;1-64&nbsp;ff, 1980; ''Patrick S.'' ''Atiyah'', The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1985; ''Wolfram Höfling'', Vertragsfreiheit, 1991; ''Werner Flume'', Das Rechtsgeschäft, 4.&nbsp;Aufl. 1992, 6&nbsp;ff.; ''Michael J. Treblicock'', The Limits of Freedom of Contract, 1993; ''Joachim Rückert'', Vor&nbsp;§&nbsp;1, Rn.&nbsp;43&nbsp;ff., 72&nbsp;ff., in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;I, 2003;'' François Terré'','' Philippe Simler'','' Yves Lequette'', Les obligations, 9.&nbsp;Aufl. 2005, 37&nbsp;ff., 379&nbsp;ff.; ''Nils Jansen'','' Reinhard Zimmermann'', Grundregeln des bestehenden Gemeinschaftsprivatrechts?, Juristenzeitung 2007, 1113&nbsp;ff.
''Jörg Kondring'', Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; ''Núria Marchal Escalona'', El nuevo régimen de la notificación en el espacio judicial europeo, 2002; ''Joaquim-J. Forner Delaygua'', European Service Regulation: recent developments, International Company and Commercial Law Review 2006, 166&nbsp;ff.; Manlio Frigo, Luigi Fumagalli, L’assistenza giudiziaria internazionale in materia civile, 2003, 25&nbsp;ff.'' Bettina Heiderhoff'', EG-ZustellVO, in: Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. 2, 2.&nbsp;Aufl. 2006; ''Rainer Hausmann'', Problems of interpretation regarding the European Regulation on service, European Legal Forum 2007, 1/2, 8&nbsp;ff.; ''Martin Heckel'', Vom stillen Ende der Remise au Parquet in Europa, Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 330&nbsp;ff; ''idem'', Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug: Rückwirkungen des europäischen Zustellungsrechts auf das nationale Recht, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2008, 218&nbsp;ff.; ''Pietro Franzina'', Translation requirements under the EC Service Regulation, The Weiss and Partner Decision of the ECJ, Yearbook of Private International Law 10 (2008) 565&nbsp;ff.; http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/ sowie http://ec.europa.eu/civiljustice/ (zuletzt abgerufen am 12.5.2009).


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]

Version vom 16. September 2016, 12:02 Uhr

von Bettina Heiderhoff

1. Gegenstand und Zweck der Zustellung

Zustellung meint die förmliche Übersendung eines Schriftstücks an den Empfänger. Alle Mitgliedstaaten kennen die Zustellung als wesentliches Element des gerichtlichen Verfahrens. In vielen Mitgliedstaaten ist die Zustellung auch außerhalb von Gerichtsverfahren erforderlich, wenn rechtlich bedeutsame Schriftstücke zu übermitteln sind. Erwähnt sei hier Portugal, wo die Zustellung durch eine so genannte notificação auch für viele wichtige privatrechtliche Erklärungen vorgesehen ist.

Es gibt zwei wesentliche unterschiedliche Formen der Zustellung. Die Zustellung kann entweder von Amts wegen, also durch Veranlassung des zuständigen Gerichts erfolgen. Oder sie erfolgt auf Betreiben der Parteien, die z.B. einen Gerichtsvollzieher beauftragen können. Dabei bedienen sich sowohl das Gericht als auch die Parteien unterschiedlicher Instrumente, um den Zugang des Schriftstücks beim Empfänger sicher zu stellen. Häufig werden besondere Formen der Postzustellung verwendet (z.B. Einschreiben mit Rückschein). Häufig werden auch besondere Amtspersonen eingesetzt (z.B. der hussier de justice). Bei der Zustellung in das Ausland müssen demgegenüber besondere Methoden eingesetzt werden, wie die Zustellung im Wege der Amtshilfe durch den Zustellungsstaat oder über die dortigen Vertretungen (konsularische Zustellung).

Die ordnungsgemäße Zustellung der Dokumente und insbesondere der Klageschrift ist wesentliches Element des rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens. Mit der Zustellung der Klageschrift wird zum einen sichergestellt, dass der Beklagte von dem gegen ihn anhängigen Verfahren erfährt und sich verteidigen kann. Darin liegt eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör seitens des Beklagten, vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6(1) EMRK. Zum anderen ermöglicht die Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) dem Zustellenden den Nachweis, dass der Zustellungsadressat von der Klageschrift Kenntnis hätte nehmen können.

2. Ausgestaltung des Zustellungsrechts in den europäischen Rechtsordnungen

a) Inlandszustellung

Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU kennt die Zustellung durch das Gericht – also von Amts wegen – als regelmäßige Zustellungsform. Dabei schließt aber die Zustellung von Amts wegen häufig den Postweg mit ein. Das Gericht gibt dann selbst die Dokumente zur Post auf (z.B. § 175 ZPO).

In einigen Mitgliedstaaten wird die Zustellung auch als Parteizustellung betrieben. Dann erfolgt die Zustellung der Dokumente nicht durch das Gericht (oder eine zuständige Behörde), sondern die Rechtsanwälte bzw. Privatpersonen veranlassen selbst, dass die Dokumente an den Empfänger übermittelt werden. Dies bedeutet nicht, dass die Zustellung formlos wäre. Vielmehr muss dann die zustellende Privatperson die vorgesehenen Zustellungsvorschriften einhalten (vgl. in England etwa Part 6 Civil Procedure Rules).

Häufig kennt eine Rechtsordnung auch beide Systeme. So gibt es in Deutschland Zustellungsakte, die nur von Amts wegen erfolgen dürfen (§ 166 Abs. 2 ZPO, z.B. die Klageschrift), und solche, die von den Parteien ausgeführt werden. Beispiele für letzteres sind der Anordnungsbeschluss beim Arrest und bei der einstweiligen Verfügung (§§ 922 Abs. 2, 936 ZPO) sowie der Pfändungsbeschluss im Falle der Forderungspfändung (§ 829 Abs. 2 ZPO). In den englischen Civil Procedure Rules sind die gerichtlichen Dokumente (im Gegensatz zu den Schriftsätzen der Parteien) in der Regel von Amts wegen zuzustellen (Art. 6.3). Einen kurzen Einblick in die Zustellungsvorschriften der Mitgliedstaaten kann man sich auf der von der Kommission geführten Internetseite http://ec.europa.eu/civiljustice/ verschaffen.

Da die Zustellung kein reiner Formalakt ist, sondern allein dem Zweck dient, die Kenntnisnahme des Dokuments sicherzustellen, kennen, soweit ersichtlich, alle Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit, Zustellungsfehler zu heilen. Das bedeutet, dass das Verfahren fortgesetzt werden kann, wenn zwar die Zustellung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen formellen Weise erfolgt ist, der tatsächliche Zugang des Dokuments jedoch nachgewiesen werden kann.

b) Auslandszustellungen

Wenn internationale Gerichtsverfahren durchgeführt werden, müssen die Schriftstücke häufig im Ausland zugestellt werden. Dabei sind rechtliche und faktische Schwierigkeiten zu überwinden. Rechtlich ist problematisch, dass mit der Zustellung in das Ausland ein Hoheitsakt vorgenommen wird, der zu einem wesentlichen Teil in einem anderen Staat wirkt. Faktisch ist problematisch, dass die wirksame Zustellung an den Empfänger durch sprachliche Schwierigkeiten und unterschiedlich funktionierende Postsysteme oft nicht ohne weiteres möglich ist. Zustellungen in Staaten, mit denen kein Zustellungsübereinkommen besteht, sind von freiwillig gewährter Amtshilfe im Einzelfall abhängig.

Die europäischen Rechtsordnungen kennen unterschiedliche Systeme, um mit dieser Problematik umzugehen. Häufig ist die so genannte fiktive Inlandszustellung anzutreffen, bei der die Zustellung ins Ausland dadurch ersetzt wird, dass das Schriftstück an eine inländische Behörde übergeben wird. Diese setzt den Empfänger dann formlos von der Zustellung in Kenntnis (sog. remise au parquet). Teils wird, wenigstens im laufenden Verfahren, die Bestellung inländischer Zustellungsbevollmächtigter verlangt (so § 184 ZPO). Notfalls erfolgt die öffentliche Zustellung, also der bloße Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel.

Durch die internationale Zustellung kommt es folglich häufig zu erheblichen Verfahrensverzögerungen und zu Anerkennungsproblemen. Seit dem 31.5.2001 ist das Recht der internationalen Zustellung in der EU durch die Zustellungs-VO (VO 1348/2000, mit Wirkung zum 13.11.2008 abgelöst durch die VO 1393/2007) vereinheitlicht worden. Seitdem hat die Dauer des Zustellungsverfahrens innerhalb der EU deutlich abgenommen.

3. Einheitsrecht

Die Zustellung ist Gegenstand sowohl europäischer als auch internationaler Regelungen. Dabei ist nicht nur die internationale Zustellung Gegenstand des Einheitsrechts, sondern teilweise auch die nationale Zustellung.

Das wichtigste internationale Übereinkommen ist das Haager Zustellungsübereinkommen vom 15.11.1965 (HZÜ). Es ist in 56 Staaten in Kraft, darunter die USA, Russland und China sowie die meisten EU-Mitgliedstaaten (nicht Österreich). Das HZÜ kennt die Zustellung über eine zentrale Empfangsstelle, welche die Zustellung im Inland für den ausländischen Zustellenden übernimmt, ohne dass eine Legalisation oder ähnliche Formalitäten erforderlich sind (Art. 3 HZÜ). Optional ist die Zulassung der Postzustellung vorgesehen (Art. 10 HZÜ). Davon haben jedoch nur einige Staaten Gebrauch gemacht. Stets ist auch die konsularische Zustellung möglich. Für Zustellungen innerhalb der EU wird das HZÜ wie andere internationale Übereinkommen durch die einschlägigen EG-Verordnungen verdrängt; es gilt in der EU daher lediglich noch für Zustellungen in Drittstaaten. Gleich mehrere europäische Verordnungen befassen sich mit der Zustellung.

Der zentrale Rechtsakt zum innereuropäischen, grenzüberschreitenden Zustellungsrecht ist die Zustellungs-VO. Sie regelt, wie grenzüberschreitende Zustellungen innerhalb der EU erfolgen müssen. Die Vorschriften der Zustellungs-VO gelten dabei ausschließlich, so dass die Mitgliedstaaten daran gehindert sind, neben der Zustellungs-VO noch nationale Zustellungsnormen anzuwenden, wenn eine grenzüberschreitende Zustellung innerhalb der EU erfolgen soll. Daher sind insbesondere die oben (dazu oben 2. b) beschriebenen fiktiven Zustellungsformen heute nicht mehr zulässig. Entsprechend hat z.B. Frankreich seine frühere Praxis aufgegeben, Auslandszustellung in der Form der remise au parquet als Inlandszustellungen durchzuführen. Darüber hinaus muss bezweifelt werden, ob die Zustellung an inländische Zustellungsbevollmächtigte, wie sie etwa § 184 ZPO vorsieht, ohne Einverständnis des Betroffenen noch zulässig ist.

Die Besonderheit der Zustellungs-VO besteht darin, dass sie die Direktzustellung durch die Post stärkt. Sie sieht vor, dass die Gerichte Dokumente auf dem Postweg per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg in das Ausland zustellen dürfen (Art. 14 Zustellungs-VO). Die Mitgliedstaaten können, anders als nach dem HZÜ, die Postzustellung nicht mehr insgesamt ausschließen. Die Zustellung im Parteibetrieb (Direktzustellung, Art. 15 Zustellungs-VO) ist nur dann erlaubt, wenn der Empfangsmitgliedstaat diese akzeptiert. Weiteres wesentliches Merkmal einer wirksamen Zustellung ist die Übersetzung. Wird ein Dokument ohne Übersetzung übersendet und versteht der Empfänger es nicht, so darf er das Dokument zurückweisen (Art. 8 Zustellungs-VO). Allerdings ist bei der Neufassung der Zustellungs-VO in Art. 8 Zustellungs-VO die Regelung eingefügt worden, dass in diesem Fall eine Übersetzung auch noch nachgesendet werden kann, und so die Wirksamkeit des ersten Zustellungsversuchs in Hinsicht auf zum Absender zu wahrende Fristen gesichert werden kann (so auch schon EuGH Rs. C-443/03 – Leffler, Slg. 2005, I-9611). Der EuGH hat außerdem erklärt, dass nicht alle Anlagen mit übersetzt werden müssen. Es kommt nur darauf an, dass der Empfänger auf der Basis der übersetzten Teile seine Rechte geltend machen kann (EuGH Rs. C-14/07 – Weiss, Slg. 2008, I-3367).

Neben der Zustellung auf dem Postweg ist in jedem Fall auch die Zustellung über Übermittlungs- und Empfangsstellen möglich (Art. 4 Zustellungs-VO). Bei dieser Form der Zustellung wird das Dokument von einer mit dieser Aufgabe betrauten inländischen Übermittlungsstelle an eine ebenfalls speziell hierzu eingesetzte Empfangsstelle im Empfangsmitgliedstaat gesendet. Die Empfangsstelle kümmert sich um die Zustellung an den Empfänger. Diese kann förmlich erfolgen (etwa mit Postzustellungsurkunde oder durch den Gerichtsvollzieher) oder, soweit die Übermittlungsstelle dies nicht ausschließt, auch per Einschreiben auf dem Postweg durchgeführt werden. Gegenüber dem HZÜ besteht dabei die geringfügige Abweichung, dass die Übermittlungs- und Empfangsstellen möglichst dezentralisiert sein sollen. Auch sind einheitliche Formulare zu verwenden, die die Verständigung einfacher und schneller machen. Die EuGVO (VO 44/2001) und die Brüssel IIa-VO (VO 2201/ 2003) enthalten zum einen Regelungen für die Anerkennung von Entscheidungen in dem Fall, dass die Zustellung bestimmten Anforderungen nicht genügt. Nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO (Art. 22 (b) Brüssel IIa-VO) kann ein Urteil nicht anerkannt werden, wenn der Beklagte, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, die Klage nicht so früh und in solcher Weise zugestellt bekommen hat, dass er sich gegen sie verteidigen konnte. Dabei wird eine Zustellung, die den Regeln der Zustellungs-VO folgt, immer ausreichend sein. Umgekehrt muss die Anerkennung dann scheitern, wenn in grobem Maße gegen die Zustellungs-VO verstoßen wurde – etwa bei Übersendung eines einfachen Briefs.

Zum anderen findet sich in Art. 43(5) EuGVO eine Regelung über die Zustellung im Rahmen der Vollstreckbarerklärung. Diese Vorschrift hat sich als problematisch erwiesen, weil sie, anders als das nationale Recht, Heilungsmöglichkeiten nicht vorsieht und der EuGH auf ihrer strikten Einhaltung besteht (EuGH Rs. C-3/05 – Verdoliva, Slg. 2006, I-1579).

Die EuVTVO (VO 805/2004) und EuMahnVO (VO 1896/2006) enthalten gewisse Mindestvorschriften, die erfüllt sein müssen, um den jeweils angestrebten Titel (den europäischen Vollstreckungstitel bzw. den europäischen Zahlungsbefehl) erhalten zu können. Sie gelten nicht nur für internationale Zustellungen, sondern generell. Ist für den Erhalt eines europäischen Titels oder Zahlungsbefehls eine internationale Zustellung erforderlich, so muss diese nach den Vorgaben der Zustellungs-VO durchgeführt werden. Zustellungs-VO und EuVTVO bzw. EuMahnVO gelten dann kumulativ.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es umstritten und in den europäischen Verordnungen nicht ausdrücklich geklärt ist, ob auch bei einer internationalen Zustellung, die nach der Zustellungs-VO erfolgt, eine Heilung von Zustellungsmängeln, wie sie die nationalen Rechtsordnungen kennen, (dazu oben 2.a) denkbar ist. Dieser Streit ist vielschichtig und von erheblicher Bedeutung. Ist die Klageschrift nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so wird er im Rahmen des Art. 34 Nr. 2 EuGVO ausgetragen. Dem Wortlaut dieser Norm nach kommt es für die Anerkennung nicht auf die Einhaltung von Formvorschriften an. Wie bereits angesprochen, wird davon ausgegangen, dass wenigstens kleinere Formverstöße für die Anerkennung unschädlich sind.

Sind andere Dokumente nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so hilft Art. 34 Nr. 2 EuGVO nicht. Weitere Regelungen im Gemeinschaftsrecht bestehen nicht. Insbesondere kann Art. 19 EuGVO insofern keine Vorgabe entnommen werden. Die Rechtsprechung des EuGH ist ausgesprochen zwiespältig. Es erscheint richtig, bei der Frage der Heilung vom Zweck der Zustellung und der Zustellungsvorschriften auszugehen. Dann gelangt man zu dem Ergebnis, dass ein Mangel bei der Einhaltung der Form geheilt werden kann, wenn die Zustellung nachgewiesen ist. Anders sollte es nur dann sein, wenn die Zustellungsvorschriften mutwillig verletzt worden sind.

4. Ausblick

Die Zustellung ins Ausland ist weiterhin als ein zeitraubender und problematischer Teil internationaler Gerichtsverfahren anzusehen. Jedoch ist die weitere Vereinfachung der internationalen Zustellung auf rechtlicher Ebene nicht zu bewerkstelligen. Die Probleme sind faktischer Art. Zentral sind die unterschiedlichen Sprachen sowie die unterschiedlichen Postzustellungssysteme.

Literatur

Jörg Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; Núria Marchal Escalona, El nuevo régimen de la notificación en el espacio judicial europeo, 2002; Joaquim-J. Forner Delaygua, European Service Regulation: recent developments, International Company and Commercial Law Review 2006, 166 ff.; Manlio Frigo, Luigi Fumagalli, L’assistenza giudiziaria internazionale in materia civile, 2003, 25 ff. Bettina Heiderhoff, EG-ZustellVO, in: Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 2006; Rainer Hausmann, Problems of interpretation regarding the European Regulation on service, European Legal Forum 2007, 1/2, 8 ff.; Martin Heckel, Vom stillen Ende der Remise au Parquet in Europa, Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 330 ff; idem, Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug: Rückwirkungen des europäischen Zustellungsrechts auf das nationale Recht, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2008, 218 ff.; Pietro Franzina, Translation requirements under the EC Service Regulation, The Weiss and Partner Decision of the ECJ, Yearbook of Private International Law 10 (2008) 565 ff.; http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/ sowie http://ec.europa.eu/civiljustice/ (zuletzt abgerufen am 12.5.2009).

Abgerufen von Vertragsfreiheit – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).