Minderung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 17:12 Uhr

von Peter Huber

1. Gegenstand und Zweck

a) Bestimmung des Begriffs

Unter Minderung versteht man die Herabsetzung des vertraglich vereinbarten Preises wegen nicht vertragsgemäßer Leistung. Die benachteiligte Partei behält die von der anderen Partei erbrachte Leistung, obwohl diese nicht vertragsgemäß ist; im Gegenzug wird die von der benachteiligten Partei geschuldete Gegenleistung entsprechend herabgesetzt. Falls die benachteiligte Partei bereits den vollen Preis gezahlt hat, kann sie das zuviel Gezahlte zurückverlangen. Anders als die Vertragsaufhebung führt die Minderung aber nicht zur Rückabwicklung der erbrachten Sachleistung. Die Minderung führt häufig, aber nicht immer zu gleichen Ergebnissen wie der Schadensersatz wegen Wertminderung, sie schließt weitergehende Ansprüche wegen sonstiger Schäden jedoch nicht aus.

b) Funktion

Die Minderung dient dazu, der benachteiligten Partei einen finanziellen Ausgleich für die infolge der Vertragswidrigkeit der Leistung aufgetretenen Nachteile zu geben, ohne den Vertrag aufzuheben. Zwar kann dieses Ziel im rechnerischen Ergebnis auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Wertminderung erreicht werden, doch zielt die Minderung darauf ab, es unter erleichterten Voraussetzungen zu erreichen. So steht die Minderung in der Regel auch dann zur Verfügung, wenn ein Schadensersatzanspruch nicht gegeben ist, etwa weil die Nichterfüllung entschuldigt ist (z.B. wegen force majeure), der Schaden nicht voraussehbar war oder die nicht erfüllende Partei den Vertragsbruch nicht zu vertreten hat. Weiter dient die Minderung – wenn sie proportional und nicht absolut berechnet wird (s.u. 3.c) – dazu, das Äquivalenzverhältnis des Vertrages trotz der Störung durch die Vertragswidrigkeit der Leistung aufrecht zu erhalten.

c) Historischer Hintergrund

Die Minderung ist ein typisches Rechtsinstitut des civil law-Rechtskreises. Sie hat ihren Ursprung im römischen Recht der klassischen Zeit. Die Minderung oder actio quanti minoris zählt wie die dem Käufer alternativ zur Verfügung stehende actio redhibitoria (Wandelungsklage) zu den ädilizischen Rechtsbehelfen. Diese führten eine Sachmängelhaftung ein, zunächst nur für den Sklavenhandel und für den Verkauf von Zug- und Lasttieren. Der Käufer hatte einen Anspruch gegen den Verkäufer auf Rückzahlung der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert der „Kaufsache“ und deren Wert im vertragsgemäßen Zustand. Im Laufe der Zeit wurden die ädilizischen Rechtsbehelfe und damit auch die Minderung in das ius civile integriert und auf andere Arten des Kaufes ausgedehnt. Das Modell des römischen Rechts wurde von vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen übernommen. Dies gilt in erster Linie für den Kaufvertrag (vgl. Art. 3(2) Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/‌44); § 932 Abs. 1 ABGB; § 441 BGB; Art. 1644 frz. Code civil). Teilweise wird die Minderung auch für andere Vertragstypen vorgesehen, z.B. für Tausch-, Miet- (Miete und Pacht), Werk- und Reiseverträge in Deutschland oder im niederländischen Recht, wo die Minderung – wenn auch in Form einer teilweisen Vertragsaufhebung – im allgemeinen Vertragsrecht verankert ist.

Dem common law ist das Rechtsinstitut der Minderung als solches grundsätzlich fremd. Doch werden auf anderen Wegen in der Regel ähnliche Ergebnisse erzielt. Insbesondere hat der Käufer einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch in der Höhe des Minderwertes der Leistung, mit dem er gegen die Gegenforderung (z.B. Kaufpreisforderung) aufrechnen kann (vgl. etwa § 2-717 UCC Reduction of Damages From the Price, Section 53(29), (3) Sale of Goods Act 1979). Daher sind die erzielten Ergebnisse denen des civil law ähnlich.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Obwohl die Minderung ein typischer Rechtsbehelf des kontinentaleuropäischen Rechts ist, der im common law nicht verbreitet ist, findet sie sich in fast allen wichtigen Vereinheitlichungsprojekten des Vertragsrechts (Ausnahme: UNIDROIT PICC). Dies ist eine Folge der international verbreiteten Tendenz, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen und den Käufer primär auf vertragserhaltende Rechtsbehelfe, wie Nacherfüllung, Schadensersatz oder eben die Minderung zu verweisen (siehe zu dieser Rechtsentwicklung Vertragsaufhebung). Dementsprechend sind die Voraussetzungen der Minderung in der Regel weniger streng als diejenigen der Vertragsaufhebung; so wird etwa nicht vorausgesetzt, dass die Vertragsverletzung wesentlich ist. Allerdings ist die Minderung ihrerseits manchmal nachrangig gegenüber der Nacherfüllung (so z.B. in der Verbrauchsgüterkauf-RL [Verbrauchsgüterkauf], im BGB oder im CISG [Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]). Dies entspricht einer weiteren Tendenz, die in der internationalen Rechtsentwicklung auszumachen ist, nämlich dem Schuldner eine zweite Chance einzuräumen, sich die volle Gegenleistung zu verdienen (siehe Stichwort Nacherfüllung).

3. Einzelausgestaltung der Minderung im Einheitsrecht

Eine Normierung der Vertragsaufhebung muss folgende Fragen beantworten: (a) Unter welchen Voraussetzungen ist die benachteiligte Partei zur Minderung berechtigt? (b) Wie wird die Minderung ausgeübt? (c) Wie wird die Minderung berechnet? (d) Wie ist das Verhältnis zum Schadensersatz und zur Vertragsaufhebung?

a) Voraussetzungen der Minderung

Die Minderung setzt grundsätzlich voraus, dass der Schuldner eine nicht vertragsgemäße Leistung erbracht hat, die von der benachteiligten Partei angenommen wurde (vgl. Art. 9:401(1) PECL, Art. III.-3:601(1) DCFR, Art. 50(1) CISG). Ihr Anwendungsfeld ist also das (Sach- oder Rechts‑)Mängelrecht.

In Einklang mit dem oben genannten Prinzip der Zurückdrängung der Vertragsaufhebung unterliegt die Minderung typischerweise nicht den strengen Voraussetzungen, die für die Vertragsaufhebung gelten, etwa dem Erfordernis einer wesentlichen Vertragsverletzung.

Unterschiedlich geregelt wird das Verhältnis der Minderung zum Recht der nicht erfüllenden Partei auf Heilung der nicht vertragsgemäßen Leistung. Zum Teil wird dem Heilungsrecht Vorrang vor der Minderung gegeben, so etwa in der Verbrauchsgüterkauf-RL. Gemäß Art. 3(5) kann der Käufer nur dann eine Minderung des Kaufpreises verlangen, wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat. Nach Art. 8:104 PECL hingegen hat die nicht erfüllende Partei nur dann das Recht, eine nicht vertragsgemäße Leistung zu heilen, wenn die Leistung zurückgewiesen wurde. Nimmt die benachteiligte Partei die Leistung hingegen an, kann sie sofort – ohne dem Vertragspartner eine zweite Chance zu geben – den Preis gemäß Art. 9:401 PECL mindern. Eine vermittelnde Position zwischen dem Recht auf Minderung und dem Recht auf Nacherfüllung nimmt der Draft DCFR ein. Der nicht erfüllenden Partei wird ein Recht auf Heilung zugestanden (Art. III-3:202), sie kann dieses Recht aber nur ausüben, wenn sie unverzüglich Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist anbietet. Innerhalb dieser kurzen Frist ist das Recht auf Minderung ausgeschlossen (Art. III-3:204(1)). Art. 50 S. 2 CISG besagt, dass eine Minderung ausgeschlossen ist, soweit der Verkäufer einen Mangel der Kaufsache behoben hat. Es fehlt jedoch an einer Klarstellung, ob der Käufer – wie unter der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – eine angemessene Zeit warten muss, bis er sein Minderungsrecht ausüben darf, oder ob das Minderungsrecht nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Verkäufer – entsprechend der Regelung im DCFR – ohne schuldhaftes Zögern Heilung anbietet.

b) Ausübung der Minderung

Ursprünglich war die Minderung in den nationalen Rechtsordnungen meist als Anspruch gegen die nicht erfüllende Partei ausgestaltet. Die benachteiligte Partei konnte deren Zustimmung zur Herabsetzung der Gegenleistung verlangen. Wirksam wurde die Herabsetzung erst mit dieser Zustimmung oder mit einer gerichtlichen Entscheidung, welche die Zustimmung (ggf. mit Rückwirkung) ersetzte. Auch heute noch ist diese Lösung verbreitet, insbesondere in denjenigen Rechtsordnungen, die nach wie vor nahe am System der ädilizischen Rechtsbehelfe geblieben sind, wie etwa im französischen Recht. Im Einheitsrecht hingegen hat sich die Ausgestaltung der Minderung als Gestaltungsrecht durchgesetzt, so etwa im CISG (Art. 51), im DCFR (Art. III.-3:601) und in den PECL (Art. 9:401). Ebenso ist es seit der Reform von 2002 im BGB (§ 441).

c) Berechnung der Höhe der Preisminderung

In Einklang mit den meisten nationalen Rechtsordnungen sehen die Werke des Einheitsrechts eine proportionale (oder relative) Berechnungsmethode für die Minderung vor. Der Vertragspreis wird in dem Verhältnis gemindert, in dem der tatsächliche Wert der nicht vertragsgemäßen Leistung vom hypothetischen Wert einer vertragsgemäßen Leistung abweicht. Die Herabsetzung entspricht also nicht einfach linear dem Minderwert der Leistung, vielmehr wird das ursprüngliche Äquivalenzverhältnis des Vertrages aufrechterhalten.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Minderung ist im Einheitsrecht derjenige der Leistungserbringung (Art. 50 CISG, Art. 9:401 PECL, Art. III.-3:601 DCFR). Anders ist es etwa im deutschen Recht, das auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt (§ 441 BGB).

d) Verhältnis zum Schadensersatz und zur Vertragsaufhebung

Soweit die Minderung den durch die Vertragswidrigkeit der erbrachten Leistung eingetretenen Wertverlust ausgleicht, sind Schadensersatzansprüche der benachteiligten Partei selbstverständlich ausgeschlossen. Der Ausgleich darüber hinaus gehender Einbußen durch einen Schadensersatzanspruch bleibt hingegen möglich. Dies wird teilweise ausdrücklich angeordnet (Art. 9:401(3) PECL; Art. III.-3:601(1) DCFR), ergibt sich aber im Übrigen aus allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts (so etwa im CISG). Wenn ein Schadensersatzanspruch wegen entschuldigter Nichterfüllung ausgeschlossen ist (Art. 8:108 PECL; Art. 79 CISG; Art. III.-3:104 DCFR), kann die benachteiligte Partei nur auf die Minderung zurückgreifen.

Eine Vertragsaufhebung ist nicht mehr möglich, sobald die Minderung wirksam geworden ist, im Einheitsrecht also in der Regel dann, wenn sie von der benachteiligten Partei erklärt wurde (Minderung als Gestaltungsrecht, vgl. oben). Denn mit der Wahl der Minderung bringt die benachteiligte Partei zum Ausdruck, dass sie die nicht vertragsgemäße Leistung behalten möchte.

Literatur

Ernst Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. I, 1936, Bd. II, 1958, 232 ff.; G.H. Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, 318 ff.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 800 ff.; Andreas Schwartze, Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, 220 ff.; Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, 439 ff., 450 ff., 495 ff.; Andrea Sandrock, Vertragswidrigkeit der Sachleistung, 2003, 209 ff.; Reinhard Zimmermann, The New German Law of Obligations, 2005, 66 ff., 107 f.; Peter Huber, Comparative Sales Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 937 ff.; Peter Huber, Alastair Mullis, The CISG, 2007, 209 ff.

Abgerufen von Minderung – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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