Rezeption und Unionsbürgerschaft: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Gebhard Rehm]]''
von ''[[Norbert Reich]]''
== 1. Begriff ==
== 1. Umdeutung wirtschaftlicher Freiheiten in Bürgerrechte ==
=== a) Allgemeines ===
Die [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] des [[EG-Vertrag]]es, insb. solche mit personenrechtlichen Gehalt, sind bereits in der frühen Rspr. des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] erweiternd zugunsten nicht ökonomisch tätiger EG-Bürger angewendet worden. Dies geschah durch eine weite Auslegung des [[Diskriminierungsverbot (allgemein)|Diskriminierungsverbots]] hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Art. 12 EG/18 AEUV und durch eine Erweiterung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten in „Empfängerrechte“ oder, in deutscher Terminologie, „passive Freiheiten“, die auch Privatpersonen zugute kommen. Der „Anwendungsbereich“ der Römischen Verträge wird dadurch erheblich erweitert und mittelbar zu Bürgerrechten „ohne Markt“ umgestaltet. Hierzu rechnen etwa: (i) das diskriminierungsfreie Zugangsrecht von Touristen (EG-Bürgern) zu Museen (EuGH Rs. C-45/93 – ''Kommission/ Spanien'', Slg. 1994, I-911); (ii) das Verbot der Einführung einseitig restriktiver Zugangbedingungen oder der Erhebung zusätzlicher Einschreibgebühren für EG-ausländische Studierende in Einrichtungen der universitären (Berufs‑)ausbildung (EuGH Rs. 293/83 – ''Gravier'','' ''Slg.1985, 593; EuGH Rs. 24/86 – ''Blaizot'','' ''Slg. 1988, 379), allerdings ohne Anrecht auf Gleichbehandlung bei Stipendien oder sonstige Förderleistungen (EuGH Rs. 197/86 – ''Brown/Secretary of State for Scotland'', Slg. 1988, 3205; EuGH Rs. 39/86 – ''Lair/Universität Hannover'', Slg. 1988, 3161); (iii) das Verbot der Diskriminierung bei Leistungen des Opferschutzes für EWG-Touristen (EuGH Rs. 186/87 – ''Cowan'', Slg. 1989, 195); (iv) die Freizügigkeit für Verbraucher hinsichtlich des Bargeldtransfers zum Empfang von Gesundheitsleistungen im EWG-Ausland (EuGH Rs. ''Luisi & Carbone'', Slg. 1984, 377).
Rezeption beschreibt ein nahezu allgegenwärtiges juristisches Phänomen: Ein Rechtssystem entlehnt Rechtsregeln, ‑institutionen oder gar ein ganzes Rechtsgebiet einer fremden Rechtsordnung. Damit geht häufig einher, dass der Rezeptionsstaat sich auch an einem bestimmten Stil oder der Methodik des Vorbildrechtssystems orientiert. Die Übernahme des römisch-kanonischen Rechts ([[römisches Recht]], [[kanonisches Recht]]) in Europa ab dem 12. Jahrhundert (sog. Frührezeption), die im 15. und 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt (sog. Voll- bzw. Hauptrezeption) erreichte, die Gesetze der US-Bundesstaaten, die nach der Unabhängigkeit zur Anwendung englischen Rechts ermächtigten (sog. ''reception statutes''), die Verbreitung des Rechts der Kolonialmächte in den unterworfenen Territorien („imposition“) sind ebenso Beispiele für Rezeptionsvorgänge wie der Einfluss der westlichen Rechtsordnungen in den Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas und Asiens nach den politischen und rechtlichen Reformen der frühen 1990er Jahre.  


Während man die Orientierung an einem älteren, nicht mehr in Kraft befindlichen Recht (z.B. die Rezeption des römischen Rechts in Europa) als „vertikale Rezeption“ bezeichnen kann, liefert bei „horizontaler Rezeption“ geltendes Recht die Anregung. Die Unterscheidung zwischen beiden Arten der Rezeption erscheint sinnvoll, um die tendenziell unterschiedlichen Wirkungsfaktoren – insbesondere auch die Rolle der Vorbildrechtsordnung, die im Falle der vertikalen Rezeption naturgemäß passiv ist – begrifflich zu würdigen. Beide Typen von Rezeption sind freilich nicht stets genau zu unterscheiden, etwa wenn ein Staat sich an einer Rechtsordnung orientiert, die ihrerseits das Recht einer nicht mehr existenten Rechtsordnung rezipiert hat.
Die RL 90/365, RL 90/364 sowie RL 93/96 kodifizierten in gewisser Weise diese Rechte für Pensionäre, sonstige Bürger, und Studierende, richten sich aber primär an den Staat oder andere staatliche Träger wie Universitäten, Sozialversicherungseinrichtungen, Gemeinden. Ein spezifisch privatrechtlicher Gehalt kam und kommt ihnen nicht zu.


=== b) Umfang der Rezeption ===
Eine gewisse Ausnahme von diesem speziell gegen staatliche Diskriminierungen und Beschränkungen gerichteten Rechtszustand machte das ''Namensrecht'', das in den meisten europäischen Rechtsordnungen dem Privatrecht zugeordnet ist und in Kollisionsfällen nach Regeln des [[Internationales Privatrecht|IPR]] koordiniert wird, die nicht gemeinschaftlich vereinheitlich sind. In der Rechtssache ''Konstantinidis'' (EuGH Rs. C-168/91, Slg. 1993, I-1191) ging es um die Schreibweise eines griechischen Bürgers, der in Deutschland tätig war. Die zuständige deutsche Behörde verlangte eine lateinische Transliteration, die den in der Öffentlichkeit bekannten Namen in gewisser Weise verstümmelt hätte. GA ''Francis Geoffrey Jacobs'' argumentierte in seinen Schlussanträgen vom 9.12.1992 bereits damals mit einem allumfassenden, grundrechtsähnlichen europäischen Bürgerrecht auf den eigenen Namen, während der EuGH etwas fiktiv auf die Bedeutung des Namens für einen selbständig Tätigen hinwies, der sich deshalb unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit gegen Verstümmelung durch Transliterationsregeln wenden könne, die ihn einer Gefahr der „Personenverwechslung bei seinen potentiellen Kunden“ aussetzt.
Zumeist beschränkt sich Rezeption auf einzelne Rechtsgebiete bzw. einzelne Rechtsideen oder Institutionen. Dies ist etwa bei der ''[[Business judgment rule|business judgment rule]]'' im deutschen Gesellschaftsrecht zu beobachten. In Ausnahmefällen kommt es allerdings auch zu einer Totalrezeption. Herausragendes Beispiel ist die vollständige türkische Übernahme des [[schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen Zivilgesetzbuches]] und [[schweizerisches Obligationenrecht|schweizerischen Obligationenrecht]]s im Jahre 1926 ([[Türkisches Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht|Türkisches Zivilgesetzbuch]] und Obligationenrecht). Zwischen diesen beiden Extremen steht etwa der inspiratorische Einfluss des französischen ''[[Code civil]]'' und des deutschen [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] auf zahlreiche europäische und außereuropäische Rechtsordnungen, der weder zu wortgleichen Kopien geführt hat, noch lediglich an einzelnen Rechtsregeln erkennbar ist.  


=== c) Gegenstand der Rezeption ===
== 2. „Unionsbürgerschaft“ als „Grundrecht“ ökonomisch inaktiver Unionsbürger ==
Rezeption geht häufig damit einher, dass der Rezeptionsstaat sich auch an einem bestimmten Stil oder der Methodik des Vorbildrechtssystems orientiert. Sie ist nicht auf die Übernahme von Gesetzesrecht beschränkt, sondern erfasst auch die Übernahme von Fallrecht, wenngleich solche Anleihen häufig weniger offensichtlich sind. Zur besseren Erfassung von Rezeptionsvorgängen hat insbesondere der schottische Rechtswissenschaftler ''Alan Watson'' den Begriff der „Rechtstransplantation“ in die Diskussion eingeführt. Auf der Basis einer Analyse des römischen Rechts weist er die weitgehende Übernahme römischer Rechtsideen in zahlreichen Rechtsordnungen nach – u.a. auch solchen, die herkömmlich nicht zu den römisch beeinflussten Rechtsordnungen gezählt werden. Andere terminologische Vorschläge zur Erfassung des Phänomens lauten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) „Verbreitung“ (''diffusion''), „Rechtstransfer“, „Beeinflussung“, „Inspiration“, „Export“ oder „gegenseitige Befruchtung“. Sie beschreiben bzw. betonen unterschiedliche Facetten desselben Phänomens. Mit einer Rezeption geht häufig einher, dass der Rezeptionsstaat sich auch an einem bestimmten Stil oder der Methodik des Vorbildrechtssystems orientiert.
In gewisser Generalisierung und Erweiterung des damals bereits erreichten Gemeinschaftsrechts-''acquis'' wurde der Begriff der Unionsbürgerschaft mit Art. 8 EG (1992) i.d.F. des Vertrags von Maastricht in das Gemeinschaftsrecht eingeführt. Er lautete ursprünglich: „Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.“ Art. 17 EG (demnächst Art. 20 AEUV) in der Amsterdamer Fassung ergänzte ihn um einen Abs. 2, der lautet: „Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehen Rechte und Pflichten.“ Art. 18 EG/21 AEUV garantiert ein Recht auf Freizügigkeit „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.“ Art. 19 EG/22 AEUV regelt das kommunale Wahlrecht und das Wahlrecht zum Europaparlament, Art. 20 EG/23 AEUV den diplomatischen Schutz, Art. 21 EG/24 AEUV das Petitionsrecht, das gemäß Art. 194 EG/227 AEUV auf alle gebietsansässige Personen erweitert wird.  


== 2. Die Rezeption des römischen Rechts als historischer Archetypus ==
Allerdings war den „Eltern“ des Maastrichter Vertrages und dem überwiegenden damaligen Schrifttum die Bedeutung der Einführung der Unionsbürgerschaft, die ja die staatliche Kompetenz in Staatsangehörigkeitsfragen nicht tangieren sollte und deshalb von allen EG-Staaten die gegenseitigen Anerkennung der Staatlichkeit auch bei Mehrstaatern verlangte (EuGH Rs. C-369/90 – ''Micheletti'','' ''Slg. 1992, I-4239) keineswegs klar. Sie sollte lediglich eine Selbstverständlichkeit aussprechen, jedoch nicht zusätzliche Rechte oder Pflichten auferlegen, auch nicht nach der ergänzten Amsterdamer Fassung. Privatrechtliche Bedeutung schien der Unionsbürgerschaft ohnehin nicht zuzukommen.
Die Rezeption des [[römisches Recht|römischen Recht]]s in Europa nimmt bislang in der wissenschaftlichen Debatte den breitesten Raum ein. Angesichts ihrer nachhaltigen und umfassenden Wirkung auf zahlreiche europäische Staaten, deren Rechtsordnungen ihrerseits zur Keimzelle außereuropäischer Rechtsordnungen wurden und sich gegenseitig beeinflussen, ist diese Vorrangstellung historisch, sachlich und methodisch gerechtfertigt und verdient daher besondere Aufmerksamkeit. Ihre Analyse darf nicht den Blick auf ähnliche historische oder aktuelle Prozesse verstellen, verdeutlicht indes viele Voraussetzungen, Wirkungen und Mechanismen einer Rezeption.


=== a) Ursachen und Verlauf der Rezeption des römischen Rechts ===
== 3. Gemeinschaftsrechtliche Garantien der Unionsbürgerschaft ==
Nach der „Wiederentdeckung“ des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' wurde das darin vermittelte und durch die mittelalterlichen Glossatoren und Kommentatoren aufbereitete Recht West- und Ostroms wie auch das Recht der römischen Kirche Gegenstand der Forschung und Vermittlung an den Universitäten oder in universitätsähnlichem Rechtsunterricht (daher auch sog. „gelehrtes Recht“). Das Kirchenrecht war dabei insofern von besonderer Bedeutung, als es ursprünglich viel weitere Lebensbereiche erfasste als das in den heutigen weitgehend säkularisierten oder gar laizistischen Rechtsordnungen Europas der Fall ist. So war das Familienrecht, Erbrecht oder Vertragsrecht (Urkundswesen, Zinsverbot) in weiten Teilen Sache von Kirchenjuristen. Ausgehend von den italienischen Universitäten (Bologna, Padua, Neapel, Piacenza) war das römische Recht früh auch Gegenstand von Lehre und Forschung in Frankreich (Montpellier, Toulouse, Orléans, Avignon), Spanien (Palencia, Salamanca, Lerida), England (Cambridge, Oxford) und Böhmen (Prag). Später erlangte das römische Recht Bedeutung auch an den Universitäten in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, ab dem späten 17. Jahrhundert auch in Skandinavien.  
Erst die „Nach-Maastricht“-Rechtsprechung des EuGH gab der Unionsbürgerschaft grundrechtsähnliche Konturen. Das ''Grzelczyk'' Urteil vom 20.9.2001 (EuGH Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193) betonte: „Der Unionsbürgerstatus ist nämlich dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen“ (Rn. 31). Dieses allgemeine Diskriminierungsverbot galt im konkreten Fall zugunsten eines französischen Studierenden, der in Belgien bestimmte Sozialleistungen zur Ermöglichung seines Studienabschusses in Anspruch genommen hatte, die eigentlich nur Staatsangehörigen zugute kommen sollten. Die zunächst gezahlte Leistung konnte deshalb vom belgischen Staat nicht als „ungerechtfertigte Bereichung“ zurückgefordert werden. Zu den eigentlichen Privatrechtswirkungen dieses Verbots im engeren Sinne sagt der EuGH ebenso wenig etwas, wie die umfangreiche Folgerechtsprechung, die sich entweder mit aufenthalts-, steuer- oder sozialleistungsrechtlichen Fragen sowohl fremder als auch eigener „mobiler“ Staatsangehöriger beschäftigt. Indem der Gerichtshof in dem späteren ''Baumbast''-Urteil (EuGH Rs. C-413/99, Slg. 2002, I-7091, Rn. 84) der Unionsbürgerschaft ''Direktwirkung ''zuerkannte, macht er ihren hohen rechtlichen Stellenwert in der Freiheitsdogmatik des Gemeinschaftsrechts deutlich; die Unionsbürgerschaft steht damit auf gleicher Stufe wie die wirtschaftlich orientierten Freiheiten; sie ist in den Worten von ''Ferdinand Wollenschläger'' eine „Grundfreiheit ohne Markt“.


Nach zunächst nahezu unangefochtener Ansicht führte ''Kaiser Lothar von Supplinburg'' das [[römisches Recht|römische Recht]] durch Reichsgesetz im Jahre 1135 in Deutschland ein. Diese bereits durch ''Hermann Conring'' 1643 und nachdrücklich durch die jüngste rechtshistorische Forschung widerlegte Annahme trifft indes nicht zu (darum sog. „Lotharische Legende“).  
Mittelbare privatrechtliche Wirkung äußert diese Rechtsprechung – wie schon vor Einführung der Unionsbürgerschaft – im Bereich des durch IPR-Regeln definierten Namensrechts. In der Rechtssache ''Garcia Avello'' (EuGH Rs. C-148/02, Slg. 2003, I-11613) ging es um die Namensänderung eines Kindes mit doppelter belgischer und spanischer Nationalität, für die das belgische Recht zwingend den Nachnamen des Vaters bzw. der Mutter vorschrieb und anders als das spanische Recht die Verwendung beider Namen ausschloss. Der Gerichtshof sah hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung i.S. einer Schlechterstellung von Kindern mit doppelter Staatsangehörigkeit, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Im Ergebnis läuft dies auf ein Wahlrecht von Doppelstaatern hinsichtlich des Namens nach dem ihnen genehmen Recht hinaus und unterläuft damit den Schutzzweck des nationalen Namensrechts, wie er sich nach dem jeweiligen unterschiedlichen, nicht harmonisierten [[Internationales Privatrecht|IPR]] ergibt.


Immerhin wurde das römische Recht auch in Ländern rezipiert, die sich der kaiserlichen Rechtssetzungsautorität nicht beugten. In Wahrheit vollzog sich die Rezeption in einem Jahrhunderte währenden, vielschichtigen historischen Prozess. In dessen Verlauf durchdrangen das römisch-kanonische Recht, vor allem aber auch seine Prinzipien, Techniken und Argumentationsfiguren (sog. [[Ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']], bzw. Gemeines Recht) vermittelt durch den Rechtsunterricht schrittweise die rezipierenden Rechtsordnungen. Zunächst trugen die an italienischen Universitäten ausgebildeten Juristen als Richter, Verwaltungsbeamte oder Anwälte ihre Studieninhalte und damit nicht notwendig das klassische, sondern das mittelalterlich aufbereitete römische Recht in ihre Heimatstaaten und in die Kirchengerichtsbarkeit zurück – lange bevor das römische Recht in den jeweiligen Rechtsordnungen intensiv gelehrt wurde. Dort vermischte sich das römische Recht mit dem örtlich geltenden geschriebenen oder Gewohnheitsrecht (sog. ''ius proprium''). Diese Synthese vollzog sich indes nicht einheitlich, sondern hing von den Umständen und Beteiligten in den jeweiligen europäischen Staaten und Städten ab. Regeln und Argumentationsmodelle wurden von den wissenschaftlichen Bearbeitern und Rechtsanwendern – eingeschlossen die Gerichte – fortentwickelt und auf die Verhältnisse im Einzelnen zugeschnitten. Aufgrund seiner fortgeschrittenen Systematisierung und des hohen Abstraktionsgrades ließen sich aus dem ''ius commune'' oft argumentativ und inhaltlich überlegenere Antworten als aus dem oft keinem höheren Regelungsplan oder Strukturprinzip folgenden Partikularrecht ableiten. Mittlerweile fast einhellig wird die wesentliche Wirkung der Rezeption daher in der „Verwissenschaftlichung des Rechtslebens“ (''Franz Wieacker'') gesehen. In Deutschland, wo das traditionelle Recht zersplittert und kaum systematisiert war, erschien das logisch und rechtlich geordnete römische Recht überlegen, erst recht für die in dieser Zeit an Komplexität zunehmenden Lebensverhältnisse. Das römische Recht wurde neben seiner Systematisierungsfunktion auch genutzt, um Lücken zu füllen oder das geltende, nicht selten in seiner Reichweite oder Auslegung unsichere lokale Recht auf eine neue Legitimationsgrundlage zu stellen. So fehlte in einigen deutschen Partikularrechten jegliche Regel zur kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistung (oder zumindest ein der [[Minderung]] – ''actio quanti minoris'' – ent-sprechendes) Rechtsinstitut so dass die sog. ädilizischen Rechtsbehelfe des römischen Rechts (Wandelung und Minderung) bereitwillig übernommen wurden. Dennoch befruchtete das jeweilige lokale oder regionale Recht in Einzelbereichen durchaus auch das Gemeine Recht etwa in Bezug auf neu aufkommende Handelspraktiken. Das römische Recht verdrängte daher auch nicht vollständig die existierenden lokalen Rechtsordnungen. Anders als im römischen Recht wurde daher z.B. nicht überall eine Wandelung bei leichten Mängeln zugelassen.
Eine ähnliche Problematik war in der Rechtssache ''Grunkin-Paul'' (EuGH Rs. C-353/06, NJW 2009, 135) vor dem EuGH anhängig und ist inzwischen entschieden. Es geht um die Kollision zwischen dänischem ''ius soli'' und deutschem ''ius sanguinis'' hinsichtlich des Namensrechts eines in Dänemark geborenen deutschen Kindes, das in Deutschland die Eintragung des dänischen, aus den Namen von Vater und Mutter zusammengesetzten Doppelnamens beantragt, was das deutsche Namensrecht bislang i.S. der Einheitlichkeit des Familiennamens verweigert. Wie zunächst GA ''Jacobs'' in seinen Schlussanträgen v. 30.5.2005 in dem Vorverfahren, das vom EuGH aus formalen Erwägungen abgewiesen wurde (EuGH Rs. C-96/04 – ''Standesamt Niebüll'', Slg. 2006, I-3561), stellt GA ''Eleanor'' ''Sharpston'' in ihren Schlussanträgen das deutsche Namens-IPR nicht grundsätzlich in Frage. Sie plädiert jedoch im Verfolg der ''Konstantinidis'' und ''Garcia Avello''-Rspr. für eine Lockerung des deutschen Verbots der Doppelnamen des Kindes, wobei sie weniger auf das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG/18 AEUV als auf den „allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz“ ([[Allgemeine Rechtsgrundsätze]]) und auf das Recht auf Freizügigkeit abstellt. Das Urteil des EuGH folgt weitgehend den Schlussanträgen und stellt auf Art. 18 EG/21 AEUV ab: Die Weigerung der deutschen Behörden, den in Dänemark rechtmäßig eingetragenen Namen auch in Deutschland zu führen, sei ein Freizügigkeitshindernis, denn es bringe schwerwiegende Nachteile beim Nachweis der Identität in grenzüberschreitenden Situationen mit sich. Zur Berechtigung der Anknüpfung der Namensgebung eines Kindes an die Staatsangehörigkeit führt der EuGH aus: „So berechtigt diese Gründe, die für die Anknüpfung der Bestimmung des Namens einer Person an deren Staatsangehörigkeit angeführt werden, als solche auch sein mögen, verdient es doch keiner von ihnen, dass ihm eine solche Bedeutung beigemessen wird, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Weigerung der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats rechtfertigen könnte, den Nachnamen eines Kindes anzuerkennen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde, in dem das Kind geboren wurde und seitdem wohnt.“ (Rn. 31).


=== b) Einfluss in verschiedenen Rechtsordnungen ===
Ob diese weite Vorverlagerung des Freizügigkeitsgrundsatzes über den Einzelfall hinausgehende Auswirkungen auf das mitgliedstaatliche Namens-IPR hat, bleibt abzuwarten. Bemerkenswert erscheint die Tendenz der Rechtsprechung des EuGH, zwingende Anknüpfungen in Situationen, die das Gemeinschaftsrecht betreffen, d.h. einen „Grenz-„ oder „Rechtsordnungs“-überschreitenden Bezug haben, durch ein Wahlrecht der betroffenen Personen zu ersetzen.
Der Einfluss des römischen Rechts variiert allerdings merklich je nach rezipierender Rechtsordnung. Während es in Deutschland auch aufgrund der zersplitterten Rechtslage infolge des Machtverfalls des Kaisertums nach dem Ende der Stauferzeit Modelliermasse für eine Rechtsvereinheitlichung bildete und somit eine schmerzlich wahrnehmbare Lücke füllte, wurde es in England zwar zeitlich begrenzt gelehrt, wirkte indes nicht in vergleichbarem Ausmaß auf das ''[[common law]]''. Auch wenn neuere Forschungen zeigen, dass das römische Recht auch für das englische Recht in nicht unerheblichem Maße relevant wurde, war die Einflussintensität geringer, weil die englische Juristenausbildung bis weit in das 19. Jahrhundert hinein weniger an den Universitäten als vielmehr in den sog. ''Inns of Court'' stattfand. Selbst wenn die Universitäten auch römisches Recht und sein System lehrten, richtete sich die Praxis stärker an den Bedürfnissen des konkreten Falles aus. Die starke Rolle des Königs hatte zudem – in Wechselwirkung mit der Herausbildung eines starken und selbstbewussten Juristenstandes – einen Deutschland vergleichbaren Flickenteppich von Rechtsordnungen verhindert, so dass auch der Inspirations- und Systematisierungsbedarf geringer war. In Frankreich spielte das römische Recht zwar eine nicht unbeträchtliche Rolle (schon weil der Süden Frankreichs durchgehend von ihm beeinflusst war), prägte das französische Recht indes nicht derart intensiv wie das deutsche Recht. Die germanisch überlieferten (Gewohnheits‑)Rechtsregeln Nordfrankreichs (die sog. ''coutumes''), die durch königliche ''[[Ordonnances]]'' in ihrer Geltung noch verstärkt, aber vor allem vereinheitlicht wurden, standen einer Vollrezeption wie in Deutschland entgegen und flossen selbst in den ''[[Code civil]]'' 1804 noch spürbar ein. Nicht zuletzt dürften die in Frankreich (wie auch in England) einflussreichen Gerichte, Anwälte und sonstigen Juristen verhindert haben, dass das traditionelle Recht, mit dem sie am meisten vertraut waren und das sie in praktischer Rechtsanwendung und theoretischer Befassung entwickelt hatten, durch das rezipierte römische Recht verdrängt worden wäre. Mächtige Gerichte und Anwälte hatten sich zentral in Paris und London herausgebildet; in Deutschland fehlte schon angesichts der föderalen Zersplitterung ein vergleichbar einflussreiches Pendant. Das 1495 errichtete [[Reichskammergericht]] war kein mit englischen oder französischen Institutionen vergleichbares zentrales Gericht, weil die Kurfürsten und Territorialherren seine Zuständigkeit ausschließen konnten und die Zahl der von ihm entschiedenen, zumeist auch nicht publizierten Fälle zu gering war, als dass es einen prägenden Einfluss auf Untergerichte hätte ausüben können. Das Selbstverständnis des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation als Nachfolger des römischen Weltreiches tat ein Übriges, die Rechtskontinuität stärker als in anderen, dem römischen Reich weniger verbundenen Staaten historisch zu legitimieren. Die in der Renaissance zum Ausdruck kommende Wertschätzung antiker Kultur und Gedankenwerte erfasste auch das Recht.  


=== c) Die „Reifephase“  ===
== 4. „Drittwirkung“ der Unionsbürgerschaft ==
Die Hochphase der Rezeption wurde abgelöst durch die insbesondere in Frankreich und den Niederlanden entwickelte Rechtsschule des ''[[usus modernus]]'', eine Phase vor allem des späten 17. und des 18. Jahrhunderts, in der das traditionelle römische Rechtsdenken mit herkömmlichen Rechtsfiguren der jeweiligen nationalen Rechtsordnung in Einklang gebracht werden sollte. Grund der Erosion des überlieferten römischen Rechts war zumindest in Deutschland u.a. die Aufdeckung der erwähnten Lotharischen Legende, mit der die Legitimationsbasis der Verdrängung des lokalen Gewohnheitsrechts durch das römische Recht ins Wanken geriet. Folgerichtig hätte der Nachweis geführt werden müssen, dass das römische Recht geltendes Gewohnheitsrecht verdrängt habe. Um diese für die Praxis nahezu unmöglich zu erfüllende Aufgabe zu erleichtern, hielt man an der schon zuvor am Reichskammergericht seit 1495 geltenden, neuerdings in ihrer Bedeutung allerdings umstrittenen Regel fest, bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass alle Regeln des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' unter Abbedingung entgegenstehenden Gewohnheitsrechts rezipiert worden seien (sog. ''fundata intentio''). Damit war die theoretische Subsidiarität des römischen Rechts praktisch irrelevant. Mit dem Aufkommen des Vernunftrechts verlor das römische Recht aber auch inhaltlich weiter an Bedeutung und der Weg zu eigenständigen Kodifikationen, die allerdings nur zaghaft mit der römisch-rechtlichen Tradition brachen, wurde frei. Mit diesem zeitweisen Bedeutungsverlust des materiellen römischen Rechts gewannen die Vertreter einer Rückbesinnung auf gewohnheitsrechtliche Traditionen an Stärke. Die Auseinandersetzung mündete schließlich in den im 19. Jahrhundert in Deutschland erbittert geführten Streit darüber, ob die Rezeption des römischen Rechts nicht letztlich eine Überfremdung bedeutet habe und ein „nationales Unglück“ gewesen sei, zwischen deutschem und römischem Recht „unversöhnliche Feindschaft“ bestehe. Gestützt auf den von ''Friedrich Carl von Savignys '' [[Historische Rechtsschule|Historischer Rechtsschule]] als wesentliche Rechtsquelle benannten „Volksgeist“ denunzierten die Germanisten römischrechtliche Regeln als volksfremd (ohne dass ''Savigny'' sich dies jemals zu eigen gemacht hätte) und forderten die Geltung in his-torischer Wirklichkeit niemals einheitlicher deutschrechtlicher Regeln. Durchgesetzt hat sich diese Tendenz nicht. Erst mit einer gewissen Verspätung gelang daher die Verabschiedung des [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]]. Das BGB selbst hat – maßgeblich durch die Pandektistik ([[Pandektensystem]]) und damit die Rezeption beeinflusst – vielleicht noch eher als andere Zivilrechtskodifikationen auch Jahrhunderte nach der eigentlichen Rezeption viele Rechtsideen, ‑regeln und ‑denkformen des römischen Rechts beibehalten. Entscheidend für den römisch-rechtlichen Charakter des BGB ist dabei nicht so sehr, dass seine Regeln in vielen Bereichen dem römischen Recht entnommen wurden. Vielmehr ist es auch im deutschrechtlich geprägten Personen- und Familienrecht durch seine auf die Spitze getriebene – und von vielen kritisierte – wissenschaftliche Methode ein Kind des römischen Rechts.
Ob der Unionsbürgerschaft „Drittwirkung“ zukommt, wird zwar in der Literatur kontrovers diskutiert, ist aber vom EuGH soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Die obigen Fälle, die nur sehr unvollständig aufgeführt sind, betreffen jeweils „vertikale“ Beziehungen des Unionsbürgers zum Staat, seien es Beschränkungen der Freizügigkeit, seien es Diskriminierungen beim Bezug von Förder- oder Sozialleistungen, seien es einschränkende Regeln etwa bei der Namensgebung. Im Sinne der grundrechtlichen Verbürgung der Unionsbürgerschaft kommt sie nicht nur EG-Ausländern, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch Inländern zugute, wenn diese sich „grenzüberschreitend“ bewegen.


== 3. Wirkungen der Rezeption ==
Eine der „Horizontalwirkung“ der Unionsbürgerschaft in Privatrechtsverhältnissen ähnliche Folgerung ist vom EuGH in der Entscheidung ''Phil Collins ''angenommen worden (EuGH verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993, I-5145), wo es um die Diskriminierung EG-ausländischer Autoren und Inhaber verwandter Schutzrechte beim Vertrieb von urheberrechtlich geschützten Musikaufzeichnungen ging. Der EuGH maß dem Diskriminierungsverbot des (damaligen) Art. 7 EWG, heute Art. 12 EG/18 AEUV, Direktwirkung bei. In den Worten des EuGH kann „dieses Recht … vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden, um von diesem zu verlangen, die diskriminierenden Vorschriften eines nationalen Gesetzes, die den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten den Schutz versagen, den sie den Inländern gewähren, unangewendet zu lassen.“ (Rn. 34).
Rezeption führt nicht gleichsam automatisch zu einer identischen Rechtslage im Rezeptionsstaat, zumal in den seltensten Fällen das „fremde“ Recht Anwendungsgrundlage bleibt. Vielmehr entwickelt das rezipierte Recht in der neuen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, sprachlichen und kulturellen Umgebung regelmäßig ein Eigenleben und passt sich als ''law in action'' den neuen Einflussfaktoren an. Selbst wenn Gerichte, Rechtslehre und sonstige Akteure des Rechtslebens sich des Rezeptionsvorgangs bewusst sind, findet doch häufig – zumindest im Laufe der Zeit – die Herkunft aus einer fremden Rechtsordnung immer weniger Beachtung und verliert daher in der Rechtsfortbildung regelmäßig an Bedeutung. Dennoch kann sich gewissermaßen eine gemeinsame „Sprache“ als Folge der Rezeption herausbilden. Die nachhaltige Wirkung der Rezeption des römischen Rechts in Europa war trotz ihres in den einzelnen Staaten unterschiedlichen Umfangs, dass sich bis ins Zeitalter der großen europäischen Kodifikationen (z.B. ''Code civil'', ABGB, BGB und schweizerisches ZGB) über viele Jahrhunderte hinweg auf der Basis des ''ius commune'' in weiten Teilen (Kontinental‑)Europas und Schottlands zumindest subsidiär ähnliche Rechtsnormen, ‑institutionen und ein auf ähnlichen Prinzipien und Idealen beruhendes Rechtsdenken herausbildete. Ähnliches lässt sich heutzutage im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht beobachten, das – u.a. aufgrund der längeren Erfahrung mit diesem Rechtsgebiet und der kautelarischen Dominanz US-amerikanischer und englischer Juristen bei Unternehmensfinanzierung, ‑führung und ‑käufen – weltweit nahezu vollständig von angelsächsischen Rechtskonzepten und ‑gewohnheiten geprägt ist.


Die Besonderheit der vertikalen Rezeption zumindest in Deutschland war demgegenüber, dass das römische Recht – wie geschildert – zunächst lange Zeit selbst Legitimations- und damit unmittelbare Rechtsgrundlage blieb. Gleichwohl ist zu bezweifeln, dass deutsche Juristen des Mittelalters das römische Recht in der gleichen Weise anwendeten, wie es die römischen Juristen der Antike getan hatten. Die Rezeption verlor indes jedenfalls in dem Moment an Intensität, als die Behauptung einer unmittelbaren Anwendbarkeit des römischen Rechts nicht mehr einschränkungslos aufrecht erhalten werden konnte. Allerdings hatten römische Rechtsideen das deutsche Rechtsdenken bereits derartig weit durchdrungen, dass dieser Beeinflussungsprozess nicht mehr vollständig umkehrbar war. Festzuhalten bleibt aber, dass schon aufgrund unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher, technologischer, religiöser und sprachlicher Umstände zwischen Mutter- und Tochterrechtsordnung eine Rezeption kaum einmal zu einer identischen Rechtslage führen wird, wie es der Begriff des Rechtstransplantats für manche suggeriert. Beachtet man diese Einschränkung, ist die Vorstellung einer Rechtstransplantation gleichwohl hilfreich, um die Herkunft bestimmter Rechtsinstitute aus fremden Rechtsordnungen zu erfassen und ggf. in den entsprechenden Kontext setzen zu können, zumal sich nicht leugnen lässt, dass Rechtsordnungen sich an fremden Vorbildern orientieren und durch sie inspiriert werden: Kaum jemand erfindet das Rad neu.  
Ob diese Rspr. verallgemeinert werden kann oder nur für den speziellen Fall der Ausübung gewerblicher Schutzrechte gilt, ist in der Literatur umstritten. Hier scheint eine vermittelnde Lösung angebracht. Eine solche „horizontale Direktwirkung“ im Sinne einer „Drittwirkung“ kommt m.E. unter den gleichen Bedingungen in Betracht, wie sie bereits für andere Grundfreiheiten anerkannt sind ([[Europäischer Binnenmarkt]]). Dies entspricht auch deren Gleichstellung mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten. Die neue Rspr. des EuGH erkennt letzteren Horizontalwirkung an, wenn sie auf einer „kollektiven Regelung“ beruhen, in der die Vertragsfreiheit faktisch aufgehoben ist (zuletzt EuGH Rs. C-438/05 – ''ITWF u.a./Viking Line'' Slg. 2007, I-10779, Rn. 56 ff. zu Art. 43 EG/49 AEUV). Beispiele dafür sind – über das Wettbewerbsrecht hinausgehend – bürgerdiskriminierende Satzungen von Sportorganisationen, freiheitsbeschränkende Regelungen von nicht professionellen Verbänden, Kampfaktionen von Sozialpartnern mit unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Unionsbürgerrechte. Einzelheiten eines solchen weiten Anwendungsbereichs der Unionsbürgerschaft in das Privatrecht hinein sowie Rechtfertigungsgründe bei angenommenen Beschränkungen sind noch auszuloten. Der tragende Grundgedanke ist dabei ein ''funktionaler:'' Beschränkungen der Grundfreiheiten können nicht nur durch den Staat, sondern „gleich effektiv“ auch durch privatrechtlich begründete und verfasste Organisationen stattfinden, wenn sie kollektiv handeln. Das liegt auch an den nicht kompatiblen Regelungsmechanismen der Mitgliedstaaten, die unterschiedliche institutionelle Zuordnungen zum Privat- oder öffentlichen Recht vorsehen, weshalb das Gemeinschaftsrecht hier autonom anknüpfen muss, um die Beschränkungswirkung kollektiver Regelungen gegenüber Unionsbürgerrechten feststellen zu können.


== 4. Motive, Ursachen und Erfolgsbedingungen ==
Für die Unionsbürgerschaft hat dies zur Folge, dass grundsätzlich kollektivrechtlich verursachte Beschränkungen oder Diskriminierungen von Unionsbürgern in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallen und deshalb an den Art. 12, 17 f. EG/18, 20 f. AEUV zu messen sind; es besteht zum mindesten ein Rechtfertigungszwang. Beispiele hierfür sind: (i) In Analogie zum Berufsport gehören hierzu auch restriktive Auswahlregeln von Verbänden über die Teilnahme von „Halbprofis“ oder Anwärtern an Sportwettkämpfen, die allerdings in der Regel sachlich gerechtfertigt sind (vgl. EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 ''Chr. Deliège/Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL'', Slg. 2000, I-2549 zu Art. 49 EG/56 AEUV); (ii) Diskriminierende Zugangsregeln zu privaten Bildungseinrichtungen, die öffentlichen gleichgestellt sind, etwa durch Akkreditierung oder Anerkennung; (iii) Unterschiedliche, unmittelbare oder mittelbare nationalitätsbezogene Regelungen in AGB von Anbietern, etwa im Versicherungsbereich (etwa „Ausländertarife“ oder Risikoausschlüsse für EG-Auslandstatbestände ohne sachlichen Grund) oder im Bereich von Finanzdienstleistungen („höhere Kosten für EU-Auslandsüberweisungen, Kreditkartenbenutzung oder Abhebungen“).
=== a) Motive und Ursachen ===
Eine bewusste Rezeption kann einem Gesetzgeber bzw. Rechtssetzer (wenn er – anders als eine Kolonie – überhaupt die freie Wahl hat, ihm das Recht also nicht aufoktroyiert wird) aus verschiedenen Gründen, die oft gleichzeitig erfüllt sind, tunlich erscheinen: Gesetzgeber leiden bei der Ausarbeitung von Gesetzen nicht selten unter Zeit- oder Fachkräftemangel. Das war besonders augenfällig in den vergangenen Jahrzehnten bei der Reform der Rechtssysteme in den Nachfolgestaaten der UdSSR ([[Gemeinschaft Unabhängiger Staaten]]) und den zuvor unter ihrem Machteinfluss stehenden Staaten Mittel- und Osteuropas, war aber sicher auch in den Kleinstaaten des Mittelalters zu beobachten. Internationale Organisationen oder Staaten, die eine Rechtsreform fördern, üben zudem gelegentlich mehr als „sanften Druck“ aus. Manche Rechtsordnungen verlassen sich auch auf die (präsumtive oder bewiesene) höhere Qualität ausländischer bzw. historischer Rechtsnormen. Das war zweifelsohne ein wesentlicher Grund für den Erfolg des römischen Rechts in Deutschland. Hinzu kommt, dass in zersplitterten Rechtsordnungen ausländische bzw. historische Vorbilder als Kompromiss für die Herstellung von Rechtseinheit – die insbesondere durch rasante wirtschaftliche und soziale Entwicklungsprozesse notwendig und wünschbar werden mag dienen können. Das gilt vor allem in Staaten, deren Rechtsordnung stark von Gesetzesrecht geprägt ist. Auch wenn Rezeption die Übernahme von Fallrecht bedeuten kann, spielt sie in gesetzesbasierten Rechtsordnungen aufgrund der leichteren systematischen Durchdringung der übernehmenden Rechtsordnung zumindest oberflächlich eine größere Rolle. Schließlich können auch Zufälle – wie die Ausbildung des oder der Entscheidungsträger(s) in der Vorbildrechtsordnung – das Ob und Wie einer Rezeption maßgeblich beeinflussen. Für die Übernahme des schweizerischen Rechts in der Türkei wird wahlweise die Ausbildung des verantwortlichen türkischen Justizministers in der Schweiz oder die Vertrautheit der türkischen Diplomaten mit der französischen Sprache (als einer schweizerischen Amts- und Gesetzessprache) vermutet. Viele Rezeptionsprozesse beruhen indes auch nicht auf einer bewussten Entscheidung, sondern sind Folge politischer, philosophischer, religiöser, ökonomischer oder technologischer Veränderungen, so dass eine einheitliche „Theorie der Rezeption“ schwer vorstellbar ist.  


=== b) Erfolgsbedingungen ===
== 5. (Keine) Privatrechtswirkung der RL 2004/38? ==
Unter welchen Voraussetzungen eine Rezeption erfolgreich verläuft, lässt sich nur schwer definieren, schon weil der Erfolgsmaßstab nicht leicht zu definieren ist. Einzelne Rechtsordnungen, bzw. insbesondere auch Gesetzbücher sind besonders erfolgreich in fremden Staaten rezipiert worden. So haben etwa der französische ''Code civil'', das schweizerische Zivilgesetzbuch und das deutsche BGB in zahlreichen Staaten Pate bei der Ausarbeitung nationaler Kodifikationen gestanden. Grundsätzlich aber dürfte eine Rezeption neben einer Lücke in der nationalen Rechtsordnung (die insbesondere auch durch mangelnde Rechtseinheit oder Rechtsunsicherheit entstehen kann) vor allem dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die juristischen Berufe der rezipierenden Rechtsordnung mit der sachgerechten Anwendung des übernommenen Rechts vertraut zu machen und dieses nicht in allzu drastischer Weise von dem bisher praktizierten Recht abweicht. Andernfalls ist seine Akzeptanz in der Rechtsgemeinschaft nur nach sehr langer Zeit zu erreichen. Die wortgleiche Übernahme des schweizerischen ZGB und OR in der Türkei hat an den Rechtsverhältnissen zunächst wenig geändert. Erst mit der langsamen Veränderung der Lebensverhältnisse sickerten die Regeln allmählich in das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung ein, ohne dass – insbesondere in den traditionell geprägten Bereichen des Familien- und Erbrechts – jemals eine vollständige Identität mit dem schweizerischen Recht ''in action'' erzielt worden wäre. In den vergangenen Jahren ist demgegenüber die „ökonomische Effizienz“ der übernommenen Rechtsinstitution als Erfolgsfaktor betont worden. Mag man angesichts des historischen Befundes hierfür kaum Belege finden (fast jeder Autor negiert diesen Kausalnexus etwa bei der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland), so ist diese Erklärung angesichts der nahezu unmöglichen ökonometrischen Erfassung juristischer Institutionen (die häufig geradezu vom Gegenteil der perfekten Marktbedingungen, nämlich Informationsdefizit, Tradition, Religion geprägt sind) abgesehen von Teilbereichen wenig plausibel.
Die RL 2004/38 vom 20.4.2004 konsolidiert und kodifiziert das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, gilt aber „vertikal“ gegenüber dem Aufenthaltsstaat, nicht „horizontal“ gegenüber privatrechtlichen Beschränkungen. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 24 der RL 2004/38 ist Art. 12 EG/18 AEUV nachgebildet und hat die gleiche Stoßrichtung. In vier Richtungen kann jedoch eine privatrechtliche „mittelbare“ Wirkung angenommen werden:


==Literatur==
(i) Der Begriff der „Familienangehörigen“ ist in Art. 2(2) bestimmt. Dazu gehört auch die Ehe eines Unionsbürgers mit einem (Asyl suchenden) Drittstaatsangehörigen, und zwar unabhängig davon, ob dieser aufenthaltsberechtigt war oder nicht (EuGH Rs. C-127/08 – ''Blaise Baheteb Metock et al/Minister for Justice'', EuZW 2008, 577).
''Wolfgang'' ''Kunkel'', Das Wesen der Rezeption des römischen Rechts, Heidelberger Jahrbücher 1 (1957) 1 ff.; ''Franz Wieacker'', Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, 97 ff.;'' Franz Wieacker'', Zum heutigen Stand der Rezeptionsforschung, in: Festschrift für Joseph Klein, 1967, 187 ff.; ''Eduard E. Hirsch'', Rezeption als sozialer Prozess, 1981; ''Alan Watson'', Legal Transplants, 1993; ''Pierre Legrand'', The Impossibility of Legal Transplants, Maastricht Journal of European and Comparative Law 4 (1997) 111 ff.; ''Hans Schlosser'', Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 2005, 1 ff., 26 ff.; ''Jan von Hein'', Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008; ''Michele Graziadei'','' ''Comparative Law as the Study of Transplants and Receptions, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2008, 441 ff.; ''Gebhard Rehm'', Rechtstransplantate als Instrumente der Rechtsreform und ‑transformation, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 1 ff.
 
(ii) Der Begriff des „Familienangehörigen“ schließt auch Lebenspartnerschaften unter der doppelten Voraussetzung ein, dass sie im Herkunftsmitgliedstaat eingetragen und im Aufenthaltsmitgliedstaat einer Ehe gleichgestellt sind. Hier stellt sich die Frage einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, die nach der RL 2000/78 in ihrem Anwendungsbereich verboten ist (vgl. dazu für Pensionsansprüche des eingetragenen Lebenspartners eines verstorbenen Berechtigten: EuGH Rs. C-267/06 – ''Tadao Maruko/Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen'', Slg. 2008, I-1757). Art. 21 der GRCh, auf die in Erwägungsgrund 31 Bezug genommen wird, verbietet jede Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, die sich aber in der doppelten Kontrolle gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften wiederfindet; hier wird der sonst im EG-Recht geltenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung m.E. ohne sachlichen Grund durchbrochen.
 
(iii) Die RL 2004/38 erkennt Unionsbürgern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat berechtigt mit ihren Familienangehörigen aufhalten, kein privatrechtlich wirkendes „Recht auf Zugang zu und Versorgung mit Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Verfahren zum Erwerb von Wohnraum“ zu, anders als es Art. 11(1)(f) RL 2003/109 für langfristig Aufenthaltsberechtigte vorsieht. Da aber nicht anzunehmen ist, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Unionsbürger schlechter stellen wollte als Drittstaatsangehörige, kann Art. 11 der RL 2003/109 analog bei privatrechtlich wirkenden Diskriminierungen herangezogen werden.
 
(iv) Art. 35 transformiert das zivilrechtlich bekannte Verbot des Rechtsmissbrauches in das Aufenthaltsrecht, insbesondere bei der Eingehung sog. „Scheinehen“ und entspricht damit einer Ermächtigung in der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Rs. C-109/01 – ''Akrich'', Slg. 2003, I-9607, Rn. 57). Erwägungsgrund 28 bezeichnet dies als eine Art von „Bindungen, die lediglich zum Zweck der Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts geschlossen wurden“. Die Beweislast hierfür liegt beim Aufenthaltsstaat, der Rechtsbehelfe gegen eine erkennende Entscheidung zur Verfügung stellen muss. Fraglich bleibt aber, inwieweit dies der (beschränkten) Grundrechtsgarantie der Art. 7/9 der GRCh ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]) entspricht, wonach „jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens hat“, und das „Recht, eine Ehe einzugehen“, nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet ist. Kann auf dem Umweg des Verwaltungsvollzuges in ein privatrechtlich wirksames (d.h. weder annulliertes noch geschiedenes) Rechtsverhältnis eingegriffen werden? Dies erscheint problematisch.
 
== Literatur==
''Ernst Steindorff'', EG-Vertrag und Privatrecht, 1996; ''Norbert Reich'', Bürgerrechte in der der EU, 1999; ''Torsten'' ''Körber'', Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; ''Ferdinand Wollenschläger'', Grundfreiheit ohne Markt, 2006; ''Norbert Reich'', „Horizontal liability“ in EC Law: „Hybridisation“ of remedies for compensation in case of breaches of EC rights, Common Market Law Review 44 (2007) 705 ff.;'' Matthew J. Elsmore'','' Peter Starup'', Union Citizenship, Yearbook of European Law 26 (2007) 57 ff.; ''Norbert Reich'', Free Movement v. Social Rights in an Enlarged Union: The Laval and Viking Cases before the ECJ, in: German Law Journal 9 (2008) 125 ff. ''Jürgen Basedow'', Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im europäischen Privatrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 230 ff.; ''Norbert Reich'', The public/private divide in EC law, in: Hans-W. Micklitz, Fabrizio Cafaggi'' ''(Hg.), After the Common Frame of Reference: What future for European private law?, 2009.


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Aktuelle Version vom 29. September 2021, 12:14 Uhr

von Norbert Reich

1. Umdeutung wirtschaftlicher Freiheiten in Bürgerrechte

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, insb. solche mit personenrechtlichen Gehalt, sind bereits in der frühen Rspr. des EuGH erweiternd zugunsten nicht ökonomisch tätiger EG-Bürger angewendet worden. Dies geschah durch eine weite Auslegung des Diskriminierungsverbots hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Art. 12 EG/18 AEUV und durch eine Erweiterung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten in „Empfängerrechte“ oder, in deutscher Terminologie, „passive Freiheiten“, die auch Privatpersonen zugute kommen. Der „Anwendungsbereich“ der Römischen Verträge wird dadurch erheblich erweitert und mittelbar zu Bürgerrechten „ohne Markt“ umgestaltet. Hierzu rechnen etwa: (i) das diskriminierungsfreie Zugangsrecht von Touristen (EG-Bürgern) zu Museen (EuGH Rs. C-45/93 – Kommission/ Spanien, Slg. 1994, I-911); (ii) das Verbot der Einführung einseitig restriktiver Zugangbedingungen oder der Erhebung zusätzlicher Einschreibgebühren für EG-ausländische Studierende in Einrichtungen der universitären (Berufs‑)ausbildung (EuGH Rs. 293/83 – Gravier, Slg.1985, 593; EuGH Rs. 24/86 – Blaizot, Slg. 1988, 379), allerdings ohne Anrecht auf Gleichbehandlung bei Stipendien oder sonstige Förderleistungen (EuGH Rs. 197/86 – Brown/Secretary of State for Scotland, Slg. 1988, 3205; EuGH Rs. 39/86 – Lair/Universität Hannover, Slg. 1988, 3161); (iii) das Verbot der Diskriminierung bei Leistungen des Opferschutzes für EWG-Touristen (EuGH Rs. 186/87 – Cowan, Slg. 1989, 195); (iv) die Freizügigkeit für Verbraucher hinsichtlich des Bargeldtransfers zum Empfang von Gesundheitsleistungen im EWG-Ausland (EuGH Rs. Luisi & Carbone, Slg. 1984, 377).

Die RL 90/365, RL 90/364 sowie RL 93/96 kodifizierten in gewisser Weise diese Rechte für Pensionäre, sonstige Bürger, und Studierende, richten sich aber primär an den Staat oder andere staatliche Träger wie Universitäten, Sozialversicherungseinrichtungen, Gemeinden. Ein spezifisch privatrechtlicher Gehalt kam und kommt ihnen nicht zu.

Eine gewisse Ausnahme von diesem speziell gegen staatliche Diskriminierungen und Beschränkungen gerichteten Rechtszustand machte das Namensrecht, das in den meisten europäischen Rechtsordnungen dem Privatrecht zugeordnet ist und in Kollisionsfällen nach Regeln des IPR koordiniert wird, die nicht gemeinschaftlich vereinheitlich sind. In der Rechtssache Konstantinidis (EuGH Rs. C-168/91, Slg. 1993, I-1191) ging es um die Schreibweise eines griechischen Bürgers, der in Deutschland tätig war. Die zuständige deutsche Behörde verlangte eine lateinische Transliteration, die den in der Öffentlichkeit bekannten Namen in gewisser Weise verstümmelt hätte. GA Francis Geoffrey Jacobs argumentierte in seinen Schlussanträgen vom 9.12.1992 bereits damals mit einem allumfassenden, grundrechtsähnlichen europäischen Bürgerrecht auf den eigenen Namen, während der EuGH etwas fiktiv auf die Bedeutung des Namens für einen selbständig Tätigen hinwies, der sich deshalb unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit gegen Verstümmelung durch Transliterationsregeln wenden könne, die ihn einer Gefahr der „Personenverwechslung bei seinen potentiellen Kunden“ aussetzt.

2. „Unionsbürgerschaft“ als „Grundrecht“ ökonomisch inaktiver Unionsbürger

In gewisser Generalisierung und Erweiterung des damals bereits erreichten Gemeinschaftsrechts-acquis wurde der Begriff der Unionsbürgerschaft mit Art. 8 EG (1992) i.d.F. des Vertrags von Maastricht in das Gemeinschaftsrecht eingeführt. Er lautete ursprünglich: „Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht.“ Art. 17 EG (demnächst Art. 20 AEUV) in der Amsterdamer Fassung ergänzte ihn um einen Abs. 2, der lautet: „Die Unionsbürger haben die in diesem Vertrag vorgesehen Rechte und Pflichten.“ Art. 18 EG/21 AEUV garantiert ein Recht auf Freizügigkeit „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.“ Art. 19 EG/22 AEUV regelt das kommunale Wahlrecht und das Wahlrecht zum Europaparlament, Art. 20 EG/23 AEUV den diplomatischen Schutz, Art. 21 EG/24 AEUV das Petitionsrecht, das gemäß Art. 194 EG/227 AEUV auf alle gebietsansässige Personen erweitert wird.

Allerdings war den „Eltern“ des Maastrichter Vertrages und dem überwiegenden damaligen Schrifttum die Bedeutung der Einführung der Unionsbürgerschaft, die ja die staatliche Kompetenz in Staatsangehörigkeitsfragen nicht tangieren sollte und deshalb von allen EG-Staaten die gegenseitigen Anerkennung der Staatlichkeit auch bei Mehrstaatern verlangte (EuGH Rs. C-369/90 – Micheletti, Slg. 1992, I-4239) keineswegs klar. Sie sollte lediglich eine Selbstverständlichkeit aussprechen, jedoch nicht zusätzliche Rechte oder Pflichten auferlegen, auch nicht nach der ergänzten Amsterdamer Fassung. Privatrechtliche Bedeutung schien der Unionsbürgerschaft ohnehin nicht zuzukommen.

3. Gemeinschaftsrechtliche Garantien der Unionsbürgerschaft

Erst die „Nach-Maastricht“-Rechtsprechung des EuGH gab der Unionsbürgerschaft grundrechtsähnliche Konturen. Das Grzelczyk Urteil vom 20.9.2001 (EuGH Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193) betonte: „Der Unionsbürgerstatus ist nämlich dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen“ (Rn. 31). Dieses allgemeine Diskriminierungsverbot galt im konkreten Fall zugunsten eines französischen Studierenden, der in Belgien bestimmte Sozialleistungen zur Ermöglichung seines Studienabschusses in Anspruch genommen hatte, die eigentlich nur Staatsangehörigen zugute kommen sollten. Die zunächst gezahlte Leistung konnte deshalb vom belgischen Staat nicht als „ungerechtfertigte Bereichung“ zurückgefordert werden. Zu den eigentlichen Privatrechtswirkungen dieses Verbots im engeren Sinne sagt der EuGH ebenso wenig etwas, wie die umfangreiche Folgerechtsprechung, die sich entweder mit aufenthalts-, steuer- oder sozialleistungsrechtlichen Fragen sowohl fremder als auch eigener „mobiler“ Staatsangehöriger beschäftigt. Indem der Gerichtshof in dem späteren Baumbast-Urteil (EuGH Rs. C-413/99, Slg. 2002, I-7091, Rn. 84) der Unionsbürgerschaft Direktwirkung zuerkannte, macht er ihren hohen rechtlichen Stellenwert in der Freiheitsdogmatik des Gemeinschaftsrechts deutlich; die Unionsbürgerschaft steht damit auf gleicher Stufe wie die wirtschaftlich orientierten Freiheiten; sie ist in den Worten von Ferdinand Wollenschläger eine „Grundfreiheit ohne Markt“.

Mittelbare privatrechtliche Wirkung äußert diese Rechtsprechung – wie schon vor Einführung der Unionsbürgerschaft – im Bereich des durch IPR-Regeln definierten Namensrechts. In der Rechtssache Garcia Avello (EuGH Rs. C-148/02, Slg. 2003, I-11613) ging es um die Namensänderung eines Kindes mit doppelter belgischer und spanischer Nationalität, für die das belgische Recht zwingend den Nachnamen des Vaters bzw. der Mutter vorschrieb und anders als das spanische Recht die Verwendung beider Namen ausschloss. Der Gerichtshof sah hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung i.S. einer Schlechterstellung von Kindern mit doppelter Staatsangehörigkeit, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Im Ergebnis läuft dies auf ein Wahlrecht von Doppelstaatern hinsichtlich des Namens nach dem ihnen genehmen Recht hinaus und unterläuft damit den Schutzzweck des nationalen Namensrechts, wie er sich nach dem jeweiligen unterschiedlichen, nicht harmonisierten IPR ergibt.

Eine ähnliche Problematik war in der Rechtssache Grunkin-Paul (EuGH Rs. C-353/06, NJW 2009, 135) vor dem EuGH anhängig und ist inzwischen entschieden. Es geht um die Kollision zwischen dänischem ius soli und deutschem ius sanguinis hinsichtlich des Namensrechts eines in Dänemark geborenen deutschen Kindes, das in Deutschland die Eintragung des dänischen, aus den Namen von Vater und Mutter zusammengesetzten Doppelnamens beantragt, was das deutsche Namensrecht bislang i.S. der Einheitlichkeit des Familiennamens verweigert. Wie zunächst GA Jacobs in seinen Schlussanträgen v. 30.5.2005 in dem Vorverfahren, das vom EuGH aus formalen Erwägungen abgewiesen wurde (EuGH Rs. C-96/04 – Standesamt Niebüll, Slg. 2006, I-3561), stellt GA Eleanor Sharpston in ihren Schlussanträgen das deutsche Namens-IPR nicht grundsätzlich in Frage. Sie plädiert jedoch im Verfolg der Konstantinidis und Garcia Avello-Rspr. für eine Lockerung des deutschen Verbots der Doppelnamen des Kindes, wobei sie weniger auf das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG/18 AEUV als auf den „allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz“ (Allgemeine Rechtsgrundsätze) und auf das Recht auf Freizügigkeit abstellt. Das Urteil des EuGH folgt weitgehend den Schlussanträgen und stellt auf Art. 18 EG/21 AEUV ab: Die Weigerung der deutschen Behörden, den in Dänemark rechtmäßig eingetragenen Namen auch in Deutschland zu führen, sei ein Freizügigkeitshindernis, denn es bringe schwerwiegende Nachteile beim Nachweis der Identität in grenzüberschreitenden Situationen mit sich. Zur Berechtigung der Anknüpfung der Namensgebung eines Kindes an die Staatsangehörigkeit führt der EuGH aus: „So berechtigt diese Gründe, die für die Anknüpfung der Bestimmung des Namens einer Person an deren Staatsangehörigkeit angeführt werden, als solche auch sein mögen, verdient es doch keiner von ihnen, dass ihm eine solche Bedeutung beigemessen wird, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Weigerung der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats rechtfertigen könnte, den Nachnamen eines Kindes anzuerkennen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde, in dem das Kind geboren wurde und seitdem wohnt.“ (Rn. 31).

Ob diese weite Vorverlagerung des Freizügigkeitsgrundsatzes über den Einzelfall hinausgehende Auswirkungen auf das mitgliedstaatliche Namens-IPR hat, bleibt abzuwarten. Bemerkenswert erscheint die Tendenz der Rechtsprechung des EuGH, zwingende Anknüpfungen in Situationen, die das Gemeinschaftsrecht betreffen, d.h. einen „Grenz-„ oder „Rechtsordnungs“-überschreitenden Bezug haben, durch ein Wahlrecht der betroffenen Personen zu ersetzen.

4. „Drittwirkung“ der Unionsbürgerschaft

Ob der Unionsbürgerschaft „Drittwirkung“ zukommt, wird zwar in der Literatur kontrovers diskutiert, ist aber vom EuGH soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Die obigen Fälle, die nur sehr unvollständig aufgeführt sind, betreffen jeweils „vertikale“ Beziehungen des Unionsbürgers zum Staat, seien es Beschränkungen der Freizügigkeit, seien es Diskriminierungen beim Bezug von Förder- oder Sozialleistungen, seien es einschränkende Regeln etwa bei der Namensgebung. Im Sinne der grundrechtlichen Verbürgung der Unionsbürgerschaft kommt sie nicht nur EG-Ausländern, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch Inländern zugute, wenn diese sich „grenzüberschreitend“ bewegen.

Eine der „Horizontalwirkung“ der Unionsbürgerschaft in Privatrechtsverhältnissen ähnliche Folgerung ist vom EuGH in der Entscheidung Phil Collins angenommen worden (EuGH verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, Slg. 1993, I-5145), wo es um die Diskriminierung EG-ausländischer Autoren und Inhaber verwandter Schutzrechte beim Vertrieb von urheberrechtlich geschützten Musikaufzeichnungen ging. Der EuGH maß dem Diskriminierungsverbot des (damaligen) Art. 7 EWG, heute Art. 12 EG/18 AEUV, Direktwirkung bei. In den Worten des EuGH kann „dieses Recht … vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden, um von diesem zu verlangen, die diskriminierenden Vorschriften eines nationalen Gesetzes, die den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten den Schutz versagen, den sie den Inländern gewähren, unangewendet zu lassen.“ (Rn. 34).

Ob diese Rspr. verallgemeinert werden kann oder nur für den speziellen Fall der Ausübung gewerblicher Schutzrechte gilt, ist in der Literatur umstritten. Hier scheint eine vermittelnde Lösung angebracht. Eine solche „horizontale Direktwirkung“ im Sinne einer „Drittwirkung“ kommt m.E. unter den gleichen Bedingungen in Betracht, wie sie bereits für andere Grundfreiheiten anerkannt sind (Europäischer Binnenmarkt). Dies entspricht auch deren Gleichstellung mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten. Die neue Rspr. des EuGH erkennt letzteren Horizontalwirkung an, wenn sie auf einer „kollektiven Regelung“ beruhen, in der die Vertragsfreiheit faktisch aufgehoben ist (zuletzt EuGH Rs. C-438/05 – ITWF u.a./Viking Line Slg. 2007, I-10779, Rn. 56 ff. zu Art. 43 EG/49 AEUV). Beispiele dafür sind – über das Wettbewerbsrecht hinausgehend – bürgerdiskriminierende Satzungen von Sportorganisationen, freiheitsbeschränkende Regelungen von nicht professionellen Verbänden, Kampfaktionen von Sozialpartnern mit unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Unionsbürgerrechte. Einzelheiten eines solchen weiten Anwendungsbereichs der Unionsbürgerschaft in das Privatrecht hinein sowie Rechtfertigungsgründe bei angenommenen Beschränkungen sind noch auszuloten. Der tragende Grundgedanke ist dabei ein funktionaler: Beschränkungen der Grundfreiheiten können nicht nur durch den Staat, sondern „gleich effektiv“ auch durch privatrechtlich begründete und verfasste Organisationen stattfinden, wenn sie kollektiv handeln. Das liegt auch an den nicht kompatiblen Regelungsmechanismen der Mitgliedstaaten, die unterschiedliche institutionelle Zuordnungen zum Privat- oder öffentlichen Recht vorsehen, weshalb das Gemeinschaftsrecht hier autonom anknüpfen muss, um die Beschränkungswirkung kollektiver Regelungen gegenüber Unionsbürgerrechten feststellen zu können.

Für die Unionsbürgerschaft hat dies zur Folge, dass grundsätzlich kollektivrechtlich verursachte Beschränkungen oder Diskriminierungen von Unionsbürgern in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallen und deshalb an den Art. 12, 17 f. EG/18, 20 f. AEUV zu messen sind; es besteht zum mindesten ein Rechtfertigungszwang. Beispiele hierfür sind: (i) In Analogie zum Berufsport gehören hierzu auch restriktive Auswahlregeln von Verbänden über die Teilnahme von „Halbprofis“ oder Anwärtern an Sportwettkämpfen, die allerdings in der Regel sachlich gerechtfertigt sind (vgl. EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 – Chr. Deliège/Ligue francophone de judo et disciplines associées ASBL, Slg. 2000, I-2549 zu Art. 49 EG/56 AEUV); (ii) Diskriminierende Zugangsregeln zu privaten Bildungseinrichtungen, die öffentlichen gleichgestellt sind, etwa durch Akkreditierung oder Anerkennung; (iii) Unterschiedliche, unmittelbare oder mittelbare nationalitätsbezogene Regelungen in AGB von Anbietern, etwa im Versicherungsbereich (etwa „Ausländertarife“ oder Risikoausschlüsse für EG-Auslandstatbestände ohne sachlichen Grund) oder im Bereich von Finanzdienstleistungen („höhere Kosten für EU-Auslandsüberweisungen, Kreditkartenbenutzung oder Abhebungen“).

5. (Keine) Privatrechtswirkung der RL 2004/38?

Die RL 2004/38 vom 20.4.2004 konsolidiert und kodifiziert das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, gilt aber „vertikal“ gegenüber dem Aufenthaltsstaat, nicht „horizontal“ gegenüber privatrechtlichen Beschränkungen. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 24 der RL 2004/38 ist Art. 12 EG/18 AEUV nachgebildet und hat die gleiche Stoßrichtung. In vier Richtungen kann jedoch eine privatrechtliche „mittelbare“ Wirkung angenommen werden:

(i) Der Begriff der „Familienangehörigen“ ist in Art. 2(2) bestimmt. Dazu gehört auch die Ehe eines Unionsbürgers mit einem (Asyl suchenden) Drittstaatsangehörigen, und zwar unabhängig davon, ob dieser aufenthaltsberechtigt war oder nicht (EuGH Rs. C-127/08 – Blaise Baheteb Metock et al/Minister for Justice, EuZW 2008, 577).

(ii) Der Begriff des „Familienangehörigen“ schließt auch Lebenspartnerschaften unter der doppelten Voraussetzung ein, dass sie im Herkunftsmitgliedstaat eingetragen und im Aufenthaltsmitgliedstaat einer Ehe gleichgestellt sind. Hier stellt sich die Frage einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, die nach der RL 2000/78 in ihrem Anwendungsbereich verboten ist (vgl. dazu für Pensionsansprüche des eingetragenen Lebenspartners eines verstorbenen Berechtigten: EuGH Rs. C-267/06 – Tadao Maruko/Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, Slg. 2008, I-1757). Art. 21 der GRCh, auf die in Erwägungsgrund 31 Bezug genommen wird, verbietet jede Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, die sich aber in der doppelten Kontrolle gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften wiederfindet; hier wird der sonst im EG-Recht geltenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung m.E. ohne sachlichen Grund durchbrochen.

(iii) Die RL 2004/38 erkennt Unionsbürgern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat berechtigt mit ihren Familienangehörigen aufhalten, kein privatrechtlich wirkendes „Recht auf Zugang zu und Versorgung mit Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Verfahren zum Erwerb von Wohnraum“ zu, anders als es Art. 11(1)(f) RL 2003/109 für langfristig Aufenthaltsberechtigte vorsieht. Da aber nicht anzunehmen ist, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Unionsbürger schlechter stellen wollte als Drittstaatsangehörige, kann Art. 11 der RL 2003/109 analog bei privatrechtlich wirkenden Diskriminierungen herangezogen werden.

(iv) Art. 35 transformiert das zivilrechtlich bekannte Verbot des Rechtsmissbrauches in das Aufenthaltsrecht, insbesondere bei der Eingehung sog. „Scheinehen“ und entspricht damit einer Ermächtigung in der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Rs. C-109/01 – Akrich, Slg. 2003, I-9607, Rn. 57). Erwägungsgrund 28 bezeichnet dies als eine Art von „Bindungen, die lediglich zum Zweck der Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts geschlossen wurden“. Die Beweislast hierfür liegt beim Aufenthaltsstaat, der Rechtsbehelfe gegen eine erkennende Entscheidung zur Verfügung stellen muss. Fraglich bleibt aber, inwieweit dies der (beschränkten) Grundrechtsgarantie der Art. 7/9 der GRCh (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK) entspricht, wonach „jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens hat“, und das „Recht, eine Ehe einzugehen“, nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet ist. Kann auf dem Umweg des Verwaltungsvollzuges in ein privatrechtlich wirksames (d.h. weder annulliertes noch geschiedenes) Rechtsverhältnis eingegriffen werden? Dies erscheint problematisch.

Literatur

Ernst Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 1996; Norbert Reich, Bürgerrechte in der der EU, 1999; Torsten Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; Ferdinand Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2006; Norbert Reich, „Horizontal liability“ in EC Law: „Hybridisation“ of remedies for compensation in case of breaches of EC rights, Common Market Law Review 44 (2007) 705 ff.; Matthew J. Elsmore, Peter Starup, Union Citizenship, Yearbook of European Law 26 (2007) 57 ff.; Norbert Reich, Free Movement v. Social Rights in an Enlarged Union: The Laval and Viking Cases before the ECJ, in: German Law Journal 9 (2008) 125 ff. Jürgen Basedow, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im europäischen Privatrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 230 ff.; Norbert Reich, The public/private divide in EC law, in: Hans-W. Micklitz, Fabrizio Cafaggi (Hg.), After the Common Frame of Reference: What future for European private law?, 2009.

Abgerufen von Rezeption – HWB-EuP 2009 am 29. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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