Staatsunternehmen im Wettbewerbsrecht und Stadtrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Staatsunternehmen – Begriff und Problemstellung ==
== 1. Zur Begrifflichkeit ==
Der Begriff des Staatsunternehmens ist kein Rechtsbegriff. Nach allgemeinem Verständnis umschreibt er den Sachverhalt, dass sich die öffentliche Hand als Unternehmen oder durch Unternehmen am Wirtschaftsverkehr beteiligt. Der [[EG-Vertrag]] spricht in diesem Zusammenhang von „öffentlichen Unternehmen“ (Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV). In der auf Art. 86(3) EG/‌106(3) AEUV gestützten Transparenz-RL (RL 2006/‌11) sind sie als Unternehmen definiert, auf welche die öffentliche Hand auf Grund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (Art. 2(1) (b)). Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] greift für die Zwecke des Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV auf eine inhaltlich übereinstimmende Definition zurück. Zu einem Sonderproblem des Wettbewerbsrechts werden Staatsunternehmen, weil der Staat mit der Beteiligung am Wirtschaftsverkehr neben der Gewinnerzielung häufig weitergehende politische und/‌oder wirtschaftspolitische Ziele verfolgt und „seinen“ Unternehmen zu diesem Zweck Monopolrechte oder sonstige Vorrechte im Wettbewerb einräumt. Trotz der Spannung, in welche Staatsunternehmen und ein System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3(g) EG/‌keine direkte Entsprechung im AEUV) damit unausweichlich geraten, hat der EG-Vertrag die Existenz von öffentlichen Unternehmen nicht in Frage gestellt. Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV setzt sie voraus. Gemäß Art. 295/‌345 AEUV lässt der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt. Die Mitgliedstaaten trifft nach dem EG-Vertrag keine Privatisierungspflicht. Stattdessen statuiert der EG-Vertrag ein Neutralitätsgebot. Gemäß Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV dürfen die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot (Art. 12 EG/‌18 AEUV) und den Wettbewerbs- und Beihilfevorschriften (Art. 81–89 EG/‌101–109 AEUV) widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten. Sie dürfen daher ihren Einfluss auf öffentliche Unternehmen weder dazu nutzen, die staatsbezogenen Normen des Gemeinschaftsrechts zu umgehen, indem sie diese Unternehmen zu Verhaltensweisen verpflichten oder veranlassen, die als Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten unzulässig wären; noch dürfen sie öffentliche Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, in eine Situation versetzen, in die sich diese Unternehmen durch selbstständige Verhaltensweisen nicht ohne Verstoß gegen Art. 82 EG/‌102 AEUV versetzen könnten. Schließlich bleiben die Mitgliedstaaten auch bezüglich öffentlicher Unternehmen in vollem Umfang an das Beihilfenverbot des Art. 87(1)/‌107(1) AEUV gebunden.
Der Ausdruck „Stadtrecht“ umfasst im Zusammenhang der europäischen Rechtsgeschichte mehrere Bedeutungsschichten: Aus einer eher formalen Perspektive sind damit alle Rechtsnormen gemeint, die nur für eine Stadt gelten und vom Recht des umliegenden Landes abweichen. Vom Geltungsgrund her betrachtet umfasst das Stadtrecht ein Bündel von Befugnissen, die, seit etwa dem 12. Jahrhundert mit dem Ausdruck ''libertates'' belegt, den Mitgliedern einer Gemeinde von einem Herrschaftsträger in Form von ''Privilegien'' (bisweilen auch als „Handfeste“ bezeichnet) gewährt werden. Diese „Freiheiten“ umfassen neben Ausnahmen von den landrechtlichen Regelungen und subjektiven Rechten – wie etwa die Garantie der persönlichen Freiheit oder der Dispositionsbefugnis über Grundbesitz – auch die Befugnis („Gerechtsame“, ''iustitia''), selbst Recht zu setzen und zu vollstrecken. In diesem Sinn könnte man Stadtrecht als besonderen Rechtsstatus einer Gemeinde und ihrer Bewohner kennzeichnen, der sie zur „Stadt im Rechtssinne“ (''H. Planitz'') macht. Doch auch das autonom gesetzte Recht eines in dieser Weise verselbständigten genossenschaftlichen Bürgerverbandes oder seines Organs, des Rates, fällt unter den Begriff „Stadtrecht“, das mit Ausdrücken wie „Willkür“, „kore“, ''decreta'', ''statuta'', ''mandata ''oder auch ''arbitria ''gekennzeichnet wurde. In systematischer Nähe zu diesem Typus des Satzungsrechts steht das Gewohnheitsrecht, das sich in einer Gemeinde entwickeln kann und ebenfalls dem Stadtrecht zuzuordnen ist. Eine letzte Bedeutungsebene von „Stadtrecht“ erschließt sich im Blick auf den materiellen Gehalt von Rechtssätzen für die Binnenordnung von Siedlungen und Gemeinden. Solche Regelungen (häufig als ''iura'' oder als ''ius civile ''bezeichnet) erstrecken sich vor allem auf das Privatrecht, das Strafrecht, das Prozessrecht, später auch auf die Bereiche der städtischen Polizei und Verwaltung.


Diese Vorgaben stehen im Widerspruch zu der herkömmlichen mitgliedstaatlichen Praxis, die öffentliche Unternehmen von den Vorgaben des Wettbewerbsrechts regelmäßig freigestellt hat. Ausdruck hiervon waren die weiten Monopolrechte, mit denen die Mitgliedstaaten öffentliche Unternehmen in den großen Infrastruktursektoren (Telekommunikation, Post, Bahn etc.) regelmäßig ausgestattet haben, um sie so als wirksames Instrument staatlicher Wirtschaftspolitik und ‑planung nutzen zu können. Die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und öffentlichen Unternehmen waren innere Angelegenheiten, typischerweise intransparent und der richterlichen Kontrolle entzogen.
== 2. Erscheinungsformen und Inhalte des Stadtrechts im Mittelalter ==
Aus der Perspektive der städtischen Siedlung lässt sich das mittelalterliche Europa in zwei große Regionen einteilen: In Italien und Südfrankreich wirkte die Kontinuität der römischen ''civitates'' fort. Dagegen waren solche Traditionslinien im nordalpinen Raum und auch in England häufig unterbrochen, städtische Siedlungen entstanden hier häufig im Umfeld von Bischofssitzen, herrscherlichen Pfalzen und aus befestigten Marktplätzen. Doch seit etwa dem 12. Jahrhundert gewannen in ganz Europa bestehende wie neue städtische Siedlungen zunehmend an Raum. Dem entsprachen die Intensivierung des Fernhandels und auch der Aufstieg der Universitäten, die freilich in den bereits ausgeformten Städtelandschaften Südfrankreichs und Oberitaliens bessere Bedingungen vorfanden als im nordalpinen Raum. Im Zusammenhang dieser Entwicklungen entfaltete sich auch das Stadtrecht in seinen eingangs beschriebenen Dimensionen.  


Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatlichen öffentlichen Unternehmen hat zu einschneidenden Änderungen des mitgliedstaatlichen Rechts und der mitgliedstaatlichen Praxis geführt. In dem Maße, in dem öffentliche Unternehmen dem Wettbewerb ausgesetzt sind und keine Vorrechte mehr genießen, können sie nicht mehr als Steuerungsinstrumente für politische und wirtschaftspolitische Ziele eingesetzt werden. Das Gemeinschaftsrecht hat daher die Funktionen von öffentlichen Unternehmensbeteiligungen eingeschränkt und die Politik der Privatisierungen begünstigt. Im deutschen öffentlichen Recht hat die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts eine Debatte über die Umstellung vom Leistungs- auf einen Gewährleistungsstaat ausgelöst.
=== a) Stadtrecht zwischen Privileg und autonomer Normsetzung ===
Die Wurzeln des ''Stadtrechtsprivilegs'' reichen bis in die karolingische Zeit zurück. Denn bereits seit dieser Phase wurde Kaufleuten durch königliche Privilegien königlicher Schutz gewährt, Zoll- und Handelsfreiheit zugestanden, und es wurden ihnen verfahrensrechtliche Bevorzugungen wie die Befreiung vom Zweikampf garantiert. Hinzu traten ebenfalls seit karolingischer, vor allem aber seit ottonischer Zeit die herrscherlichen Marktprivilegien, die den Marktort unter königlichen Schutz stellten, dem Privilegierten die Befugnis gaben, eigene Münzen zur verbindlichen [[Währung]] des Marktes zu machen (und damit Einnahmen aus dem Wechselgeschäft zu erzielen), und die zugleich alle Marktteilnehmer auf die Einhaltung der Marktregeln verpflichteten. Seit dem 11. Jahrhundert, vollends seit dem 12. Jahrhundert, weiteten sich solche Zugeständnisse gegenüber Gemeinden zur Gewährung weiter reichender Freiheiten aus, zu denen dann insbesondere das ''ius statuendi et iudicandi'' gehören kann, das die Grundlage autonomer Normsetzung und Normanwendung bildet. Nicht selten wurden durch Stadtrechts-privilegien aber auch bereits bestehende Rechtsgewohnheiten oder von den Bürgern beschlossene Regeln bestätigt.  


== 2. Staatsunternehmen im Recht der EG ==
Das ''autonom gesetzte Stadtrecht'', also die „Willkür“, „Einung“ oder „Satzung“, fand seinen Geltungsgrund in der Vorstellung vom Bürgerverband als sog. „Schwurgemeinschaft“ (''coniuratio''). In karolingischer Zeit noch als latent bedrohliche „Verschwörung“ gedeutet und deswegen verboten, wurden eidlich begründete Verbände im Zeichen der Gottes- und Landfriedensbewegung seit dem 10. Jahrhundert, aber auch im Zusammenhang mit der Verbandsbildung von Kaufleuten in Gilden immer häufiger. Hier wie im Zusammenhang der Stadt bildete die eidlich gelobte Selbstverpflichtung auf das gemeinschaftlich gesetzte Recht dessen Geltungsgrundlage. Die ausgeprägte Präsenz dieser Legitimation, die im Ansatz auch in den frühneuzeitlichen Gesellschaftsvertragslehren aufzutauchen scheint, wurde besonders in der häufig belegten Verpflichtung aller Bürger zur jährlichen Wiederholung des Bürgereides (''coniuratio reiterata'') deutlich. In der Normsetzungspraxis der Stadt erging das Stadtrecht freilich häufig als „Einung“ des gewählten Rates, der sich allerdings seit etwa dem 14. Jahrhundert zur verselbständigten Obrigkeit entwickelte, die für sich das Recht zum herrschaftlichen „Gebot“ in Anspruch nahm.  
=== a) Art. 31 EG/‌37 AEUV ===
Art. 31 EG/‌37 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre staatlichen Handelsmonopole derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Für Einfuhrmonopole folgt nach der Rspr. des EuGH aus dem Umformungsgebot eine Abschaffungspflicht (EuGH Rs. C-59/‌79 – ''Manghera'', Slg. 1976, 91, Rn. 13), da sie mit einer strukturellen Diskriminierungsgefahr verbunden sind. Ein Handelsmonopol, das selbst darüber entscheidet, zu welchen Bedingungen es Konkurrenzprodukte neben den eigenen Produkten auf dem Markt anbietet, hat eine strategische Position inne, die mit der Chancengleichheit anderer Wirtschaftsteilnehmer unvereinbar ist. Dasselbe gilt nach einer neueren Rspr. des EuGH auch für Ausfuhrmonopole (EuGH Rs. C-159/‌94 – ''Energiemonopole Frankreich'', Slg. 1997, I-5815, Rn. 33 ff.). Dagegen hat der EuGH Einzelhandelsmonopole für zulässig erachtet, soweit sie durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt waren und eine nicht-diskriminierende Organisation und Funktionsweise des Monopols gewährleistet war (EuGH Rs. C-189/‌95 – ''Franzén'', Slg. 1997, I-5909, Rn 39; EuGH Rs. C-438/‌02 – ''Hanner'', Slg. 2005, I-4551, Rn. 34 ff.).


=== b) Die Bedeutung von Art. 86(1)EG/‌106(1) AEUV ===
Unabhängig von seiner normativen Qualität als Gebot oder Einung gewann das Stadtrecht in jedem Fall eine im Vergleich zum ländlichen Recht neue Qualität: Es war – ebenso wie das Recht der Kirche ([[Kanonisches Recht]]) – in hohem Grad verschriftlichtes Recht, während gerade im bäuerlichen Raum, aber auch im Zusammenhang des Lehnrechts ([[Feudalrecht]]) das häufig nur mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht einen ungleich höheren Stellenwert einnahm. Als gesetztes Recht war das Stadtrecht zudem – auch in diesem Punkt dem kanonischen Recht sehr ähnlich – leichter zu verändern, konnte also leichter auf den wirtschaftlichen und sozialen Wandel reagieren. Die in der Tat zu beobachtende Dynamik der Stadtrechtsentwicklung fand ihren Niederschlag in der bereits seit dem 12. Jahrhundert einsetzenden Aufzeichnung des Stadtrechts und seiner Praxis: In den vom städtischen Rat veranlassten ''Stadtbüchern'', die seit dem 12. Jahrhundert entstanden (Schreinsbücher in Köln, um 1130) und vor allem, allerdings nicht nur im Hanseraum ([[Hanse und vormodernes Wirtschaftsrecht]]) verbreitet waren, wurden neben dem städtischen Satzungsrecht das Handeln der Stadtverwaltung, aber auch Rechtsgeschäfte der Stadtbürger insbesondere im Zusammenhang mit Grundbesitz dokumentiert. Dort wo auf diesen Typus hoheitlich verordneter Schriftlichkeit verzichtet worden war, entstanden mit den sog. ''Stadtrechtsbüchern'' private Dokumentationen des Stadtrechts und seiner insbesondere gerichtlichen Praxis, meist aus der Hand von Stadtschreibern (etwa Freisinger Rechtsbuch von 1328 oder Zwickauer Rechtsbuch von 1348). In seiner Entstehung war dieser Werktypus, den man vielleicht als „administrative Gebrauchsliteratur“ bezeichnen könnte, von den Systematisierungsbestrebungen des gelehrten Rechts beeinflusst ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]; [[Scholastik]]), vor allem aber von den hiervon ebenfalls inspirierten Aufzeichnungen von Gewohnheitsrecht insbesondere durch den Sachsen- und den Schwabenspiegel, deren Texte bezeichnenderweise häufig in den Stadtrechtsbüchern mitüberliefert werden.  
Öffentliche Unternehmen sind in gleicher Weise wie Privatunternehmen an die europäischen Wettbewerbsregeln, insb. die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV, gebunden, soweit sie als „Unternehmen“ im Sinne des Wettbewerbsrechts zu qualifizieren sind, d.h. eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, also Waren oder Dienstleistungen am Markt anbieten (EuGH Rs. C-41/‌90 – ''Höfner'', Slg. 1991, I-1979, Rn. 21).


Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV macht darüber hinaus die Mitgliedstaaten als solche zu Normadressaten. Ihnen sind insbesondere Maßnahmen untersagt, durch die Unternehmens- und Marktstrukturen geschaffen würden, die mit dem System unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar sind. Zu den wiederkehrenden Fragen gehört, inwieweit die Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte, welche die begünstigten Unternehmen dem Wettbewerb ganz oder teilweise entziehen, mit dieser Vorgabe vereinbar ist. Der EuGH prüft dies getrennt am Maßstab der Verkehrsfreiheiten und des Wettbewerbsrechts. Zu Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV heißt es in st. Rspr., dass die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung von Sonderrechten als solche nicht gemeinschaftsrechtswidrig ist. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (EuGH Rs. C‑475/‌99 – ''Ambulanz Glöckner'', Slg. 2001, I-8089, Rn. 39; st. Rspr.). Die Verkehrsfreiheiten ihrerseits begründen nicht nur Diskriminierungs-, sondern darüber hinaus Beschränkungsverbote: den Mitgliedstaaten sind alle Maßnahmen untersagt, welche die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, beschränken oder weniger attraktiv machen (für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit: EuGH Rs. C-451/‌03 – ''Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl.'', Slg. 2006, I-2941, Rn. 31; st. Rspr.). Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass eine Regelung, die – obgleich nicht-diskriminierend – bestimmte Tätigkeiten einem einzelnen Unternehmen vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig ausschließt und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschwert oder unmöglich macht und daher einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses bedarf (ebd., Rn. 33–34, 37 u.a.).
=== b) Stadtrechtsfamilien ===
Zwar galt Stadtrecht grundsätzlich nur im Gebiet einer Stadt, auch wenn das Recht der Kaufleute (''ius mercatorum''; s.a. ''[[Lex Mercatoria|lex mercatoria]]'') auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage überregionale Verbreitung fand und darüber hinaus auch vertraglich zwischen Städten die wechselseitige Anerkennung von Stadtrecht vereinbart werden konnte, um etwa die Vollstreckbarkeit von Forderungen zu sichern (so etwa die Vereinbarung zwischen Köln und Verdun von 1178, die eine Solidarhaftung der schuldnerischen Mitbürger einführt). Doch unabhängig hiervon wurden vielfach die Texte oder auch nur die materiellen Inhalte einzelner Stadtrechte von anderen Städten übernommen. Die damit bewirkte Verbreitung von Stadtrechtstexten vollzog sich im Wesentlichen über zwei Mechanismen: Die Übertragung eines fremden Stadtrechtstextes auf eine Stadt konnte zum einen auf der Grundlage eines Normsetzungsaktes erfolgen. Das geschah vor allem im Fall von sog. Gründerstädten, indem der Stadtherr das fremde Recht zur textlichen Grundlage für das Recht der neuen Stadt machte oder auch nur pauschal hierauf verwies. Typisch war etwa die Anordnung des Stadtrechts von Freiburg im Breisgau (1120), dass Streitigkeiten nicht nach dem ''arbitrium'' des Stadtherren, sondern auf der Grundlage des kölnischen Rechts und des allgemeinen kaufmännischen Rechts entschieden werden sollten („non secundum ... arbitrium ... sed pro consuetudinario et legitimo jure omnium mercatorum precipue autem Coloniensium examinabitur judicio“ – Tennenbacher Text des Freiburger Stadtrechts, c. 5). Die Übertragung konnte aber auch auf der Grundlage einer Anfrage von einer jüngeren an eine ältere Stadt erfolgen, die sich meist auf einzelne Rechtsfragen bezog. Diese ausgesprochen weitverbreitete Praxis bewirkte die Entstehung ganzer Filiationen von Stadtrechtstexten und die Entstehung oder Verfestigung von speziellen Spruchstellen wie den sog. ''Schöffenstühlen''. Besondere Autorität erlangten dabei die Rechtstexte von Städten, die wie im Fall von Lübeck, Magdeburg oder Frankfurt ihrem Grundbestand nach durch kaiserliches Privileg abgesichert waren, deswegen eine besondere Dignität beanspruchen konnten und folglich am ehesten Schutz vor Einwänden gegen die Autorität von hieraus abgeleiteten Entscheidungen versprachen. Zur Beschreibung dieses Phänomens, das ein frühes, aber markantes Beispiel eines ''legal transfer'' bildet, hat sich eine nicht ganz unumstrittene, aber nach wie vor allgemein verbreitete Nomenklatur gebildet: ''Stadtrechtsfamilie'' genannt werden solche Stadtrechte, die auf den Text eines einzelnen Stadtrechts zurückgehen wie etwa im Fall des im Ostseeraum verbreiteten Rechts der Stadt Lübeck (''lübisches Recht''). Die Stadt, in der das übertragene Recht entstand, wird ''Mutterstadt'' genannt wie etwa Magdeburg als Ausgangspunkt des vor allem in Ostmitteleuropa und Osteuropa benutzten magdeburgischen Rechts. Die übernehmenden Kommunen werden konsequenterweise als ''Tochterstädte'' bezeichnet.


=== c) Das Beihilfenverbot des Art. 87(1) EG/‌107(1) AEUV ===
=== c) Regelungsinhalte des Stadtrechts ===
Das EG-Beihilfenrecht gilt auch im Verhältnis zu Staatsunternehmen. Zwar hindert es den Staat nicht, sich an Unternehmen zu beteiligen und ihnen Kapital zuzuführen. Er bewegt sich dabei jedoch nur dann außerhalb des Anwendungsbereichs des Beihilfenrechts, wenn er sich wie ein privater Kapitalgeber verhält, d.h. an Rentabilitätskriterien orientiert (''market economy investor principle'', EuGH Rs. C-482/‌99 – ''Stardust Marine'', Slg. 2002, I-4397, Rn. 70; st. Rspr.). Die Abgrenzung kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Auch wenn die Stadtrechte in ihrer ungeheuren Vielfalt und Mehrschichtigkeit kaum zu überblicken sind, sind doch gemeinsame Regelungsbereiche auszumachen.


Beihilfenrechtliche Fragen können sich auch ergeben, wenn ein öffentliches Unternehmen, das für einen Teil seiner wirtschaftlichen Aktivitäten ein Ausschließlichkeitsrecht genießt, seine Tätigkeit im liberalisierten Marktsegment mit Gewinnen aus dem geschützten Bereich quersubventioniert. Insb. im Postsektor haben sich EuG und EuGH um die Entwicklung beihilferechtlicher Maßstäbe für die Beurteilung solcher Quersubventionen bemüht (EuGH Rs. C-83/‌01 P, C-93/‌01 P, C-94/‌01 P – ''Chronopost'', Slg. 2003, I-6993).
Ein tragendes Element bildete die individuelle Freiheit der städtischen Bürger gegenüber fremden Herrschaftsansprüchen. Das wurde besonders deutlich in dem nicht in dieser Form, wohl aber in der Sache seit etwa 1150 belegten Prinzip, „Stadtluft macht frei“. Es bedeutete in der Regel konkret, dass ein insbesondere der Grundherrschaft unterworfener Stadtbewohner dem Zugriff seines Herrn dauerhaft entzogen war oder sogar in den Verband der Stadtbürger aufgenommen wurde, wenn der Herrschaftsanspruch über einen längeren Zeitraum („Jahr und Tag“) nicht geltend gemacht worden war.


Schließlich kann das Beihilfenrecht einschlägig sein, wenn ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, welches es mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (s.u.) betraut hat, hierfür einen finanziellen Ausgleich gewährt. Seit dem ''Altmark Trans-''Urteil (EuGH Rs. C-280/‌00 – ''Altmark Trans'', Slg. 2003, I-7747, Rn. 88 ff.) wird eine solche Ausgleichszahlung nicht als „Begünstigung“ i.S.d. Art. 87(1) EG/‌‌107(1) AEUV und daher nicht als Beihilfe qualifiziert, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) das begünstige Unternehmen ist mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut; (2) die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, sind ex ante objektiv und transparent definiert; (3) der Ausgleich ist auf die Deckung der aus der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung resultierenden Nettokosten beschränkt, einschließlich eines angemessenen Gewinns; (4) und die Höhe des Ausgleichs wird entweder im Rahmen eines offenen Vergabeverfahren bestimmt oder aber auf der Grundlage einer Analyse der Kosten, die bei einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen anfallen würden. In allen anderen Fällen ist Art. 87 EG/‌107 AEUV einschlägig und die Ausgleichszahlung bedarf einer Rechtfertigung am Maßstab des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV.
Kennzeichnend für die Bereiche stadtrechtlicher Regelung waren auch Bestimmungen über den Schutz der Verfügungsfreiheit an Vermögensrechten. Insbesondere in Gründerstädten wurde meist die Befugnis an Grund und Boden gegen die Zahlung eines geringen [[Zins- und Zinseszins|Zinses]] gewährt. Der städtische Bodenverkehr erzwang zudem die Entstehung von grundbuchähnlichen Institutionen, begünstigte aber auch die Ausformung von Rechtsbildungen für den Bodenkredit. Der hierin einmal mehr sichtbar werdenden Bedeutung wirtschaftsrechtlicher Regelungsbereiche entsprach es, dass neben dem allgemeinen Vertragsrecht gerade das Recht des Handwerks (Zunftrecht) sowie das [[Handelsrecht]] einen besonders hohen Stellenwert im Zusammenhang stadtrechtlicher Regelungsbildungen hatten. In der Ausformung von Vollstreckungs- und Konkursrechtsregeln fand diese Entwicklung ihre verfahrensrechtliche Entsprechung. Mit der Ausweitung der Rechtssphäre von Frauen im Zusammenhang mit eigenwirtschaftlichem Handeln wurde die Orientierung des Stadtrechts an der Förderung der städtischen Wirtschaft noch deutlicher.


=== d) Ausnahmen (Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV; Art. 16 EG/‌14 AEUV. ===
Auch das gerichtliche Erkenntnisverfahren bildete einen stadtrechtlichen Regelungsschwerpunkt, wobei die überkommenen Traditionen von Reinigungseid und Gottesurteilen häufig durch Bestimmungen insbesondere über den Zeugen- und Urkundsbeweis verdrängt wurden. Der Aufrechterhaltung und Garantie des innerstädtischen Friedens dienten Gewaltverbote und eine Fülle strafrechtlicher Normen.
Der Ausnahmetatbestand des Art. 86(2) EG/‌‌106(2) AEUV eröffnet Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, sowie Mitgliedstaaten, die eine solche Betrauung vorgenommen haben, die Möglichkeit, Verstöße gegen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen, soweit deren Anwendung die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Gemäß Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV darf dadurch die Entwicklung des Handelsverkehrs allerdings nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vermittelt zwischen dem Geltungsanspruch der Verkehrsfreiheiten und Wettbewerbsregeln einerseits, den politischen Gestaltungsansprüchen der Mitgliedstaaten in staatsnahen Sektoren andererseits. Die Vorschrift wird von der Rspr. heute als Legalausnahme behandelt (seit EuGH Rs. 66/‌86 – ''Ahmed Saeed Flugreisen'', Slg. 1989, 803, Rn. 53). Sie kann von öffentlichen oder privaten Unternehmen in Anspruch genommen werden, sofern nur eine Betrauung i.S.d. Art. 86 EG/‌106 AEUV vorliegt.


Die zunächst mit erheblichen Unsicherheiten verbundenen Tatbestandsmerkmale des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV hat der EuGH seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend konkretisiert. Die EU-Kommission hat ferner eine Reihe einschlägiger Mitteilungen veröffentlicht (zuletzt Mitteilung zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialleistungen: Europas neues Engagement, 20.11.2007, KOM (2007) 725 endg.). Unter „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ werden marktbezogene Tätigkeiten verstanden, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden (Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. 1996 C 281/‌3). Ihre Eigenart besteht darin, dass die fraglichen Leistungen auch dann erbracht werden müssen, wenn dies für das betraute Unternehmen im Einzelfall unrentabel ist (EuG Rs. T-289/‌03 – ''BUPA'', Slg. 2008, II-81, Rn. 190. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Bestimmung, welche Leistungen einen solchen Kontrahierungszwang rechtfertigen, über ein weites Ermessen, das nur auf offenkundige Fehler hin kontrolliert wird. Die Ermessensgrenzen sind bis heute ungewiss. In jedem Fall setzt die Inanspruchnahme des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV einen hoheitlichen Betrauungsakt voraus, der Angaben über die Art des Versorgungsauftrags und seine geographische und zeitliche Reichweite, das betraute Unternehmen und die diesem im Gegenzug gewährten Privilegien enthalten muss. Der Betrauungsakt soll sicherstellen, dass sich der Versorgungsauftrag am allgemeinen wirtschaftlichen Interesse und nicht am Eigeninteresse des betrauten Unternehmens orientiert; er soll ferner Rechtssicherheit und Transparenz gewährleisten. Er bildet den Maßstab für die in Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Deren Reichweite gehört zu den bis heute umstrittenen Fragen. Unklar ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung auf Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV ausgeschlossen ist, weil der Versorgungsauftrag auch mit alternativen, gemeinschaftsfreundlicheren Mitteln als etwa der Beibehaltung eines Ausschließlichkeitsrechts gewährleistet werden kann. Gewiss ist, dass ein Mitgliedstaat nicht auf die Möglichkeit einer Beihilfenfinanzierung anstelle der Beibehaltung von Ausschließlichkeitsrechten verwiesen werden kann. Den ''Energiemonopol-''Urteilen des EuGH zufolge kann die Kommission aber grds. Möglichkeiten aufzeigen, wie die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auch bei Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte durch einen angemessenen Regulierungsrahmen sichergestellt werden kann. Die Darlegungslast liegt in einem solchen Fall zunächst bei der Kommission (EuGH Rs. C-157/‌94 – ''Energiemonopole Niederlande'', Slg. 1997, I-5699, Rn. 58 f.).
Im Zusammenhang der städtischen Rechtsentwicklung gewann das [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] immer wieder Einfluss. Bezeichnenderweise fanden sich in Stadtrechtsbüchern wie dem Hamburger Ordeelbook (1270) deutliche Einflüsse des [[römisches Recht|römischen Recht]]s, das sich dann vollends Bahn brechen konnte, wenn, wie im Fall der italienischen, aber auch der süd- und westdeutschen Städte, das Stadtschreiberamt durch universitär geschulte Juristen ausgeübt wurde. Im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit gewann das römische Recht in den sog. ''Stadtrechtsreformationen ''wie in Frankfurt (1509, 1578), Freiburg (1520) oder Nürnberg (1478) zusätzlich an Gewicht.


Die Schranken-Schranke des Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV hat in der Praxis bislang keine Bedeutung erlangt.
== 3. Das Stadtrecht in Neuzeit und Moderne ==
In der frühen Neuzeit wirkten die mittelalterlichen Traditionen bis etwa zum 18. Jahrhundert weitgehend ungebrochen fort. Allerdings wurde das Stadtrecht im 16. und frühen 17. Jahrhundert stark von den ''Polizeiordnungen'' geprägt, die alle Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens erfassten. Städtisches Recht bildete aber auch immer wieder ein wichtiges Instrument bei der Einführung der Reformation, die sich gerade in Mitteleuropa vor allem über die Städte ausbreitete. Durchgängig bestehen blieb dagegen der rechtliche Gegensatz von Stadt und Land, auch wenn in den aufgeklärten [[Kodifikation]]en des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts das Ideal der Rechtsgleichheit in den Vordergrund rückte, das freilich erst vom Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts umgesetzt wurde (der aber seinerseits die kommunale Rechtsautonomie in engen Grenzen bestehen ließ). Die im späten 19. Jahrhundert einsetzende zweite Welle der Kodifikationen und Rechtsvereinheitlichungen beseitigte die letzten Rechte der überkommenen Stadtrechtstraditionen.


Mit dem Vertrag von Amsterdam ist ein neuer Art. 16 in den EG-Vertrag eingeführt worden (künftig Art. 14 AEUV). Die Vorschrift normiert den Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union und ihre Bedeutung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten haben im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse für die Funktionsfähigkeit dieser Dienste zu sorgen. Die Initiative für die Vertragsänderung ging von den Mitgliedstaaten, insbes. von Frankreich, aus und sollte die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten über ihre öffentlichen Sektoren wieder herzustellen. Der Rspr. des EuGH lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass Art. 16 EG/‌14 AEUV im Ergebnis zu einer Abschwächung der Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV innewohnenden Kontrollmaßstäbe geführt hat. Eine solche Schwächung ist im Ergebnis auch nicht durch den Vertrag von Lissabon zu erwarten, der in einem dem bisherigen Art. 16 neu hinzugefügten S. 2 eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Verordnungen des Parlaments und des Rates betreffend die Grundsätze und Bedingungen des Funktionierens der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse schafft. Diese Rechtsgrundlage tritt in Konkurrenz sowohl zu Art. 95 und zu Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV (s.u.). Das Initiativrecht verbleibt aber bei der Kommission.
==Literatur==
 
''Wilhelm Ebel'', Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, 1958; ''Eberhard Isenmann'', Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1988, 74 ff.; ''Gerhard Dilcher'', Stadtrecht, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 1990, Sp. 1863 ff.; ''Gerhard Dilcher'', Bürgerrecht und Stadtverfassung, 1996; ''Karl Kroeschell'', Stadtrecht, ‑sfamilien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, 1997, 24 ff.; ''Gerhard Dilcher'', Rechtsgeschichte der Stadt, in: idem, Karl Siegfried Bader, Deutsche Rechtsgeschichte: Land und Stadt, 1999, 249 ff.; ''Felicitas Schmieder'', Die mittelalterliche Stadt, 2005; ''Stephan Dusil'', Die Soester Stadtrechtsfamilie. Mittelalterliche Quellen und neuzeitliche Historiographie, 2007.
=== e) Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ===
Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ermächtigt die Kommission, Entscheidungen und Richtlinien an die Mitgliedstaaten (''nicht'' an die Unternehmen) zu richten, wenn dies zur Durchsetzung des Art. 86 EG/‌106 AEUV erforderlich ist. Die Möglichkeit der Kommission, Richtlinien zu erlassen, ist von den Mitgliedstaaten wiederholt angegriffen, vom EuGH aber bestätigt worden (z.B. EuGH Rs. C-271/‌90, 281/‌90 und 289/‌90 – ''Telekommunikationsdienste'', Slg. 1992, I-5833, Rn. 12; st. Rspr.). Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist insb. die Transparenz-RL (RL 2006/‌111) gestützt. Sie soll die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren öffentlichen Unternehmen sowie die finanzielle Transparenz innerhalb öffentlicher Unternehmen in teilliberalisierten Märkten gewährleisten, um die wirksame Anwendung der Beihilfenregeln sicherzustellen. Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist ferner die RL 2002/‌2007 über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste gestützt.
 
== 3. Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung ==
Die verstärkte Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln auf unternehmerisches und staatliches Verhalten in den herkömmlich öffentlichen Sektoren hat zur Liberalisierung dieser Sektoren beigetragen, aber auch zu neuen Regulierungen geführt. In den großen Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung (insbes. Telekommunikation, Post, Energie und Transport) hat die Gemeinschaft einen harmonisierten Rahmen für die Re-Regulierung geschaffen. Ziel dieser Rechtsetzung ist es, den notwendigen Schutz öffentlicher Interessen, einschließlich des Schutzes der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, mit der Herstellung von Wettbewerb in Einklang zu bringen und die Voraussetzungen für einen Binnenmarkt herzustellen. Exemplarisch hierfür ist die Universaldienst-RL (RL&nbsp;2002/‌‌22) für den Bereich der elektronischen Kommunikation: sie definiert diejenigen Dienste, die von allen Mitgliedstaaten in bestimmter Qualität allen Endnutzern in ihrem Hoheitsgebiet zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung zu stellen sind („Universaldienst“) und legt zugleich diejenigen wettbewerbskonformen Mechanismen fest, mit denen etwaige Nettokosten des Universaldienstes finanziert werden können. Mit der vollständigen Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte im Postsektor zum <nowiki>31.12.2010 durch die RL&nbsp;2008/‌6 folgt die Gemeinschaft im Postsektor einem ähnlichen Modell. In den Energiebinnenmarkt-RL’en (Elektrizitätsbinnenmarkt-RL [RL&nbsp;2003/‌54]; Gasbinnenmarkt-RL [RL 2003/‌55]) ist die Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, jedoch keine Vereinheitlichung eines Universaldienstes auf Gemeinschaftsebene vorgesehen. Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gebietet das Gemeinschaftsrecht zwar keine Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, wohl aber die Herstellung von Wettbewerb um den Markt (siehe VO&nbsp;1370/‌2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste). Keine der Richtlinien oder Verordnungen gebietet eine Privatisierung von öffentlichen Unternehmen. In vielen Mitgliedstaaten sind jedoch Privatisierungen und/‌oder Teilprivatisierungen erfolgt, gelegentlich unter Einführung sog. „goldener Aktien“ (</nowiki>''golden shares''), um dem Mitgliedstaat einen Einfluss auf bestimmte strategische Grundlagenentscheidungen zu sichern. Dieser Praxis hat der EuGH in einer umfangreichen Rechtsprechung anhand der Grundfreiheiten enge Grenzen gezogen (siehe EuGH verb. Rs.&nbsp;C-463/‌04 und C-464/‌04 – ''Federconsumatori'', Slg. 2007, I-10419 m.w.N.).


==Literatur==
==Quellen==
''Ulrich Ehricke'', Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb, 1994; ''Ernst-Joachim Mestmäcker'', Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, in: Festschrift für Hans F. Zacher, 1997, 635&nbsp;ff.; ''Damien Géradin'' (Hg.), The Liberalization of State Monopolies in the European Union and Beyond, 2000; ''Heike Schweitzer'', Daseinsvorsorge, ‚service public‘, Universaldienst, 2001/‌2002; ''Thomas von Danwitz'', Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der europäischen Wettbewerbsordnung, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2002/‌I, 2003, 73&nbsp;ff.; ''Josh Holmes'', The Control of State Action under EC Competition Law, in: Valentine Korah (Hg.), Competition Law of the European Community, 2.&nbsp;Aufl. 2005; ''José Luis Buendia Sierra'', Article 86: Exclusive Rights and Other Anti-Competitive State Measures, in: Jonathan Faull, Ali Nikpay (Hg.), The EC Law of Competition, 2.&nbsp;Aufl. 2007, 593&nbsp;ff.; ''Ernst-Joachim Mestmäcker'', ''Heike Schweitzer'', Art.&nbsp;31, 86 EGV, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht Bd.&nbsp;1/‌EG Teil&nbsp;1, 4.&nbsp;Aufl. 2007; ''Erika Szyszczak'', The Regulation of the State in Competitive Markets in the EU, 2007.
Eine umfassende Übersicht der mittelalterlichen Stadtrechte findet sich bei ''Richard Schröder'', ''Eberhard Freiherr von Künssberg'', Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, 1932 (ND 1965), 379&nbsp;ff., 1063&nbsp;ff. Eine Sammlung mittelalterlicher Stadtrechtstexte bei ''Friedrich Keutgen'', Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte, 1899. Für eine auf den europäischen Rahmen ausgelegte Sammlung, die allerdings erst im Entstehen befindlich ist: Elenchus fontium Historiae Urbanae, Bd.&nbsp;1–3, 1967–2005. Die Stadtrechtsreformationen sind verfügbar in: ''Wolfgang Kunkel'' (Hg.), Ältere Stadtrechtsreformationen, 1936.


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Version vom 31. August 2021, 19:07 Uhr

von Andreas Thier

1. Zur Begrifflichkeit

Der Ausdruck „Stadtrecht“ umfasst im Zusammenhang der europäischen Rechtsgeschichte mehrere Bedeutungsschichten: Aus einer eher formalen Perspektive sind damit alle Rechtsnormen gemeint, die nur für eine Stadt gelten und vom Recht des umliegenden Landes abweichen. Vom Geltungsgrund her betrachtet umfasst das Stadtrecht ein Bündel von Befugnissen, die, seit etwa dem 12. Jahrhundert mit dem Ausdruck libertates belegt, den Mitgliedern einer Gemeinde von einem Herrschaftsträger in Form von Privilegien (bisweilen auch als „Handfeste“ bezeichnet) gewährt werden. Diese „Freiheiten“ umfassen neben Ausnahmen von den landrechtlichen Regelungen und subjektiven Rechten – wie etwa die Garantie der persönlichen Freiheit oder der Dispositionsbefugnis über Grundbesitz – auch die Befugnis („Gerechtsame“, iustitia), selbst Recht zu setzen und zu vollstrecken. In diesem Sinn könnte man Stadtrecht als besonderen Rechtsstatus einer Gemeinde und ihrer Bewohner kennzeichnen, der sie zur „Stadt im Rechtssinne“ (H. Planitz) macht. Doch auch das autonom gesetzte Recht eines in dieser Weise verselbständigten genossenschaftlichen Bürgerverbandes oder seines Organs, des Rates, fällt unter den Begriff „Stadtrecht“, das mit Ausdrücken wie „Willkür“, „kore“, decreta, statuta, mandata oder auch arbitria gekennzeichnet wurde. In systematischer Nähe zu diesem Typus des Satzungsrechts steht das Gewohnheitsrecht, das sich in einer Gemeinde entwickeln kann und ebenfalls dem Stadtrecht zuzuordnen ist. Eine letzte Bedeutungsebene von „Stadtrecht“ erschließt sich im Blick auf den materiellen Gehalt von Rechtssätzen für die Binnenordnung von Siedlungen und Gemeinden. Solche Regelungen (häufig als iura oder als ius civile bezeichnet) erstrecken sich vor allem auf das Privatrecht, das Strafrecht, das Prozessrecht, später auch auf die Bereiche der städtischen Polizei und Verwaltung.

2. Erscheinungsformen und Inhalte des Stadtrechts im Mittelalter

Aus der Perspektive der städtischen Siedlung lässt sich das mittelalterliche Europa in zwei große Regionen einteilen: In Italien und Südfrankreich wirkte die Kontinuität der römischen civitates fort. Dagegen waren solche Traditionslinien im nordalpinen Raum und auch in England häufig unterbrochen, städtische Siedlungen entstanden hier häufig im Umfeld von Bischofssitzen, herrscherlichen Pfalzen und aus befestigten Marktplätzen. Doch seit etwa dem 12. Jahrhundert gewannen in ganz Europa bestehende wie neue städtische Siedlungen zunehmend an Raum. Dem entsprachen die Intensivierung des Fernhandels und auch der Aufstieg der Universitäten, die freilich in den bereits ausgeformten Städtelandschaften Südfrankreichs und Oberitaliens bessere Bedingungen vorfanden als im nordalpinen Raum. Im Zusammenhang dieser Entwicklungen entfaltete sich auch das Stadtrecht in seinen eingangs beschriebenen Dimensionen.

a) Stadtrecht zwischen Privileg und autonomer Normsetzung

Die Wurzeln des Stadtrechtsprivilegs reichen bis in die karolingische Zeit zurück. Denn bereits seit dieser Phase wurde Kaufleuten durch königliche Privilegien königlicher Schutz gewährt, Zoll- und Handelsfreiheit zugestanden, und es wurden ihnen verfahrensrechtliche Bevorzugungen wie die Befreiung vom Zweikampf garantiert. Hinzu traten ebenfalls seit karolingischer, vor allem aber seit ottonischer Zeit die herrscherlichen Marktprivilegien, die den Marktort unter königlichen Schutz stellten, dem Privilegierten die Befugnis gaben, eigene Münzen zur verbindlichen Währung des Marktes zu machen (und damit Einnahmen aus dem Wechselgeschäft zu erzielen), und die zugleich alle Marktteilnehmer auf die Einhaltung der Marktregeln verpflichteten. Seit dem 11. Jahrhundert, vollends seit dem 12. Jahrhundert, weiteten sich solche Zugeständnisse gegenüber Gemeinden zur Gewährung weiter reichender Freiheiten aus, zu denen dann insbesondere das ius statuendi et iudicandi gehören kann, das die Grundlage autonomer Normsetzung und Normanwendung bildet. Nicht selten wurden durch Stadtrechts-privilegien aber auch bereits bestehende Rechtsgewohnheiten oder von den Bürgern beschlossene Regeln bestätigt.

Das autonom gesetzte Stadtrecht, also die „Willkür“, „Einung“ oder „Satzung“, fand seinen Geltungsgrund in der Vorstellung vom Bürgerverband als sog. „Schwurgemeinschaft“ (coniuratio). In karolingischer Zeit noch als latent bedrohliche „Verschwörung“ gedeutet und deswegen verboten, wurden eidlich begründete Verbände im Zeichen der Gottes- und Landfriedensbewegung seit dem 10. Jahrhundert, aber auch im Zusammenhang mit der Verbandsbildung von Kaufleuten in Gilden immer häufiger. Hier wie im Zusammenhang der Stadt bildete die eidlich gelobte Selbstverpflichtung auf das gemeinschaftlich gesetzte Recht dessen Geltungsgrundlage. Die ausgeprägte Präsenz dieser Legitimation, die im Ansatz auch in den frühneuzeitlichen Gesellschaftsvertragslehren aufzutauchen scheint, wurde besonders in der häufig belegten Verpflichtung aller Bürger zur jährlichen Wiederholung des Bürgereides (coniuratio reiterata) deutlich. In der Normsetzungspraxis der Stadt erging das Stadtrecht freilich häufig als „Einung“ des gewählten Rates, der sich allerdings seit etwa dem 14. Jahrhundert zur verselbständigten Obrigkeit entwickelte, die für sich das Recht zum herrschaftlichen „Gebot“ in Anspruch nahm.

Unabhängig von seiner normativen Qualität als Gebot oder Einung gewann das Stadtrecht in jedem Fall eine im Vergleich zum ländlichen Recht neue Qualität: Es war – ebenso wie das Recht der Kirche (Kanonisches Recht) – in hohem Grad verschriftlichtes Recht, während gerade im bäuerlichen Raum, aber auch im Zusammenhang des Lehnrechts (Feudalrecht) das häufig nur mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht einen ungleich höheren Stellenwert einnahm. Als gesetztes Recht war das Stadtrecht zudem – auch in diesem Punkt dem kanonischen Recht sehr ähnlich – leichter zu verändern, konnte also leichter auf den wirtschaftlichen und sozialen Wandel reagieren. Die in der Tat zu beobachtende Dynamik der Stadtrechtsentwicklung fand ihren Niederschlag in der bereits seit dem 12. Jahrhundert einsetzenden Aufzeichnung des Stadtrechts und seiner Praxis: In den vom städtischen Rat veranlassten Stadtbüchern, die seit dem 12. Jahrhundert entstanden (Schreinsbücher in Köln, um 1130) und vor allem, allerdings nicht nur im Hanseraum (Hanse und vormodernes Wirtschaftsrecht) verbreitet waren, wurden neben dem städtischen Satzungsrecht das Handeln der Stadtverwaltung, aber auch Rechtsgeschäfte der Stadtbürger insbesondere im Zusammenhang mit Grundbesitz dokumentiert. Dort wo auf diesen Typus hoheitlich verordneter Schriftlichkeit verzichtet worden war, entstanden mit den sog. Stadtrechtsbüchern private Dokumentationen des Stadtrechts und seiner insbesondere gerichtlichen Praxis, meist aus der Hand von Stadtschreibern (etwa Freisinger Rechtsbuch von 1328 oder Zwickauer Rechtsbuch von 1348). In seiner Entstehung war dieser Werktypus, den man vielleicht als „administrative Gebrauchsliteratur“ bezeichnen könnte, von den Systematisierungsbestrebungen des gelehrten Rechts beeinflusst (ius commune; Scholastik), vor allem aber von den hiervon ebenfalls inspirierten Aufzeichnungen von Gewohnheitsrecht insbesondere durch den Sachsen- und den Schwabenspiegel, deren Texte bezeichnenderweise häufig in den Stadtrechtsbüchern mitüberliefert werden.

b) Stadtrechtsfamilien

Zwar galt Stadtrecht grundsätzlich nur im Gebiet einer Stadt, auch wenn das Recht der Kaufleute (ius mercatorum; s.a. lex mercatoria) auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage überregionale Verbreitung fand und darüber hinaus auch vertraglich zwischen Städten die wechselseitige Anerkennung von Stadtrecht vereinbart werden konnte, um etwa die Vollstreckbarkeit von Forderungen zu sichern (so etwa die Vereinbarung zwischen Köln und Verdun von 1178, die eine Solidarhaftung der schuldnerischen Mitbürger einführt). Doch unabhängig hiervon wurden vielfach die Texte oder auch nur die materiellen Inhalte einzelner Stadtrechte von anderen Städten übernommen. Die damit bewirkte Verbreitung von Stadtrechtstexten vollzog sich im Wesentlichen über zwei Mechanismen: Die Übertragung eines fremden Stadtrechtstextes auf eine Stadt konnte zum einen auf der Grundlage eines Normsetzungsaktes erfolgen. Das geschah vor allem im Fall von sog. Gründerstädten, indem der Stadtherr das fremde Recht zur textlichen Grundlage für das Recht der neuen Stadt machte oder auch nur pauschal hierauf verwies. Typisch war etwa die Anordnung des Stadtrechts von Freiburg im Breisgau (1120), dass Streitigkeiten nicht nach dem arbitrium des Stadtherren, sondern auf der Grundlage des kölnischen Rechts und des allgemeinen kaufmännischen Rechts entschieden werden sollten („non secundum ... arbitrium ... sed pro consuetudinario et legitimo jure omnium mercatorum precipue autem Coloniensium examinabitur judicio“ – Tennenbacher Text des Freiburger Stadtrechts, c. 5). Die Übertragung konnte aber auch auf der Grundlage einer Anfrage von einer jüngeren an eine ältere Stadt erfolgen, die sich meist auf einzelne Rechtsfragen bezog. Diese ausgesprochen weitverbreitete Praxis bewirkte die Entstehung ganzer Filiationen von Stadtrechtstexten und die Entstehung oder Verfestigung von speziellen Spruchstellen wie den sog. Schöffenstühlen. Besondere Autorität erlangten dabei die Rechtstexte von Städten, die wie im Fall von Lübeck, Magdeburg oder Frankfurt ihrem Grundbestand nach durch kaiserliches Privileg abgesichert waren, deswegen eine besondere Dignität beanspruchen konnten und folglich am ehesten Schutz vor Einwänden gegen die Autorität von hieraus abgeleiteten Entscheidungen versprachen. Zur Beschreibung dieses Phänomens, das ein frühes, aber markantes Beispiel eines legal transfer bildet, hat sich eine nicht ganz unumstrittene, aber nach wie vor allgemein verbreitete Nomenklatur gebildet: Stadtrechtsfamilie genannt werden solche Stadtrechte, die auf den Text eines einzelnen Stadtrechts zurückgehen wie etwa im Fall des im Ostseeraum verbreiteten Rechts der Stadt Lübeck (lübisches Recht). Die Stadt, in der das übertragene Recht entstand, wird Mutterstadt genannt wie etwa Magdeburg als Ausgangspunkt des vor allem in Ostmitteleuropa und Osteuropa benutzten magdeburgischen Rechts. Die übernehmenden Kommunen werden konsequenterweise als Tochterstädte bezeichnet.

c) Regelungsinhalte des Stadtrechts

Auch wenn die Stadtrechte in ihrer ungeheuren Vielfalt und Mehrschichtigkeit kaum zu überblicken sind, sind doch gemeinsame Regelungsbereiche auszumachen.

Ein tragendes Element bildete die individuelle Freiheit der städtischen Bürger gegenüber fremden Herrschaftsansprüchen. Das wurde besonders deutlich in dem nicht in dieser Form, wohl aber in der Sache seit etwa 1150 belegten Prinzip, „Stadtluft macht frei“. Es bedeutete in der Regel konkret, dass ein insbesondere der Grundherrschaft unterworfener Stadtbewohner dem Zugriff seines Herrn dauerhaft entzogen war oder sogar in den Verband der Stadtbürger aufgenommen wurde, wenn der Herrschaftsanspruch über einen längeren Zeitraum („Jahr und Tag“) nicht geltend gemacht worden war.

Kennzeichnend für die Bereiche stadtrechtlicher Regelung waren auch Bestimmungen über den Schutz der Verfügungsfreiheit an Vermögensrechten. Insbesondere in Gründerstädten wurde meist die Befugnis an Grund und Boden gegen die Zahlung eines geringen Zinses gewährt. Der städtische Bodenverkehr erzwang zudem die Entstehung von grundbuchähnlichen Institutionen, begünstigte aber auch die Ausformung von Rechtsbildungen für den Bodenkredit. Der hierin einmal mehr sichtbar werdenden Bedeutung wirtschaftsrechtlicher Regelungsbereiche entsprach es, dass neben dem allgemeinen Vertragsrecht gerade das Recht des Handwerks (Zunftrecht) sowie das Handelsrecht einen besonders hohen Stellenwert im Zusammenhang stadtrechtlicher Regelungsbildungen hatten. In der Ausformung von Vollstreckungs- und Konkursrechtsregeln fand diese Entwicklung ihre verfahrensrechtliche Entsprechung. Mit der Ausweitung der Rechtssphäre von Frauen im Zusammenhang mit eigenwirtschaftlichem Handeln wurde die Orientierung des Stadtrechts an der Förderung der städtischen Wirtschaft noch deutlicher.

Auch das gerichtliche Erkenntnisverfahren bildete einen stadtrechtlichen Regelungsschwerpunkt, wobei die überkommenen Traditionen von Reinigungseid und Gottesurteilen häufig durch Bestimmungen insbesondere über den Zeugen- und Urkundsbeweis verdrängt wurden. Der Aufrechterhaltung und Garantie des innerstädtischen Friedens dienten Gewaltverbote und eine Fülle strafrechtlicher Normen.

Im Zusammenhang der städtischen Rechtsentwicklung gewann das ius commune immer wieder Einfluss. Bezeichnenderweise fanden sich in Stadtrechtsbüchern wie dem Hamburger Ordeelbook (1270) deutliche Einflüsse des römischen Rechts, das sich dann vollends Bahn brechen konnte, wenn, wie im Fall der italienischen, aber auch der süd- und westdeutschen Städte, das Stadtschreiberamt durch universitär geschulte Juristen ausgeübt wurde. Im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit gewann das römische Recht in den sog. Stadtrechtsreformationen wie in Frankfurt (1509, 1578), Freiburg (1520) oder Nürnberg (1478) zusätzlich an Gewicht.

3. Das Stadtrecht in Neuzeit und Moderne

In der frühen Neuzeit wirkten die mittelalterlichen Traditionen bis etwa zum 18. Jahrhundert weitgehend ungebrochen fort. Allerdings wurde das Stadtrecht im 16. und frühen 17. Jahrhundert stark von den Polizeiordnungen geprägt, die alle Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens erfassten. Städtisches Recht bildete aber auch immer wieder ein wichtiges Instrument bei der Einführung der Reformation, die sich gerade in Mitteleuropa vor allem über die Städte ausbreitete. Durchgängig bestehen blieb dagegen der rechtliche Gegensatz von Stadt und Land, auch wenn in den aufgeklärten Kodifikationen des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts das Ideal der Rechtsgleichheit in den Vordergrund rückte, das freilich erst vom Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts umgesetzt wurde (der aber seinerseits die kommunale Rechtsautonomie in engen Grenzen bestehen ließ). Die im späten 19. Jahrhundert einsetzende zweite Welle der Kodifikationen und Rechtsvereinheitlichungen beseitigte die letzten Rechte der überkommenen Stadtrechtstraditionen.

Literatur

Wilhelm Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, 1958; Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1988, 74 ff.; Gerhard Dilcher, Stadtrecht, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 1990, Sp. 1863 ff.; Gerhard Dilcher, Bürgerrecht und Stadtverfassung, 1996; Karl Kroeschell, Stadtrecht, ‑sfamilien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, 1997, 24 ff.; Gerhard Dilcher, Rechtsgeschichte der Stadt, in: idem, Karl Siegfried Bader, Deutsche Rechtsgeschichte: Land und Stadt, 1999, 249 ff.; Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt, 2005; Stephan Dusil, Die Soester Stadtrechtsfamilie. Mittelalterliche Quellen und neuzeitliche Historiographie, 2007.

Quellen

Eine umfassende Übersicht der mittelalterlichen Stadtrechte findet sich bei Richard Schröder, Eberhard Freiherr von Künssberg, Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, 1932 (ND 1965), 379 ff., 1063 ff. Eine Sammlung mittelalterlicher Stadtrechtstexte bei Friedrich Keutgen, Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte, 1899. Für eine auf den europäischen Rahmen ausgelegte Sammlung, die allerdings erst im Entstehen befindlich ist: Elenchus fontium Historiae Urbanae, Bd. 1–3, 1967–2005. Die Stadtrechtsreformationen sind verfügbar in: Wolfgang Kunkel (Hg.), Ältere Stadtrechtsreformationen, 1936.

Abgerufen von Staatsunternehmen im Wettbewerbsrecht – HWB-EuP 2009 am 20. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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