Erfüllungsanspruch und Vertragsaufhebung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Jens Kleinschmidt]]''
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== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
Das Gewaltmonopol des Staates verbietet dem Gläubiger bei Ausbleiben einer vertraglich versprochenen Leistung grundsätzlich Selbsthilfe (aber: [[Aufrechnung]]; [[Zurückbehaltungsrecht]]) und verweist ihn auf Gerichts‑ und Vollstreckungsverfahren. Bedeutet nun aber die Annahme, dass ein Vertrag den Schuldner zur Erbringung der Leistung verpflichtet, zwingend, dass das materielle Recht an die [[Nichterfüllung]] (bzw. Schlechterfüllung) dieser Verpflichtung einen Anspruch auf (Nach‑)Erfüllung des Versprochenen ''in natura'' knüpft und dann in zweiter Linie einen derartigen Anspruch auch im Vollstreckungswege durchsetzt, den Erfüllungsanspruch also mit Erfüllungszwang ausstattet? Dafür spricht, dass dem Gläubiger mit dem Vertrag die Erbringung der Leistung versprochen wurde und diese Zusage am ehesten durch Naturalerfüllung eingehalten wird, ferner, dass die geschuldete Leistung einfacher zu bestimmen sein kann als ein an ihre Stelle tretendes Interesse. Denn als Alternative könnte das materielle Recht den Gläubiger auf einen Schadensersatzanspruch verweisen (Geldkondemnation) oder das Vollstreckungsrecht einem zwar bestehenden Anspruch auf Naturalerfüllung die zwangsweise Durchsetzung versagen. Für diese Alternative streitet erstens die Freiheit des Schuldners, in die ein Erfüllungszwang eingreift: Während die Pflicht zur Geldleistung nur das Vermögen des Schuldners betrifft und verhältnismäßig einfach zu vollstrecken ist, schränkt der Zwang, präzise etwas zu tun oder zu unterlassen, die Freiheit der Person ein. Zweitens erscheint ein Erfüllungszwang nicht immer zweckmäßig: Einerseits kann die Vollstreckung (z.B. bei [[Dauerschuldverhältnisse]]n) mühsam sein; andererseits ist dem Gläubiger, der sich am Markt schneller ein Substitut besorgen kann, vielleicht mit Geld besser gedient. Ob es auch effizienter ist, einen nicht leistungswilligen Schuldner mit einer Schadensersatzzahlung zu entlassen (''efficient breach''), wird verbreitet angenommen, neuerdings aber verstärkt bezweifelt. Eine derartige disjunktive Obligation steht zudem im Widerspruch zum Parteiwillen.
=== a) Bestimmung des Begriffs ===
Unter Vertragsaufhebung im Sinne des europäischen Vertragsrechts versteht man die einseitige Abstandnahme einer Partei von einem Vertrag wegen [[Nichterfüllung]] einer Vertragspflicht. Das Funktionsäquivalent hierzu ist in Deutschland der gesetzliche Rücktritt, in Frankreich die ''résolution'', in England die ''termination''. Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien von ihren Rechten und Pflichten für die Zukunft (so der Rücktritt im [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]]) oder mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (so die ''résolution'' im französischen ''[[Code civil]]''). Falls eine Partei bereits geleistet hat, kann die Vertragsaufhebung zur [[Rückabwicklung von Verträgen|Rückabwicklung des Vertrages]] führen. Voraussetzung der Vertragsaufhebung ist im europäischen Vertragsrecht die Nichterfüllung einer Vertragspflicht durch die andere Partei. Nicht darunter fällt deshalb die Anfechtung des Vertrages aufgrund eines [[Irrtum]]s, einer [[Täuschung]] oder einer [[Drohung]]. Ebensowenig erfasst der technische Begriff der Vertragsaufhebung die einverständliche Auflösung des Vertrages durch die Parteien.


== 2. Ansätze in den nationalen Rechts­ordnungen ==
=== b) Funktion ===
Abzuschichten sind zunächst Ansprüche auf Leistung einer Geldsumme, die grundsätzlich überall ''in natura'' eingeklagt und mittels Vollstreckung in das Schuldnervermögen zwangsweise durchgesetzt werden können. Für andere Leistungspflichten jedoch unterscheiden sich die Ansätze. Das antike römische Recht hatte noch eine eindeutige Entscheidung getroffen: ''omnis condemnatio pecuniaria'' – selbst wenn auch nach römischem Verständnis ein Vertrag darauf gerichtet war, erfüllt zu werden, wurde der Schuldner im Falle der Nichterfüllung nur zur Interesseleistung in Geld verurteilt. Während für Sachleistungen (''obligationes dandi'') schon das ''[[Corpus Juris Civilis]]'' allgemein einen Anspruch auf den geschuldeten Gegenstand anerkannte, blieb die Frage nach der Naturalerfüllung insbesondere bei Handlungspflichten (''obligationes faciendi'') für die folgenden Jahrhunderte hoch kontrovers. Forderten etwa Kanonisten, die jeden Vertragsbruch als Sünde ansahen, einen umfassenden Anwendungsbereich der Naturalerfüllung, hielten viele andere eine Verurteilung zur Vornahme einer Handlung ''in natura'' für einen inopportunen Eingriff in die Freiheit des Schuldners. Dies kam in der Parömie „nemo potest praecise cogi ad factum“ zum Ausdruck. Über ''Robert Joseph Pothier'' fand der Gedanke Eingang in Art. 1142 des ''Code civil''. Diese Bestimmung führt bis heute zu einer gewissen Unsicherheit im französischen Recht über den Kreis der ''in natura'' zu erfüllenden Verpflichtungen; jedenfalls aber bewirkt sie, dass schon auf der Ebene des materiellen Rechts nicht allen Leistungspflichten in Frankreich ein klagbarer Erfüllungsanspruch gegenüber steht. Diesen letzten Schritt ging erst im 19. Jahrhundert die deutsche Pandektenwissenschaft und entschied den Streit um die richtige Kondemnationsform pauschal zugunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung; der Erfüllungsanspruch wurde zum „Rückgrat der Obligation“ (''Ernst Rabel''). Der Konflikt mit der Schuldnerfreiheit wurde auf die Ebene der Zwangsvollstreckung verlagert (s.u.).
Zweck der Vertragsaufhebung ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der benachteiligten Partei an einer effektiven Sanktion für die Nichterfüllung und den Interessen der Rechtsordnung und der vertragsbrüchigen Partei an der Aufrechterhaltung des Vertrages zu finden.


Demgegenüber gelangt das englische Recht zu einem weniger eindeutigen Ergebnis: Regelmäßige Sanktion für die Verletzung eines nicht auf eine Geldleistung gerichteten formlosen Versprechens ist die Verpflichtung, [[Schadensersatz]] (''damages'') zu zahlen. Nur ausnahmsweise und nur dort, wo Schadensersatz nicht ausreichend (''adequate'') erscheint, knüpft sich an die Nichterfüllung die Verurteilung zur Naturalerfüllung, sog. ''specific performance'' (bzw. ''injunction'' bei Unterlassungspflichten). Ersatz in Geld reicht insbesondere dort nicht aus, wo kein messbarer Schaden besteht, die Höhe des Ersatzanspruchs schwer zu ermitteln oder ein Substitut für die Leistung schwer zu erlangen ist: bei Grundstücken und beweglichen Speziessachen, aber auch bei Gattungsware, die auf dem Markt schwer erhältlich ist. Doch bleibt die Wahl des Rechtsbehelfs im (präjudiziengebundenen) Ermessen des Gerichts, das insbesondere dann keine ''specific performance'' anordnen wird, wenn dies einen übermäßigen Eingriff in die Freiheit des Schuldners bedeuten würde – so bei ''contracts for personal services'' oder wenn ein Erfüllungszwang das Gericht mit andauernden Überwachungsaufgaben belasten würde.
Einerseits kann die benachteiligte Partei infolge der Vertragsverletzung ein Interesse an der Vertragsaufhebung haben. Auf der anderen Seite beschränken grundsätzlich alle Rechtsordnungen die Vertragsaufhebung auf Vertragsverletzungen, die ein bestimmtes Gewicht haben. Ein Grund dafür liegt in der Überlegung, dass die Aufhebung des Vertrages dem allgemeinen Grundsatz ''pacta sunt servanda'' widerspricht. Die Parteien sollen sich nur in Ausnahmefällen von ihren vertraglichen Pflichten lossagen können. Ein zweiter Grund für die Beschränkung der Vertragsaufhebung ergibt sich aus wirtschaftlichen Überlegungen. Eine Vertragsaufhebung führt häufig zur Rückabwicklung des Vertrages, die mit nicht unerheblichen Kosten und Risiken verbunden sein kann, z.B. wenn die Kaufsache zurück zum Verkäufer transportiert werden muss. Des Weiteren kann die Vertragsaufhebung die nicht leistende Partei insofern beeinträchtigen, als der von ihr bereits zur Vorbereitung der Leistung betriebene Aufwand sich im Nachhinein als vergeblich herausstellt. Schließlich bewirkt die Aufhebung des Vertrages, dass die nicht leistende Partei einem Risiko in Bezug auf die Verwertbarkeit der Leistung am Markt ausgesetzt ist, das entsprechend des Vertrages von der benachteiligten Partei zu tragen war.


Die Ausgestaltung des Erfüllungsanspruchs als Ausnahmerechtsbehelf ist historisch bedingt. Am Ausgangspunkt stand auch in England der Grundsatz der Geldkondemnation. Die deliktsrechtliche Wurzel der ''action of assumpsit'', der Klage wegen Verletzung eines formlosen Versprechens, machte einen Anspruch auf Schadensersatz in Geld zur Regelsanktion einer Nichterfüllung (einschließlich Schlechterfüllung). Wo jedoch Schadensersatz dem (im kanonischen Recht geschulten) ''Chancellor'', der dem ''common law'' eine an Billigkeit orientierte ''equity''-Rechtsprechung entgegensetzte, nicht genügend erschien, um das Gläubigerinteresse zu befriedigen, konnte er die präzise Erfüllung des Versprochenen anordnen. Dieses Verhältnis beider Rechtsbehelfe blieb auch nach Aufhebung der Trennung zwischen ''[[common law]]'' und ''[[equity]]'' erhalten. Aus heutiger Sicht lassen sich weitere Gründe dafür ergänzen: Die Beschränkung des Gläubigers auf Schadensersatz lässt sich auch als Folge einer den gesamten Bereich der Rechtsbehelfe (''remedies'') durchziehenden Schadensminderungspflicht des Gläubigers begreifen, die ihn etwa dazu anhält, rechtzeitig ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, wo ihm dies zumutbar ist. Überdies kann das englische Vollstreckungsrecht Urteile, die auf Naturalerfüllung gerichtet sind, in vielen Fällen nur mit Hilfe massiver quasi-strafrechtlicher Sanktionen wegen eines ''contempt of court'' durchsetzen. Deren unter Umständen unverhältnismäßig erscheinende Schwere mag ebenfalls für die Bevorzugung von Schadensersatz als Rechtsbehelf verantwortlich sein.
=== c) Historischer Hintergrund ===
Das [[Römisches Recht|römische Recht]] kannte kein allgemeines Recht auf Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung einer Vertragspflicht. Jedoch wurde das Prinzip ''pacta sunt servanda'' nie ausnahmslos durchgesetzt. So konnte beispielsweise ein Kaufvertrag aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der ''actio redhibitoria'' vorlagen. Danach konnte sich ein Käufer vom Vertrag lösen, wenn die Kaufsache nicht die zugesicherten Eigenschaften aufwies oder er arglistig getäuscht wurde (Details zu den sog. adilizischen Rechtsbehelfen, zu denen auch die ''actio redhibitoria'' gehörte, unter dem Stichwort [[Minderung]]). Das BGB wagte am Ende des 19. Jahrhundert den Bruch mit der römischen Tradition und erkannte ein allgemeines Rücktrittsrecht an. Das Recht zum Rücktritt basierte auf dem Gedanken der ''lex commissoria''. Hiernach enthält jeder Vertrag eine stillschweigende Vereinbarung, dass ein Rücktritt unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll, z.B. bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung, Schuldnerverzug oder positiver Vertragsverletzung.


== 3. Konvergenzen und verbleibende Unterschiede ==
Die Vertreter des [[Naturrecht]]s hatten eine andere dogmatische Begründung für die Vertragsaufhebung entwickelt. Die Pflichten der Parteien eines synallagmatischen Vertrages sind demnach insofern voneinander abhängig, als die Nichterfüllung einer Vertragspflicht dazu führt, dass die andere Partei nicht zu leisten verpflichtet ist und das Recht erlangt, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Ausdruck gefunden hat diese Lehre in Art. 1184 frz. ''Code civil''. Hiernach enthält ein synallagmatischer Vertrag eine stillschweigend vereinbarte auflösende Bedingung für den Fall, dass eine Partei ihre Pflichten nicht erfüllt.
Trotz dieser unterschiedlichen Gewichtung des Erfüllungsanspruchs werden die praktischen Ergebnisse oft nahe beieinander liegen. Dies ist mehreren Faktoren geschuldet: (i) In England zeichnet sich die Tendenz ab, ''specific performance'' eher zu begünstigen; es soll weniger auf die ''inadequacy'' von Schadensersatz als auf die ''appropriateness'' der Erfüllung ankommen. Manche sehen bereits eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses am Horizont. Charakteristisch für diese Tendenz ist die Nacherfüllung beim [[Verbrauchsgüterkauf]], wo aufgrund der Richtlinienumsetzung der Käufer auch für mangelhafte Gattungsware die Lieferung einer neuen Sache ''in natura'' verlangen kann. (ii) Die Formulierung des Art. 1142 ''Code civil'' gilt heute allgemein als zu weit geraten, und es lässt sich im französischen Recht die Tendenz beobachten, die Naturalerfüllung als Regelsanktion zu betrachten. Der Regelungsvorschlag im „Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription“ von September 2005 und nachfolgende Reformentwürfe statuieren auch für Handlungspflichten die ''exécution en nature'' als regelmäßige Rechtsfolge und nur für deren Ausbleiben einen Anspruch auf Geldersatz. Vorangetrieben wurde diese Tendenz auf der Ebene der Vollstreckung mit dem universalen Zwangsmittel der ''astreinte'', das von der französischen Rechtsprechung entwickelt, mittlerweile aber vom Gesetzgeber anerkannt (und auch anderswo rezipiert) wurde. Dieses Zwangsgeld kann der Richter nahezu jeglichem Leistungsurteil hinzufügen; es bemisst sich nicht nach dem Schaden des Gläubigers, sondern nach der Leistungsfähigkeit und Hartnäckigkeit des Schuldners. Es bewirkt somit einen nur mittelbaren Erfüllungszwang, der sich nicht gegen die Person, sondern gegen das Vermögen des Schuldners richtet und daher einen geringeren Eingriff in dessen Freiheit bedeutet. Nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa bei Leistungen mit besonderem persönlichen Charakter (z.B. künstlerischen Leistungen), steht die ''astreinte'' nicht zur Verfügung, und der Gläubiger muss sich mit Schadensersatz begnügen. Bemerkenswert ist, dass das Zwangsgeld an den Gläubiger und nicht an den Staat fließt. Eine hälftige Teilung des Zwangsgelds sieht das portugiesische Recht vor. (iii) Das auf materiell-rechtlicher Ebene so umfassende Prinzip des deutschen Modells wird auf der Ebene der Zwangsvollstreckung relativiert: Zwar sind bestimmte unvertretbare Handlungen und Unterlassungen mittels eines Zwangsgeldes erzwingbar. Doch ist z.B. die Leistung unvertretbarer Dienste – zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Schuldnerfreiheit − von einer Zwangsvollstreckung überhaupt ausgenommen und werden vertretbare Handlungen nicht mit Zwangsmitteln gegen den Schuldner, sondern im Wege einer vom Gläubiger zu organisierenden Ersatzvornahme vollstreckt. Die Kosten der Ersatzvornahme trägt der Schuldner, der folglich mit einer Geldzahlung entlassen wird. Die Möglichkeit der Ersatzvornahme kennen auch andere Rechtsordnungen – darunter das französische Recht ''anstelle ''der von einer ''astreinte'' begleiteten Verurteilung zur Naturalerfüllung. (iv) Eine Annäherung ergibt sich schließlich in praktischer Hinsicht: Der Gläubiger einer ohne Weiteres auf dem Markt verfügbaren Leistung wird kaum die Mühe auf sich nehmen, ein Leistungsurteil zu erstreiten und dieses durchzusetzen, sondern er wird den aus einem Deckungsgeschäft eventuell entstandenen Schaden liquidieren.


Freilich darf diese Annäherung nicht verdecken, dass noch Unterschiede verbleiben. Der Gläubiger kann nach kontinentalem Verständnis risikolos auf Erfüllung klagen; nach ''common law'' ist es das Gericht, das entscheidet, ob er Naturalerfüllung verlangen kann. Der Gläubiger riskiert also, vom Gericht zu erfahren, dass er ein Deckungsgeschäft hätte vornehmen müssen. Ist dieses nur noch zu ungünstigeren Bedingungen möglich, kann er aufgrund seiner Obliegenheit zur Schadensminderung nicht vollen Ersatz erlangen. Hervorzuheben ist schließlich ein konzeptioneller Unterschied zwischen kontinentaler und englischer Sichtweise, der sich auch auf die prozessuale Durchsetzung auswirkt: Nach kontinentalem Verständnis ist der auf Erfüllung gerichtete Primäranspruch unter Berufung allein auf Vertragsschluss und Fälligkeit einklagbar; ist der Erfüllungsanspruch dagegen wie in England ein Rechtsbehelf (''remedy'') für die Nichterfüllung einer Vertragspflicht, muss der Gläubiger zusätzlich die Nichterfüllung darlegen und beweisen.
== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
International ist eine Tendenz zu beobachten, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen – insbesondere im internationalen Kaufrecht ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]). Sie findet sich etwa im CISG, in den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]], in den [[Principles of European Contract Law|PECL]], im [[Common Frame of Reference|DCFR]], in der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) ([[Verbrauchsgüterkauf]]) und im neuen deutschen Kaufrecht ([[Kauf]]). Bei näherer Betrachtung dieser Regelwerke lassen sich drei Instrumente herausarbeiten, die eingesetzt werden, um die Vertragsaufhebung (allein oder kombiniert) zurückzudrängen: die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung ([[Vertrag]]), das Nachfristmodell und die Abwendungsbefugnis der nicht erfüllenden Partei.


== 4. Der Erfüllungsanspruch und seine Grenzen in den Grundregeln ==
(i)&nbsp;Die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung lässt die Vertragsaufhebung nur zu, wenn die Vertragsverletzung dazu geführt hat, dass das Interesse der anderen Partei am Vertrag weggefallen ist. Eine wesentliche Vertragsverletzung berechtigt sowohl im CISG (Art.&nbsp;49(1)(a)) als auch unter den UNIDROIT PICC (Art. 7.3.1(1)), den PECL (Art.&nbsp;9:301(1)) und dem DCFR (Art.&nbsp;III.-3:502) zur Vertragsaufhebung. Auf nationaler Ebene findet man das Konzept der wesentlichen Vertragsverletzung insbesondere im Kaufrecht skandinavischer Länder und solcher Staaten, die sich vom CISG haben inspirieren lassen, z.B. in Estland. Ähnlichkeiten bestehen ferner zum englischen Recht, das ein Recht zur Vertragsaufhebung vorsieht, wenn die verletzte Vertragsbestimmung eine ''condition'' (und nicht nur eine ''warranty'') darstellt; eines der Kriterien bei der Abgrenzung von ''condition'' und ''warranty'' ist, ob die benachteiligte Partei durch die Vertragsverletzung den mit dem Vertrag bezweckten Vorteil verlieren würde; siehe ''Hong Kong Fir Shipping Co Ltd v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd''<nowiki> [1962] 2 QB 26, 70 (CA).</nowiki>
Ein Erfüllungsanspruch für Geldschulden ist im Grundsatz in den [[Principles of European Contract Law|PECL]], in den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] wie auch im Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] vorgesehen, jedoch – im Unterschied zu vielen nationalen Rechtsordnungen – jeweils mit Einschränkungen, falls die Gegenleistung noch nicht erbracht wurde. Ein Erfüllungsanspruch besteht im Ausgangspunkt ebenso für alle anderen Leistungspflichten (Art.&nbsp;9:102 PECL; Art.&nbsp;III.&#8209;3:302 DCFR; Art.&nbsp;7.2.2 UNIDROIT PICC). Die Regelwerke konstruieren diesen Anspruch als Rechtsbehelf (''remedy'') und damit als Sanktion für die Nichterfüllung (einschließlich Schlechterfüllung) einer Verpflichtung. Dieser Rechtsbehelf steht auf einer Stufe mit den anderen Rechtsbehelfen (insbesondere Schadensersatz), sofern auch deren besondere Voraussetzungen vorliegen ([[Nichterfüllung]]). Von vornherein ausgeschlossen ist der Erfüllungsanspruch im Fall der aufgrund eines Hinderungsgrundes entschuldigten Nichterfüllung.


Von besonderer Bedeutung sind angesichts des unterschiedlichen Umfangs, in dem Erfüllungsansprüche in den nationalen Rechtsordnungen anerkannt sind, die Grenzen des Erfüllungsanspruchs. PECL und UNIDROIT PICC sehen dieselben fünf Ausschlussgründe vor, der DCFR enthält eine bedeutende Abweichung davon. Andere Rechtsbehelfe bleiben vom Ausschluss des Erfüllungsanspruchs unberührt. (i)&nbsp;Ausgeschlossen ist der Rechtsbehelf erstens, wenn die Erfüllung rechtswidrig wäre oder unmöglich ist. Umfasst sind objektive wie subjektive, dauernde wie zeitweilige Unmöglichkeit. Ob sich eine subjektive Unmöglichkeit beheben lässt, spielt offenbar keine Rolle. (ii)&nbsp;Ausgeschlossen ist der Rechtsbehelf zweitens, wenn die Erfüllung dem Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen würde. Die Bestimmung der Unangemessenheit ist dem Richter überlassen. Genauere Richtlinien lassen sich schon deshalb schwer angeben, weil hier die nationalen Rechtsordnungen die Parteiinteressen noch unterschiedlich gewichten. (iii)&nbsp;Drittens scheidet ein Erfüllungsanspruch aus, wo die Erfüllung in der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters besteht oder von einer persönlichen Beziehung abhängt. Diese Ausnahme nimmt die in ''common law'' wie ''civil law'' vertrauten Bedenken gegen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Person und hinsichtlich der zweifelhaften Qualität einer erzwungenen Dienstleistung auf. Daraus folgt, dass nur unvertretbare Handlungen gemeint sind: Bei vertretbaren Handlungen lässt sich der Eingriff in die persönliche Freiheit mit Hilfe einer Ersatzvornahme vermeiden. (iv)&nbsp;Die vierte und wichtigste Ausnahme versagt den Erfüllungsanspruch dann, wenn der Gläubiger die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann. Diese Ausnahme betrifft vertretbare Handlungen ebenso wie die Lieferung vertretbarer Sachen und bewirkt damit einen weitgehenden Ausschluss des Erfüllungsanspruchs in praktisch bedeutsamen Fällen. Mit dieser Ausnahme wird den Bedenken des ''common law'' Rechnung getragen, ''specific performance'' auch dort zu gewähren, wo ein Deckungsgeschäft möglich und zumutbar ist. Die Einschränkung will aber auch für ''civil law''-Rechtsordnungen hinnehmbar sein, da sie ohnehin der wirtschaftlichen Realität entspricht. Sie findet eine Entsprechung in der schottischen [[Mischrechtsordnungen|Mischrechtsordnung]]. Wann vernünftigerweise ein Deckungsgeschäft möglich ist, unterliegt zunächst der Einschätzungsprärogative des Gläubigers: Macht er Naturalerfüllung geltend, ist es Aufgabe des Schuldners, das Bestehen einer alternativen Quelle zu beweisen. Ob der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen war, erfährt der Gläubiger aber letztlich erst vom Gericht. Im Ergebnis ist dem Gläubiger damit ebenso wie im ''common law'' die Entscheidung über die Geltendmachung von Naturalerfüllung entzogen. Vermutlich aufgrund des Konflikts dieser Ausnahme mit dem Nacherfüllungsanspruch der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält Art.&nbsp;III.-3:302 DCFR (auf den Art.&nbsp;IV.-4:201&nbsp;(a) beim Kauf verweist) zwar die vorgenannten Ausschlusstatbestände, nicht aber diese Ausnahme. Stattdessen wird dem Gläubiger (lediglich) eine Obliegenheit zur Vornahme eines angemessenen, nicht mit nennenswerten Anstrengungen oder Kosten verbundenen Deckungsgeschäfts auferlegt. Bei deren Verletzung durch unangemessenes Bestehen auf dem Erfüllungsanspruch wird ein etwaiger Schadensersatzanspruch gekürzt, soweit sich der Schaden durch dieses Verhalten des Gläubigers erhöht hat (ebenso Art.&nbsp;8:202 ACQP). (v)&nbsp;Fünftens entfällt der Erfüllungsanspruch, wenn der Gläubiger ihn nicht innerhalb einer angemessenen Zeit geltend macht, nachdem er von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Damit werden dem Gläubiger ungerechtfertigte Möglichkeiten zur Spekulation auf Kosten des Schuldners genommen. (vi)&nbsp;Hinzu kommt ein Ausschluss des Erfüllungsanspruchs, wenn der Gläubiger einen damit unvereinbaren Rechtsbehelf geltend gemacht, insbesondere also die [[Vertragsaufhebung]] erklärt hat. Das bloße Bestehen eines Aufhebungsrechts oder die Ankündigung der Aufhebung mittels einer Nachfristsetzung hindern jedoch nicht daran, Naturalerfüllung zu verlangen (Art.&nbsp;III.-3:103&nbsp;(3) DCFR).
(ii)&nbsp;Das Nachfristmodell ist das zentrale Element der Rücktrittsvorschriften im neuen deutschen Schuldrecht. Eine Vertragsaufhebung (Rücktritt) ist grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Nachfrist möglich. Der Schuldner erhält mithin eine zweite Chance zur Leistung oder Nacherfüllung und kann die Vertragsaufhebung noch abwenden. Das System der Nachfristsetzung findet man – in eingeschränkter Form – ebenfalls im CISG (Art.&nbsp;49(1)(b)), in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.3.1(3)), in den PECL (Art.&nbsp;9:301(2) in Verbindung mit Art.&nbsp;8:106(3)) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:503).


Die skizzierte Regelung bewegt sich allein auf der Ebene des materiellen Rechts und muss notgedrungen das Zusammenspiel mit den Regeln der Zwangsvollstreckung außer Betracht lassen, die weiter den nationalen Rechtsordnungen überlassen bleiben. Daraus können im Ergebnis noch wichtige Unterschiede resultieren: (i)&nbsp;Die Verurteilung zur Lieferung von Gattungsware (wenn z.B. wegen Güterknappheit vernünftigerweise kein Deckungsgeschäft möglich ist) wird in Deutschland vollstreckt, indem der Gerichtsvollzieher die Sache beim Schuldner sucht und ihm wegnimmt; findet er sie (wie bei Güterknappheit anzunehmen) nicht, bleibt nur Schadensersatz. In England gerät der nichtleistende Schuldner in ''contempt of court'' und wird so gezwungen, sich die Ware zu besorgen, wenn er die damit verbundenen harten Sanktionen vermeiden will. (ii)&nbsp;Ein Leistungstitel kann schon durch seine Existenz auf die Leistungsbereitschaft des Schuldners einwirken. Dieses Potential bleibt ungenutzt, wenn die Naturalerfüllung schon auf materiell-rechtlicher statt erst auf vollstreckungsrechtlicher Ebene (z.B. Versagung der Zwangsvollstreckung, Verweis auf Ersatzvornahme) ausgeschlossen wird. (iii)&nbsp;Schließlich verbleiben Unterschiede hinsichtlich der Zwangsmittel im Einzelnen, insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit und des Empfängers eines Zwangsgeldes. Die UNIDROIT PICC (nicht aber PECL und DCFR) enthalten hierzu in Art.&nbsp;7.2.4 einen – erkennbar am Vorbild der ''astreinte'' orientierten – vollstreckungsrechtlichen Fremdkörper und erlauben einem Gericht, das einen Leistungstitel erlässt, zugleich ein Zwangsgeld für den Fall der Nichtbefolgung anzuordnen. Nur wo dies der ''lex fori'' zuwiderlaufen würde, soll das Zwangsgeld nicht an den Gläubiger gehen.
(iii)&nbsp;Viele Rechtsordnungen geben der nicht erfüllenden Partei das Recht, den Vertragsbruch auf für die andere Partei zumutbare Weise zu heilen und so die Vertragsaufhebung aus eigener Initiative zu verhindern (Abwendungsbefugnis durch [[Nacherfüllung]]). Das Recht zur Heilung spielt eine wichtige Rolle in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.1.4) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:202). In den PECL kann eine Partei nur dann eine Nichterfüllung heilen, wenn das ursprüngliche Angebot als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen wurde (Art.&nbsp;8:104). Auch im CISG steht dem Verkäufer nach heutigem Meinungsstand ein Heilungsrecht zu (Art.&nbsp;48(1)). In nationalen Rechtsordnungen findet sich ein entsprechendes Recht der nicht erfüllenden Partei unter anderem in §&nbsp;2.508(2) UCC, im niederländischen und italienischen Recht sowie in den nordischen Rechten.


== 5. Einheitsrecht ==
== 3. Einzelausgestaltung der Vertragsaufhebung im Einheitsrecht ==
Das Gemeinschaftsprivatrecht regelt einen Erfüllungsanspruch als Rechtsbehelf bislang allenfalls fragmentarisch für besondere Problemlagen. Auf den gegenüber [[Minderung]] und [[Vertragsaufhebung]] vorrangigen Anspruch des Verbrauchers auf Nacherfüllung (Nachbesserung oder Ersatzlieferung) beim [[Verbrauchsgüterkauf]] wurde bereits hingewiesen. Ansätze finden sich auch in Art.&nbsp;4(6) und (7) der Pauschalreise-RL (RL&nbsp;90/314) und in den Verordnungen über die Rechte von Fluggästen (Art.&nbsp;8 VO&nbsp;261/2004) oder Eisenbahnfahrgästen (Art.&nbsp;16 VO&nbsp;1371/ 2007), die jeweils einen Anspruch auf Durchführung der Reise bzw. Beförderung vorsehen. Teils werden auch Grenzen des Erfüllungsanspruchs mitgeregelt (Unmöglichkeit, Unverhältnismäßigkeit). Das UN-Kaufrecht gewährt sowohl dem Verkäufer als auch dem Käufer grundsätzlich einen Anspruch auf (Nach&#8209;)Erfüllung ''in natura'' und folgt damit im Ausgangspunkt dem kontinentalen Ansatz. Doch galten die unterschiedlichen Ansätze bei den Beratungen des UN-Kaufrechts von Anfang an als unüberbrückbar. Als Kompromiss enthält daher Art.&nbsp;28 CISG ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]) eine Kollisionsregel, wonach trotz des Bestehens eines Erfüllungsanspruchs nach den Vorschriften des UN-Kaufrechts ein Gericht nur dann zur Naturalerfüllung verurteilen muss, „wenn es dies auch nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen täte, die nicht unter [das UN-Kaufrecht] fallen“. Nennenswerte praktische Bedeutung hat die Vorschrift bislang nicht erlangt. Ein Notventil für ''common law''-Gerichte enthalten auch Art.&nbsp;12 Rom&nbsp;I-VO und Art.&nbsp;10 EVÜ, indem sie die Entscheidung zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz zwar der ''lex causae'' zuweisen, jedoch nur „in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse“.
Eine Normierung der Vertragsaufhebung muss folgende Fragen beantworten: Unter welchen Voraussetzungen ist die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung berechtigt? Wie wird das Recht auf Vertragsaufhebung ausgeübt? Welche Rechtsfolgen hat die Vertragsaufhebung?


Die Vollstreckung einer Verurteilung zur Naturalerfüllung in einem anderen Mitgliedstaat nach der Brüssel&nbsp;I-VO (VO&nbsp;44/2001) erfolgt mit den im Vollstreckungsstaat zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmitteln, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Gericht im Vollstreckungsstaat in einem derartigen Fall Naturalerfüllung oder nur Schadensersatz zugesprochen hätte. Zusätzlich hat der Gläubiger die Option, im Ausgangsstaat, soweit verfügbar, ein Zwangsgeld festsetzen zu lassen, das dann unter den Voraussetzungen von Art.&nbsp;49 Brüssel&nbsp;I-VO wie ein Geldtitel vollstreckt wird (wobei im Einzelnen vieles streitig ist). Ein Vorschlag einer einheitlichen Regel für ein Zwangsgeld findet sich in Rule&nbsp;35.2 der ALI/UNIDROIT-Arbeitsgruppe für ''Rules of Transnational Civil Procedure''.
=== a) Aufhebungsgründe ===
Ausgangspunkt der Vertragsaufhebung ist in den modernen Regelwerken ein einheitlicher Tatbestand der [[Nichterfüllung]] (Art.&nbsp;8:101(1) PECL; Art.&nbsp;7.1.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;45(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:101 DCFR). Hierunter fallen etwa die Schlechtleistung, die Nichterbringung der Leistung im Erfüllungszeitpunkt (unabhängig davon, ob die Leistung zu früh, zu spät oder gar nicht erbracht wird) oder die Verletzung von Nebenpflichten.


==Literatur==
Auf dieser Basis sehen alle Vereinheitlichungsprojekte grundsätzlich zwei Gründe vor, die zur Vertragsaufhebung berechtigen: die wesentliche Vertragsverletzung und die Nichtleistung nach Ablauf einer Nachfrist (Art.&nbsp;9:301 PECL; Art.&nbsp;7.3.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:502, 3:503 (DCFR)).
''Guenter H. Treitel'', Remedies for Breach of Contract, 1988, 43&nbsp;ff.; ''Oliver Remien'', Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld: Vergleich – Vereinheitlichung – Kollisionsrecht, 1992; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 770&nbsp;ff.; ''Marcel Fontaine'','' Geneviève Viney'' (Hg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001; ''Yves-Marie Laithier'', Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004; ''Tilman Repgen'', §§&nbsp;362-371, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/2, 2007; ''Hannes Unberath'', Die Vertragsverletzung, 2007; ''Jan M. Smits'','' Daniel Haas'','' Geerte Hesen ''(Hg.), Specific Performance in Contract Law. National and other Perspectives, 2008; ''Axel Flessner'', Der Geld-Erfüllungsanspruch im europäischen Vertragsrecht auf den Stufen zum Gemeinsamen Referenzrahmen, in: Festschrift für Eugen Bucher, 2009, 145&nbsp;ff.; ''Marc-Philippe Weller'', Die Vertragstreue, 2009.
 
In Bezug auf die Frage, wann eine Nichterfüllung wesentlich ist, zeigen sich graduelle Unterschiede. Während sich das CISG auf eine Generaldefinition in Art.&nbsp;25 beschränkt, geben die UNIDROIT PICC, die PECL und der DCFR dem Gesetzesanwender nähere Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit an die Hand. Nach allen Regeln liegt eine wesentliche Nichterfüllung vor, wenn dem Gläubiger im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die andere Partei das nicht vorausgesehen hat und nicht voraussehen konnte (Art.&nbsp;8:103(b) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(a) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;III.-3:502(2)(a) DCFR).
 
In diesem Rahmen ist nach allen Regelwerken zu berücksichtigen, ob die Parteien die genaue Einhaltung einer vertraglichen Verpflichtung als wesentlich vereinbart haben; so ist z.B. ist die Einhaltung der Leistungszeit bei einem Fixgeschäft von wesentlicher Bedeutung. Zum Teil wird dies ausdrücklich erwähnt (vgl. Art.&nbsp;8:103(a) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(b) UNIDROIT PICC); zum Teil wird es im Rahmen der allgemeinen Definition der wesentlichen Vertragsverletzung berücksichtigt (Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;3:502(2)(a) DCFR). Weitere Kriterien, die zur Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen werden, sind das Gewicht der Nichterfüllung und – teilweise – die Frage, ob es der benachteiligten Partei zumutbar ist, die erbrachte (vertragswidrige) Leistung anderweitig zu verwenden und etwaige Einbußen im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen.
 
In der Regel ist das Verschulden keine Voraussetzung für die Vertragsaufhebung. Allerdings können besondere Formen des Verschuldens, etwa Vorsatz oder Leichtfertigkeit, Indizien für das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung sein (Art.&nbsp;8:103&nbsp;(c) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(c) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;3:502(2)(b) DCFR).
 
Unabhängig von der Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung berechtigen alle Regelungswerke die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung, wenn diese der anderen Partei erfolglos eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung gesetzt hat, die erfolglos abgelaufen ist (Art.&nbsp;9:301(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1)(b) CISG; Art.&nbsp;3:503 DCFR). Der Anwendungsbereich dieses Aufhebungsrechts ist jedoch auf Fälle der Verzögerung der Leistung beschränkt.
 
Schließlich hat sich das aus dem ''[[common law]]'' Rechtskreis ([[Rechtskreislehre]]) stammende Institut der [[Antizipierte Nichterfüllung|antizipierten Nichterfüllung]] als Aufhebungsgrund durchgesetzt (Art. 9:304 PECL; Art.&nbsp;7.3.3 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;72 CISG; Art.&nbsp;III.-3:504 DCFR). Hiernach kann die benachteiligte Partei schon vor Fälligkeit der Leistung den Vertrag aufheben, wenn offensichtlich ist, dass es zu einer wesentlichen Vertragsverletzung kommen wird.
 
=== b) Mechanismus der Vertragsaufhebung ===
Im Gegensatz zum französischen, belgischen, italienischen und spanischen Recht, aber im Einklang mit z.B. dem deutschen Recht, bedarf es im europäischen Einheitsrecht keines gerichtlichen Verfahrens für die Vertragsaufhebung. Es genügt die Erklärung gegenüber der nicht leistenden Partei (Art.&nbsp;9:303(1) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(1) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;26 CISG; Art.&nbsp;III.-3:507 DCFR). Diese Erklärung muss innerhalb angemessener Frist vorgenommen werden, nachdem die benachteiligte Partei von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen (Art. 9:303(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(2) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(2) CISG; Art.&nbsp;III.-3:508(1) DCFR). In bestimmten Fällen ist eine Erklärung der Vertragsaufhebung entbehrlich: So kann die benachteiligte Partei ihre Nachfristsetzung mit einer Erklärung verbinden, dass der Vertrag nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist automatisch aufgehoben sein soll (Art.&nbsp;8:106(3) PECL; Art.&nbsp;7.1.5(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;III.-3:507(2) DCFR). Darüber hinaus kann eine Aufhebungserklärung nach einigen Regelwerken entbehrlich sein, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist, weil ein Fall der vollständigen und dauerhaften Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt (vgl. Art.&nbsp;9:303(4), 8:108 PECL).
 
=== c) Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung ===
Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien nach allen Regelwerken von ihrer Verpflichtung, künftige Leistungen zu erbringen und anzunehmen. Hingegen bleibt das Recht unberührt, im Wege des [[Schadensersatz]]es das Erfüllungsinteresse zu verlangen. Zudem wird ausdrücklich festgestellt, dass die Vertragsaufhebung Streitbeilegungsklauseln und solche Vereinbarungen, die gerade nach Aufhebung des Vertrages gelten sollen, nicht berührt (Art.&nbsp;9:305 PECL; Art.&nbsp;7.3.5 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:509 DCFR).
 
Auch wenn die Vertragsaufhebung nur für die Zukunft wirkt, führt sie, soweit schon Leistungen erbracht wurden, in der Regel zur &nbsp;Rückabwicklung des Vertrages (Art.&nbsp;9:306&nbsp;ff. PECL; Art.&nbsp;7.3.6 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(2), 82 CISG; Art.&nbsp;III.-3:511&nbsp;ff. DCFR).
 
== Literatur==
''Ernst Rabel'', Das Recht des Warenkaufs, Bd.&nbsp;I, 1936, Bd.&nbsp;II, 1958; ''G.H. Treitel'', Remedies for Breach of Contract, 1988, 318&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 800&nbsp;ff.; ''Andreas Schwartze'', Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, 174&nbsp;ff; ''Christian von Bar'', ''Reinhard Zimmermann'', Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, 439&nbsp;ff., 450&nbsp;ff., 495&nbsp;ff.; Andrea Sandrock, Vertragswidrigkeit der Sachleistung, 2003, 237&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The New German Law of Obligations, 2005, 66&nbsp;ff., 107&nbsp;f.; ''Peter Huber'', Comparative Sales Law, in: Mathias Reiman, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 937&nbsp;ff.; ''Axel Flessner'', Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997) 255&nbsp;ff.; ''Peter Schlechtriem'', Abstandnahme vom Vertrag, in: Jürgen Basedow (Hg.) Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; ''Peter Huber'', ''Alastair Mullis'', The CISG, 2007, 209&nbsp;ff.


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Version vom 31. August 2021, 18:08 Uhr

von Peter Huber

1. Gegenstand und Zweck

a) Bestimmung des Begriffs

Unter Vertragsaufhebung im Sinne des europäischen Vertragsrechts versteht man die einseitige Abstandnahme einer Partei von einem Vertrag wegen Nichterfüllung einer Vertragspflicht. Das Funktionsäquivalent hierzu ist in Deutschland der gesetzliche Rücktritt, in Frankreich die résolution, in England die termination. Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien von ihren Rechten und Pflichten für die Zukunft (so der Rücktritt im BGB) oder mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (so die résolution im französischen Code civil). Falls eine Partei bereits geleistet hat, kann die Vertragsaufhebung zur Rückabwicklung des Vertrages führen. Voraussetzung der Vertragsaufhebung ist im europäischen Vertragsrecht die Nichterfüllung einer Vertragspflicht durch die andere Partei. Nicht darunter fällt deshalb die Anfechtung des Vertrages aufgrund eines Irrtums, einer Täuschung oder einer Drohung. Ebensowenig erfasst der technische Begriff der Vertragsaufhebung die einverständliche Auflösung des Vertrages durch die Parteien.

b) Funktion

Zweck der Vertragsaufhebung ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der benachteiligten Partei an einer effektiven Sanktion für die Nichterfüllung und den Interessen der Rechtsordnung und der vertragsbrüchigen Partei an der Aufrechterhaltung des Vertrages zu finden.

Einerseits kann die benachteiligte Partei infolge der Vertragsverletzung ein Interesse an der Vertragsaufhebung haben. Auf der anderen Seite beschränken grundsätzlich alle Rechtsordnungen die Vertragsaufhebung auf Vertragsverletzungen, die ein bestimmtes Gewicht haben. Ein Grund dafür liegt in der Überlegung, dass die Aufhebung des Vertrages dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda widerspricht. Die Parteien sollen sich nur in Ausnahmefällen von ihren vertraglichen Pflichten lossagen können. Ein zweiter Grund für die Beschränkung der Vertragsaufhebung ergibt sich aus wirtschaftlichen Überlegungen. Eine Vertragsaufhebung führt häufig zur Rückabwicklung des Vertrages, die mit nicht unerheblichen Kosten und Risiken verbunden sein kann, z.B. wenn die Kaufsache zurück zum Verkäufer transportiert werden muss. Des Weiteren kann die Vertragsaufhebung die nicht leistende Partei insofern beeinträchtigen, als der von ihr bereits zur Vorbereitung der Leistung betriebene Aufwand sich im Nachhinein als vergeblich herausstellt. Schließlich bewirkt die Aufhebung des Vertrages, dass die nicht leistende Partei einem Risiko in Bezug auf die Verwertbarkeit der Leistung am Markt ausgesetzt ist, das entsprechend des Vertrages von der benachteiligten Partei zu tragen war.

c) Historischer Hintergrund

Das römische Recht kannte kein allgemeines Recht auf Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung einer Vertragspflicht. Jedoch wurde das Prinzip pacta sunt servanda nie ausnahmslos durchgesetzt. So konnte beispielsweise ein Kaufvertrag aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der actio redhibitoria vorlagen. Danach konnte sich ein Käufer vom Vertrag lösen, wenn die Kaufsache nicht die zugesicherten Eigenschaften aufwies oder er arglistig getäuscht wurde (Details zu den sog. adilizischen Rechtsbehelfen, zu denen auch die actio redhibitoria gehörte, unter dem Stichwort Minderung). Das BGB wagte am Ende des 19. Jahrhundert den Bruch mit der römischen Tradition und erkannte ein allgemeines Rücktrittsrecht an. Das Recht zum Rücktritt basierte auf dem Gedanken der lex commissoria. Hiernach enthält jeder Vertrag eine stillschweigende Vereinbarung, dass ein Rücktritt unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll, z.B. bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung, Schuldnerverzug oder positiver Vertragsverletzung.

Die Vertreter des Naturrechts hatten eine andere dogmatische Begründung für die Vertragsaufhebung entwickelt. Die Pflichten der Parteien eines synallagmatischen Vertrages sind demnach insofern voneinander abhängig, als die Nichterfüllung einer Vertragspflicht dazu führt, dass die andere Partei nicht zu leisten verpflichtet ist und das Recht erlangt, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Ausdruck gefunden hat diese Lehre in Art. 1184 frz. Code civil. Hiernach enthält ein synallagmatischer Vertrag eine stillschweigend vereinbarte auflösende Bedingung für den Fall, dass eine Partei ihre Pflichten nicht erfüllt.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

International ist eine Tendenz zu beobachten, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen – insbesondere im internationalen Kaufrecht (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)). Sie findet sich etwa im CISG, in den UNIDROIT PICC, in den PECL, im DCFR, in der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) (Verbrauchsgüterkauf) und im neuen deutschen Kaufrecht (Kauf). Bei näherer Betrachtung dieser Regelwerke lassen sich drei Instrumente herausarbeiten, die eingesetzt werden, um die Vertragsaufhebung (allein oder kombiniert) zurückzudrängen: die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung (Vertrag), das Nachfristmodell und die Abwendungsbefugnis der nicht erfüllenden Partei.

(i) Die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung lässt die Vertragsaufhebung nur zu, wenn die Vertragsverletzung dazu geführt hat, dass das Interesse der anderen Partei am Vertrag weggefallen ist. Eine wesentliche Vertragsverletzung berechtigt sowohl im CISG (Art. 49(1)(a)) als auch unter den UNIDROIT PICC (Art. 7.3.1(1)), den PECL (Art. 9:301(1)) und dem DCFR (Art. III.-3:502) zur Vertragsaufhebung. Auf nationaler Ebene findet man das Konzept der wesentlichen Vertragsverletzung insbesondere im Kaufrecht skandinavischer Länder und solcher Staaten, die sich vom CISG haben inspirieren lassen, z.B. in Estland. Ähnlichkeiten bestehen ferner zum englischen Recht, das ein Recht zur Vertragsaufhebung vorsieht, wenn die verletzte Vertragsbestimmung eine condition (und nicht nur eine warranty) darstellt; eines der Kriterien bei der Abgrenzung von condition und warranty ist, ob die benachteiligte Partei durch die Vertragsverletzung den mit dem Vertrag bezweckten Vorteil verlieren würde; siehe Hong Kong Fir Shipping Co Ltd v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd [1962] 2 QB 26, 70 (CA).

(ii) Das Nachfristmodell ist das zentrale Element der Rücktrittsvorschriften im neuen deutschen Schuldrecht. Eine Vertragsaufhebung (Rücktritt) ist grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Nachfrist möglich. Der Schuldner erhält mithin eine zweite Chance zur Leistung oder Nacherfüllung und kann die Vertragsaufhebung noch abwenden. Das System der Nachfristsetzung findet man – in eingeschränkter Form – ebenfalls im CISG (Art. 49(1)(b)), in den UNIDROIT PICC (Art. 7.3.1(3)), in den PECL (Art. 9:301(2) in Verbindung mit Art. 8:106(3)) und im DCFR (Art. III.-3:503).

(iii) Viele Rechtsordnungen geben der nicht erfüllenden Partei das Recht, den Vertragsbruch auf für die andere Partei zumutbare Weise zu heilen und so die Vertragsaufhebung aus eigener Initiative zu verhindern (Abwendungsbefugnis durch Nacherfüllung). Das Recht zur Heilung spielt eine wichtige Rolle in den UNIDROIT PICC (Art. 7.1.4) und im DCFR (Art. III.-3:202). In den PECL kann eine Partei nur dann eine Nichterfüllung heilen, wenn das ursprüngliche Angebot als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen wurde (Art. 8:104). Auch im CISG steht dem Verkäufer nach heutigem Meinungsstand ein Heilungsrecht zu (Art. 48(1)). In nationalen Rechtsordnungen findet sich ein entsprechendes Recht der nicht erfüllenden Partei unter anderem in § 2.508(2) UCC, im niederländischen und italienischen Recht sowie in den nordischen Rechten.

3. Einzelausgestaltung der Vertragsaufhebung im Einheitsrecht

Eine Normierung der Vertragsaufhebung muss folgende Fragen beantworten: Unter welchen Voraussetzungen ist die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung berechtigt? Wie wird das Recht auf Vertragsaufhebung ausgeübt? Welche Rechtsfolgen hat die Vertragsaufhebung?

a) Aufhebungsgründe

Ausgangspunkt der Vertragsaufhebung ist in den modernen Regelwerken ein einheitlicher Tatbestand der Nichterfüllung (Art. 8:101(1) PECL; Art. 7.1.1 UNIDROIT PICC; Art. 45(1) CISG; Art. III.-3:101 DCFR). Hierunter fallen etwa die Schlechtleistung, die Nichterbringung der Leistung im Erfüllungszeitpunkt (unabhängig davon, ob die Leistung zu früh, zu spät oder gar nicht erbracht wird) oder die Verletzung von Nebenpflichten.

Auf dieser Basis sehen alle Vereinheitlichungsprojekte grundsätzlich zwei Gründe vor, die zur Vertragsaufhebung berechtigen: die wesentliche Vertragsverletzung und die Nichtleistung nach Ablauf einer Nachfrist (Art. 9:301 PECL; Art. 7.3.1 UNIDROIT PICC; Art. 49(1) CISG; Art. III.-3:502, 3:503 (DCFR)).

In Bezug auf die Frage, wann eine Nichterfüllung wesentlich ist, zeigen sich graduelle Unterschiede. Während sich das CISG auf eine Generaldefinition in Art. 25 beschränkt, geben die UNIDROIT PICC, die PECL und der DCFR dem Gesetzesanwender nähere Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit an die Hand. Nach allen Regeln liegt eine wesentliche Nichterfüllung vor, wenn dem Gläubiger im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die andere Partei das nicht vorausgesehen hat und nicht voraussehen konnte (Art. 8:103(b) PECL; Art. 7.3.1(2)(a) UNIDROIT PICC; Art. 25 CISG; Art. III.-3:502(2)(a) DCFR).

In diesem Rahmen ist nach allen Regelwerken zu berücksichtigen, ob die Parteien die genaue Einhaltung einer vertraglichen Verpflichtung als wesentlich vereinbart haben; so ist z.B. ist die Einhaltung der Leistungszeit bei einem Fixgeschäft von wesentlicher Bedeutung. Zum Teil wird dies ausdrücklich erwähnt (vgl. Art. 8:103(a) PECL; Art. 7.3.1(2)(b) UNIDROIT PICC); zum Teil wird es im Rahmen der allgemeinen Definition der wesentlichen Vertragsverletzung berücksichtigt (Art. 25 CISG; Art. 3:502(2)(a) DCFR). Weitere Kriterien, die zur Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen werden, sind das Gewicht der Nichterfüllung und – teilweise – die Frage, ob es der benachteiligten Partei zumutbar ist, die erbrachte (vertragswidrige) Leistung anderweitig zu verwenden und etwaige Einbußen im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen.

In der Regel ist das Verschulden keine Voraussetzung für die Vertragsaufhebung. Allerdings können besondere Formen des Verschuldens, etwa Vorsatz oder Leichtfertigkeit, Indizien für das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung sein (Art. 8:103 (c) PECL; Art. 7.3.1(2)(c) UNIDROIT PICC; Art. 3:502(2)(b) DCFR).

Unabhängig von der Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung berechtigen alle Regelungswerke die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung, wenn diese der anderen Partei erfolglos eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung gesetzt hat, die erfolglos abgelaufen ist (Art. 9:301(2) PECL; Art. 7.3.1(3) UNIDROIT PICC; Art. 49(1)(b) CISG; Art. 3:503 DCFR). Der Anwendungsbereich dieses Aufhebungsrechts ist jedoch auf Fälle der Verzögerung der Leistung beschränkt.

Schließlich hat sich das aus dem common law Rechtskreis (Rechtskreislehre) stammende Institut der antizipierten Nichterfüllung als Aufhebungsgrund durchgesetzt (Art. 9:304 PECL; Art. 7.3.3 UNIDROIT PICC; Art. 72 CISG; Art. III.-3:504 DCFR). Hiernach kann die benachteiligte Partei schon vor Fälligkeit der Leistung den Vertrag aufheben, wenn offensichtlich ist, dass es zu einer wesentlichen Vertragsverletzung kommen wird.

b) Mechanismus der Vertragsaufhebung

Im Gegensatz zum französischen, belgischen, italienischen und spanischen Recht, aber im Einklang mit z.B. dem deutschen Recht, bedarf es im europäischen Einheitsrecht keines gerichtlichen Verfahrens für die Vertragsaufhebung. Es genügt die Erklärung gegenüber der nicht leistenden Partei (Art. 9:303(1) PECL; Art. 7.3.2(1) UNIDROIT PICC; Art. 26 CISG; Art. III.-3:507 DCFR). Diese Erklärung muss innerhalb angemessener Frist vorgenommen werden, nachdem die benachteiligte Partei von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen (Art. 9:303(2) PECL; Art. 7.3.2(2) UNIDROIT PICC; Art. 49(2) CISG; Art. III.-3:508(1) DCFR). In bestimmten Fällen ist eine Erklärung der Vertragsaufhebung entbehrlich: So kann die benachteiligte Partei ihre Nachfristsetzung mit einer Erklärung verbinden, dass der Vertrag nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist automatisch aufgehoben sein soll (Art. 8:106(3) PECL; Art. 7.1.5(3) UNIDROIT PICC; Art. III.-3:507(2) DCFR). Darüber hinaus kann eine Aufhebungserklärung nach einigen Regelwerken entbehrlich sein, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist, weil ein Fall der vollständigen und dauerhaften Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt (vgl. Art. 9:303(4), 8:108 PECL).

c) Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung

Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien nach allen Regelwerken von ihrer Verpflichtung, künftige Leistungen zu erbringen und anzunehmen. Hingegen bleibt das Recht unberührt, im Wege des Schadensersatzes das Erfüllungsinteresse zu verlangen. Zudem wird ausdrücklich festgestellt, dass die Vertragsaufhebung Streitbeilegungsklauseln und solche Vereinbarungen, die gerade nach Aufhebung des Vertrages gelten sollen, nicht berührt (Art. 9:305 PECL; Art. 7.3.5 UNIDROIT PICC; Art. 81(1) CISG; Art. III.-3:509 DCFR).

Auch wenn die Vertragsaufhebung nur für die Zukunft wirkt, führt sie, soweit schon Leistungen erbracht wurden, in der Regel zur  Rückabwicklung des Vertrages (Art. 9:306 ff. PECL; Art. 7.3.6 UNIDROIT PICC; Art. 81(2), 82 CISG; Art. III.-3:511 ff. DCFR).

Literatur

Ernst Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. I, 1936, Bd. II, 1958; G.H. Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, 318 ff.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 800 ff.; Andreas Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, 174 ff; Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, 439 ff., 450 ff., 495 ff.; Andrea Sandrock, Vertragswidrigkeit der Sachleistung, 2003, 237 ff.; Reinhard Zimmermann, The New German Law of Obligations, 2005, 66 ff., 107 f.; Peter Huber, Comparative Sales Law, in: Mathias Reiman, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 937 ff.; Axel Flessner, Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997) 255 ff.; Peter Schlechtriem, Abstandnahme vom Vertrag, in: Jürgen Basedow (Hg.) Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; Peter Huber, Alastair Mullis, The CISG, 2007, 209 ff.

Abgerufen von Erfüllungsanspruch – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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