Kulturgüter

Aus HWB-EuP 2009

von Kurt Siehr

1. Begriff

Der Begriff „Kulturgut“ mit seinen Entsprechungen in anderen Sprachen (kulturgode, cultural objects oder property, kulturföremål, bien culturel, πολιτιστικόν αγαθόν, bene oder patrimonio culturale, cultuurgoed, dobro kultury, bem oder património cultural, культурное постояние, kulturminne oder kulturföremål, biene oder patrimonio cultural, kültür varlık, kulturális tárgy) ist erst in neuerer Zeit geläufig und Allgemeingut geworden. Er kam in keiner Ursprungsfassung eines europäischen Zivilgesetzbuches vor, tauchte vielmehr erst dann auf, als man begann, nationale Kulturgüter vor der Abwanderung ins Ausland zu schützen. Selbst in Italien, wo der moderne Schutz von Kulturgütern mit den Editti Doria Pamphilj und Pacca von 1802/‌1820 begann, sprach man zunächst von „opere dell’Antichità“ (1802) oder von „cose d’antichità e d’arte“ (Gesetz von 1913) oder „cose di interesse storico e artistico“ (Gesetz von 1939).

Die erste deutsche Regelung von 1919 verbietet die Ausfuhr von „Kunstwerken“, um einen wesentlichen Verlust für den nationalen „Kunstbesitz“ zu verhindern. Erst seit 1954 scheint sich im Anschluss an die Begriffsbildung im Völkerrecht der Begriff „Kulturgut“ durchgesetzt zu haben. Denn das Haager Übereinkommen vom 14.5.1954 über den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten benutzt als erstes offizielles Dokument des Völkerrechts diesen Begriff. Das UNESCO-Übereinkommen vom 14.11. 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut übernahm diesen Begriff ebenso wie das UNIDROIT-Übereinkommen vom 24.6.1995 über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter (UNIDROIT). Auch die Europäische Union bedient sich des Begriffs „Kulturgut“ (cultural good bzw. cultural object, bien culturel), und zwar in der VO 3911/‌92 vom 9.12.1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern und in der RL 93/‌7 vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern. In neueren Staatsverträgen wird dagegen der Begriff „Kulturerbe“ (cultural heritage, patrimoine culturel, patrimonio culturale, patrimonio cultural) benutzt. Das begann mit dem UNESCO-Übereinkommen vom 21.11.1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Hier werden im Wesentlichen unbewegliche Sachen geschützt, für die der Begriff „Kulturerbe“ besser passt als „cultural property“ oder „bien culturel“. Dieser Begriff „Kulturerbe“ wird später übernommen, und zwar vom UNESCO-Übereinkommen vom 2.11.2001 über den Schutz des Kulturerbes unter Wasser und vom UNESCO-Übereinkommen vom 17.10.2003 über die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes. In manchen Sprachen wird damit der Irrtum vermieden, bei Kulturgut müsse es sich immer um körperliche Sachen handeln.

Was ein Kulturgut ist und was zum Kulturerbe gehört, sagen die jeweiligen gesetzlichen oder staatsvertraglichen Regelungen selbst. Deshalb erübrigt es sich, eine einheitliche und überall anerkannte Begriffsbestimmung zu versuchen. Ein solcher Versuch wäre im Übrigen vergeblich.

2. Bedeutung im nationalen Recht

Im nationalen Recht spielt das Kulturgut vor allem in viererlei Hinsicht eine Rolle, nämlich im Recht des Denkmalschutzes, beim Schutz von eigenen Kulturgütern vor Abwanderung ins Ausland, bei der Rückgabe unrechtmäßig verbrachter fremder Kulturgüter und beim Schutz von Leihgaben aus dem Ausland vor inländischen Prozessen und Beschlagnahmen.

a) Das Recht des Denkmalschutzes (law of ancient monuments, protection des monuments, tutela dei monumenti) ist in erster Linie öffentliches Recht, und zwar besonderes Verwaltungsrecht mit gewissen Rückwirkungen auf das Privatrecht. So schränkt der Denkmalschutz die Freiheit eines Eigentümers ein, mit seinem unter Denkmalschutz stehenden Objekt nach Belieben zu verfahren. In Gesetzen zum Denkmalschutz finden sich manchmal außerdem Vorschriften über das Schatzregal, wonach Kulturgüter von wissenschaftlichem Wert, die bei Ausgrabungen gefunden werden, Staatseigentum sind.

b) Viele Staaten schützen ihre wichtigen nationalen Kulturgüter vor einer unkontrollierten Abwanderung ins Ausland. Sofern sie das tun (und nicht wie die USA einen solchen Schutz ablehnen), gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann das Verbot der Abwanderung entweder zeitlich hinausschieben oder aber absolut anordnen. Das erste Modell kennt das Vereinigte Königreich. Wenn ein wertvolles nationales Kulturgut, das ins Ausland verkauft wurde, aber nach den Waverley criteria (close connection with British history and national life, or outstanding aesthetic importance, or outstanding significance for the study of some particular branch of art, learning or history) im Lande bleiben sollte, binnen einer festgesetzten Frist nicht für das Inland erworben wird, muss eine Ausfuhrgenehmigung erteilt werden.

Die meisten anderen Staaten haben das andere Modell gewählt, das sie aber sehr unterschiedlich ausgestaltet haben. Während z.B. Deutschland und die Schweiz nur die in eine spezielle Liste aufgenommenen Kulturgüter vor einer ungenehmigten Abwanderung ins Ausland schützen (vgl. das deutsche Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung i.d.F. vom 8.7.1999; Art. 3 und 4 des schweiz. Kulturgütertransfergesetzes vom 20.6.2003), verbieten andere Staaten recht global die Ausfuhr jeden Kulturgutes, das – so z.B. Art. 10 ff. des ital. Codice dei beni culturali e del paesaggio vom 22.1.2004 – von „interesse artistico, storico, archeologico o etnoantropologico“ ist. Zusätzlich zu diesem Schutz werden Kulturgüter zu unveräußerlichen Sachen (res extra commercium, demanio pubblico, domaine public) erklärt, die weder veräußert werden können, noch durch Zeitablauf (Ersitzung oder Verjährung) verloren gehen können. Ob diese Sperre auch im Ausland wirkt, ist bisher verneint worden.

c) Schließlich sehen heute alle EU-Staaten in ihren Gesetzen vor, dass Kulturgüter, die unrechtmäßig aus einem anderen Mitgliedstaat ins Inland verbracht wurden, auf Anforderung in den Herkunftsstaat zurückzugeben sind. Bei diesen Gesetzen handelt sich um die Umsetzung der RL 93/‌7 vom 15.3.1993 (s.u. 4.).

d) Neben diesen europarechtlichen Verpflichtungen haben viele Staaten auf Grund von anerkannten Rechtsprinzipien zugesagt, die Rückgabe gewisser Kulturgüter ernsthaft in Erwägung zu ziehen. So haben die deutsche Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spitzenverbände, gestützt auf die Washingtoner Grundsätze (s.u. 5. g), im Dezember 1999 erklärt, NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz, ausfindig zu machen und den Berechtigten zurückzugeben.

e) Damit Leihgaben aus dem Ausland vor inländischen Prozessen und Beschlagnahmen geschützt sind und damit der ausländische Leihgeber überhaupt zur Ausleihe bewogen werden kann, sehen viele Staaten in ihren Kulturgutgesetzen (vgl. z.B. § 20 des deutschen Gesetzes gegen Abwanderung von Kulturgut, das österreichische Immunitätsgesetz Nr. 133/‌2003; Art. 10 ff. des schweiz. Kulturgütertransfergesetzes) vor, dass der Staat, in den die Ausleihe erfolgt, die Immunität der Leihgaben vor gerichtlichen Hoheitsakten (immunity from seizure) zusichern kann.

3. Bedeutung im internationalen Privatrecht

Bis heute gibt es kein besonderes internationales Privatrecht (IPR) der Kulturgüter. Bewegliche Kulturgüter werden immer noch nach den Regeln des internationalen Sachenrechts behandelt und der lex rei sitae unterworfen. Ob ein Kulturgut überhaupt, gutgläubig oder durch Ersitzung erworben werden kann, richtet sich also nach dem Recht des Staates, in dem das Kulturgut im Zeitpunkt des behaupteten Erwerbs belegen war.

In neuerer Zeit scheint sich eine Wende anzubahnen. Im Jahre 1991 veröffentlichte das Institut de Droit International eine Resolution, wonach sich die Übertragung von Eigentum an einem Kunstwerk nach dem Recht des Herkunftslandes des Werkes richten soll. Auch die Exportverbote dieses Landes sind anzuwenden (Art. 2 und 3 der Resolution, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64 II 403 ff.). Das UNIDROIT-Übereinkommen vom 24.6.1995 hat sich dem in seinem Kapitel 2 angeschlossen (s.u. 5.), und der belg. Code de droit international privé vom 16.7.2004 hat als erstes IPR-Gesetz diesen Gedanken ebenfalls aufgenommen, indem er in seinen Art. 90 und 92 vorsieht, dass für Kulturgüter und gestohlene Sachen das Recht des Herkunftslandes (lex originis) alternativ – je nachdem was für den Schutz der Sache günstiger ist – neben dem Recht des Lagestaates (lex rei sitae) gilt.

4. Bedeutung im Europarecht

Die Europäische Union hat keine selbständige Politik zum Schutz von Kulturgütern. In Art. 30 EG/‌36 AEUV nimmt sie „nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ vom Verbot mengenmäßiger Beschränkungen des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten aus. Den Schutz überlässt die EU den Mitgliedstaaten und stellt nur Instrumente der Union zur Durchsetzung nationalen Kulturgüterschutzes zur Verfügung. Nach der RL 93/‌7 vom 15.3.1993 über die Rückgabe der unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgüter müssen die Mitgliedstaaten und die Staaten des EWR (Island, Liechtenstein, Norwegen) in ihrem Recht vorsehen, dass Kulturgüter anderer Mitgliedstaaten, die nach dem Recht ihres Herkunftsstaates einer staatlichen Verbringungserlaubnis bedürfen, aber ohne eine solche, also unrechtmäßig, ihr Herkunftsland verlassen haben, zurückzugeben sind. Das müssen auch gutgläubige Erwerber tun; sie erhalten jedoch unter Umständen eine Entschädigung.

Die VO 116/‌2009 vom 18.12.2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern regelt die Frage, welcher Mitgliedstaat eine Ausfuhrgenehmigung zu erteilen hat, wenn ein geschütztes nationales Kulturgut in einen Drittstaat exportiert werden soll. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass Kulturgüter eines Mitgliedstaates mit strengen Exportverboten in einen Mitgliedstaat verbracht werden, der den Export liberaler handhabt und deshalb den Export eher gestattet.

5. Bedeutung im Völkerrecht

a) Im Kriegsvölkerrecht war es bis ca. 1800 gang und gäbe, dass der Sieger den Besiegten plündern und bei ihm Beute machen durfte. Erbeutet wurden immer auch Kulturgüter (z.B. ägyptische Obelisken in Rom, Pferde von San Marco/‌ Venedig aus Konstantinopel, Burgunderbeute in Bern, Bibel des Ulfila aus Prag in Uppsala), sofern sie nicht zerstört oder beschädigt wurden. Dieser archaische Zustand änderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, bis diese alten Regeln des Völkergewohnheitsrechts durch die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 und das Haager Abkommen von 1954 nebst seinen Protokollen geändert wurden. Die HLKO verbietet die Zerstörung und die Wegnahme von Privateigentum (Art. 23(1)(g)), untersagt die Beschießung unverteidigter menschlicher Stätten (Art. 25), statuiert ein Plünderungsverbot (Art. 28 und 47) und verbietet die Einziehung von Privateigentum und die Beschlagnahme staatlichen Eigentums, das nicht dem Krieg dient (Art. 53). Speziell auf Kulturgüter geht die HLKO nicht ein. Gleichwohl erfasst die HLKO auch diese; deshalb begründet die Bundesrepublik Deutschland ihren Anspruch gegen Russland auf Rückgabe der sog. Beutekunst mit dem allgemeinen Verbot der Plünderung und des Beutemachens, das mittlerweile Völkergewohnheitsrecht geworden ist und keine Ausnahme in Gestalt einer einseitigen restitution in kind zulässt, und mit Zusagen in bilateralen Staatsverträgen mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, z.B. mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Russland von 1992.

Erst das Haager Abkommen vom 14.5.1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten widmet sich speziell dem Kulturgut, das es in Art. 1 begrifflich festlegt. Es behandelt den Schutz vor Ausbruch von Feindseligkeiten durch Kennzeichnung und Bereitstellung von Bergungsräumen, den Schutz während der Kriegshandlungen und im ersten Protokoll vom 14.5.1954 die Verhinderung des Exports von Kulturgut und die Rückgabe sichergestellten Kulturgutes nach Einstellung der Feindseligkeiten. Das zweite Protokoll vom 26.3.1999 regelt vor allem einen verstärkten Schutz (enhanced protection) von äußerst wichtigem Kulturgut (of greatest importance for humanity), normiert die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Straftaten gegen Kulturgut und verbessert die institutionelle Zusammenarbeit. Leider haben auch diese Vorschriften nicht verhindern können, dass die Bibliothek von Sarajevo 1992 in Flammen aufging, das Nationalmuseum in Bagdad im Jahr 2003 geplündert wurde und auch heute noch archäologische Grabungsstätten im Irak Tummelplatz von Grabräubern sind. Hier sind nicht Feinde am Werk, sondern Angehörige des Herkunftsstaates. In solchen Fällen müssen andere Instrumente eingreifen.

b) Die erste große Konvention des Friedensvölkerrechts zum Kulturgüterschutz ist das UNESCO-Übereinkommen vom 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut. Entstanden zur Zeit der Dekolonialisierung, verpflichtet es in nicht unmittelbar durchsetzbarer Form die Vertragsstaaten, fremde Kulturgüter, die in Art. 1 definiert werden, nicht einzuführen und/‌oder zu erwerben, wenn sie im Herkunftsstaat gestohlen und/‌oder von dort illegal ausgeführt worden sind (Art. 7). Die wenigsten Vertragsstaaten – mit Ausnahme z.B. Deutschlands, der Schweiz und der USA – haben das UNESCO-Übereinkommen in nationales Recht umgesetzt und ihm damit Wirkung verliehen. Obwohl nicht unmittelbar durchsetzbar, hat das Übereinkommen schon vor seinem Inkrafttreten den Kunsthandel insofern verändert, als unter Berufung auf das Übereinkommen der Schmuggel mit Kulturgut als „unanständig“ und „schutzunwürdig“ bezeichnet wurde (BGH 22.6.1972, BGHZ 59, 82 [betrifft Nigeria]). Gleichwohl entfaltete das UNESCO-Übereinkommen nicht die erhofften Wirkungen.

Deshalb wurde das Römische Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (Unidroit) gebeten, eine unmittelbar anwendbare Konvention zum Verbot des Handels mit gestohlenen oder geschmuggelten Kulturgütern auszuarbeiten. Ergebnis dieser Arbeit ist das Unidroit-Übereinkommen vom 24.6. 1995 über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter, das heute (1.1.2009) in 29 Staaten gilt, allerdings nicht in sog. Marktstaaten, die hauptsächlich durch das Übereinkommen angesprochen werden. Das Unidroit-Übereinkommen verbietet den Erwerb von Kulturgütern, die in einem anderen Vertragsstaat gestohlen oder von dort illegal ausgeführt worden sind, und verpflichtet den Erwerber solcher Gegenstände, sie ohne Rücksicht auf seine Gut- oder Bösgläubigkeit an den Herkunftsstaat zurückzugeben. Bei Gutgläubigkeit kann ihm lediglich eine angemessene Entschädigung zugesprochen werden, die der herausfordernde Anspruchsteller zahlen muss.

c) Kulturgut unter Wasser bereitet besondere Probleme; denn dort mag zweifelhaft sein, welcher Staat für den Schutz zuständig ist. Kulturgüter lagern nicht nur im Küstenmeer (territorial sea), sondern auch in der Anschlusszone (contiguous zone), der ausschließlichen Wirtschaftszone (exclusive economic zone), auf dem Festlandsockel (continental shelf) und außerhalb jeglicher nationaler Gewässer auf hoher See (high seas), und deshalb muss die Zuständigkeit für den Schutz der dort lagernden Kulturgüter geregelt werden. Dieser Fragen nimmt sich das UNESCO-Übereinkommen vom 2.11.2001 über den Schutz des Kulturerbes unter Wasser an und bestimmt in seinem Art. 1(1), was es unter „Kulturerbe unter Wasser“ versteht.

d) Auf Grund des UNESCO-Übereinkommens vom 16.11.1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt werden in allen Mitgliedstaaten unter anderem bestimmte, in Listen erfasste Denkmäler (z.B. das Castel del Monte), monumentale Gemälde und Skulpturen (z.B. die Freiheitsstatue in New York) sowie Ensembles (z.B. der Papstpalast in Avignon nebst Umgebung) und Stätten (z.B. das deutsche Wattenmeer) zum Teil des Weltkulturerbes erklärt; den Vertragsstaaten wird aufgegeben, dieses Kulturerbe in ihrem Bestand und ihrer Wertigkeit zu schützen, zu erhalten und die Weitergabe an künftige Generationen sicherzustellen. Außerdem verpflichten sich die Vertragsstaaten, bei ihren Raum-, Personal-, Finanz- und Forschungsplanungen auf ihr Kultur- und Naturerbe Rücksicht zu nehmen. Auf diese Art und Weise entfaltet das Welterbe-Übereinkommen trotz mangelnder unmittelbarer Durchsetzbarkeit doch noch erhebliche Wirkungen, wie der Streit um die Waldschlösschenbrücke bei Dresden in den Jahren 2006/‌7 gezeigt hat.

e) In jüngster Zeit hat man sich auch dem immateriellen Kulturerbe (intangible cultural heritage) zugewandt, und zwar durch das UNESCO-Übereinkommen vom 17.10.2003 über den Schutz des immateriellen Kulturerbes und durch das UNESCO-Übereinkommen vom 20.10.2005 über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Gemeint sind hiermit Fertigkeiten und Praktiken von Völkerschaften und Volksgruppen sowie die Instrumente, mit denen solche Tätigkeiten ausgeübt werden. Hier geht es also nicht mehr um Sachen, sondern um volksprägende Tätigkeiten.

f) Der Europarat hat verschiedene Übereinkommen ausgearbeitet, und zwar zum Schutz des archäologischen Erbes (1969, revidiert 1992) und des architektonischen Erbes (1985) sowie über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut (1985) und über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft (2005). Keines dieser Übereinkommen ist unmittelbar anwendbar. Trotzdem entfalten sie insofern gewisse Wirkungen, als die Kulturverwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten bei ihrem Verwaltungshandeln die Zwecke und Ziele dieser Staatsverträge berücksichtigen und nach Möglichkeit verwirklichen.

g) Neben formellem staatlichen und überstaatlichem Recht gibt es außer den Verhaltenskodizes von Berufsverbänden und Institutionen (z.B. der Code of Professional Ethics des International Council of Museums) auch noch sog. soft law, das als unverbindliche Regelung den jeweiligen Adressaten als Handlungsmaxime ans Herz gelegt wird. Auf dem Gebiet des Kulturgüterrechts am bedeutsamsten sind die Grundsätze der Washingtoner Konferenz vom 3.12.1998, die zwei Jahre später am 5.10.2000 in Vilnius bestätigt und bekräftigt wurden, in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Gestützt auf die Washingtoner Grundsätze haben z.B. die deutsche Bundesregierung, die deutschen Länder und die kommunalen Spitzenverbände in ihrer Erklärung von Dezember 1999 hervorgehoben, dass sie alles tun werden, um das NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgut aufzufinden und den Berechtigten zurückzugeben. Eine Handreichung von Februar 2001 (überarbeitet im November 2007) setzt diese Erklärung von Dezember 1999 um.

6. Zukunft des Kulturgüterschutzes

Es fehlt nicht an nationalen, übernationalen und internationalen Instrumenten zum Schutz von Kulturgut. Auch die freiwillige und formlose Zusammenarbeit staatlicher Behörden hat zugenommen und ist verbessert worden. Der Handel mit Kulturgütern hat einerseits besondere Regeln zu befolgen und wird andererseits von vielen Staaten liberaler als bisher gehandhabt. Leihgaben aus dem Ausland werden vor Beschlagnahme und Rechtsstreitigkeiten im Gastland geschützt. Trotzdem sieht die Zukunft des Kulturgüterschutzes nicht allzu rosig aus. Kriege und lokale Konflikte bedrohen Kulturdenkmäler, Museen und Bibliotheken. Die Finanznot der Staaten bewirkt, dass der staatliche Kulturgüterschutz vermindert und Privatleuten überlassen wird. Naturkatastrophen und Umweltverschmutzung führen zu schweren Verlusten, und ein zunehmender Tourismus bedroht das kulturelle Erbe der Nationen. Schließlich steht es mit der Durchsetzung rechtlicher Normen des Kulturgüterschutzes nicht zum Besten. Geldmangel und zunehmende Mobilität sowie neue Kommunikationsmittel (Handel mit Kulturgut über das Internet) erschweren eine wirksame Überwachung erheblich.

Literatur

Patrick O’Keefe, Lyndel V. Prott, Law and the Cultural Heritage, Bd. 1, 1984 und Bd. 3, 1989; Kurt Siehr, International Art Trade and the Law, Recueil des cours 243 (1993-VI) 9 ff.; Guido Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objects d’art, 1997; John Henry Merryman, Thinking About the Elgin Marbles, Critical Essays on Cultural Property, Art and Law, 2000; Wojciech Kowalski, Restitution of Works of Art pursuant to Private and Public International Law, Recueil des Cours 288 (2001) 9 ff.; Mariano J. Aznar Gómez, La protección internacional del patrimonio cultural subacuátic 2004; Haimo Schack, Kunst und Recht, 2004; Kerstin Odendahl, Kulturgüterschutz: Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005; Ralph E. Lerner, Judith Bresler, Art Law, The Guide for Collectors, Investors, Dealers, and Artists, 3 Bde., 3. Aufl. 2005; Sarah Dromgoole (Hg.), The Protection of the Underwater Cultural Heritage, 2. Aufl. 2006; Jeanette Greenfield, The Return of Cultural Property, 3. Aufl. 2007; Rudolf Stich, Wolfgang E. Burhenne, Karl-Wilhelm Porger, Denkmalrecht der Länder und des Bundes (Loseblatt); Leonard DuBoff, Michael D. Murray, Christy O. King, The Deskbook of Art Law, 2 Bde. (Loseblatt).

Abgerufen von Kulturgüter – HWB-EuP 2009 am 29. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).