Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht und Vergaberecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Gregor Thüsing]]/[[Manuel Schwering]]''
von ''[[Heike Schweitzer]]''
== 1. Gegenstand und Zweck; Terminologie ==
== 1. Begriff und Funktion ==
Der Begriff ''Diskriminierung'' stammt vom lateinischen ''discriminare'' „trennen, absondern, unterscheiden“. Seiner ursprünglichen Bedeutung nach bezeichnet er die unterschiedliche Behandlung bzw. trennende Klassifizierung von Subjekten oder Objekten. Schon früh wurden in Europa Verbotstatbestände geschaffen, um Schlechterstellungen und Ungleichbehandlungen entgegenzuwirken. Derzeit finden sich in nahezu sämtlichen europäischen Rechtsordnungen Regelungen, die eine ungleiche, benachteiligende und ausgrenzende Behandlung von Gruppen und Individuen ohne sachlichen Grund verbieten. Sie sind Ausdruck des Schutzes menschlicher Wertgleichheit als selbstverständliche Konsequenz zentraler rechtsethischer Werte, die den modernen, grundrechtsorientierten Verfassungsstaaten und ihren Privatrechtsordnungen zugrunde liegen. Jeder Mensch soll vor dem Gesetz gleich sein und nicht wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt werden. Dieser Grundsatz ist ein wesentliches Kennzeichen unseres Rechtsstaates und ein tragender Pfeiler unserer Rechtskultur ([[Diskriminierungsverbot (allgemein)]]).  
Das Vergaberecht regelt das Verhalten des Staates und anderer öffentlicher Auftraggeber, die sich Güter und Dienstleistungen auf Märkten beschaffen. Das Nachfrageverhalten der öffentlichen Hand weist gegenüber dem Nachfrageverhalten privater Unternehmen Besonderheiten auf, die sich aus ihrer allgemeinen Verpflichtung auf öffentliche Ziele sowie aus dem marktunabhängigen Zugang zu Finanzmitteln ergeben.


Besondere Bedeutung erfahren Diskriminierungsverbote im Arbeitsrecht. Die Abhängigkeit und Unterlegenheit des Arbeitnehmers macht gerade in diesem Bereich einen besonderen Schutz erforderlich. Diskriminierungsverbote verhelfen den Arbeitnehmern zur Wahrung ihrer [[Persönlichkeitsrecht]]e als Ausfluss der menschlichen Würde. Nur ein mit Sanktionen belegtes Diskriminierungsverbot vermag in dem von einem „Machtgefälle“ geprägten Arbeitsverhältnis effektiv zur Verhinderung von Diskriminierungen beizutragen.  
Das mitgliedstaatliche Recht hat herkömmlich die Verfolgung öffentlicher Ziele in der Auftragsvergabe respektiert und Regeln über die Durchführung eines Vergabewettbewerbs allein zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Verwaltungshandelns und zur Verhinderung von Korruption entwickelt. Erhebliche Unterschiede bestehen in der einzelstaatlichen Ausgestaltung des Vergabewesens. Einige Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal) ordnen das Vergabeverfahren samt Vertragsschluss traditionell dem öffentlichen Recht zu. Hieraus folgte die Bindung an die Grundrechte einschließlich des Gleichbehandlungsgebots. In anderen Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Irland, skandinavische Länder) wird die Auftragsvergabe, soweit die Außenbeziehungen betroffen sind, als Teil des Privatrechts gesehen (siehe für das deutsche Recht BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn. 6 f.). Der Zuschlag gilt als privatrechtliche Willenserklärung zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags. Die herkömmlichen Regeln zum Vergabeverfahren waren als Teil des Haushaltsrechts zwar öffentliches Recht; als reines Binnenrecht ohne Wirkung im Außenverhältnis gegenüber den Bietern hatten sie nach st. Rspr. jedoch keine individualschützende Funktion (für Auftragsvergaben unterhalb der im EG-Vergaberecht vorgeschriebenen Schwellenwerte weiterhin in diesem Sinne: BVerfG, 13.6.2006, NJW 2006, 3701, Rn. 57; BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn. 11 f.).


== 2. Entwicklung des Diskriminierungsschutzes im Arbeitsrecht ==
Das Gemeinschaftsrecht erfasst das Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand dagegen primär unter dem Gesichtspunkt der [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]]. Den aus diesen folgenden subjektiven Rechten der Einzelnen entspricht ein öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Binnenmarkts: EG-Vergaberecht ist primär Marktöffnungsrecht. Es soll der verbreiteten Bevorzugung heimischer Bieter und den damit einhergehenden protektionistischen Tendenzen der Auftragsvergabe entgegentreten und unverfälschten Wettbewerb herstellen.
=== a) Europäische Entwicklung ===
Die Entwicklung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes in Europa wurde maßgeblich durch die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] und den Erlass der Antidiskriminierungsrichtlinien geprägt. Inzwischen nehmen Diskriminierungsverbote einen zentralen Platz im [[Europäisches Arbeitsrecht|europäischen Arbeitsrecht]] ein. Sie lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Am Anfang stand das Verbot der Diskriminierung wegen bestimmter Merkmale einer Person. Dies fing mit dem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung durch Art. 119 EG/141 AEUV, die RL 75/117 und RL 76/207 (geändert durch RL 2002/73 und nun ersetzt mit Wirkung vom 15.8.2009 durch RL 2006/54) an und setzte sich in neuerer Zeit mit dem Erlass der Antidiskriminierungsrichtlinien fort. Ende der neunziger Jahre erhielt die Europäische Union mit Art. 13 des Amsterdamer Vertrages eine Regelungsbefugnis, die zu einem umfassenden Tätigwerden zum Schutz vor Diskriminierungen ermächtigte. Dem Rat ([[Rat und Europäischer Rat]]) wurde hierdurch aufgegeben, „geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Bereits im Jahre 2000 machten die Mitgliedstaaten von dieser Regelungskompetenz Gebrauch und erließen zwei neue Richtlinien. In der RL 2000/78 wurde ein allgemeiner Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf festgelegt (vgl. KOM(99) 564 endg.). Durch sie soll dem Arbeitgeber eine Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verboten werden. Daneben wurde die RL 2000/43 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft verabschiedet (vgl. KOM(99) 566 endg.). Anders als die erstgenannte Richtlinie erfasste diese nicht nur das Arbeitsrecht, sondern erstreckte sich auch auf den zivilrechtlichen Bereich. An die Seite dieser neuen Diskriminierungsverbote trat wenig später die RL 2002/73, die zur Neufassung der RL 76/207 führte und damit dem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung einige wesentliche Neuerungen implementierte. Die Richtlinie bestätigte die bisherige Rechtsprechung des EuGH, dass eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts darstellt und erweiterte den Schutz vor Ungleichbehandlungen um die Verbote der Belästigung und sexuellen Belästigung. Mit Wirkung vom 15.8.2006 wurde die RL 76/207 aufgehoben durch die RL 2006/54 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Den vorerst letzten Akt auf europäischer Ebene stellt der Vorschlag zum Erlass einer Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen Personen ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitsrechts dar (vgl. KOM(2008) 426 endg.). Sie hat allerdings keine rechtlichen Neuerungen für das Arbeitsrecht zur Folge. Maßgeblich bleiben damit weiterhin die RL 2000/78, RL 2000/43 sowie RL 2006/54.  


Neben dieser ersten Gruppe von Diskriminierungsverboten, hält das europäische Arbeitsrecht spezielle Regelungen zum Diskriminierungsschutz für besondere Arbeitsverhältnisse bereit. Die Diskriminierungsverbote der Arbeitsschutz-Leiharbeits-RL (RL 91/383), der Teilzeitarbeits-RL (RL 97/81), der Befristungs-RL (RL 99/70) und auch der Rahmenvereinbarung Telearbeit unterscheiden sich von dieser ersten Gruppe dadurch, dass hier nicht an ein Merkmal oder eine Eigenschaft eines Arbeitnehmers angeknüpft wird, sondern bestimmte arbeitsvertragliche Gestaltungen einem Diskriminierungsverbot unterworfen werden. Hierin ist eine wesentliche Fortentwicklung des Diskriminierungsschutzes zu sehen.
Neben den Grundfreiheiten können auch die EG-Wettbewerbsregeln ([[Wettbewerbsrecht, internationales]]) einschlägig sein: in bestimmten Märkten – etwa im Bausektor oder bei infrastrukturellen Einrichtungen – verfügt der Staat regelmäßig über Nachfragemacht. Allerdings wird der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln auf den Staat unter diesem Gesichtspunkt durch das ''FENIN''-Urteil (EuG Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357, insb. Rn. 37; bestätigt durch EuGH Rs. C-205/03 P – ''FENIN'', Slg. 2006, I-6295) erheblich eingeschränkt.


=== b) Nationale Entwicklungen ===
== 2. Das Vergaberecht der EG ==
Das deutsche Arbeitsrecht kannte auch schon vor der Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien zahlreiche Diskriminierungsverbote. Insbesondere Diskriminierungen wegen des Geschlechts wurden seit 1980 (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz, BGBl.&nbsp;1980 I, 1308) durch §&nbsp;611a BGB arbeitsrechtlich untersagt und sanktioniert. Im Bereich des öffentlichen Dienstes sind die Grundsätze des Art.&nbsp;3 Abs.&nbsp;3 GG sowohl im Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) als auch im Bundesbeamtengesetz (BBG) verankert. Art.&nbsp;33 Abs.&nbsp;2 GG garantiert jedem Deutschen den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt entsprechend seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung und verbietet damit sachwidrige Differenzierungen. Das Beschäftigtenschutzgesetz (BeschSchG) verbot sexuelle Belästigungen in der Privatwirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst. In §§&nbsp;67, 105 S.&nbsp;2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) wie auch in §&nbsp;75 Abs.&nbsp;1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) (erweitert um das Verbot der Benachteiligung wegen der sexuellen Identität durch das <nowiki>Betriebsverfassungs-Reformgesetz vom 27.6.2001 [BGBl. </nowiki>2001&nbsp;I, 1852]) sind entsprechende Überwachungspflichten für Dienstherren/Arbeitgeber sowie den Personal-/Betriebsrat verankert. Das neue Bundesgleichstellungsgesetz (BGBl. 2001 I, 3234), das am 5.12.2001 in Kraft trat, enthält vielfältige Fördermaßnahmen, um gegen Diskriminierungen wegen des Geschlechts innerhalb der Bundesverwaltung vorzugehen. Am 23.12.2000 trat die Änderung von Art.&nbsp;12a Abs.&nbsp;4 S.&nbsp;2 GG in Kraft, die Frauen den Zugang zu allen Bereichen der Streitkräfte ermöglicht. Im Sozialgesetzbuch (SGB) IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – wurden seit dem 1.7.2001 neben einem allgemeinen Diskriminierungsverbot in §&nbsp;81 Abs.&nbsp;2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX auch weitreichende positive Maßnahmen festgeschrieben, mit denen die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen verbessert werden soll. Trotz dieses Fortschritts nahm der Diskriminierungsschutz bislang keinen zentralen Platz im deutschen Arbeitnehmerschutzrecht ein. Eine gravierende Änderung brachte erst die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (RL&nbsp;2000/43, RL&nbsp;2000/78, RL&nbsp;2002/73 sowie RL&nbsp;2004/113), durch das Inkrafttreten des AGG am 1.8.2006. Das AGG sieht entsprechend der Richtlinien ein umfassendes Diskriminierungsverbot auch für den Bereich des Arbeitsrechts vor (§§&nbsp;6-18 AGG). Unzulässig sind danach etwa Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Im Falle einer Verletzung erhalten die von der Benachteiligung betroffenen Arbeitnehmer Rechtsansprüche gegen den Arbeitgeber oder Dritte. Mit Umsetzung des AGG dürfte künftig der vorgeschriebene europäische Standard mit Ausnahme der Bereichsaunahme für die betriebliche Altersversorgung und den Kündigungsschutz, im Bereich des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes gewährleistet sein, zum Teil geht das Gesetz sogar über die europäischen Vorgaben hinaus.
=== a) Die Grundfreiheiten als Grundlage des EG-Vergaberechts ===
Unmittelbar aus den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von potentiell grenzüberschreitendem Interesse jegliche Diskriminierung zu vermeiden, alle Regeln oder Praktiken der öffentlichen Beschaffung, die den grenzüberschreitenden Verkehr beschränken, zu beseitigen und echten, unverfälschten Wettbewerb um öffentliche Aufträge zu ermöglichen. Hieraus ergeben sich nach st. Rspr. des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] auch verbindliche Vorgaben für die Gestaltung von Vergabeverfahren, insbesondere ein Gleichbehandlungs- und ein Transparenzgebot (EuGH Rs.&nbsp;C-324/98 – ''Telaustria'', Slg. 2000, I-10745, Rn&nbsp;60&nbsp;f.; EuGH Rs.&nbsp;C-231/03 – ''Coname'', Slg. 2005, I-7287, Rn.&nbsp;17&nbsp;ff.; EuGH 17.7.2008 Rs.&nbsp;C-347/06 – ''ASM Brescia SpA'', Rn.&nbsp;57&nbsp;ff., EWS 2008, 383).


In Frankreich sind Diskriminierungen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Familiensituation und Familienname, Schwangerschaft, körperlicher Erscheinung, Gesundheitszustand, Behinderung, genetischen Merkmalen, Sitten und Gebräuchen, sexueller Orientierung, Alter, politischer Meinung, gewerkschaftlichen Aktivitäten, wirklicher oder vermuteter Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer Rasse, Nation, oder Religion bereits generell durch die Art.&nbsp;225-1 bis 225-3 des französischen Strafgesetzbuches ''Code pénal'' untersagt und mit Strafe bedroht. Die Liste der verbotenen Merkmale ist hier deutlich länger als der europäische Kanon. Außerdem wurde im Jahre 2004 mit der ''Haute autorité de lutte contre les discriminations et pour l’égalité ''eine unabhängige, administrative Behörde eingerichtet, welche über die Einhaltung der sich gegen Diskriminierung richtenden französischen Gesetze und der von Frankreich unterzeichneten internationalen Übereinkommen wacht.
Die primärrechtlichen Vorgaben belassen den öffentlichen Auftraggebern weite Ermessensspielräume. Um eine wirksamere Marktöffnung zu erreichen, hat die Gemeinschaft deshalb auf der Grundlage von Art.&nbsp;95 EG/114 AEUV die Vergaberichtlinien erlassen, welche die Verhaltenspflichten öffentlicher Auftraggeber für Aufträge, die oberhalb bestimmter Schwellenwerte liegen, konkretisieren und ausgestalten (s.u.). Die [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] bleiben aber unmittelbar erheblich für die Vergabe von Aufträgen, die nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, etwa weil sie unterhalb der einschlägigen Schwellenwerte liegen oder weil sie nicht von der Definition eines „öffentlichen Auftrags“ erfasst sind (z.B. Dienstleistungskonzessionen). Die für die Vergabe solcher Aufträge maßgeblichen Grundsätze hat die Kommission in einer Mitteilung zusammengefasst (ABl.&nbsp;2006 C&nbsp;179/2).


Im Vereinten Königreich bestanden bereits vor dem Erlass der Richtlinien zahlreiche Diskriminierungsverbote. Namentlich der ''Equal Pay Act'' von 1970, der ''Race Relations Act'' von 1976, der ''Sex Discrimination Act'' von 1986 sowie der ''Disabilities Discrimination Act'' von 1995 boten ein breites Spektrum an Diskriminierungsverboten. Zur Umsetzung der Richtlinien wurde das bestehende Gesetzesrecht ergänzt. Neu geschaffen wurden die ''Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003'' und die ''Employment Equality (Sexual Orientation) Regulations 2003''. Den Anforderungen der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf bei Diskriminierung wegen des Alters kam man schließlich durch die ''Employment Equality (Age) Regulations 2006'' nach.
=== b) Die materiellen Vergaberichtlinien ===
Die erste Vergaberichtlinie betreffend das Vergabeverfahren für öffentliche Bauaufträge hat die EG bereits 1971 erlassen, gefolgt von einer [[Richtlinie]] für öffentliche Lieferaufträge im Jahr 1976. Da eine wirksame Öffnung nationaler Vergabemärkte ausblieb, wurden die Vergaberichtlinien mehrfach reformiert. Heute ist das sekundäre Vergaberecht der Gemeinschaft in zwei Richtlinien zusammengefasst:


== 3. Ausgestaltung von Diskriminierungsverboten ==
(1)&nbsp;RL&nbsp;2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge
In Bezug auf die Ausgestaltung arbeitsrechtlicher Diskriminierungsverbote ist das Verständnis der Antidiskriminierungsrichtlinien zugrunde zu legen. Den dort im jeweiligen Art.&nbsp;2 enthaltenen Diskriminierungsverboten ist gemein, dass sie die unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sowie die Belästigung und Anweisung zur Diskriminierung aufgrund der genannten Merkmale grundsätzlich verbieten. Vier Erscheinungsformen der Benachteiligung werden demnach von den Richtlinien anerkannt.


=== a) Formen der Benachteiligung ===
(2)&nbsp;RL&nbsp;2004/17 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (sog. Sektoren-RL), welche das Vergaberegime in den genannten Sektoren in modifizierter Form auch auf private Auftraggeber erstreckt, sofern diese Tätigkeiten auf der Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte ausüben.
Die in der RL&nbsp;2000/43 festgehaltene Definition der unmittelbaren Diskriminierung orientiert sich an der Richtlinie im Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (vgl. Bericht der Kommission v. 15.12.2006 betreffend Anwendung der RL&nbsp;2000/43, 4). Eine unmittelbare Benachteiligung liegt demnach vor, wenn eine Person wegen eines in Art.&nbsp;1 genannten Grundes in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Maßstab ist also eine Vergleichsperson, gegenüber der der Benachteiligte ungünstiger behandelt wird, wurde, oder würde. Ob eine Person gegenüber einer anderen zurückgesetzt wird, ist wertend zu bestimmen. Dabei ist ein objektiver Vergleichsmaßstab anzulegen und nicht auf das subjektive Empfinden der betroffenen Person abzustellen. Vielmehr ist danach zu fragen, ob ein vernünftiger Dritter in der Situation des Betroffenen die in Frage stehende Behandlung als eine Zurücksetzung empfunden hätte. Dies allein reicht jedoch nicht. Hinzukommen muss, dass die benachteiligende Maßnahme durch eines oder mehrer der erwähnten Merkmale motiviert sein muss bzw. der Benachteiligende bei seiner Handlung hieran angeknüpft hat. Etwa wenn ein Arbeitgeber den Bewerberkreis in seiner Stellenanzeige ausschließlich auf nicht behinderte Menschen beschränkt, obwohl die umschriebene Tätigkeit ebenso gut von einem behinderten Menschen ausgeübt werden könnte.  


Dogmatisch schwieriger zu fassen, ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung. Der europäische Gesetzgeber leitete sich hier die Definition aus der Rechtsprechung des EuGH zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer ab (vgl. Bericht der Kommission v. 15.12.2006 betreffend Anwendung der RL 2000/43, 4 bezugnehmend auf EuGH Rs.&nbsp;C-237/94 – ''O’Flynn'', Slg. 1996, I-2617). Nach Art.&nbsp;2(2)(b) der RL&nbsp;2000/78 und RL&nbsp;2000/43 liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Maßnahmen, Kriterien oder Verfahren Personen oder Personengruppen, bei denen eines der in Art.&nbsp;1 aufgeführten Merkmale vorliegt, in besonderer Weise gegenüber anderen Personen oder Personengruppen benachteiligen, bei denen die genannten Merkmale nicht vorliegen. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigt und die eingesetzten Mittel erforderlich und angemessen sind. Im Kern ist das Verbot mittelbarer Benachteiligung in jedem Diskriminierungsverbot enthalten. Es soll verhindern, dass Vorwände gesucht werden, nach scheinbar neutralen Kriterien zu unterscheiden, um letztlich dann doch die verbotene Entscheidung zu realisieren. Insofern weist es keinen selbstständigen Gerechtigkeitsgehalt auf, sondern dient allein als Hilfsinstrument zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots unmittelbarer Diskriminierung. Anknüpfungspunkt für die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung sind dem Anschein nach neutrale Regelungen. Lässt sich eine Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal in der betreffenden Vorschrift nicht ausmachen, scheidet eine mittelbare Benachteiligung aus und es kommt allenfalls eine unmittelbare Benachteiligung in Betracht. Um die benachteiligende Wirkung der scheinbar neutralen Vorschrift festzustellen, bedarf es der Bildung von Vergleichsgruppen. Zu vergleichen ist die Gruppe derjenigen, die durch die Anwendung der Vorschrift Nachteile erleidet, mit der Gruppe derer, die durch die Anwendung begünstigt bzw. nicht belastet wird. Innerhalb der benachteiligten Gruppe müssen die Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Merkmal aufweisen, zahlenmäßig stärker vertreten sein, als in der begünstigten Gruppe. Dies ist anhand eines statistischen Vergleichs festzustellen (vgl. BAG 8.6.2005, NZA 2006, 611).  
Um die Chancengleichheit aller Bieter herzustellen und eine Bevorzugung heimischer Bieter auszuschließen, verpflichten diese Richtlinien Auftraggeber innerhalb ihres Anwendungsbereichs auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Die Kontrolle ''privater'' Auftraggeber durch Markt und Wettbewerb wird für ''öffentliche ''Auftraggeber und Sektoren-Auftraggeber durch ein stark reguliertes Verfahren mit weitreichenden Publizitäts- und Transparenzpflichten ersetzt.  


Neben die klassischen Erscheinungsformen der unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung tritt die Belästigung als dritte Benachteiligungsform. Anders als die bereits erwähnten Benachteiligungen erfordert die Feststellung einer Belästigung keinen Vergleich zu anderen Personen oder Personengruppen. Ihr spezifischer Unrechtsgehalt liegt nicht in einer Ungleichbehandlung, sondern in der Verletzung der Würde und des Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arbeitnehmers. Nach Art.&nbsp;2(3) der RL&nbsp;2000/78 und RL&nbsp;2000/43 muss es sich um unerwünschte Verhaltensweisen handeln, die mit einem verpönten Merkmal im Zusammenhang stehen. Als mögliche Ausdrucksformen kommen daher Verleumdungen, Beleidigungen, abwertende Äußerungen, Anfeindungen, Drohungen aber auch körperliche Übergriffe in Betracht, soweit sie durch ein entsprechendes Merkmal motiviert sind und ein „feindlich geprägtes Umfeld“ schaffen. Letzteres ist anhand einer wertenden Gesamtschau in Anlehnung an die Kriterien der US-Rechtsprechung zu bestimmen.  
Die Beachtung der Vorgaben der Vergaberichtlinien ist mit erheblichen Kosten verbunden und beschränkt die Flexibilität und das Ermessen, welche private Unternehmen in ihrem Beschaffungsverhalten für sich in Anspruch nehmen können. Der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ist daher sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht auf diejenigen Fallkonstellationen begrenzt, in denen eine regulatorische Verhaltenskontrolle zur Herstellung eines offenen, unverfälschten grenzüberschreitenden Vergabewettbewerbs in besonderem Maße geboten erscheint. Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge ist auf „öffentliche Auftraggeber“ beschränkt, d.h. auf den Staat, Gebietskörperschaften und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, und damit auf Auftraggeber, deren Beschaffungsverhalten angesichts einer besonderen Verpflichtung auf das öffentliche Interesse und des Zugangs zu staatlichen Mitteln nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes unterliegt. Der Anwendungsbereich der Sektoren-RL wird unter diesem Gesichtspunkt auf staatsnahe, wenngleich ggfs. private Auftraggeber erstreckt, denen besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt sind. Der sachliche Anwendungsbereich der Sektoren-RL ist tätigkeitsbezogen definiert: erfasst werden Aufträge, die der Durchführung einer der in Art.&nbsp;3-7 aufgeführten Tätigkeiten dienen. Der sachliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge erstreckt sich auf alle schriftlichen entgeltlichen Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, die einem der genannten Vertragstypen zuzuordnen sind und oberhalb der in der Richtlinie angegebenen Schwellenwerte liegen. Unterhalb dieser Schwellenwerte erscheinen die mit der intensiven Verhaltensregulierung verbundenen Kosten nicht gerechtfertigt. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind ferner Leistungen, die der Auftraggeber selbst mit eigenen Mitteln erbringt. Die Entscheidung über die Reichweite vertikaler Integration ist mithin der öffentlichen Hand vorbehalten. Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat diese Fallgruppe auf Leistungen erstreckt, die der Auftraggeber unter Einschaltung einer weiteren Rechtsperson erbringt, wenn der Auftraggeber über diese eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und wenn die Rechtsperson zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber erbringt (sog. ''in-House''-Verträge – siehe EuGH Rs.&nbsp;C-107/98 – ''Teckal'', Slg. 1999, I-8121, Rn.&nbsp;50; EuGH Rs.&nbsp;C-26/03 – ''Stadt Halle'', Slg. 2005, I-1, Rn.&nbsp;49; EuGH Rs.&nbsp;C-295/05 – ''Asemfo/Tragsa'', Slg. 2007, I-2999, Rn.&nbsp;55 u.a.).


Schließlich wird nach Art.&nbsp;2(4) der RL&nbsp;2000/78 und RL&nbsp;2000/43 die Anweisung zur Diskriminierung einer Diskriminierung gleichgestellt. Nähere Erläuterungen zum Begriff der Anweisung finden sich nicht. Angesprochen werden aber wohl insbesondere Arbeitgeber sowie Führungskräfte und andere Verantwortliche, die Diskriminierungen nicht durch Hetzkampagnen und Intrigen fördern sollen. Der Begriff ist damit weit zu verstehen. Nicht nur die wissentliche und willentliche Anordnung wird erfasst, sondern gleichermaßen die konkrete Gestattung zur Diskriminierung, sofern der Angewiesene bereits fest entschlossen war.  
Für alle in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallenden Aufträge gilt das dort normierte Vergabeverfahren, welches in drei je gesondert geregelte Phasen gegliedert ist: die öffentliche Ausschreibung des Auftrags, die potentiellen Bietern alle Informationen übermitteln soll, die für die Erstellung eines Angebots notwendig sind; die Eignungsprüfung bzw. gegebenenfalls Auswahl der Bewerber, mit der die fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit der Bewerber ermittelt werden soll; und die Zuschlagsentscheidung. In allen Phasen geht es im Ergebnis darum sicherzustellen, dass Vergabeverfahren auf der Grundlage transparenter, objektiver und nachprüfbarer Kriterien durchgeführt werden.


=== b) Rechtfertigung ===
=== c) Zuschlagskriterien und die Berücksichtigung von Sekundärzielen ===
Grundsätzlich löst nicht jede unterschiedliche Behandlung zugleich einen Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot aus. Entscheidend ist vielmehr, ob die Ungleichbehandlung im Einzelfall gerechtfertigt war oder nicht. Die Möglichkeit der Rechtfertigung ist ein zentraler und auch notwendiger Baustein im Recht der Antidiskriminierung. Diskriminierungsverbote gelten nicht absolut. Es gibt stets zwingende sachliche Gründe, die es erlauben, auch pönalisierte Kriterien zu benutzen, weil entweder die Interessen des Vertragspartners oder dritter Personen, gelegentlich auch diejenigen der gesetzlich geschützten Rechtsträger dies selbst erfordern. Die dogmatische Schwierigkeit besteht darin, „berechtigte Gründe“ für jedes Benachteiligungsverbot getrennt zu entwickeln und sie außerdem vom sachlichen Grund im Sinn des allgemeinen Gleichbehandlungsgebotes abzugrenzen (vgl. dazu die sog. „neue Formel“ des Bundesverfassungsgerichts in BVerfG 7.10.1980, BVerfGE 55, 72, 88). Jedes Verbotskriterium zeichnet sich durch seine eigene Sachgesetzlichkeit aus. Die Richtlinien tragen dieser Verschiedenheit möglicher Rechtfertigung durch die Festschreibung bestimmter Ausnahmetatbestände Rechnung. In den jeweiligen Art.&nbsp;4 der RL&nbsp;2000/78 und RL 2000/43 werden Ungleichbehandlungen wegen der verpönten Merkmale für zulässig erachtet, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Darüber hinaus lässt die RL&nbsp;2000/78 in Art.&nbsp;6 unter den dort genannten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen des Alters zu. Insgesamt sind die für die Diskriminierungsverbote geltenden Sachgesetzlichkeiten jedoch noch zu wenig erforscht. Als gesichert gilt aber, dass an die Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung unter verschiedenen Aspekten „härtere“ Anforderungen gestellt werden, als an den sachlichen Grund des allgemeinen Gleichheitssatzes. Zum einen können bloße Marktüberlegungen eine verbotene Diskriminierung nicht legitimieren, weil sonst bei den wichtigen Arbeitsverträgen eine besonders einschneidende Minderung der Gegenleistung erlaubt wäre. Andererseits wird es für eine Rechtfertigung – anders als bei der allgemeinen Gleichbehandlung – nicht ausreichen, das ein sachlicher Bezug zum Inhalt des vertraglichen Rechtsgeschäfts besteht und dieser für den durchschnittlichen Betrachter nachzuvollziehen ist. Die Abwägung zwischen den Interessen und Grundrechten der betroffenen Personen muss zusätzlich dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügen.
Die praktisch wichtigste Entscheidung des Vergabeverfahrens ist der Zuschlag, mit welchem der öffentliche Auftraggeber die Entscheidung für ein bestimmtes Angebot trifft. Die Willkür- und Diskriminierungsfreiheit dieser Entscheidung zu gewährleisten, ist ein zentrales Anliegen des EG-Vergaberechts. Unter diesem Gesichtspunkt verpflichten die Vergaberichtlinien den öffentlichen Auftraggeber konsequent auf ein Wirtschaftlichkeitskriterium, welches in zwei verschiedenen Ausprägungen Maßstab der Zuschlagsentscheidung sein kann (Art.&nbsp;53 RL 2004/18): Der Auftraggeber kann sich alternativ für einen Zuschlag nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots entscheiden. Im ersten Fall ist der Bieterwettbewerb auf einen Preiswettbewerb reduziert. Im zweiten Fall kann der Auftraggeber auch andere durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien berücksichtigen, deren Inhalt und Gewichtung er allerdings vorab offenzulegen hat. Art.&nbsp;53 nennt in einer nicht abschließenden Aufzählung unter anderem Qualität, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften und Kundendienst. Im Ergebnis muss es aber stets um die Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten“ Angebots gehen. Die Kriterien müssen ferner einen Angebotsvergleich auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte ermöglichen.


== 4. Rechtsfolgen bei Verstoß ==
Zu den besonders umstrittenen Fragen des EG-Vergaberechts zählt, unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabeentscheidung auch andere, ihrer Art nach gesamtwirtschaftliche bzw. gesamtgesellschaftliche Gesichtspunkte – etwa einen besonderen Beitrag zu Umweltschutz oder Sozialpolitik oder besondere Verpflichtungen auf die Einhaltung von Menschenrechten – berücksichtigen darf (sog. vergabefremde Zwecke). Der EuGH hat sich mit dieser Frage in mehreren Einzelfällen befasst (insbes. EuGH Rs. 31/87 – ''Beentjes'', Slg. 1988, 4635; EuGH Rs.&nbsp;C-225/98 – ''Nord-Pas-de-Calais'', Slg. 2000, I-7445; EuGH Rs.&nbsp;C-513/99 – ''Concordia Bus'', Slg. 2002, I-7213). In zwei Mitteilungen hat die Kommission versucht, aus dieser Rspr. allgemeine Handlungsanweisungen zu entnehmen (Mitteilung zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Auftragsvergabe, KOM (2001) 566 endg.; und Mitteilung zur Berücksichtigung von Umweltbelangen, ABl. 2001 C 333/13). Ihre Ansicht, dass die Phase der Auftrags''ausführung'' nicht mehr in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien falle, hat sich nunmehr in Art.&nbsp;26 RL&nbsp;2004/18 niedergeschlagen, derzufolge ein öffentlicher Auftraggeber „zusätzliche Bedingungen für die ''Ausführung'' des Auftrages“ vorschreiben kann, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder den Bedingungsunterlagen angegeben sind. Die Bedingungen für die Ausführung des Auftrags können „insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte“ betreffen. Wann derartige Bedingungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, nämlich weder diskriminierend noch marktzugangsbeschränkend sind, ist damit allerdings nicht beantwortet.
Um Diskriminierungsverboten zur vollen Geltung zu verschaffen, bedarf es besonderer Sanktionen im Falle ihrer Missachtung. Die RL 2000/ 78 und RL 2000/43 geben aber keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Sanktionen, die im Einzelfall zugunsten des benachteiligten Arbeitnehmers zu verhängen sind. Es wird einzig darauf hingewiesen, dass die Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen (vgl. Art. 15 RL 2000/78, Art. 17 RL 2000/ 43). Dies betrifft etwa Schadensersatzleistungen, die ausdrückliche Erwähnung finden. Im Übrigen bleibt die konkrete Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überlassen. Eine Präzisierung erfahren die zu verhängenden Sanktionen allerdings durch die Rechtsprechung des EuGH. Danach reicht ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen aus, um die Haftung des Urhebers auszulösen. Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an. Ferner hat der zu leistende Schadensersatz in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlich erlittenen Schaden zu stehen (vgl. EuGH Rs. C-180/95 – ''Draehmpaehl'', Slg. 1997, I-2195; EuGH Rs. 14/83 – ''von Colson und Kamann'', Slg. 1984, 1891). Hieran haben sich die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung zu orientieren.


In den englischen Gesetzen ist im Falle eines Verstoßes gegen die Diskriminierungsverbote als Rechtsfolge die Leistung von Schadensersatz vorgesehen, sofern es die Billigkeit erfordert (vgl. ''Sex Discrimination Act 1975'', sec. 65 Abs.&nbsp;1 lit. b sowie ''Race Relations Act 1976'', sec. 56 Abs.&nbsp;1 lit. b. Darüber hinaus kann der Ersatz immaterieller Schäden verlangt werden (vgl. sec. 66 Abs.&nbsp;4 und sec. 57 Abs. 4 der vorgenannten Gesetze). Die genauen Maßstäbe werden jedoch von der Rechtsprechung festgelegt.
=== d) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten ===
Die aus dem EG-Vergaberecht folgenden Pflichten der Auftraggeber blieben wirkungslos, wenn nicht eine wirksame Durchsetzung gewährleistet wäre. Zu unterscheiden sind die öffentliche Durchsetzung (''public enforcement'') im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens und die private Durchsetzung durch die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter und Bewerber (''private enforcement''). Beide Dimensionen der Rechtsdurchsetzung sind in jüngerer Zeit konkretisiert worden und haben dabei an Schärfe gewonnen.


Die französischen Gesetze enthalten ebenfalls Regelungen zur Sanktionierung diskriminierender Verhaltensweisen. Es wurden sowohl Zivil- als auch Strafmaßnahmen eingeführt. Die Strafmaßnahmen erstrecken sich auf eine Liste verpönter Merkmale, die über die europäischen Vorgaben hinaus geht. Den Urhebern von Diskriminierungen drohen nun Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren und Geldstrafen bis zu EUR 30.000,- (vgl. Art.&nbsp;225-2 ''Code pénal''). Hinzu treten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche.
Mit Blick auf die öffentliche Durchsetzung hat der EuGH festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, der entgegen den Vorgaben der Vergaberichtlinien einen öffentlichen Auftrag nicht ausgeschrieben hat, bei Feststellung eines solchen Verstoßes in einem Vertragsverletzungsverfahren einen in der Folge des Gemeinschaftsrechtsverstoßes geschlossenen und noch nicht vollständig erfüllten Vertrag kündigen muss; denn die Vertragsverletzung besteht während der gesamten Dauer der Erfüllung eines solchen Vertrages fort (EuGH Rs.&nbsp;C-503/04 – ''Kommission/Deutschland'', Slg. 2007, I-6153, Rn.&nbsp;29). Gegenüber dieser Kündigungspflicht können sich die Mitgliedstaaten nicht auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie auf den Grundsatz ''pacta sunt servanda'' berufen (ebenda, Rn.&nbsp;36, 38).


Auf nationaler Ebene ist im AGG eine spezielle Sanktionsregelung vorgesehen (vgl. §&nbsp;15 AGG). Aus der Vorschrift folgt ein Anspruch des Benachteiligten auf Schadensersatz und Entschädigung. Während in §&nbsp;15 Abs.&nbsp;1 AGG der Ersatz des materiellen Schadens geregelt ist, räumt Abs.&nbsp;2 dem Betroffenen einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung als Ausgleich für einen erlittenen immateriellen Schaden ein. Letzterer wird verschuldensunabhängig gewährt. Nach wie vor nicht möglich ist die Geltendmachung eines Anspruchs auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Falle einer benachteiligenden Einstellungspraxis wie §&nbsp;15 Abs. 6 AGG nun ausdrücklich klarstellt.  
Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der privaten Rechtsdurchsetzung und des dazugehörigen Sanktionensystems obliegt grds. den Mitgliedstaaten, die allerdings auch insoweit an den Äquivalenz- und den [[Effektivitätsgrundsatz]] gebunden sind: Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht müssen in grds. vergleichbarer Weise geahndet werden wie Verstöße gegen nationales Recht; und die Mitgliedstaaten müssen tatsächlich abschreckende und angemessene Sanktionen bereitstellen, die eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Die Rechtsmittelrichtlinien RL&nbsp;89/665 und RL&nbsp;92/13, beide geändert und verschärft durch RL&nbsp;2007/66, konkretisieren diese allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und formulieren Mindestanforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz für die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter bzw. Bewerber. Sie verleihen damit der individualschützenden Zielsetzung der Vergaberichtlinien praktische Durchschlagskraft. Kern der Rechtsmittelrichtlinien ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verstöße gegen die Vergaberichtlinien bzw. gegen das diese umsetzende einzelstaatliche Recht wirksam und rasch nachgeprüft werden können. Ein Nachprüfungsverfahren muss jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Zu den Verstößen, gegen die in einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen werden kann, zählen z.B. diskriminierende technische, wirtschaftliche oder finanzielle Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten oder Verdingungsunterlagen. Besondere Bedeutung kommt der Nachprüfung von Zuschlagsentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers zu. Die RL&nbsp;2007/ 66 schließt es in Übereinstimmung mit dem EuGH aus, die Zuschlagsentscheidung mit dem Vertragsschluss zu verbinden: Ein Vertragsschluss darf nunmehr nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an Bieter und Bewerber folgenden Tag. Wird ein Nachprüfungsverfahren gegen eine Zuschlagsentscheidung eingeleitet, wird die Stillhaltefrist im Regelfall ausgedehnt, bis die Nachprüfungsstelle über den Antrag entschieden hat. Für die folgenden Fälle müssen die Mitgliedstaaten wirksame und abschreckende Sanktionen vorsehen: für den Verstoß gegen die Stillhaltegebote; und für den Fall einer rechtswidrig freihändigen Vergabe eines Auftrags ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU. Die RL&nbsp;2007/66 schreibt in diesen Fällen nunmehr als Regelsanktion die Unwirksamkeit des Vertrages vor. Die Folgen der Unwirksamkeit richten sich nach einzelstaatlichem Recht. Im Einzelfall kommen alternative Sanktionen wie Geldbußen oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages in Betracht. Die Zuerkennung von Schadensersatz genügt nicht.


== 5. Bedeutung der Diskriminierungsverbote für die Entwicklung des Arbeitsrechts ==
== 3. Rückwirkungen in den Mitgliedstaaten ==
Diskriminierungsverbote haben ihren festen Platz im Arbeitsrecht. Ihr wesentlicher Effekt besteht nicht nur darin, dass zahlreiche Arbeitgeberentscheidungen verboten, sondern – wie im Fall des AGG – auch kontrollfähig werden. Die Gleichbehandlungsgebote eröffnen die Tür zur gerichtlichen Kontrolle. Der Arbeitgeber mag sich rechtfertigen können, er muss es jedoch, soll seine Entscheidung vor den Gerichten Bestand haben. Der einseitigen, schlecht begründeten, ja willkürlichen Entscheidung durch den Arbeitgeber ist Einhalt geboten. Dies gilt nicht nur während des Arbeitsverhältnisses, wo der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz bei kollektiven Entscheidungen bereits einen Schutz des Arbeitnehmers bewirkt, sondern insbesondere auch dort, wo bislang weitgehende Vertragsfreiheit herrschte, nämlich bei der Einstellung. Eben hier liegt auch der spannungsreiche Konflikt zur Vertragsfreiheit, denn bislang brauchte sich der Arbeitgeber hier nicht zu rechtfertigen.
Das EG-Vergaberecht hat die Mitgliedstaaten zu einschneidenden Änderungen ihrer Vergaberechtsordnungen gezwungen. In Deutschland hat man insbesondere das aus den Rechtsmittelrichtlinien folgende Gebot der Gewährleistung eines wirksamen Individualrechtsschutzes nachhaltig bekämpft, weil es mit dem traditionellen haushaltsrechtlichen Verständnis des Vergaberechts unvereinbar war. Erst durch das zum 1.1.1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsgesetz und nach zwei Vertragsverletzungsverfahren wurde das deutsche Vergaberecht für Auftragsvergaben oberhalb der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerte den aus den Vergabe- und Rechtsmittelrichtlinien folgenden Anforderungen angepasst (nunmehr geregelt im 4.&nbsp;Teil des GWB). Weitere detaillierte Verfahrensvorschriften enthalten die Vergabeverordnung (VgV) und die Verdingungsverordnungen für Bauleistungen (VOB), für Leistungen (VOL) sowie für freiberufliche Leistungen (VOF).


==Literatur==
Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte unterfallen nach deutschem Recht weiterhin nicht dem Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts und dem dort geregelten System des Individualrechtsschutzes. Hier besteht das haushaltsrechtliche Verständnis des Vergabeverfahrensrechts als Binnenrecht fort. Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 13.6.2006 (BVerfGE 116, 135) zwar ein subjektives Recht jeden Bieters auf eine faire Chance bejaht, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien berücksichtigt zu werden. Gleichwohl hat es ein verfassungsrechtliches Gebot, besondere Vorkehrungen für einen wirksamen Primärrechtsschutz zu schaffen, verneint. Angesichts der potentiell gegenläufigen Interessen des Auftraggebers an einer zügigen Auftragsdurchführung und des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit sei der Gesetzgeber befugt, den erfolglosen Bieter regelmäßig auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen. Eine aus dem Verfassungsrecht folgende Pflicht, analog §&nbsp;13 VgV erfolglose Bieter rechtzeitig vor Vertragsschluss über die Vergabeentscheidung zu informieren, gebe es nicht.
''Sandra Fredman'', Equality: a New Generation?, Industrial Law Journal 30 (2001) 145 ff.; ''Herbert Wiedemann'', Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, 2001; ''Daniel Borrillo'', Les instruments juridiques français et européens dans la mise en place du principe d’égalité et de non-discrimination, Revue Française des Affaires Sociales 56 (2002) 113 ff.; ''Katell Berthou'', New Hopes for French Anti-Discrimination Law, International Journal of Comparative Labour Law und Industrial Relations 19 (2003) 109 ff.; ''Marie-Thérèse Lanquetin'','' ''L’égaltié entre les femmes et les hommes: sur la directive 2002/73 CE du 23 septembre 2002, Droit social 2003, 315 ff.; ''Katie Wells'', The Impact of the Framework Employment Directive on UK Disability Discrimination Law, Industrial Law Journal 32 (2003) 253 ff.; ''Carla Detmers'', Diskriminierung am Arbeitsplatz: Eine Einführung in das englische Recht zur Diskriminierung und Lohngleichheit, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht 2004, 40 ff.; ''Anja Lingscheid'','' ''Antidiskriminierung im Arbeitsrecht, 2004; ''Beate Rudolf'', ''Matthias Mahlmann'', Gleichbehandlungsrecht, 2007; ''Gregor Thüsing'', Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007; ''Jobst-Hubertus Bauer'', ''Burkhard Göpfert'', Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2008.
 
Demgegenüber hat die [[Europäische Kommission]] den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] ein Gebot effektiven Primärrechtsschutzes für erfolglose Bieter entnommen, das auch unterhalb der Schwellenwerte gilt (Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschafts-Vergaberecht vom 1.8.2007, ABl. 2006 C 179/02). Deutschland hat gegen diese Mitteilung vor dem EuG Klage eingereicht (Rs.&nbsp;T-258/06; Klage der dt. Bundesregierung vom 14.9.2006, ABl. 2006 C 294/52).
 
== Literatur==
''Gerhard Kunnert'', WTO-Vergaberecht, 1998; ''Fritz Rittner'', Öffentliches Auftragswesen und Privatrecht, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 152 (1988) 318&nbsp;ff.; ''Sue Arrowsmith'', ''Martin Trybus'', Public Procurement: The Continuing Revolution, 2003; ''Ernst-Joachim Mestmäcker'', ''Heike'' ''Schweitzer'', Europäisches Wettbewerbsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2004, Kap.&nbsp;9; ''Jan Byok'', ''Wolfgang'' ''Jäger'', Kommentar zum Vergaberecht, 2.&nbsp;Aufl. 2005; ''Christopher Bovis'', EC Public Procurement, 2006; ''Marc Bungenberg'', Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme, 2007; ''Martin Burgi'', Von der Zweistufenlehre zur Dreiteilung des Rechtsschutzes im Vergaberecht, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2007, 737&nbsp;ff.; ''Meinrad Dreher'', §§&nbsp;97&nbsp;ff. GWB, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd.&nbsp;2, 4.&nbsp;Aufl. 2007.; ''Wissenschaftlicher Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium'' (BMWi), Gutachten „Öffentliches Beschaffungswesen“ vom 12.5.2007; ''Alexander Egger'', Europäisches Vergaberecht, 2008; ''Uwe Blaurock'' (Hg.), Der Staat als Nachfrager, 2008; ''Sue Arrowsmith'', The Law of Public and Utilities Procurement, 2.&nbsp;Aufl. 2009; ''Sue Arrowsmith'', ''Peter'' ''Kunzlik'', Social and Environmental Policies in Public Procurement Law, 2009.


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Version vom 14. September 2016, 13:38 Uhr

von Heike Schweitzer

1. Begriff und Funktion

Das Vergaberecht regelt das Verhalten des Staates und anderer öffentlicher Auftraggeber, die sich Güter und Dienstleistungen auf Märkten beschaffen. Das Nachfrageverhalten der öffentlichen Hand weist gegenüber dem Nachfrageverhalten privater Unternehmen Besonderheiten auf, die sich aus ihrer allgemeinen Verpflichtung auf öffentliche Ziele sowie aus dem marktunabhängigen Zugang zu Finanzmitteln ergeben.

Das mitgliedstaatliche Recht hat herkömmlich die Verfolgung öffentlicher Ziele in der Auftragsvergabe respektiert und Regeln über die Durchführung eines Vergabewettbewerbs allein zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Verwaltungshandelns und zur Verhinderung von Korruption entwickelt. Erhebliche Unterschiede bestehen in der einzelstaatlichen Ausgestaltung des Vergabewesens. Einige Mitgliedstaaten (z.B. Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal) ordnen das Vergabeverfahren samt Vertragsschluss traditionell dem öffentlichen Recht zu. Hieraus folgte die Bindung an die Grundrechte einschließlich des Gleichbehandlungsgebots. In anderen Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Irland, skandinavische Länder) wird die Auftragsvergabe, soweit die Außenbeziehungen betroffen sind, als Teil des Privatrechts gesehen (siehe für das deutsche Recht BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn. 6 f.). Der Zuschlag gilt als privatrechtliche Willenserklärung zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags. Die herkömmlichen Regeln zum Vergabeverfahren waren als Teil des Haushaltsrechts zwar öffentliches Recht; als reines Binnenrecht ohne Wirkung im Außenverhältnis gegenüber den Bietern hatten sie nach st. Rspr. jedoch keine individualschützende Funktion (für Auftragsvergaben unterhalb der im EG-Vergaberecht vorgeschriebenen Schwellenwerte weiterhin in diesem Sinne: BVerfG, 13.6.2006, NJW 2006, 3701, Rn. 57; BVerwG 2.5.2007, NJW 2007, 2275, Rn. 11 f.).

Das Gemeinschaftsrecht erfasst das Beschaffungsverhalten der öffentlichen Hand dagegen primär unter dem Gesichtspunkt der Grundfreiheiten. Den aus diesen folgenden subjektiven Rechten der Einzelnen entspricht ein öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Binnenmarkts: EG-Vergaberecht ist primär Marktöffnungsrecht. Es soll der verbreiteten Bevorzugung heimischer Bieter und den damit einhergehenden protektionistischen Tendenzen der Auftragsvergabe entgegentreten und unverfälschten Wettbewerb herstellen.

Neben den Grundfreiheiten können auch die EG-Wettbewerbsregeln (Wettbewerbsrecht, internationales) einschlägig sein: in bestimmten Märkten – etwa im Bausektor oder bei infrastrukturellen Einrichtungen – verfügt der Staat regelmäßig über Nachfragemacht. Allerdings wird der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln auf den Staat unter diesem Gesichtspunkt durch das FENIN-Urteil (EuG Rs. T-319/99, Slg. 2003, II-357, insb. Rn. 37; bestätigt durch EuGH Rs. C-205/03 P – FENIN, Slg. 2006, I-6295) erheblich eingeschränkt.

2. Das Vergaberecht der EG

a) Die Grundfreiheiten als Grundlage des EG-Vergaberechts

Unmittelbar aus den Grundfreiheiten folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von potentiell grenzüberschreitendem Interesse jegliche Diskriminierung zu vermeiden, alle Regeln oder Praktiken der öffentlichen Beschaffung, die den grenzüberschreitenden Verkehr beschränken, zu beseitigen und echten, unverfälschten Wettbewerb um öffentliche Aufträge zu ermöglichen. Hieraus ergeben sich nach st. Rspr. des EuGH auch verbindliche Vorgaben für die Gestaltung von Vergabeverfahren, insbesondere ein Gleichbehandlungs- und ein Transparenzgebot (EuGH Rs. C-324/98 – Telaustria, Slg. 2000, I-10745, Rn 60 f.; EuGH Rs. C-231/03 – Coname, Slg. 2005, I-7287, Rn. 17 ff.; EuGH 17.7.2008 Rs. C-347/06 – ASM Brescia SpA, Rn. 57 ff., EWS 2008, 383).

Die primärrechtlichen Vorgaben belassen den öffentlichen Auftraggebern weite Ermessensspielräume. Um eine wirksamere Marktöffnung zu erreichen, hat die Gemeinschaft deshalb auf der Grundlage von Art. 95 EG/114 AEUV die Vergaberichtlinien erlassen, welche die Verhaltenspflichten öffentlicher Auftraggeber für Aufträge, die oberhalb bestimmter Schwellenwerte liegen, konkretisieren und ausgestalten (s.u.). Die Grundfreiheiten bleiben aber unmittelbar erheblich für die Vergabe von Aufträgen, die nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen, etwa weil sie unterhalb der einschlägigen Schwellenwerte liegen oder weil sie nicht von der Definition eines „öffentlichen Auftrags“ erfasst sind (z.B. Dienstleistungskonzessionen). Die für die Vergabe solcher Aufträge maßgeblichen Grundsätze hat die Kommission in einer Mitteilung zusammengefasst (ABl. 2006 C 179/2).

b) Die materiellen Vergaberichtlinien

Die erste Vergaberichtlinie betreffend das Vergabeverfahren für öffentliche Bauaufträge hat die EG bereits 1971 erlassen, gefolgt von einer Richtlinie für öffentliche Lieferaufträge im Jahr 1976. Da eine wirksame Öffnung nationaler Vergabemärkte ausblieb, wurden die Vergaberichtlinien mehrfach reformiert. Heute ist das sekundäre Vergaberecht der Gemeinschaft in zwei Richtlinien zusammengefasst:

(1) RL 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge

(2) RL 2004/17 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (sog. Sektoren-RL), welche das Vergaberegime in den genannten Sektoren in modifizierter Form auch auf private Auftraggeber erstreckt, sofern diese Tätigkeiten auf der Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte ausüben.

Um die Chancengleichheit aller Bieter herzustellen und eine Bevorzugung heimischer Bieter auszuschließen, verpflichten diese Richtlinien Auftraggeber innerhalb ihres Anwendungsbereichs auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip. Die Kontrolle privater Auftraggeber durch Markt und Wettbewerb wird für öffentliche Auftraggeber und Sektoren-Auftraggeber durch ein stark reguliertes Verfahren mit weitreichenden Publizitäts- und Transparenzpflichten ersetzt.

Die Beachtung der Vorgaben der Vergaberichtlinien ist mit erheblichen Kosten verbunden und beschränkt die Flexibilität und das Ermessen, welche private Unternehmen in ihrem Beschaffungsverhalten für sich in Anspruch nehmen können. Der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ist daher sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht auf diejenigen Fallkonstellationen begrenzt, in denen eine regulatorische Verhaltenskontrolle zur Herstellung eines offenen, unverfälschten grenzüberschreitenden Vergabewettbewerbs in besonderem Maße geboten erscheint. Der persönliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge ist auf „öffentliche Auftraggeber“ beschränkt, d.h. auf den Staat, Gebietskörperschaften und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, und damit auf Auftraggeber, deren Beschaffungsverhalten angesichts einer besonderen Verpflichtung auf das öffentliche Interesse und des Zugangs zu staatlichen Mitteln nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes unterliegt. Der Anwendungsbereich der Sektoren-RL wird unter diesem Gesichtspunkt auf staatsnahe, wenngleich ggfs. private Auftraggeber erstreckt, denen besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt sind. Der sachliche Anwendungsbereich der Sektoren-RL ist tätigkeitsbezogen definiert: erfasst werden Aufträge, die der Durchführung einer der in Art. 3-7 aufgeführten Tätigkeiten dienen. Der sachliche Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge erstreckt sich auf alle schriftlichen entgeltlichen Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, die einem der genannten Vertragstypen zuzuordnen sind und oberhalb der in der Richtlinie angegebenen Schwellenwerte liegen. Unterhalb dieser Schwellenwerte erscheinen die mit der intensiven Verhaltensregulierung verbundenen Kosten nicht gerechtfertigt. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind ferner Leistungen, die der Auftraggeber selbst mit eigenen Mitteln erbringt. Die Entscheidung über die Reichweite vertikaler Integration ist mithin der öffentlichen Hand vorbehalten. Der EuGH hat diese Fallgruppe auf Leistungen erstreckt, die der Auftraggeber unter Einschaltung einer weiteren Rechtsperson erbringt, wenn der Auftraggeber über diese eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und wenn die Rechtsperson zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber erbringt (sog. in-House-Verträge – siehe EuGH Rs. C-107/98 – Teckal, Slg. 1999, I-8121, Rn. 50; EuGH Rs. C-26/03 – Stadt Halle, Slg. 2005, I-1, Rn. 49; EuGH Rs. C-295/05 – Asemfo/Tragsa, Slg. 2007, I-2999, Rn. 55 u.a.).

Für alle in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallenden Aufträge gilt das dort normierte Vergabeverfahren, welches in drei je gesondert geregelte Phasen gegliedert ist: die öffentliche Ausschreibung des Auftrags, die potentiellen Bietern alle Informationen übermitteln soll, die für die Erstellung eines Angebots notwendig sind; die Eignungsprüfung bzw. gegebenenfalls Auswahl der Bewerber, mit der die fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit der Bewerber ermittelt werden soll; und die Zuschlagsentscheidung. In allen Phasen geht es im Ergebnis darum sicherzustellen, dass Vergabeverfahren auf der Grundlage transparenter, objektiver und nachprüfbarer Kriterien durchgeführt werden.

c) Zuschlagskriterien und die Berücksichtigung von Sekundärzielen

Die praktisch wichtigste Entscheidung des Vergabeverfahrens ist der Zuschlag, mit welchem der öffentliche Auftraggeber die Entscheidung für ein bestimmtes Angebot trifft. Die Willkür- und Diskriminierungsfreiheit dieser Entscheidung zu gewährleisten, ist ein zentrales Anliegen des EG-Vergaberechts. Unter diesem Gesichtspunkt verpflichten die Vergaberichtlinien den öffentlichen Auftraggeber konsequent auf ein Wirtschaftlichkeitskriterium, welches in zwei verschiedenen Ausprägungen Maßstab der Zuschlagsentscheidung sein kann (Art. 53 RL 2004/18): Der Auftraggeber kann sich alternativ für einen Zuschlag nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots entscheiden. Im ersten Fall ist der Bieterwettbewerb auf einen Preiswettbewerb reduziert. Im zweiten Fall kann der Auftraggeber auch andere durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien berücksichtigen, deren Inhalt und Gewichtung er allerdings vorab offenzulegen hat. Art. 53 nennt in einer nicht abschließenden Aufzählung unter anderem Qualität, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften und Kundendienst. Im Ergebnis muss es aber stets um die Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten“ Angebots gehen. Die Kriterien müssen ferner einen Angebotsvergleich auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte ermöglichen.

Zu den besonders umstrittenen Fragen des EG-Vergaberechts zählt, unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Auftraggeber bei der Vergabeentscheidung auch andere, ihrer Art nach gesamtwirtschaftliche bzw. gesamtgesellschaftliche Gesichtspunkte – etwa einen besonderen Beitrag zu Umweltschutz oder Sozialpolitik oder besondere Verpflichtungen auf die Einhaltung von Menschenrechten – berücksichtigen darf (sog. vergabefremde Zwecke). Der EuGH hat sich mit dieser Frage in mehreren Einzelfällen befasst (insbes. EuGH Rs. 31/87 – Beentjes, Slg. 1988, 4635; EuGH Rs. C-225/98 – Nord-Pas-de-Calais, Slg. 2000, I-7445; EuGH Rs. C-513/99 – Concordia Bus, Slg. 2002, I-7213). In zwei Mitteilungen hat die Kommission versucht, aus dieser Rspr. allgemeine Handlungsanweisungen zu entnehmen (Mitteilung zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Auftragsvergabe, KOM (2001) 566 endg.; und Mitteilung zur Berücksichtigung von Umweltbelangen, ABl. 2001 C 333/13). Ihre Ansicht, dass die Phase der Auftragsausführung nicht mehr in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien falle, hat sich nunmehr in Art. 26 RL 2004/18 niedergeschlagen, derzufolge ein öffentlicher Auftraggeber „zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrages“ vorschreiben kann, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder den Bedingungsunterlagen angegeben sind. Die Bedingungen für die Ausführung des Auftrags können „insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte“ betreffen. Wann derartige Bedingungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, nämlich weder diskriminierend noch marktzugangsbeschränkend sind, ist damit allerdings nicht beantwortet.

d) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten

Die aus dem EG-Vergaberecht folgenden Pflichten der Auftraggeber blieben wirkungslos, wenn nicht eine wirksame Durchsetzung gewährleistet wäre. Zu unterscheiden sind die öffentliche Durchsetzung (public enforcement) im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens und die private Durchsetzung durch die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter und Bewerber (private enforcement). Beide Dimensionen der Rechtsdurchsetzung sind in jüngerer Zeit konkretisiert worden und haben dabei an Schärfe gewonnen.

Mit Blick auf die öffentliche Durchsetzung hat der EuGH festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, der entgegen den Vorgaben der Vergaberichtlinien einen öffentlichen Auftrag nicht ausgeschrieben hat, bei Feststellung eines solchen Verstoßes in einem Vertragsverletzungsverfahren einen in der Folge des Gemeinschaftsrechtsverstoßes geschlossenen und noch nicht vollständig erfüllten Vertrag kündigen muss; denn die Vertragsverletzung besteht während der gesamten Dauer der Erfüllung eines solchen Vertrages fort (EuGH Rs. C-503/04 – Kommission/Deutschland, Slg. 2007, I-6153, Rn. 29). Gegenüber dieser Kündigungspflicht können sich die Mitgliedstaaten nicht auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie auf den Grundsatz pacta sunt servanda berufen (ebenda, Rn. 36, 38).

Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der privaten Rechtsdurchsetzung und des dazugehörigen Sanktionensystems obliegt grds. den Mitgliedstaaten, die allerdings auch insoweit an den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz gebunden sind: Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht müssen in grds. vergleichbarer Weise geahndet werden wie Verstöße gegen nationales Recht; und die Mitgliedstaaten müssen tatsächlich abschreckende und angemessene Sanktionen bereitstellen, die eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Die Rechtsmittelrichtlinien RL 89/665 und RL 92/13, beide geändert und verschärft durch RL 2007/66, konkretisieren diese allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und formulieren Mindestanforderungen an den mitgliedstaatlichen Rechtsschutz für die in ihren Interessen negativ betroffenen Bieter bzw. Bewerber. Sie verleihen damit der individualschützenden Zielsetzung der Vergaberichtlinien praktische Durchschlagskraft. Kern der Rechtsmittelrichtlinien ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verstöße gegen die Vergaberichtlinien bzw. gegen das diese umsetzende einzelstaatliche Recht wirksam und rasch nachgeprüft werden können. Ein Nachprüfungsverfahren muss jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Zu den Verstößen, gegen die in einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen werden kann, zählen z.B. diskriminierende technische, wirtschaftliche oder finanzielle Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten oder Verdingungsunterlagen. Besondere Bedeutung kommt der Nachprüfung von Zuschlagsentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers zu. Die RL 2007/ 66 schließt es in Übereinstimmung mit dem EuGH aus, die Zuschlagsentscheidung mit dem Vertragsschluss zu verbinden: Ein Vertragsschluss darf nunmehr nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen, gerechnet ab dem auf die Absendung der Zuschlagsentscheidung an Bieter und Bewerber folgenden Tag. Wird ein Nachprüfungsverfahren gegen eine Zuschlagsentscheidung eingeleitet, wird die Stillhaltefrist im Regelfall ausgedehnt, bis die Nachprüfungsstelle über den Antrag entschieden hat. Für die folgenden Fälle müssen die Mitgliedstaaten wirksame und abschreckende Sanktionen vorsehen: für den Verstoß gegen die Stillhaltegebote; und für den Fall einer rechtswidrig freihändigen Vergabe eines Auftrags ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU. Die RL 2007/66 schreibt in diesen Fällen nunmehr als Regelsanktion die Unwirksamkeit des Vertrages vor. Die Folgen der Unwirksamkeit richten sich nach einzelstaatlichem Recht. Im Einzelfall kommen alternative Sanktionen wie Geldbußen oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages in Betracht. Die Zuerkennung von Schadensersatz genügt nicht.

3. Rückwirkungen in den Mitgliedstaaten

Das EG-Vergaberecht hat die Mitgliedstaaten zu einschneidenden Änderungen ihrer Vergaberechtsordnungen gezwungen. In Deutschland hat man insbesondere das aus den Rechtsmittelrichtlinien folgende Gebot der Gewährleistung eines wirksamen Individualrechtsschutzes nachhaltig bekämpft, weil es mit dem traditionellen haushaltsrechtlichen Verständnis des Vergaberechts unvereinbar war. Erst durch das zum 1.1.1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsgesetz und nach zwei Vertragsverletzungsverfahren wurde das deutsche Vergaberecht für Auftragsvergaben oberhalb der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerte den aus den Vergabe- und Rechtsmittelrichtlinien folgenden Anforderungen angepasst (nunmehr geregelt im 4. Teil des GWB). Weitere detaillierte Verfahrensvorschriften enthalten die Vergabeverordnung (VgV) und die Verdingungsverordnungen für Bauleistungen (VOB), für Leistungen (VOL) sowie für freiberufliche Leistungen (VOF).

Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte unterfallen nach deutschem Recht weiterhin nicht dem Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts und dem dort geregelten System des Individualrechtsschutzes. Hier besteht das haushaltsrechtliche Verständnis des Vergabeverfahrensrechts als Binnenrecht fort. Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 13.6.2006 (BVerfGE 116, 135) zwar ein subjektives Recht jeden Bieters auf eine faire Chance bejaht, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien berücksichtigt zu werden. Gleichwohl hat es ein verfassungsrechtliches Gebot, besondere Vorkehrungen für einen wirksamen Primärrechtsschutz zu schaffen, verneint. Angesichts der potentiell gegenläufigen Interessen des Auftraggebers an einer zügigen Auftragsdurchführung und des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit sei der Gesetzgeber befugt, den erfolglosen Bieter regelmäßig auf einen Schadensersatzanspruch zu verweisen. Eine aus dem Verfassungsrecht folgende Pflicht, analog § 13 VgV erfolglose Bieter rechtzeitig vor Vertragsschluss über die Vergabeentscheidung zu informieren, gebe es nicht.

Demgegenüber hat die Europäische Kommission den Grundfreiheiten ein Gebot effektiven Primärrechtsschutzes für erfolglose Bieter entnommen, das auch unterhalb der Schwellenwerte gilt (Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschafts-Vergaberecht vom 1.8.2007, ABl. 2006 C 179/02). Deutschland hat gegen diese Mitteilung vor dem EuG Klage eingereicht (Rs. T-258/06; Klage der dt. Bundesregierung vom 14.9.2006, ABl. 2006 C 294/52).

Literatur

Gerhard Kunnert, WTO-Vergaberecht, 1998; Fritz Rittner, Öffentliches Auftragswesen und Privatrecht, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 152 (1988) 318 ff.; Sue Arrowsmith, Martin Trybus, Public Procurement: The Continuing Revolution, 2003; Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, Kap. 9; Jan Byok, Wolfgang Jäger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2005; Christopher Bovis, EC Public Procurement, 2006; Marc Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme, 2007; Martin Burgi, Von der Zweistufenlehre zur Dreiteilung des Rechtsschutzes im Vergaberecht, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2007, 737 ff.; Meinrad Dreher, §§ 97 ff. GWB, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2007.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), Gutachten „Öffentliches Beschaffungswesen“ vom 12.5.2007; Alexander Egger, Europäisches Vergaberecht, 2008; Uwe Blaurock (Hg.), Der Staat als Nachfrager, 2008; Sue Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2. Aufl. 2009; Sue Arrowsmith, Peter Kunzlik, Social and Environmental Policies in Public Procurement Law, 2009.

Abgerufen von Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht – HWB-EuP 2009 am 25. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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