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Aktuelle Version vom 7. September 2021, 16:40 Uhr

von Florian Möslein

1. Gegenstand und Funktionen

Das Recht der Rechnungslegung bildet ein „Herzstück des Europäischen Gesellschaftsrechts“ (Stefan Grundmann): In seinem Regelungsbestand gilt es als eines der am breitesten und tiefsten harmonisierten Rechtsgebiete des Privatrechts, funktional spielt es eine tragende Rolle für Publizität und Transparenz – und damit auch für das so stilbildende Informationsmodell des Europäischen Gesellschaftsrechts.

Im Gegensatz zur internen Kostenrechnung dient die Rechnungslegung der Dokumentation unternehmerischer Vorgänge für externe Zwecke, insbesondere für die Handels- und Steuerbilanz. Die europäischen Rechnungslegungsregeln allerdings gelten derzeit, auch aus Kompetenzgründen, unmittelbar nur für die handelsrechtliche Rechnungslegung. Diese steht jedoch keineswegs unverbunden neben der Steuerbilanz, sondern kann auch als Grundlage für die Besteuerung dienen. Geltung und Umfang dieser sog. Maßgeblichkeit hängen vom nationalen (Steuer‑) Recht ab. Als Folge können die europäischen Rechnungslegungsregeln im Wege der quasi-richtlinienkonformen Auslegung durchaus auch ins nationale Steuerbilanzrecht ausstrahlen. Unabhängig davon erarbeitet die Kommission derzeit Regelungsvorschläge für eine (optionale) Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage. Sie würde die steuerliche Rechnungslegung ganz unmittelbar betreffen, und soll nach derzeitigem Stand ihrerseits vielfach auf die geltenden handelsrechtlichen Regeln Bezug nehmen.

Das Geschäftsergebnis, das sich aus der handelsrechtlichen Rechnungslegung ergibt, dient potentiell nicht nur als Maßstab für Besteuerungszwecke, sondern auch für Gewinnfeststellung und ‑verwendung. Es kann auch die Höhe der zulässigen Ausschüttungen begrenzen. Diese sog. Referenzwertfunktion der Rechnungslegung hängt jedoch (wiederum) maßgeblich vom nationalen (Gesellschafts‑)Recht ab. Die Informationsfunktion selbst hingegen ist rechtsformübergreifend im europäischen Rechnungslegungsrecht verankert und steht auch funktional ganz im Vordergrund: Jahres- und Konzernabschluss (Abschlussprüfer) sollen vor allem ein zutreffendes Bild der wirtschaftlichen Lage (und Aussichten) eines Unternehmens oder Konzerns geben.

Die funktionale Grundsatzfrage lautet dann allerdings, wessen Information die Rechnungslegung primär dienen soll. Weil es um Bewertungsfragen geht, kann Rechnungslegung schlicht kein vollständig objektives Bild liefern. Ob beispielsweise Forderungen mit nominalen, effektiv abgesicherten oder sogar nur mit bereits realisierten Beträgen anzusetzen sind, werden tendenziell risikoscheue Gläubiger ganz anders beurteilen als Anleger, denen es in erster Linie um Gewinnaussichten geht. Die einzelnen Mitgliedstaaten bevorzugen traditionell diametral unterschiedliche Blickwinkel: Während Großbritannien mit dem Grundsatz des true and fair view seit jeher die Anlegerperspektive stärker betonte, stand in Kontinentaleuropa das eher gläubigerorientierte Vorsichtsprinzip im Vordergrund. Das europäische Richtlinienrecht geht einen Mittelweg: Es formuliert zwar an prominenter Stelle den Grundsatz des true and fair view, folgt aber in vielen Einzelregeln dem Vorsichtsprinzip, von dem es dann allerdings wiederum Abweichungen erlaubt. Die Ausübung dieser zahlreichen Wahlrechte (meist zu Gunsten der Mitgliedstaaten, jedoch mit Möglichkeit der Weitergabe an die Unternehmen) entscheidet letztlich darüber, welcher Zielgruppe die Informationen die Rechnungslegung primär zu dienen geeignet sind. Eindeutiger auf die Funktion der Anlegerinformation zugeschnitten sind erst die einheitlichen Rechnungslegungsregeln der International Financial Reporting Standards (IFRS), die inzwischen (nur) für kapitalmarktorientierte Konzerne gemeinschaftsweit vorgeschrieben sind.

2. Regelungsbestand und Entwicklungstendenzen

Die Rechnungslegung bildet seit jeher einen zentralen Baustein des gesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsprogramms. Ausgangspunkt ist in der Sache bereits die Publizitäts-RL von 1968 (1. gesellschaftsrechtliche RL 68/‌151), deren Art. 2(1)(f) sämtliche Kapitalgesellschaften zunächst zur Erstellung und Offenlegung ihrer Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung verpflichtete. Seit ihrer Novelle von 2003 verpflichtet die Regelung darüber hinaus zur Publizität der gesamten Rechnungslegung. Die inhaltliche Angleichung der Rechnungslegungsregeln war andererseits bereits Gegenstand von Vorarbeiten und ersten Regelungsvorschlägen, die bis ins Jahr 1965 zurückreichen und zunächst ausschließlich kontinentaleuropäisch geprägt waren. Der Beitritt Großbritanniens erforderte jedoch Kompromisse, wie sie schließlich die beiden wichtigsten Rechnungslegungs-Richtlinien, die Jahresabschluss-RL (4. gesellschaftsrechtliche RL 78/‌660) und die Konzernabschluss-RL (7. gesellschaftsrechtliche RL 83/‌349) kennzeichnen, die 1978 bzw. 1983 verabschiedet wurden. Beide Richtlinien erfassen nur Kapitalgesellschaften, diese jedoch umfassend (AG, GmbH, KGaA); eine spezielle Richtlinie aus dem Jahr 1990 erweitert den Anwendungsbereich auf Kapitalgesellschaften & Co. KG. Mit Wirkung zum 1.1.2005 wurden die Richtlinien schließlich grundlegend reformiert, um sie mit den Vorschriften der IFRS abzugleichen oder jedenfalls die Aufstellung von Rechnungslegung zu ermöglichen, die beiden Regimen genügt.

Die IFRS-VO (VO 1606/‌2002) selbst wurde im Jahr 2002 verabschiedet. Der Rechtsakt ist eine Antwort auf das Vordringen der US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP), die bei Notierung an US-amerikanischen Kapitalmärkten auch für europäische Gesellschaften gelten. Weil die geltenden europäischen Rechnungslegungsrichtlinien keinerlei Aussicht auf weltweite Anerkennung hatten und man umgekehrt europäischen Unternehmen nicht einfach gestatten wollte, ausschließlich nach US-GAAP zu bilanzieren, wird in der Verordnung auf die Rechnungslegungsregeln eines privaten Regelgebers zurückgegriffen: Die IFRS, die grundsätzlich ebenfalls der angloamerikanischen, anlegerorientierten Bilanzierungsphilosophie verpflichtet sind, werden vom International Accounting Standards Board (IASB) ausgearbeitet, das sich aus Vertretern professioneller Kreise und der Aufsichtsbehörden zusammensetzt. Die Chancen auf weltweite Anerkennung stehen nach derzeitigem Stand gut, langfristig erwartet man eine (vorsichtige) Konvergenz von IFRS und US-GAAP. Die IFRS-VO selbst beschränkt sich darauf, die Anwendungsvoraussetzungen der IFRS zu präzisieren und gewisse, sehr allgemeine Kriterien aufzustellen, denen die IFRS dauerhaft genügen müssen.

Die europäischen Rechtsakte zum materiellen Rechnungslegungsrecht werden schließlich von der Abschlussprüfer-RL ergänzt, die ursprünglich 1984 als 8. gesellschaftsrechtliche RL (RL 84/‌‌253) erlassen und 2006 (RL 2006/‌43) grundlegend neu gefasst wurde (Abschlussprüfer).

3. Rechnungslegungsbestandteile und ‑grundsätze

Sowohl nach Jahresabschluss-RL als auch nach IFRS (und US-GAAP) bildet der Jahresabschluss den Hauptbestandteil der Rechnungslegung. Er umfasst die Bilanz (balance sheet), d.h. die rechnerische Gegenüberstellung des Vermögens (Aktiva) und der Schulden (Passiva) zum Ende des Geschäftsjahres, die Gewinn- und Verlustrechnung (income statement), die die Ertrags- und Aufwandsentwicklung im Berichtszeitraum gegenüberstellt, sowie den Anhang. Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung ergänzen sich gegenseitig, indem sie einerseits über Bestandswerte, andererseits über Stromgrößen informieren. Im Ergebnis stimmen sie notwendig überein, weil die Differenz zwischen Aufwand und Ertrag dem Anstieg oder der Minderung der Aktiva und Passiva entspricht. Während diese beiden Instrumente quantitative Unternehmensangaben liefern, stellt der Anhang (notes) ergänzende und erläuternde verbale Informationen bereit. Erklärt werden muss insbesondere die Ausübung der zahlreichen Bilanzierungswahlrechte, um Missverständnisse bei der Interpretation des Jahresabschlusses zu vermeiden.

Dieser dreiteilige, eigentliche Jahresabschluss wird durch weitere Angaben ergänzt. Hier unterscheiden sich die Anforderungen nach Jahresabschluss-RL und IFRS auch formal. Die Richtlinie verlangt einen Lagebericht, der vor allem dazu dient, den vergangenheitsorientierten Jahresabschluss um zeitnähere und zukunftsorientierte verbale Angaben zu ergänzen. Die IFRS fordern hingegen Kapitalflussrechnung (cash flow statement), Eigenkapitalentwicklung (statement of all changes in equity) und Segmentberichterstattung (business bzw. geographical segments).

Für die Bilanz geben die IFRS nur Mindestinhalte vor, während die Jahresabschluss-RL ein weitgehend festes Gliederungsschema fordert. Die Mitgliedstaaten haben zwar die Wahl zwischen zwei Formen, die sich aber ausschließlich in der Darstellungsform, nicht in der Reihenfolge der Einzelposten unterscheiden. Die Aktivposten werden unterteilt in Anlagevermögen (immaterielle Vermögensgegenstände, Sach- und Finanzanlagen), Umlaufvermögen (Vorräte, Forderungen, Wertpapiere und Bar- bzw. Buchgeld) und sonstige Posten (vor allem Rechnungsabgrenzungsposten), zu den Passivposten gehören Eigenkapital (gezeichnetes Kapital, Kapitalrücklage, Gewinn- oder Verlustrücklage, Jahresergebnis), Rückstellungen und Verbindlichkeiten sowie wiederum sonstige (Rechnungsabgrenzungs‑)Posten.

Für jeden Einzelposten stellen sich die Kernfragen der Bilanzierung: Ist ein Posten überhaupt anzusetzen (Aktivierungs- bzw. Passivierung), in welchem Berichtszeitraum (Periodenabgrenzung), und mit welchem Wert (Bewertung)? Die Jahresabschluss-RL sieht zahlreiche Wahlrechte vor. Sie statuiert aber allgemeine Grundsätze – teils für die Bewertung (going concern, wirtschaftliche Betrachtungsweise, Vorsichtsprinzip), teils übergreifend (true and fair view) –, welche die Wahlfreiheit wiederum beschränken. Für Ansatz und Bewertung kommt es letztlich häufig auf die – vorsichtige oder eher realistische – Bilanzierungsphilosophie an. Dass die Richtlinie insoweit keinen eindeutigen Standpunkt bezieht, führt zu Streitfragen, die der EuGH jedenfalls in der Rechtssache Tomberger (EuGH Rs. 234/‌94, Slg. 1996, I-3133) den Mitgliedstaaten zur Entscheidung überließ. Die Richtlinie statuiert neben diesen materiell bedeutsamen noch einige eher formale, größtenteils konsentierte Rechnungslegungsgrundsätze (Klarheit und Übersichtlichkeit, Stetigkeit, hinreichende Genauigkeit und Darstellungstiefe), die Transparenz und Verständlichkeit der gegebenen Information sicherstellen sollen. Die IFRS enthalten demgegenüber erheblich weniger Unternehmenswahlrechte (und als Einheitsrecht keinerlei Mitgliedstaaten-Wahlrechte), erfordern allerdings umgekehrt ungleich häufigere Neubewertungen (potentielle Einbuße an Stetigkeit).

4. Konzernkonsolidierung und Sonderregime

Die Konzernabschluss-RL enthält Sonderregeln für Gesellschaften, die in Konzerne eingebunden sind. Hier genügt grundsätzlich ein einziger Abschluss, nämlich der Konzernabschluss der Muttergesellschaft. Dieser ergibt sich jedoch nicht schlicht aus einer Addition der imaginären Einzelabschlüsse, weil diese teils nach unterschiedlichen Regimen erfolgen und vor allem auch Geschäfte und Beteiligungen innerhalb des Konzerns enthalten würden. Die Konzernabschluss-RL basiert deshalb zwar grundsätzlich auf den Rechnungslegungsregeln für den Einzelabschluss, sieht aber spezielle Konsolidierungsregeln für den Konzernverbund vor. Außerdem definiert sie den Konsolidierungskreis (auf Grundlage des Kontrollkonzepts) und präzisiert den Anwendungsbereich, soweit sich dieser Konsolidierungskreis aus verschiedenerlei Gesellschaftsformen zusammensetzt.

Bereits mehrfach angesprochen wurden die Rechnungslegungsregeln der IFRS, einschließlich ihrer inhaltlichen Abweichungen zur Jahresabschluss-RL. Nach der IFRS-VO sind diese Regeln (und nicht die Konzern- bzw. Jahresabschluss-RL) für Muttergesellschaften von Konzernen unmittelbar verbindlich, soweit Effekten zumindest eines der verbundenen Unternehmen auf einem geregelten Markt notiert sind. Darüber hinaus räumt die IFRS-VO den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Anwendung der IFRS auch für Einzelgesellschaften und nicht kapitalmarktorientierte Konzerne vorzuschreiben oder zumindest zu erlauben. Die Regeln der Jahresabschluss- und Konzernabschluss-RL brauchen auch in diesem Fall nicht eingehalten werden.

Sonderregime gelten schließlich für Banken und Versicherungen, weil in diesen Branchen Vertraulichkeit eine besonders große Rolle spielt und Offenlegungspflichten, insbesondere zur Aufdeckung stiller Reserven, deshalb gewissen Einschränkungen unterworfen wurden. Außerdem machen branchenspezifische Besonderheiten Spezifikationen bei zahlreichen Einzelposten erforderlich, vor allem natürlich bei den Finanzprodukten.

5. Prüfung und Offenlegung

Um die Verlässlichkeit der Rechnungslegungsinformationen auch prozedural zu gewährleisten, besteht eine Pflicht zur Abschlussprüfung. Die Anforderungen an Fähigkeiten und Unabhängigkeit des Prüfers regelt die Abschlussprüfer-RL.

Der Jahresabschluss ist grundsätzlich offen zu legen, beim Lagebericht kann das nationale Recht bloße Hinterlegung vorsehen, soweit für die Offenlegung eines entsprechenden Hinweises und kostenneutrale Zugänglichkeit gesorgt ist. Größenabhängige Erleichterungen gelten für die GmbH. Um die Verlässlichkeit der Information leicht überprüfbar zu machen, gelten schließlich ausführliche und besonders umfassende Offenlegungspflichten für den Bestätigungsvermerk des Prüfers.

Literatur

Jens Ekkenga, Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt, 1998; Peter Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 62 (1998) 381 ff.; Bernhard Großfeld, Internationale Standards der Rechnungslegung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 1999, 1143 ff.; Karel van Hulle, Die Reform des Europäischen Bilanzrechts, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2000, 537 ff.; Claus Luttermann, International Accounting Standards in der Europäischen Union, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2000, 1318 ff.; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (englische Fassung mit Florian Möslein, 2007); Michael Asche, Europäisches Bilanzrecht und nationales Gesellschaftsrecht, 2007; Werner F. Ebke, Rechnungslegung und Publizität aus europarechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: idem, Claus Luttermann, Stanley Siegel (Hg.), Internationale Rechnungslegungsstandards für börsenunabhängige Gesellschaften, 2007, 67 ff.; Henning Zülch, Matthias Hendler, Bilanzierung nach International Financial Reporting Standards, 2008.

Abgerufen von Rechnungslegung – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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