Richterrecht und Unlauterer Wettbewerb (Rechtsfolgen): Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Stefan Vogenauer]]''
von ''[[Olaf Sosnitza]]''
== 1. Begriff und Problematik des Richterrechts ==
== 1. Bedeutung ==
Richterrecht ist von Gerichten gesetztes Recht. Im englischen Sprachraum spricht man von ''judge-made law'', in Frankreich von ''droit prétorien''. Die Summe von Gerichtsentscheidungen, die über den konkreten Rechtsstreit hinaus Wirkung entfalten, wird häufig auch mit dem kollektiven Namen für die Dritte Gewalt als „die Rechtsprechung“ oder ''la jurisprudence'' bezeichnet. Da es sich um Recht handelt, das aus von Gerichten entschiedenen Fällen entsteht, ist auch der Name „Fallrecht“ oder ''case law'' gebräuchlich. Diese Fälle wiederum haben vorentscheidende oder „präjudizielle“ Bedeutung für nachfolgende Entscheidungen, woraus die Bezeichnung als „Präjudizienrecht“ oder ''precedent'' abgeleitet ist.
Die [[Europäische Gemeinschaft]] ist gemäß Art. 4(1) EG den Grundsätzen einer offenen Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs verpflichtet. Für einen unverfälschten und funktionierenden Wettbewerb ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auch gegen unlautere Wettbewerbshandlungen von zentraler Bedeutung. Im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen von Wettbewerbsverstößen ist zunächst von Interesse, welche konkreten Ansprüche aus einem Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Vorschriften resultieren. Daneben ist zu klären, wer im Einzelfall zur Geltendmachung der aus unlauteren Wettbewerbshandlungen herrührenden Ansprüche berechtigt ist.


Im modernen Staat ist das Richterrecht vor allem ein verfassungsrechtliches Problem. Dort gebietet die Theorie der Gewaltenteilung, Rechtsetzung und Rechtsprechung konsequent zu trennen und unterschiedlichen Institutionen zuzuweisen. Vor diesem Hintergrund erscheint die richterliche Setzung von Recht als Anmaßung einer Kompetenz, die der Legislative zusteht. Da Richter im Gegensatz zum parlamentarischen Gesetzgeber nicht demokratisch legitimiert sind, steht auch das Demokratieprinzip in Frage. Schließlich ist Rechtsschöpfung durch die Gerichte auch im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip bedenklich, denn im Gegensatz zu vom Gesetz vorgegebenen Entscheidungen ist sie von den Rechtsunterworfenen nicht oder nur eingeschränkt vorhersehbar. Eng mit der Befugnis der Gerichte zur schöpferischen Rechtsetzung verbunden ist die Frage, ob und inwieweit von Richtern gesetzte Normen rechtliche Bindungswirkung entfalten (''[[Precedent, Rule of]]'').
Weder durch das europäische Gemeinschaftsrecht noch durch andere völkerrechtliche Verträge oder internationales [[Einheitsrecht]] werden ein bestimmtes System der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs ([[Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)]]) oder konkrete Rechtsfolgen zwingend vorgeschrieben. Durch das Unionsrecht werden materiell-rechtliche Grundlagen für den lauteren Wettbewerb geschaffen und Zielvorgaben für die Rechtsdurchsetzung aufgestellt, wobei die Ausgestaltung und Durchsetzung Angelegenheit der nationalen Gesetzgeber ist. Von Bedeutung für die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts ist die VO&nbsp;2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]), da zu den durchzusetzenden Richtlinien im Sinne der Verordnung beispielsweise auch die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (Irreführungs-RL<nowiki> [RL&nbsp;2006/114]) und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL [RL&nbsp;2005/29]; </nowiki> [[Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)]]) zählen. Zu den Durchsetzungsbefugnissen, die den zuständigen Behörden nach der Verordnung zustehen müssen, zählen gemäß Art.&nbsp;4(3) und (6) die Befugnisse, einen Verletzer zur Einstellung eines Verstoßes zu verpflichten (lit.&nbsp;e), sowie ihm im Falle der Nichtbeachtung einer Entscheidung die Zahlung einer Geldsumme aufzuerlegen (lit.&nbsp;g). Art.&nbsp;11(1) UGP-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich zur Bereitstellung geeigneter und wirksamer Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken. Art.&nbsp;13 UGP-RL konkretisiert die von den Mitgliedstaaten zu erfüllenden Anforderungen dahingehend, dass diese Sanktionen festlegen müssen, welche bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie anzuwenden sind, und sie alle geeigneten Maßnahmen zu treffen haben, um die Durchsetzung der Richtlinie sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Auch Art.&nbsp;10<sup>bis</sup>(1) der Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) bestimmt lediglich allgemein, dass die Verbandsländer gehalten sind, den Verbandsangehörigen einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu sichern. Zu diesem Zweck sind gemäß Art.&nbsp;10<sup>ter</sup>(1) PVÜ „geeignete Rechtsbehelfe“ zur wirksamen Unterdrückung unlauteren Wettbewerbs bereit zu stellen. Schließlich wird auch in Art.&nbsp;1(1)(b) der WIPO Modellvorschriften gegen unlauteren Wettbewerb aus dem Jahr 1996 auf die Bezeichnung einzelner Sanktionen verzichtet ([[World Intellectual Property Organization|WIPO]]).


== 2. Richterrecht in England ==
An der Schnittstelle zwischen dem Lauterkeits- und dem Immaterialgüterrecht sind das TRIPS und die Durchsetzungs-RL (RL&nbsp;2004/48) zu beachten. Die Mitglieder des TRIPS sind gemäß Art.&nbsp;41 TRIPS verpflichtet, bestimmte zivil- oder verwaltungsrechtliche Durchsetzungsverfahren (Art.&nbsp;42&nbsp;ff. TRIPS) vorzusehen, darunter einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen (Art.&nbsp;50 TRIPS), Unterlassungsanordnungen (Art.&nbsp;44 TRIPS) und die Verpflichtung zu [[Schadensersatz]] (Art.&nbsp;45 TRIPS). Die Durchsetzungsrichtlinie enthält unter anderem konkrete Vorgaben zu einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art.&nbsp;9), zu Abhilfemaßnahmen (Art.&nbsp;10) sowie zu Schadensersatzansprüchen (Art.&nbsp;13).
In England und in den anderen Rechtsordnungen des ''[[common law]]'' ist das Richterrecht seit jeher als Rechtsquelle neben dem Gesetzesrecht und dem Gewohnheitsrecht anerkannt. Bis weit in das 20.&nbsp;Jahrhundert hinein übten die gesetzgebenden Gewalten ihre Rechtsetzungsbefugnis nur sporadisch aus. Die Rechtsbildung blieb damit weitgehend den Gerichten überlassen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts regte sich im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Position des Souveräns Kritik an dieser Praxis. Ihr wurde jedoch entgegengehalten, tatsächlich setze der Richter kein Recht, sondern er erkläre nur das von ihm vorgefundene, seit jeher vorhandene ''common law''. Unübersehbar beruhte dieser Ansatz, der heute als „Erklärungstheorie des Rechts“ (''declaratory theory of law'') bezeichnet wird, auf einer Fiktion. Er wurde im 19. Jahrhundert von der auf ''John Austin'' zurückgehenden Lehre ersetzt, die Richter seien lediglich Gehilfen des souveränen Gesetzgebers, der einen Teil der ihm zustehenden Gewalt stillschweigend an sie delegiere. Dennoch machte die Rechtsprechung im 19.&nbsp;Jahrhundert wesentlich zurückhaltender von ihrer Rechtsetzungskompetenz Gebrauch als zuvor. Diese „richterliche Selbstbeschränkung“ (''judicial self-restraint'') ist vermutlich einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Rolle der Rechtsprechung nie ernsthaft in Frage gestellt wurde. Der Gefahr richterlicher Willkür im Bereich des Fallrechts wirkte auch die Verfestigung der ''rule of precedent'' (''[[Precedent, Rule of]]'')'' ''entgegen, der zufolge Vorentscheidungen für nachfolgende Gerichte bindend waren. Erst seit der Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts wurde die Rechtsprechung wieder vermehrt rechtsschöpferisch tätig. Gleichzeitig wurde die strikte Präjudizienbindung aufgeweicht. Heute bekennen sich die englischen Gerichte auch wieder offener zu ihrer rechtserzeugenden Funktion, sehen sich aber gleichzeitig häufiger dem Vorwurf des „richterlichen Aktivismus“ (''judicial activism'') ausgesetzt.


== 3. Richterrecht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ==
Häufig stehen in den einzelnen europäischen Staaten zivilrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten kumulativ oder alternativ zur Verfügung. Teilweise, etwa in Italien oder in der tschechischen Republik, werden bestimmte unlautere Wettbewerbshandlungen (zum Beispiel Werbeverstöße) administrativ verfolgt, während andere Lauterkeitsverstöße zivilrechtlich sanktioniert sind. In Deutschland ist die Rechtsdurchsetzung im Bereich des Lauterkeitsrechts zivil- und strafrechtlich ausgestaltet. Das niederländische Wettbewerbsrecht ist demgegenüber ausschließlich zivilrechtlich sanktioniert. In einigen Ländern spielen bei der Sanktionierung unlauteren Wettbewerbs auch Selbstregulierungssysteme der Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Bekanntestes Beispiel ist die englische ''Advertising Standards Authority'', die mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet ist.
In den kontinentalen Rechten des Mittelalters und der frühen Neuzeit war die Ausgangsposition zunächst ähnlich. Angesichts der geringen gesetzgeberischen Produktion hatte Richterrecht enorme praktische Bedeutung. Mit der Rezeption des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' und zunehmender Territorialgesetzgebung, seit dem späten 18.&nbsp;Jahrhundert auch im Gewand von [[Kodifikation]]en, gab es jedoch weniger Raum und weniger Notwendigkeit für Rechtsetzung durch Gerichte. Vielmehr wollte man im Gefolge der französischen Revolution unter Berufung auf die am Beginn dieses Beitrags angeführten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte die richterliche Rolle im wesentlichen auf die bloße Rechtsanwendung beschränken. In Deutschland übernahm die [[Rechtswissenschaft]] die Führungsrolle bei der Fortbildung des Rechts. Zwar gewann, wie die neuere rechtshistorische Forschung gezeigt hat, das im Anschluss an ''Montesquieu'' vielzitierte ideologische Leitbild des Richters als „Mund des Gesetzes“ (''bouche de la loi'') auch im 19.&nbsp;Jahrhundert nicht durchgehend die Oberhand, und es kam auch in der Praxis durchaus zu richterlichen Rechtserzeugungen. In der Regel wurde jedoch die schöpferische Funktion des Richters (''le pouvoir créatif ou normatif du juge'') geleugnet und seine Bindung an das Gesetz betont. Erst gegen Ende des Jahrhunderts mehrten sich wieder Stimmen, die Richterrecht als ein unvermeidbares, wenn auch nicht unbedingt wünschenswertes Phänomen ansahen.


Das 20.&nbsp;Jahrhundert war durch eine zunehmend selbstbewusste Rechtsprechung gekennzeichnet. Insbesondere in Frankreich hing diese Entwicklung damit zusammen, dass der ''[[Code civil]]'' und die anderen großen [[Kodifikation]]en keine Antworten auf die neuen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen der Zeit bereithielten. In Deutschland rückte das Trauma der Inflation und das Bemühen des Reichsgerichts, ihre Härten ohne erkennbare Bezugnahme auf das Gesetz abzumildern, die faktische Bedeutung des Richterrechts in das Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung. Schon zuvor hatte der vieldiskutierte Art.&nbsp;1 Abs.&nbsp;2 des [[schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen Zivilgesetzbuchs]] die Zulässigkeit richterlicher Regelbildung zumindest im beschränkten Umfang sanktioniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, nicht zuletzt unter dem Einfluss der rechtspolitisch exponierten Verfassungsgerichte, die rechtsetzende Rolle der Gerichte unübersehbar. Die Rechtsprechung nahm sie jetzt auch offen für sich in Anspruch. Die rechtswissenschaftliche Methodenlehre hat dem jedoch bisher nur eingeschränkt Rechnung getragen. Zwar gibt es viele Stimmen, die die richterliche Rechtserzeugung offensiv befürworten oder zumindest resignativ akzeptieren (vgl. ''Franz Gamillscheg'': „Das Richterrecht bleibt unser Schicksal“). Die vorherrschende methodenrechtliche Strömung hält jedoch noch immer daran fest, Richterrecht sei keine „Rechtserzeugungs-“, sondern bloße „Rechtserkenntnisquelle“. Statt „Richterrecht“ bevorzugt sie auch den Ausdruck „richterliche Rechtsfortbildung“, der den schöpferischen Charakter der Rechtsprechung weniger hervortreten lässt. Dies ist umso verwunderlicher, als die Rechtswissenschaft ihre Definitionsmacht und ihren Leitanspruch hinsichtlich der Strukturierung des Rechtsstoffs zunehmend aufgegeben hat und sich vielfach damit begnügt, richterrechtliche Rechtsentwicklungen zu akzeptieren und möglichst systemkonform in ihr Gesamtgebäude zu integrieren. Besonders augenfällig ist diese Entwicklung etwa im deutschen Verfassungsrecht, wo ''Bernhard Schlink'' das Schlagwort von der „Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit“ geprägt hat.
== 2. Rechtsfolgen ==
Unter den Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen ist der ''Unterlassungsanspruch'' von zentraler Bedeutung. Der Unterlassungsanspruch richtet sich darauf, dass eine konkrete Verletzungshandlung in Zukunft nicht mehr begangen wird. Er dient damit der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen und entsteht in Form des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs bereits dann, wenn eine konkrete Beeinträchtigung noch nicht eingetreten ist, sondern lediglich bevorsteht (vgl. Art.&nbsp;11(2)1(b) UGP-RL). Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs ist das Bestehen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr, wobei die Wiederholungsgefahr hinsichtlich gleichartiger Verletzungshandlungen aufgrund einer bereits erfolgten unlauteren Wettbewerbshandlung zumeist vermutet wird. Die Wiederholungsgefahr kann beispielsweise durch eine ernstliche, strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Der Unterlassungsanspruch setzt nicht voraus, dass der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Besonders wichtig in der Praxis ist die Durchsetzung eines einstweiligen Unterlassungsanspruchs im beschleunigten Verfahren. Sofern der Rechtsschutz zivilrechtlich ausgestaltet ist, richtet sich die gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs in einigen Ländern nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften (zum Beispiel in Deutschland). Zum Teil existieren auch besondere Verfahren, wie das beim Handelsgerichtspräsidenten anzustrengende ''référé''-Verfahren in Belgien. Bei der verwaltungsrechtlichen Ausprägung des Lauterkeitsrechts können auch staatliche Behörden zum Erlass von Unterlassungsanordnungen befugt sein. Beispiele dafür finden sich in Portugal und Italien.


== 4. Richterrecht im europäischen Privatrecht ==
Ein Anspruch auf ''[[Schadensersatz]]'' kommt in Betracht, wenn der Verletzer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine unlautere Wettbewerbshandlung begeht. Im Unterschied zum Unterlassungsanspruch setzt der Schadensersatzanspruch daher schuldhaftes Handeln des Verletzers voraus. Durch das schuldhafte unlautere Handeln muss ein Schaden verursacht worden sein. Als problematisch erweist sich in der Praxis oftmals die Bezifferung des tatsächlich entstandenen Schadens, welcher auch den entgangenen Gewinn umfasst. In einzelnen Ländern kann der entgangene Gewinn nach dem Ermessen des Gerichts geschätzt werden (zum Beispiel in Großbritannien und den Niederlanden). Zur Schadensberechnung wird zum Teil auch auf den vom Verletzer erzielten Gewinn abgestellt. In Konstellationen mit Bezug zum Immaterialgüterrecht besteht bei der Schadensbezifferung oftmals auch die Möglichkeit der Orientierung an dem Betrag, den der Verletzer zur Einholung der Erlaubnis für sein Handeln hätte entrichten müssen (fiktive Lizenzgebühr, vgl. auch Art.&nbsp;13(1)2(b) DurchsetzungsRL).
Das Gemeinschaftsrecht folgte zunächst der kontinentalen Tradition und sprach dem Richterrecht jegliche Rechtsquelleneigenschaft ab. Auch der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] bemühte sich, durch Übernahme des deduktiv-lakonischen französischen Urteilsstils seine Bindung an das geschriebene Gemeinschaftsrecht zu unterstreichen. Doch schon nach wenigen Jahren entwickelte sich der EuGH zum Motor der Rechtsentwicklung, der mit kühnen Urteilen ein Gemeinschaftsverfassungsrecht zur Entstehung brachte, das in den Gründungsverträgen kaum angedeutet war. Heute ist das Richterrecht ein dem Gesetzesrecht ebenbürtiger Teil des geltenden Gemeinschaftsrechts, und seine Rechtsquelleneigenschaft ist fast uneingeschränkt anerkannt.


Auch das europäische Privatrecht besteht mittlerweile zu einem erheblichen Teil aus Präjudizienrecht des EuGH. Es bezieht sich vor allem auf die in den privatrechtlich relevanten Richtlinien geregelten Materien. Doch auch im Bereich des primären Gemeinschaftsrechts, beispielsweise zur Wirksamkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen oder zur Reichweite des Anti-Diskriminierungsgrundsatzes, traf der EuGH wegweisende Entscheidungen für das Gemeinschaftsprivatrecht. Schließlich entwickelte er auch im Privatrecht [[Allgemeine Rechtsgrundsätze]] des Gemeinschaftsrechts, wenn er dabei auch häufig auf den zivilrechtlichen Erfahrungsschatz der nationalen Rechte zurückgriff, wie etwa bei der Bekämpfung von [[Rechtsmissbrauch]] oder dem Verbot des ''venire contra factum proprium''.
Neben dem in der Praxis bedeutsamsten Unterlassungsanspruch und dem Anspruch auf Schadensersatz existiert noch eine Reihe weiterer Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen. Dabei ist zunächst der Anspruch auf ''Beseitigung'' der durch die unlautere Handlung entstandenen Folgen zu nennen. Der Beseitigungsanspruch ist neben dem Unterlassungsanspruch ein zweiter verschuldensunabhängiger Anspruch. Der Inhalt des Beseitigungsanspruchs richtet sich nach der Art und dem Umfang der eingetretenen Beeinträchtigung. Wichtige Anwendungsfälle des Beseitigungsanspruchs sind der Anspruch auf Widerruf einer wettbewerbswidrigen Äußerung sowie der Anspruch auf Veröffentlichung berichtigender Erklärungen oder berichtigender Werbung. Der Beseitigung eines Störungszustandes dient auch der Anspruch auf Veröffentlichung von Entscheidungen der für die Verfolgung von Lauterkeitsverstößen zuständigen Gerichte bzw. Behörden, welcher auch in Art.&nbsp;11(2)3(a) UGP-RL normiert ist.


Schließlich beeinflusst das Richterrecht des EuGH zunehmend auch die Privatrechte der Mitgliedstaaten. Dies gilt offenkundig für die Interpretation und Fortbildung unmittelbar anwendbaren primären und sekundären Gemeinschaftsrechts. Von großer Bedeutung ist jedoch die Rechtsprechung des EuGH zum Richtlinienrecht ([[Richtlinie]]), die die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Interpretation sämtlichen nationalen Rechts berücksichtigen müssen, das in den Anwendungsbereich des Richtlinienrechts fällt – was wiederum die nationalen Gerichte häufig dazu zwingt, rechtserzeugendes Richterrecht zu entwickeln. Die nationalen Privatrechte werden auch in immer stärkerem Maße durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verändert.
In einzelnen europäischen Staaten bestehen neben den genannten Rechtsfolgen ''besondere Sanktionsmöglichkeiten''. Zu nennen sind beispielhaft die Marktstörungsabgabe nach den §§&nbsp;22&nbsp;ff. des schwed. Marktvertriebsgesetzes, der Gewinnabschöpfungsanspruch nach §&nbsp;10 des dt. UWG oder die Pflicht zur Zahlung einer Geldsumme für einen sozialen Zweck nach Art.&nbsp;18 des poln. Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Art.&nbsp;18 des span. Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sieht die Möglichkeit vor, eine Klage auf Feststellung der Unlauterkeit der Handlung zu erheben.


==Literatur==
Sofern einzelne Wettbewerbsverstöße strafbewehrt sind, erfolgt die Verfahrenseinleitung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Diese werden von Amts wegen, in manchen Ländern zum Teil auch nach Vorermittlungen besonderer Behörden (zum Beispiel der ''Direction générale de la concurrence et de la répression des fraudes'' in Frankreich) oder nur auf Antrag des Verletzten tätig. In einigen Ländern, darunter Deutschland, England und Irland, besteht für die Verletzten auch die Möglichkeit einer privaten Klage vor den Strafgerichten. Wettbewerbsverstöße können aus strafrechtlicher Sicht mit ''Geld- oder Freiheitsstrafe'' geahndet werden. Im Falle der administrativen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts besteht neben Unterlassungs- und Beseitigungsanordnungen durch die zuständigen Behörden häufig die Möglichkeit zur Verhängung von ''Bußgeldern'' bei Wettbewerbsverstößen.
''Josef Esser'', Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956 (4. unveränderte Aufl. 1990); ''John P. Dawson'', The Oracles of the Law, 1968; ''Wolfgang Fikentscher'', Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, 5&nbsp;Bde., 1975–1977; ''D. Neil MacCormic'','' Robert S. Summers'' (Hg.), Interpreting Precedents, 1997; ''Reiner Schulze'', ''Ulrike Seif'' (Hg.), Richterrecht und Rechtsfortbildung in der Europäischen Rechtsgemeinschaft, 2003; ''Philippe Jestaz'', Les sources du droit, 2005; ''Stefan Vogenauer'', Zur Geschichte des Präjudizienrechts in England, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 28 (2006) 48&nbsp;ff.; ''Ulrike Müßig'', Geschichte des Richterrechts und der Präjudizienbindung auf dem europäischen Kontinent, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 28 (2006) 79&nbsp;ff.; ''Stefan Vogenauer'', Sources of Law and Legal Method in Comparative Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 869&nbsp;ff.; ''Brice Dickson'', Judicial Activisim in Common Law Supreme Courts, 2007; ''Ewoud Hondius'' (Hg.), Precedent and the Law: Reports of the XVIIth Congress, International Academy of Comparative Law, Utrecht, 16–22 July 2006, 2007; ''Arthur Hartkamp'', ECJ and European Private Law, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 449&nbsp;ff.
 
== 3. Aktiv- und Passivlegitimation ==
Bei der Frage nach der Berechtigung, gegen unlautere Wettbewerbshandlungen gerichtlich vorzugehen oder ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, kann zwischen individuellem und kollektivem Rechtsschutz unterschieden werden. Als Einzelpersonen sind die betroffenen Mitbewerber des unlauter handelnden Konkurrenten in der Regel klage- bzw. antragsberechtigt. Vielfach besteht – jedenfalls theoretisch – auch für einzelne Verbraucher die Möglichkeit, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]). Die sekundärrechtlichen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts verlangen, dass für Personen, die ein „berechtigtes Interesse“ an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs haben, entsprechende Möglichkeiten im Recht der Mitgliedstaaten vorhanden sein müssen (vgl. Art.&nbsp;11(1)2 UGP-RL, Art.&nbsp;5(1)2 IrreführungsRL). Eine besondere Rolle bei der Rechtsdurchsetzung in den skandinavischen Ländern spielt der Konsumentenombudsmann. Der [[Ombudsmann]] kann im Interesse der Verbraucher Klage erheben, teilweise jedoch auch selbst Maßnahmen und Regelungen gegen unlautere Wettbewerbshandlungen treffen.
 
Im Bereich der kollektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen sind zumeist Verbraucherverbände, Verbände der gewerblichen Wirtschaft sowie andere Interessenvereinigungen aktivlegitimiert. Die [[Verbandsklage]] ist bei der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts insbesondere in den Konstellationen von Bedeutung, in denen Einzelpersonen von der Erhebung einer Klage oder der Einleitung eines Verfahrens absehen, etwa infolge wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Verletzer oder weil der entstandene Schaden lediglich gering ist. Bei der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen können Einschränkungen bestehen. Teilweise, insbesondere in straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren, sind auch spezielle staatliche Durchsetzungsbehörden aktivlegitimiert.
 
Passivlegitimiert ist jeder, der den Wettbewerbsverstoß selbst oder durch einen anderen begeht. Ansprüche können sich daneben auch gegen Personen richten, die zu einem fremden Wettbewerbsverstoß kausal beitragen, wobei insbesondere im Bereich der Medien, zum Beispiel bei der Veröffentlichung wettbewerbswidriger Werbeanzeigen, einschränkende Voraussetzungen gelten können.
 
== Literatur==
''Gerhard Schricker'' (Hg.), Recht der Werbung in Europa, 1995; ''Frauke Henning-Bodewig'','' ''International Protection Against Unfair Competition: Art. 10<sup>bis</sup> Paris Convention, TRIPS and WIPO Model Provisions, International Review of Industrial Property and Copyright Law 1999, 166&nbsp;ff.; ''eadem'','' ''Unfair Competition Law: European Union and Member States, 2006; ''Hans-Wolfgang Micklitz'', EG F, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, Bd.&nbsp;1, 2006; ''Roger W. de Vrey'', Towards a European Unfair Competition Law, 2006; ''Otto Teplitzky'', Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9.&nbsp;Aufl. 2007; ''Thomas M.J. Möllers'', ''Andreas Heinemann'' (Hg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2007; ''Helmut Köhler'', §§&nbsp;8&nbsp;ff. UWG, in: Wolfgang Hefermehl, idem, Joachim Bornkamm (Hg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 27.&nbsp;Aufl. 2009.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Judge-Made_Law]]
[[en:Unfair_Competition_(Consequences)]]

Aktuelle Version vom 29. September 2021, 13:20 Uhr

von Olaf Sosnitza

1. Bedeutung

Die Europäische Gemeinschaft ist gemäß Art. 4(1) EG den Grundsätzen einer offenen Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs verpflichtet. Für einen unverfälschten und funktionierenden Wettbewerb ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auch gegen unlautere Wettbewerbshandlungen von zentraler Bedeutung. Im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen von Wettbewerbsverstößen ist zunächst von Interesse, welche konkreten Ansprüche aus einem Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Vorschriften resultieren. Daneben ist zu klären, wer im Einzelfall zur Geltendmachung der aus unlauteren Wettbewerbshandlungen herrührenden Ansprüche berechtigt ist.

Weder durch das europäische Gemeinschaftsrecht noch durch andere völkerrechtliche Verträge oder internationales Einheitsrecht werden ein bestimmtes System der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)) oder konkrete Rechtsfolgen zwingend vorgeschrieben. Durch das Unionsrecht werden materiell-rechtliche Grundlagen für den lauteren Wettbewerb geschaffen und Zielvorgaben für die Rechtsdurchsetzung aufgestellt, wobei die Ausgestaltung und Durchsetzung Angelegenheit der nationalen Gesetzgeber ist. Von Bedeutung für die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts ist die VO 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (Verbraucher und Verbraucherschutz), da zu den durchzusetzenden Richtlinien im Sinne der Verordnung beispielsweise auch die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (Irreführungs-RL [RL 2006/114]) und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL [RL 2005/29]; Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)) zählen. Zu den Durchsetzungsbefugnissen, die den zuständigen Behörden nach der Verordnung zustehen müssen, zählen gemäß Art. 4(3) und (6) die Befugnisse, einen Verletzer zur Einstellung eines Verstoßes zu verpflichten (lit. e), sowie ihm im Falle der Nichtbeachtung einer Entscheidung die Zahlung einer Geldsumme aufzuerlegen (lit. g). Art. 11(1) UGP-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich zur Bereitstellung geeigneter und wirksamer Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken. Art. 13 UGP-RL konkretisiert die von den Mitgliedstaaten zu erfüllenden Anforderungen dahingehend, dass diese Sanktionen festlegen müssen, welche bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie anzuwenden sind, und sie alle geeigneten Maßnahmen zu treffen haben, um die Durchsetzung der Richtlinie sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Auch Art. 10bis(1) der Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) bestimmt lediglich allgemein, dass die Verbandsländer gehalten sind, den Verbandsangehörigen einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu sichern. Zu diesem Zweck sind gemäß Art. 10ter(1) PVÜ „geeignete Rechtsbehelfe“ zur wirksamen Unterdrückung unlauteren Wettbewerbs bereit zu stellen. Schließlich wird auch in Art. 1(1)(b) der WIPO Modellvorschriften gegen unlauteren Wettbewerb aus dem Jahr 1996 auf die Bezeichnung einzelner Sanktionen verzichtet (WIPO).

An der Schnittstelle zwischen dem Lauterkeits- und dem Immaterialgüterrecht sind das TRIPS und die Durchsetzungs-RL (RL 2004/48) zu beachten. Die Mitglieder des TRIPS sind gemäß Art. 41 TRIPS verpflichtet, bestimmte zivil- oder verwaltungsrechtliche Durchsetzungsverfahren (Art. 42 ff. TRIPS) vorzusehen, darunter einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen (Art. 50 TRIPS), Unterlassungsanordnungen (Art. 44 TRIPS) und die Verpflichtung zu Schadensersatz (Art. 45 TRIPS). Die Durchsetzungsrichtlinie enthält unter anderem konkrete Vorgaben zu einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art. 9), zu Abhilfemaßnahmen (Art. 10) sowie zu Schadensersatzansprüchen (Art. 13).

Häufig stehen in den einzelnen europäischen Staaten zivilrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten kumulativ oder alternativ zur Verfügung. Teilweise, etwa in Italien oder in der tschechischen Republik, werden bestimmte unlautere Wettbewerbshandlungen (zum Beispiel Werbeverstöße) administrativ verfolgt, während andere Lauterkeitsverstöße zivilrechtlich sanktioniert sind. In Deutschland ist die Rechtsdurchsetzung im Bereich des Lauterkeitsrechts zivil- und strafrechtlich ausgestaltet. Das niederländische Wettbewerbsrecht ist demgegenüber ausschließlich zivilrechtlich sanktioniert. In einigen Ländern spielen bei der Sanktionierung unlauteren Wettbewerbs auch Selbstregulierungssysteme der Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Bekanntestes Beispiel ist die englische Advertising Standards Authority, die mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet ist.

2. Rechtsfolgen

Unter den Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen ist der Unterlassungsanspruch von zentraler Bedeutung. Der Unterlassungsanspruch richtet sich darauf, dass eine konkrete Verletzungshandlung in Zukunft nicht mehr begangen wird. Er dient damit der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen und entsteht in Form des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs bereits dann, wenn eine konkrete Beeinträchtigung noch nicht eingetreten ist, sondern lediglich bevorsteht (vgl. Art. 11(2)1(b) UGP-RL). Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs ist das Bestehen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr, wobei die Wiederholungsgefahr hinsichtlich gleichartiger Verletzungshandlungen aufgrund einer bereits erfolgten unlauteren Wettbewerbshandlung zumeist vermutet wird. Die Wiederholungsgefahr kann beispielsweise durch eine ernstliche, strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Der Unterlassungsanspruch setzt nicht voraus, dass der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Besonders wichtig in der Praxis ist die Durchsetzung eines einstweiligen Unterlassungsanspruchs im beschleunigten Verfahren. Sofern der Rechtsschutz zivilrechtlich ausgestaltet ist, richtet sich die gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs in einigen Ländern nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften (zum Beispiel in Deutschland). Zum Teil existieren auch besondere Verfahren, wie das beim Handelsgerichtspräsidenten anzustrengende référé-Verfahren in Belgien. Bei der verwaltungsrechtlichen Ausprägung des Lauterkeitsrechts können auch staatliche Behörden zum Erlass von Unterlassungsanordnungen befugt sein. Beispiele dafür finden sich in Portugal und Italien.

Ein Anspruch auf Schadensersatz kommt in Betracht, wenn der Verletzer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine unlautere Wettbewerbshandlung begeht. Im Unterschied zum Unterlassungsanspruch setzt der Schadensersatzanspruch daher schuldhaftes Handeln des Verletzers voraus. Durch das schuldhafte unlautere Handeln muss ein Schaden verursacht worden sein. Als problematisch erweist sich in der Praxis oftmals die Bezifferung des tatsächlich entstandenen Schadens, welcher auch den entgangenen Gewinn umfasst. In einzelnen Ländern kann der entgangene Gewinn nach dem Ermessen des Gerichts geschätzt werden (zum Beispiel in Großbritannien und den Niederlanden). Zur Schadensberechnung wird zum Teil auch auf den vom Verletzer erzielten Gewinn abgestellt. In Konstellationen mit Bezug zum Immaterialgüterrecht besteht bei der Schadensbezifferung oftmals auch die Möglichkeit der Orientierung an dem Betrag, den der Verletzer zur Einholung der Erlaubnis für sein Handeln hätte entrichten müssen (fiktive Lizenzgebühr, vgl. auch Art. 13(1)2(b) DurchsetzungsRL).

Neben dem in der Praxis bedeutsamsten Unterlassungsanspruch und dem Anspruch auf Schadensersatz existiert noch eine Reihe weiterer Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen. Dabei ist zunächst der Anspruch auf Beseitigung der durch die unlautere Handlung entstandenen Folgen zu nennen. Der Beseitigungsanspruch ist neben dem Unterlassungsanspruch ein zweiter verschuldensunabhängiger Anspruch. Der Inhalt des Beseitigungsanspruchs richtet sich nach der Art und dem Umfang der eingetretenen Beeinträchtigung. Wichtige Anwendungsfälle des Beseitigungsanspruchs sind der Anspruch auf Widerruf einer wettbewerbswidrigen Äußerung sowie der Anspruch auf Veröffentlichung berichtigender Erklärungen oder berichtigender Werbung. Der Beseitigung eines Störungszustandes dient auch der Anspruch auf Veröffentlichung von Entscheidungen der für die Verfolgung von Lauterkeitsverstößen zuständigen Gerichte bzw. Behörden, welcher auch in Art. 11(2)3(a) UGP-RL normiert ist.

In einzelnen europäischen Staaten bestehen neben den genannten Rechtsfolgen besondere Sanktionsmöglichkeiten. Zu nennen sind beispielhaft die Marktstörungsabgabe nach den §§ 22 ff. des schwed. Marktvertriebsgesetzes, der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 des dt. UWG oder die Pflicht zur Zahlung einer Geldsumme für einen sozialen Zweck nach Art. 18 des poln. Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Art. 18 des span. Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sieht die Möglichkeit vor, eine Klage auf Feststellung der Unlauterkeit der Handlung zu erheben.

Sofern einzelne Wettbewerbsverstöße strafbewehrt sind, erfolgt die Verfahrenseinleitung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Diese werden von Amts wegen, in manchen Ländern zum Teil auch nach Vorermittlungen besonderer Behörden (zum Beispiel der Direction générale de la concurrence et de la répression des fraudes in Frankreich) oder nur auf Antrag des Verletzten tätig. In einigen Ländern, darunter Deutschland, England und Irland, besteht für die Verletzten auch die Möglichkeit einer privaten Klage vor den Strafgerichten. Wettbewerbsverstöße können aus strafrechtlicher Sicht mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Im Falle der administrativen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts besteht neben Unterlassungs- und Beseitigungsanordnungen durch die zuständigen Behörden häufig die Möglichkeit zur Verhängung von Bußgeldern bei Wettbewerbsverstößen.

3. Aktiv- und Passivlegitimation

Bei der Frage nach der Berechtigung, gegen unlautere Wettbewerbshandlungen gerichtlich vorzugehen oder ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, kann zwischen individuellem und kollektivem Rechtsschutz unterschieden werden. Als Einzelpersonen sind die betroffenen Mitbewerber des unlauter handelnden Konkurrenten in der Regel klage- bzw. antragsberechtigt. Vielfach besteht – jedenfalls theoretisch – auch für einzelne Verbraucher die Möglichkeit, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen (Verbraucher und Verbraucherschutz). Die sekundärrechtlichen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts verlangen, dass für Personen, die ein „berechtigtes Interesse“ an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs haben, entsprechende Möglichkeiten im Recht der Mitgliedstaaten vorhanden sein müssen (vgl. Art. 11(1)2 UGP-RL, Art. 5(1)2 IrreführungsRL). Eine besondere Rolle bei der Rechtsdurchsetzung in den skandinavischen Ländern spielt der Konsumentenombudsmann. Der Ombudsmann kann im Interesse der Verbraucher Klage erheben, teilweise jedoch auch selbst Maßnahmen und Regelungen gegen unlautere Wettbewerbshandlungen treffen.

Im Bereich der kollektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen sind zumeist Verbraucherverbände, Verbände der gewerblichen Wirtschaft sowie andere Interessenvereinigungen aktivlegitimiert. Die Verbandsklage ist bei der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts insbesondere in den Konstellationen von Bedeutung, in denen Einzelpersonen von der Erhebung einer Klage oder der Einleitung eines Verfahrens absehen, etwa infolge wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Verletzer oder weil der entstandene Schaden lediglich gering ist. Bei der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen können Einschränkungen bestehen. Teilweise, insbesondere in straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren, sind auch spezielle staatliche Durchsetzungsbehörden aktivlegitimiert.

Passivlegitimiert ist jeder, der den Wettbewerbsverstoß selbst oder durch einen anderen begeht. Ansprüche können sich daneben auch gegen Personen richten, die zu einem fremden Wettbewerbsverstoß kausal beitragen, wobei insbesondere im Bereich der Medien, zum Beispiel bei der Veröffentlichung wettbewerbswidriger Werbeanzeigen, einschränkende Voraussetzungen gelten können.

Literatur

Gerhard Schricker (Hg.), Recht der Werbung in Europa, 1995; Frauke Henning-Bodewig, International Protection Against Unfair Competition: Art. 10bis Paris Convention, TRIPS and WIPO Model Provisions, International Review of Industrial Property and Copyright Law 1999, 166 ff.; eadem, Unfair Competition Law: European Union and Member States, 2006; Hans-Wolfgang Micklitz, EG F, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2006; Roger W. de Vrey, Towards a European Unfair Competition Law, 2006; Otto Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007; Thomas M.J. Möllers, Andreas Heinemann (Hg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2007; Helmut Köhler, §§ 8 ff. UWG, in: Wolfgang Hefermehl, idem, Joachim Bornkamm (Hg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 27. Aufl. 2009.

Abgerufen von Richterrecht – HWB-EuP 2009 am 25. April 2024.

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Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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