Vertragsaufhebung und Zuständigkeit, internationale: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Peter Huber]]''
von ''[[Martin Illmer]]''
== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Begriff, Gegenstand und Funktion ==
=== a) Bestimmung des Begriffs ===
Die internationale Zuständigkeit betrifft die Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staates in ihrer Gesamtheit. Dabei spricht man von direkter Zuständigkeit (''direct jurisdiction'','' compétence directe'') im Hinblick auf die Zuständigkeit zur Entscheidung, von indirekter Zuständigkeit (''indirect jurisdiction'','' compétence indirecte'') im Hinblick auf die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts im Rahmen der [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen]].
Unter Vertragsaufhebung im Sinne des europäischen Vertragsrechts versteht man die einseitige Abstandnahme einer Partei von einem Vertrag wegen [[Nichterfüllung]] einer Vertragspflicht. Das Funktionsäquivalent hierzu ist in Deutschland der gesetzliche Rücktritt, in Frankreich die ''résolution'', in England die ''termination''. Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien von ihren Rechten und Pflichten für die Zukunft (so der Rücktritt im [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]]) oder mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (so die ''résolution'' im französischen ''[[Code civil]]''). Falls eine Partei bereits geleistet hat, kann die Vertragsaufhebung zur [[Rückabwicklung von Verträgen|Rückabwicklung des Vertrages]] führen. Voraussetzung der Vertragsaufhebung ist im europäischen Vertragsrecht die Nichterfüllung einer Vertragspflicht durch die andere Partei. Nicht darunter fällt deshalb die Anfechtung des Vertrages aufgrund eines [[Irrtum]]s, einer [[Täuschung]] oder einer [[Drohung]]. Ebensowenig erfasst der technische Begriff der Vertragsaufhebung die einverständliche Auflösung des Vertrages durch die Parteien.


=== b) Funktion ===
Die internationale Zuständigkeit wird von der [[Gerichtsbarkeit]] international uneinheitlich abgegrenzt. In Deutschland und Frankreich etwa werden internationale Zuständigkeit bzw. ''compétence internationale'' und Gerichtsbarkeit bzw. ''jurisdiction'' begrifflich unterschieden und als selbständige Prozessvoraussetzungen angesehen. Das englische ''[[common law]]'' trennt zumindest begrifflich nicht. Die ''jurisdiction'' des Gerichts umfasst die Gerichtsbarkeit wie auch die internationale Zuständigkeit und betrifft damit die generelle Befugnis des angerufenen Gerichts zur Entscheidung. Der Sache nach unterscheiden jedoch die meisten Rechtsordnungen zwischen der Gerichtsbarkeit als völkerrechtlichem Gesichtspunkt der staatlichen Gerichtsgewalt (''facultas iurisdictionis''), welche grundsätzlich dem Territorialitätsprinzip folgt, und der internationalen Zuständigkeit.
Zweck der Vertragsaufhebung ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der benachteiligten Partei an einer effektiven Sanktion für die Nichterfüllung und den Interessen der Rechtsordnung und der vertragsbrüchigen Partei an der Aufrechterhaltung des Vertrages zu finden.


Einerseits kann die benachteiligte Partei infolge der Vertragsverletzung ein Interesse an der Vertragsaufhebung haben. Auf der anderen Seite beschränken grundsätzlich alle Rechtsordnungen die Vertragsaufhebung auf Vertragsverletzungen, die ein bestimmtes Gewicht haben. Ein Grund dafür liegt in der Überlegung, dass die Aufhebung des Vertrages dem allgemeinen Grundsatz ''pacta sunt servanda'' widerspricht. Die Parteien sollen sich nur in Ausnahmefällen von ihren vertraglichen Pflichten lossagen können. Ein zweiter Grund für die Beschränkung der Vertragsaufhebung ergibt sich aus wirtschaftlichen Überlegungen. Eine Vertragsaufhebung führt häufig zur Rückabwicklung des Vertrages, die mit nicht unerheblichen Kosten und Risiken verbunden sein kann, z.B. wenn die Kaufsache zurück zum Verkäufer transportiert werden muss. Des Weiteren kann die Vertragsaufhebung die nicht leistende Partei insofern beeinträchtigen, als der von ihr bereits zur Vorbereitung der Leistung betriebene Aufwand sich im Nachhinein als vergeblich herausstellt. Schließlich bewirkt die Aufhebung des Vertrages, dass die nicht leistende Partei einem Risiko in Bezug auf die Verwertbarkeit der Leistung am Markt ausgesetzt ist, das entsprechend des Vertrages von der benachteiligten Partei zu tragen war.
Während die internationale Zuständigkeit allein die Frage betrifft, ''ob'' inländische Gerichte zuständig sind, regeln die Vorschriften über die innerstaatliche Zuständigkeit, ''welches'' innerstaatliche Gericht zuständig ist. Obwohl im Hinblick auf die zuständigkeitsbegründenden Umstände häufig eine Wechselwirkung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeit besteht (Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeit), handelt es sich um systematisch selbständige und funktional zu trennende Aspekte. In Staaten mit mehreren Teilrechtsordnungen greifen im Verhältnis zueinander die Regeln der interlokalen Zuständigkeit ein.


=== c) Historischer Hintergrund ===
Für den Ausgang eines Rechtsstreits kann die Frage der internationalen Zuständigkeit von zentraler Bedeutung sein. Zum einen ermittelt das Gericht das anwendbare Recht nach dem [[Internationales Privatrecht|internationalen Privatrecht]] der ''lex fori''. Zum anderen wendet es stets das Verfahrensrecht der ''lex fori'' an. Außerdem ist die [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen]] im Urteilsstaat gesichert, während sie im Ausland nur nach dessen Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln erfolgt.
Das [[Römisches Recht|römische Recht]] kannte kein allgemeines Recht auf Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung einer Vertragspflicht. Jedoch wurde das Prinzip ''pacta sunt servanda'' nie ausnahmslos durchgesetzt. So konnte beispielsweise ein Kaufvertrag aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der ''actio redhibitoria'' vorlagen. Danach konnte sich ein Käufer vom Vertrag lösen, wenn die Kaufsache nicht die zugesicherten Eigenschaften aufwies oder er arglistig getäuscht wurde (Details zu den sog. adilizischen Rechtsbehelfen, zu denen auch die ''actio redhibitoria'' gehörte, unter dem Stichwort [[Minderung]]). Das BGB wagte am Ende des 19. Jahrhundert den Bruch mit der römischen Tradition und erkannte ein allgemeines Rücktrittsrecht an. Das Recht zum Rücktritt basierte auf dem Gedanken der ''lex commissoria''. Hiernach enthält jeder Vertrag eine stillschweigende Vereinbarung, dass ein Rücktritt unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll, z.B. bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung, Schuldnerverzug oder positiver Vertragsverletzung.


Die Vertreter des [[Naturrecht]]s hatten eine andere dogmatische Begründung für die Vertragsaufhebung entwickelt. Die Pflichten der Parteien eines synallagmatischen Vertrages sind demnach insofern voneinander abhängig, als die Nichterfüllung einer Vertragspflicht dazu führt, dass die andere Partei nicht zu leisten verpflichtet ist und das Recht erlangt, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Ausdruck gefunden hat diese Lehre in Art. 1184 frz. ''Code civil''. Hiernach enthält ein synallagmatischer Vertrag eine stillschweigend vereinbarte auflösende Bedingung für den Fall, dass eine Partei ihre Pflichten nicht erfüllt.
== 2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Das [[Römisches Recht|römische Recht]] verfügte im Formularverfahren über ein differenziertes System von Gerichtsständen. Sie bilden die Grundlage der Regelungen innerstaatlicher wie internationaler Zuständigkeit der meisten ''civil law''-Rechtsordnungen. Sie liegen auch dem System internationaler Zuständigkeit nach der Brüssel I-VO (VO 44/2001), die dem ''civil law''-Modell folgt, und dem Luganer Übereinkommen (LugÜ) zugrunde, welches mit der Brüssel I-VO identisch ist und in der Schweiz, Norwegen und Island gilt. So kannte bereits das römische Recht den Grundsatz des ''actor sequitur forum rei'', also den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten an seinem Wohnsitz (''forum domicilii''); vgl. etwa §§ 13, 17 ZPO, Art. 42 Abs. 1, 43 frz. CPC und Art. 2 Brüssel I-VO bzw. LugÜ. Daneben sah das römische Recht Klägergerichtsstände am Abschluss- und Erfüllungsort für bestimmte Ansprüche aus einem Rechtsgeschäft (sog. ''forum contractus'') sowie am Begehungs- bzw. Tatort für Ansprüche wegen rechtswidriger Schädigung vor (sog. ''forum delicti commissi''). Für Klagen aus Vertrag hat sich heute der Erfüllungsort durchgesetzt; vergleiche Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO bzw. LugÜ, § 29 ZPO, § 88 JN, Art. 46 frz. CPC, Art. 31(1)(b) CMR und Art. 33(1) des Montrealer Übereinkommens. Für Klagen aus unerlaubter Handlung ist der Gerichtsstand des Tatorts weit verbreitet. In der Regel gilt dabei im Gegensatz zum nach Art. 4(1) Rom II-VO (VO 864/2007) anwendbaren Recht das Ubiquitätsprinzip. Der Kläger hat also die Wahl zwischen Handlungs- und Erfolgsort, vergleiche insofern etwa Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO bzw. LugÜ in der Auslegung durch den [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] (Rs. 21/76 – ''Mines de Potasse d’Alsace'', Slg. 1976, 1735, 1746; Rs. C-68/93 – ''Shevill'', Slg. 1995, I-415, 460; Rs. C-168/02 – ''Kronhofer'', Slg. 2004, I-6009, 6029), § 32 ZPO, Art. 46 CPC; Art. 129 Abs. 2 schweiz. IPRG.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Im englischen ''[[common law]]'' bildete sich hingegen ein System der internationalen Zuständigkeit heraus, das nicht in der Tradition der Gerichtsstände des römischen Rechts steht. Es knüpft nicht an Typen von Rechtsverhältnissen an, für die bestimmte Gerichtsstände eröffnet werden, sondern an die physische Gewalt über die Parteien (''in personam jurisdiction'') oder den Gegenstand des Rechtsstreits (''in rem jurisdiction''). Die ''in personam jurisdiction'' wird primär durch die Zustellung im In- oder Ausland (letzteres in der Regel nur nach Genehmigung der englischen Gerichte) begründet. Weitere Zuständigkeitsgründe sind die rügelose Einlassung (''submission'') und [[Gerichtsstandsvereinbarung, internationale|Gerichtsstandsvereinbarungen]] (''jurisdiction agreement'').
International ist eine Tendenz zu beobachten, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen – insbesondere im internationalen Kaufrecht ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]). Sie findet sich etwa im CISG, in den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]], in den [[Principles of European Contract Law|PECL]], im [[Common Frame of Reference|DCFR]], in der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) ([[Verbrauchsgüterkauf]]) und im neuen deutschen Kaufrecht ([[Kauf]]). Bei näherer Betrachtung dieser Regelwerke lassen sich drei Instrumente herausarbeiten, die eingesetzt werden, um die Vertragsaufhebung (allein oder kombiniert) zurückzudrängen: die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung ([[Vertrag]]), das Nachfristmodell und die Abwendungsbefugnis der nicht erfüllenden Partei.


(i)&nbsp;Die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung lässt die Vertragsaufhebung nur zu, wenn die Vertragsverletzung dazu geführt hat, dass das Interesse der anderen Partei am Vertrag weggefallen ist. Eine wesentliche Vertragsverletzung berechtigt sowohl im CISG (Art.&nbsp;49(1)(a)) als auch unter den UNIDROIT PICC (Art. 7.3.1(1)), den PECL (Art.&nbsp;9:301(1)) und dem DCFR (Art.&nbsp;III.-3:502) zur Vertragsaufhebung. Auf nationaler Ebene findet man das Konzept der wesentlichen Vertragsverletzung insbesondere im Kaufrecht skandinavischer Länder und solcher Staaten, die sich vom CISG haben inspirieren lassen, z.B. in Estland. Ähnlichkeiten bestehen ferner zum englischen Recht, das ein Recht zur Vertragsaufhebung vorsieht, wenn die verletzte Vertragsbestimmung eine ''condition'' (und nicht nur eine ''warranty'') darstellt; eines der Kriterien bei der Abgrenzung von ''condition'' und ''warranty'' ist, ob die benachteiligte Partei durch die Vertragsverletzung den mit dem Vertrag bezweckten Vorteil verlieren würde; siehe ''Hong Kong Fir Shipping Co Ltd v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd''<nowiki> [1962] 2 QB 26, 70 (CA).</nowiki>
Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (einschließlich Dänemarks, das sich ansonsten nicht an Maßnahmen nach Art.&nbsp;65 EG/81 AEUV beteiligt) werden die nationalen Regelungen vollständig durch die Brüssel&nbsp;I-VO und das LugÜ verdrängt. Diese schaffen ein umfassendes, abschließendes System internationaler Zuständigkeit in [[Zivil- und Handelssache]]n. Zwischen dem kontinentaleuropäisch geprägten Zuständigkeitssystem der Brüssel&nbsp;I-VO und dem Zuständigkeitssystem des ''[[common law]]'' bestehen grundlegende Unterschiede. Die kontinentaleuropäischen Systeme und die Brüssel&nbsp;I-VO begründen die internationale Zuständigkeit nach starren, gesetzlich festgeschriebenen Kriterien. Positive Kompetenzkonflikte werden durch die ''lis alibi pendens''-Regel (vgl. Art.&nbsp;27 Brüssel&nbsp;I-VO und EuGH Rs.&nbsp;C-116/02 – ''Gasser'', Slg. 2003, I-14693) gelöst. Das englische System kennt hingegen keine bindenden Gerichtsstände, sondern ist durch die exorbitante Zuständigkeit kraft des formalen Akts der Zustellung an den Beklagten geprägt. Diese bedarf des Korrektivs der ''forum non conveniens''-Lehre, nach der materielle Kriterien berücksichtigt werden (''Spiliada Maritime Corp. v. Consulex Ltd.''<nowiki> [1987] AC 460 (HL)). Hiernach kann das Gericht seine Zuständigkeit ablehnen, sofern die Gerichte eines anderen Staates als </nowiki>''natural forum'' zur Entscheidung des Rechtsstreits geeigneter erscheinen, und der Streit der Parteien auch dort gerecht entschieden werden kann. Zwar finden sich einzelne Kriterien der kontinentaleuropäischen Gerichtsstände auch in den Voraussetzungen für eine zuständigkeitsbegründende Auslandszustellung, doch steht deren Genehmigung im Ermessen des Gerichts. Auch gibt es im englischen Recht keine strenge ''lis alibi pendens''-Regel. Die anderweitige Rechtshängigkeit ist lediglich ein Aspekt, der bei der Ermittlung des ''forum conveniens'' zu berücksichtigen ist.


(ii)&nbsp;Das Nachfristmodell ist das zentrale Element der Rücktrittsvorschriften im neuen deutschen Schuldrecht. Eine Vertragsaufhebung (Rücktritt) ist grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Nachfrist möglich. Der Schuldner erhält mithin eine zweite Chance zur Leistung oder Nacherfüllung und kann die Vertragsaufhebung noch abwenden. Das System der Nachfristsetzung findet man – in eingeschränkter Form – ebenfalls im CISG (Art.&nbsp;49(1)(b)), in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.3.1(3)), in den PECL (Art.&nbsp;9:301(2) in Verbindung mit Art.&nbsp;8:106(3)) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:503).
Das den englischen Gerichten durch die ''forum non conveniens''-Lehre eingeräumte Ermessen steht in diametralem Gegensatz zur Systematik der Brüssel&nbsp;I-VO und der kontinentaleuropäischen Regelungen. Ein nach der Brüssel&nbsp;I-VO international zuständiges Gericht darf seine Zuständigkeit nicht aus Ermessensgründen, gestützt auf ''forum non conveniens-''Gesichtspunkte, verneinen. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsstreit, abgesehen vom Wohnsitz des Beklagten in dem betreffenden Mitgliedstaat, keine Bezüge zu einem anderen Mitgliedstaat aufweist (EuGH Rs.&nbsp;C-281/02 – ''Owusu'', Slg. 2005, I-1383, Rn.&nbsp;24&nbsp;ff.). Im europäischen internationalen Zivilprozessrecht hat sich damit in [[Zivil- und Handelssache]]n das kontinentaleuropäische System durchgesetzt. Anders ist dies im [[Kindschaftsrecht, internationales|internationalen Kindschaftsrecht]]: Die Brüssel&nbsp;IIa-VO (VO&nbsp;2201/2003) weist zwar an sich starre Gerichtsstände auf; es findet sich aber auch die englische ''forum non conveniens''-Lehre wieder (Art.&nbsp;15). Dies mag unter anderem daran liegen, dass das Vereinigte Königreich nicht zu den ursprünglichen Vertragsparteien des EuGVÜ als Vorläufer der Brüssel&nbsp;I-VO gehörte, die sämtlich kontinentaleuropäische Staaten waren. Die betreffenden Bestimmungen der Brüssel&nbsp;IIa-VO basieren hingegen auf dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, an dessen Aushandlung zahlreiche ''common law-''Staaten beteiligt waren.


(iii)&nbsp;Viele Rechtsordnungen geben der nicht erfüllenden Partei das Recht, den Vertragsbruch auf für die andere Partei zumutbare Weise zu heilen und so die Vertragsaufhebung aus eigener Initiative zu verhindern (Abwendungsbefugnis durch [[Nacherfüllung]]). Das Recht zur Heilung spielt eine wichtige Rolle in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.1.4) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:202). In den PECL kann eine Partei nur dann eine Nichterfüllung heilen, wenn das ursprüngliche Angebot als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen wurde (Art.&nbsp;8:104). Auch im CISG steht dem Verkäufer nach heutigem Meinungsstand ein Heilungsrecht zu (Art.&nbsp;48(1)). In nationalen Rechtsordnungen findet sich ein entsprechendes Recht der nicht erfüllenden Partei unter anderem in §&nbsp;2.508(2) UCC, im niederländischen und italienischen Recht sowie in den nordischen Rechten.
Jenseits der verschiedenen Ansätze bestehen zwischen den europäischen Rechtsordnungen Unterschiede im Hinblick auf die Regelungsweise der internationalen Zuständigkeit. Während sich eigenständige Regelungen der internationalen Zuständigkeit zu Beginn des 20.&nbsp;Jahrhunderts hauptsächlich in bilateralen Staatsverträgen fanden, die jedoch meist eine bestimmte Sachmaterie betrafen und die internationale Zuständigkeit lediglich als Annex mitregelten, gibt es heute zwei Strömungen: eigenständige Regelungen der internationalen Zuständigkeit einerseits (etwa Art.&nbsp;5&nbsp;ff., 13 Abs.&nbsp;1 belg. IPRG, Art.&nbsp;22 span. LOPJ, Art.&nbsp;3&nbsp;ff. ital. IPRG, Art.&nbsp;18&nbsp;ff. ital. CPC, Art.&nbsp;2&nbsp;ff. schweiz. IPRG, Art.&nbsp;2&nbsp;ff. niederl. Rv sowie das englische Recht) und Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeit andererseits (etwa in Deutschland, Österreich und Frankreich, abgesehen von den an die französische Staatsangehörigkeit anknüpfenden Art.&nbsp;14 und 15 ''Code civil'').


== 3. Einzelausgestaltung der Vertragsaufhebung im Einheitsrecht ==
== 3. Zuständigkeitskriterien ==
Eine Normierung der Vertragsaufhebung muss folgende Fragen beantworten: Unter welchen Voraussetzungen ist die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung berechtigt? Wie wird das Recht auf Vertragsaufhebung ausgeübt? Welche Rechtsfolgen hat die Vertragsaufhebung?
Die Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Brüssel&nbsp;I-VO beruhen auf einem Koordinatensystem von Kriterien, welche die teils gleichlaufenden, teils widerstreitenden Partei-, Gerichts- und Ordnungsinteressen aufgreifen.


=== a) Aufhebungsgründe ===
Zentrale Kriterien sind die Parteinähe (etwa beim allgemeinen Beklagtengerichtsstand an dessen Wohnsitz), die Sachverhaltsnähe, die Nähe zum anwendbaren Recht und die Vollstreckungsnähe. So steht hinter den besonderen Gerichtsständen für Streitigkeiten aus Vertrag und Delikt die Sachverhaltsnähe. Außerdem tragen diese Gerichtsstände im Gegensatz zum allgemeinen Beklagtengerichtsstand den Interessen des Klägers stärker Rechnung. Der ausschließliche dingliche Gerichtsstand fußt insbesondere auf der Sachverhaltsnähe und staatlichen Ordnungsinteressen. Eine Nähe zum anwendbaren Recht besteht vor allem in denjenigen Fällen, in denen internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht auf dieselben Anknüpfungsmomente zurückgreifen. Dies ist im Sachen- und Deliktsrecht international weit verbreitet, nicht hingegen im Vertragsrecht. Freilich wird ein Gleichlauf im Vertragsrecht häufig durch eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung erzielt. Außerdem wird für Verbraucherverträge im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten durch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers nach Art.&nbsp;6(1) Rom&nbsp;I-VO, der regelmäßig auch Erfüllungsort bzw. Wohnsitz des Verbrauchers ist (besonderer Verbrauchergerichtsstand in Art.&nbsp;16 Brüssel&nbsp;I-VO), in der Regel ein Gleichlauf bestehen. Obwohl ein solcher Gleichlauf allgemein als erstrebenswert angesehen wird, da er eine erhöhte Richtigkeitsgewähr bietet, lehnen die meisten nationalen Zuständigkeitssysteme und auch die Brüssel&nbsp;I-VO eine strikte Gleichlaufzuständigkeit im Sinne eines ''forum legis'', also die Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte desjenigen Staates, dessen Recht anwendbar ist, ab (anders etwa Rule 6.20(5)(c) ''Civil Procedure Rules'' im englischen Recht für vertragliche Ansprüche).
Ausgangspunkt der Vertragsaufhebung ist in den modernen Regelwerken ein einheitlicher Tatbestand der [[Nichterfüllung]] (Art.&nbsp;8:101(1) PECL; Art.&nbsp;7.1.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;45(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:101 DCFR). Hierunter fallen etwa die Schlechtleistung, die Nichterbringung der Leistung im Erfüllungszeitpunkt (unabhängig davon, ob die Leistung zu früh, zu spät oder gar nicht erbracht wird) oder die Verletzung von Nebenpflichten.


Auf dieser Basis sehen alle Vereinheitlichungsprojekte grundsätzlich zwei Gründe vor, die zur Vertragsaufhebung berechtigen: die wesentliche Vertragsverletzung und die Nichtleistung nach Ablauf einer Nachfrist (Art.&nbsp;9:301 PECL; Art.&nbsp;7.3.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:502, 3:503 (DCFR)).  
== 4. Regelungsstrukturen im europäischen Recht ==
Das Recht der internationalen Zuständigkeit war, zusammen mit der [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen]], einer der ersten Bereiche eines europäischen internationalen Zivilprozessrechts. Die Harmonisierung erfolgte zunächst durch das Brüsseler EWG-Übereinkommen (EuGVÜ) von 1968. Nachdem eine Ermächtigungsgrundlage der EG in Art.&nbsp;65 EG/81 AEUV durch den Vertrag von Amsterdam geschaffen worden war, wurde das EuGVÜ durch die nahezu identische Brüssel&nbsp;I-VO ersetzt (siehe deren Art.&nbsp;68). Sie bildet das Herzstück des europäischen Rechts der internationalen Zuständigkeit.


In Bezug auf die Frage, wann eine Nichterfüllung wesentlich ist, zeigen sich graduelle Unterschiede. Während sich das CISG auf eine Generaldefinition in Art.&nbsp;25 beschränkt, geben die UNIDROIT PICC, die PECL und der DCFR dem Gesetzesanwender nähere Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit an die Hand. Nach allen Regeln liegt eine wesentliche Nichterfüllung vor, wenn dem Gläubiger im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die andere Partei das nicht vorausgesehen hat und nicht voraussehen konnte (Art.&nbsp;8:103(b) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(a) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;III.-3:502(2)(a) DCFR).
Die Brüssel&nbsp;I-VO soll zusammen mit den kollisionsrechtlichen Rom&nbsp;I- (VO&nbsp;593/2008) und Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/2007) ein einheitliches, integriertes System des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts in [[Zivil- und Handelssache]]n schaffen. Ziel dieses Systems ist es, äußeren Entscheidungseinklang innerhalb der [[Europäische Union|Europäischen Union]] zu erzielen und Anreize für ein rechtsmissbräuchliches ''forum shopping'' zu nehmen: Die Gerichte aller Mitgliedstaaten sollen in grenzüberschreitenden Sachverhalten zur gleichen Zuständigkeit und zum gleichen anwendbaren Recht gelangen. Dadurch sollen prozesstaktische Missbrauchsmöglichkeiten reduziert werden, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen zu gewährleisten.


In diesem Rahmen ist nach allen Regelwerken zu berücksichtigen, ob die Parteien die genaue Einhaltung einer vertraglichen Verpflichtung als wesentlich vereinbart haben; so ist z.B. ist die Einhaltung der Leistungszeit bei einem Fixgeschäft von wesentlicher Bedeutung. Zum Teil wird dies ausdrücklich erwähnt (vgl. Art.&nbsp;8:103(a) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(b) UNIDROIT PICC); zum Teil wird es im Rahmen der allgemeinen Definition der wesentlichen Vertragsverletzung berücksichtigt (Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;3:502(2)(a) DCFR). Weitere Kriterien, die zur Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen werden, sind das Gewicht der Nichterfüllung und – teilweise – die Frage, ob es der benachteiligten Partei zumutbar ist, die erbrachte (vertragswidrige) Leistung anderweitig zu verwenden und etwaige Einbußen im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen.
=== a) Brüssel I-VO ===
Die Brüssel&nbsp;I-VO schafft ein dem kontinentaleuropäischen Modell folgendes System klar definierter Zuständigkeiten in Form einzelner Gerichtsstände für [[Zivil- und Handelssache]]n.


In der Regel ist das Verschulden keine Voraussetzung für die Vertragsaufhebung. Allerdings können besondere Formen des Verschuldens, etwa Vorsatz oder Leichtfertigkeit, Indizien für das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung sein (Art.&nbsp;8:103&nbsp;(c) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(c) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;3:502(2)(b) DCFR).
Ausgenommen sind nach Art.&nbsp;1(2)(a) Brüssel I-VO Personenstands-, Ehe- und Erbrechtsangelegenheiten, für die teilweise konkurrierende Verordnungen existieren oder geplant sind.


Unabhängig von der Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung berechtigen alle Regelungswerke die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung, wenn diese der anderen Partei erfolglos eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung gesetzt hat, die erfolglos abgelaufen ist (Art.&nbsp;9:301(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1)(b) CISG; Art.&nbsp;3:503 DCFR). Der Anwendungsbereich dieses Aufhebungsrechts ist jedoch auf Fälle der Verzögerung der Leistung beschränkt.  
Das gleiche gilt für Konkurse und Insolvenzen, die nach Art.&nbsp;1(2)(b) Brüssel&nbsp;I-VO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen und durch die EuInsVO (VO&nbsp;1346/2000) erfasst werden. Unklar ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob die EuInsVO insolvenzrechtliche Annexverfahren erfasst oder ob solche Verfahren trotz des Ausschlusses in Art.&nbsp;1(2)(b) der Brüssel&nbsp;I-VO unterfallen. Der EuGH hat Art.&nbsp;3(1) EuInsVO in ''Deko Marty Belgium'' (EuGH Rs.&nbsp;C-339/07, EWir 2009, 53) dahin ausgelegt, dass er den Gerichten des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für solche Klagen unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten die internationale Zuständigkeit zuweist, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (Rn.&nbsp;21). Die Brüssel&nbsp;I-VO und die EuInsVO sollen nahtlos aneinander angrenzen, sich aber nicht überschneiden. Dementsprechend hat der EuGH in ''Gourdain'' (EuGH Rs.&nbsp;133/78, Slg. 1979, 733; noch zum EuGVÜ) und in ''Deko Marty Belgium'' (Rn. 28) Insolvenzanfechtungsklagen dem Anwendungsbereich des Art.&nbsp;3(1) EuInsVO zugerechnet und vom Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO ausgeschlossen.


Schließlich hat sich das aus dem ''[[common law]]'' Rechtskreis ([[Rechtskreislehre]]) stammende Institut der [[Antizipierte Nichterfüllung|antizipierten Nichterfüllung]] als Aufhebungsgrund durchgesetzt (Art. 9:304 PECL; Art.&nbsp;7.3.3 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;72 CISG; Art.&nbsp;III.-3:504 DCFR). Hiernach kann die benachteiligte Partei schon vor Fälligkeit der Leistung den Vertrag aufheben, wenn offensichtlich ist, dass es zu einer wesentlichen Vertragsverletzung kommen wird.
Der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nach Art.&nbsp;1(2)(d) Brüssel I-VO erklärt sich vor dem Hintergrund des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von 1958, dem sämtliche Mitgliedstaaten beigetreten sind. Das New Yorker Übereinkommen geht der Brüssel&nbsp;I-VO nach deren Art.&nbsp;71 vor. Inwiefern das Schiedsverfahren unterstützende Verfahren vor staatlichen Gerichten dem Zuständigkeitsregime der Brüssel&nbsp;I-VO unterfallen, ist umstritten. Der EuGH hat bisher nur Einzelfälle geklärt. Entscheidendes Kriterium ist danach, ob die Schiedsgerichtsbarkeit den Gegenstand des Verfahrens bildet. Nur wenn dies der Fall ist, ist das Verfahren vom Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO ausgeschlossen; EuGH Rs.&nbsp;C-190/89 – ''Marc Rich'', Slg. 1991, I-3855 (Schiedsrichterbenennung: außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel&nbsp;I-VO), EuGH Rs.&nbsp;C-391/95 – ''van Uden'', Slg. 1998, I-7091 (Sicherung des materiellrechtlichen, im Schiedsverfahren geltend zu machenden Anspruchs: im Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO). Im Hinblick auf ''anti-suit injunctions'' zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen hat der EuGH entschieden, dass sie mit der Brüssel&nbsp;I-VO unvereinbar sind. Denn sie nehmen dem nach der Verordnung angerufenen staatlichen Gericht die Befugnis, unabhängig über seine Zuständigkeit (einschließlich der Vorfrage der Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung) zu entscheiden, und damit der Verordnung ihre praktische Wirksamkeit (Rs.&nbsp;C-185/07 – ''West Tankers'', IPRax 2009, 336). Anknüpfend an die Entscheidung des EuGH in ''Turner'' (Rs.&nbsp;C-159/02, Slg. 2004, I-3565) sind damit alle Arten von ''anti-suit injunctions'' im Anwendungsbereich der Brüssel&nbsp;I-VO unzulässig.


=== b) Mechanismus der Vertragsaufhebung ===
Die Systematik der Brüssel&nbsp;I-VO und ihre Gerichtsstände sind dem kontinentaleuropäischen Juristen vertraut. Art.&nbsp;2 eröffnet den allgemeinen Beklagtengerichtsstand am Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten. Die Art.&nbsp;5 bis 21 enthalten besondere Gerichtsstände. Von zentraler Bedeutung sind der allgemeine Vertragsgerichtsstand am Erfüllungsort nach Art.&nbsp;5&nbsp;Nr.&nbsp;1, der nunmehr autonom definiert ist, und der Gerichtsstand für deliktische Ansprüche nach Art.&nbsp;5&nbsp;Nr.&nbsp;3. Letzterer ist nach der Rechtsprechung des EuGH alternativ am Handlungs- und Erfolgsort begründet (EuGH Rs.&nbsp;21/76 – ''Mines de Potasse d’Alsace'', Slg. 1976, I-1735). Für Ansprüche aus Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sieht die Brüssel&nbsp;I-VO zusätzliche, teils zwingende Gerichtsstände zugunsten der als strukturell schwächer angesehenen Partei, also dem Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer, vor. So kann etwa der Verbraucher auch an seinem Wohnsitz klagen (Art.&nbsp;16(1)) und umgekehrt nur an seinem Wohnsitz verklagt werden (Art.&nbsp;16 (2)). Besondere Annexzuständigkeiten eröffnet Art.&nbsp;6 bei Konnexität in Fällen mehrerer Beklagter für Regressklagen, Widerklagen und Vertragsklagen am dinglichen Gerichtsstand. Die Vorschrift dient in erster Linie der Prozessökonomie. Schließlich eröffnet Art.&nbsp;22 die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen im Hinblick auf dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, zahlreiche gesellschaftsrechtliche Klagen und einige Registerrechte. Es folgen die Regelungen über die Begründung der (in der Regel ausschließlichen) Zuständigkeit kraft [[Gerichtsstandsvereinbarung, internationale|Gerichtsstandsvereinbarung]] (Art.&nbsp;23) und rügeloser Einlassung (Art.&nbsp;24). Die Art.&nbsp;25&nbsp;ff regeln die Prüfung der Zuständigkeit und Zulässigkeit des Verfahrens. Art.&nbsp;27&nbsp;ff betreffen die praktisch sehr relevante Problematik anderweitiger Rechtshängigkeit, für die sie den ''lis alibi pendens''-Grundsatz festschreiben (siehe dazu EuGH Rs.&nbsp;C-116/02 – ''Gasser'', Slg. 2003, I-14693). Der ''lis alibi pendens'' Grundsatz wird allerdings durch das Grünbuch der Kommission vom 21.4.2009 (KOM(2009) 175 endg.) insbesondere für [[Gerichtsstandsvereinbarung, internationale|Gerichtsstandsvereinbarungen]] zur Diskussion gestellt und die Frage aufgeworfen, ob Parallelverfahren nicht auf anderem Wege verhindert werden können.
Im Gegensatz zum französischen, belgischen, italienischen und spanischen Recht, aber im Einklang mit z.B. dem deutschen Recht, bedarf es im europäischen Einheitsrecht keines gerichtlichen Verfahrens für die Vertragsaufhebung. Es genügt die Erklärung gegenüber der nicht leistenden Partei (Art.&nbsp;9:303(1) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(1) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;26 CISG; Art.&nbsp;III.-3:507 DCFR). Diese Erklärung muss innerhalb angemessener Frist vorgenommen werden, nachdem die benachteiligte Partei von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen (Art. 9:303(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(2) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(2) CISG; Art.&nbsp;III.-3:508(1) DCFR). In bestimmten Fällen ist eine Erklärung der Vertragsaufhebung entbehrlich: So kann die benachteiligte Partei ihre Nachfristsetzung mit einer Erklärung verbinden, dass der Vertrag nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist automatisch aufgehoben sein soll (Art.&nbsp;8:106(3) PECL; Art.&nbsp;7.1.5(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;III.-3:507(2) DCFR). Darüber hinaus kann eine Aufhebungserklärung nach einigen Regelwerken entbehrlich sein, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist, weil ein Fall der vollständigen und dauerhaften Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt (vgl. Art.&nbsp;9:303(4), 8:108 PECL).


=== c) Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung ===
Abgesehen von den Fällen ausschließlicher Zuständigkeit, von Gerichtsstandsvereinbarungen und rügeloser Einlassung greifen die Gerichtsstände der Brüssel&nbsp;I-VO nur ein, sofern der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat der EU hat (Art.&nbsp;4). Darüber hinaus ist kein qualifizierter Drittstaatenbezug zu einem weiteren Mitgliedstaat erforderlich. Ausreichend ist vielmehr ein einfacher grenzüberschreitender Bezug zu einem Nichtmitgliedstaat (EuGH Rs.&nbsp;C-281/02 – ''Owusu'', Slg. 2005, I-1383). Dies eröffnet der Brüssel&nbsp;I-VO einen sehr weiten räumlichen Anwendungsbereich und gewährt Kläger wie Beklagtem im Falle eines Wohnsitzes bzw. Sitzes des Beklagten in einem Mitgliedstaat die Gewissheit, stets in einem Gerichtsstand der Brüssel&nbsp;I-VO klagen, aber auch nur in einem Gerichtsstand der Brüssel&nbsp;I-VO verklagt werden zu können. Die ''[[Groupe européen de droit international privé]] (GEDIP)'' hat im September 2008 Vorschläge unterbreitet, Art.&nbsp;4 der Brüssel&nbsp;I-VO zu streichen und das Zuständigkeitsregime der Brüssel&nbsp;I-VO insgesamt auf sämtliche, also auch reine Drittstaatensachverhalte anzuwenden.
Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien nach allen Regelwerken von ihrer Verpflichtung, künftige Leistungen zu erbringen und anzunehmen. Hingegen bleibt das Recht unberührt, im Wege des [[Schadensersatz]]es das Erfüllungsinteresse zu verlangen. Zudem wird ausdrücklich festgestellt, dass die Vertragsaufhebung Streitbeilegungsklauseln und solche Vereinbarungen, die gerade nach Aufhebung des Vertrages gelten sollen, nicht berührt (Art.&nbsp;9:305 PECL; Art.&nbsp;7.3.5 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:509 DCFR).


Auch wenn die Vertragsaufhebung nur für die Zukunft wirkt, führt sie, soweit schon Leistungen erbracht wurden, in der Regel zur &nbsp;Rückabwicklung des Vertrages (Art.&nbsp;9:306&nbsp;ff. PECL; Art.&nbsp;7.3.6 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(2), 82 CISG; Art.&nbsp;III.-3:511&nbsp;ff. DCFR).
Zur Vorbereitung einer möglichen Reform der Brüssel&nbsp;I-VO haben Burkhard Hess, Thomas Pfeiffer und Peter Schlosser im Auftrag der Kommission kürzlich einen umfangreichen Bericht mit konkreten Reformvorschlägen (sog. „Heidelberg Report“, Study JLS/C4/2005/03) erstellt. Die Kommission hat auf dieser Grundlage am 21.4.2009 einen Bericht (KOM (2009) 174 endg.) und ein Grünbuch (KOM(2009) 175 endg.) vorgelegt, die zur Reform der Brüssel&nbsp;I-VO führen sollen. Die aufgeworfenen Fragen lassen das Zuständigkeitsregime (abgesehen von [[Gerichtsstandsvereinbarung, internationale|Gerichtsstandsvereinbarungen]]) jedoch eher unberührt.
 
=== b) Sonstiges Sekundärrecht ===
Auf das jeweilige Rechtsgebiet bezogene Vorschriften über die internationale Zuständigkeit finden sich in zahlreichen europäischen Sekundärrechtsakten. Als ''lex specialis'' verdrängen sie die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der Brüssel&nbsp;I-VO nach deren Art.&nbsp;67.
 
So ist die internationale Zuständigkeit in Ehesachen und Verfahren über die elterliche Verantwortung in der Brüssel&nbsp;IIa-VO, die Zuständigkeit in Unterhaltssachen in der VO&nbsp;4/2009 geregelt ([[Europäisches Internationales Familienrecht]]).
 
Im gewerblichen Rechtsschutz finden sich Vorschriften über die internationale Zuständigkeit etwa in Art.&nbsp;90&nbsp;ff Gemeinschaftsmarken-VO (VO&nbsp;40/94 = 94&nbsp;ff. VO&nbsp;207/2009 &#91;konsolidierte Fassung&#93;; [[Gemeinschaftsmarke]]), in Art.&nbsp;79&nbsp;ff Gemeinschaftsgeschmackmuster-VO (VO 6/2002; [[Gemeinschaftsgeschmacksmuster]]) und in Art. 101&nbsp;f Gemeinschaftssortenschutz-VO (VO 2001/ 94; [[Sortenschutz]]).
 
== 5. Einheitsrecht ==
Regelungen über die internationale Zuständigkeit finden sich hinsichtlich spezifischer Rechtsgebiete auch in zahlreichen völkerrechtlichen Übereinkommen. Sie gehen den Regelungen der Brüssel&nbsp;I-VO nach deren Art.&nbsp;71 vor. Dies sind etwa im Minderjährigenschutzrecht Art.&nbsp;1 MSA (1961) und Art.&nbsp;5&nbsp;ff KSÜ (1996) ([[Kindschaftsrecht, internationales]]); im [[Straßengüterverkehr]] Art.&nbsp;31 CMR (1956), im [[Eisenbahnverkehr]] Art.&nbsp;52 CIV und Art.&nbsp;56 CIM, für Schadensersatzklagen aus der Beförderung im [[Luftverkehr]] Art.&nbsp;28, 32 des Warschauer Übereinkommens (1929) sowie Art.&nbsp;33 des Montrealer Übereinkommens (1999), im Schiffsverkehr Art.&nbsp;34 Abs.&nbsp;II der revidierten Rheinschifffahrtsakte (1868) und für die Seeschifffahrt Art.&nbsp;1, 2 des Brüsseler Übereinkommens für Schiffszusammenstöße (1952); im Kernenergiehaftungsrecht Art.&nbsp;13 des Pariser Haftungsübereinkommens (1960) und Art.&nbsp;XI des Wiener Haftungsübereinkommens (1963).
 
Das Projekt, eine weltweit geltende Konvention zur Regelung der internationalen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in [[Zivil- und Handelssache]]n zu schaffen, ist gescheitert. Auch die Bemühungen der USA seit den frühen 1990er Jahren im Rahmen der [[Haager Konferenz für IPR]] brachten nicht den erhofften Durchbruch. Die transatlantischen Differenzen erwiesen sich als unüberbrückbar. Die USA strebten eine ''convention mixte'' an, die einen weiten Bereich der internationalen Zuständigkeit zum Schutz ihrer klägerfreundlichen Gerichtsstände unvereinheitlicht ließ, die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile jedoch umfassend sicherte. Die Europäer hingegen wollten das genaue Gegenteil in Form einer ''convention double'' durchsetzen: klare Zuständigkeitsregeln und die Möglichkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die sich auf exorbitante, besonders klägerfreundliche Zuständigkeiten der US-amerikanischen Gerichte stützen, ablehnen zu können.


== Literatur==
== Literatur==
''Ernst Rabel'', Das Recht des Warenkaufs, Bd.&nbsp;I, 1936, Bd.&nbsp;II, 1958; ''G.H. Treitel'', Remedies for Breach of Contract, 1988, 318&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 800&nbsp;ff.; ''Andreas Schwartze'', Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, 174&nbsp;ff; ''Christian von Bar'', ''Reinhard Zimmermann'', Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, 439&nbsp;ff., 450&nbsp;ff., 495&nbsp;ff.; Andrea Sandrock, Vertragswidrigkeit der Sachleistung, 2003, 237&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The New German Law of Obligations, 2005, 66&nbsp;ff., 107&nbsp;f.; ''Peter Huber'', Comparative Sales Law, in: Mathias Reiman, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 937&nbsp;ff.; ''Axel Flessner'', Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997) 255&nbsp;ff.; ''Peter Schlechtriem'', Abstandnahme vom Vertrag, in: Jürgen Basedow (Hg.) Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; ''Peter Huber'', ''Alastair Mullis'', The CISG, 2007, 209&nbsp;ff.
''Andreas Heldrich'', Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969; ''Jochen Schröder'', Internationale Zuständigkeit, 1971; ''Jan Kropholler''<nowiki>; Internationale Zuständigkeit, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd.&nbsp;I, Kap.&nbsp;3, 1982; </nowiki>''Thomas Pfeiffer'', Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995; ''Reinhold Geimer'', Internationales Zivilprozeßrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2005; ''Adrian Briggs'', Civil Jurisdiction and Judgments, 4.&nbsp;Aufl. 2005; ''Haimo Schack'', Internationales Zivilverfahrensrecht, 4.&nbsp;Aufl. 2006; ''Thomas Rauscher'' (Hg.), Europäisches Zivilprozeßrecht, Bd.&nbsp;I, 2. Aufl. 2006; ''Ulrich Magnus'','' Peter Mankowski'' (Hg.), Brussels I Regulation, 2007; ''Burkhard Hess'','' Thomas Pfeiffer'','' Peter Schlosser'' (Hg.), The Brussels I Regulation 44/2001. Application and Enforcement in the EU, 2008; ''Peter Schlosser'', EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]

Version vom 16. September 2016, 12:02 Uhr

von Martin Illmer

1. Begriff, Gegenstand und Funktion

Die internationale Zuständigkeit betrifft die Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staates in ihrer Gesamtheit. Dabei spricht man von direkter Zuständigkeit (direct jurisdiction, compétence directe) im Hinblick auf die Zuständigkeit zur Entscheidung, von indirekter Zuständigkeit (indirect jurisdiction, compétence indirecte) im Hinblick auf die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen.

Die internationale Zuständigkeit wird von der Gerichtsbarkeit international uneinheitlich abgegrenzt. In Deutschland und Frankreich etwa werden internationale Zuständigkeit bzw. compétence internationale und Gerichtsbarkeit bzw. jurisdiction begrifflich unterschieden und als selbständige Prozessvoraussetzungen angesehen. Das englische common law trennt zumindest begrifflich nicht. Die jurisdiction des Gerichts umfasst die Gerichtsbarkeit wie auch die internationale Zuständigkeit und betrifft damit die generelle Befugnis des angerufenen Gerichts zur Entscheidung. Der Sache nach unterscheiden jedoch die meisten Rechtsordnungen zwischen der Gerichtsbarkeit als völkerrechtlichem Gesichtspunkt der staatlichen Gerichtsgewalt (facultas iurisdictionis), welche grundsätzlich dem Territorialitätsprinzip folgt, und der internationalen Zuständigkeit.

Während die internationale Zuständigkeit allein die Frage betrifft, ob inländische Gerichte zuständig sind, regeln die Vorschriften über die innerstaatliche Zuständigkeit, welches innerstaatliche Gericht zuständig ist. Obwohl im Hinblick auf die zuständigkeitsbegründenden Umstände häufig eine Wechselwirkung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeit besteht (Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeit), handelt es sich um systematisch selbständige und funktional zu trennende Aspekte. In Staaten mit mehreren Teilrechtsordnungen greifen im Verhältnis zueinander die Regeln der interlokalen Zuständigkeit ein.

Für den Ausgang eines Rechtsstreits kann die Frage der internationalen Zuständigkeit von zentraler Bedeutung sein. Zum einen ermittelt das Gericht das anwendbare Recht nach dem internationalen Privatrecht der lex fori. Zum anderen wendet es stets das Verfahrensrecht der lex fori an. Außerdem ist die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Urteilsstaat gesichert, während sie im Ausland nur nach dessen Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln erfolgt.

2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung

Das römische Recht verfügte im Formularverfahren über ein differenziertes System von Gerichtsständen. Sie bilden die Grundlage der Regelungen innerstaatlicher wie internationaler Zuständigkeit der meisten civil law-Rechtsordnungen. Sie liegen auch dem System internationaler Zuständigkeit nach der Brüssel I-VO (VO 44/2001), die dem civil law-Modell folgt, und dem Luganer Übereinkommen (LugÜ) zugrunde, welches mit der Brüssel I-VO identisch ist und in der Schweiz, Norwegen und Island gilt. So kannte bereits das römische Recht den Grundsatz des actor sequitur forum rei, also den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten an seinem Wohnsitz (forum domicilii); vgl. etwa §§ 13, 17 ZPO, Art. 42 Abs. 1, 43 frz. CPC und Art. 2 Brüssel I-VO bzw. LugÜ. Daneben sah das römische Recht Klägergerichtsstände am Abschluss- und Erfüllungsort für bestimmte Ansprüche aus einem Rechtsgeschäft (sog. forum contractus) sowie am Begehungs- bzw. Tatort für Ansprüche wegen rechtswidriger Schädigung vor (sog. forum delicti commissi). Für Klagen aus Vertrag hat sich heute der Erfüllungsort durchgesetzt; vergleiche Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO bzw. LugÜ, § 29 ZPO, § 88 JN, Art. 46 frz. CPC, Art. 31(1)(b) CMR und Art. 33(1) des Montrealer Übereinkommens. Für Klagen aus unerlaubter Handlung ist der Gerichtsstand des Tatorts weit verbreitet. In der Regel gilt dabei im Gegensatz zum nach Art. 4(1) Rom II-VO (VO 864/2007) anwendbaren Recht das Ubiquitätsprinzip. Der Kläger hat also die Wahl zwischen Handlungs- und Erfolgsort, vergleiche insofern etwa Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO bzw. LugÜ in der Auslegung durch den EuGH (Rs. 21/76 – Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, 1735, 1746; Rs. C-68/93 – Shevill, Slg. 1995, I-415, 460; Rs. C-168/02 – Kronhofer, Slg. 2004, I-6009, 6029), § 32 ZPO, Art. 46 CPC; Art. 129 Abs. 2 schweiz. IPRG.

Im englischen common law bildete sich hingegen ein System der internationalen Zuständigkeit heraus, das nicht in der Tradition der Gerichtsstände des römischen Rechts steht. Es knüpft nicht an Typen von Rechtsverhältnissen an, für die bestimmte Gerichtsstände eröffnet werden, sondern an die physische Gewalt über die Parteien (in personam jurisdiction) oder den Gegenstand des Rechtsstreits (in rem jurisdiction). Die in personam jurisdiction wird primär durch die Zustellung im In- oder Ausland (letzteres in der Regel nur nach Genehmigung der englischen Gerichte) begründet. Weitere Zuständigkeitsgründe sind die rügelose Einlassung (submission) und Gerichtsstandsvereinbarungen (jurisdiction agreement).

Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (einschließlich Dänemarks, das sich ansonsten nicht an Maßnahmen nach Art. 65 EG/81 AEUV beteiligt) werden die nationalen Regelungen vollständig durch die Brüssel I-VO und das LugÜ verdrängt. Diese schaffen ein umfassendes, abschließendes System internationaler Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen. Zwischen dem kontinentaleuropäisch geprägten Zuständigkeitssystem der Brüssel I-VO und dem Zuständigkeitssystem des common law bestehen grundlegende Unterschiede. Die kontinentaleuropäischen Systeme und die Brüssel I-VO begründen die internationale Zuständigkeit nach starren, gesetzlich festgeschriebenen Kriterien. Positive Kompetenzkonflikte werden durch die lis alibi pendens-Regel (vgl. Art. 27 Brüssel I-VO und EuGH Rs. C-116/02 – Gasser, Slg. 2003, I-14693) gelöst. Das englische System kennt hingegen keine bindenden Gerichtsstände, sondern ist durch die exorbitante Zuständigkeit kraft des formalen Akts der Zustellung an den Beklagten geprägt. Diese bedarf des Korrektivs der forum non conveniens-Lehre, nach der materielle Kriterien berücksichtigt werden (Spiliada Maritime Corp. v. Consulex Ltd. [1987] AC 460 (HL)). Hiernach kann das Gericht seine Zuständigkeit ablehnen, sofern die Gerichte eines anderen Staates als natural forum zur Entscheidung des Rechtsstreits geeigneter erscheinen, und der Streit der Parteien auch dort gerecht entschieden werden kann. Zwar finden sich einzelne Kriterien der kontinentaleuropäischen Gerichtsstände auch in den Voraussetzungen für eine zuständigkeitsbegründende Auslandszustellung, doch steht deren Genehmigung im Ermessen des Gerichts. Auch gibt es im englischen Recht keine strenge lis alibi pendens-Regel. Die anderweitige Rechtshängigkeit ist lediglich ein Aspekt, der bei der Ermittlung des forum conveniens zu berücksichtigen ist.

Das den englischen Gerichten durch die forum non conveniens-Lehre eingeräumte Ermessen steht in diametralem Gegensatz zur Systematik der Brüssel I-VO und der kontinentaleuropäischen Regelungen. Ein nach der Brüssel I-VO international zuständiges Gericht darf seine Zuständigkeit nicht aus Ermessensgründen, gestützt auf forum non conveniens-Gesichtspunkte, verneinen. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsstreit, abgesehen vom Wohnsitz des Beklagten in dem betreffenden Mitgliedstaat, keine Bezüge zu einem anderen Mitgliedstaat aufweist (EuGH Rs. C-281/02 – Owusu, Slg. 2005, I-1383, Rn. 24 ff.). Im europäischen internationalen Zivilprozessrecht hat sich damit in Zivil- und Handelssachen das kontinentaleuropäische System durchgesetzt. Anders ist dies im internationalen Kindschaftsrecht: Die Brüssel IIa-VO (VO 2201/2003) weist zwar an sich starre Gerichtsstände auf; es findet sich aber auch die englische forum non conveniens-Lehre wieder (Art. 15). Dies mag unter anderem daran liegen, dass das Vereinigte Königreich nicht zu den ursprünglichen Vertragsparteien des EuGVÜ als Vorläufer der Brüssel I-VO gehörte, die sämtlich kontinentaleuropäische Staaten waren. Die betreffenden Bestimmungen der Brüssel IIa-VO basieren hingegen auf dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, an dessen Aushandlung zahlreiche common law-Staaten beteiligt waren.

Jenseits der verschiedenen Ansätze bestehen zwischen den europäischen Rechtsordnungen Unterschiede im Hinblick auf die Regelungsweise der internationalen Zuständigkeit. Während sich eigenständige Regelungen der internationalen Zuständigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts hauptsächlich in bilateralen Staatsverträgen fanden, die jedoch meist eine bestimmte Sachmaterie betrafen und die internationale Zuständigkeit lediglich als Annex mitregelten, gibt es heute zwei Strömungen: eigenständige Regelungen der internationalen Zuständigkeit einerseits (etwa Art. 5 ff., 13 Abs. 1 belg. IPRG, Art. 22 span. LOPJ, Art. 3 ff. ital. IPRG, Art. 18 ff. ital. CPC, Art. 2 ff. schweiz. IPRG, Art. 2 ff. niederl. Rv sowie das englische Recht) und Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeit andererseits (etwa in Deutschland, Österreich und Frankreich, abgesehen von den an die französische Staatsangehörigkeit anknüpfenden Art. 14 und 15 Code civil).

3. Zuständigkeitskriterien

Die Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Brüssel I-VO beruhen auf einem Koordinatensystem von Kriterien, welche die teils gleichlaufenden, teils widerstreitenden Partei-, Gerichts- und Ordnungsinteressen aufgreifen.

Zentrale Kriterien sind die Parteinähe (etwa beim allgemeinen Beklagtengerichtsstand an dessen Wohnsitz), die Sachverhaltsnähe, die Nähe zum anwendbaren Recht und die Vollstreckungsnähe. So steht hinter den besonderen Gerichtsständen für Streitigkeiten aus Vertrag und Delikt die Sachverhaltsnähe. Außerdem tragen diese Gerichtsstände im Gegensatz zum allgemeinen Beklagtengerichtsstand den Interessen des Klägers stärker Rechnung. Der ausschließliche dingliche Gerichtsstand fußt insbesondere auf der Sachverhaltsnähe und staatlichen Ordnungsinteressen. Eine Nähe zum anwendbaren Recht besteht vor allem in denjenigen Fällen, in denen internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht auf dieselben Anknüpfungsmomente zurückgreifen. Dies ist im Sachen- und Deliktsrecht international weit verbreitet, nicht hingegen im Vertragsrecht. Freilich wird ein Gleichlauf im Vertragsrecht häufig durch eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung erzielt. Außerdem wird für Verbraucherverträge im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten durch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers nach Art. 6(1) Rom I-VO, der regelmäßig auch Erfüllungsort bzw. Wohnsitz des Verbrauchers ist (besonderer Verbrauchergerichtsstand in Art. 16 Brüssel I-VO), in der Regel ein Gleichlauf bestehen. Obwohl ein solcher Gleichlauf allgemein als erstrebenswert angesehen wird, da er eine erhöhte Richtigkeitsgewähr bietet, lehnen die meisten nationalen Zuständigkeitssysteme und auch die Brüssel I-VO eine strikte Gleichlaufzuständigkeit im Sinne eines forum legis, also die Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte desjenigen Staates, dessen Recht anwendbar ist, ab (anders etwa Rule 6.20(5)(c) Civil Procedure Rules im englischen Recht für vertragliche Ansprüche).

4. Regelungsstrukturen im europäischen Recht

Das Recht der internationalen Zuständigkeit war, zusammen mit der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, einer der ersten Bereiche eines europäischen internationalen Zivilprozessrechts. Die Harmonisierung erfolgte zunächst durch das Brüsseler EWG-Übereinkommen (EuGVÜ) von 1968. Nachdem eine Ermächtigungsgrundlage der EG in Art. 65 EG/81 AEUV durch den Vertrag von Amsterdam geschaffen worden war, wurde das EuGVÜ durch die nahezu identische Brüssel I-VO ersetzt (siehe deren Art. 68). Sie bildet das Herzstück des europäischen Rechts der internationalen Zuständigkeit.

Die Brüssel I-VO soll zusammen mit den kollisionsrechtlichen Rom I- (VO 593/2008) und Rom II-VO (VO 864/2007) ein einheitliches, integriertes System des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts in Zivil- und Handelssachen schaffen. Ziel dieses Systems ist es, äußeren Entscheidungseinklang innerhalb der Europäischen Union zu erzielen und Anreize für ein rechtsmissbräuchliches forum shopping zu nehmen: Die Gerichte aller Mitgliedstaaten sollen in grenzüberschreitenden Sachverhalten zur gleichen Zuständigkeit und zum gleichen anwendbaren Recht gelangen. Dadurch sollen prozesstaktische Missbrauchsmöglichkeiten reduziert werden, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen zu gewährleisten.

a) Brüssel I-VO

Die Brüssel I-VO schafft ein dem kontinentaleuropäischen Modell folgendes System klar definierter Zuständigkeiten in Form einzelner Gerichtsstände für Zivil- und Handelssachen.

Ausgenommen sind nach Art. 1(2)(a) Brüssel I-VO Personenstands-, Ehe- und Erbrechtsangelegenheiten, für die teilweise konkurrierende Verordnungen existieren oder geplant sind.

Das gleiche gilt für Konkurse und Insolvenzen, die nach Art. 1(2)(b) Brüssel I-VO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen und durch die EuInsVO (VO 1346/2000) erfasst werden. Unklar ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob die EuInsVO insolvenzrechtliche Annexverfahren erfasst oder ob solche Verfahren trotz des Ausschlusses in Art. 1(2)(b) der Brüssel I-VO unterfallen. Der EuGH hat Art. 3(1) EuInsVO in Deko Marty Belgium (EuGH Rs. C-339/07, EWir 2009, 53) dahin ausgelegt, dass er den Gerichten des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für solche Klagen unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten die internationale Zuständigkeit zuweist, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (Rn. 21). Die Brüssel I-VO und die EuInsVO sollen nahtlos aneinander angrenzen, sich aber nicht überschneiden. Dementsprechend hat der EuGH in Gourdain (EuGH Rs. 133/78, Slg. 1979, 733; noch zum EuGVÜ) und in Deko Marty Belgium (Rn. 28) Insolvenzanfechtungsklagen dem Anwendungsbereich des Art. 3(1) EuInsVO zugerechnet und vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO ausgeschlossen.

Der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nach Art. 1(2)(d) Brüssel I-VO erklärt sich vor dem Hintergrund des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von 1958, dem sämtliche Mitgliedstaaten beigetreten sind. Das New Yorker Übereinkommen geht der Brüssel I-VO nach deren Art. 71 vor. Inwiefern das Schiedsverfahren unterstützende Verfahren vor staatlichen Gerichten dem Zuständigkeitsregime der Brüssel I-VO unterfallen, ist umstritten. Der EuGH hat bisher nur Einzelfälle geklärt. Entscheidendes Kriterium ist danach, ob die Schiedsgerichtsbarkeit den Gegenstand des Verfahrens bildet. Nur wenn dies der Fall ist, ist das Verfahren vom Anwendungsbereich der Brüssel I-VO ausgeschlossen; EuGH Rs. C-190/89 – Marc Rich, Slg. 1991, I-3855 (Schiedsrichterbenennung: außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel I-VO), EuGH Rs. C-391/95 – van Uden, Slg. 1998, I-7091 (Sicherung des materiellrechtlichen, im Schiedsverfahren geltend zu machenden Anspruchs: im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO). Im Hinblick auf anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen hat der EuGH entschieden, dass sie mit der Brüssel I-VO unvereinbar sind. Denn sie nehmen dem nach der Verordnung angerufenen staatlichen Gericht die Befugnis, unabhängig über seine Zuständigkeit (einschließlich der Vorfrage der Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung) zu entscheiden, und damit der Verordnung ihre praktische Wirksamkeit (Rs. C-185/07 – West Tankers, IPRax 2009, 336). Anknüpfend an die Entscheidung des EuGH in Turner (Rs. C-159/02, Slg. 2004, I-3565) sind damit alle Arten von anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO unzulässig.

Die Systematik der Brüssel I-VO und ihre Gerichtsstände sind dem kontinentaleuropäischen Juristen vertraut. Art. 2 eröffnet den allgemeinen Beklagtengerichtsstand am Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten. Die Art. 5 bis 21 enthalten besondere Gerichtsstände. Von zentraler Bedeutung sind der allgemeine Vertragsgerichtsstand am Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1, der nunmehr autonom definiert ist, und der Gerichtsstand für deliktische Ansprüche nach Art. 5 Nr. 3. Letzterer ist nach der Rechtsprechung des EuGH alternativ am Handlungs- und Erfolgsort begründet (EuGH Rs. 21/76 – Mines de Potasse d’Alsace, Slg. 1976, I-1735). Für Ansprüche aus Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sieht die Brüssel I-VO zusätzliche, teils zwingende Gerichtsstände zugunsten der als strukturell schwächer angesehenen Partei, also dem Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer, vor. So kann etwa der Verbraucher auch an seinem Wohnsitz klagen (Art. 16(1)) und umgekehrt nur an seinem Wohnsitz verklagt werden (Art. 16 (2)). Besondere Annexzuständigkeiten eröffnet Art. 6 bei Konnexität in Fällen mehrerer Beklagter für Regressklagen, Widerklagen und Vertragsklagen am dinglichen Gerichtsstand. Die Vorschrift dient in erster Linie der Prozessökonomie. Schließlich eröffnet Art. 22 die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen im Hinblick auf dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, zahlreiche gesellschaftsrechtliche Klagen und einige Registerrechte. Es folgen die Regelungen über die Begründung der (in der Regel ausschließlichen) Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 23) und rügeloser Einlassung (Art. 24). Die Art. 25 ff regeln die Prüfung der Zuständigkeit und Zulässigkeit des Verfahrens. Art. 27 ff betreffen die praktisch sehr relevante Problematik anderweitiger Rechtshängigkeit, für die sie den lis alibi pendens-Grundsatz festschreiben (siehe dazu EuGH Rs. C-116/02 – Gasser, Slg. 2003, I-14693). Der lis alibi pendens Grundsatz wird allerdings durch das Grünbuch der Kommission vom 21.4.2009 (KOM(2009) 175 endg.) insbesondere für Gerichtsstandsvereinbarungen zur Diskussion gestellt und die Frage aufgeworfen, ob Parallelverfahren nicht auf anderem Wege verhindert werden können.

Abgesehen von den Fällen ausschließlicher Zuständigkeit, von Gerichtsstandsvereinbarungen und rügeloser Einlassung greifen die Gerichtsstände der Brüssel I-VO nur ein, sofern der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat der EU hat (Art. 4). Darüber hinaus ist kein qualifizierter Drittstaatenbezug zu einem weiteren Mitgliedstaat erforderlich. Ausreichend ist vielmehr ein einfacher grenzüberschreitender Bezug zu einem Nichtmitgliedstaat (EuGH Rs. C-281/02 – Owusu, Slg. 2005, I-1383). Dies eröffnet der Brüssel I-VO einen sehr weiten räumlichen Anwendungsbereich und gewährt Kläger wie Beklagtem im Falle eines Wohnsitzes bzw. Sitzes des Beklagten in einem Mitgliedstaat die Gewissheit, stets in einem Gerichtsstand der Brüssel I-VO klagen, aber auch nur in einem Gerichtsstand der Brüssel I-VO verklagt werden zu können. Die Groupe européen de droit international privé (GEDIP) hat im September 2008 Vorschläge unterbreitet, Art. 4 der Brüssel I-VO zu streichen und das Zuständigkeitsregime der Brüssel I-VO insgesamt auf sämtliche, also auch reine Drittstaatensachverhalte anzuwenden.

Zur Vorbereitung einer möglichen Reform der Brüssel I-VO haben Burkhard Hess, Thomas Pfeiffer und Peter Schlosser im Auftrag der Kommission kürzlich einen umfangreichen Bericht mit konkreten Reformvorschlägen (sog. „Heidelberg Report“, Study JLS/C4/2005/03) erstellt. Die Kommission hat auf dieser Grundlage am 21.4.2009 einen Bericht (KOM (2009) 174 endg.) und ein Grünbuch (KOM(2009) 175 endg.) vorgelegt, die zur Reform der Brüssel I-VO führen sollen. Die aufgeworfenen Fragen lassen das Zuständigkeitsregime (abgesehen von Gerichtsstandsvereinbarungen) jedoch eher unberührt.

b) Sonstiges Sekundärrecht

Auf das jeweilige Rechtsgebiet bezogene Vorschriften über die internationale Zuständigkeit finden sich in zahlreichen europäischen Sekundärrechtsakten. Als lex specialis verdrängen sie die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der Brüssel I-VO nach deren Art. 67.

So ist die internationale Zuständigkeit in Ehesachen und Verfahren über die elterliche Verantwortung in der Brüssel IIa-VO, die Zuständigkeit in Unterhaltssachen in der VO 4/2009 geregelt (Europäisches Internationales Familienrecht).

Im gewerblichen Rechtsschutz finden sich Vorschriften über die internationale Zuständigkeit etwa in Art. 90 ff Gemeinschaftsmarken-VO (VO 40/94 = 94 ff. VO 207/2009 [konsolidierte Fassung]; Gemeinschaftsmarke), in Art. 79 ff Gemeinschaftsgeschmackmuster-VO (VO 6/2002; Gemeinschaftsgeschmacksmuster) und in Art. 101 f Gemeinschaftssortenschutz-VO (VO 2001/ 94; Sortenschutz).

5. Einheitsrecht

Regelungen über die internationale Zuständigkeit finden sich hinsichtlich spezifischer Rechtsgebiete auch in zahlreichen völkerrechtlichen Übereinkommen. Sie gehen den Regelungen der Brüssel I-VO nach deren Art. 71 vor. Dies sind etwa im Minderjährigenschutzrecht Art. 1 MSA (1961) und Art. 5 ff KSÜ (1996) (Kindschaftsrecht, internationales); im Straßengüterverkehr Art. 31 CMR (1956), im Eisenbahnverkehr Art. 52 CIV und Art. 56 CIM, für Schadensersatzklagen aus der Beförderung im Luftverkehr Art. 28, 32 des Warschauer Übereinkommens (1929) sowie Art. 33 des Montrealer Übereinkommens (1999), im Schiffsverkehr Art. 34 Abs. II der revidierten Rheinschifffahrtsakte (1868) und für die Seeschifffahrt Art. 1, 2 des Brüsseler Übereinkommens für Schiffszusammenstöße (1952); im Kernenergiehaftungsrecht Art. 13 des Pariser Haftungsübereinkommens (1960) und Art. XI des Wiener Haftungsübereinkommens (1963).

Das Projekt, eine weltweit geltende Konvention zur Regelung der internationalen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu schaffen, ist gescheitert. Auch die Bemühungen der USA seit den frühen 1990er Jahren im Rahmen der Haager Konferenz für IPR brachten nicht den erhofften Durchbruch. Die transatlantischen Differenzen erwiesen sich als unüberbrückbar. Die USA strebten eine convention mixte an, die einen weiten Bereich der internationalen Zuständigkeit zum Schutz ihrer klägerfreundlichen Gerichtsstände unvereinheitlicht ließ, die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile jedoch umfassend sicherte. Die Europäer hingegen wollten das genaue Gegenteil in Form einer convention double durchsetzen: klare Zuständigkeitsregeln und die Möglichkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die sich auf exorbitante, besonders klägerfreundliche Zuständigkeiten der US-amerikanischen Gerichte stützen, ablehnen zu können.

Literatur

Andreas Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969; Jochen Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971; Jan Kropholler; Internationale Zuständigkeit, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. I, Kap. 3, 1982; Thomas Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995; Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 5. Aufl. 2005; Adrian Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 4. Aufl. 2005; Haimo Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006; Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozeßrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2006; Ulrich Magnus, Peter Mankowski (Hg.), Brussels I Regulation, 2007; Burkhard Hess, Thomas Pfeiffer, Peter Schlosser (Hg.), The Brussels I Regulation 44/2001. Application and Enforcement in the EU, 2008; Peter Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009.

Abgerufen von Vertragsaufhebung – HWB-EuP 2009 am 29. März 2024.

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Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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