Testamentsvollstreckung und Testierfreiheit: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Anatol Dutta]]''
von ''[[Inge Kroppenberg]]''
== 1. Begriff und Abgrenzung; Funktion; Ursprünge ==
== 1. Testierfreiheit als zentrales Prinzip des Erbrechts ==
<nowiki>„Let’s talk of graves, of worms, and epitaphs; [m]ake dust our paper and with rainy eyes [w]rite sorrow on the bosom of the earth, [l]et’s choose executors and talk of wills“. </nowiki>Dass ''Richard&nbsp;II'' in ''William Shakespeares'' gleichnamigem Königsdrama (III.&nbsp;Aufzug, 2.&nbsp;Szene) die Wahl des Testamentsvollstreckers mit der Testamentserrichtung ([[Testament]]) in einem Atemzug nennt, unterstreicht die Bedeutung eines Erbrechtsinstituts, das die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch als „dunkeles Institut“ bezeichnet haben, in das der Gesetzgeber Klarheit zu bringen habe (Motive&nbsp;V, 236). Der Klarheit bedürfen aus rechtsvergleichender Sicht zunächst der ''Begriff ''der Testamentsvollstreckung und die ''Abgrenzung'' zu anderen Instituten. Die Testamentsvollstreckung bezeichnet die vom Erblasser angeordnete, freiwillige Fremdverwaltung des Nachlasses durch einen Dritten. Die Testamentsvollstreckung ist daher insbesondere von Formen der zwingenden Fremdverwaltung des Nachlasses zu unterscheiden. So sieht etwa das englische Recht eine Fremdverwaltung durch einen ''personal representative'' des Erblassers vor, selbst wenn der Erblasser keine Testamentsvollstreckung angeordnet hat (sec. 33 Abs. 1 ''Administration of Estates Act 1925''). Ähnliche Regelungen finden sich ansatzweise auch in anderen Rechtsordnungen. Etwa wird nach portugiesischem Recht der ungeteilte Nachlass bei der Miterbengemeinschaft zunächst von einem ''Cabeça-de-casal'' verwaltet, einem Erbverwalter aus dem Kreis der Miterben (Art.&nbsp;2079&nbsp;ff. ''Código civil''). Auch finden sich in einigen Rechtsordnungen amtliche Nachlasspflegschaften, die wie etwa die deutsche Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz (§§&nbsp;1975&nbsp;ff. BGB; §§&nbsp;315&nbsp;ff. InsO) oder die französische ''administration de la succession mandataire successoral désigné en justice'' (Art.&nbsp;813-1&nbsp;ff. ''Code civil'') vornehmlich die Befriedigung der Nachlassgläubiger und den Schutz des Nachlasses oder der Erben sicherstellen sollen.
Die Testierfreiheit ist neben der Familienerbfolge ([[Pflichtteilsrecht]]) und der [[Universalsukzession]] ein fundamentales Prinzip des [[Erbrecht]]s. Es ist in allen Erbrechtsordnungen anerkannt. Abhängig von der jeweiligen Ausprägung der familiären Partizipation am Nachlass variiert das Maß an Testierfreiheit jedoch erheblich.


Die Testamentsvollstreckung kann verschiedene ''Funktionen ''erfüllen, die sich teilweise mit denen der zwingenden Fremdverwaltung des Nachlasses überschneiden. Zunächst kann eine Testamentsvollstreckung vom Erblasser angeordnet werden, um die Nachlassabwicklung zu erleichtern, etwa bei der Auseinandersetzung innerhalb der Erbengemeinschaft oder bei der Bereinigung von Nachlassverbindlichkeiten; nicht der unerfahrene Erbe, sondern der erfahrene Testamentsvollstrecker wickelt den Nachlass ab. Vor allem aber kann der Erblasser mit der Testamentsvollstreckung die Durchsetzung seiner letztwilligen Verfügungen sichern, insbesondere soweit sie wie etwa Auflagen und [[Vermächtnis]]se den Erben belasten; der gebundene Erbe wird vom Testamentsvollstrecker als Vertrauensperson des Erblassers überwacht. Zudem kann der Erblasser mit der Testamentsvollstreckung eine postmortale Vermögensbindung herbeiführen; der Erblasser, und nicht der Erbe, entscheidet mittels des Testamentsvollstreckers über die Verwaltung des Nachlasses und kann hinsichtlich des Nachlasses seine Vorstellungen über den Tod hinaus perpetuieren – eine Funktion, die auch anderen Instituten, vor allem der [[Vor- und Nacherbschaft]], innewohnt.
Die Testierfreiheit ist ein individuelles Freiheitsrecht, das dem Erblasser die Befugnis einräumt, zu bestimmen, wer nach seinem Tod Träger seines Vermögens werden und Rechte darauf oder daran erwerben soll. Sie ist das erbrechtliche Gegenstück zur Vertragsfreiheit unter Lebenden und das bestimmende Prinzip der rechtsgeschäftlichen oder so genannten gewillkürten [[Erbfolge]]. Der Begriff Testierfreiheit verweist auf das zentrale rechtsgeschäftliche Instrument zu deren Ausübung: das [[Testament]]. Es ist der Prototyp eines einseitigen Rechtsgeschäfts, das keinen Adressaten hat. Das zweiseitige erbrechtliche Rechtsgeschäft, der [[Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament|Erbvertrag]] oder das ''pactum successorium'', steht dagegen traditionell weniger im Mittelpunkt der Testierfreiheit. In der romanischen Rechtsfamilie wird es wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (''contra bonos mores'') sogar als unwirksam angesehen.


Die Testamentsvollstreckung hat ihre ''Ursprünge'' im mittelalterlichen Recht, wo sie insbesondere durch die kirchliche Rechtspraxis gefördert wurde. Der Testamentsvollstrecker sollte die Erfüllung von Zuwendungen zu frommen Zwecken überwachen. Allerdings existieren auch frühere Vorläufer der Testamentsvollstreckung. Im [[römisches Recht|römischen Recht]], das die Testamentsvollstreckung als eigenständiges Institut nicht kannte, konnte der Erblasser auf anderem Wege die Zwecke der heutigen Testamentsvollstreckung erreichen; die [[Testierfreiheit]] gestattete es dem Erblasser etwa, einen Treuhänder zur Durchführung seiner letztwilligen Verfügungen zu bestellen. Auch im offenbar testamentslosen germanischen Recht konnte sich der Erblasser von der Familiengebundenheit des Erbrechts durch eine Verfügung unter Lebenden zugunsten eines Treuhänders lösen, der den Willen des Erblassers durchsetzte.
Im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden ist die Testierfreiheit das „willkürlichere“ Recht, weil sie ausschließlich auf den Willen ''einer'' handelnden Person, des testierenden Erblassers, bezogen ist. Das zeigt sich insbesondere in dessen Freiheit, testamentarische Anordnungen jederzeit und ohne Angabe von Gründen widerrufen, das heißt ändern, aufheben und vernichten sowie wieder neu treffen zu können. Das Erbrecht rechnet damit, dass der von Todes wegen Verfügende von seiner Testierfreiheit zu Lebzeiten mehrfach Gebrauch macht und hält nur den „letzten (geäußerten) Willen“ für rechtsverbindlich. Dieser Gedanke kommt bereits in Ulp. D.&nbsp;34.4.4 (lib. 33 ad Sab.) zum Ausdruck (''[[Corpus Juris Civilis]]''). Der Text lautet im einschlägigen Abschnitt: ''Ambulatoria enim est voluntas defuncti usque ad vitae supremum exitum'' („Wandelbar ist der Wille des Menschen bis zum Lebensende“).


== 2. Anordnung der Testamentsvollstreckung ==
== 2. Geschichte der Testierfreiheit ==
Die Testamentsvollstreckung als freiwillige Fremdverwaltung wird regelmäßig durch eine Verfügung von Todes wegen begründet. Bemerkenswert ist daher das englische Erbrecht, das im Falle einer gesetzlichen [[Erbfolge]] – also ohne Anordnung des Erblassers – vorsieht, dass der ''personal representative'' auch nach Abschluss der zwingenden Nachlassverwaltung Teile des Nachlasses für bestimmte Erben als ''trustee'' hält (sec. 46 Abs. 1, 47 Abs. 1 ''Administration of Estates Act 1925''). Die Bestimmung der Person des Fremdverwalters obliegt vorrangig dem Erblasser. Um dem Erblasserwillen aber möglichst Wirksamkeit zu verleihen, begünstigen einige Rechtsordnungen die Bestimmung des Testamentsvollstreckers. Im deutschen Recht etwa kann der Erblasser als Ausnahme zum Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit (§&nbsp;2065 BGB) die Bestimmung des Testamentsvollstreckers einem Dritten, einem anderen Testamentsvollstrecker oder dem Gericht überlassen (§§ 2198&nbsp;ff. BGB). Der Testamentsvollstrecker muss regelmäßig bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Zahlreiche Rechtsordnungen schließen explizit Personen von der Testamentsvollstreckung aus, die zum Zeitpunkt des Amtsantritts in ihrer [[Geschäftsfähigkeit]] oder Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten beschränkt sind. Zur Testamentsvollstreckung kann freilich niemand gezwungen werden. Voraussetzung der Testamentsvollstreckung ist regelmäßig die Annahme des Amtes oder zumindest das Verstreichenlassen einer Ausschlagungsfrist.
Historisch ist die Testierfreiheit gegenüber der Familienerbfolge das jüngere erbrechtliche Prinzip. Den germanischen Rechten war sie als Rechtsgrundsatz fremd. Das Vermögen des Hausvaters und Erblassers war gesamthänderisch gebundenes Familienvermögen. In der Verfügung darüber war er sowohl zu Lebzeiten wie auch von Todes wegen erheblich beschränkt. Erbrechtlich kamen zunächst die Söhne als so genannte Hauserben zum Zug. Nicht der Mensch, sondern Gott schafft Erben, brachte ''Tacitus'' diesen Zusammenhang auf den Punkt: ''Heredem tamen successoremque sui cuique liberi'','' et nullum testamentum'' (Germania, Kap. XX). Unter kirchenrechtlichem Einfluss trat später noch das gesetzliche Erbrecht der Ehefrau hinzu. Die Familienbindung des Erblassers war in den germanischen Rechten damit umfassend.


== 3. Stellung des Testamentsvollstreckers  ==
Der Ursprung der Testierfreiheit lag in Rom. Sie entwickelte sich im römischen Recht aus der älteren Erbfolge der Hauserben (''sui heredes''). Historisch stand sie zunächst nicht in dem Gegensatz, in den Testierfreiheit und Familienerbfolge heute gerne gerückt werden. Das hatte mit der bäuerlichen Bodenstruktur der frühen römischen Gesellschaft zu tun. Sie konnte durch die Beerbung unrentabel werden, wenn viele Familienmitglieder zu versorgen waren. Außerdem drohte sie dadurch zu zersplittern, dass jeder Hausgenosse die Teilung verlangen konnte. In der Folgezeit räumte das römische Recht seinen Erblassern Testierfreiheit ein, um den Grundbesitz auf einen Alleinerben zu übertragen und zugleich die finanzielle Absicherung der übrigen Hausgenossen zu regeln. Die Entwicklung traf sich mit der Abkehr von der bäuerlich-grundherrlichen Lebens- und Wirtschaftsform zugunsten einer Stadtkultur, dem Übergang zu Handel, Geldverkehr und anderen Formen der Kapitalbildung sowie dem politischen Erstarken Roms zum Weltreich. Die Entscheidung über die Vermögensnachfolge eines Erblassers nahm an Komplexität zu.
Charakteristisch für die Regelungen der Testamentsvollstreckung ist die Stellung des Testamentsvollstreckers. Von geringerer praktischer Bedeutung ist dabei die Frage, inwieweit der Testamentsvollstrecker dogmatisch als Treuhänder, als Vertreter des Erblassers, der Erben oder gar des Nachlasses oder als Träger eines privaten Amtes handelt. Entscheidend ist vielmehr die konkrete Ausgestaltung seiner ''Befugnisse''. Die Stellung des Testamentsvollstreckers unterscheidet sich in den europäischen Rechtsordnungen. Dennoch ist eine Tendenz zur Stärkung des Testamentsvollstreckers zu beobachten.


Jedenfalls formal am stärksten ist die Position des Testamentsvollstreckers in Systemen, in denen der Testamentsvollstrecker treuhänderi-scher Rechtsinhaber des Nachlasses wird. Im englischen Recht etwa geht der Nachlass auf den ''personal representative'' über, der als vom Erblasser bestimmter ''executor'' oder vom Gericht bestellter ''administrator'' den Nachlass als ''trustee'' hält ([[Trust und Treuhand|''Trust'' und Treuhand]]), wobei der ''personal representative'' über den Nachlass verfügen kann (sec. 33 Abs. 1 ''Administration of Estates Act 1925''). Er begleicht die Nachlassverbindlichkeiten und überträgt anschließend den Überschuss auf den Erben. Der Erbe nimmt eine Position ein, die einem Vermächtnisnehmer vergleichbar ist, insbesondere kann er vor der Abwicklung nicht über Nachlassgegenstände verfügen, sondern hat lediglich ein anwartschaftsähnliches Recht auf Erwerb des Nachlasses.
Seit der jüngeren Republik war die Testierfreiheit das beherrschende Prinzip der Erbfolge. Die Testamentserrichtung war für einen Angehörigen der Oberschicht ein sittliches Gebot. Erbrechtliche Zuwendungen an die ''familia'' oder jedenfalls die nächsten Angehörigen wurden von ihm erwartet. Testierfreiheit und familiäre Teilhabe am Nachlass waren immer noch keine Gegensätze. Erst in den Wirren der ausgehenden Republik gerieten diese Überzeugungen zunehmend ins Wanken. Pflichtwidrige Testamente (''testamenta inofficiosa''), in denen nächste Angehörige übergangen wurden, kamen häufig vor. Das Recht reagierte: Neben der ''bonorum possessio contra tabulas'' wurde mit der ''querela inofficiosi testamenti'' ein zweites Institut geschaffen, das der Erblasserwillkür den Gedanken der Familienerbfolge entgegensetzte ([[Pflichtteilsrecht]]). Damit war das Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit und der erbrechtlichen Partizipation der [[Familie]], wie es die Erbrechtsordnungen bis in die Gegenwart – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – kennzeichnet, im Grundsatz angelegt.


Ähnlich stark ausgeprägt ist die Position des Testamentsvollstreckers in Rechtsordnungen, in denen der Testamentsvollstrecker zwar nicht treuhänderischer Rechtsinhaber des Nachlasses wird, aber während der Dauer seines Amtes mit weitgehenden Befugnissen in Bezug auf den Nachlass ausgestattet wird, die ihn in die Nähe eines Treuhänders rücken, und – je nach Ausgestaltung – dem Erben als Rechtsnachfolger für die Dauer der Testamentsvollstreckung lediglich ein ''nudum ius'' belassen. So darf der Testamentsvollstrecker zur Ausführung der letztwilligen Verfügungen des Erblasser und zur Verwaltung des Nachlasses etwa in Deutschland, Griechenland, Italien, Lettland, den Niederlanden, Polen, Portugal, der Schweiz, Slowenien und Spanien – aufgrund Gesetzes, aufgrund Anordnung des Erblassers oder aufgrund gerichtlicher Zustimmung – regelmäßig den Nachlass in Besitz nehmen, über Nachlassgegenstände verfügen sowie Verbindlichkeiten für den Nachlass eingehen. Die starke Stellung des Testamentsvollstreckers zeigt sich in diesen Rechtsordnungen auch im Prozess. Die Prozessführung über ein der Testamentsvollstreckung unterliegendes Recht obliegt regelmäßig (zumindest auch) dem Testamentsvollstrecker (vgl. etwa §§&nbsp;2212&nbsp;f. BGB; Art.&nbsp;2025&nbsp;f. griech. ZGB; Art.&nbsp;704 ''Codice civile''<nowiki>; Art.&nbsp;4:145 Abs.&nbsp;2 BW; Art.&nbsp;986 §&nbsp;2 poln. ZGB). Die treuhandähnliche Position des Testamentsvollstreckers spiegelt sich in diesen Systemen zudem in der Person des Erben wider. Teilweise darf der Erbe während der Testamentsvollstreckung nicht über Gegenstände verfügen, die der Verwaltung </nowiki>des Testamentsvollstreckers unterliegen (siehe §&nbsp;2211 BGB; Art.&nbsp;1947 Abs.&nbsp;2, 1961 Abs.&nbsp;2 griech. ZGB; Art.&nbsp;4:144 Abs.&nbsp;1 BW). Der Erbe hat oftmals lediglich einen Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker auf Freigabe nicht mehr benötigter Nachlassgegenstände (§&nbsp;2217 BGB; Art.&nbsp;707 ''Codice civile''<nowiki>; siehe auch Art.&nbsp;623&nbsp;f. lett. ZGB). Auch können Gläubiger des Erben nicht auf den Nachlass zugreifen (§&nbsp;2214 BGB).</nowiki>
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit verstetigte es sich – und zwar in der Tendenz durchaus mit einer Betonung der Testierfreiheit nicht nur in England, sondern auch in Kontinentaleuropa. Dazu trug das Kirchenrecht nicht unerheblich bei. Es förderte die Verfügungsbefugnis von Todes wegen, indem es Klerikern gestattete, über den beweglichen Teil ihres Vermögens nicht familiengebunden zu disponieren. Bei Laien nannte man dies „Seel-“ oder „Freiteil“. Dabei handelte es sich nicht um erbrechtliche Verfügungen, sondern um lebzeitige Schenkungen ''ad pias causas'', so genannte Vergabungen, die unter dem Vorbehalt lebenslangen Nießbrauchs des Schenkers standen oder durch den Tod des Vergabenden aufschiebend bedingt waren. Mit der Anerkennung des „Freiteils“ wurde einerseits die Vorstellung aufgegeben, dass das Familiengut eine rechtliche Einheit darstelle und kein Familienmitglied, auch nicht der Hausvater, ohne Zustimmung der anderen Hausgenossen darüber verfügen könne. Andererseits stimulierte das Kirchenrecht mit dem „Freiteil“ zugleich die moralische Pflicht des Erblassers, auf eine bestimmte verantwortungsbewusste Weise zu testieren. Während der „Freiteil“ nämlich ursprünglich nur wohltätige Verfügungen umfasste, wurden später auch Zuwendungen an den König, an Verwandte und an den Ehegatten des Erblassers zugelassen. Dieses besondere Verständnis der Testierfreiheit setzte sich bis zum 16.&nbsp;Jahrhundert durch und blieb bis in die Moderne hinein präsent.


Eine schwache Position besitzt der Testamentsvollstrecker dagegen in Systemen, die selbst bei angeordneter Testamentsvollstreckung eine zusätzliche Fremdverwaltung vorsehen. Das gilt insbesondere für das österreichische Recht. Hier ist der Nachlass zunächst ein ruhendes Sondervermögen, das erst durch das gerichtliche Verfahren der Einantwortung (§&nbsp;797 ABGB) auf die Erben übertragen wird, nachdem die Bereinigung der Nachlassverbindlichkeiten sichergestellt ist. Das Abhandlungsgericht ernennt ggf. einen Verlassenschaftskurator, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht. Neben dieser gerichtlichen Nachlassabwicklung kann der private Fremdverwalter nur eine kleine Rolle spielen. Zwar ist auch in Österreich eine Testamentsvollstreckung möglich (§&nbsp;816 ABGB), allerdings erschöpft sich die Position des Testamentsvollstreckers in seiner Rolle als zusätzlicher Kontrolleur der Erben ohne besondere Rechtsmacht.
Im Zeitalter des [[Naturrecht|Natur-]] und Vernunftrechts verband es sich zudem mit der individualistischen Eigentumstheorie ([[Eigentum]]). Die Testierfreiheit wurde nun als erbrechtliche Fortsetzung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Eigentümers gesehen. Das bürgerliche Zeitalter griff die frühneuzeitliche Arbeitswertheorie ''John Lockes ''auf, nach der Arbeit und Leistung die Faktoren sind, die das private Eigentum begründen. Der erbrechtliche Erwerb wurde auf diese Weise als unverdient, weil arbeitslos delegitimiert ([[Erbrecht]]) – und die Testierfreiheit über die Verbindung zur Eigentümerfreiheit mit ihr. Im 19.&nbsp;Jahrhundert gerieten die Erbrechte Kontinentaleuropas deswegen in eine Krise. Über ihre Abschaffung als Relikt eines veralteten, statusbezogenen Rechtssystems wurde erbittert gestritten. Im englischen Recht war von einer ähnlichen Erschütterung nichts zu spüren. Hier blieb die Testierfreiheit vor allem deshalb ein grundsätzlich unangefochtenes Prinzip, weil es historisch weder mit der Familie verbunden noch als bloße Fortsetzung des Eigentums unter Lebenden verstanden wurde. Vielmehr war und ist das gängige Konzept der Testierfreiheit im ''[[common'' ''law'' das eines individuellen und originären Freiheits- und Gestaltungsrechts des Erblassers.


Bewusst schwach ist die Stellung des Testamentsvollstreckers in Rechtsordnungen ausgestaltet, die einer postmortalen Bindung der Erben grundsätzlich kritisch gegenüber stehen. So sind die Befugnisse des Testamentsvollstreckers vor allem in den vom ''bisherigen'' Erbrecht des französischen ''Code civil'' beeinflussten Rechtsordnungen begrenzt, insbesondere auf die Sicherung und Inventarisierung des Nachlasses (bei abwesenden oder minderjährigen Erben), auf die Herbeiführung des Verkaufs der Fahrnis (soweit dies zur Erfüllung von Vermächtnissen erforderlich ist) und auf die Überwachung des Vollzugs des Testaments (siehe Art.&nbsp;1031 Abs.&nbsp;1–4 belg. u. luxem. ''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;1031 Abs.&nbsp;1–4 </nowiki>''Code civil''&nbsp;a.F.; Art.&nbsp;916 Abs.&nbsp;1–4 rumän. ''Codul civil''). Der Erblasser kann die Position des ''exécuteur testamentaire'' allenfalls dadurch stärken, dass er dem Testamentsvollstrecker durch besondere Verfügung die sog. ''saisine'', d.h. das Besitzrecht, hinsichtlich des ''beweglichen'' Nachlasses zuweist, um die Erfüllung von Vermächtnissen sicherzustellen (Art.&nbsp;1026 frz. ''Code civil''&nbsp;a.F.; siehe auch Art.&nbsp;1026 belg. u. luxem. ''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;911 rumän. </nowiki>''Codul civil''). Dieses beschränkte Besitzrecht ist zudem, wie sogleich zu sehen sein wird (s.u. 3.), zeitlich begrenzt. Allerdings deutet sich auch in diesen skeptischen Rechtsordnungen eine Stärkung des Testamentsvollstreckers an. Zunächst wurden im neuen französischen Erbrecht die Befugnisse des ''exécuteur ''behutsam erweitert. Der Erblasser kann dem Testamentsvollstrecker etwa nunmehr auch die Befugnis erteilen, unbewegliche Nachlassgegenstände zu veräußern, soweit keine Noterben vorhanden sind (Art.&nbsp;1030-1 ''Code civil''). Bemerkenswert ist aber vor allem die neu geschaffene ''administration de la succession par un mandataire'' (Art.&nbsp;812&nbsp;ff. ''Code civil''). Dem Erblasser wird gestattet, im Wege einer postmortalen notariellen Vollmacht die Verwaltung des Nachlasses einer natürlichen oder juristischen Person als ''mandataire'' zu übertragen, wenn ein ernsthaftes und in Bezug auf die Person eines Erben oder des Nachlasses legitimes Interesse nachgewiesen wird. Diese vom Erblasser angeordnete Nachlassverwaltung ähnelt einer Testamentsvollstreckung in Rechtsordnungen mit Treuhand- oder treuhandähnlicher Position des Vollstreckers, zumal das ''mandat'' nicht ohne Weiteres vom Erben widerrufen werden kann.
== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Im 20.&nbsp;Jahrhundert näherten sich die kontinentaleuropäischen Erbrechtsordnungen dem englischen Konzept an. Die Testierfreiheit hat sich zusammen mit dem Erbrecht wieder konsolidiert. Sie gehört nicht nur zum gesicherten Bestand der nationalen Zivilrechtsordnungen. Sie wird in einigen Staaten, zum Beispiel in Deutschland, Spanien und Italien sowie in den meisten osteuropäischen Ländern auch verfassungsrechtlich gewährleistet. Soweit die Verfassungen zum Erbrecht Regelungen enthalten, ist die traditionelle Verbindung von Eigentümer- und Testierfreiheit erhalten geblieben. Zivilrechtlich ist namentlich in Deutschland eine Rückbesinnung auf die Testierfreiheit als bestimmendes Prinzip der Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes zu beobachten.


In den meisten Rechtsordnungen ist das Pflichtenverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe auftragsähnlich ausgestaltet. Der Vollstrecker kann Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Einige Systeme gewähren dem Vollstrecker einen Anspruch auf angemessene Vergütung (vgl. §&nbsp;2221 BGB; Art.&nbsp;2027 griech. ZGB; Art.&nbsp;4:144 Abs.&nbsp;2 BW; Art.&nbsp;989 §&nbsp;1 poln. ZGB; Art.&nbsp;2079, 2333 port. ''Código civil''<nowiki>; Art.&nbsp;517 Abs.&nbsp;2 schweiz. ZGB), andere nur unter bestimmten Voraussetzungen (Art.&nbsp;1033-1 frz. </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;711 </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Art.&nbsp;628 lett. ZGB; Art.&nbsp;97 Abs.&nbsp;2 slow. </nowiki>Erbschaftsgesetz; Art.&nbsp;908 span. ''Código civil''). Der Testamentsvollstrecker haftet bei Pflichtverletzungen gegenüber dem Erben. Er ist regelmäßig jedenfalls nach Beendigung seines Amtes zur Rechnungslegung verpflichtet. Zur Legitimation kann der Testamentsvollstrecker in einigen Rechtsordnungen vom Nachlassgericht ähnlich einem Erbschein ([[Erbnachweis]]) ein Zeugnis über sein Amt ausgestellt bekommen (§&nbsp;2368 BGB; vgl. auch Art.&nbsp;819 griech. ZPO). Teilweise hat ein beglaubigtes Testament oder die gerichtliche Bestätigung des Amtes (z.B. ''grant of probate'') eine vergleichbare Wirkung.
Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist aus dem Familienerbrecht Bewegung in das rechtsgeschäftliche Erbrecht gekommen. Die familienerbrechtliche Beschränkung der Testierfreiheit wird abgebaut. Der Trend geht in Europa – auch in Frankreich, das traditionell als der Exponent eines materiellen Noterbrechts naher Familienangehöriger gilt – hin zur „moderneren Lösung“ (''Dieter'' ''Leipold'') des Geldpflichtteils ([[Pflichtteilsrecht]]). Der Übergang auf das Kompensationsmodell stärkt die Testierfreiheit, weil es die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen, die nahe Familienangehörige von der Erbfolge ausschließt, unberührt lässt und den Ausgleich stattdessen in einem Geldanspruch sucht.


== 4. Beendigung der Testamentsvollstreckung ==
Die Testierfreiheit selbst wird heute weniger pflichtgebunden interpretiert als noch in der jüngeren Vergangenheit. Eine Gesinnungskontrolle des von Todes wegen Verfügenden findet nicht mehr statt. Die Inhaltskontrolle von Verfügungen von Todes wegen ist an ihre Stelle getreten. Sie wird allerdings immer zurückhaltender ausgeübt. Die Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit beschränkt sich auf extreme Ausnahmefälle. Dafür konzentriert sich etwa die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland im Gefolge der ''Hohenzollern''-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH 2.12.1998, BGHZ 140, 118) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 22.3.2004, NJW 2004, 2088) stärker auf ein Themenfeld, das in der englischen Rechtsordnung mit ihrer Konzentration auf die Testierfreiheit traditionell im Mittelpunkt der Betrachtung steht: die Frage nach der Unwirksamkeit von erbrechtlichen Verfügungen wegen Verstoßes ''contra bonos mores'', die auf der Verletzung von Diskriminierungsverboten beruht''.'' In Kontinentaleuropa ist diese Entwicklung eingebettet in die zunehmende „Konstitutionalisierung“ der (Erb&#8209;)Rechtsordnungen
Die Testamentsvollstreckung ist grundsätzlich als vorübergehender Zustand konzipiert. Sie erlischt mit Erledigung der Aufgaben des Vollstreckers, d.h. vor allem der Ausführung der letztwilligen Verfügungen des Erblassers, oder mit Ablauf einer vom Erblasser bestimmten Frist. Allerdings gestatten einige Rechtsordnungen dem Erblasser, die Fremdverwaltung über längere Zeit auszudehnen und den Testamentsvollstrecker ausschließlich oder nach Erledigung anderer Aufgaben zur Verwaltung des Nachlasses zu beauftragen. Zum Teil geschieht dies durch eine zeitliche Ausdehnung der Testamentsvollstreckung durch besondere Anordnung des Erblassers (etwa §&nbsp;2209 BGB. Andere Rechtsordnungen halten für eine dauerhafte Fremdverwaltung des Nachlasses besondere Rechtsinstitute neben der Testamentsvollstreckung parat, etwa das niederländische Recht das ''testamentair bewind'' (Art.&nbsp;4:153&nbsp;ff. BW) oder das englische Recht den (''testamentary'') ''trust'' ([[Trust und Treuhand|''Trust'' und Treuhand]]), wobei der ''trustee'' in der Praxis oftmals zugleich der ''executor'' ist. Jedoch gilt für die Dauerfremdverwaltung meist eine zeitliche Höchstgrenze, insbesondere um eine dauerhafte postmortale Vermögensbindung zu verhindern: In Deutschland etwa erlischt die Dauertestamentsvollstreckung 30&nbsp;Jahre nach dem Erbfall; jedoch kann der Erblasser anordnen, dass die Vollstreckung bis zum Tod des Erben oder des Testamentsvollstreckers oder bis zum Eintritt eines anderen Ereignisses in der Person des einen oder anderen fortdauern soll (§&nbsp;2210 S.&nbsp;1 und 2 BGB). Diese Erweiterung endet jedoch jedenfalls mit dem Tode des letzten Testamentsvollstreckers, der innerhalb von 30&nbsp;Jahren seit dem Erbfall zum Testamentsvollstrecker ernannt wurde (BGH, 5.12.2007, BGHZ 174, 346). Die Wirkungen einer postmortalen Vermögensbindung werden im ''[[common law]]'' traditionell durch die sog. ''rule against perpetuities'' auf 21&nbsp;Jahre nach dem Tod einer im Zeitpunkt der bedingten Zuwendung lebenden Person beschränkt. Andere Rechtsordnungen sind restriktiver. In den vom bisherigen französischen Erbrecht beeinflussten Rechtsordnungen etwa besteht das Besitzrecht des Testamentsvollstreckers hinsichtlich des beweglichen Nachlasses (s. soeben 3.) maximal ein Jahr und einen Tag nach dem Tod des Erblassers, wobei der Erbe das Besitzrecht des Testamentsvollstreckers durch Zahlung einer entsprechenden Summe vorzeitig beenden kann (Art.&nbsp;1026&nbsp;f. frz''. Code civil'' a.F.; Art.&nbsp;1026&nbsp;f. belg. u. luxem. ''Code civil''<nowiki>; Art.&nbsp;911&nbsp;f. rumän. </nowiki>''Codul civil''). Nach neuem französischen Recht sind die Testamentsvollstreckung sowie die neu eingeführte ''administration de la succession par un mandataire'' grundsätzlich auf zwei Jahre begrenzt, können aber gerichtlich verlängert werden (Art.&nbsp;1032; Art.&nbsp;812-1-1 Abs.&nbsp;2 ''Code civil''<nowiki>; siehe auch Art.&nbsp;1031 </nowiki>''Code civil''). Auch das italienische Recht gestattet nur eine regelmäßige Dauer der Verwaltung von einem Jahr, danach ist nur noch eine Überwachung der Erben durch den Testamentsvollstrecker möglich (Art.&nbsp;703 Abs.&nbsp;3 ''Codice civile''). Keinerlei zeitliche Bindungswirkung für die Erben enthält die Testamentsvollstreckung im ungarischen Recht; hier können offenbar die Erben die durch den Erblasser angeordnete Fremdverwaltung stets widerrufen (§&nbsp;79 Abs.&nbsp;2 ung. Nachlassverfahrensverordnung).


Zudem endet das Amt des Testamentsvollstreckers regelmäßig mit dessen Tod, in einigen Rechtsordnungen auch, wenn der Vollstrecker in einen Zustand gerät, in dem seine Ernennung unwirksam gewesen wäre. Zudem kann der Testamentsvollstrecker in zahlreichen Rechtsordnungen sein Amt kündigen sowie aufgrund eines wichtigen Grundes entlassen werden.
== 4. Gesellschaftliche Entwicklungen ==
Gesellschaftlich muss der tendenzielle Bedeutungsverlust des Familienerbrechts ebenso wie der Funktionsgewinn der Testierfreiheit vor dem Hintergrund mehrerer Entwicklungen gedeutet werden, die das moderne Europa kennzeichnen. Der demografische Wandel führt dazu, dass immer mehr Menschen immer älter werden und erbrechtlich über mehr Vermögen verfügen können. Die Rede von der „Erbengesellschaft“ ist im kontinentaleuropäischen Raum bereits sprichwörtlich. Zugleich müssen sich die Erbrechtsordnungen vermehrt mit den spezifischen Problemen auseinandersetzen, die das hohe Alter von Erblassern auf die Wirksamkeit ihrer Verfügungen von Todes wegen haben kann.


== 5. Einheitsrecht; Gemeinschaftsrecht ==
Für den anglo-amerikanischen Raum wurde allerdings bereits in den 1980er Jahren ein Rückgang bei den Verfügungen von Todes wegen festgestellt. Hier treten nicht selten lebzeitige Rechtsgeschäfte auf den Todesfall (so genannte ''will substitutes'') an die Stelle erbrechtlicher Verfügungen. Erklären dürfte sich dieser Befund zunächst aus einem Umstand, der für Kontinentaleuropa genauso zutreffen dürfte wie für England. Vermögen haben heute Bestandteile, die sich besser lebzeitig transferieren lassen als erbrechtlich. Das gilt namentlich für das Feld des so genannten Humankapitals. Als Besonderheit des englischen ''law of succession'' kommt hinzu, dass testamentarisch keine Erbeinsetzung in Bezug auf die Gesamtheit oder eines Teils des Vermögens getroffen werden kann, sondern stets nur Anordnungen in Bezug auf einzelne Vermögenszuwendungen. Sie können genauso gut Gegenstand eines lebzeitigen Rechtsgeschäfts auf den Todesfall wie einer Verfügung von Todes wegen sein. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis kommt es zu dieser Konkurrenz mit den Verfügungen von Todes wegen nicht im gleichen Maße. Denn nur mit erbrechtlichen Rechtsgeschäften lässt sich über das Vermögen als Ganzes oder Teile davon verfügen. Insoweit hat die Verfügung von Todes wegen in Kontinentaleuropa durchaus ein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings lässt sich feststellen, dass auch ein kontinentaleuropäischer Erblasser angesichts der vielfältigen lebzeitigen Instrumentarien, die ein modernes ''estate planning'' heute bietet, auf den erbrechtlichen Erwerb weniger angewiesen ist als in früheren Zeiten.
Besondere Herausforderungen stellen sich bei der grenzüberschreitenden Testamentsvollstreckung. Die Befugnisse eines Fremdverwalters im Ausland sind oft ungewiss. Bisher wurden diese Probleme nicht durch eine Vereinheitlichung des Sachrechts oder Erbkollisionsrechts (siehe [[Erbrecht, internationales]]) in Angriff genommen. Vielmehr versucht das Haager Nachlassverwaltungsübereinkommen von 1973, das nur für Portugal, Tschechien und die Slowakei in Kraft getreten ist, durch einen internationalen Fremdverwalternachweis die grenzüberschreitende Fremdverwaltung zu erleichtern. Der Nachweis gibt nicht nur Auskunft über die Person des Fremdverwalters, sondern auch über dessen Befugnisse (Art.&nbsp;1(1)). Das Zertifikat wird von den Gerichten am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ausgestellt (Art.&nbsp;2), wobei diese Gerichte grundsätzlich ihr eigenes Sachrecht anwenden (Art.&nbsp;3). Das Zertifikat wird in den Vertragsstaaten anerkannt (Art.&nbsp;9&nbsp;ff.) und entfaltet insbesondere eine Gutglaubensfunktion (Art.&nbsp;22&nbsp;f.).


Besondere Vorschriften für die Testamentsvollstreckung finden sich im Gemeinschaftsrecht bisher nicht. Allerdings hat das primäre Gemeinschaftsrecht vor allem in Gestalt der Grundfreiheiten Einfluss auf die Tätigkeit von Fremdverwaltern im Binnenmarkt. Diese können sich auf die Dienstleistungsfreiheit des Art.&nbsp;49 EG/‌56 AEUV berufen. So liegt etwa nach der Entscheidung des EuGH in ''Hubbard'' eine nach Art.&nbsp;49 EG/‌56 AEUV verbotene unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vor, „wenn ein Mitgliedstaat von einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der als Testamentsvollstrecker eine Klage vor einem inländischen Gericht erhebt, die Zahlung einer Prozesskostensicherheit verlangt, während eine solche Voraussetzung für seine Staatsangehörigen nicht gilt“ (EuGH Rs.&nbsp;C-20/‌1992 – ''Hubbard'', Slg. 1993, I-3777, Rn.&nbsp;14). Der Bezug zum Erbrecht wird für die Eröffnung der Grundfreiheiten als unschädlich erachtet (EuGH a.a.O. Rn.&nbsp;19&nbsp;f.). Auch die Stellung des Testamentsvollstreckers im sekundären Gemeinschaftsrecht war bereits Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Der Gerichtshof urteilte, dass der Testamentsvollstrecker für Zwecke des harmonisierten Umsatzsteuerrechts nicht einem Rechtsanwalt vergleichbar ist (EuGH Rs.&nbsp;C-401/‌06 – ''Kommission/‌Deutschland'', Slg. 2007, I-10609). Diese Entscheidung begründet der EuGH vor allem mit der Stellung des Testamentsvollstreckers; er vertrete nicht die Interessen des Erblassers im eigentlichen Sinne, sondern vollziehe einen festgelegten Willen, dessen Interpret er sei; auch bleibe der Testamentsvollstrecker den Erben gegenüber neutral (EuGH a.a.O. Rn.&nbsp;37).
Was jedoch generell für eine zunehmende Bedeutung der Testierfreiheit im kontinentaleuropäischen und im anglo-amerikanischen Rechtsraum spricht, ist die Tatsache, dass sich das soziale Lebensumfeld von Erblassern hier wie dort zunehmend komplexer gestaltet. Das zeigt sich deutlich an der Auflösung des traditionellen (Kern&#8209;)Familienbegriffs, der die eheliche Beziehung von Mann und Frau beschreibt, die gemeinschaftliche Kinder haben ([[Familie]]). Er hat einem facettenreichen Familienbild Platz gemacht, das die Konzentration auf verschieden geschlechtliche eheliche Paare mit leiblichen Abkömmlingen zugunsten eines weiteren Familienkonzepts des Zusammenlebens mit Kindern aufzugeben im Begriff ist. Nichteheliche Lebensgemeinschaften und rechtlich verfestigte Partnerschaften homosexueller Personen haben sich als gesellschaftlich akzeptierte Lebensformen zur ehelichen hinzu gesellt. Die „Patchwork“-Familie integriert unter Umständen Kinder aus mehreren früheren Beziehungen beider Partner. Der Vielfalt und Komplexität der einzelnen Lebensentwürfe wird die Testierfreiheit mit ihrem persönlichen Gestaltungspotenzial am besten gerecht. Es nimmt nicht Wunder, dass sich ein effektives kautelarjuristisches ''estate planning'', das lebzeitige und erbrechtliche Instrumente individuell kombiniert, den beschriebenen Veränderungen in den Lebensverhältnissen der Erblasser bereits angenommen hat. Verfügungen von Todes wegen sind dabei ein wichtiger Bestandteil. Die Testierfreiheit – nicht die klassische Familienerbfolge – dürfte das zukunftsweisende Prinzip eines einheitlichen europäischen Erbrechts sein.
 
== 5. Testierfreiheit als Prinzip eines optionalen Einheitsrechts ==
Die zentrale Stellung, die der Testierfreiheit auf dem Weg zu einem europäischen Erbrecht zukommt, haben die ersten kollisionsrechtlichen Vereinheitlichungsbestrebungen bereits erkannt ([[Erbrecht, internationales]]). Mit dem Prinzip der Testierfreiheit dürfte aber auch eine Säule eines künftigen materiellen optionalen Erbrechts auf europäischer Ebene gefunden sein ([[Erbrecht]]). Gegenwärtig wird die Entwicklung einer Verfügung von Todes wegen des europäischen Rechts diskutiert, die Erblasser frei wählen dürfen sollen. Es wird sich dabei wohl nur um eine testamentarische Verfügung handeln können. Denn namentlich die Rechtsordnungen des romanischen Rechtskreises, etwa die Frankreichs, Italiens und Spaniens, aber auch die Belgiens, Englands und der Niederlande stehen dem Erbvertrag als erbrechtlichem Rechtsgeschäft entweder skeptisch gegenüber oder lassen ihn erst gar nicht zu. Und diejenigen Rechtsordnungen, die den Erbvertrag als erbrechtliches Verfügungsinstrument kennen (etwa Dänemark, Deutschland, Österreich), tun sich traditionell schwer mit dessen dogmatischer Konstruktion.


==Literatur==
==Literatur==
''Wolfgang Siebert'', Testamentsvollstrecker, in: Franz Schlegelberger (Hg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes, Bd.&nbsp;VI, 1938, 561&nbsp;ff.; ''Erich Lang'', Der Testamentsvollstrecker in den ausländischen Rechten und seine rechtliche Stellung im deutschen Rechtsgebiet, 1959, 11&nbsp;ff.; ''Alexander Beck'', Historisches und Rechtsvergleichendes zur Stellung des Willensvollstreckers, in: Pio Caroni, Josef Hofstetter (Hg.), Itinera iuris: Arbeiten zum römischen Recht und seinem Fortleben, 1980, 285&nbsp;ff.; ''Marius Berenbrok'', Internationale Nachlaßabwicklung, 1989, 159&nbsp;ff.; ''Carsten Thomas Ebenroth'', Erbrecht, 1992, 465&nbsp;ff.; ''Karlheinz Muscheler'', Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung, 1994, 17&nbsp;ff.; ''Astrid Offergeld'', Die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers, 1995, 194&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', Heres Fiduciarius? Rise and Fall of the Testamentary Executor, in: Richard Helmholz, idem (Hg.), Itinera Fiduciae: Trust and Treuhand in Historical Perspective, 1998, 267&nbsp;ff.; ''Ulrich Haas'', Internationale Testamentsvollstreckung, in: Manfred Bengel, Wolfgang Reimann (Hg.), Handbuch der Testamentsvollstreckung, 3.&nbsp;Aufl. 2001, 429&nbsp;ff.; ''Murad Ferid'','' Karl Firsching'', ''Heinrich Dörner'','' Rainer Hausmann'' (Hg.), Internationales Erbrecht, 9 Bde. (Loseblatt), 1955&nbsp;ff.
''Franz Wieacker'', Hausgenossenschaft und Erbeinsetzung: Über die Anfänge des römischen Testaments, 1940; ''Lawrence M. Friedman'', The law of the living, the law of the dead: property, succession and society, Wisconsin Law Review 29 (1966) 340&nbsp;ff.; ''John Langbein'', The nonprobate revolution and the future of the law of succession, Harvard Law Review 97 (1984) 1108&nbsp;ff.; ''idem'', The twentieth-century revolution in family wealth transmission, Michigan Law Review 86 (1988) 722&nbsp;ff.; ''Dieter Henrich'', ''Dieter Schwab'' (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich: Beiträge zum europäischen Familienrecht, 2001; ''Nina Dethloff'', Familien- und Erbrecht zwischen nationaler Rechtskultur, Vergemeinschaftung und Internationalität: Perspektiven für die Forschung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 992&nbsp;ff.; ''Kenneth G.C. Reid'','' Marius J. de Waal'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), Exploring the Law of Succession, 2007; ''Inge Kroppenberg'', Privatautonomie von Todes wegen: Verfassungs- und zivilrechtliche Grundlagen der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden, 2008.


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Version vom 14. September 2016, 12:38 Uhr

von Inge Kroppenberg

1. Testierfreiheit als zentrales Prinzip des Erbrechts

Die Testierfreiheit ist neben der Familienerbfolge (Pflichtteilsrecht) und der Universalsukzession ein fundamentales Prinzip des Erbrechts. Es ist in allen Erbrechtsordnungen anerkannt. Abhängig von der jeweiligen Ausprägung der familiären Partizipation am Nachlass variiert das Maß an Testierfreiheit jedoch erheblich.

Die Testierfreiheit ist ein individuelles Freiheitsrecht, das dem Erblasser die Befugnis einräumt, zu bestimmen, wer nach seinem Tod Träger seines Vermögens werden und Rechte darauf oder daran erwerben soll. Sie ist das erbrechtliche Gegenstück zur Vertragsfreiheit unter Lebenden und das bestimmende Prinzip der rechtsgeschäftlichen oder so genannten gewillkürten Erbfolge. Der Begriff Testierfreiheit verweist auf das zentrale rechtsgeschäftliche Instrument zu deren Ausübung: das Testament. Es ist der Prototyp eines einseitigen Rechtsgeschäfts, das keinen Adressaten hat. Das zweiseitige erbrechtliche Rechtsgeschäft, der Erbvertrag oder das pactum successorium, steht dagegen traditionell weniger im Mittelpunkt der Testierfreiheit. In der romanischen Rechtsfamilie wird es wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (contra bonos mores) sogar als unwirksam angesehen.

Im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden ist die Testierfreiheit das „willkürlichere“ Recht, weil sie ausschließlich auf den Willen einer handelnden Person, des testierenden Erblassers, bezogen ist. Das zeigt sich insbesondere in dessen Freiheit, testamentarische Anordnungen jederzeit und ohne Angabe von Gründen widerrufen, das heißt ändern, aufheben und vernichten sowie wieder neu treffen zu können. Das Erbrecht rechnet damit, dass der von Todes wegen Verfügende von seiner Testierfreiheit zu Lebzeiten mehrfach Gebrauch macht und hält nur den „letzten (geäußerten) Willen“ für rechtsverbindlich. Dieser Gedanke kommt bereits in Ulp. D. 34.4.4 (lib. 33 ad Sab.) zum Ausdruck (Corpus Juris Civilis). Der Text lautet im einschlägigen Abschnitt: Ambulatoria enim est voluntas defuncti usque ad vitae supremum exitum („Wandelbar ist der Wille des Menschen bis zum Lebensende“).

2. Geschichte der Testierfreiheit

Historisch ist die Testierfreiheit gegenüber der Familienerbfolge das jüngere erbrechtliche Prinzip. Den germanischen Rechten war sie als Rechtsgrundsatz fremd. Das Vermögen des Hausvaters und Erblassers war gesamthänderisch gebundenes Familienvermögen. In der Verfügung darüber war er sowohl zu Lebzeiten wie auch von Todes wegen erheblich beschränkt. Erbrechtlich kamen zunächst die Söhne als so genannte Hauserben zum Zug. Nicht der Mensch, sondern Gott schafft Erben, brachte Tacitus diesen Zusammenhang auf den Punkt: Heredem tamen successoremque sui cuique liberi, et nullum testamentum (Germania, Kap. XX). Unter kirchenrechtlichem Einfluss trat später noch das gesetzliche Erbrecht der Ehefrau hinzu. Die Familienbindung des Erblassers war in den germanischen Rechten damit umfassend.

Der Ursprung der Testierfreiheit lag in Rom. Sie entwickelte sich im römischen Recht aus der älteren Erbfolge der Hauserben (sui heredes). Historisch stand sie zunächst nicht in dem Gegensatz, in den Testierfreiheit und Familienerbfolge heute gerne gerückt werden. Das hatte mit der bäuerlichen Bodenstruktur der frühen römischen Gesellschaft zu tun. Sie konnte durch die Beerbung unrentabel werden, wenn viele Familienmitglieder zu versorgen waren. Außerdem drohte sie dadurch zu zersplittern, dass jeder Hausgenosse die Teilung verlangen konnte. In der Folgezeit räumte das römische Recht seinen Erblassern Testierfreiheit ein, um den Grundbesitz auf einen Alleinerben zu übertragen und zugleich die finanzielle Absicherung der übrigen Hausgenossen zu regeln. Die Entwicklung traf sich mit der Abkehr von der bäuerlich-grundherrlichen Lebens- und Wirtschaftsform zugunsten einer Stadtkultur, dem Übergang zu Handel, Geldverkehr und anderen Formen der Kapitalbildung sowie dem politischen Erstarken Roms zum Weltreich. Die Entscheidung über die Vermögensnachfolge eines Erblassers nahm an Komplexität zu.

Seit der jüngeren Republik war die Testierfreiheit das beherrschende Prinzip der Erbfolge. Die Testamentserrichtung war für einen Angehörigen der Oberschicht ein sittliches Gebot. Erbrechtliche Zuwendungen an die familia oder jedenfalls die nächsten Angehörigen wurden von ihm erwartet. Testierfreiheit und familiäre Teilhabe am Nachlass waren immer noch keine Gegensätze. Erst in den Wirren der ausgehenden Republik gerieten diese Überzeugungen zunehmend ins Wanken. Pflichtwidrige Testamente (testamenta inofficiosa), in denen nächste Angehörige übergangen wurden, kamen häufig vor. Das Recht reagierte: Neben der bonorum possessio contra tabulas wurde mit der querela inofficiosi testamenti ein zweites Institut geschaffen, das der Erblasserwillkür den Gedanken der Familienerbfolge entgegensetzte (Pflichtteilsrecht). Damit war das Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit und der erbrechtlichen Partizipation der Familie, wie es die Erbrechtsordnungen bis in die Gegenwart – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – kennzeichnet, im Grundsatz angelegt.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit verstetigte es sich – und zwar in der Tendenz durchaus mit einer Betonung der Testierfreiheit nicht nur in England, sondern auch in Kontinentaleuropa. Dazu trug das Kirchenrecht nicht unerheblich bei. Es förderte die Verfügungsbefugnis von Todes wegen, indem es Klerikern gestattete, über den beweglichen Teil ihres Vermögens nicht familiengebunden zu disponieren. Bei Laien nannte man dies „Seel-“ oder „Freiteil“. Dabei handelte es sich nicht um erbrechtliche Verfügungen, sondern um lebzeitige Schenkungen ad pias causas, so genannte Vergabungen, die unter dem Vorbehalt lebenslangen Nießbrauchs des Schenkers standen oder durch den Tod des Vergabenden aufschiebend bedingt waren. Mit der Anerkennung des „Freiteils“ wurde einerseits die Vorstellung aufgegeben, dass das Familiengut eine rechtliche Einheit darstelle und kein Familienmitglied, auch nicht der Hausvater, ohne Zustimmung der anderen Hausgenossen darüber verfügen könne. Andererseits stimulierte das Kirchenrecht mit dem „Freiteil“ zugleich die moralische Pflicht des Erblassers, auf eine bestimmte verantwortungsbewusste Weise zu testieren. Während der „Freiteil“ nämlich ursprünglich nur wohltätige Verfügungen umfasste, wurden später auch Zuwendungen an den König, an Verwandte und an den Ehegatten des Erblassers zugelassen. Dieses besondere Verständnis der Testierfreiheit setzte sich bis zum 16. Jahrhundert durch und blieb bis in die Moderne hinein präsent.

Im Zeitalter des Natur- und Vernunftrechts verband es sich zudem mit der individualistischen Eigentumstheorie (Eigentum). Die Testierfreiheit wurde nun als erbrechtliche Fortsetzung der lebzeitigen Verfügungsfreiheit des Eigentümers gesehen. Das bürgerliche Zeitalter griff die frühneuzeitliche Arbeitswertheorie John Lockes auf, nach der Arbeit und Leistung die Faktoren sind, die das private Eigentum begründen. Der erbrechtliche Erwerb wurde auf diese Weise als unverdient, weil arbeitslos delegitimiert (Erbrecht) – und die Testierfreiheit über die Verbindung zur Eigentümerfreiheit mit ihr. Im 19. Jahrhundert gerieten die Erbrechte Kontinentaleuropas deswegen in eine Krise. Über ihre Abschaffung als Relikt eines veralteten, statusbezogenen Rechtssystems wurde erbittert gestritten. Im englischen Recht war von einer ähnlichen Erschütterung nichts zu spüren. Hier blieb die Testierfreiheit vor allem deshalb ein grundsätzlich unangefochtenes Prinzip, weil es historisch weder mit der Familie verbunden noch als bloße Fortsetzung des Eigentums unter Lebenden verstanden wurde. Vielmehr war und ist das gängige Konzept der Testierfreiheit im [[common law das eines individuellen und originären Freiheits- und Gestaltungsrechts des Erblassers.

3. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Im 20. Jahrhundert näherten sich die kontinentaleuropäischen Erbrechtsordnungen dem englischen Konzept an. Die Testierfreiheit hat sich zusammen mit dem Erbrecht wieder konsolidiert. Sie gehört nicht nur zum gesicherten Bestand der nationalen Zivilrechtsordnungen. Sie wird in einigen Staaten, zum Beispiel in Deutschland, Spanien und Italien sowie in den meisten osteuropäischen Ländern auch verfassungsrechtlich gewährleistet. Soweit die Verfassungen zum Erbrecht Regelungen enthalten, ist die traditionelle Verbindung von Eigentümer- und Testierfreiheit erhalten geblieben. Zivilrechtlich ist namentlich in Deutschland eine Rückbesinnung auf die Testierfreiheit als bestimmendes Prinzip der Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes zu beobachten.

Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist aus dem Familienerbrecht Bewegung in das rechtsgeschäftliche Erbrecht gekommen. Die familienerbrechtliche Beschränkung der Testierfreiheit wird abgebaut. Der Trend geht in Europa – auch in Frankreich, das traditionell als der Exponent eines materiellen Noterbrechts naher Familienangehöriger gilt – hin zur „moderneren Lösung“ (Dieter Leipold) des Geldpflichtteils (Pflichtteilsrecht). Der Übergang auf das Kompensationsmodell stärkt die Testierfreiheit, weil es die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen, die nahe Familienangehörige von der Erbfolge ausschließt, unberührt lässt und den Ausgleich stattdessen in einem Geldanspruch sucht.

Die Testierfreiheit selbst wird heute weniger pflichtgebunden interpretiert als noch in der jüngeren Vergangenheit. Eine Gesinnungskontrolle des von Todes wegen Verfügenden findet nicht mehr statt. Die Inhaltskontrolle von Verfügungen von Todes wegen ist an ihre Stelle getreten. Sie wird allerdings immer zurückhaltender ausgeübt. Die Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit beschränkt sich auf extreme Ausnahmefälle. Dafür konzentriert sich etwa die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland im Gefolge der Hohenzollern-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH 2.12.1998, BGHZ 140, 118) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 22.3.2004, NJW 2004, 2088) stärker auf ein Themenfeld, das in der englischen Rechtsordnung mit ihrer Konzentration auf die Testierfreiheit traditionell im Mittelpunkt der Betrachtung steht: die Frage nach der Unwirksamkeit von erbrechtlichen Verfügungen wegen Verstoßes contra bonos mores, die auf der Verletzung von Diskriminierungsverboten beruht. In Kontinentaleuropa ist diese Entwicklung eingebettet in die zunehmende „Konstitutionalisierung“ der (Erb‑)Rechtsordnungen

4. Gesellschaftliche Entwicklungen

Gesellschaftlich muss der tendenzielle Bedeutungsverlust des Familienerbrechts ebenso wie der Funktionsgewinn der Testierfreiheit vor dem Hintergrund mehrerer Entwicklungen gedeutet werden, die das moderne Europa kennzeichnen. Der demografische Wandel führt dazu, dass immer mehr Menschen immer älter werden und erbrechtlich über mehr Vermögen verfügen können. Die Rede von der „Erbengesellschaft“ ist im kontinentaleuropäischen Raum bereits sprichwörtlich. Zugleich müssen sich die Erbrechtsordnungen vermehrt mit den spezifischen Problemen auseinandersetzen, die das hohe Alter von Erblassern auf die Wirksamkeit ihrer Verfügungen von Todes wegen haben kann.

Für den anglo-amerikanischen Raum wurde allerdings bereits in den 1980er Jahren ein Rückgang bei den Verfügungen von Todes wegen festgestellt. Hier treten nicht selten lebzeitige Rechtsgeschäfte auf den Todesfall (so genannte will substitutes) an die Stelle erbrechtlicher Verfügungen. Erklären dürfte sich dieser Befund zunächst aus einem Umstand, der für Kontinentaleuropa genauso zutreffen dürfte wie für England. Vermögen haben heute Bestandteile, die sich besser lebzeitig transferieren lassen als erbrechtlich. Das gilt namentlich für das Feld des so genannten Humankapitals. Als Besonderheit des englischen law of succession kommt hinzu, dass testamentarisch keine Erbeinsetzung in Bezug auf die Gesamtheit oder eines Teils des Vermögens getroffen werden kann, sondern stets nur Anordnungen in Bezug auf einzelne Vermögenszuwendungen. Sie können genauso gut Gegenstand eines lebzeitigen Rechtsgeschäfts auf den Todesfall wie einer Verfügung von Todes wegen sein. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis kommt es zu dieser Konkurrenz mit den Verfügungen von Todes wegen nicht im gleichen Maße. Denn nur mit erbrechtlichen Rechtsgeschäften lässt sich über das Vermögen als Ganzes oder Teile davon verfügen. Insoweit hat die Verfügung von Todes wegen in Kontinentaleuropa durchaus ein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings lässt sich feststellen, dass auch ein kontinentaleuropäischer Erblasser angesichts der vielfältigen lebzeitigen Instrumentarien, die ein modernes estate planning heute bietet, auf den erbrechtlichen Erwerb weniger angewiesen ist als in früheren Zeiten.

Was jedoch generell für eine zunehmende Bedeutung der Testierfreiheit im kontinentaleuropäischen und im anglo-amerikanischen Rechtsraum spricht, ist die Tatsache, dass sich das soziale Lebensumfeld von Erblassern hier wie dort zunehmend komplexer gestaltet. Das zeigt sich deutlich an der Auflösung des traditionellen (Kern‑)Familienbegriffs, der die eheliche Beziehung von Mann und Frau beschreibt, die gemeinschaftliche Kinder haben (Familie). Er hat einem facettenreichen Familienbild Platz gemacht, das die Konzentration auf verschieden geschlechtliche eheliche Paare mit leiblichen Abkömmlingen zugunsten eines weiteren Familienkonzepts des Zusammenlebens mit Kindern aufzugeben im Begriff ist. Nichteheliche Lebensgemeinschaften und rechtlich verfestigte Partnerschaften homosexueller Personen haben sich als gesellschaftlich akzeptierte Lebensformen zur ehelichen hinzu gesellt. Die „Patchwork“-Familie integriert unter Umständen Kinder aus mehreren früheren Beziehungen beider Partner. Der Vielfalt und Komplexität der einzelnen Lebensentwürfe wird die Testierfreiheit mit ihrem persönlichen Gestaltungspotenzial am besten gerecht. Es nimmt nicht Wunder, dass sich ein effektives kautelarjuristisches estate planning, das lebzeitige und erbrechtliche Instrumente individuell kombiniert, den beschriebenen Veränderungen in den Lebensverhältnissen der Erblasser bereits angenommen hat. Verfügungen von Todes wegen sind dabei ein wichtiger Bestandteil. Die Testierfreiheit – nicht die klassische Familienerbfolge – dürfte das zukunftsweisende Prinzip eines einheitlichen europäischen Erbrechts sein.

5. Testierfreiheit als Prinzip eines optionalen Einheitsrechts

Die zentrale Stellung, die der Testierfreiheit auf dem Weg zu einem europäischen Erbrecht zukommt, haben die ersten kollisionsrechtlichen Vereinheitlichungsbestrebungen bereits erkannt (Erbrecht, internationales). Mit dem Prinzip der Testierfreiheit dürfte aber auch eine Säule eines künftigen materiellen optionalen Erbrechts auf europäischer Ebene gefunden sein (Erbrecht). Gegenwärtig wird die Entwicklung einer Verfügung von Todes wegen des europäischen Rechts diskutiert, die Erblasser frei wählen dürfen sollen. Es wird sich dabei wohl nur um eine testamentarische Verfügung handeln können. Denn namentlich die Rechtsordnungen des romanischen Rechtskreises, etwa die Frankreichs, Italiens und Spaniens, aber auch die Belgiens, Englands und der Niederlande stehen dem Erbvertrag als erbrechtlichem Rechtsgeschäft entweder skeptisch gegenüber oder lassen ihn erst gar nicht zu. Und diejenigen Rechtsordnungen, die den Erbvertrag als erbrechtliches Verfügungsinstrument kennen (etwa Dänemark, Deutschland, Österreich), tun sich traditionell schwer mit dessen dogmatischer Konstruktion.

Literatur

Franz Wieacker, Hausgenossenschaft und Erbeinsetzung: Über die Anfänge des römischen Testaments, 1940; Lawrence M. Friedman, The law of the living, the law of the dead: property, succession and society, Wisconsin Law Review 29 (1966) 340 ff.; John Langbein, The nonprobate revolution and the future of the law of succession, Harvard Law Review 97 (1984) 1108 ff.; idem, The twentieth-century revolution in family wealth transmission, Michigan Law Review 86 (1988) 722 ff.; Dieter Henrich, Dieter Schwab (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich: Beiträge zum europäischen Familienrecht, 2001; Nina Dethloff, Familien- und Erbrecht zwischen nationaler Rechtskultur, Vergemeinschaftung und Internationalität: Perspektiven für die Forschung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 992 ff.; Kenneth G.C. Reid, Marius J. de Waal, Reinhard Zimmermann (Hg.), Exploring the Law of Succession, 2007; Inge Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen: Verfassungs- und zivilrechtliche Grundlagen der Testierfreiheit im Vergleich zur Vertragsfreiheit unter Lebenden, 2008.

Abgerufen von Testamentsvollstreckung – HWB-EuP 2009 am 19. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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