Vergaberecht und Betriebsübergang: Unterschied zwischen den Seiten

Aus HWB-EuP 2009
(Unterschied zwischen Seiten)
K (1 Version importiert)
 
 
Zeile 1: Zeile 1:
von ''[[Heike Schweitzer]]''
von ''[[Gregor Thüsing]]/[[Gerrit Forst]]''
== 1. Begriff und Funktion ==
== 1. Wirtschaftsrealität und Normativgefüge ==
Das Vergaberecht regelt das Verhalten des Staates und anderer öffentlicher Auftraggeber, die sich Güter und Dienstleistungen auf Märkten beschaffen. Das Nachfrageverhalten der öffentlichen Hand weist gegenüber dem Nachfrageverhalten privater Unternehmen Besonderheiten auf, die sich aus ihrer allgemeinen Verpflichtung auf öffentliche Ziele sowie aus dem marktunabhängigen Zugang zu Finanzmitteln ergeben.
Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes als Grundlage der [[Europäische Gemeinschaft|Europäischen Gemeinschaft]] hat die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit nicht nur im Bereich des Warenverkehrs, sondern auch und vor allem im Bereich der [[Niederlassungsfreiheit|Niederlassungs-]] und der [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] zugenommen ([[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]]). Die wirtschaftliche Entwicklung führt auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu Veränderungen in den Unternehmensstrukturen, die sich unter anderem aus dem Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber ergeben. Als Schlagworte, die vielleicht das Ausmaß der wirtschaftlichen Umwälzungen in den letzten Dekaden ins Bewusstsein rufen, seien nur genannt ''joint venture'', ''private equity'' und ''cross-border merger'' (dazu RL 2005/56). Aus der Sicht der Arbeitnehmer stellt sich bei einem Betriebsübergang das Problem, dass der Veräußerer infolge des Betriebsübergangs als Arbeitgeber faktisch entfällt. Er kann mangels Betriebes die Arbeitsverträge betriebsbedingt kündigen (§&nbsp;1&nbsp;dt. KSchG, sec. 94, 98(4)(a) ''Employment Rights Act 1996''<nowiki>; Art.&nbsp;L-1233-3 frz. </nowiki>''Code du travail''). Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse ist der Erwerber an die bestehenden Arbeitsverträge nicht gebunden und deshalb nicht verpflichtet, die Arbeitnehmer weiter in dem Betrieb zu beschäftigen. Frankreich erließ daher bereits 1928 eine Regelung zum Betriebsübergang (Ex-Art.&nbsp;L-122-12 al. 2 ''Code du travail''), Deutschland wurde in Form des §&nbsp;613a BGB erstmals 1972 tätig.


Das mitgliedstaatliche Recht hat herkömmlich die Verfolgung öffentlicher Ziele in der Auftragsvergabe respektiert und Regeln über die Durchführung eines Vergabewettbewerbs allein zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Verwaltungshandelns und zur Verhinderung von Korruption entwickelt. Erhebliche Unterschiede bestehen in der einzelstaatlichen Ausgestaltung des Vergabewesens. Einige Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal) ordnen das Vergabeverfahren samt Vertragsschluss traditionell dem öffentlichen Recht zu. Hieraus folgte die Bindung an die Grundrechte einschließlich des Gleichbehandlungsgebots. In anderen Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Irland, skandinavische Länder) wird die Auftragsvergabe, soweit die Außenbeziehungen betroffen sind, als Teil des Privatrechts gesehen (siehe für das deutsche Recht BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn.&nbsp;6&nbsp;f.). Der Zuschlag gilt als privatrechtliche Willenserklärung zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags. Die herkömmlichen Regeln zum Vergabeverfahren waren als Teil des Haushaltsrechts zwar öffentliches Recht; als reines Binnenrecht ohne Wirkung im Außenverhältnis gegenüber den Bietern hatten sie nach st. Rspr. jedoch keine individualschützende Funktion (für Auftragsvergaben unterhalb der im EG-Vergaberecht vorgeschriebenen Schwellenwerte weiterhin in diesem Sinne: BVerfG, 13.6.2006, NJW 2006, 3701, Rn.&nbsp;57; BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn.&nbsp;11&nbsp;f.).
Auf europäischer Ebene wurde dieses Problem seit den 1970er Jahren angegangen. Erstmals wurde die Gemeinschaft infolge einer Zunahme von Fusionen und Zusammenschlüssen mit der RL&nbsp;77/187 vom 14.12.1977 regulierend tätig. Revidiert wurde die Richtlinie durch die RL&nbsp;98/50 vom 29.6.1998. Durch die Neuerung wurden Aussagen des EuGH zur Auslegung der ursprünglichen Richtlinie in den Gesetzestext eingearbeitet. Daneben wurde die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter gestärkt und die Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmern verschärft. Die ursprüngliche RL&nbsp;77/187 und die Änderungs-RL 98/50 wurden als RL&nbsp;2001/ 23 am 12.3.2001 neu verkündet ([[Europäisches Arbeitsrecht]]).


Das Gemeinschaftsrecht erfasst das Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand dagegen primär unter dem Gesichtspunkt der [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]]. Den aus diesen folgenden subjektiven Rechten der Einzelnen entspricht ein öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Binnenmarkts: EG-Vergaberecht ist primär Marktöffnungsrecht. Es soll der verbreiteten Bevorzugung heimischer Bieter und den damit einhergehenden protektionistischen Tendenzen der Auftragsvergabe entgegentreten und unverfälschten Wettbewerb herstellen.
Die RL&nbsp;2001/23 zielt aber nicht allein auf den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers. Vielmehr gewährleistet sie auch die Aufrechterhaltung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen. Daneben sollen die Haftungsrisiken zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und dem neuen Arbeitgeber angemessen verteilt werden. Die RL&nbsp;2001/ 23 bezweckt gleichwohl schwerpunktmäßig den Arbeitnehmerschutz, was durch Erwägungsgrund&nbsp;3 RL&nbsp;2001/23 sowie daran deutlich wird, dass aus Arbeitnehmersicht günstigere Regelungen nach Art.&nbsp;8 RL&nbsp;2001/23 beibehalten werden dürfen.


Neben den Grundfreiheiten können auch die EG-Wettbewerbsregeln ([[Wettbewerbsrecht, internationales]]) einschlägig sein: in bestimmten Märkten – etwa im Bausektor oder bei infrastrukturellen Einrichtungen – verfügt der Staat regelmäßig über Nachfragemacht. Allerdings wird der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln auf den Staat unter diesem Gesichtspunkt durch das ''FENIN''-Urteil (EuG Rs.&nbsp;T-319/99, Slg. 2003, II-357, insb. Rn.&nbsp;37; bestätigt durch EuGH Rs.&nbsp;C-205/03 P – ''FENIN'', Slg. 2006, I-6295) erheblich eingeschränkt.
== 2. Umsetzung in den Mitgliedstaaten ==
In Deutschland wurde §&nbsp;613a BGB wiederholt an die europarechtlichen Vorgaben angepasst. Die erste Angleichung von 1980 setzte die RL&nbsp;77/187 um. Erst im Jahr 2002 und damit unter Verletzung der Umsetzungsfrist des Art.&nbsp;2 RL&nbsp;98/50 wurden in §&nbsp;613a Abs.&nbsp;5 BGB die Unterrichtungspflichten geregelt. Ferner wurde in §&nbsp;21a dt. BetrVG in Umsetzung des Art.&nbsp;6 RL&nbsp;98/50 das Übergangsmandat des Betriebsrates geschaffen sowie in überschießender Umsetzung durch §&nbsp;613a Abs.&nbsp;6 BGB das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers eingeführt. Die französischen Umsetzungsnormen finden sich in Art.&nbsp;L-1224-1&nbsp;ff. ''Code du travail''. Im Vereinigten Königreich entschied man sich für eine Umsetzung in einem eigenen Gesetz, den ''Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006''<nowiki>. Die Umsetzungsakte sämtlicher Mitgliedstaaten finden sich auf der Internetseite von Eur-Lex, abrufbar unter <http://eur-lex.europa.eu>. Als Innovationsmotor erweist sich für Fragen des Betriebsübergangs nach wie vor auch die Rechtsprechung des EuGH, so zuletzt in Klarenberg (Rs. C-466/07, </nowiki>NZA 2009, 251).


== 2. Das Vergaberecht der EG ==
== 3. Betriebsübergang ==
=== a) Die Grundfreiheiten als Grundlage des EG-Vergaberechts ===
Nach Art.&nbsp;1(1)(a) RL&nbsp;2001/23 ist einzige Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsfolgen der Richtlinie ist das Vorliegen eines Übergangs von Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung. Als Übergang gilt dabei nach Art.&nbsp;1(1)(b) RL&nbsp;2001/23 der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Diese Begriffe bedürfen der Erörterung.
Unmittelbar aus den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von potentiell grenzüberschreitendem Interesse jegliche Diskriminierung zu vermeiden, alle Regeln oder Praktiken der öffentlichen Beschaffung, die den grenzüberschreitenden Verkehr beschränken, zu beseitigen und echten, unverfälschten Wettbewerb um öffentliche Aufträge zu ermöglichen. Hieraus ergeben sich nach st. Rspr. des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] auch verbindliche Vorgaben für die Gestaltung von Vergabeverfahren, insbesondere ein Gleichbehandlungs- und ein Transparenzgebot (EuGH Rs.&nbsp;C-324/98 – ''Telaustria'', Slg. 2000, I-10745, Rn&nbsp;60&nbsp;f.; EuGH Rs.&nbsp;C-231/03 – ''Coname'', Slg. 2005, I-7287, Rn.&nbsp;17&nbsp;ff.; EuGH 17.7.2008 Rs.&nbsp;C-347/06 – ''ASM Brescia SpA'', Rn.&nbsp;57&nbsp;ff., EWS 2008, 383).


Die primärrechtlichen Vorgaben belassen den öffentlichen Auftraggebern weite Ermessensspielräume. Um eine wirksamere Marktöffnung zu erreichen, hat die Gemeinschaft deshalb auf der Grundlage von Art.&nbsp;95 EG/114 AEUV die Vergaberichtlinien erlassen, welche die Verhaltenspflichten öffentlicher Auftraggeber für Aufträge, die oberhalb bestimmter Schwellenwerte liegen, konkretisieren und ausgestalten (s.u.). Die [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] bleiben aber unmittelbar erheblich für die Vergabe von Aufträgen, die nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, etwa weil sie unterhalb der einschlägigen Schwellenwerte liegen oder weil sie nicht von der Definition eines „öffentlichen Auftrags“ erfasst sind (z.B. Dienstleistungskonzessionen). Die für die Vergabe solcher Aufträge maßgeblichen Grundsätze hat die Kommission in einer Mitteilung zusammengefasst (ABl.&nbsp;2006 C&nbsp;179/2).
=== a) Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil ===
Erst durch die RL&nbsp;98/50 wurde der Anwendungsbereich neben Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen auch auf Unternehmensteile erweitert. Der EuGH trennt zwischen den Begriffen Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil jedoch nicht, sondern fasst sie alle in der Definition des Art.&nbsp;1(1)(b) RL&nbsp;2001/23 zusammen. Eine weitergehende Differenzierung ist auch nicht sinnvoll, denn der Betriebsteil ist das ''átomos ''der Materie der RL&nbsp;2001/23, die kleinste, unteilbare Einheit, die in allen anderen Begriffen mit enthalten ist. Es muss sich bei dem Betriebsteil um eine organisatorisch selbstständige Einheit handeln, die innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks zumindest einen Teilzweck erfüllt. Der Zweck muss sich nicht vom Zweck des Gesamtbetriebs unterscheiden, allerdings ist eine eigene Teilidentität erforderlich. Eine untergeordnete Hilfsfunktion, wie etwa bei einer Betriebskantine, ist ausreichend. Die wirtschaftliche Tätigkeit muss auf Dauer angelegt sein und darf nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt sein. Wirtschaftlich ist die Einheit nach Art.&nbsp;1(1)(c) RL&nbsp;2001/23 nicht nur dann, wenn sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Die Wirtschaftlichkeit ist nur ausgeschlossen, wenn es sich um ausschließlich hoheitliche Befugnisse handelt. Handelt es sich nicht um hoheitliche Aufgaben, liegt eine wirtschaftliche Einheit selbst dann vor, wenn die übertragene Dienstleistung durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, wie z.B. eine Gemeinde, vergeben worden ist.


=== b) Die materiellen Vergaberichtlinien ===
=== b) Identitätswahrung ===
Die erste Vergaberichtlinie betreffend das Vergabeverfahren für öffentliche Bauaufträge hat die EG bereits 1971 erlassen, gefolgt von einer [[Richtlinie]] für öffentliche Lieferaufträge im Jahr 1976. Da eine wirksame Öffnung nationaler Vergabemärkte ausblieb, wurden die Vergaberichtlinien mehrfach reformiert. Heute ist das sekundäre Vergaberecht der Gemeinschaft in zwei Richtlinien zusammengefasst:
Zentral für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist die Frage der Identitätswahrung. Hier müssen nach dem EuGH in ''Spijkers'' (Rs.&nbsp;24/85, Slg. 1986, 1119) sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden, insbesondere folgende sieben Kriterien: (i) die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, (ii) den Übergang materieller Aktiva, (iii) den Übergang immaterieller Aktiva, (iv) die Übernahme der Hauptbelegschaft, (v) den Übergang der Kundschaft, (vi) den Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit und (vii) die Dauer einer Unterbrechung der Tätigkeit.


(1)&nbsp;RL&nbsp;2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge
Keines dieser Kriterien ist notwendiger, keines allein hinreichender Bestandteil zur Bejahung eines Betriebsübergangs. Entscheidend ist, ob ein funktionsfähiger Organisationszusammenhang im Wesentlichen unverändert übernommen wird. Wird eine neue Arbeitsorganisation aufgebaut, wird die Identität nicht gewahrt, selbst wenn die Arbeitsaufgabe unverändert fortgeführt wird. Die bloße Funktionsnachfolge stellt nach der Rechtsprechung des EuGH in ''Ayse Süzen'' (Rs.&nbsp;C-13/95, Slg. 1997, I-1259) keinen Betriebsübergang dar. Andererseits kann eine Identitätswahrung nach Aussagen des EuGH in ''Klarenberg'' (Rs. C-466/07, NZA 2009, 251) auch dann gegeben sein, wenn die organisatorische Einheit weitgehend aufgelöst wird.


(2)&nbsp;RL&nbsp;2004/17 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (sog. Sektoren-RL), welche das Vergaberegime in den genannten Sektoren in modifizierter Form auch auf private Auftraggeber erstreckt, sofern diese Tätigkeiten auf der Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte ausüben.
Die sieben Kriterien sind – gemessen am Ein- zelfall – unterschiedlich zu gewichten. Als entscheidend erweist sich dabei die Charakterisierung der ''Art des Betriebes'' als betriebsmittelreich oder betriebsmittelarm. Um einen betriebsmittelreichen Betrieb handelt es sich, wenn die materiellen Aktiva maßgeblich für die Charakterisierung des Betriebes sind, etwa der Hochofen in einem Stahlwerk. In betriebsmittelarmen Betrieben stehen dagegen ''immaterielle Aktiva'' im Vordergrund, vor allem ''Know-How'' und Patente.  


Um die Chancengleichheit aller Bieter herzustellen und eine Bevorzugung heimischer Bieter auszuschließen, verpflichten diese Richtlinien Auftraggeber innerhalb ihres Anwendungsbereichs auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Die Kontrolle ''privater'' Auftraggeber durch Markt und Wettbewerb wird für ''öffentliche ''Auftraggeber und Sektoren-Auftraggeber durch ein stark reguliertes Verfahren mit weitreichenden Publizitäts- und Transparenzpflichten ersetzt.  
Zu den ''materiellen Aktiva'' zählen alle körperlichen Betriebsmittel wie die Gebäude, die Maschinen, die Einrichtungsgegenstände oder der Fuhrpark. Diese müssen nicht eigenwirtschaftlich genutzt werden, also nicht unmittelbar der Gewinnerzielung dienen. Weder aus dem Wortlaut der RL&nbsp;2001/23 noch aus ihrem Telos, dem Schutz der Arbeitnehmer bei einem Unternehmens- oder Betriebswechsel, ergibt sich dieses Erfordernis.


Die Beachtung der Vorgaben der Vergaberichtlinien ist mit erheblichen Kosten verbunden und beschränkt die Flexibilität und das Ermessen, welche private Unternehmen in ihrem Beschaffungsverhalten für sich in Anspruch nehmen können. Der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ist daher sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht auf diejenigen Fallkonstellationen begrenzt, in denen eine regulatorische Verhaltenskontrolle zur Herstellung eines offenen, unverfälschten grenzüberschreitenden Vergabewettbewerbs in besonderem Maße geboten erscheint. Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge ist auf „öffentliche Auftraggeber“ beschränkt, d.h. auf den Staat, Gebietskörperschaften und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, und damit auf Auftraggeber, deren Beschaffungsverhalten angesichts einer besonderen Verpflichtung auf das öffentliche Interesse und des Zugangs zu staatlichen Mitteln nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes unterliegt. Der Anwendungsbereich der Sektoren-RL wird unter diesem Gesichtspunkt auf staatsnahe, wenngleich ggfs. private Auftraggeber erstreckt, denen besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt sind. Der sachliche Anwendungsbereich der Sektoren-RL ist tätigkeitsbezogen definiert: erfasst werden Aufträge, die der Durchführung einer der in Art.&nbsp;3-7 aufgeführten Tätigkeiten dienen. Der sachliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge erstreckt sich auf alle schriftlichen entgeltlichen Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, die einem der genannten Vertragstypen zuzuordnen sind und oberhalb der in der Richtlinie angegebenen Schwellenwerte liegen. Unterhalb dieser Schwellenwerte erscheinen die mit der intensiven Verhaltensregulierung verbundenen Kosten nicht gerechtfertigt. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind ferner Leistungen, die der Auftraggeber selbst mit eigenen Mitteln erbringt. Die Entscheidung über die Reichweite vertikaler Integration ist mithin der öffentlichen Hand vorbehalten. Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat diese Fallgruppe auf Leistungen erstreckt, die der Auftraggeber unter Einschaltung einer weiteren Rechtsperson erbringt, wenn der Auftraggeber über diese eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und wenn die Rechtsperson zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber erbringt (sog. ''in-House''-Verträge – siehe EuGH Rs.&nbsp;C-107/98 – ''Teckal'', Slg. 1999, I-8121, Rn.&nbsp;50; EuGH Rs.&nbsp;C-26/03 – ''Stadt Halle'', Slg. 2005, I-1, Rn.&nbsp;49; EuGH Rs.&nbsp;C-295/05 – ''Asemfo/Tragsa'', Slg. 2007, I-2999, Rn.&nbsp;55 u.a.).
In der Rechtssache ''Christel Schmidt'' entschied der EuGH, dass auch die ''Übernahme der Hauptbelegschaft'' einen Betriebsübergang begründen kann, insbesondere bei betriebsmittelarmen Betrieben (Rs.&nbsp;C-392/92, Slg. 1994, I-1311). Nach der Entscheidung in der Rechtssache ''Ayse Süzen'' ist allerdings geklärt, dass die bloße Funktionsnachfolge keinen Betriebsübergang darstellt, sondern dass gerade bei betriebsmittelarmen Betrieben an die Übernahme der Hauptbelegschaft anzuknüpfen ist, weil es keinen Übergang materieller Aktiva gibt. Problematisch ist an dieser Abgrenzung, dass sie einen Anreiz setzt, Arbeitnehmer nicht zu übernehmen, so dass dem Telos der RL&nbsp;2001/23 geradezu widersprochen wird.


Für alle in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallenden Aufträge gilt das dort normierte Vergabeverfahren, welches in drei je gesondert geregelte Phasen gegliedert ist: die öffentliche Ausschreibung des Auftrags, die potentiellen Bietern alle Informationen übermitteln soll, die für die Erstellung eines Angebots notwendig sind; die Eignungsprüfung bzw. gegebenenfalls Auswahl der Bewerber, mit der die fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit der Bewerber ermittelt werden soll; und die Zuschlagsentscheidung. In allen Phasen geht es im Ergebnis darum sicherzustellen, dass Vergabeverfahren auf der Grundlage transparenter, objektiver und nachprüfbarer Kriterien durchgeführt werden.
Die ''Übernahme der Kundschaft'' kann ebenfalls einen Betriebsübergang indizieren. Das wird vor allem bei der Übernahme einer Kundenkartei, Exklusivlieferverträgen oder Vertriebsberechtigungen der Fall sein.


=== c) Zuschlagskriterien und die Berücksichtigung von Sekundärzielen ===
Zweifelhaft ist, inwieweit der ''Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit'' tatsächlich einen Betriebsübergang indizieren kann. Da einerseits die bloße Funktionsnachfolge nicht ausreicht, andererseits bei Übernahme der materiellen oder immateriellen Aktiva, der Hauptbelegschaft oder des Kundenstamms in aller Regel ein hoher Grad an Ähnlichkeit der Tätigkeit besteht, ist das Kriterium von geringem Erkenntniswert.
Die praktisch wichtigste Entscheidung des Vergabeverfahrens ist der Zuschlag, mit welchem der öffentliche Auftraggeber die Entscheidung für ein bestimmtes Angebot trifft. Die Willkür- und Diskriminierungsfreiheit dieser Entscheidung zu gewährleisten, ist ein zentrales Anliegen des EG-Vergaberechts. Unter diesem Gesichtspunkt verpflichten die Vergaberichtlinien den öffentlichen Auftraggeber konsequent auf ein Wirtschaftlichkeitskriterium, welches in zwei verschiedenen Ausprägungen Maßstab der Zuschlagsentscheidung sein kann (Art.&nbsp;53 RL 2004/18): Der Auftraggeber kann sich alternativ für einen Zuschlag nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots entscheiden. Im ersten Fall ist der Bieterwettbewerb auf einen Preiswettbewerb reduziert. Im zweiten Fall kann der Auftraggeber auch andere durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien berücksichtigen, deren Inhalt und Gewichtung er allerdings vorab offenzulegen hat. Art.&nbsp;53 nennt in einer nicht abschließenden Aufzählung unter anderem Qualität, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften und Kundendienst. Im Ergebnis muss es aber stets um die Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten“ Angebots gehen. Die Kriterien müssen ferner einen Angebotsvergleich auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte ermöglichen.


Zu den besonders umstrittenen Fragen des EG-Vergaberechts zählt, unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabeentscheidung auch andere, ihrer Art nach gesamtwirtschaftliche bzw. gesamtgesellschaftliche Gesichtspunkte – etwa einen besonderen Beitrag zu Umweltschutz oder Sozialpolitik oder besondere Verpflichtungen auf die Einhaltung von Menschenrechten – berücksichtigen darf (sog. vergabefremde Zwecke). Der EuGH hat sich mit dieser Frage in mehreren Einzelfällen befasst (insbes. EuGH Rs. 31/87 – ''Beentjes'', Slg. 1988, 4635; EuGH Rs.&nbsp;C-225/98 – ''Nord-Pas-de-Calais'', Slg. 2000, I-7445; EuGH Rs.&nbsp;C-513/99 – ''Concordia Bus'', Slg. 2002, I-7213). In zwei Mitteilungen hat die Kommission versucht, aus dieser Rspr. allgemeine Handlungsanweisungen zu entnehmen (Mitteilung zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Auftragsvergabe, KOM (2001) 566 endg.; und Mitteilung zur Berücksichtigung von Umweltbelangen, ABl. 2001 C 333/13). Ihre Ansicht, dass die Phase der Auftrags''ausführung'' nicht mehr in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien falle, hat sich nunmehr in Art.&nbsp;26 RL&nbsp;2004/18 niedergeschlagen, derzufolge ein öffentlicher Auftraggeber „zusätzliche Bedingungen für die ''Ausführung'' des Auftrages“ vorschreiben kann, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder den Bedingungsunterlagen angegeben sind. Die Bedingungen für die Ausführung des Auftrags können „insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte“ betreffen. Wann derartige Bedingungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, nämlich weder diskriminierend noch marktzugangsbeschränkend sind, ist damit allerdings nicht beantwortet.
Die ''Dauer einer Tätigkeitsunterbrechung'' grenzt die Betriebsfortführung von der Betriebsstilllegung ab. Eine pauschale Dauer kann dabei nicht festgelegt werden, weil es auf die jeweilige Tätigkeit ankommt, ob der neue Betriebsinhaber von dem bisherigen Betrieb noch profitiert oder ob dieser bereits zerschlagen ist. Hier lässt sich maßgeblich auf das Fortbestehen der Kundenbindung abstellen.


=== d) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten ===
=== c) Übergang auf neuen Betriebsinhaber ===
Die aus dem EG-Vergaberecht folgenden Pflichten der Auftraggeber blieben wirkungslos, wenn nicht eine wirksame Durchsetzung gewährleistet wäre. Zu unterscheiden sind die öffentliche Durchsetzung (''public enforcement'') im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens und die private Durchsetzung durch die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter und Bewerber (''private enforcement''). Beide Dimensionen der Rechtsdurchsetzung sind in jüngerer Zeit konkretisiert worden und haben dabei an Schärfe gewonnen.
Der Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber setzt einen Wechsel des Rechtsträgers voraus. Der Betriebsinhaber ist jeweils diejenige Person, die den Betrieb im eigenen Namen, nicht notwendigerweise auf eigene Rechnung, führt. Auf die Eigentumssituation kommt es nicht an. Bei einer Gesellschaft reicht es nach Auffassung des BAG nicht aus, wenn nur die Gesellschafter oder die Rechtsform gewechselt werden. Das überzeugt, denn bei der Umwandlung bleibt der Arbeitgeber als Rechtssubjekt erhalten und ein Gesellschafterwechsel lässt die juristische Person unberührt. Systematisch bestätigt dies Art. 1(1) (a) RL&nbsp;2001/23, wonach die Verschmelzung erfasst ist – hier erlöschen die sich verschmelzenden Rechtsträger.


Mit Blick auf die öffentliche Durchsetzung hat der EuGH festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, der entgegen den Vorgaben der Vergaberichtlinien einen öffentlichen Auftrag nicht ausgeschrieben hat, bei Feststellung eines solchen Verstoßes in einem Vertragsverletzungsverfahren einen in der Folge des Gemeinschaftsrechtsverstoßes geschlossenen und noch nicht vollständig erfüllten Vertrag kündigen muss; denn die Vertragsverletzung besteht während der gesamten Dauer der Erfüllung eines solchen Vertrages fort (EuGH Rs.&nbsp;C-503/04 – ''Kommission/Deutschland'', Slg. 2007, I-6153, Rn.&nbsp;29). Gegenüber dieser Kündigungspflicht können sich die Mitgliedstaaten nicht auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie auf den Grundsatz ''pacta sunt servanda'' berufen (ebenda, Rn.&nbsp;36, 38).
=== d) Rechtsgeschäft oder Verschmelzung ===
Der Begriff des Rechtsgeschäfts wird weit verstanden. Ausgenommen ist allein die Übertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, also durch Erbrechtsnachfolge oder durch gesellschaftsrechtliche Umwandlungen. Unmittelbare rechtsgeschäftliche Beziehungen sind nicht erforderlich. Sogar eine einseitige staatliche Entscheidung stellte nach Auffassung des EuGH in der Rs. ''Redmond Stichting'' einen Betriebsübergang dar. Dagegen kann nicht der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 1(1)(a) RL&nbsp;2001/23 angeführt werden, der eine vertragliche Übertragung voraussetzt. Der Wortlaut ist hier kein starkes Argument, denn die Sprachfassungen variieren (''legal transfer'','' cession conventionnelle'','' cessione contrattuale'','' overeenkomst''). Aus Sicht der zu schützenden Arbeitnehmer macht es allerdings keinen Unterschied, aus welchem Grund der Betriebsinhaber wechselt, so dass die Teleologie die Auslegung durch den EuGH rechtfertigt. Die Verschmelzung ist in auch für die Auslegung der RL&nbsp;2001/23 bindender Weise in Art.&nbsp;3(1) RL&nbsp;78/ 855 geregelt. Da es zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, übernimmt der entstehende Rechtsträger die bestehenden Arbeitsverträge ohnehin. Nach Erwägungsgrund 12 RL&nbsp;2005/56 gilt entsprechendes wohl auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung.


Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der privaten Rechtsdurchsetzung und des dazugehörigen Sanktionensystems obliegt grds. den Mitgliedstaaten, die allerdings auch insoweit an den Äquivalenz- und den [[Effektivitätsgrundsatz]] gebunden sind: Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht müssen in grds. vergleichbarer Weise geahndet werden wie Verstöße gegen nationales Recht; und die Mitgliedstaaten müssen tatsächlich abschreckende und angemessene Sanktionen bereitstellen, die eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Die Rechtsmittelrichtlinien RL&nbsp;89/665 und RL&nbsp;92/13, beide geändert und verschärft durch RL&nbsp;2007/66, konkretisieren diese allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und formulieren Mindestanforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz für die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter bzw. Bewerber. Sie verleihen damit der individualschützenden Zielsetzung der Vergaberichtlinien praktische Durchschlagskraft. Kern der Rechtsmittelrichtlinien ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verstöße gegen die Vergaberichtlinien bzw. gegen das diese umsetzende einzelstaatliche Recht wirksam und rasch nachgeprüft werden können. Ein Nachprüfungsverfahren muss jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Zu den Verstößen, gegen die in einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen werden kann, zählen z.B. diskriminierende technische, wirtschaftliche oder finanzielle Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten oder Verdingungsunterlagen. Besondere Bedeutung kommt der Nachprüfung von Zuschlagsentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers zu. Die RL&nbsp;2007/ 66 schließt es in Übereinstimmung mit dem EuGH aus, die Zuschlagsentscheidung mit dem Vertragsschluss zu verbinden: Ein Vertragsschluss darf nunmehr nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an Bieter und Bewerber folgenden Tag. Wird ein Nachprüfungsverfahren gegen eine Zuschlagsentscheidung eingeleitet, wird die Stillhaltefrist im Regelfall ausgedehnt, bis die Nachprüfungsstelle über den Antrag entschieden hat. Für die folgenden Fälle müssen die Mitgliedstaaten wirksame und abschreckende Sanktionen vorsehen: für den Verstoß gegen die Stillhaltegebote; und für den Fall einer rechtswidrig freihändigen Vergabe eines Auftrags ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU. Die RL&nbsp;2007/66 schreibt in diesen Fällen nunmehr als Regelsanktion die Unwirksamkeit des Vertrages vor. Die Folgen der Unwirksamkeit richten sich nach einzelstaatlichem Recht. Im Einzelfall kommen alternative Sanktionen wie Geldbußen oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages in Betracht. Die Zuerkennung von Schadensersatz genügt nicht.
=== e) Betriebsübergang in der Insolvenz ===
Art.&nbsp;5(1) RL&nbsp;2001/23 stellt klar, dass die Mitgliedstaaten keine Regelungen treffen müssen, wenn gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein „entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde“. Die in den Art.&nbsp;3, 4 RL&nbsp;2001/23 angeordneten Rechtsfolgen dürften den Arbeitnehmern in dieser Situation tatsächlich eher schaden als nützen, weil sich wegen des dort angeordneten Kündigungsschutzes kein Erwerber finden könne, der das Unternehmen sanieren will. Gleichzeitig gestattet Art.&nbsp;5 RL&nbsp;2001/ 23 den Mitgliedstaaten, den Anwendungsbereich der Betriebsübergangsregelungen auf die Insolvenz zu erstrecken. Im deutschen Recht ergibt ein Gegenschluss aus §&nbsp;128 Abs.&nbsp;2 InsO, dass §&nbsp;613a BGB bei Insolvenz des Veräußerers uneingeschränkt gilt. Eine Sonderregelung hat die Insolvenz in sec. 8 ''Transfer of Undertakings ''(''Protection of Employment'') ''Regulations 2006 ''erfahren: sec. 8 Abs.&nbsp;3 und 4 ''Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006'' bestimmen, dass der ''Employment Rights Act 1996 ''im Falle der Insolvenz auf ein gekündigtes Arbeitsverhältnis Anwendung findet und dass als Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Datum des Betriebsübergangs gilt, wobei der Veräußerer weiter als Arbeitgeber gilt. Von der Regelung nicht erfasst sind nach sec. 8 Abs.&nbsp;7 ''Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 ''Betriebsübergänge infolge einer Liquidierung der Vermögenswerte in der Insolvenz.  


== 3. Rückwirkungen in den Mitgliedstaaten ==
== 4. Rechtsfolgen auf individualarbeitsrechtlicher Ebene ==
Das EG-Vergaberecht hat die Mitgliedstaaten zu einschneidenden Änderungen ihrer Vergaberechtsordnungen gezwungen. In Deutschland hat man insbesondere das aus den Rechtsmittelrichtlinien folgende Gebot der Gewährleistung eines wirksamen Individualrechtsschutzes nachhaltig bekämpft, weil es mit dem traditionellen haushaltsrechtlichen Verständnis des Vergaberechts unvereinbar war. Erst durch das zum 1.1.1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsgesetz und nach zwei Vertragsverletzungsverfahren wurde das deutsche Vergaberecht für Auftragsvergaben oberhalb der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerte den aus den Vergabe- und Rechtsmittelrichtlinien folgenden Anforderungen angepasst (nunmehr geregelt im 4.&nbsp;Teil des GWB). Weitere detaillierte Verfahrensvorschriften enthalten die Vergabeverordnung (VgV) und die Verdingungsverordnungen für Bauleistungen (VOB), für Leistungen (VOL) sowie für freiberufliche Leistungen (VOF).
Ein Betriebsübergang zeitigt Rechtsfolgen auf mehreren Ebenen. Ausnahmebestimmungen sieht Art.&nbsp;5(2) RL&nbsp;2001/23 für die Insolvenz vor. Für den Arbeitnehmerschutz am wichtigsten sind die individualarbeitsrechtlichen Auswirkungen.  


Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte unterfallen nach deutschem Recht weiterhin nicht dem Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts und dem dort geregelten System des Individualrechtsschutzes. Hier besteht das haushaltsrechtliche Verständnis des Vergabeverfahrensrechts als Binnenrecht fort. Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 13.6.2006 (BVerfGE 116, 135) zwar ein subjektives Recht jeden Bieters auf eine faire Chance bejaht, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien berücksichtigt zu werden. Gleichwohl hat es ein verfassungsrechtliches Gebot, besondere Vorkehrungen für einen wirksamen Primärrechtsschutz zu schaffen, verneint. Angesichts der potentiell gegenläufigen Interessen des Auftraggebers an einer zügigen Auftragsdurchführung und des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit sei der Gesetzgeber befugt, den erfolglosen Bieter regelmäßig auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen. Eine aus dem Verfassungsrecht folgende Pflicht, analog §&nbsp;13 VgV erfolglose Bieter rechtzeitig vor Vertragsschluss über die Vergabeentscheidung zu informieren, gebe es nicht.
=== a) Eintritt in die Rechte und Pflichten ===
Nach Art.&nbsp;3(1)1 RL&nbsp;2001/23 gehen die Rechte und Pflichten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Der betroffene Arbeitnehmer muss dem übertragenen Betriebsteil nach Auffassung des EuGH in ''Ny Mølle Kro'' angehören (Rs.&nbsp;287/86, Slg. 1987, 5467). Es reicht nicht aus, dass er als Beschäftigter einer nicht übertragenen Abteilung Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtet. Dem Arbeitsverhältnis liegt nach Art.&nbsp;2(1)(d) RL&nbsp;2001/23 der nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde. Im deutschen Recht sind damit Organmitglieder und freie Mitarbeiter nicht durch §&nbsp;613a BGB geschützt. Nach Art.&nbsp;2(2) RL&nbsp;2001/23 dürfen Teilzeitarbeitnehmer, befristet beschäftigte Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer aber nicht ausgeklammert werden.


Demgegenüber hat die [[Europäische Kommission]] den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] ein Gebot effektiven Primärrechtsschutzes für erfolglose Bieter entnommen, das auch unterhalb der Schwellenwerte gilt (Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschafts-Vergaberecht vom 1.8.2007, ABl. 2006 C 179/02). Deutschland hat gegen diese Mitteilung vor dem EuG Klage eingereicht (Rs.&nbsp;T-258/06; Klage der dt. Bundesregierung vom 14.9.2006, ABl. 2006 C 294/52).
=== b) Kündigungsverbot ===
Nach Art.&nbsp;4(1) RL&nbsp;2001/23 ist die Kündigung wegen des Betriebsübergangs sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber verboten. Zulässig bleibt eine Kündigung aus sonstigen Gründen, selbst wenn diese durch den Betriebsübergang bedingt sind. Der Betriebsübergang darf jedoch nicht die überwiegende Ursache für die Kündigung sein. Ein Verstoß liegt in der Regel vor, wenn die Kündigung ungefähr zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs wirksam wird und die Arbeitnehmer vom Erwerber wieder eingestellt werden.


== Literatur==
=== c) Unterrichtung und Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers ===
''Gerhard Kunnert'', WTO-Vergaberecht, 1998; ''Fritz Rittner'', Öffentliches Auftragswesen und Privatrecht, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 152 (1988) 318&nbsp;ff.; ''Sue Arrowsmith'', ''Martin Trybus'', Public Procurement: The Continuing Revolution, 2003; ''Ernst-Joachim Mestmäcker'', ''Heike'' ''Schweitzer'', Europäisches Wettbewerbsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2004, Kap.&nbsp;9; ''Jan Byok'', ''Wolfgang'' ''Jäger'', Kommentar zum Vergaberecht, 2.&nbsp;Aufl. 2005; ''Christopher Bovis'', EC Public Procurement, 2006; ''Marc Bungenberg'', Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme, 2007; ''Martin Burgi'', Von der Zweistufenlehre zur Dreiteilung des Rechtsschutzes im Vergaberecht, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2007, 737&nbsp;ff.; ''Meinrad Dreher'', §§&nbsp;97&nbsp;ff. GWB, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd.&nbsp;2, 4.&nbsp;Aufl. 2007.; ''Wissenschaftlicher Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium'' (BMWi), Gutachten „Öffentliches Beschaffungswesen“ vom 12.5.2007; ''Alexander Egger'', Europäisches Vergaberecht, 2008; ''Uwe Blaurock'' (Hg.), Der Staat als Nachfrager, 2008; ''Sue Arrowsmith'', The Law of Public and Utilities Procurement, 2.&nbsp;Aufl. 2009; ''Sue Arrowsmith'', ''Peter'' ''Kunzlik'', Social and Environmental Policies in Public Procurement Law, 2009.
Art.&nbsp;7(6) RL&nbsp;2001/23 sieht eine unmittelbare Unterrichtung der Arbeitnehmer nur vor, wenn es im Betrieb keine Arbeitnehmervertreter gibt. §&nbsp;613a Abs.&nbsp;5 BGB schreibt in überschießender Umsetzung immer eine Unterrichtung der Arbeitnehmer selbst vor. Dies ist wegen des in Art.&nbsp;8 RL&nbsp;2001/23 verankerten Günstigkeitsprinzips europarechtskonform. Einen anderen Weg geht das britische Recht, sec.&nbsp;13 ''The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006'' verpflichtet zur Information der Arbeitnehmervertreter, welche in der Regel Gewerkschaftsvertreter sind (sec. 13 Abs.&nbsp;3 lit.&nbsp;a ''The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006)''. Sind solche nicht vorhanden, können sonstige Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs.&nbsp;3 lit b(i) ''The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 ''informiert werden. Sind auch diese nicht vorhanden, werden Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs.&nbsp;3, lit. b(ii), 14 Abs.&nbsp;1 ''The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006'' gewählt und informiert. In Frankreich ist das ''comité d’entreprise'' nach Art.&nbsp;L-2323-19 ''Code du travail'' über jede Veränderung der Organisation des Unternehmens zu unterrichten. Darunter ist auch der Betriebsübergang zu subsumieren.
 
Wegen Art.&nbsp;8 RL&nbsp;2001/23 europarechtskonform ist auch §&nbsp;613a Abs.&nbsp;6 BGB. Das hier geregelte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer fortbesteht. Dies kann sich für den Arbeitnehmer nachteilig auswirken, wenn beim Veräußerer keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, denn dieser kann dann nach §&nbsp;1 dt. KSchG betriebsbedingt kündigen.
 
== 5. Rechtsfolgen auf kollektivarbeitsrechtlicher Ebene ==
Neben der individualrechtlichen Ebene ist beim Betriebsübergang auch die kollektivarbeitsrechtliche Ebene betroffen. Auch dazu enthält die RL&nbsp;2001/23 Regelungen.
 
=== a) Weitergeltung kollektivrechtlicher Vereinbarungen ===
Art.&nbsp;3(3) RL&nbsp;2001/23 sieht vor, dass der Erwerber die kollektivrechtlich vereinbarten Arbeitsbedingungen mindestens ein Jahr aufrechterhalten muss. Im deutschen Recht gibt es zwei Mechanismen, die zu einer Weitergeltung führen. Vorrangig ist eine fortbestehende normative Wirkung, die sich aus §&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 dt. TVG ergibt. Subsidiär werden kollektivrechtliche Regelungen nach §&nbsp;613a Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;2 bis 4 BGB in den Arbeitsvertrag transformiert, gelten also nicht mehr normativ weiter. Dies wird Art.&nbsp;3(3) RL&nbsp;2001/23 gerecht, der nur eine Weitergeltung in gleichem Maße, nicht aber als kollektivrechtliche Normen fordert. Für den Schutz des Arbeitnehmers ist die Form bedeutungslos.
 
Eine Betriebsvereinbarung gilt bei betriebsverfassungsrechtlicher Identität weiter. Betriebsnormen bestehen nach herrschender Ansicht im deutschen Schrifttum durch Transformation nach §&nbsp;613a Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;2 bis 4 BGB aber nur fort, wenn sie zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten und ihnen damit die Wirkung von Inhaltsnormen zukommt. Grundsätzlich nicht erfasst werden demnach betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Normen oder solche über gemeinsame Einrichtungen. Gegen diese beschränkte Transformation bestehen europarechtliche Bedenken. Zwar spricht Art.&nbsp;3(3)1 RL&nbsp;2001/23 lediglich von den in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen, erfasst also nur die Normen, die den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten. Art.&nbsp;3(3)1 RL&nbsp;2001/ 23 beschränkt sich aber nicht auf die individualrechtliche Arbeitsbeziehung, sondern legt ein umfassendes Verständnis nahe, das sich auf alle Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezieht, unerheblich davon, ob sie den einzelnen Arbeitnehmer betreffen oder die Arbeitnehmerschaft als Ganzes. Weiter bestätigt auch ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen (''terms and conditions'', ''conditions de travail'', wie die deutsche aber die niederländische Fassung ''vastgelegde arbeidsvoorwaarden'') die hiesige Ansicht. Schließlich spricht das Ziel der Richtlinie, das kollektivrechtliche Schutzniveau zu erhalten, gegen ein enges Verständnis.
 
Durch die Transformation werden die Kollektivnormen auf dem Stand beim Betriebsübergang eingefroren. Die transformierten Normen dürfen nach Art.&nbsp;3(3)2 RL&nbsp;2001/23, §&nbsp;613a Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;2 BGB innerhalb eines Jahres nicht geändert werden. Ausnahmen gelten, wenn der Kollektivvertrag endet oder durch einen neuen Kollektivvertrag ersetzt wird.
 
=== b) Erhalt der Rechtsstellung und der Funktion der Arbeitnehmervertretung ===
Nach Art.&nbsp;6(1)1 RL&nbsp;2001/23 bleiben Rechtsstellung und Funktion von Arbeitnehmervertretung in gleicher Weise erhalten, wenn der Betrieb weiterhin selbständig ist und die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Art. 2(1)(c) RL&nbsp;2001/23 verweist zur Definition des Arbeitnehmervertreters auf das nationale Recht. Bedeutungszuwachs erhalten haben diese Bestimmungen vor allem durch die RL&nbsp;2002/14 über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer auf nationaler Ebene sowie die RL&nbsp;2001/86 über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der ''Societas Europaea'' ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft]]). Letztere ermöglicht europaweit die Einführung von Mitbestimmung in den Organen der SE.
 
In Deutschland sind Betriebsräte und Sprecherausschüsse, Bordvertretungen, Seebetriebsräte sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen erfasst. Die in Frankreich geschützten Arbeitnehmervertretungen ergeben sich aus Art. L-2414-1 ''Code du travail''. Im Vereinigten Königreich sind nach sec. 6 ''Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006'' Gewerkschaftsvertreter geschützt.
 
Nach Art.&nbsp;6(1)2 RL&nbsp;2001/23 wird durch den Erhalt der Arbeitnehmervertretung eine Neubildung oder Neubestellung nicht verhindert. Verliert der Betrieb seine Selbstständigkeit, geht er also vollständig in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil auf, besteht kein Schutz nach Art.&nbsp;6 (1)1 RL&nbsp;2001/23. Die Mitgliedstaaten müssen dann nach Satz 4 eine Arbeitnehmervertretung für den Übergangszeitraum gewährleisten, bis eine neue Arbeitnehmervertretung gebildet ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe in §&nbsp;21a dt. BetrVG umgesetzt. Ausscheidende Arbeitnehmervertreter genießen nach Art.&nbsp;6(2) RL&nbsp;2001/23 einen nachwirkenden Schutz.
 
=== c) Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter ===
Art.&nbsp;7 RL&nbsp;2001/23 verpflichtet zur Unterrichtung und Konsultation der Arbeitnehmervertreter. Wie bei [[Massenentlassung von Arbeitnehmern|Massenentlassungen]] bietet die RL 2002/14 hier flankierenden, institutionellen Schutz. Ohne Arbeitnehmervertretungen laufen die Pflichten leer. Deshalb zwingt die RL&nbsp;2002/14 zu deren Errichtung. Bereits 1994 hatte allerdings der EuGH aus Art.&nbsp;6(1) RL&nbsp;77/187 gefolgert, dass die Mitgliedstaaten zur Errichtung von Arbeitnehmervertretungen verpflichtet sind (Rs. C-382/92 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg.&nbsp;1994, I-2435).
 
== 6. Weiterhaftung des Veräußerers ==
Nicht zwingend, durch Art.&nbsp;3(1)2 RL&nbsp;2001/23 aber erlaubt ist die in §&nbsp;613a Abs.&nbsp;2 und 3 BGB vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung des Veräußerers für auf den Erwerber übergegangene Verpflichtungen, soweit diese vor dem Übergang entstanden sind und innerhalb eines Jahres fällig werden. Dieser Haftung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Veräußerer einen Erlös für den Betrieb erhalten hat, der auch durch die Belegschaft erwirtschaftet wurde. Der Arbeitnehmer erhält dadurch einen zusätzlichen Schuldner.
 
==Literatur==
''Bernhard Debong'', Die EG-Richtlinie über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche beim Betriebsübergang, 1988; ''Constantin v. Alvensleben'', Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992; ''Friederike Löw'', Die Betriebsveräußerung im europäischen Arbeitsrecht, 1992; ''Gérard Couturier'', Droit du Travail, I/Les Relations Individuelles du Travail, 1998, 373; ''Rolf Birk'', Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2000, §&nbsp;19 Rn.&nbsp;213&nbsp;ff.; ''Catherine Barnard'', EC Employment Law, 2000, 446; ''Klaus-Stefan Hohenstatt'', ''Timon Grau'', Der Betriebsübergang nach Güney Görres: Was geht noch?, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 29; ''Martin Kock'', Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nach der aktuellen BAG-Rechtsprechung, Betriebsberater 2007, 714; ''Wilhelm Moll'', Anm. zu BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, Recht der Arbeit 2007, 48; ''Win Derbyshire'', ''Stephen Hardy'', ''Stephen Maffey'', TUPE: Law and Practice: The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006, 2008; Jean Pélissier, Alain Supiot, ''Antoine Jeammaud'', ''Gilles Auzero'', Droit du travail, 24.&nbsp;Aufl. 2008; ''Norman Selwyn'', Law of Employment, 15.&nbsp;Aufl. 2008; ''Gregor Thüsing'', Europäisches Arbeitsrecht, 2008, §&nbsp;5; ''Heinz Josef Willemsen'', Erneute Wende im Recht des Betriebsübergangs: Ein „Christel Schmidt II“-Urteil des EuGH?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2009, 289&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[en:Transfer_of_Undertakings]]

Version vom 28. September 2021, 15:12 Uhr

von Gregor Thüsing/Gerrit Forst

1. Wirtschaftsrealität und Normativgefüge

Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes als Grundlage der Europäischen Gemeinschaft hat die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit nicht nur im Bereich des Warenverkehrs, sondern auch und vor allem im Bereich der Niederlassungs- und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit zugenommen (Grundfreiheiten). Die wirtschaftliche Entwicklung führt auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu Veränderungen in den Unternehmensstrukturen, die sich unter anderem aus dem Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber ergeben. Als Schlagworte, die vielleicht das Ausmaß der wirtschaftlichen Umwälzungen in den letzten Dekaden ins Bewusstsein rufen, seien nur genannt joint venture, private equity und cross-border merger (dazu RL 2005/56). Aus der Sicht der Arbeitnehmer stellt sich bei einem Betriebsübergang das Problem, dass der Veräußerer infolge des Betriebsübergangs als Arbeitgeber faktisch entfällt. Er kann mangels Betriebes die Arbeitsverträge betriebsbedingt kündigen (§ 1 dt. KSchG, sec. 94, 98(4)(a) Employment Rights Act 1996; Art. L-1233-3 frz. Code du travail). Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse ist der Erwerber an die bestehenden Arbeitsverträge nicht gebunden und deshalb nicht verpflichtet, die Arbeitnehmer weiter in dem Betrieb zu beschäftigen. Frankreich erließ daher bereits 1928 eine Regelung zum Betriebsübergang (Ex-Art. L-122-12 al. 2 Code du travail), Deutschland wurde in Form des § 613a BGB erstmals 1972 tätig.

Auf europäischer Ebene wurde dieses Problem seit den 1970er Jahren angegangen. Erstmals wurde die Gemeinschaft infolge einer Zunahme von Fusionen und Zusammenschlüssen mit der RL 77/187 vom 14.12.1977 regulierend tätig. Revidiert wurde die Richtlinie durch die RL 98/50 vom 29.6.1998. Durch die Neuerung wurden Aussagen des EuGH zur Auslegung der ursprünglichen Richtlinie in den Gesetzestext eingearbeitet. Daneben wurde die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter gestärkt und die Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmern verschärft. Die ursprüngliche RL 77/187 und die Änderungs-RL 98/50 wurden als RL 2001/ 23 am 12.3.2001 neu verkündet (Europäisches Arbeitsrecht).

Die RL 2001/23 zielt aber nicht allein auf den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers. Vielmehr gewährleistet sie auch die Aufrechterhaltung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen. Daneben sollen die Haftungsrisiken zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und dem neuen Arbeitgeber angemessen verteilt werden. Die RL 2001/ 23 bezweckt gleichwohl schwerpunktmäßig den Arbeitnehmerschutz, was durch Erwägungsgrund 3 RL 2001/23 sowie daran deutlich wird, dass aus Arbeitnehmersicht günstigere Regelungen nach Art. 8 RL 2001/23 beibehalten werden dürfen.

2. Umsetzung in den Mitgliedstaaten

In Deutschland wurde § 613a BGB wiederholt an die europarechtlichen Vorgaben angepasst. Die erste Angleichung von 1980 setzte die RL 77/187 um. Erst im Jahr 2002 und damit unter Verletzung der Umsetzungsfrist des Art. 2 RL 98/50 wurden in § 613a Abs. 5 BGB die Unterrichtungspflichten geregelt. Ferner wurde in § 21a dt. BetrVG in Umsetzung des Art. 6 RL 98/50 das Übergangsmandat des Betriebsrates geschaffen sowie in überschießender Umsetzung durch § 613a Abs. 6 BGB das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers eingeführt. Die französischen Umsetzungsnormen finden sich in Art. L-1224-1 ff. Code du travail. Im Vereinigten Königreich entschied man sich für eine Umsetzung in einem eigenen Gesetz, den Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006. Die Umsetzungsakte sämtlicher Mitgliedstaaten finden sich auf der Internetseite von Eur-Lex, abrufbar unter <http://eur-lex.europa.eu>. Als Innovationsmotor erweist sich für Fragen des Betriebsübergangs nach wie vor auch die Rechtsprechung des EuGH, so zuletzt in Klarenberg (Rs. C-466/07, NZA 2009, 251).

3. Betriebsübergang

Nach Art. 1(1)(a) RL 2001/23 ist einzige Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsfolgen der Richtlinie ist das Vorliegen eines Übergangs von Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung. Als Übergang gilt dabei nach Art. 1(1)(b) RL 2001/23 der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Diese Begriffe bedürfen der Erörterung.

a) Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil

Erst durch die RL 98/50 wurde der Anwendungsbereich neben Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen auch auf Unternehmensteile erweitert. Der EuGH trennt zwischen den Begriffen Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil jedoch nicht, sondern fasst sie alle in der Definition des Art. 1(1)(b) RL 2001/23 zusammen. Eine weitergehende Differenzierung ist auch nicht sinnvoll, denn der Betriebsteil ist das átomos der Materie der RL 2001/23, die kleinste, unteilbare Einheit, die in allen anderen Begriffen mit enthalten ist. Es muss sich bei dem Betriebsteil um eine organisatorisch selbstständige Einheit handeln, die innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks zumindest einen Teilzweck erfüllt. Der Zweck muss sich nicht vom Zweck des Gesamtbetriebs unterscheiden, allerdings ist eine eigene Teilidentität erforderlich. Eine untergeordnete Hilfsfunktion, wie etwa bei einer Betriebskantine, ist ausreichend. Die wirtschaftliche Tätigkeit muss auf Dauer angelegt sein und darf nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt sein. Wirtschaftlich ist die Einheit nach Art. 1(1)(c) RL 2001/23 nicht nur dann, wenn sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Die Wirtschaftlichkeit ist nur ausgeschlossen, wenn es sich um ausschließlich hoheitliche Befugnisse handelt. Handelt es sich nicht um hoheitliche Aufgaben, liegt eine wirtschaftliche Einheit selbst dann vor, wenn die übertragene Dienstleistung durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, wie z.B. eine Gemeinde, vergeben worden ist.

b) Identitätswahrung

Zentral für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist die Frage der Identitätswahrung. Hier müssen nach dem EuGH in Spijkers (Rs. 24/85, Slg. 1986, 1119) sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden, insbesondere folgende sieben Kriterien: (i) die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, (ii) den Übergang materieller Aktiva, (iii) den Übergang immaterieller Aktiva, (iv) die Übernahme der Hauptbelegschaft, (v) den Übergang der Kundschaft, (vi) den Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit und (vii) die Dauer einer Unterbrechung der Tätigkeit.

Keines dieser Kriterien ist notwendiger, keines allein hinreichender Bestandteil zur Bejahung eines Betriebsübergangs. Entscheidend ist, ob ein funktionsfähiger Organisationszusammenhang im Wesentlichen unverändert übernommen wird. Wird eine neue Arbeitsorganisation aufgebaut, wird die Identität nicht gewahrt, selbst wenn die Arbeitsaufgabe unverändert fortgeführt wird. Die bloße Funktionsnachfolge stellt nach der Rechtsprechung des EuGH in Ayse Süzen (Rs. C-13/95, Slg. 1997, I-1259) keinen Betriebsübergang dar. Andererseits kann eine Identitätswahrung nach Aussagen des EuGH in Klarenberg (Rs. C-466/07, NZA 2009, 251) auch dann gegeben sein, wenn die organisatorische Einheit weitgehend aufgelöst wird.

Die sieben Kriterien sind – gemessen am Ein- zelfall – unterschiedlich zu gewichten. Als entscheidend erweist sich dabei die Charakterisierung der Art des Betriebes als betriebsmittelreich oder betriebsmittelarm. Um einen betriebsmittelreichen Betrieb handelt es sich, wenn die materiellen Aktiva maßgeblich für die Charakterisierung des Betriebes sind, etwa der Hochofen in einem Stahlwerk. In betriebsmittelarmen Betrieben stehen dagegen immaterielle Aktiva im Vordergrund, vor allem Know-How und Patente.

Zu den materiellen Aktiva zählen alle körperlichen Betriebsmittel wie die Gebäude, die Maschinen, die Einrichtungsgegenstände oder der Fuhrpark. Diese müssen nicht eigenwirtschaftlich genutzt werden, also nicht unmittelbar der Gewinnerzielung dienen. Weder aus dem Wortlaut der RL 2001/23 noch aus ihrem Telos, dem Schutz der Arbeitnehmer bei einem Unternehmens- oder Betriebswechsel, ergibt sich dieses Erfordernis.

In der Rechtssache Christel Schmidt entschied der EuGH, dass auch die Übernahme der Hauptbelegschaft einen Betriebsübergang begründen kann, insbesondere bei betriebsmittelarmen Betrieben (Rs. C-392/92, Slg. 1994, I-1311). Nach der Entscheidung in der Rechtssache Ayse Süzen ist allerdings geklärt, dass die bloße Funktionsnachfolge keinen Betriebsübergang darstellt, sondern dass gerade bei betriebsmittelarmen Betrieben an die Übernahme der Hauptbelegschaft anzuknüpfen ist, weil es keinen Übergang materieller Aktiva gibt. Problematisch ist an dieser Abgrenzung, dass sie einen Anreiz setzt, Arbeitnehmer nicht zu übernehmen, so dass dem Telos der RL 2001/23 geradezu widersprochen wird.

Die Übernahme der Kundschaft kann ebenfalls einen Betriebsübergang indizieren. Das wird vor allem bei der Übernahme einer Kundenkartei, Exklusivlieferverträgen oder Vertriebsberechtigungen der Fall sein.

Zweifelhaft ist, inwieweit der Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit tatsächlich einen Betriebsübergang indizieren kann. Da einerseits die bloße Funktionsnachfolge nicht ausreicht, andererseits bei Übernahme der materiellen oder immateriellen Aktiva, der Hauptbelegschaft oder des Kundenstamms in aller Regel ein hoher Grad an Ähnlichkeit der Tätigkeit besteht, ist das Kriterium von geringem Erkenntniswert.

Die Dauer einer Tätigkeitsunterbrechung grenzt die Betriebsfortführung von der Betriebsstilllegung ab. Eine pauschale Dauer kann dabei nicht festgelegt werden, weil es auf die jeweilige Tätigkeit ankommt, ob der neue Betriebsinhaber von dem bisherigen Betrieb noch profitiert oder ob dieser bereits zerschlagen ist. Hier lässt sich maßgeblich auf das Fortbestehen der Kundenbindung abstellen.

c) Übergang auf neuen Betriebsinhaber

Der Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber setzt einen Wechsel des Rechtsträgers voraus. Der Betriebsinhaber ist jeweils diejenige Person, die den Betrieb im eigenen Namen, nicht notwendigerweise auf eigene Rechnung, führt. Auf die Eigentumssituation kommt es nicht an. Bei einer Gesellschaft reicht es nach Auffassung des BAG nicht aus, wenn nur die Gesellschafter oder die Rechtsform gewechselt werden. Das überzeugt, denn bei der Umwandlung bleibt der Arbeitgeber als Rechtssubjekt erhalten und ein Gesellschafterwechsel lässt die juristische Person unberührt. Systematisch bestätigt dies Art. 1(1) (a) RL 2001/23, wonach die Verschmelzung erfasst ist – hier erlöschen die sich verschmelzenden Rechtsträger.

d) Rechtsgeschäft oder Verschmelzung

Der Begriff des Rechtsgeschäfts wird weit verstanden. Ausgenommen ist allein die Übertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, also durch Erbrechtsnachfolge oder durch gesellschaftsrechtliche Umwandlungen. Unmittelbare rechtsgeschäftliche Beziehungen sind nicht erforderlich. Sogar eine einseitige staatliche Entscheidung stellte nach Auffassung des EuGH in der Rs. Redmond Stichting einen Betriebsübergang dar. Dagegen kann nicht der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 1(1)(a) RL 2001/23 angeführt werden, der eine vertragliche Übertragung voraussetzt. Der Wortlaut ist hier kein starkes Argument, denn die Sprachfassungen variieren (legal transfer, cession conventionnelle, cessione contrattuale, overeenkomst). Aus Sicht der zu schützenden Arbeitnehmer macht es allerdings keinen Unterschied, aus welchem Grund der Betriebsinhaber wechselt, so dass die Teleologie die Auslegung durch den EuGH rechtfertigt. Die Verschmelzung ist in auch für die Auslegung der RL 2001/23 bindender Weise in Art. 3(1) RL 78/ 855 geregelt. Da es zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, übernimmt der entstehende Rechtsträger die bestehenden Arbeitsverträge ohnehin. Nach Erwägungsgrund 12 RL 2005/56 gilt entsprechendes wohl auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung.

e) Betriebsübergang in der Insolvenz

Art. 5(1) RL 2001/23 stellt klar, dass die Mitgliedstaaten keine Regelungen treffen müssen, wenn gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein „entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde“. Die in den Art. 3, 4 RL 2001/23 angeordneten Rechtsfolgen dürften den Arbeitnehmern in dieser Situation tatsächlich eher schaden als nützen, weil sich wegen des dort angeordneten Kündigungsschutzes kein Erwerber finden könne, der das Unternehmen sanieren will. Gleichzeitig gestattet Art. 5 RL 2001/ 23 den Mitgliedstaaten, den Anwendungsbereich der Betriebsübergangsregelungen auf die Insolvenz zu erstrecken. Im deutschen Recht ergibt ein Gegenschluss aus § 128 Abs. 2 InsO, dass § 613a BGB bei Insolvenz des Veräußerers uneingeschränkt gilt. Eine Sonderregelung hat die Insolvenz in sec. 8 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 erfahren: sec. 8 Abs. 3 und 4 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 bestimmen, dass der Employment Rights Act 1996 im Falle der Insolvenz auf ein gekündigtes Arbeitsverhältnis Anwendung findet und dass als Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Datum des Betriebsübergangs gilt, wobei der Veräußerer weiter als Arbeitgeber gilt. Von der Regelung nicht erfasst sind nach sec. 8 Abs. 7 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 Betriebsübergänge infolge einer Liquidierung der Vermögenswerte in der Insolvenz.

4. Rechtsfolgen auf individualarbeitsrechtlicher Ebene

Ein Betriebsübergang zeitigt Rechtsfolgen auf mehreren Ebenen. Ausnahmebestimmungen sieht Art. 5(2) RL 2001/23 für die Insolvenz vor. Für den Arbeitnehmerschutz am wichtigsten sind die individualarbeitsrechtlichen Auswirkungen.

a) Eintritt in die Rechte und Pflichten

Nach Art. 3(1)1 RL 2001/23 gehen die Rechte und Pflichten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Der betroffene Arbeitnehmer muss dem übertragenen Betriebsteil nach Auffassung des EuGH in Ny Mølle Kro angehören (Rs. 287/86, Slg. 1987, 5467). Es reicht nicht aus, dass er als Beschäftigter einer nicht übertragenen Abteilung Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtet. Dem Arbeitsverhältnis liegt nach Art. 2(1)(d) RL 2001/23 der nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde. Im deutschen Recht sind damit Organmitglieder und freie Mitarbeiter nicht durch § 613a BGB geschützt. Nach Art. 2(2) RL 2001/23 dürfen Teilzeitarbeitnehmer, befristet beschäftigte Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer aber nicht ausgeklammert werden.

b) Kündigungsverbot

Nach Art. 4(1) RL 2001/23 ist die Kündigung wegen des Betriebsübergangs sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber verboten. Zulässig bleibt eine Kündigung aus sonstigen Gründen, selbst wenn diese durch den Betriebsübergang bedingt sind. Der Betriebsübergang darf jedoch nicht die überwiegende Ursache für die Kündigung sein. Ein Verstoß liegt in der Regel vor, wenn die Kündigung ungefähr zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs wirksam wird und die Arbeitnehmer vom Erwerber wieder eingestellt werden.

c) Unterrichtung und Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers

Art. 7(6) RL 2001/23 sieht eine unmittelbare Unterrichtung der Arbeitnehmer nur vor, wenn es im Betrieb keine Arbeitnehmervertreter gibt. § 613a Abs. 5 BGB schreibt in überschießender Umsetzung immer eine Unterrichtung der Arbeitnehmer selbst vor. Dies ist wegen des in Art. 8 RL 2001/23 verankerten Günstigkeitsprinzips europarechtskonform. Einen anderen Weg geht das britische Recht, sec. 13 The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 verpflichtet zur Information der Arbeitnehmervertreter, welche in der Regel Gewerkschaftsvertreter sind (sec. 13 Abs. 3 lit. a The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006). Sind solche nicht vorhanden, können sonstige Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs. 3 lit b(i) The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 informiert werden. Sind auch diese nicht vorhanden, werden Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs. 3, lit. b(ii), 14 Abs. 1 The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 gewählt und informiert. In Frankreich ist das comité d’entreprise nach Art. L-2323-19 Code du travail über jede Veränderung der Organisation des Unternehmens zu unterrichten. Darunter ist auch der Betriebsübergang zu subsumieren.

Wegen Art. 8 RL 2001/23 europarechtskonform ist auch § 613a Abs. 6 BGB. Das hier geregelte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer fortbesteht. Dies kann sich für den Arbeitnehmer nachteilig auswirken, wenn beim Veräußerer keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, denn dieser kann dann nach § 1 dt. KSchG betriebsbedingt kündigen.

5. Rechtsfolgen auf kollektivarbeitsrechtlicher Ebene

Neben der individualrechtlichen Ebene ist beim Betriebsübergang auch die kollektivarbeitsrechtliche Ebene betroffen. Auch dazu enthält die RL 2001/23 Regelungen.

a) Weitergeltung kollektivrechtlicher Vereinbarungen

Art. 3(3) RL 2001/23 sieht vor, dass der Erwerber die kollektivrechtlich vereinbarten Arbeitsbedingungen mindestens ein Jahr aufrechterhalten muss. Im deutschen Recht gibt es zwei Mechanismen, die zu einer Weitergeltung führen. Vorrangig ist eine fortbestehende normative Wirkung, die sich aus § 4 Abs. 1 dt. TVG ergibt. Subsidiär werden kollektivrechtliche Regelungen nach § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB in den Arbeitsvertrag transformiert, gelten also nicht mehr normativ weiter. Dies wird Art. 3(3) RL 2001/23 gerecht, der nur eine Weitergeltung in gleichem Maße, nicht aber als kollektivrechtliche Normen fordert. Für den Schutz des Arbeitnehmers ist die Form bedeutungslos.

Eine Betriebsvereinbarung gilt bei betriebsverfassungsrechtlicher Identität weiter. Betriebsnormen bestehen nach herrschender Ansicht im deutschen Schrifttum durch Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB aber nur fort, wenn sie zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten und ihnen damit die Wirkung von Inhaltsnormen zukommt. Grundsätzlich nicht erfasst werden demnach betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Normen oder solche über gemeinsame Einrichtungen. Gegen diese beschränkte Transformation bestehen europarechtliche Bedenken. Zwar spricht Art. 3(3)1 RL 2001/23 lediglich von den in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen, erfasst also nur die Normen, die den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten. Art. 3(3)1 RL 2001/ 23 beschränkt sich aber nicht auf die individualrechtliche Arbeitsbeziehung, sondern legt ein umfassendes Verständnis nahe, das sich auf alle Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezieht, unerheblich davon, ob sie den einzelnen Arbeitnehmer betreffen oder die Arbeitnehmerschaft als Ganzes. Weiter bestätigt auch ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen (terms and conditions, conditions de travail, wie die deutsche aber die niederländische Fassung vastgelegde arbeidsvoorwaarden) die hiesige Ansicht. Schließlich spricht das Ziel der Richtlinie, das kollektivrechtliche Schutzniveau zu erhalten, gegen ein enges Verständnis.

Durch die Transformation werden die Kollektivnormen auf dem Stand beim Betriebsübergang eingefroren. Die transformierten Normen dürfen nach Art. 3(3)2 RL 2001/23, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb eines Jahres nicht geändert werden. Ausnahmen gelten, wenn der Kollektivvertrag endet oder durch einen neuen Kollektivvertrag ersetzt wird.

b) Erhalt der Rechtsstellung und der Funktion der Arbeitnehmervertretung

Nach Art. 6(1)1 RL 2001/23 bleiben Rechtsstellung und Funktion von Arbeitnehmervertretung in gleicher Weise erhalten, wenn der Betrieb weiterhin selbständig ist und die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Art. 2(1)(c) RL 2001/23 verweist zur Definition des Arbeitnehmervertreters auf das nationale Recht. Bedeutungszuwachs erhalten haben diese Bestimmungen vor allem durch die RL 2002/14 über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer auf nationaler Ebene sowie die RL 2001/86 über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft). Letztere ermöglicht europaweit die Einführung von Mitbestimmung in den Organen der SE.

In Deutschland sind Betriebsräte und Sprecherausschüsse, Bordvertretungen, Seebetriebsräte sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen erfasst. Die in Frankreich geschützten Arbeitnehmervertretungen ergeben sich aus Art. L-2414-1 Code du travail. Im Vereinigten Königreich sind nach sec. 6 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 Gewerkschaftsvertreter geschützt.

Nach Art. 6(1)2 RL 2001/23 wird durch den Erhalt der Arbeitnehmervertretung eine Neubildung oder Neubestellung nicht verhindert. Verliert der Betrieb seine Selbstständigkeit, geht er also vollständig in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil auf, besteht kein Schutz nach Art. 6 (1)1 RL 2001/23. Die Mitgliedstaaten müssen dann nach Satz 4 eine Arbeitnehmervertretung für den Übergangszeitraum gewährleisten, bis eine neue Arbeitnehmervertretung gebildet ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe in § 21a dt. BetrVG umgesetzt. Ausscheidende Arbeitnehmervertreter genießen nach Art. 6(2) RL 2001/23 einen nachwirkenden Schutz.

c) Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter

Art. 7 RL 2001/23 verpflichtet zur Unterrichtung und Konsultation der Arbeitnehmervertreter. Wie bei Massenentlassungen bietet die RL 2002/14 hier flankierenden, institutionellen Schutz. Ohne Arbeitnehmervertretungen laufen die Pflichten leer. Deshalb zwingt die RL 2002/14 zu deren Errichtung. Bereits 1994 hatte allerdings der EuGH aus Art. 6(1) RL 77/187 gefolgert, dass die Mitgliedstaaten zur Errichtung von Arbeitnehmervertretungen verpflichtet sind (Rs. C-382/92 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435).

6. Weiterhaftung des Veräußerers

Nicht zwingend, durch Art. 3(1)2 RL 2001/23 aber erlaubt ist die in § 613a Abs. 2 und 3 BGB vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung des Veräußerers für auf den Erwerber übergegangene Verpflichtungen, soweit diese vor dem Übergang entstanden sind und innerhalb eines Jahres fällig werden. Dieser Haftung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Veräußerer einen Erlös für den Betrieb erhalten hat, der auch durch die Belegschaft erwirtschaftet wurde. Der Arbeitnehmer erhält dadurch einen zusätzlichen Schuldner.

Literatur

Bernhard Debong, Die EG-Richtlinie über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche beim Betriebsübergang, 1988; Constantin v. Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992; Friederike Löw, Die Betriebsveräußerung im europäischen Arbeitsrecht, 1992; Gérard Couturier, Droit du Travail, I/Les Relations Individuelles du Travail, 1998, 373; Rolf Birk, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2000, § 19 Rn. 213 ff.; Catherine Barnard, EC Employment Law, 2000, 446; Klaus-Stefan Hohenstatt, Timon Grau, Der Betriebsübergang nach Güney Görres: Was geht noch?, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 29; Martin Kock, Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nach der aktuellen BAG-Rechtsprechung, Betriebsberater 2007, 714; Wilhelm Moll, Anm. zu BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, Recht der Arbeit 2007, 48; Win Derbyshire, Stephen Hardy, Stephen Maffey, TUPE: Law and Practice: The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006, 2008; Jean Pélissier, Alain Supiot, Antoine Jeammaud, Gilles Auzero, Droit du travail, 24. Aufl. 2008; Norman Selwyn, Law of Employment, 15. Aufl. 2008; Gregor Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2008, § 5; Heinz Josef Willemsen, Erneute Wende im Recht des Betriebsübergangs: Ein „Christel Schmidt II“-Urteil des EuGH?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2009, 289 ff. [en:Transfer_of_Undertakings]]

Abgerufen von Vergaberecht – HWB-EuP 2009 am 19. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).