Corpus Juris Civilis und Unlauterer Wettbewerb und Verkehrsfreiheiten: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Reinhard Zimmermann]]''
von ''[[Matthias Leistner]]''
== 1. Justinian und das ''Corpus Juris'' ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
Nach der Bibel kann das ''Corpus Juris Civilis'' als die einflussreichste Schrift in der Geschichte Europas gelten. Denn es war im Wesentlichen durch das ''Corpus Juris Civilis'', dass das antike [[römisches Recht|römische Recht]] die europäische Rechtstradition (die später auch auf viele außereuropäische Teile der Welt ausstrahlte) nachhaltig und charakteristisch geprägt hat ([[Rezeption]]).
Die Konturen des schillernden Begriffs des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (Lauterkeitsrechts) sind im europäischen Rahmen von erheblicher Unschärfe gekennzeichnet. Europaweit charakteristisch ist immerhin der Marktbezug des Lauterkeitsrechts, es geht in diesem Rechtsgebiet im nationalen Rechtsvergleich jeweils um die Regulierung des Marktverhaltens. Darüber hinaus fällt eine Abgrenzung der Regelungsgebiete und Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts unter rechtsvergleichender Perspektive im europäischen Rahmen schwer (auch [[Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)]]).  


Das ''Corpus Juris Civilis'' entstand im 6. Jahrhundert n. Chr. in Konstantinopel, der Hauptstadt des oströmischen Reiches; Westrom befand sich seit 476 unter germanischer Herrschaft. Es war Teil eines umfassenden Restaurationsprogramms ''Kaiser Justinians'' (527-565): Das alte ''imperium Romanum'' sollte als nunmehr christliches Weltreich glanzvoll wiedererstehen. Diesem Ziel dienten die Feldzüge, durch die jedenfalls vorübergehend Teile des ehemals weströmischen Reiches zurückgewonnen wurden, ihm dienten die monumentalen Bauten insbesondere in Konstantinopel und Ravenna, ihm diente eine auf einen Cäsaropapismus zielende Kirchenpolitik, und ihm diente das Gesetzgebungswerk, das (freilich erst seit der Gesamtausgabe des ''Dionysius Gothofredus'' von 1583) als ''Corpus Juris Civilis'' bekannt ist. Verwirklicht wurde es durch ''Justinians'' Justizminister ''Tribonian'', der sich dabei auf eine in den oströmischen Rechtsschulen von Beryt und Konstantinopel wiederbelebte wissenschaftliche Tradition stützen konnte und der eine Reihe von Professoren dieser Rechtsschulen (''Dorotheus'', ''Theophilus'') zur Mitarbeit heranzog.
Die Begriffe der Unlauterkeit (so insbesondere Art.&nbsp;10<sup>bis</sup> PVÜ als wesentliche Vorgabe des internationalen Rechts in diesem Bereich, die europäische Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von 2005 (RL&nbsp;2005/29) sowie im nationalen Recht etwa der französische Terminus der ''concurrence déloyale ''im Rahmen des deliktsrechtlichen Fallrechts zu Art.&nbsp;1382 ''Code civil'' und nunmehr auch die Terminologie des neuen deutschen UWG, der sittenwidrigen (so weiterhin §&nbsp;1 des österreich. UWG) oder der gegen Treu und Glauben verstoßenden (so das schweiz. UWG) Wettbewerbshandlungen helfen bei der Definition des eigentlich sanktionierten Marktverhaltens wenig weiter. Ebensowenig kann ein Abstellen auf die Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts letztlich zu einer trennscharfen Abgrenzung der Regelungsbereiche des Lauterkeitsrechts und der unlauteren Wettbewerbshandlungen führen, zumal auch diesbezüglich die Auffassung in Europa nicht einheitlich ist ([[Unlauterer Wettbewerb]]). Der Schutzzwecktrias (Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer, der Mitbewerber und des Allgemeininteresses an unverzerrtem Wettbewerb) nach deutschem und wohl auch nach noch vorherrschendem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Lauterkeitsrechts kontrastieren teilweise – insbesondere im Vereinigten Königreich und Irland, aber auch im Recht einiger der neuen Mitgliedstaaten – nur fragmentarische Lauterkeitsrechtskonzeptionen, in deren Mittelpunkt im Wesentlichen die verbraucherschützenden Fallgruppen stehen. So lassen sich mit dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage der Verbraucher vor Irreführung und des Entscheidungsprozesses der Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung zwar gewisse Kernbereiche eines europäischen Lauterkeitsrechts ausmachen ([[Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)]]; [[Geschäftspraktiken, irreführende]]; [[Geschäftspraktiken, aggressive]]); darüber hinaus bestehen aber sowohl hinsichtlich der normativen Maßstäbe als auch insbesondere hinsichtlich der Reichweite des Schutzes auch der Mitbewerber und der Allgemeininteressen durch das Lauterkeitsrecht ganz erhebliche Differenzen im Recht der Mitgliedstaaten.


== 2. ''Codex'' ==
Diese Differenzen können naturgemäß dazu führen, dass nationale Regelungen des Lauterkeitsrechts im Empfangsstaat einer Marketing- oder Vertriebshandlung, die strenger sind als das entsprechende Regelungsniveau im Herkunftsstaat, als sogenannte Maßnahmen gleicher Wirkung nach der ''Dassonville-''Rechtsprechung zu Art.&nbsp;28 EG/34 AEUV (EuGH Rs.&nbsp;8/74 – ''Dassonville'', Slg. 1974, 837) eine Einschränkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags ([[EG-Vertrag]]; [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)]]) zur Folge haben. Sie sind demnach in der Folge im Sinne der zur Warenverkehrsfreiheit (Art.&nbsp;28 EG/34 AEUV; [[Warenverkehrsfreiheit]]) ergangenen ''Cassis de Dijon-''Rechtsprechung (EuGH Rs.&nbsp;120/78 – ''Cassis de Dijon'', Slg. 1979, 649) auf ihre Rechtfertigungsfähigkeit als Regelungen zwingender Erfordernisse zum Schutze der Verbraucher oder der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs im Recht der Mitgliedstaaten zu prüfen. Im Mittelpunkt steht die diesbezüglich reiche Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit, immer zunehmend sind aber auch entsprechende Urteile zur Dienstleistungsfreiheit (Art.&nbsp;49 EG/56 AEUV; [[Dienstleistungsfreiheit]]) ergangen (EuGH Rs.&nbsp;C-275/92 – ''Schindler'', Slg. 1994, I-1039; EuGH Rs.&nbsp;C-384/93 – ''Alpine Investments'', Slg. 1995, I-1141; EuGH verb. Rs.&nbsp;C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – ''De Agostini'', Slg. 1997, I-3843; EuGH Rs.&nbsp;243/01 – ''Gambelli'','' ''Slg. 2003, I-13031). Die [[Niederlassungsfreiheit|Niederlassungs-]] und die [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] stehen demgegenüber in diesem Bereich vergleichsweise eher im Hintergrund.  
Das justinianische ''Corpus Juris'' bestand aus drei Teilen, die alle als Gesetzbücher veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurden: Institutionen, Digesten und ''Codex''. Unter ihnen ist der ''Codex'' der, jedenfalls auf den ersten Blick, konventionellste Teil. Es handelt sich um eine Sammlung von Kaisergesetzen (''constitutiones principis''<nowiki>; deshalb auch: Kaiserkonstitutionen). Solche Sammlungen hatte es bereits in vorjustinianischer Zeit gegeben (darunter insbesondere den </nowiki>''Codex Theodosianus'' von 438/439), und sie bildeten eine wichtige Grundlage für ''Tribonian'' und seine Kommission. Dieser (erste) ''Codex Justinianus'' entstand in den Jahre 528 und 529. Um ein Gesetzbuch im modernen Sinne des Wortes handelte es sich dabei nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Konstitutionen nicht nur Regelungen allgemeiner oder grundsätzlicher Art enthielten, sondern auch eine Fülle von Reskripten, d.h. Entscheidungen des Kaisers (bzw. seiner Kanzlei) zu ihm vorgelegten Rechtsfällen.


== 3. Digesten ==
Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat sich also nationalen Verbraucher- oder Lauterkeitsschutzbestimmungen ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]) stets unter der an der Binnenmarktzielsetzung einer Öffnung nationaler Märkte orientierten Perspektive der Maßnahmen gleicher Wirkung, der Rechtfertigungsbedürftigkeit und letztlich des Verhältnismäßigkeitstests und damit sozusagen „negativ“ angenähert. Doch hat der EuGH auf diese Weise, indem er aus den ihm jeweils präsentierten nationalen Bestimmungen stets nur den (meist wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot) europarechtlich unzulässigen Teil präzise „herausschnitt“ und häufig zudem den Weg zu verhältnismäßigen, milderen Alternativen zum Schutze der Verbraucher und der Lauterkeit des Handelsverkehrs andeutete, gewissermaßen nach Art eines Steinmetzes zugleich überraschend klare „positive“ Konturen eines europäischen Lauterkeits- und Verbraucherschutzmodells zu entwickeln vermocht. Man wird in diesem Zusammenhang nicht von einem geschlossenen europäischen Lauterkeits- und Verbraucherrecht sprechen können, doch sind die Entscheidungen des Gerichtshofs über die Jahrzehnte doch von einer erstaunlichen Kohärenz gekennzeichnet, die eine Vorhersehbarkeit der Entscheidungen in gewissem Umfang gewährleistet.
Das Hauptstück des ''Corpus Juris Civilis'' sind die Digesten (von ''digerere'' = ordnen, sammeln; der entsprechende griechische Begriff ist Pandekten, von πάν δέχεσαι <nowiki>= alles umfassen). Hierbei handelt es sich um eine gewaltige Sammlung von Auszügen („Fragmenten“) aus der juristischen Literatur de</nowiki>s klassischen römischen Rechts. Tatsächlich bilden, da die klassischen Juristenschriften alsbald nicht mehr verfügbar waren, die Digesten die Hauptquelle unseres Wissens vom klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]] (und von seiner Entwicklung aus den republikanischen Ursprüngen; denn zum einen enthalten die Digesten auch einzelne Fragmente aus der Zeit der „Vorklassik“, zum anderen werden die republikanischen Juristen von ihren Nachfolgern häufig zitiert). Die von ''Tribonian'' gebildete und geleitete Kommission sichtete zu diesem Zweck fast 2.000 Bücher im Umfang von mehr als drei Millionen Zeilen. Ungefähr ein Drittel der in die Digesten aufgenommenen Fragmente stammt von dem spätklassischen Juristen ''Domitius Ulpianus'', der ab 202 n.&nbsp;Chr. einige Jahre lang der kaiserlichen Kanzlei ''a libellis'' vorstand – er war damit für die Beantwortung privater Eingaben zuständig –, und der 222 als ''praefectus praetorio'' zum höchsten Reichsbeamten in Zivilverwaltung und Rechtsprechung ernannt wurde. Die Ordnung der Digesten folgt im Wesentlichen dem prätorischen Edikt, also einem historisch gewachsenen, ab dem Ende der Republik nicht mehr veränderten Dokument, das für die ordentliche Gerichtsbarkeit von zentraler Bedeutung war. Gegliedert sind die Digesten in 50 Bücher, die ganz überwiegend in Titel unterteilt sind, die ihrerseits die aneinandergereihten Fragmente enthalten. Jedem Fragment ist eine ''inscriptio'' vorangestellt, die den Verfasser und die Fundstelle angibt. Dem Schwerpunkt der römischen Jurisprudenz entsprechend, nimmt das Privatrecht (einschließlich Zivilprozess) auch in den Digesten den weitaus größten Raum, nämlich die Bücher 2-46, ein. Dass die Digesten als Gesetz erlassen wurden, erscheint für den modernen Juristen vor allem deshalb seltsam, weil die darin enthaltenen Fragmente der juristischen ''Literatur&nbsp;''entstammten: Entscheidungssammlungen, Ediktskommentare, Gesamtdarstellungen des Zivilrechts oder einzelner Rechtsbereiche, Zusammenstellungen von Gutachten oder Disputationen, Monographien: ein buntes Sammelsurium von Texten unterschiedlichster Art.


Seit geraumer Zeit fragt sich die romanistische Forschung, wie ein derart umfangreiches und komplexes Werk in einem Zeitraum von nur drei Jahren (530-533) entstehen konnte. Als gesichert gilt heute die Massentheorie von ''Friedrich Bluhme''. Sie beruht auf der Beobachtung, dass die Fragmente innerhalb der Digestentitel in bestimmter Weise geordnet sind. Den Kern einer ersten Gruppe bilden die Kommentarwerke der spätklassischen Autoren ''Ulpian'' und ''Paulus'' zu einer Darstellung des Zivilrechts durch den frühklassischen Juristen ''Massurius Sabinus'' (das ist die sog. „Sabinusmasse“); es folgen Exzerpte aus den Ediktskommentaren der Hoch- und Spätklassiker („Ediktsmasse“), aus den Responsen und Quaestionessammlungen des ''Papinian'', ''Paulus'' und ''Ulpian'' („Papiniansmasse“) sowie gelegentlich noch aus vermischten anderen Schriften („Appendixmasse“). ''Bluhme'' nahm deshalb an, dass die Digestenkommission in drei Unterkommissionen aufgeteilt war, von denen jede für eine bestimmte „Masse“ der klassischen Schriften zuständig war; die Werke der Appendixmasse seien offenbar erst nachträglich herangezogen worden. Weitere Einzelheiten der Arbeitsweise der „Kompilatoren“ (von ''compilare'' = ausbeuten) und der Voraussetzungen ihrer Arbeit sind bis heute unklar geblieben. Haben sie sich auf einen privaten Vorläufer der Digesten (''predigesto'') oder auf andere nennenswerte Vorarbeiten aus dem Unterrichtsbetrieb der oströmischen Schulen stützen können? Derartige Thesen werden heute ebenso skeptisch beurteilt wie der ehrgeizige Versuch ''Tony Honorés'', aufgrund umfassender Stilanalysen der zur Verfügung stehenden prosopographischen Daten und der Anwendung quantitativer Methoden die Zuordnung der Arbeitspensen zu individuellen Bearbeitern und Bearbeiterteams zu rekonstruieren.
== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Nachdem der EuGH mit der ''Dassonville''-Entscheidung zuerst den Weg geebnet hatte, um Bestimmungen mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit zu messen und damit die Vollendung bzw. das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes soweit wie möglich abzusichern, gestattete ihm in der Folge die ''Cassis''-Doktrin unter den Kategorien des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs, gewisse Grundzüge eines gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechts zu entwickeln. Hierfür bildete in erster Linie der Gedanke der Verhältnismäßigkeit die entscheidende (wenn auch vergleichsweise schmale) konzeptionelle Grundlage (vgl. allgemein etwa EuGH Rs.&nbsp;261/81 – ''Rau'', Slg. 1982, 3961'' ''<nowiki>[Geeignetheit und Notwendigkeit] und EuGH Rs.&nbsp;178/84 – </nowiki>''Kommission/Deutschland''<nowiki>, Slg. 1987, 1227 [Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne]; </nowiki> siehe auch [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)]]; [[Verhältnismäßigkeit]]). Dabei war der Kontrollbereich außerordentlich weit gezogen: Unter Geltung der ''Dassonville-''Doktrin konnte potentiell jede Anwendung nationalen Lauterkeitsrechts in den Bereich des Art.&nbsp;28 EG/34 AEUV fallen, sofern ein Rechtsgefälle zum Ursprungsland vorlag. Letztlich wählte der Gerichtshof damit – auch außerhalb der ohnedies lediglich über Art.&nbsp;30 EG/36 AEUV zu rechtfertigenden Fälle unmittelbarer Diskriminierung – grundsätzlich das ''Prinzip gegenseitiger Anerkennung'' zum Maßstab für zulässige Beschränkungen im Bereich mitgliedstaatlichen Rechts des unlauteren Wettbewerbs, welches lediglich dann durchbrochen werden konnte, wenn zwingende Allgemeininteressen die jeweilige nationale Regelung rechtfertigten ([[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]]; [[Warenverkehrsfreiheit]]; [[Herkunftslandprinzip]]). Am Maßstab der Verkehrsfreiheiten gemessen wurde auf diese Weise praktisch das gesamte mitgliedstaatliche Lauterkeitsrecht.


== 4. Das Problem der Interpolationen ==
Die hiermit verbundene Kontrolldichte zumal im Bereich des Lauterkeitsrechts bewog den EuGH in der ''Keck-''Entscheidung zu einer substantiellen Korrektur, aufgrund deren die Reichweite jedenfalls der Warenverkehrsfreiheit auf den ersten Blick erheblich enger gezeichnet wurde (EuGH verb. Rs.&nbsp;C-267/91 und C-268/91 – ''Keck und Mithouard'', Slg. 1993, I-6097). Zu unterscheiden ist nach ''Keck ''zwischen vertriebsbezogenen Regelungen, die bestimmte Modalitäten des Verkaufs beschränken oder verbieten (also zum Beispiel die für das Recht des unlauteren Wettbewerbs typischen Werbebeschränkungen oder Verbote, Ladenschlussregelungen etc.), und warenbezogenen Regelungen, die sich auf die Waren und Erzeugnisse selbst beziehen (also zum Beispiel Bezeichnung, Form, Abmessung, Zusammensetzung, Aufmachung und Etikettierung oder insgesamt die Verpackung der Erzeugnisse etc.). Im zweitgenannten Bereich gilt weiterhin uneingeschränkt die ''Dassonville- ''und ''Cassis de Dijon-''Rechtsprechung, sodass angesichts bestehender Regelungsgefälle letztlich das nationale Lauterkeitsrecht des Empfangsstaates am Maßstab der zwingenden Erfordernisse auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Demgegenüber fallen Regelungen bestimmter Verkaufsmodalitäten als vertriebsbezogene Regelungen nur dann in den Schutzbereich des Art.&nbsp;28 EG/34 AEUV, wenn sie von vornherein nicht für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen gelten (unmittelbare Diskriminierung) oder wenn sie sich nicht – als die eigentlich entscheidende Voraussetzung der ''Keck-''Doktrin – auch im Ergebnis rechtlich oder tatsächlich auf Marketing und Vertrieb aus anderen Mitgliedstaaten ''in genau gleicher Weise auswirken'', wie auf Marketing und Vertriebsmaßnahmen aus dem Empfangsstaat (''Voraussetzung der Marktneutralität'').  
Die Digesten wurden Ende des Jahres 533 fertiggestellt. Die darin enthaltenen Fragmente entstammten jedoch einer lange versunkenen Zeit, denn die Epoche des klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]]s koinzidierte in etwa mit der des Prinzipats. Die großen spätklassischen Juristen ''Papinian'' und ''Ulpian'' starben 212 und 223 (der eine wurde auf Befehl des ''Caracalla'' hingerichtet, der andere vor den Augen des ''Alexander Severus'' ermordet); und die schweren Erschütterungen, denen das römische Reich nach dem Tod des letzten Kaisers der Severerdynastie (des soeben erwähnten ''Alexander Severus'', 222-235) ausgesetzt war, bedeuteten dann das Ende der klassischen Jurisprudenz. Das für die Digesten „ausgebeutete“ Material war also mindestens dreihundert Jahre alt. Inzwischen hatten sich die Lebensverhältnisse grundlegend gewandelt. Wenn der christliche ''Kaiser Justinian'' in Konstantinopel nunmehr das ''ius vetus'' des heidnischen Rom sammeln ließ, zu einem ''sanctissimum templum iustitiae'' erhob und mit staatlichem Geltungsanspruch ausstattete, so war dies ein erstaunlicher, für den Klassizismus ''Justinians'' charakteristischer Vorgang. Doch bedurfte es gewisser Anpassungen. Der Arbeitsauftrag ''Tribonians'' (''Constitutio Deo auctore'' = C.&nbsp;1,17) bestand deshalb auch darin, veraltete Rechtsregeln und Rechtsinstitute zu beseitigen, Widersprüche zu tilgen sowie dazu gegebenenfalls in die Texte des klassischen Rechts einzugreifen und in ihnen Veränderungen vorzunehmen. Dies sind die berühmten (oder auch notorischen) Interpolationen. Dass die Digesten derartige interpolierte Texte enthalten, steht damit außer Frage. Zweifelhaft und jeweils von Fall zu Fall umstritten ist nur, in welchem Umfang dies der Fall ist. Die Problematik hatte über lange Perioden der europäischen Rechtsgeschichte hinweg – nämlich soweit und solange das [[römisches Recht|römische Recht]] (und das heißt: das Recht des ''Corpus Juris Civilis'') Grundlage der gemeinrechtlichen Jurisprudenz und damit für die praktische Rechtsanwendung bedeutsam war ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) – nur geringe Bedeutung. Für das unverfälschte Recht der klassischen Zeit interessierten sich vor allem die Protagonisten des juristischen [[Humanismus]] des 16.&nbsp;und frühen 17.&nbsp;Jahrhunderts, und es ist deshalb kein Wunder, dass sie die Interpolationenforschung begründeten (''Jacobus Cuiacius'', ''Antonius Faber''). Von zentralem Interesse wurde das Thema dann wieder, als mit der sich abzeichnenden Kodifikation des Privatrechts in Deutschland die romanistische Forschung die römischen Rechtsquellen „unberührt durch gemeinrechtliche Anwendbarkeitsrücksichten und deren erdrückendes Übergewicht“ (''Ernst Landsberg'') in den Blick zu nehmen begann. Es setzte nun unter inhaltlichen wie stilistischen Aspekten eine großangelegte Suche nach den Veränderungen klassischer Juristentexte durch die Kompilatoren ein, um so das klassische römische Recht aus dem justinianischen herauszupräparieren (''Fridolin Eisele'', ''Otto Gradenwitz''). Bis zum Jahre 1909 hatte die Interpolationenforschung einen derartigen Umfang angenommen, dass die Herausgeber der Romanistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift zur Erstellung eines ''Index interpolationum'' aufriefen, den dann, nach vielen Jahren der Vorbereitung, ''Ernst Levy'' und ''Ernst Rabel'' in Form eines dreibändigen Werkes ausführten (1929-35). Ganze Jahrgänge der Savigny-Zeitschrift wurden in jener Zeit von endlosen Nachweisen vermeintlich unklassischer Ausdrücke und Wendungen dominiert. Heute hat sich, vor allem unter dem Einfluss ''Max Kasers'', wieder eine sehr viel konservativere, von deutlich stärkerem Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit der Überlieferung geprägte Haltung durchgesetzt. Gleichzeitig wird heute aber auch angenommen, dass in gewissem Umfang bereits mit vorjustinianischen Überarbeitungen der klassischen Juristentexte zu rechnen ist (Textstufenforschung: ''Fritz Schulz'', ''Franz Wieacker'').


== 5. Institutionen ==
Angesichts des typischerweise vertriebsbezogenen Charakters weiter Bereiche des Lauterkeitsrechts war zuerst in gleichsam formalistischem Verständnis der ''Keck-''Entscheidung argumentiert worden, dass nunmehr weite Bereiche nationalen Lauterkeitsrechts der Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit entzogen seien. Tatsächlich hat die ''Keck-''Entscheidung die eigentlich problematische Frage nach dem Vorhandensein spezifischer Belastungen für Einfuhren in der Kategorie der vertriebsbezogenen Regelungen aber lediglich um eine begriffliche Ebene weiterverlagert: Während für produktbezogene Regelungen die ''Keck-''Formel weiterhin letztlich sogar inklusive Wirkung hat, indem sie produktbezogene Regelungen sozusagen ''prima facie ''dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots zuführt und solcherart stets weiterhin am Maßstab der zwingenden Erfordernisse misst, ist für die vertriebsbezogenen Regelungen die potentielle Eignung zur tatsächlichen Ungleichbehandlung eben aufgrund der Voraussetzung der Marktneutralität schlichtweg ''konkret ''festzustellen, wie es der EuGH unter anderem in den Fällen ''De Agostini'', TK-Heimdienst und ''DocMorris'' zuletzt auch in aller wünschenswerten Klarheit verdeutlicht hat (vgl. EuGH verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – ''De Agostini'', Slg. 1997, I-3843;'' ''EuGH Rs. C-254/98 – ''TK-Heimdienst'', Slg. 2000, I-151; EuGH Rs. C-405/98 – ''Gourmet'', Slg. 2001, I-1795; EuGH Rs. C-322/01 – ''Deutscher Apothekerverband/Doc Morris'', Slg. 2003, I-4887; bestätigend auch EuGH Rs. C-71/02 – ''Karner/Troostwijk'', Slg. 2004, I-3025). Dabei reicht es für die Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit bereits aus, wenn eine vertriebsbezogene Regelung auch nur die Eignung aufweist, den Marktzugang für ausländische Waren stärker zu behindern als für inländische Waren (EuGH Rs. C-322/01 – ''Deutscher Apothekerverband/DocMorris'', Slg. 2003, I-4887). Der diesbezügliche Maßstab ist demnach nicht übermäßig streng, sodass die Warenverkehrsfreiheit im Bereich der Regelung bloßer Verkaufsmodalitäten auch nach ''Keck'' ganz erhebliche Bedeutung behält.  
Für ein Gesetzbuch ebenso eigenartig wie die Digesten war der Inhalt des ersten Teils des ''Corpus Juris Civilis'', der Institutionen. Denn die Institutionen waren ein amtliches Einführungslehrbuch des römischen Privat- und Zivilprozessrechts. Mit seiner Redaktion waren, wiederum unter der Leitung von ''Tribonian'', die Professoren ''Theophilus'' (Konstantinopel) und ''Dorotheus'' (Beryt) betraut worden, und es wurde gegen Ende des Jahres 533, noch einige Wochen vor den Digesten, verkündet. Dass auch die Institutionen in vergleichsweise kurzer Zeit fertiggestellt werden konnten, lag daran, dass ''Theophilus'' und ''Dorotheus'' sich auf ein in der nachklassischen Zeit außerordentlich verbreitetes Lehrbuch stützen konnten, mit dem sie aus ihrem Unterrichtsbetrieb bestens vertraut waren: die aus der Mitte des 2.&nbsp;Jahrhunderts n.&nbsp;Chr. stammenden Institutionen des Provinzialjuristen ''Gaius'' (von ''Justinian'' als „Gaius noster“ bezeichnet). Die Vorzüge der Institutionen des ''Gaius'', die auch die justinianischen Institutionen prägen, liegen in der klaren Sprache und in der didaktisch geschickten, auf das Wesentliche reduzierten Darstellungsweise, vor allem aber in dem Bemühen um eine systematische Aufbereitung des Lehrstoffes: „Das Neuartige und Einzigartige des Werks ist sein System“ (''Wieacker'') ([[Pandektensystem]]). Die obersten Positionen dieses Systems, das seine Spuren in so gut wie jeder modernen Privatrechtskodifikation hinterlassen hat, sind die Kategorien ''personae'', ''res'', ''actiones&nbsp;''– also gewissermaßen das „Wer?“, das „Was?“ und das „Wie?“ des Rechts. „Res“ betrifft dabei das „Vermögen“ und umfasst Sachenrecht, Erbrecht und Schuldrecht. Gegenüber den Institutionen des ''Gaius'' neu gestaltet wurde vor allem das letzte der vier Bücher der justinianischen Institutionen: dies lag an der völligen Umgestaltung des Zivilprozesses gegenüber der klassischen Zeit. Bis heute prägt unsere Rechtsordnungen auch etwa die Unterteilung der Schuldverhältnisse in deliktische und vertragliche („summa divisio“), aber auch die ebenfalls schon auf ''Gaius'' zurückgehende Erkenntnis, dass es daneben weitere Schuldverhältnisse gibt („ex variis causarum figuris“ in einer überarbeiteten Fassung der Gaianischen Institutionen, quasi-vertragliche und quasi-deliktische Obligationen bei ''Justinian''). Außer ''Gaius'' zogen die Redaktoren aber auch weitere Einführungsliteratur, Auszüge aus den Kommentaren der Digestenjuristen und die justinianischen Reformkonstitutionen aus den Jahren seit 528 heran.


== 6. Noch einmal: ''Codex'' ==
Offen bleibt vor diesem Hintergrund im Wesentlichen die Frage nach nationalen Regelungen unlauteren Wettbewerbs betreffend Marketing- und Vertriebsmaßnahmen in genuin grenzüberschreitenden Medien, für die sich die Erschwerungen gerade schon durch die bloßen (selbst die auswirkungsneutralen) ''Differenzen ''in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ''bezüglich des Vertriebs ''ergeben, da nach allgemeinem Kollisionsrecht stets mosaikartig die Regelungen in sämtlichen substantiell betroffenen Marktorten (Empfangsstaaten) anwendbar wären. Dieses Problem ist seit ''Keck ''insbesondere durch das sich rasant entwickelnde und real grenzüberschreitende Medium des Internet offenbar geworden. Tatsächlich hat sich an dieser Stelle die ''Keck-''Entscheidung auch zum Katalysator für die weitere sekundärrechtliche Harmonisierung des Lauterkeitsrechts entwickelt (s.u. 4.). Nicht beantwortet ist derzeit auch die Frage, inwieweit die Maßstäbe der ''Keck-''Rechtsprechung auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen werden können ([[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)]]; [[Dienstleistungsfreiheit]]). Grundsätzlich ist für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs das weite Verständnis des Beschränkungsverbots gleichermaßen wie die Rechtfertigungsmöglichkeit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses in die Dogmatik der Dienstleistungsfreiheit transponiert worden. Die Einschränkungen der ''Keck-''Rechtsprechung sind demgegenüber auf diesen Bereich nie ausdrücklich, insbesondere nicht in der hierfür gelegentlich genannten ''Alpine Investments-''Entscheidung (EuGH Rs.&nbsp;C-384/93, Slg. 1995, I-1141), übertragen worden.
Durch diese Reformkonstitutionen und eine Sammlung von amtlichen Entscheidungen strittiger Rechtsfragen (''Quinquaginta Decisiones'', 530) war eine Überarbeitung des 529 verkündeten (Ersten) ''Codex'' erforderlich geworden. Sie führte dazu, dass Ende 534 der endgültige (Zweite) ''Codex'' in Kraft treten konnte, der seither den dritten Teil des justinianischen Gesetzgebungswerkes bildete. Er enthält insgesamt mehr als 4.600 Konstitutionen, die meisten aus der Zeit der Severerkaiser und ''Diokletians''. Über 400 Konstitutionen stammen aus der Regierungszeit ''Justinians''.


== 7. Novellen ==
== 3. Regelungsstrukturen ==
Das Inkrafttreten des ''Codex'' bedeutete nicht das Ende der Reformgesetzgebung ''Justinians''. Vielmehr hat der Kaiser auch in der Folgezeit seine Reformtätigkeit „in fast beängstigender Rastlosigkeit“ (''Wieacker'') fortgesetzt und dabei nicht zuletzt auch wichtige Teilbereiche des Privatrechts (vor allem des Familien- und Erbrechts) neu geordnet. Diese ''novellae leges'' (Novellen) wurden überwiegend in Griechisch, der neuen Amtssprache in Konstantinopel, abgefasst. Eine geplante amtliche Sammlung ist nicht mehr zustande gekommen; stattdessen sind uns nur einige private Sammlungen erhalten, insbesondere die ''Epitome Juliani'' (eine verkürzende Bearbeitung von 124 Gesetzen der Jahre 535-555 in lateinischer Sprache), das sog. ''Authenticum'' (eine Sammlung von 134 Novellen, ebenfalls in lateinischer Sprache; sie wurde im Mittelalter fälschlich für den Originaltext gehalten) und die sog. griechische Novellensammlung (sie gelangte erst nach dem Untergang von Byzanz/Konstantinopel in den Westen und enthielt ursprünglich 168 Novellen, von denen einige auch von ''Justinians'' Nachfolgern stammten). Im Mittelalter wurde noch eine unter dem Namen ''Libri Feudorum'' bekannte Sammlung des langobardischen („lombardischen“) Lehnsrechts in das ''Corpus Juris Civilis'' aufgenommen ([[Feudalrecht]]); außerdem wurde der ''Codex'' um drei Gesetze der ''Kaiser Friedrich I.&nbsp;''und'' II''. ergänzt (darunter die berühmte ''Authentica Habita'', in der der Kaiser die Professoren und Studenten in Bologna unter seinen besonderen Schutz nahm).
Unter vorrangiger Gewichtung der ''integrationspolitischen'' Zwecksetzung der Verkehrsfreiheiten steht im Mittelpunkt der lauterkeitsrechtlichen Konzeption des EuGH die Gewährleistung wirtschaftlich selbstbestimmter Marktentscheidungen im Sinne einer Sicherung hinreichend freier und informierter Entscheidungen eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ (normatives Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers, s. deutlich zum Beispiel EuGH Rs.&nbsp;C-210/96 – ''Gut Springenheide'', Slg. 1998, I-4657; EuGH Rs.&nbsp;C-470/93 – ''Mars'', Slg. 1995, I-1923; auch [[Geschäftspraktiken, irreführende|Werbung, irreführende]]; [[Geschäftspraktiken, aggressive|Werbung, aggressive]]). Der Schutz der informierten Vertragsentscheidungen der Verbraucher durch Herstellung allgemeiner Markttransparenz und (gegebenenfalls) spezifische, markterhaltende Informationspflichten soll sicherstellen, dass über die Wettbewerbsfähigkeit von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt soweit als möglich fehlerfrei die Abnehmer entscheiden. Deren die Grenzen der Mitgliedstaaten überschreitende Wahlmöglichkeit ist wiederum spiegelbildlich durch möglichst umfassende unternehmerische Freiheit abgesichert, so dass ein Eingriff in die durch die Verkehrsfreiheiten abgesicherte Angebotsfreiheit nur in Betracht kommt, soweit er zur Sicherung der fehlerfreien Vertragsentscheidung geeignet, notwendig und angemessen ist.  


== 8. Studienreform und Kommentierverbot ==
Insgesamt ist festzustellen, dass der Gerichtshof auf dieser Grundlage ein regelrechtes Konzept des Verbraucherschutzes durch Information, gestützt durch entsprechende individuelle Rechte der Nachfragerseite (Informationsmodell) verfolgt (s. EuGH Rs.&nbsp;C-362/88 – ''GB-Inno-BM'', Slg. 1990, I-667). Am deutlichsten wird dieses Konzept mit Blick auf die gefestigte Rechtsprechung zum Vorrang der Information des Verbrauchers durch Etikettierung gegenüber produktspezifischen Verkehrsverboten, in deren Rahmen es auch ursprünglich entwickelt wurde (s. grundlegend schon EuGH Rs.&nbsp;120/78 – ''Cassis de Dijon'', Slg. 1979, 649; auch [[Warenverkehrsfreiheit]]). Ganz allgemein sieht der EuGH grundsätzlich die Sicherstellung einer ''informierten ''Verbraucherentscheidung der europäischen Durchschnittsverbraucher (die die zur Verfügung gestellte Information nach diesem normativen Leitbild auch stets rational zur Kenntnis nehmen und verarbeiten) als im Vergleich zu Werbe- oder Vertriebsverboten ausreichendes, milderes – und damit gemäß ''Cassis ''in den meisten Fällen allein binnenmarktkonformes – Mittel zur Verfolgung von Verbraucherschutzzwecken an.  
Gleichzeitig mit den Digesten verkündete ''Justinian'' im Dezember 533 eine umfassende Studienreform. Denn da hinfort nur noch die drei Teile des justinianischen Gesetzbuchs anzuwenden und zu befolgen waren – alles ältere Recht habe, so die ''Constitutio Tanta'' (= C.&nbsp;1,17,2) „zu verstummen“ und trat damit außer Kraft –, mussten sie auch im Studienbetrieb an die Stelle der vorjustinianischen Rechtsliteratur treten: die Institutionen (anstelle der Institutionen des ''Gaius'') sowie die Bücher 1-4 der Digesten im ersten Jahr, weitere Teile der Digesten in den Jahren zwei bis vier, und das Studium des ''Codex'' im fünften Jahr. Im Übrigen dekretierte ''Justinian'', dass kein Rechtsgelehrter es in Zukunft wagen möge, den Digesten Kommentare hinzuzufügen „und durch seine Geschwätzigkeit die Kürze unseres Gesetzbuches zu verderben“. Erlaubt sein sollten nur Übertragungen ins Griechische, Hinweise auf Parallelstellen und kurze Inhaltsangaben. Bezog sich dies Kommentierverbot von vornherein nicht auf die Professoren an den staatlich autorisierten Rechtsschulen? Betraf es nur den Gebrauch von Erläuterungswerken vor Gericht? Oder galt das Verbot nur für das Schreiben von Kommentaren in die Gesetzbücher selbst? Wie dem auch sei, jedenfalls begannen tatsächlich noch in der Regierungszeit ''Justinians'' die ersten Kommentare zu erscheinen.


== 9. Überlieferung ==
Dieses Informationsmodell des EuGH weist insofern gewisse Schwächen auf, als es die inhärenten Limitierungen des Entscheidungsverhaltens der Verbraucher hinsichtlich der ''Informationsaufnahme ''und ‑''verarbeitung ''(insbesondere die kognitive Überforderung mit einem „Zuviel“ an Information, zumal in Situationen der Massengeschäfte des täglichen Lebens) bisher nicht immer hinreichend berücksichtigt. Andererseits ist die Rechtsprechung des EuGH nicht von vornherein auf ein rein integrationsorientiertes Modell des normativen europäischen Durchschnittsverbrauchers verengt. Vielmehr beruht die wesentlich auf die Sicherstellung angemessener Verbraucherinformation fokussierte Perspektive wohl auch darauf, dass der Gerichtshof selten über weitergehende Werbebeschränkungen mitgliedstaatlichen Rechts zu entscheiden hatte, die durch legitime Zielsetzungen gerechtfertigt gewesen wären. Wo dies der Fall war, war der EuGH durchaus bereit, mit Blick auf besonders schutzwürdige Verbrauchergruppen (s. EuGH Rs.&nbsp;382/87 – ''Buet'','' ''Slg. 1989, 1235, 1242) und auch auf regionale und nationale Besonderheiten (s. EuGH Rs.&nbsp;C-220/98 – ''Estée Lauder'', Slg. 2000, I-117) weiterhin Differenzierungen im Irreführungsschutz und strengere Regelungen bis hin zu bereichsspezifischen Vertriebsverboten auch zum Schutz eines von unlauteren Einflüssen freien ''Entscheidungsprozesses'' zuzulassen. Diese Entwicklung mag sich künftig noch in dem Maße verstärken, wie sich die lauterkeitsrechtliche Rechtsprechung des EuGH, die bisher den Schwerpunkt europäischen Fallrechts im unlauteren Wettbewerb bildete, auf die Interpretation der einschlägigen Richtlinien in diesem Bereich ([[Unlauterer Wettbewerb]]; [[Geschäftspraktiken, aggressive]]; [[Geschäftspraktiken, irreführende]]; [[Werbung, vergleichende]]) verlagert (s. auch unten 4.).  
In Ostrom (Byzanz) kam es nach einer Phase der erneuten Vulgarisierung zu einer Renaissance des justinianischen Rechts in mehrfach überarbeiteter und immer stärker gestraffter Form sowie in griechischer Sprache (''ius Graeco-Romanum'': Basiliken-Gesetzgebung, ''Hexabiblos''). Im Westen blieben im Wesentlichen die Institutionen, der ''Codex'' und die Novellen bekannt. Mit der Wiederentdeckung und intellektuellen Aneignung der Digesten im späten 11.&nbsp;Jahrhundert begann, ausgehend von Bologna, die Geschichte der abendländischen Rechtswissenschaft ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]<nowiki>; Rezeption). Die einzige aus der Spätantike stammende, möglicherweise noch zu Lebzeiten </nowiki>''Justinians'' entstandene Handschrift gelangte zunächst nach Pisa und wird seit 1406 in Florenz aufbewahrt (daher: ''littera Florentina''). Von ihr verfügte man seit etwa 1080 in Bologna über eine heute verschollene Abschrift, den ''Codex Secundus''<nowiki>; doch enthielt diese Abschrift auch Korrekturen und Ergänzungen aufgrund einer von der </nowiki>''Florentina'' unabhängigen, ebenfalls nicht mehr erhaltenen Handschrift. Der ''Codex Secundus'' wurde zur Grundlage des mittelalterlichen Rechtsunterrichts und aller weiteren von Bologna aus verbreiteten Handschriften. Diese wurden kollektiv als ''littera Bononiensis'' oder Digestenvulgata bezeichnet und weisen mittelalterliche Textveränderungen auf. Seit dem 16.&nbsp;Jahrhundert folgen die Editionen der Digesten hauptsächlich der ''Florentina''. Das gilt auch für die heute maßgebliche Ausgabe von ''Theodor Mommsen''.


Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Frage, inwieweit die justinianische Gesetzgebung das klassische römische Recht widerspiegelt, ist das einzige Werk der klassischen römischen Literatur, von dem wir ein weitgehend erhaltenes Manuskript besitzen: die Institutionen des ''Gaius''. Dieser Text wurde 1816 von ''Barthold Georg Niebuhr'' in der Kapitelbibliothek von Verona auf einem mit einem anderen Text überschriebenen Pergament (Palimpsest) entdeckt und ist seither zum großen Teil wieder lesbar gemacht worden.  
Bausteine einer schlüssigen lauterkeitsrechtlichen Konzeption des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und auch ansatzweise des Schutzes des freien und unbeeinflussten Entscheidungsprozesses lassen sich in der Rechtsprechung des EuGH zu den Verkehrsfreiheiten also durchaus identifizieren. Dennoch bleiben gewisse Bereiche – wie etwa die Frage eines Schutzes der Privatsphäre durch den in einem Teil der Mitgliedstaaten anerkannten lauterkeitsrechtlichen Schutzes vor reiner Belästigung – bei der Entwicklung des europäischen Lauterkeitsrechts durch den Gerichtshof bisher weitgehend außen vor. Von einem umfassenden europäischen Richterrecht des unlauteren Wettbewerbs kann daher derzeit ebensowenig die Rede sein wie auch nur von einem vollständigen Fundament.


==Literatur==
== 4. Vereinheitlichungsprojekte ==
''Fritz Schulz'', Einführung in das Studium der Digesten, 1916; ''Leopold Wenger'', Die Quellen des römischen Rechts, 1953, §§&nbsp;78-86, 91; ''Max Kaser'', Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, 1986; ''Franz Wieacker'', Römische Rechtsgeschichte, Bd.&nbsp;I, 1988 (§§&nbsp;6-8), Bd.&nbsp;II, 2006 (§§&nbsp;79-85); ''Wolfgang Kunkel'', ''Martin Schermaier'', Römische Rechtsgeschichte, 13.&nbsp;Aufl. 2001, §&nbsp;11; ''Tony Honoré'', Tribonian, 1978; ''Eltjo J.H. Schrage'', Utrumque Ius: Eine Einführung in das Studium der Quellen des mittelalterlichen gelehrten Rechts, 1992, 15&nbsp;ff.; ''Michael Maas'' (Hg.), The Cambridge Companion to the Age of Justinian, 2005.
Im Kollisionsrecht steht der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten seit 2007 mit Art.&nbsp;6(1) Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/2007) eine europäische Einheitsregel gegenüber, die seit dem 11.1.2009 anwendbar ist ([[Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)]]). Art.&nbsp;6(1) Rom&nbsp;II-VO legt im grundsätzlichen Einklang mit dem Kollisionsrecht der Mehrzahl der Mitgliedstaaten für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Marktortprinzip als Kollisionsregel fest. Doch ist auch diese Regelung im Lichte des vorrangigen primärrechtlichen Rahmens der Verkehrsfreiheiten zu lesen, so dass es richtigerweise bei der (partiellen) Überformung des Kollisionsrechts durch das Prinzip gegenseitiger Anerkennung auf Grundlage der Verkehrsfreiheiten bleibt. Insbesondere das Problem der ''Multi-State''-Wettbewerbshandlungen ist auch durch die Rom II-VO im Bereich des Lauterkeitsrechts gerade nicht gelöst worden.


==Quellen==
Im materiellen Recht des unlauteren Wettbewerbs hatte die Rechtsprechung zur Irreführungs-RL (RL&nbsp;84/450) gegenüber der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs ursprünglich ganz im Hintergrund gestanden. Mittlerweile existieren aber umfassendere sekundärrechtliche Maßnahmen der Gemeinschaft jedenfalls im Bereich des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts ([[Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)]]). Insbesondere die allenthalben als gewisse Rücknahme des Kontrollbereichs der Grundfreiheiten im Lauterkeitsrecht empfundene ''Keck-''Doktrin ist an dieser Stelle zum Katalysator der wesentlichen Vereinheitlichungsprojekte im Lauterkeitsrecht geworden. Zumal die E‑Commerce-RL (RL&nbsp;2000/31) mit der sekundärrechtlichen Anordnung des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips ([[Elektronischer Geschäftsverkehr – E‑Commerce]]; [[Herkunftslandprinzip]]) im koordinierten Bereich, welches angesichts zahlreicher Ausnahmen seine wesentlichste Bedeutung für Internet-Marketing und ‑vertrieb entfaltet, lässt sich durchaus als eine medienspezifische Reaktion auf die durch die ''Keck-''Entscheidung drohenden Probleme für die Tätigkeit in grenzüberschreitenden Medien im Binnenmarkt auffassen. Die Unlautere Geschäftspraktiken-RL von 2005 ([[Unlauterer Wettbewerb]]) kann dann ihrerseits wiederum mindestens zum Teil als eine Reaktion auf die gelegentlich (zu Unrecht) befürchteten Gefahren eines materiell-rechtlichen ''race to the bottom ''aufgrund des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips der E‑Commerce-RL eingeordnet werden.  
Für den Text der Digesten ist grundlegend die große kritische Ausgabe von ''Theodor Mommsen'', Digesta Iustiniani Augusti, Bd. I (1868), Bd. II (1870); für den ''Codex'' diejenige von ''Paul Krüger'', Codex Iustinianus (1877). Darauf bruhen auch die entsprechenden Teile der heute regelmäßig benutzte Gesamtausgabe des ''Corpus Juris Civilis'': ''Theodor Mommsen'', ''Paul Krüger'', ''Rudolf Schoell'', ''Wilhelm Kroll'', Corpus Juris Civilis, editio stereotypa, Bd. I: Institutionen und Digesten, 1872; Bd. II: Codex, 1877; Bd. III: Novellen, 1895; alle Bde. in verschiedenen Neuauflagen und Nachdrucken. Eine deutsche Übersetzung des ''Corpus Juris Civilis'' aufgrund der damals gebräuchlichen Texte ist ''Carl E. Otto'', ''Bruno Schilling'', ''Carl Friedrich Ferdinand Sintenis'', Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter, Bde. I-VII, 1830-33 (Neudruck 1984); eine moderne deutsche Übersetzung (freilich bislang nur für Institutionen und die Digesten bis Buch 27) bieten ''Okko Behrends'', ''Rolf Knütel'', ''Berthold Kupisch'', ''Hans Hermann Seiler'', Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Bd. I (Institutionen), 2.&nbsp;Aufl. 1997 (Taschenbuchausgabe, 2. Aufl. 1999); Bd. II (Digesten 1-10), 1995; Bd. III (Digesten 11-20), 1999; Bd. IV (Digesten 21-27), 2005. Englische Übersetzungen: ''Peter Birks'', ''Grant McLeod'', Justinian’s Institutes, 1987; ''Theodor Mommsen'', ''Paul Krüger'', The Digest of Justinian (herausgegeben von Alan Watson), Bde. I-IV, 1985. Für die Institutionen des Gaius vgl. ''Emil Seckel'', ''Bernhard Kübler'', Gai institutionum commentarii quattuor, 8.&nbsp;Aufl. 1939; ''William M. Gordon'', ''Olivia F. Robinson'', The Institutes of Gaius, 1988; ''Ulrich Manthe'', Gaius Institutionen, 2004.
 
So wird nunmehr im Verhältnis zur bisher überragenden Bedeutung der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten vermehrt die Rechtsprechung des EuGH zumal zu den Vorschriften der Unlautere Geschäftspraktiken-RL in den Mittelpunkt des europäischen Rechts des unlauteren Wettbewerbs rücken. Die Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten behält aber ihre Relevanz außerhalb des koordinierten Bereichs der einschlägigen Richtlinien, mithin insbesondere für Werbe- oder Vertriebsmaßnahmen im rein gewerblichen Bereich, die nicht in grenzüberschreitenden elektronischen Medien stattfinden. Zudem ist bezüglich der Unlautere Geschäftspraktiken-RL hervorzuheben, dass ihre Grundkonzeptionen, insbesondere die Voraussetzung der Eignung einer unlauteren Geschäftpraktik zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens der gruppenspezifisch angesprochenen Durchschnittsverbraucher, an die Rechtsprechung des EuGH zu den Verkehrsfreiheiten anschließen, sodass diese Rechtsprechung auch für die Interpretation der materiellen Vorschriften der Richtlinie gewissen Anhalt bietet.
 
== Literatur==
''Jürgen Basedow'','' ''Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 59 (1995) 1&nbsp;ff.; ''Rolf Sack'','' ''Auswirkungen der Art.&nbsp;30, 36 und 59&nbsp;ff. EG-Vertrag auf das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1998, 871&nbsp;ff.; ''Stephen Weatherill'', Recent Case Law concerning the Free Movement of Goods: Mapping the Frontier of Market Deregulation, Common Market Law Review 36 (1999) 51&nbsp;ff.; ''Gregor Schmid'', Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, 2000; ''Nina Dethloff'', Europäisierung des Wettbewerbsrechts, 2001; ''Anja Hucke'', Wettbewerbsrecht in Europa, 2001; ''Peter W. Heermann'','' ''Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004; ''Tobias Lettl'','' ''Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004; ''Jochen Glöckner'','' ''Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006; ''Matthias Leistner'','' ''Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb: Eine grundlagenorientierte Studie unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Perspektive, 2007.  


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Version vom 14. September 2016, 13:16 Uhr

von Matthias Leistner

1. Gegenstand und Zweck

Die Konturen des schillernden Begriffs des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (Lauterkeitsrechts) sind im europäischen Rahmen von erheblicher Unschärfe gekennzeichnet. Europaweit charakteristisch ist immerhin der Marktbezug des Lauterkeitsrechts, es geht in diesem Rechtsgebiet im nationalen Rechtsvergleich jeweils um die Regulierung des Marktverhaltens. Darüber hinaus fällt eine Abgrenzung der Regelungsgebiete und Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts unter rechtsvergleichender Perspektive im europäischen Rahmen schwer (auch Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)).

Die Begriffe der Unlauterkeit (so insbesondere Art. 10bis PVÜ als wesentliche Vorgabe des internationalen Rechts in diesem Bereich, die europäische Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von 2005 (RL 2005/29) sowie im nationalen Recht etwa der französische Terminus der concurrence déloyale im Rahmen des deliktsrechtlichen Fallrechts zu Art. 1382 Code civil und nunmehr auch die Terminologie des neuen deutschen UWG, der sittenwidrigen (so weiterhin § 1 des österreich. UWG) oder der gegen Treu und Glauben verstoßenden (so das schweiz. UWG) Wettbewerbshandlungen helfen bei der Definition des eigentlich sanktionierten Marktverhaltens wenig weiter. Ebensowenig kann ein Abstellen auf die Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts letztlich zu einer trennscharfen Abgrenzung der Regelungsbereiche des Lauterkeitsrechts und der unlauteren Wettbewerbshandlungen führen, zumal auch diesbezüglich die Auffassung in Europa nicht einheitlich ist (Unlauterer Wettbewerb). Der Schutzzwecktrias (Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer, der Mitbewerber und des Allgemeininteresses an unverzerrtem Wettbewerb) nach deutschem und wohl auch nach noch vorherrschendem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Lauterkeitsrechts kontrastieren teilweise – insbesondere im Vereinigten Königreich und Irland, aber auch im Recht einiger der neuen Mitgliedstaaten – nur fragmentarische Lauterkeitsrechtskonzeptionen, in deren Mittelpunkt im Wesentlichen die verbraucherschützenden Fallgruppen stehen. So lassen sich mit dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage der Verbraucher vor Irreführung und des Entscheidungsprozesses der Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung zwar gewisse Kernbereiche eines europäischen Lauterkeitsrechts ausmachen (Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen); Geschäftspraktiken, irreführende; Geschäftspraktiken, aggressive); darüber hinaus bestehen aber sowohl hinsichtlich der normativen Maßstäbe als auch insbesondere hinsichtlich der Reichweite des Schutzes auch der Mitbewerber und der Allgemeininteressen durch das Lauterkeitsrecht ganz erhebliche Differenzen im Recht der Mitgliedstaaten.

Diese Differenzen können naturgemäß dazu führen, dass nationale Regelungen des Lauterkeitsrechts im Empfangsstaat einer Marketing- oder Vertriebshandlung, die strenger sind als das entsprechende Regelungsniveau im Herkunftsstaat, als sogenannte Maßnahmen gleicher Wirkung nach der Dassonville-Rechtsprechung zu Art. 28 EG/34 AEUV (EuGH Rs. 8/74 – Dassonville, Slg. 1974, 837) eine Einschränkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags (EG-Vertrag; Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)) zur Folge haben. Sie sind demnach in der Folge im Sinne der zur Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG/34 AEUV; Warenverkehrsfreiheit) ergangenen Cassis de Dijon-Rechtsprechung (EuGH Rs. 120/78 – Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649) auf ihre Rechtfertigungsfähigkeit als Regelungen zwingender Erfordernisse zum Schutze der Verbraucher oder der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs im Recht der Mitgliedstaaten zu prüfen. Im Mittelpunkt steht die diesbezüglich reiche Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit, immer zunehmend sind aber auch entsprechende Urteile zur Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG/56 AEUV; Dienstleistungsfreiheit) ergangen (EuGH Rs. C-275/92 – Schindler, Slg. 1994, I-1039; EuGH Rs. C-384/93 – Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141; EuGH verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – De Agostini, Slg. 1997, I-3843; EuGH Rs. 243/01 – Gambelli, Slg. 2003, I-13031). Die Niederlassungs- und die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit stehen demgegenüber in diesem Bereich vergleichsweise eher im Hintergrund.

Der EuGH hat sich also nationalen Verbraucher- oder Lauterkeitsschutzbestimmungen (Verbraucher und Verbraucherschutz) stets unter der an der Binnenmarktzielsetzung einer Öffnung nationaler Märkte orientierten Perspektive der Maßnahmen gleicher Wirkung, der Rechtfertigungsbedürftigkeit und letztlich des Verhältnismäßigkeitstests und damit sozusagen „negativ“ angenähert. Doch hat der EuGH auf diese Weise, indem er aus den ihm jeweils präsentierten nationalen Bestimmungen stets nur den (meist wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot) europarechtlich unzulässigen Teil präzise „herausschnitt“ und häufig zudem den Weg zu verhältnismäßigen, milderen Alternativen zum Schutze der Verbraucher und der Lauterkeit des Handelsverkehrs andeutete, gewissermaßen nach Art eines Steinmetzes zugleich überraschend klare „positive“ Konturen eines europäischen Lauterkeits- und Verbraucherschutzmodells zu entwickeln vermocht. Man wird in diesem Zusammenhang nicht von einem geschlossenen europäischen Lauterkeits- und Verbraucherrecht sprechen können, doch sind die Entscheidungen des Gerichtshofs über die Jahrzehnte doch von einer erstaunlichen Kohärenz gekennzeichnet, die eine Vorhersehbarkeit der Entscheidungen in gewissem Umfang gewährleistet.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Nachdem der EuGH mit der Dassonville-Entscheidung zuerst den Weg geebnet hatte, um Bestimmungen mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit zu messen und damit die Vollendung bzw. das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes soweit wie möglich abzusichern, gestattete ihm in der Folge die Cassis-Doktrin unter den Kategorien des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs, gewisse Grundzüge eines gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechts zu entwickeln. Hierfür bildete in erster Linie der Gedanke der Verhältnismäßigkeit die entscheidende (wenn auch vergleichsweise schmale) konzeptionelle Grundlage (vgl. allgemein etwa EuGH Rs. 261/81 – Rau, Slg. 1982, 3961 [Geeignetheit und Notwendigkeit] und EuGH Rs. 178/84 – Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227 [Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne]; siehe auch Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze); Verhältnismäßigkeit). Dabei war der Kontrollbereich außerordentlich weit gezogen: Unter Geltung der Dassonville-Doktrin konnte potentiell jede Anwendung nationalen Lauterkeitsrechts in den Bereich des Art. 28 EG/34 AEUV fallen, sofern ein Rechtsgefälle zum Ursprungsland vorlag. Letztlich wählte der Gerichtshof damit – auch außerhalb der ohnedies lediglich über Art. 30 EG/36 AEUV zu rechtfertigenden Fälle unmittelbarer Diskriminierung – grundsätzlich das Prinzip gegenseitiger Anerkennung zum Maßstab für zulässige Beschränkungen im Bereich mitgliedstaatlichen Rechts des unlauteren Wettbewerbs, welches lediglich dann durchbrochen werden konnte, wenn zwingende Allgemeininteressen die jeweilige nationale Regelung rechtfertigten (Grundfreiheiten; Warenverkehrsfreiheit; Herkunftslandprinzip). Am Maßstab der Verkehrsfreiheiten gemessen wurde auf diese Weise praktisch das gesamte mitgliedstaatliche Lauterkeitsrecht.

Die hiermit verbundene Kontrolldichte zumal im Bereich des Lauterkeitsrechts bewog den EuGH in der Keck-Entscheidung zu einer substantiellen Korrektur, aufgrund deren die Reichweite jedenfalls der Warenverkehrsfreiheit auf den ersten Blick erheblich enger gezeichnet wurde (EuGH verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 – Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097). Zu unterscheiden ist nach Keck zwischen vertriebsbezogenen Regelungen, die bestimmte Modalitäten des Verkaufs beschränken oder verbieten (also zum Beispiel die für das Recht des unlauteren Wettbewerbs typischen Werbebeschränkungen oder Verbote, Ladenschlussregelungen etc.), und warenbezogenen Regelungen, die sich auf die Waren und Erzeugnisse selbst beziehen (also zum Beispiel Bezeichnung, Form, Abmessung, Zusammensetzung, Aufmachung und Etikettierung oder insgesamt die Verpackung der Erzeugnisse etc.). Im zweitgenannten Bereich gilt weiterhin uneingeschränkt die Dassonville- und Cassis de Dijon-Rechtsprechung, sodass angesichts bestehender Regelungsgefälle letztlich das nationale Lauterkeitsrecht des Empfangsstaates am Maßstab der zwingenden Erfordernisse auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Demgegenüber fallen Regelungen bestimmter Verkaufsmodalitäten als vertriebsbezogene Regelungen nur dann in den Schutzbereich des Art. 28 EG/34 AEUV, wenn sie von vornherein nicht für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen gelten (unmittelbare Diskriminierung) oder wenn sie sich nicht – als die eigentlich entscheidende Voraussetzung der Keck-Doktrin – auch im Ergebnis rechtlich oder tatsächlich auf Marketing und Vertrieb aus anderen Mitgliedstaaten in genau gleicher Weise auswirken, wie auf Marketing und Vertriebsmaßnahmen aus dem Empfangsstaat (Voraussetzung der Marktneutralität).

Angesichts des typischerweise vertriebsbezogenen Charakters weiter Bereiche des Lauterkeitsrechts war zuerst in gleichsam formalistischem Verständnis der Keck-Entscheidung argumentiert worden, dass nunmehr weite Bereiche nationalen Lauterkeitsrechts der Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit entzogen seien. Tatsächlich hat die Keck-Entscheidung die eigentlich problematische Frage nach dem Vorhandensein spezifischer Belastungen für Einfuhren in der Kategorie der vertriebsbezogenen Regelungen aber lediglich um eine begriffliche Ebene weiterverlagert: Während für produktbezogene Regelungen die Keck-Formel weiterhin letztlich sogar inklusive Wirkung hat, indem sie produktbezogene Regelungen sozusagen prima facie dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots zuführt und solcherart stets weiterhin am Maßstab der zwingenden Erfordernisse misst, ist für die vertriebsbezogenen Regelungen die potentielle Eignung zur tatsächlichen Ungleichbehandlung eben aufgrund der Voraussetzung der Marktneutralität schlichtweg konkret festzustellen, wie es der EuGH unter anderem in den Fällen De Agostini, TK-Heimdienst und DocMorris zuletzt auch in aller wünschenswerten Klarheit verdeutlicht hat (vgl. EuGH verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95 – De Agostini, Slg. 1997, I-3843; EuGH Rs. C-254/98 – TK-Heimdienst, Slg. 2000, I-151; EuGH Rs. C-405/98 – Gourmet, Slg. 2001, I-1795; EuGH Rs. C-322/01 – Deutscher Apothekerverband/Doc Morris, Slg. 2003, I-4887; bestätigend auch EuGH Rs. C-71/02 – Karner/Troostwijk, Slg. 2004, I-3025). Dabei reicht es für die Kontrolle am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit bereits aus, wenn eine vertriebsbezogene Regelung auch nur die Eignung aufweist, den Marktzugang für ausländische Waren stärker zu behindern als für inländische Waren (EuGH Rs. C-322/01 – Deutscher Apothekerverband/DocMorris, Slg. 2003, I-4887). Der diesbezügliche Maßstab ist demnach nicht übermäßig streng, sodass die Warenverkehrsfreiheit im Bereich der Regelung bloßer Verkaufsmodalitäten auch nach Keck ganz erhebliche Bedeutung behält.

Offen bleibt vor diesem Hintergrund im Wesentlichen die Frage nach nationalen Regelungen unlauteren Wettbewerbs betreffend Marketing- und Vertriebsmaßnahmen in genuin grenzüberschreitenden Medien, für die sich die Erschwerungen gerade schon durch die bloßen (selbst die auswirkungsneutralen) Differenzen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Vertriebs ergeben, da nach allgemeinem Kollisionsrecht stets mosaikartig die Regelungen in sämtlichen substantiell betroffenen Marktorten (Empfangsstaaten) anwendbar wären. Dieses Problem ist seit Keck insbesondere durch das sich rasant entwickelnde und real grenzüberschreitende Medium des Internet offenbar geworden. Tatsächlich hat sich an dieser Stelle die Keck-Entscheidung auch zum Katalysator für die weitere sekundärrechtliche Harmonisierung des Lauterkeitsrechts entwickelt (s.u. 4.). Nicht beantwortet ist derzeit auch die Frage, inwieweit die Maßstäbe der Keck-Rechtsprechung auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen werden können (Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze); Dienstleistungsfreiheit). Grundsätzlich ist für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs das weite Verständnis des Beschränkungsverbots gleichermaßen wie die Rechtfertigungsmöglichkeit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses in die Dogmatik der Dienstleistungsfreiheit transponiert worden. Die Einschränkungen der Keck-Rechtsprechung sind demgegenüber auf diesen Bereich nie ausdrücklich, insbesondere nicht in der hierfür gelegentlich genannten Alpine Investments-Entscheidung (EuGH Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1141), übertragen worden.

3. Regelungsstrukturen

Unter vorrangiger Gewichtung der integrationspolitischen Zwecksetzung der Verkehrsfreiheiten steht im Mittelpunkt der lauterkeitsrechtlichen Konzeption des EuGH die Gewährleistung wirtschaftlich selbstbestimmter Marktentscheidungen im Sinne einer Sicherung hinreichend freier und informierter Entscheidungen eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ (normatives Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers, s. deutlich zum Beispiel EuGH Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Slg. 1998, I-4657; EuGH Rs. C-470/93 – Mars, Slg. 1995, I-1923; auch Werbung, irreführende; Werbung, aggressive). Der Schutz der informierten Vertragsentscheidungen der Verbraucher durch Herstellung allgemeiner Markttransparenz und (gegebenenfalls) spezifische, markterhaltende Informationspflichten soll sicherstellen, dass über die Wettbewerbsfähigkeit von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt soweit als möglich fehlerfrei die Abnehmer entscheiden. Deren die Grenzen der Mitgliedstaaten überschreitende Wahlmöglichkeit ist wiederum spiegelbildlich durch möglichst umfassende unternehmerische Freiheit abgesichert, so dass ein Eingriff in die durch die Verkehrsfreiheiten abgesicherte Angebotsfreiheit nur in Betracht kommt, soweit er zur Sicherung der fehlerfreien Vertragsentscheidung geeignet, notwendig und angemessen ist.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Gerichtshof auf dieser Grundlage ein regelrechtes Konzept des Verbraucherschutzes durch Information, gestützt durch entsprechende individuelle Rechte der Nachfragerseite (Informationsmodell) verfolgt (s. EuGH Rs. C-362/88 – GB-Inno-BM, Slg. 1990, I-667). Am deutlichsten wird dieses Konzept mit Blick auf die gefestigte Rechtsprechung zum Vorrang der Information des Verbrauchers durch Etikettierung gegenüber produktspezifischen Verkehrsverboten, in deren Rahmen es auch ursprünglich entwickelt wurde (s. grundlegend schon EuGH Rs. 120/78 – Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649; auch Warenverkehrsfreiheit). Ganz allgemein sieht der EuGH grundsätzlich die Sicherstellung einer informierten Verbraucherentscheidung der europäischen Durchschnittsverbraucher (die die zur Verfügung gestellte Information nach diesem normativen Leitbild auch stets rational zur Kenntnis nehmen und verarbeiten) als im Vergleich zu Werbe- oder Vertriebsverboten ausreichendes, milderes – und damit gemäß Cassis in den meisten Fällen allein binnenmarktkonformes – Mittel zur Verfolgung von Verbraucherschutzzwecken an.

Dieses Informationsmodell des EuGH weist insofern gewisse Schwächen auf, als es die inhärenten Limitierungen des Entscheidungsverhaltens der Verbraucher hinsichtlich der Informationsaufnahme und ‑verarbeitung (insbesondere die kognitive Überforderung mit einem „Zuviel“ an Information, zumal in Situationen der Massengeschäfte des täglichen Lebens) bisher nicht immer hinreichend berücksichtigt. Andererseits ist die Rechtsprechung des EuGH nicht von vornherein auf ein rein integrationsorientiertes Modell des normativen europäischen Durchschnittsverbrauchers verengt. Vielmehr beruht die wesentlich auf die Sicherstellung angemessener Verbraucherinformation fokussierte Perspektive wohl auch darauf, dass der Gerichtshof selten über weitergehende Werbebeschränkungen mitgliedstaatlichen Rechts zu entscheiden hatte, die durch legitime Zielsetzungen gerechtfertigt gewesen wären. Wo dies der Fall war, war der EuGH durchaus bereit, mit Blick auf besonders schutzwürdige Verbrauchergruppen (s. EuGH Rs. 382/87 – Buet, Slg. 1989, 1235, 1242) und auch auf regionale und nationale Besonderheiten (s. EuGH Rs. C-220/98 – Estée Lauder, Slg. 2000, I-117) weiterhin Differenzierungen im Irreführungsschutz und strengere Regelungen bis hin zu bereichsspezifischen Vertriebsverboten auch zum Schutz eines von unlauteren Einflüssen freien Entscheidungsprozesses zuzulassen. Diese Entwicklung mag sich künftig noch in dem Maße verstärken, wie sich die lauterkeitsrechtliche Rechtsprechung des EuGH, die bisher den Schwerpunkt europäischen Fallrechts im unlauteren Wettbewerb bildete, auf die Interpretation der einschlägigen Richtlinien in diesem Bereich (Unlauterer Wettbewerb; Geschäftspraktiken, aggressive; Geschäftspraktiken, irreführende; Werbung, vergleichende) verlagert (s. auch unten 4.).

Bausteine einer schlüssigen lauterkeitsrechtlichen Konzeption des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und auch ansatzweise des Schutzes des freien und unbeeinflussten Entscheidungsprozesses lassen sich in der Rechtsprechung des EuGH zu den Verkehrsfreiheiten also durchaus identifizieren. Dennoch bleiben gewisse Bereiche – wie etwa die Frage eines Schutzes der Privatsphäre durch den in einem Teil der Mitgliedstaaten anerkannten lauterkeitsrechtlichen Schutzes vor reiner Belästigung – bei der Entwicklung des europäischen Lauterkeitsrechts durch den Gerichtshof bisher weitgehend außen vor. Von einem umfassenden europäischen Richterrecht des unlauteren Wettbewerbs kann daher derzeit ebensowenig die Rede sein wie auch nur von einem vollständigen Fundament.

4. Vereinheitlichungsprojekte

Im Kollisionsrecht steht der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten seit 2007 mit Art. 6(1) Rom II-VO (VO 864/2007) eine europäische Einheitsregel gegenüber, die seit dem 11.1.2009 anwendbar ist (Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)). Art. 6(1) Rom II-VO legt im grundsätzlichen Einklang mit dem Kollisionsrecht der Mehrzahl der Mitgliedstaaten für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Marktortprinzip als Kollisionsregel fest. Doch ist auch diese Regelung im Lichte des vorrangigen primärrechtlichen Rahmens der Verkehrsfreiheiten zu lesen, so dass es richtigerweise bei der (partiellen) Überformung des Kollisionsrechts durch das Prinzip gegenseitiger Anerkennung auf Grundlage der Verkehrsfreiheiten bleibt. Insbesondere das Problem der Multi-State-Wettbewerbshandlungen ist auch durch die Rom II-VO im Bereich des Lauterkeitsrechts gerade nicht gelöst worden.

Im materiellen Recht des unlauteren Wettbewerbs hatte die Rechtsprechung zur Irreführungs-RL (RL 84/450) gegenüber der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs ursprünglich ganz im Hintergrund gestanden. Mittlerweile existieren aber umfassendere sekundärrechtliche Maßnahmen der Gemeinschaft jedenfalls im Bereich des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts (Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)). Insbesondere die allenthalben als gewisse Rücknahme des Kontrollbereichs der Grundfreiheiten im Lauterkeitsrecht empfundene Keck-Doktrin ist an dieser Stelle zum Katalysator der wesentlichen Vereinheitlichungsprojekte im Lauterkeitsrecht geworden. Zumal die E‑Commerce-RL (RL 2000/31) mit der sekundärrechtlichen Anordnung des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips (Elektronischer Geschäftsverkehr – E‑Commerce; Herkunftslandprinzip) im koordinierten Bereich, welches angesichts zahlreicher Ausnahmen seine wesentlichste Bedeutung für Internet-Marketing und ‑vertrieb entfaltet, lässt sich durchaus als eine medienspezifische Reaktion auf die durch die Keck-Entscheidung drohenden Probleme für die Tätigkeit in grenzüberschreitenden Medien im Binnenmarkt auffassen. Die Unlautere Geschäftspraktiken-RL von 2005 (Unlauterer Wettbewerb) kann dann ihrerseits wiederum mindestens zum Teil als eine Reaktion auf die gelegentlich (zu Unrecht) befürchteten Gefahren eines materiell-rechtlichen race to the bottom aufgrund des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips der E‑Commerce-RL eingeordnet werden.

So wird nunmehr im Verhältnis zur bisher überragenden Bedeutung der Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten vermehrt die Rechtsprechung des EuGH zumal zu den Vorschriften der Unlautere Geschäftspraktiken-RL in den Mittelpunkt des europäischen Rechts des unlauteren Wettbewerbs rücken. Die Rechtsprechung zu den Verkehrsfreiheiten behält aber ihre Relevanz außerhalb des koordinierten Bereichs der einschlägigen Richtlinien, mithin insbesondere für Werbe- oder Vertriebsmaßnahmen im rein gewerblichen Bereich, die nicht in grenzüberschreitenden elektronischen Medien stattfinden. Zudem ist bezüglich der Unlautere Geschäftspraktiken-RL hervorzuheben, dass ihre Grundkonzeptionen, insbesondere die Voraussetzung der Eignung einer unlauteren Geschäftpraktik zur wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens der gruppenspezifisch angesprochenen Durchschnittsverbraucher, an die Rechtsprechung des EuGH zu den Verkehrsfreiheiten anschließen, sodass diese Rechtsprechung auch für die Interpretation der materiellen Vorschriften der Richtlinie gewissen Anhalt bietet.

Literatur

Jürgen Basedow, Der kollisionsrechtliche Gehalt der Produktfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 59 (1995) 1 ff.; Rolf Sack, Auswirkungen der Art. 30, 36 und 59 ff. EG-Vertrag auf das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1998, 871 ff.; Stephen Weatherill, Recent Case Law concerning the Free Movement of Goods: Mapping the Frontier of Market Deregulation, Common Market Law Review 36 (1999) 51 ff.; Gregor Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, 2000; Nina Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, 2001; Anja Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, 2001; Peter W. Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004; Tobias Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004; Jochen Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006; Matthias Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb: Eine grundlagenorientierte Studie unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Perspektive, 2007.

Abgerufen von Corpus Juris Civilis – HWB-EuP 2009 am 26. April 2024.

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