Rating-Agenturen und Türkisches Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Begriff der Rating-Agentur ==
== 1. Ursprünge des modernen türkischen Privatrechts ==
Rating-Agenturen geben Stellungnahmen zur Kreditwürdigkeit von Emittenten oder [[Finanzinstrument]]en ab. Die Einschätzungen von Rating-Agenturen sind von erheblichem Gewicht für die Kauf- oder Verkaufentscheidungen des Anlegerpublikums. Das Rating gibt die Wahrscheinlichkeit an, zu der ein Emittent aktuell entweder all seinen finanziellen Verpflichtungen oder seinen Verpflichtungen aus einem bestimmten Schuldtitel oder festverzinslichen Wertpapier nachzukommen vermag (Emittenten- bzw. Instrumenten-Rating). Ratings sind nicht auf Unternehmen beschränkt, sondern können sich auch auf öffentlich-rechtliche Körperschaften und Staaten beziehen. Das Rating wird unter Verwendung einer feingliedrigen Bonitätsskala ausgedrückt, die von der höchsten Bonitätsstufe (''investment grade'') bis zur schlechtesten Einstufung (''speculative grade'') reicht. Der Risikograd wird häufig durch eine Buchstabenkombination, z.B. „AAA“ für höchste und „D“ für niedrigste Bonität, ausgedrückt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass das Rating wie die Finanzanalyse als Meinungskundgabe einzuordnen ist. Im Unterschied dazu stellt das Rating aber keine Empfehlung dar und unterliegt deshalb nicht den für die [[Finanzanalyst]]en geltenden Vorgaben. Vom Regelfall des Ratings im Auftrag des Emittenten (''Solicited Rating'') ist die auftragslose Abgabe einer Bonitätsbewertung (''Unsolicited Rating'') zu unterscheiden. Bei letzterer erfolgt kein Zugriff auf interne Informationen des Emittenten. Neben ihrem Kerngeschäft bieten die Agenturen häufig auch Risikobewertungen im Rahmen der Beratung zu Anlageobjekten oder zur Strukturierung von Finanzprodukten an.
Das türkische Privatrecht wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts von verschiedenen Rezeptionswellen geprägt. Allen ist gemein, dass sie die Modernisierung des Rechtssystems anstrebten und die übernommenen Gesetze aus Europa stammten.  


== 2. Einordnung und Funktion des Ratings ==
Die erste Rezeption fand noch zu Zeiten des Osmanischen Reichs statt. Ursprünglich wurde im Reich die Pflichtenlehre des Islam angewandt ([[islamisches Recht]]), dessen Einhaltung den geistlichen Gerichten anvertraut war. Die nicht muslimischen Religionsgemeinschaften unterlagen in Status-, Familien- und Erbrechtsangelegenheiten den Vorschriften und der Gerichtsbarkeit ihrer Glaubensgemeinden, ansonsten jedoch der Scharia. Die im Osmanischen Reich ansässigen Ausländer wiederum waren infolge besonderer Staatsverträge (''les capitulations'') mit Privilegien wie die Konsulargerichtsbarkeit ausgestattet. Insgesamt war die Rechtsordnung geprägt durch ihre Rechtspluralität.
Rating-Agenturen zählen zu den [[Finanzintermediär]]en im weiteren Sinne. Finanzintermediäre im weiteren Sinne erbringen vor allem Informationsdienstleistungen. Damit ermöglichen oder unterstützen sie die Zusammenführung von Kapitalangebot und ‑nachfrage durch Finanzintermediäre im engeren Sinne wie insbesondere die Banken ([[Europäischer Bankenmarkt]]). Informationsdienstleistungen von vergleichbarer Bedeutung erbringen neben den bereits angesprochenen [[Finanzanalyst]]en auch die [[Abschlussprüfer]]. Zusammen mit diesen gelten Rating-Agenturen als die wichtigsten Informationsintermediäre des Kapitalmarkts. Übergreifend besteht die Aufgabe sämtlicher Informationsintermediäre darin, fehlende Informationen zu substituieren, vorhandene Informationen zu verifizieren und Informationen im wirtschaftlichen Gesamtkontext zu evaluieren. Die Leistungen der genannten Informationsintermediäre ergänzen sich und bauen teilweise direkt oder indirekt aufeinander auf. Sie folgen aber einer jeweils eigenen Methodik. Der Schwerpunkt des Ratings liegt in der Evaluation, die anders als die ebenfalls schwerpunktmäßig evaluierende Finanzanalyse nicht zukunfts-, sondern wie der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers gegenwartsbezogen ist.


Das Rating-Urteil stützt sich auf die Analyse quantitativer Daten wie Umsatz, ''cash flow'', Eigenkapitalquote, bezieht aber auch Branchenrisiken und Risiken des nationalen Wirtschaftsraums mit ein. Auch qualitative Kriterien wie insbesondere das Verhalten bei der Rückzahlung von Krediten in der Vergangenheit und die ''[[Corporate Governance]]'' des Emittenten werden bewertet. Vor allem zur Beurteilung der qualitativen Kriterien nehmen Rating-Agenturen in der Regel Kontakt mit der Unternehmensleitung des Emittenten auf.  
Diese wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter unterstrichen, da zu der geistlichen Rechtsordnung nun eine weltliche hinzutrat. Der Gedanke der Kodifikation als Garantie für ein rationales und gerechtes Staatssystem hatte auch im Osmanischen Reich Fuß gefasst, sodass ein politischer Reformdruck von Innen gegeben war. Ein entsprechender Druck kam auch aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich von der Einführung säkularer Gesetze und weltlicher Gerichte einen effektiveren Schutz ihrer Sonderrechte erhofften, die sie durch Staatsverträge erlangt hatten. Die neuen Gesetze wurden fast ausschließlich unter französischem Einfluss vorbereitet, was insbesondere auf die Bedeutung der durch die französische Revolution ausgelösten Ideen und Ideale für die Reformbewegungen im Osmanischen Reich zurückzuführen ist. So waren das Handelsgesetzbuch (1850) und das Seehandelsgesetzbuch (1863) Übersetzungen der Bücher 1 bis 3 des französischen'' [[Code de Commerce]]''. Die Zivilprozessordnung (1879) war inhaltlich in großen Teilen an den französischen ''Code de procédure civile'' angelehnt. Obwohl im Rahmen dieser Reformen auch die Übernahme des ''[[Code civil]] ''in Erwägung gezogen wurde, setzten sich die reaktionären Kräfte im Lande durch, so dass stattdessen in den Jahren 1869 bis 1876 Teile der Scharia unter dem Namen ''Mecelle-i ahkamı adliye'' in 16 Büchern kodifiziert wurden. Dieses Gesetzbuch enthält obligationen-, sachen- und prozessrechtliche Bestimmungen gemäß der Pflichtenlehre des Islams.


Ratings sind heute weltweit ein fester Bestandteil der Vertragsgestaltung innerhalb und außerhalb des Finanzmarkts. Durch sog. ''Rating-Triggers'' wird der Eintritt bestimmter Rechtsfolgen vertraglich von Veränderungen der Bonität des Vertragspartners abhängig gemacht. Z.B. bei langfristigen [[Darlehen]] wird die Zinshöhe an Veränderungen der Bonitätsbeurteilung des Schuldners ausgerichtet. Rechtstechnisch handelt es sich um eine aufschiebende oder auflösende [[Bedingung und Befristung|Bedingung]]. Von besonderer Bedeutung sind Ratings für Finanzintermediäre im engeren Sinne. So wirken sich die Ratings der Darlehensnehmer auf die Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten aus. Die Bonitätsbewertung und die Risikoklassifikation des Kreditinstituts selbst können außerdem für den Beitragssatz maßgeblich sein, den das Kreditinstitut zur Finanzierung der Einlagensicherung zu leisten hat. Die hierzu herangezogenen Risikoklassifikationen werden allerdings z.B. in Deutschland nicht durch allgemeine Rating-Agenturen, sondern durch spezialisierte Prüfungsverbände erbracht. Einige Staaten knüpfen weitere aufsichtsrechtliche Regeln an ein bestimmtes Rating-Ergebnis. Z.B. können sich die Möglichkeiten eines Pensionsfonds, in private Anleihen zu investieren, nach deren Rating bestimmen. Hinzu kommen Regeln von [[Börsen]] wie z.B. die von Euronext, nach denen die Platzierung von Finanzinstrumenten von der Vorlage und Veröffentlichung eines Ratings abhängig gemacht werden kann.
Die zweite große Rezeption erfolgte von 1926 bis 1929 und diente der Untermauerung des radikalen gesellschaftlichen und strukturellen Wandels vom Osmanischen Reich in eine westlich orientierte parlamentarische Republik, deren Hauptmerkmale Laizismus, Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit waren. Es war das ausgesprochene Ziel der jungen türkischen Republik (Gründung 1923), Anschluss an die europäischen Rechtssysteme zu finden und das Recht von allen religiösen Elementen radikal zu bereinigen. Da aber für eine Vorbereitung von Gesetzen weder die Zeit noch das fachliche Wissen und die Erfahrung gegeben waren, entschied man sich für eine Totalrezeption. So wurden das [[schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerische Zivilgesetzbuch]] (1926), die beiden ersten Abteilungen des [[schweizerisches Obligationenrecht|schweizerischen Obligationenrecht]]s (1926), die Zivilprozessordnung des Kantons Neuenburg (1927), das schweizerische Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (1929), das italienische Strafgesetzbuch (1926) und die deutsche Strafprozessordnung (1929) fast Wort für Wort übersetzt und vom Parlament als die neuen türkischen Gesetze erlassen. Ein aus Bestandteilen französischen, belgischen, italienischen und deutschen Rechts kompiliertes Handelsgesetzbuch trat 1926 und ein zu großen Teilen aus dem deutschen Recht zusammengestelltes Seehandelsgesetzbuch 1929 in Kraft (beide zusammengelegt und stark revidiert im neuen HGB von 1956).


Im finanzmarktlichen Kontext ist das Rating regelmäßig rechtstatsächliche Voraussetzung für die Fremdfinanzierung durch Finanzinstrumente wie Inhaberschuldverschreibungen. Das gilt in besonderem Maße für noch nicht fest etablierte Emittenten. Zu weiten Teilen bestimmt das Rating den Zinssatz, der für die Inanspruchnahme einer Fremdfinanzierung anzubieten ist, wirkt sich aber auch auf die Börsenkurse und somit auf die Kosten der Kapitaleinwerbung insgesamt aus.
Dass ein solch radikaler Umbruch im Rechts- und Staatssystem Erfolg hatte, kann auf sehr verschiedene Faktoren zurückgeführt werden: Die im Osmanischen Reich seit über einem halben Jahrhundert langsam aber stetig voranschreitende Entwicklung zum säkularen Recht lieferte sicherlich eine sehr wichtige Basis für das Gelingen der Reformen. Außerdem hatte das strikte Einparteienregime, das bis 1946 aufrechterhalten wurde, jede Form von reaktionärem Widerstand im Lande verhindert und versucht, die Neuerungen dem Volk durch eine umfassende Bildungsreform nahe zu bringen. Besonders das Gelingen der Hochschulreform von 1933 ist jedoch dadurch bedingt, dass sie zeitlich mit der Entlassung und Verfolgung vieler Wissenschaftler durch das nationalsozialistische Deutschland zusammentraf. So ergab sich für die Türkei die einmalige Gelegenheit, qualifizierte Akademiker aus dem Ausland für den Aufbau moderner Universitäten zu gewinnen. Besonders bei der Umschulung der juristischen Kader, der Reformation des türkischen Hochschulwesens und der Ausbildung der ersten Generation türkischer Juristen haben deutsche Wissenschaftler als Emigranten eine große Rolle gespielt. Professor ''Ernst E. Hirsch'', Verfasser des türkischen HGB von 1956, verdient es, hier besonders erwähnt zu werden.


== 3. Stand der europäischen Rechtsangleichung ==
Die seit dem 19. Jahrhundert offensichtliche Europa-Orientierung des Landes bekam durch die Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1963 einen festen politischen Rahmen, wodurch die Rechtsangleichung, wenn auch mit Unterbrechungen, stetig vorangetrieben wurde. Für einen kräftigen Schub in dieser Hinsicht sorgten in den letzten Jahren die Einführung der Zollunion zwischen der Türkei und der [[Europäische Union|EU]] am 1.1.1996 und die Verleihung des offiziellen Status eines Beitrittskandidaten vom Europäischen Rat ([[Rat und Europäischer Rat]]) in Helsinki im Jahre 1999. Die Umsetzungsmaßnahmen für die EU-Gesetzgebung wurden vom Parlament zuletzt in dem “Türkischen Nationalen Programm zur Übernahme des Acquis Communautaire“ dargelegt (2003). Im Rahmen dieser Entwicklungen wurden weite Teile des Wirtschaftsrechts revidiert oder neu erlassen. Auch die großen Gesetzbücher wurden zum Teil stark überarbeitet (ZGB/‌2002; SchKG/‌2003; ZPO/‌2004; StPO/‌2005; StGB/‌2005; HGB-Entwurf/‌2008).
Die europäische Rechtsangleichung blickt bei Rating-Agenturen auf eine noch junge Geschichte zurück. Erst am 23.4.2009 wurde der Vorschlag der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] für eine Verordnung über Ratingagenturen vom 12.11.2008 (SEK(2008) 2745 und 2746) durch den Europäischen Rat und das Europäische Parlament verabschiedet (dazu unter 4.). Die vorausgehend diskutierten Kernfragen und die wesentlichen Entwicklungsschritte werden hier nachgezeichnet.


Der nach wie vor geltende Rechtsrahmen besteht zunächst aus den beiden Richtlinien, die die marktlichen Verhaltenspflichten der [[Finanzintermediär]]e insgesamt betreffen. Die wichtigste ist die Marktmissbrauchs-RL (RL 2003/‌6), nach der jede Form der Beeinflussung der Kurse von [[Finanzinstrument]]en, also [[Insidergeschäft]]e und [[Marktmanipulation]]en, mit Sanktionen belegt wird. Für Rating-Agenturen besonders relevant sind die Regeln zu [[Interessenkonflikte]]n, zur sachgerechten Darbietung von Anlageempfehlungen und zum Zugang zu Insider-Informationen. Wie die [[Finanzanalyst]]en haben auch Rating-Agenturen interne Grundsätze und Verfahren zur Gewährleistung einer sachgerechten Informationsvermittlung festzulegen. Darüber hinaus sind alle nennenswerten Interessen oder Interessenkonflikte im Zusammenhang mit einem [[Finanzinstrument]] oder Emittenten, das bzw. der Gegenstand eines Ratings ist, offen zu legen. Kommt die Rating-Agentur mit Insiderwissen in Berührung, unterliegt sie einer Geheimhaltungspflicht bis zur Veröffentlichung der Information durch den Emittenten. Auch das Rating selbst kann eine Insider-Information darstellen und darf vor seiner Veröffentlichung nicht für Handelszwecke verwendet werden.
== 2. Gründe für die Übernahme des schweizerischen ZGB/‌OR ==
In der amtlichen Begründung des Justizministers zum türkischen ZGB/‌OR wird die Wahl zugunsten des [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen ZGB]]/‌OR damit erklärt, dass es unter den Zivilgesetzbüchern „das neueste, vollkommenste und volkstümlichste ist.“ In der Literatur wird die Rezeption aber auch auf andere Gründe zurückgeführt: Eines der wichtigsten Motive ist sicherlich, dass der damalige Justizminister und auch viele andere Juristen in der französischsprachigen Schweiz studiert hatten und sich deswegen im schweizerischen Recht gut auskannten. Außerdem waren die in Texte in einer offiziellen französischen Version verfügbar, was die Rezeption technisch sehr leicht gestaltete, da viele türkische Juristen, bedingt durch die Rezeption französischer Gesetze Mitte des 19. Jahrhunderts, der französischen Rechtssprache mächtig waren.


Weiter ist für Rating-Agenturen die gleich einer Verfassung für den Finanzmarkt konzipierte Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID, RL 2004/‌39) von Bedeutung. In den Anwendungsbereich der MiFID und ihrer Durchführungsvorschriften fallen Rating-Agenturen jedoch nur, wenn sie wie andere Finanzintermediäre Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erbringen. Rating-Agenturen können hiernach also einer Genehmigung bedürfen und unterliegen dann auch den engmaschigen Wohlverhaltensregeln und organisatorischen Anforderungen der MiFID. Etwa bei der Erbringung von Anlageberatungsleistungen können (kostspielige) organisatorische Maßnahmen zur Trennung zwischen Wertpapierdienstleistungen und Ratings erforderlich werden.
Ein anderer häufig hervorgehobener Grund ist, dass das [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerische ZGB]] und das OR neben dem [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] die neuesten Gesetzbücher in Europa waren. Der ''[[Code civil]]'' und das [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] wurden schon deswegen nicht in Erwägung gezogen. Der italienische ''[[Codice civile]]'' kam wiederum wegen seiner starken katholischen Prägung im Familienrecht nicht in Frage. So standen nur noch das ZGB/‌OR und das BGB zur Wahl. Dass hier das Pendel in Richtung schweizerisches Recht ausschlug, hat sicherlich mit einigen wichtigen Eigenschaften des Gesetzbuches zu tun: ZGB und OR hatten im Vergleich zum BGB nur 2/‌3 an Normenbestand (damals 2385 Paragraphen gegenüber 1528 Artikeln). Außerdem wurden diese Gesetzbücher ihrer verständlicheren Sprache und einfacheren Gesetzestechnik wegen gegenüber dem BGB als vorteilhaft angesehen. Auch die Benutzung von vielen Generalklauseln gab dem Gesetz eine Flexibilität, die die Rezeption leichter gestaltete.


Von bloß mittelbarer aber gleichwohl kaum zu unterschätzender Bedeutung sind die Richtlinien zur Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute und Wertpapierdienstleister (RL 2006/48 und RL 2006/49). In deren Zusammenhang werden Rating-Agenturen durch die vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht 2004 geschlossene Rahmenvereinbarung „Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen“ (Basel II, überarbeitet 2005) regulatorisch in Dienst genommen. Die Risikogewichte und die daraus resultierenden Eigenkapitalanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierdienstleister dürfen hiernach anhand externer Ratings bestimmt werden. Von den zuständigen Aufsichtsbehörden werden aber lediglich die Ratings akkreditierter Agenturen akzeptiert. Das Akkreditierungsverfahren wird durch die Richtlinie selbst geregelt und stellt Anforderungen an die Objektivität, Unabhängigkeit, und Transparenz des Ratings. Zudem haben die Agenturen die veröffentlichten Bonitätsbeurteilungen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.  
Sicherlich gab es aber auch politische Motivationen für die Wahl des schweizerischen Privatrechts, da die Schweiz eins von den wenigen Ländern in Europa war, das nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen und somit mit der Türkei Krieg geführt hatte. Die junge türkische Republik, die auf einer Seite versuchte, sich in ein europäisches Land zu transformieren, war auf der anderen Seite sehr darauf bedacht, ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen und insbesondere in keiner Weise den Eindruck aufkommen zu lassen, ihr Recht oktroyiert zu bekommen.


Kennzeichnend für die Regulierung von Rating-Agenturen war im Übrigen, dass in größerem Maße als bei der Abschlussprüfung oder der Finanzanalyse auf die Selbstregulierung durch ''Codes of Conduct'' ([[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|Private Rechtsetzung und ''Codes of Conduct'']]) gesetzt wurde. Wie für Finanzintermediäre allgemein waren insoweit auch für Rating-Agenturen die Berichte und Empfehlungen der Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (''International'' ''Organization of Securities Commissions'', IOSCO) von maßgeblicher Bedeutung. Im Jahre 2003 legte die IOSCO einen Verhaltenskodex für Rating-Agenturen vor, der zuletzt im Mai 2008 überarbeitet wurde. Die dort formulierten Anforderungen gehen (deutlich) über das bis hierher beschriebene europäische Richtlinienrecht hinaus. Empfohlen werden konkrete Verhaltensweisen zur Gewährleistung und Überwachung der Qualität und Ordnungsmäßigkeit des Rating-Verfahrens. Vor allem aber werden detaillierte Empfehlungen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rating-Agentur und ihrer Mitarbeiter und zur Vermeidung von Interessenkonflikten aufgestellt.
== 3. Mit der Rezeption des schweizerischen ZGB/‌OR verbundene Hauptanwendungsprobleme  ==
Im Rückblick kann zuerst festgestellt werden, dass manche Institutionen, die mit dem ZGB übernommen wurden, nie zur Anwendung gekommen sind. Dies sind insbesondere im Familienrecht die Eheverträge, Familienstiftungen und Gemeinderschaften; im Sachenrecht der Schuldbrief und die Reallast.


In Reaktion auf Erfahrungen im Rahmen der 2007 ausgelösten Finanzmarktkrise fasste die IOSCO im Jahr 2008 das Verbot von Leistungskombinationen klarer. Abgesehen werden soll hiernach von der Beratung zur Strukturierung von Finanzprodukten, sofern die Agentur ein Rating zu eben diesen Produkten anbietet. Weiterhin werden Empfehlungen zum verantwortungsvollen Umgang mit den Interessen des Anlegerpublikums und der Emittenten ausgesprochen. Hierzu zählen die transparente und zügige Veröffentlichung der Bonitätsbeurteilung und auch Geheimhaltungspflichten. Zuletzt wird die Veröffentlichung einer Erklärung dazu verlangt, ob und wie die Rating-Agentur die Kodex-Empfehlungen umsetzt.
Die Anwendung und Durchsetzung mancher Institutionen wiederum hat große Probleme mit sich gebracht. Hier muss sicherlich an erster Stelle die Einführung der Pflicht zur standesamtlichen Eheschließung erwähnt werden. Es wurde aus Gewohnheit weiterhin nur die Imam-Ehe geschlossen, obwohl dieser Akt nach dem türkischem Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1926 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten bestraft werden konnte. Strafbar ist diese Tat noch heute für den Geistlichen, der ohne Vorweisung des Ehescheines Trauungsfeierlichkeiten vornimmt und auch für die Parteien, die nicht zuerst die standesamtliche Ehe eingehen (Art. 230 türk. StGB).


Der Kodex baut auf eine freiwillige Befolgung und wurde, soweit ersichtlich, in keinem der europäischen Mitgliedstaaten vollständig in nationales Recht umgesetzt. Mehrere Rating-Agenturen sind der Empfehlung der IOSCO gefolgt und haben jeweils einen eigenen Verhaltenskodex aufgestellt. Die drei größten Rating-Agenturen verpflichteten sich außerdem um den Jahreswechsel 2005/‌06 dazu, dem von der Europäischen Kommission eingesetzten Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (''Committee of European Securities Regulators'', CESR) jährlich in Briefform über ihre Maßnahmen zur Umsetzung der IOSCO-Empfehlungen zu berichten. Dem von CESR veröffentlichten Jahresbericht 2008 ist zu entnehmen, dass der Befolgungsgrad als grundsätzlich hoch einzuschätzen ist.
Ein anderer Problempunkt waren die aus einer nichtehelichen Beziehung hervorgehenden Kinder. Nur wegen des Kindeswohles hat der türkische Gesetzgeber bis heute neun Mal temporäre Sondergesetze erlassen (zuletzt 1991), so dass den Eltern, die in religiösen Ehen oder in Polygamie lebten, die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Kinder als ehelich zu registrieren. Es wurde aber keine Zweit-Ehe legalisiert. Diese Gesetze waren von besonderer Bedeutung, da das türkische ZGB (so wie das schweizerische ZGB) die Anerkennung eines im Ehebruch erzeugten Kindes durch den Vater verbot. Das än-derte sich erst 1991, als das türkische Verfassungsgericht diese Bestimmung für verfassungswidrig und somit für nichtig erklärte.


== 4. Regelungsfragen und ‑strukturen ==
Auch der rechtsgeschäftliche Erwerb von Immobilien hat lange Jahre für Probleme gesorgt, da das ZGB zum Erwerb von Grundeigentum eine Eintragung in das Grundbuch voraussetzte. Zu Zeiten der Einführung des ZGB gab es jedoch in der Türkei kein Liegenschaftskataster und zentrales Grundbuchamt. Obwohl manche Arten von Grundstückeigentum in verschiedenen Registern eingetragen waren, waren für den größten Teil der Grundstücke in der Türkei die Eigentumsverhältnisse unklar. Deswegen mussten die türkischen Gerichte sich Jahrzehnte lang mit den Problemen der außergrundbuchlichen Veräußerungen beschäftigen und dafür Regeln entwickeln. Insbesondere die Bestimmungen bezüglich der außerordentlichen Ersitzung fanden weitaus mehr Anwendung als in der Schweiz.
In der Debatte um die 2009 im Verordnungswege verabschiedete Regulierung von Rating-Agenturen stellten sich vergleichbare Grundsatzfragen zu Reichweite und Grenzen der Marktkräfte wie bei [[Finanzanalyst]]en. Auslöser für die international intensiv geführte Debatte war auch bei den Rating-Agenturen nicht erst die seit 2007 fortdauernde Finanzmarktkrise, sondern bereits zuvor der plötzliche Zusammenbruch von Enron im Jahr 2001. Enron, dem seinerzeit zweitgrößten Energieversorger der USA, war noch wenige Wochen vor der Insolvenzanmeldung von führenden Rating-Agenturen eine hohe Bonität (''investment grade'') bescheinigt worden. Der vergleichbar unerwartete Zusammenbruch des italienischen Herstellers von Milchprodukten Parmalat im Jahre 2003 belegte sodann, dass bei Enron nicht allein Schwächen des US-amerikanischen Systems der Rating-Regulierung zu Tage getreten waren.


Gleichwohl sollte dem ersten CESR-Bericht von 2005 zufolge ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechtsvorschriften und Selbstregulierung bereits gefunden sein. Zunächst folgte die Europäische Kommission dieser Sichtweise in ihrer 2006 veröffentlichten Mitteilung (2006/‌ C 59/‌02). Erneute Zweifel kamen jedoch im Zusammenhang mit der 2007 ausgelösten Finanzkrise auf. Ursache der Finanzkrise sind nach derzeitigem Kenntnisstand Überbewertungen im US-amerikanischen Hypothekenmarkt. Diese flossen in strukturierte Finanzprodukte ein, die einen hohen Komplexitätsgrad aufwiesen, infolge dessen die Risiken auch von professionellen Marktteilnehmern wie den Banken nicht mehr beherrschbar waren. Frühwarnungen durch Rating-Agenturen unterblieben auch hier.
Im Bereich des Obligationenrechts hingegen können keine besonderen Anwendungsprobleme verzeichnet werden. Auch die Einführung von vertraglichen und gesetzlichen Zinsen stieß in der Praxis auf keinerlei Widerstand.


Noch nach dem Mitte 2008 vorgelegten Bericht der Expertengruppe Europäische Wertpapiermärkte (''European Securities Markets Expert Group'', ESME) sollten Maßnahmen ausreichen, die in der allgemeinen Debatte um die ''[[Corporate Governance]]'' seit langem bekannt sind. Dazu gehören die Trennung von Leitungs- und Überwachungsaufgaben in einem einstufig organisierten Verwaltungsrat. Hierzu soll der Verwaltungsratsvorsitz (''chairman of the board'') und der Geschäftsführungsvorsitz (''chief executive officer'', CEO) zwischen verschiedenen Personen aufgeteilt werden. Auch soll die Rolle der nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder (''non-executive directors'') gestärkt werden, um die Leistungsfähigkeit der Überwachung zu steigern.
== 4. Entwicklung des türkischen ZGB und das neue türkische ZGB (2002) ==
Die Entwicklung des türk. ZGB kann grob in drei Phasen unterteilt werden: Die erste Phase lief bis Ende der siebziger Jahre. In dieser Periode gingen die Bemühungen eher in die Richtung, das Gesetz zu verstehen, richtig zu deuten und in der Praxis den Gegebenheiten des Landes anzupassen. Obwohl schon in dieser Phase das Justizministerium die Revision des türkischen ZGB angeordnet und eine Kommission damit beauftragt hatte (1951), war eines der hauptsächlichen Anliegen, die Gesetzessprache zu modernisieren. Bei den Übersetzungsarbeiten in den zwanziger Jahren hatte man sich nämlich meist der damaligen Gelehrtensprache, dem Osmanischen, bedient, das mit arabischem und persischem Vokabular durchsetzt war. Diese schon damals vom Volke nicht verstandene Sprache war ein Vierteljahrhundert danach absolut unzeitgemäß geworden. Der von der Kommission im Jahre 1971 veröffentlichte türkische ZGB-Entwurf trat aber nie in Kraft. Einige wenige Änderungen wurden in dieser Phase meist durch Sondergesetze vollbracht. Hier sind sicherlich die Vereinsgesetz von 1938 und 1972 und das Stockwerkeigentumsgesetz (1965) besonders erwähnenswert. Beide genossen Vorrang vor dem türkischen ZGB. Ein direkter Eingriff in das türkische ZGB erfolgte im Jahre 1967 im Abschnitt zur Stiftung. Mit dieser Änderung wurde bezweckt, insbesondere durch steuer- und erbrechtliche Vorteile die Gründung von Stiftungen zu fördern.


Die weiteren ESME-Vorschläge zur Vermeidung von Interessenkonflikten entsprechen den aus dem Recht der [[Abschlussprüfer]] bekannten Ansätzen. Auf die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Auftraggebern soll mit einer Pflicht zur Offenlegung reagiert werden, wenn die Einnahmen aus dem Rating eines einzelnen Emittenten 10 % der Gesamteinnahmen aus allen Ratings überschreiten. Dieser Standard blieb noch hinter dem für Abschlussprüfer geltenden zurück, denn im Recht der Abschlussprüfung bestehen nicht nur Offenlegungs-, sondern Inhabilitätsregeln für als zu groß befundene finanzielle Abhängigkeiten. Referenzgrößen sind dort außerdem nicht allein die Einnahmen aus der Abschlussprüfung, sondern auch die Summe der Einnahmen aus Abschlussprüfung und sonstigen Leistungen. Diese und weitere Verbesserungsvorschläge wurden zunächst im Wege von Konkretisierungen der IOSCO-Empfehlungen umgesetzt, also weiterhin auf freiwilliger Grundlage.
Die zweite Phase, die in den achtziger Jahren anfing, war schon viel mehr geprägt durch die Bemühungen, ein teilweise veraltetes Gesetz weiterzuentwickeln. Im Jahre 1981 wurde abermals eine Kommission damit beauftragt, das türkische ZGB zu revidieren. Bei der Vorbereitung des Entwurfs, der im Jahre 1984 veröffentlicht wurde, hatte die Kommission nach ihrer Aussage folgende Prinzipien befolgt: (a) Alle Bestimmungen des geltenden türkischen ZGB waren auf eventuellen Reformbedarf hin untersucht und einer sprachlichen Bereinigung unterzogen worden; (b) bei dieser Überprüfung war der Entwurf von 1971 soweit wie möglich berücksichtigt worden; (c) alle Änderungen, die zwischenzeitlich am [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen ZGB]] vorgenommen worden waren, wurden ausgewertet und diejenigen, die den türkischen Bedürfnissen entsprachen, wurden übernommen; (d) die Rechtsprechung der türkischen und schweizerischen Gerichte wurde berücksichtigt; (e) bei der sprachlichen Neuformulierung der Artikel wurde versucht, sich direkt am schweizerischen Mutterrecht zu orientieren, solange kein Grund bestand, davon abzuweichen.


Am 23.4.2009 wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Ratingagenturen vom 12.11.2008 (SEK(2008) 2745/‌2746) von Europäischen Parlament und Rat angenommen. Damit werden die IOSCO-Empfehlungen in eine unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Regulierung übersetzt. Hervorzuheben ist das verpflichtende Verbot einer Leistungskombination von Rating und Beratung. Erhöhte Qualifikationsanforderungen werden durch eine Pflicht zur Einrichtung einer internen Qualitätsüberwachung abgesichert. Die Publizität wird verstärkt durch einen Transparenzbericht sowie die Offenlegung von Modellen, Methoden und grundlegenden Annahmen, auf die sich die Ratings stützen. Weiter sind Ratings komplexer Produkte zu kennzeichnen. Eine Verbesserung der ''[[Corporate Governance]]'' von Rating-Agenturen soll durch die Bestellung von zwei unabhängigen Mitgliedern in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat bewirkt werden, denen eine Amtszeit von höchstens fünf Jahren zu gewähren ist und die bei beruflichem Fehlverhalten entlassen werden können. Bei zumindest einem Mitglied muss es sich um einen Experten für Verbriefungen und strukturierte Finanzinstrumente handeln. Die Vergütung der unabhängigen Mitglieder muss vom Unternehmensergebnis der Ratingagentur entkoppelt sein.
Doch wie auch der vorherige trat dieser Entwurf nie als Ganzes in Kraft. Es wurden aber Teile aus diesem und dem Entwurf von 1971 dazu benutzt, im Jahre 1988 und 1990 zwei große Revisionen durchzuführen. Die Hauptziele dieser Revisionen waren die Stärkung des Persönlichkeitsschutzes, die Einführung der Möglichkeit, einen Eintrag im Personenstandsregister nach erfolgter Geschlechtsänderung zu korrigieren, Scheidungen zu vereinfachen und die einverständliche Scheidung einzuführen, Adoptionen zu vereinfachen, Pflichtteile zu verringern, Bestimmungen bezüglich des Baurechts zu detaillieren und die Errichtung eines Grundpfandrechts in Fremdwährung zu erlauben.


Die jetzt verpflichtenden Regeln waren zu weiten Teilen bereits zuvor auf freiwilliger Basis anerkannt, müssen sich aber fortan auch als zwingendes Recht praktisch bewähren. Mit der neuen Verordnung ist eine geradezu offensichtliche Lücke im europäischen Recht der Informationsintermediäre geschlossen worden, indem die auf Rating-Agenturen anwendbaren Regeln deutlich an die für andere [[Finanzintermediär]]e im weiteren Sinne, also [[Abschlussprüfer]] und [[Finanzanalyst]]en geltenden Standards angenähert wurden.
Doch das Gesetz blieb insbesondere im Bereich der Gleichberechtigung zwischen den Ehepartnern und zwischen den ehelichen und außerehelichen Kindern weit hinter den Entwicklungen in den europäischen Ländern zurück. Da der türkische Gesetzgeber in dieser Hinsicht nichts unternahm, wurde diese Aufgabe teilweise vom Verfassungsgericht wahrgenommen. Die aus dem ZGB stammenden Bestimmungen, dass etwa die Ehefrau nur mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Ehemannes einen Beruf ausüben kann, oder die Diskriminierung außerehelicher Erben väterlicherseits (sie hatten nur auf die Hälfte des Erbschaftsanteils Anspruch), wurde als verfassungswidrig erklärt.


== 5. Vereinheitlichungsprojekte und Perspektiven ==
Wachsende Kritik aus der Praxis und der Wissenschaft haben den Gesetzgeber 1994 abermals dazu bewegt, eine Kommission aus Akademikern, Richtern, Vertretern von Berufsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und verschiedenen Ministerien zusammenzustellen und zu beauftragen, das Zivilgesetzbuch zu reformieren und auf den neuesten Stand der Entwicklungen zu bringen. Die Kommission hat sich bei ihrer Arbeit teilweise an den Entwürfen von 1971 und 1984 orientiert, aber auch besonders die Entwicklungen in der Schweiz und – soweit als nötig erachtet – in Deutschland, Frankreich und Italien mitberücksichtigt. Außerdem wurden die von der Türkei ratifizierten UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes und zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und die daraus für die Türkei entspringenden Verpflichtungen in Betracht gezogen. Der endgültige Kommissionsentwurf wurde 1999 veröffentlicht und am 22.11.2001 im Parlament angenommen; er trat am 1.1.2002 in Kraft und leitete somit die vorläufig letzte Phase (die dritte) ein.
Der Blick auf künftige Vereinheitlichungsprojekte und Perspektiven war gerade bei Rating-Agenturen lange Zeit ein Blick in eine ungewisse Zukunft. Noch nach der Mitteilung der Europäischen Kommission von 2006 sollte auf einschneidende Legislativmaßnahmen verzichtet werden können. Spätestens mit dem Ende 2008 veröffentlichten Kommissionsvorschlag zu einer Verordnung über Rating-Agenturen wurde aber klar, dass weite Teile der bis zuletzt allein von den IOSCO-Empfehlungen erfassten Regelungsbereiche in verpflichtendes Recht überführt werden würden.


Für die Fortentwicklung der regulatorischen Indienstnahme der Rating-Agenturen in Europa wird weiterhin die Arbeit des Ausschusses der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (''Committee of European Banking Supervisors'', CEBS) von Bedeutung sein. Maßgeblich von dessen Arbeiten hängt der Fortschritt bei der Konvergenz der Verfahren zur Anerkennung von Rating-Agenturen im Bereich der Eigenkapitalbewertung von Kreditinstituten und Wertpapierhandelsunternehmen ab.
Das neue türkische ZGB enthält 1030 Artikel (im Vergleich zu 937 Artikeln davor) und ist in einer zeitgemäßen Sprache abgefasst. Es entspricht weiterhin in Systematik, Unterteilung und Aufbau völlig dem [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen ZGB]]. Große Teile der neu eingeführten Bestimmungen sind wieder Übersetzungen der zwischenzeitlich in der Schweiz vollzogenen Reformen. Die wichtigsten davon sind im Bereich der Gleichberechtigung der Ehegatten, die Einführung der Errungenschaftsbeteiligung als ordentliches eheliches Güterrecht und die absolute Gleichstellung von ehelichen und außerehelichen Kindern. Unterschiede von der Mutterordnung beruhen auf Besonderheiten der Verhältnisse in der türkischen Gesellschaft. Insgesamt halten sich jedoch diese sehr in Maßen. Achtzig Jahre nach Rezeption des schweizerischen ZGB kann man ohne weiteres immer noch von einer starken Übereinstimmung der Texte und auch der diesbezüglichen Praxis ausgegangen werden.


Übergreifendes Petitum der europäischen Integration sollte es sein, innerhalb der gewachsenen Informationsmärkte unnötige Markteintrittsbarrieren für neue Wettbewerber im Rating-Markt zu vermeiden. Denn ein grundsätzliches und in seinen Auswirkungen bislang weder europäisch noch international abschließend geklärtes Problem ergibt sich aus der Konzentration des Markts für Ratings großer börsennotierter Unternehmen. Das weltweite Oligopol besteht aus zwei großen und einer kleineren Rating-Agentur: ''Moody’s'', ''Standard & Poor‘s'', ''Fitch'', allesamt US-amerikanischer Prägung. Der Markt der Rating-Agenturen ist damit sogar noch stärker konzentriert als derjenige der [[Abschlussprüfer]] – mit allen dort näher beschriebenen Gefahren oligopolistischer Marktstrukturen.
== 5. Entwicklung des OR in der Türkei ==
Das Obligationenrecht entspricht heute noch weitgehend dem Text, der im Jahre 1926 in Kraft trat und ist somit eine Übersetzung der beiden ersten Abteilungen des [[Schweizerisches Obligationenrecht|schweizerischen OR]]. Es wurden nur einige wenige Änderungen an dem Gesetz vorgenommen (z.B. elektronische Unterschriften wurden der handschriftlichen gleichgesetzt; der Anwendungsbereich der fünf-jährigen Verjährung wurde erweitert; die Bestimmungen zum Frachtvertrag wurden aufgehoben, da diese vom türkischen HGB abgedeckt wurden).


Die Ursachen für die Marktkonzentration werden bei den Rating-Agenturen zum Teil in den erstmals im Jahre 1975 eingeführten US-amerikanischen Akkreditierungserfordernissen gesucht. Die Registrierung ist zu erteilen bei Nachweis einer gewissen Akzeptanz der Bonitätsbeurteilungen im Markt. Mit dem ''Credit Rating Reform Agency Act'' von 2006 wurde das Problem möglicher Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter erkannt und ein formelles Zulassungsverfahren eingeführt, das jedoch weiter auf Marktpräsenz und ‑akzeptanz setzt.  
Erst im Jahre 1998 wurde eine Kommission ernannt, mit dem Auftrag einen neuen OR-Entwurf auszuarbeiten. Diese machte ihren Vorschlag im Jahre 2005 publik. Eine revidierte Version wurde 2008 dem Parlament vorgelegt. Obwohl der Entwurf einige wichtige Neuerungen enthält (wie etwa die Einführung einer AGB-Kontrolle, einer allgemeinen Norm in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, einen allgemeinen Gefährdungstatbestand im Deliktsrecht oder ausführliche Schutzbestimmungen im Mietrecht) bleibt er insgesamt sehr hinter den Erwartungen. Es fällt besonders auf, dass die Kommission sich jeglicher internationaler und europäischer Entwicklung verschlossen hat. Weder Texte wie [[Principles of European Contract Law|PECL]], [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]], CISG ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]) wurden ausgewertet noch hat es die Kommission für nötig gehalten, überhaupt zur Diskussion zu stellen, ob man das Verbraucherschutzgesetz, das 1995 erlassen und 2003 revidiert wurde und hauptsächlich der Umsetzung der relevanten [[Richtlinie]]n der [[Europäische Union|EU]] dient, in das OR einzubeziehen. Die Schuldrechtsreform in Deutschland oder das niederländische ''[[Burgerlijk Wetboek]]'' wurden von der Kommission genauso ignoriert. Es ist derzeit nicht absehbar, ob das Parlament den Entwurf in seiner jetzigen Fassung erlassen wird.
 
Der Rating-Markt wird nach wie vor durch US-amerikanische Anbieter dominiert. Wie für die europäische Integration im Recht der Finanzintermediäre insgesamt ist deshalb der transatlantische Dialog, insbesondere mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht (''Securities and Exchange Commission'', SEC), europäisch wie international über die IOSCO fortzuführen und weiter zu intensivieren.  
 
Zu den künftigen Herausforderungen zählt die Grundsatzfrage, ob und in inwieweit Rating-Agenturen in ein übergreifendes Konzept der Marktzugangskontrolle durch Informationsintermediäre (''gatekeeping'') eingebunden werden können und sollten. Hierbei handelt es sich um eine grundlegende Regulierungsfrage die über Rating-Agenturen hinaus sämtliche [[Finanzintermediär]]e, also auch [[Abschlussprüfer]] und [[Finanzanalyst]]en betrifft.


==Literatur==
==Literatur==
''Holger Fleischer'','' ''Empfiehlt es sich im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt und Börsenrecht neu zu regeln, Gutachten F zum 64. Deutschen Juristentag, 2002; ''Mathias Habersack'', Rechtsfragen des Emittenten-Ratings, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 169 (2005) 185 ff.;'' Gérard Hertig'','' ''Using Basel II to Facilitate Access to Finance, in: Klaus J. Hopt, Eddy Wymeersch, Hideki Kanda, Harald Baum, (Hg.), Corporate Governance in Context, 2005, 511 ff.;'' Arthur R. Pinto'', Control and Responsibility of Rating Agencies in the United States, American Law Journal, Supplement, 54 (2006) 341 ff.; ''John C. Coffee'','' ''Gatekeepers, 2006; ''Hans E. Büschgen'', ''Oliver Everling'', (Hg.), Handbuch Rating, 2. Aufl. 2007; ''The Committee of European Securities Regulators'','' ''CESR’s Second Report to the European Commission on the Compliance of Credit Rating Agencies with the IOSCO Code and the Role of Credit Rating Agencies in Structured Finance, Ref: CESR/‌08-277, Mai 2008; ''European Securities Markets Expert Group'','' ''ESME’s Report to the European Commission: Role of Credit Rating Agencies, 2008; ''Jan von Hein'','' ''Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, 2008; ''Patrick C. Leyens'', Unabhängigkeit der Informationsintermediäre zwischen Vertrag und Markt, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts: Beiträge für Klaus J. Hopt, 2008, 423 ff.
''Georges Sauser-Hall'', La réception des droit européens en Turquie, Recueil de Travaux, publié a l’occasion de l’assemblée de la société Suisse des juristes a Genève, du 4 au 6 Septembre 1938, 1938, 325 ff.; ''Erich Pritsch'', Das schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 59 (1957) 123 ff.; ''Ernst E. Hirsch'', Rezeption als sozialer Prozess, erläutert am Beispiel der Türkei (1981);'' Fritz Neumark'', Zuflucht am Bosporus: Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933–1953, 1995;'' Gülnihal Bozkurt'', Batı Hukukunun Türkiye’de Benimsenmesi; Osmanlı Devletinden Türkiye Cumhuriyetine Resepsiyon Süreci 1839–1939 (Die Übernahme Westlichen Rechts in der Türkei: Der Rezeptionsprozess vom Osmanischen Reich bis zur türkischen Republik), 1996; ''Heinrich Scholler'', ''Silvia Tellenbach'' (Hg.), Westliches Recht in der Republik Türkei 70 Jahre nach der Gründung, 1996;'' Yesim M. Atamer'', Rezeption und Weiterentwicklung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches in der Türkei, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 723 ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Rating_Agency]]
[[en:Turkish_Civil_Code_and_the_Turkish_Code_of_Obligations]]

Aktuelle Version vom 29. September 2021, 13:01 Uhr

von Yeşim M. Atamer

1. Ursprünge des modernen türkischen Privatrechts

Das türkische Privatrecht wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts von verschiedenen Rezeptionswellen geprägt. Allen ist gemein, dass sie die Modernisierung des Rechtssystems anstrebten und die übernommenen Gesetze aus Europa stammten.

Die erste Rezeption fand noch zu Zeiten des Osmanischen Reichs statt. Ursprünglich wurde im Reich die Pflichtenlehre des Islam angewandt (islamisches Recht), dessen Einhaltung den geistlichen Gerichten anvertraut war. Die nicht muslimischen Religionsgemeinschaften unterlagen in Status-, Familien- und Erbrechtsangelegenheiten den Vorschriften und der Gerichtsbarkeit ihrer Glaubensgemeinden, ansonsten jedoch der Scharia. Die im Osmanischen Reich ansässigen Ausländer wiederum waren infolge besonderer Staatsverträge (les capitulations) mit Privilegien wie die Konsulargerichtsbarkeit ausgestattet. Insgesamt war die Rechtsordnung geprägt durch ihre Rechtspluralität.

Diese wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter unterstrichen, da zu der geistlichen Rechtsordnung nun eine weltliche hinzutrat. Der Gedanke der Kodifikation als Garantie für ein rationales und gerechtes Staatssystem hatte auch im Osmanischen Reich Fuß gefasst, sodass ein politischer Reformdruck von Innen gegeben war. Ein entsprechender Druck kam auch aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich von der Einführung säkularer Gesetze und weltlicher Gerichte einen effektiveren Schutz ihrer Sonderrechte erhofften, die sie durch Staatsverträge erlangt hatten. Die neuen Gesetze wurden fast ausschließlich unter französischem Einfluss vorbereitet, was insbesondere auf die Bedeutung der durch die französische Revolution ausgelösten Ideen und Ideale für die Reformbewegungen im Osmanischen Reich zurückzuführen ist. So waren das Handelsgesetzbuch (1850) und das Seehandelsgesetzbuch (1863) Übersetzungen der Bücher 1 bis 3 des französischen Code de Commerce. Die Zivilprozessordnung (1879) war inhaltlich in großen Teilen an den französischen Code de procédure civile angelehnt. Obwohl im Rahmen dieser Reformen auch die Übernahme des Code civil in Erwägung gezogen wurde, setzten sich die reaktionären Kräfte im Lande durch, so dass stattdessen in den Jahren 1869 bis 1876 Teile der Scharia unter dem Namen Mecelle-i ahkamı adliye in 16 Büchern kodifiziert wurden. Dieses Gesetzbuch enthält obligationen-, sachen- und prozessrechtliche Bestimmungen gemäß der Pflichtenlehre des Islams.

Die zweite große Rezeption erfolgte von 1926 bis 1929 und diente der Untermauerung des radikalen gesellschaftlichen und strukturellen Wandels vom Osmanischen Reich in eine westlich orientierte parlamentarische Republik, deren Hauptmerkmale Laizismus, Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit waren. Es war das ausgesprochene Ziel der jungen türkischen Republik (Gründung 1923), Anschluss an die europäischen Rechtssysteme zu finden und das Recht von allen religiösen Elementen radikal zu bereinigen. Da aber für eine Vorbereitung von Gesetzen weder die Zeit noch das fachliche Wissen und die Erfahrung gegeben waren, entschied man sich für eine Totalrezeption. So wurden das schweizerische Zivilgesetzbuch (1926), die beiden ersten Abteilungen des schweizerischen Obligationenrechts (1926), die Zivilprozessordnung des Kantons Neuenburg (1927), das schweizerische Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (1929), das italienische Strafgesetzbuch (1926) und die deutsche Strafprozessordnung (1929) fast Wort für Wort übersetzt und vom Parlament als die neuen türkischen Gesetze erlassen. Ein aus Bestandteilen französischen, belgischen, italienischen und deutschen Rechts kompiliertes Handelsgesetzbuch trat 1926 und ein zu großen Teilen aus dem deutschen Recht zusammengestelltes Seehandelsgesetzbuch 1929 in Kraft (beide zusammengelegt und stark revidiert im neuen HGB von 1956).

Dass ein solch radikaler Umbruch im Rechts- und Staatssystem Erfolg hatte, kann auf sehr verschiedene Faktoren zurückgeführt werden: Die im Osmanischen Reich seit über einem halben Jahrhundert langsam aber stetig voranschreitende Entwicklung zum säkularen Recht lieferte sicherlich eine sehr wichtige Basis für das Gelingen der Reformen. Außerdem hatte das strikte Einparteienregime, das bis 1946 aufrechterhalten wurde, jede Form von reaktionärem Widerstand im Lande verhindert und versucht, die Neuerungen dem Volk durch eine umfassende Bildungsreform nahe zu bringen. Besonders das Gelingen der Hochschulreform von 1933 ist jedoch dadurch bedingt, dass sie zeitlich mit der Entlassung und Verfolgung vieler Wissenschaftler durch das nationalsozialistische Deutschland zusammentraf. So ergab sich für die Türkei die einmalige Gelegenheit, qualifizierte Akademiker aus dem Ausland für den Aufbau moderner Universitäten zu gewinnen. Besonders bei der Umschulung der juristischen Kader, der Reformation des türkischen Hochschulwesens und der Ausbildung der ersten Generation türkischer Juristen haben deutsche Wissenschaftler als Emigranten eine große Rolle gespielt. Professor Ernst E. Hirsch, Verfasser des türkischen HGB von 1956, verdient es, hier besonders erwähnt zu werden.

Die seit dem 19. Jahrhundert offensichtliche Europa-Orientierung des Landes bekam durch die Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1963 einen festen politischen Rahmen, wodurch die Rechtsangleichung, wenn auch mit Unterbrechungen, stetig vorangetrieben wurde. Für einen kräftigen Schub in dieser Hinsicht sorgten in den letzten Jahren die Einführung der Zollunion zwischen der Türkei und der EU am 1.1.1996 und die Verleihung des offiziellen Status eines Beitrittskandidaten vom Europäischen Rat (Rat und Europäischer Rat) in Helsinki im Jahre 1999. Die Umsetzungsmaßnahmen für die EU-Gesetzgebung wurden vom Parlament zuletzt in dem “Türkischen Nationalen Programm zur Übernahme des Acquis Communautaire“ dargelegt (2003). Im Rahmen dieser Entwicklungen wurden weite Teile des Wirtschaftsrechts revidiert oder neu erlassen. Auch die großen Gesetzbücher wurden zum Teil stark überarbeitet (ZGB/‌2002; SchKG/‌2003; ZPO/‌2004; StPO/‌2005; StGB/‌2005; HGB-Entwurf/‌2008).

2. Gründe für die Übernahme des schweizerischen ZGB/‌OR

In der amtlichen Begründung des Justizministers zum türkischen ZGB/‌OR wird die Wahl zugunsten des schweizerischen ZGB/‌OR damit erklärt, dass es unter den Zivilgesetzbüchern „das neueste, vollkommenste und volkstümlichste ist.“ In der Literatur wird die Rezeption aber auch auf andere Gründe zurückgeführt: Eines der wichtigsten Motive ist sicherlich, dass der damalige Justizminister und auch viele andere Juristen in der französischsprachigen Schweiz studiert hatten und sich deswegen im schweizerischen Recht gut auskannten. Außerdem waren die in Texte in einer offiziellen französischen Version verfügbar, was die Rezeption technisch sehr leicht gestaltete, da viele türkische Juristen, bedingt durch die Rezeption französischer Gesetze Mitte des 19. Jahrhunderts, der französischen Rechtssprache mächtig waren.

Ein anderer häufig hervorgehobener Grund ist, dass das schweizerische ZGB und das OR neben dem BGB die neuesten Gesetzbücher in Europa waren. Der Code civil und das ABGB wurden schon deswegen nicht in Erwägung gezogen. Der italienische Codice civile kam wiederum wegen seiner starken katholischen Prägung im Familienrecht nicht in Frage. So standen nur noch das ZGB/‌OR und das BGB zur Wahl. Dass hier das Pendel in Richtung schweizerisches Recht ausschlug, hat sicherlich mit einigen wichtigen Eigenschaften des Gesetzbuches zu tun: ZGB und OR hatten im Vergleich zum BGB nur 2/‌3 an Normenbestand (damals 2385 Paragraphen gegenüber 1528 Artikeln). Außerdem wurden diese Gesetzbücher ihrer verständlicheren Sprache und einfacheren Gesetzestechnik wegen gegenüber dem BGB als vorteilhaft angesehen. Auch die Benutzung von vielen Generalklauseln gab dem Gesetz eine Flexibilität, die die Rezeption leichter gestaltete.

Sicherlich gab es aber auch politische Motivationen für die Wahl des schweizerischen Privatrechts, da die Schweiz eins von den wenigen Ländern in Europa war, das nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen und somit mit der Türkei Krieg geführt hatte. Die junge türkische Republik, die auf einer Seite versuchte, sich in ein europäisches Land zu transformieren, war auf der anderen Seite sehr darauf bedacht, ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen und insbesondere in keiner Weise den Eindruck aufkommen zu lassen, ihr Recht oktroyiert zu bekommen.

3. Mit der Rezeption des schweizerischen ZGB/‌OR verbundene Hauptanwendungsprobleme

Im Rückblick kann zuerst festgestellt werden, dass manche Institutionen, die mit dem ZGB übernommen wurden, nie zur Anwendung gekommen sind. Dies sind insbesondere im Familienrecht die Eheverträge, Familienstiftungen und Gemeinderschaften; im Sachenrecht der Schuldbrief und die Reallast.

Die Anwendung und Durchsetzung mancher Institutionen wiederum hat große Probleme mit sich gebracht. Hier muss sicherlich an erster Stelle die Einführung der Pflicht zur standesamtlichen Eheschließung erwähnt werden. Es wurde aus Gewohnheit weiterhin nur die Imam-Ehe geschlossen, obwohl dieser Akt nach dem türkischem Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1926 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten bestraft werden konnte. Strafbar ist diese Tat noch heute für den Geistlichen, der ohne Vorweisung des Ehescheines Trauungsfeierlichkeiten vornimmt und auch für die Parteien, die nicht zuerst die standesamtliche Ehe eingehen (Art. 230 türk. StGB).

Ein anderer Problempunkt waren die aus einer nichtehelichen Beziehung hervorgehenden Kinder. Nur wegen des Kindeswohles hat der türkische Gesetzgeber bis heute neun Mal temporäre Sondergesetze erlassen (zuletzt 1991), so dass den Eltern, die in religiösen Ehen oder in Polygamie lebten, die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Kinder als ehelich zu registrieren. Es wurde aber keine Zweit-Ehe legalisiert. Diese Gesetze waren von besonderer Bedeutung, da das türkische ZGB (so wie das schweizerische ZGB) die Anerkennung eines im Ehebruch erzeugten Kindes durch den Vater verbot. Das än-derte sich erst 1991, als das türkische Verfassungsgericht diese Bestimmung für verfassungswidrig und somit für nichtig erklärte.

Auch der rechtsgeschäftliche Erwerb von Immobilien hat lange Jahre für Probleme gesorgt, da das ZGB zum Erwerb von Grundeigentum eine Eintragung in das Grundbuch voraussetzte. Zu Zeiten der Einführung des ZGB gab es jedoch in der Türkei kein Liegenschaftskataster und zentrales Grundbuchamt. Obwohl manche Arten von Grundstückeigentum in verschiedenen Registern eingetragen waren, waren für den größten Teil der Grundstücke in der Türkei die Eigentumsverhältnisse unklar. Deswegen mussten die türkischen Gerichte sich Jahrzehnte lang mit den Problemen der außergrundbuchlichen Veräußerungen beschäftigen und dafür Regeln entwickeln. Insbesondere die Bestimmungen bezüglich der außerordentlichen Ersitzung fanden weitaus mehr Anwendung als in der Schweiz.

Im Bereich des Obligationenrechts hingegen können keine besonderen Anwendungsprobleme verzeichnet werden. Auch die Einführung von vertraglichen und gesetzlichen Zinsen stieß in der Praxis auf keinerlei Widerstand.

4. Entwicklung des türkischen ZGB und das neue türkische ZGB (2002)

Die Entwicklung des türk. ZGB kann grob in drei Phasen unterteilt werden: Die erste Phase lief bis Ende der siebziger Jahre. In dieser Periode gingen die Bemühungen eher in die Richtung, das Gesetz zu verstehen, richtig zu deuten und in der Praxis den Gegebenheiten des Landes anzupassen. Obwohl schon in dieser Phase das Justizministerium die Revision des türkischen ZGB angeordnet und eine Kommission damit beauftragt hatte (1951), war eines der hauptsächlichen Anliegen, die Gesetzessprache zu modernisieren. Bei den Übersetzungsarbeiten in den zwanziger Jahren hatte man sich nämlich meist der damaligen Gelehrtensprache, dem Osmanischen, bedient, das mit arabischem und persischem Vokabular durchsetzt war. Diese schon damals vom Volke nicht verstandene Sprache war ein Vierteljahrhundert danach absolut unzeitgemäß geworden. Der von der Kommission im Jahre 1971 veröffentlichte türkische ZGB-Entwurf trat aber nie in Kraft. Einige wenige Änderungen wurden in dieser Phase meist durch Sondergesetze vollbracht. Hier sind sicherlich die Vereinsgesetz von 1938 und 1972 und das Stockwerkeigentumsgesetz (1965) besonders erwähnenswert. Beide genossen Vorrang vor dem türkischen ZGB. Ein direkter Eingriff in das türkische ZGB erfolgte im Jahre 1967 im Abschnitt zur Stiftung. Mit dieser Änderung wurde bezweckt, insbesondere durch steuer- und erbrechtliche Vorteile die Gründung von Stiftungen zu fördern.

Die zweite Phase, die in den achtziger Jahren anfing, war schon viel mehr geprägt durch die Bemühungen, ein teilweise veraltetes Gesetz weiterzuentwickeln. Im Jahre 1981 wurde abermals eine Kommission damit beauftragt, das türkische ZGB zu revidieren. Bei der Vorbereitung des Entwurfs, der im Jahre 1984 veröffentlicht wurde, hatte die Kommission nach ihrer Aussage folgende Prinzipien befolgt: (a) Alle Bestimmungen des geltenden türkischen ZGB waren auf eventuellen Reformbedarf hin untersucht und einer sprachlichen Bereinigung unterzogen worden; (b) bei dieser Überprüfung war der Entwurf von 1971 soweit wie möglich berücksichtigt worden; (c) alle Änderungen, die zwischenzeitlich am schweizerischen ZGB vorgenommen worden waren, wurden ausgewertet und diejenigen, die den türkischen Bedürfnissen entsprachen, wurden übernommen; (d) die Rechtsprechung der türkischen und schweizerischen Gerichte wurde berücksichtigt; (e) bei der sprachlichen Neuformulierung der Artikel wurde versucht, sich direkt am schweizerischen Mutterrecht zu orientieren, solange kein Grund bestand, davon abzuweichen.

Doch wie auch der vorherige trat dieser Entwurf nie als Ganzes in Kraft. Es wurden aber Teile aus diesem und dem Entwurf von 1971 dazu benutzt, im Jahre 1988 und 1990 zwei große Revisionen durchzuführen. Die Hauptziele dieser Revisionen waren die Stärkung des Persönlichkeitsschutzes, die Einführung der Möglichkeit, einen Eintrag im Personenstandsregister nach erfolgter Geschlechtsänderung zu korrigieren, Scheidungen zu vereinfachen und die einverständliche Scheidung einzuführen, Adoptionen zu vereinfachen, Pflichtteile zu verringern, Bestimmungen bezüglich des Baurechts zu detaillieren und die Errichtung eines Grundpfandrechts in Fremdwährung zu erlauben.

Doch das Gesetz blieb insbesondere im Bereich der Gleichberechtigung zwischen den Ehepartnern und zwischen den ehelichen und außerehelichen Kindern weit hinter den Entwicklungen in den europäischen Ländern zurück. Da der türkische Gesetzgeber in dieser Hinsicht nichts unternahm, wurde diese Aufgabe teilweise vom Verfassungsgericht wahrgenommen. Die aus dem ZGB stammenden Bestimmungen, dass etwa die Ehefrau nur mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Ehemannes einen Beruf ausüben kann, oder die Diskriminierung außerehelicher Erben väterlicherseits (sie hatten nur auf die Hälfte des Erbschaftsanteils Anspruch), wurde als verfassungswidrig erklärt.

Wachsende Kritik aus der Praxis und der Wissenschaft haben den Gesetzgeber 1994 abermals dazu bewegt, eine Kommission aus Akademikern, Richtern, Vertretern von Berufsorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und verschiedenen Ministerien zusammenzustellen und zu beauftragen, das Zivilgesetzbuch zu reformieren und auf den neuesten Stand der Entwicklungen zu bringen. Die Kommission hat sich bei ihrer Arbeit teilweise an den Entwürfen von 1971 und 1984 orientiert, aber auch besonders die Entwicklungen in der Schweiz und – soweit als nötig erachtet – in Deutschland, Frankreich und Italien mitberücksichtigt. Außerdem wurden die von der Türkei ratifizierten UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes und zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und die daraus für die Türkei entspringenden Verpflichtungen in Betracht gezogen. Der endgültige Kommissionsentwurf wurde 1999 veröffentlicht und am 22.11.2001 im Parlament angenommen; er trat am 1.1.2002 in Kraft und leitete somit die vorläufig letzte Phase (die dritte) ein.

Das neue türkische ZGB enthält 1030 Artikel (im Vergleich zu 937 Artikeln davor) und ist in einer zeitgemäßen Sprache abgefasst. Es entspricht weiterhin in Systematik, Unterteilung und Aufbau völlig dem schweizerischen ZGB. Große Teile der neu eingeführten Bestimmungen sind wieder Übersetzungen der zwischenzeitlich in der Schweiz vollzogenen Reformen. Die wichtigsten davon sind im Bereich der Gleichberechtigung der Ehegatten, die Einführung der Errungenschaftsbeteiligung als ordentliches eheliches Güterrecht und die absolute Gleichstellung von ehelichen und außerehelichen Kindern. Unterschiede von der Mutterordnung beruhen auf Besonderheiten der Verhältnisse in der türkischen Gesellschaft. Insgesamt halten sich jedoch diese sehr in Maßen. Achtzig Jahre nach Rezeption des schweizerischen ZGB kann man ohne weiteres immer noch von einer starken Übereinstimmung der Texte und auch der diesbezüglichen Praxis ausgegangen werden.

5. Entwicklung des OR in der Türkei

Das Obligationenrecht entspricht heute noch weitgehend dem Text, der im Jahre 1926 in Kraft trat und ist somit eine Übersetzung der beiden ersten Abteilungen des schweizerischen OR. Es wurden nur einige wenige Änderungen an dem Gesetz vorgenommen (z.B. elektronische Unterschriften wurden der handschriftlichen gleichgesetzt; der Anwendungsbereich der fünf-jährigen Verjährung wurde erweitert; die Bestimmungen zum Frachtvertrag wurden aufgehoben, da diese vom türkischen HGB abgedeckt wurden).

Erst im Jahre 1998 wurde eine Kommission ernannt, mit dem Auftrag einen neuen OR-Entwurf auszuarbeiten. Diese machte ihren Vorschlag im Jahre 2005 publik. Eine revidierte Version wurde 2008 dem Parlament vorgelegt. Obwohl der Entwurf einige wichtige Neuerungen enthält (wie etwa die Einführung einer AGB-Kontrolle, einer allgemeinen Norm in Bezug auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, einen allgemeinen Gefährdungstatbestand im Deliktsrecht oder ausführliche Schutzbestimmungen im Mietrecht) bleibt er insgesamt sehr hinter den Erwartungen. Es fällt besonders auf, dass die Kommission sich jeglicher internationaler und europäischer Entwicklung verschlossen hat. Weder Texte wie PECL, UNIDROIT PICC, CISG (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) wurden ausgewertet noch hat es die Kommission für nötig gehalten, überhaupt zur Diskussion zu stellen, ob man das Verbraucherschutzgesetz, das 1995 erlassen und 2003 revidiert wurde und hauptsächlich der Umsetzung der relevanten Richtlinien der EU dient, in das OR einzubeziehen. Die Schuldrechtsreform in Deutschland oder das niederländische Burgerlijk Wetboek wurden von der Kommission genauso ignoriert. Es ist derzeit nicht absehbar, ob das Parlament den Entwurf in seiner jetzigen Fassung erlassen wird.

Literatur

Georges Sauser-Hall, La réception des droit européens en Turquie, Recueil de Travaux, publié a l’occasion de l’assemblée de la société Suisse des juristes a Genève, du 4 au 6 Septembre 1938, 1938, 325 ff.; Erich Pritsch, Das schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 59 (1957) 123 ff.; Ernst E. Hirsch, Rezeption als sozialer Prozess, erläutert am Beispiel der Türkei (1981); Fritz Neumark, Zuflucht am Bosporus: Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933–1953, 1995; Gülnihal Bozkurt, Batı Hukukunun Türkiye’de Benimsenmesi; Osmanlı Devletinden Türkiye Cumhuriyetine Resepsiyon Süreci 1839–1939 (Die Übernahme Westlichen Rechts in der Türkei: Der Rezeptionsprozess vom Osmanischen Reich bis zur türkischen Republik), 1996; Heinrich Scholler, Silvia Tellenbach (Hg.), Westliches Recht in der Republik Türkei 70 Jahre nach der Gründung, 1996; Yesim M. Atamer, Rezeption und Weiterentwicklung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches in der Türkei, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 723 ff.

Abgerufen von Rating-Agenturen – HWB-EuP 2009 am 19. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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