Scholastik: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 13. September 2016, 12:11 Uhr

von Andreas Thier

1. Begriff und Geschichte

Der Ausdruck „Scholastik“ geht auf die Bezeichnung σχολαστικός zurück, die ihre Wurzel findet in den Begriffen σχολή (Schule, Studium, Muße) und σχολάζειν (sich einer Sache widmen, Muße haben). Im Ausgangspunkt ist ein σχολαστικός also eine Person, die ohne äußeren Zwang einer selbst gewählten Tätigkeit nachgeht. Auf dieser Linie bewegt sich auch die Benutzung des Ausdrucks σχολαστικόν in der Politik des Aristoteles, wo es als „Ruhevolles“ insbesondere die Grundlage der θεωρία bildet. Seit Theophrast (372/‌369–288/‌285 v. Chr.) wird σχολαστικός vor allem als Selbstbezeichnung von Philosophen benutzt, doch wird der Begriff dann ebenso wie seine latinisierte Form scholasticus zur Bezeichnung einer „zu einer Schule gehörenden“ Person verwendet. Von diesem Ausgangspunkt her werden in der Spätantike und noch in der Karolingerzeit in Formeln wie vir scholasticus besondere Gelehrsamkeit und herausragende intellektuelle Kompetenz umschrieben. Zugleich werden σχολαστικός und scholastikus seit etwa dem 1. Jahrhundert v. Chr. zunächst mit dem Begriff rhetor verbunden, der seinerseits spätestens seit Cicero auch die Bedeutung „Rechtsbeistand“ umfasst. Dem entspricht es, dass spätestens im 4. Jahrhundert der Ausdruck scholasticus ebenfalls in dieser Weise verwendet wird (vgl. CTh 8,10,2) und Augustinus sogar den scholasticum iurisperitum (den „rechtsgelehrten Scholastiker“) erwähnt. Später vor allem im byzantinischen Raum erweitert um die Bedeutungsschicht „Amtsinhaber“ (s. auch C. 12,61,2 pr.), wird der scholasticus im Zusammenhang mit der großen karolingischen Bildungsreform zum Titel für den Leiter einer Kloster- oder Kathedralschule, das caput scholae. Seit etwa dem 12. Jahrhundert dient das Adverb scholastice zunehmend dazu, die in den Domschulen und Universitäten vermittelte Theologie von monastischen Lehrinhalten abzugrenzen. Wesentlich für die in diesem Sinne „scholastische“ Theologie der Universitäten ist in der Sicht der Zeitgenossen dabei der überragende Stellenwert des dialektischen Philosophierens für die Theologie, während der monastischen Doktrin die Dialektik ein schlichtes Hilfsmittel für das Verständnis der Bibel und anderer autoritativer Texte ist. Der humanistischen Perspektivenbildung des 16. Jahrhunderts war der scholasticus der Inbegriff des philosophisch angeleiteten Theologen des Hoch- und Spätmittelalters, der sich in lebensferne argutii und subtilitates („Übergenauigkeiten“ und „Spitzfindigkeiten“) verstrickt. Im Ausgangspunkt ähnlich, in der Bewertung zum Teil aber deutlich anders gestaltete sich die Sichtweise in der neuzeitlichen kirchlichen Tradition: So bestimmte Martin Luther 1517 in den Conclusiones contra scholasticam theologiam die Identität der Scholastik in der theologischen Instrumentalisierung der Philosophie, die allerdings mit dem Postulat sola fide nicht in Einklang zu bringen sei. Zwar bewegte sich die römisch-katholische Kirche in der Deutung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie auf der gleichen Linie. Doch die so verstandene Scholastik wurde ungleich positiver bewertet, wurde sie doch seit dem Konzil von Trient (1545–1563) zur tragenden Grundlage der katholischen Glaubenslehre gemacht, insbesondere vom Jesuitenorden verbreitet und in der sog. spanischen Spätscholastik (s. unten 4.) fortentwickelt. Mit der Enzyklika Aeterni Patris erklärte Papst Leo XIII. (1878–1903) 1879 die mittelalterliche Lehre insbesondere des Thomas von Aquin (1224/‌25–1274) zur Leitlinie der römisch-katholischen Positionierung gegenüber der säkularen Philosophie. Der damit zugleich geförderte Aufstieg der „Neuscholastik“ in der katholischen Theologie setzte sich ungebrochen bis ins 20. Jahrhundert fort, auch wenn Papst Johannes Paul II. (1978–2005) 1998 in der Enzyklika Fides et Ratio einen Bedeutungsverlust der philosophia scholastica in der Zeit nach dem Vaticanum II (1962–1965) (Kanonisches Recht) beklagte.

In der neuzeitlichen säkularen Philosophie dominierte demgegenüber lange Zeit die Ablehnung der Scholastik, die hier als Inbegriff einer autoritätsgläubigen „schulfüchsischen Philosophie“ von „Papistischen Ordensmännern“ (Christian Thomasius, 1710) gedeutet wurde, die nichts anderes als „artificial ignorance“ (John Locke, 1690) hervorbringe. Wurde die „scholastische Philosophie“ von Hegel zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch als „strohene Verstandesmetaphysik“ gebrandmarkt, so setzte im Zeichen der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Mittelalter auch bei nichtkatholischen Autoren ein Perspektivenwandel ein: In den Vordergrund rückte jetzt die bis in die Gegenwart diskutierte Frage nach der Kohärenz und der Deutung des Phänomens „Scholastik“. Dabei herrschte bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert die These vor, dass der Ausdruck „Scholastik“ einen Ansatz der christlichen Denktradition bezeichne, in dem die Spannung von Philosophie und Theologie zu einem glaubenden Wissen aufgelöst werde. Kennzeichnend war in dieser Sicht die Bedeutung autoritativer Texte wie der Bibel sowie der Schriften von Kirchenvätern und antiken Philosophen, insbesondere des Aristoteles. Mehr Raum gewann seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die, wie oben angedeutet, auch semantisch greifbare Unterscheidung zwischen einer universitären, „scholastischen“, und einer monastischen Theologie. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde allerdings „Scholastik“ zunehmend als Chiffre benutzt, die den epistemologischen Zugriff aller hoch- und spätmittelalterlichen universitär gelehrten Wissenschaften kennzeichnen sollte. Charakteristische Merkmale bleiben allerdings auch hier der hohe Stellenwert der auctoritates und die Bedeutung einer vernunftgeleiteten, auf der Logik beruhenden Argumentation. Diese Qualifizierung der Scholastik als Modus des Denkens vor allem der hoch- und spätmittelalterlichen universitär verankerten Wissenschaften, für den das Rationalitätserfordernis und die Beschäftigung mit autoritativen Texten wesentlich sind, bildet auch den perspektivischen Ausgangspunkt der vorliegenden Übersicht.

2. Elemente der scholastischen Wissenschaftskultur

Den Ansatzpunkt der scholastischen Wissenschaft bildete die Analyse autoritativer Texte (etwa der Bibel und von Texten der Kirchenväter oder des Aristoteles), die auch die universitäre Lehre prägte: Durch die lectio (Lektüre) des Textes und die Auseinandersetzung mit den Auffassungen anderer Autoritäten werden unterschiedliche Sichtweisen offen gelegt, die in der Form der quaestio (Frage) untersucht werden. Dabei gewinnt die dialektische Methode wesentlichen Einfluss. Offenbar in der vorgratianischen Kanonistik (Kanonisches Recht) bereits bekannt (Ivo von Chartres, † 23.12.1115; Bernold von Konstanz, † 16.9.1100), fand sie vor allem durch die programmatische Schrift Sic et non („So und [so] nicht“) des Petrus Abaelardus (1079–1142) Verbreitung. Im 13. Jahrhundert erreichte der Einfluss der vor allem durch Boethius (475/‌480–524) und Averroes (1126–1192) ins Lateinische übersetzten aristotelischen Lehren seinen Höhepunkt. Die von Aristoteles gesetzten Standards wissenschaftlicher Argumentation und die breite Vielfalt seiner metaphysischen und naturphilosophischen Kategorienbildungen wurden für die jetzt entstehende universitäre Forschung und Lehre prägend. Leitende Vorstellung war dabei der Gedanke von der vernünftigen Ordnung der gottgeschaffenen Welt, die deswegen auch einer vernunftbasierten Deutung zugänglich war. So wurde die aristotelische Formel ars imitatur naturam („Die Kunstfertigkeit ahmt die Natur nach“) nicht allein als ästhetisch-künstlerisches Konzept der Mimesis gedeutet, sondern bildete auch den perspektivischen Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis. In den Vordergrund rückte dabei die Metaphysik als rectrix omnium aliarum scientiarum („Lenkerin aller anderen Wissenschaften“), wie es in einem berühmten Diktum des Thomas von Aquin heißt. In solchen Aussagen schien eine Vorstellung von der ideellen Einheit aller Wissenschaften auf, die ihre Entsprechung in der relativen Einheitlichkeit der Strukturformen von Argumentation und, modern gesprochen, Publikation fand. Entscheidend dabei wurde die quaestio, musste sich hier doch entscheiden, ob ein Widerspruch zwischen verschiedenen Texten durch die distinctio (Unterscheidung verschiedener Bedeutungsebenen) zu beseitigen war, weil nur dann deren Verbindlichkeit rational vertretbar erschien. Auf diese Weise gewannen semantische Differenzierungen einen besonderen Stellenwert; zugleich erschlossen sich in quaestio und disputatio immer neue Aussageschichten des jeweils zugrunde gelegten Textes einer auctoritas. Diese Formen der Textanalyse bestimmten auch die universitäre Lehre (Universitäten), die bei der lectio eines Textes ansetzte und in der die disputatio zunehmend zu einer eigenen Unterrichtsform wurde. Es kennzeichnete die scholastische Wissenschaft, dass ihre Literaturtypen ihre prägenden Strukturen aus dieser Gestaltung der akademischen Lehre erhielten: So entwickelte sich aus der lectio die Glosse, die ursprünglich nur der paraphrasierenden Erläuterung eines einzelnen Textelementes diente und dann zum analytischen Kommentar wurde. Disputatio und quaestio fanden ihre Entsprechung in quaestiones disputatae und wurden später in der Summa gebündelt. Im Lauf dieser Entwicklung trat der Text der jeweils diskutierten Schrift einer auctoritas (nicht zuletzt auch medial) in den Hintergrund, bestimmend wurde die Auseinandersetzung zwischen divergierenden Auslegungen der untersuchten Textstellen. Dem entsprach es, dass die Allegation zeitgenössischer Autoren und paralleler Texte zunehmend wichtiger wurde. In der Entstehung von glossae ordinariae (frei übersetzt: „allgemeinen Kommentaren“) zu autoritativen Texten wie etwa der Bibel seit dem 13. Jahrhundert konsolidierten sich solche Debatten, auch wenn deren literarische Dynamik auf diese Weise nicht unterbrochen wurde.

3. Scholastik und mittelalterliche Rechtswissenschaft

Wie bereits angedeutet, war es die vorgratianische Kanonistik gewesen, die zur Ausformung der scholastischen Methode beitrug. Möglicherweise war auch die häufige Berufung auf die Autorität gerade patristischer Schriften (der sanctorum patrum) in der Epoche der gregorianischen Reform (Kanonisches Recht) des ausgehenden 11. Jahrhunderts eine Vorstufe der scholastischen Prägung des Rechtsdenkens, die seit dem 12. Jahrhundert zum charakteristischen Merkmal des neu entstehenden ius commune werden sollte. Der scholastische Zugang zur Deutung und zur Lehre des Rechts war besonders ausgeprägt in der Schule von Bologna, die seit dem beginnenden 12. Jahrhundert entstand. Das wurde etwa im programmatischen Titel des Decretum Gratiani (Kanonisches Recht) deutlich, das den Zeitgenossen die Concordia Discordantium Canonum versprach und zur Verwirklichung dieser Zielsetzung mit distinctio und quaestio typische Elemente der scholastischen Methode nutzte. Auch die Typenbildungen kanonistischer und legistischer (ius commune) Schriften bewegten sich ganz auf der Linie der scholastischen Tradition, entwickelten sich doch bereits im 12. Jahrhundert – ursprünglich aus der Situation des universitären Unterrichts – Glossen und Summen, aus denen dann seit dem 13. Jahrhundert lecturae und commentariae wurden. Durchgängig war dabei die quaestio das wichtigste Element der Analyse der römischen, kirchlichen und auch lehnrechtlichen Texte, deren Autorität den Ausgangspunkt der Betrachtung bildete.

Während in der Zeit der Glossatoren wohl meist das Bestreben leitend war, auf diese Weise zu Topoi für die Lösung konkreter Fälle zu gelangen, gewannen im 13. und 14. Jahrhundert auch Tendenzen an Boden, abstraktere Perspektiven und Kategorien in den Diskurs einzuführen. Kennzeichnend dafür war die Mahnung des Baldus de Ubaldis (1327–1400), qui vult scire principiata debet noscere principia („Wer wissen will, was aus den Prinzipien herrührt, muss die Prinzipien kennen“; Commentaria in Digestum vetus, ad D. 1,1,1 nr. 2). Allerdings war die gelehrte Jurisprudenz dieser Zeit weit entfernt von den gewaltigen Systementwürfen etwa der Summae Theologiae eines Thomas von Aquin, auch wenn gezeigt worden ist, dass gerade Baldus und seine Zeitgenossen zumindest ansatzweise über Elemente einer systematischen Ordnung des Rechts debattiert haben (Maximiliane Kriechbaum). Mehr Gewicht hatten in der juristischen Debatte materielle Elemente des scholastischen Diskurses wie die von Aristoteles rezipierte Lehre der vier causae (causa formalis, materialis, efficiens sowie finalis), die insbesondere in der Analyse vertraglicher Verpflichtungen und kondiktionsrechtlicher Ansprüche, aber auch für die Frage nach der hoheitlichen Herrschaftsausübung für die Dogmatik fruchtbar gemacht wurden. Ähnliches lässt sich für die Verwendung der Kategorien actus/‌potentia und forma/‌materia zeigen, die etwa in der Vertragsrechtslehre oder für die Unterscheidung von actio und obligatio Anwendung fanden. Aber trotz dieser offensichtlichen Nähe der Rechtswissenschaften zur Theologie und zur Philosophie beanspruchten die Juristen frühzeitig eine eigene epistemologische Identität. Teilweise wurde dabei gleichwohl der gemeinsame Ausgangspunkt betont wie etwa in dem Bild des Stephan von Tournai (1128–1203), der theologus et legista mit den zwei Gästen eines Essens verglich, von denen der eine eher süße und der andere eher saure Speisen bevorzugt. Teilweise wurde allerdings auch die Autonomie jedenfalls der legistischen Wissenschaft mit kompromissloser Deutlichkeit betont wie etwa in der entschiedenen Verneinung der Frage, ob ein iuris consultus… debeat theologiam legere (ob „ein Jurist Theologie lesen muß“), werde doch „alles im Corpus iuris gefunden“ (omnia in corpore iuris inveniuntur; Gl. Notitia ad D. 1,1,10,2). Dieser entschiedenen Orientierung an den Texten des römischen und kanonischen Rechts entsprach umgekehrt die Feststellung des Bartolus, dass „die Juristen… nicht die Worte des Aristoteles kennen“ (verbis…Aristotelis… iurist(a)e … non saperent; Tractatus de regimen civitatis). Solche rechtswissenschaftlichen Abgrenzungsbemühungen resultierten freilich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass auch die Theologie eine Fülle von juristischen Thesen und Themen analysierte. Kennzeichnend dafür war etwa die Debatte über die Grundlage von Eigentumsbefugnissen oder die theologischen Konzeptionen eines Naturrechts.

4. Die spanische Spätscholastik

Im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation gewann die thomistische Tradition, wie oben angedeutet, in der römisch-katholischen Wissenskultur besonderes Gewicht. Kennzeichnend dafür war die Ersetzung der Sentenzensammlung des Petrus Lombardus († 1160), dem für lange Zeit wichtigsten Textbuch der universitären theologischen Lehre, durch die Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Überragende Bedeutung entfalteten die thomistischen Texte vor allem im spanischen Raum, insbesondere an der Universität Salamanca. Hier wurden die Thomaskommentare und die öffentlichen sog. Relecciones des dominikanischen Theologen Francisco de Vitoria (um 1483–1546) zum Ausgangspunkt für eine neue Traditionsbildung. Die Autoren der auf dieser Grundlage entstehenden Traktate und Kommentare waren ihrerseits vielfach Theologen wie die Dominikaner Domingo de Soto (1494–1560), Melchor Cano (1509–1560), der Jesuit Francisco Suarez (1548–1617) oder der Franziskaner Alfonso de Castro (1495–1558). Doch auch Juristen wie der Kanonist Diego de Covarrubias y Leyva (1512–1577), sein akademischer Lehrer Martin de Azpilcueta (1491–1586) und der eher römisch-rechtlich orientierten Fernando Vázquez de Menchaca (1512–1566) rezipierten intensiv die thomistische Theologie. Jenseits ihrer Affinität zur thomistischen Doktrin war diese Autorengruppe aber auch zu einer Gemeinschaft verbunden in der Orientierung an der scholastischen Methode des sic et non und vor allem in der im mittelalterlichen Kontext seltenen Verknüpfung von moraltheologischen und rechtswissenschaftlichen auctoritates. Damit erweiterten sich die Perspektiven der Argumentation, die dabei aber dem formalen Rahmen und der thematischen Universalität der mittelalterlichen Scholastik verbunden blieb. Vor diesem Hintergrund ist die in der Literatur häufig verwendete Kennzeichnung dieser Werke und ihrer Autoren als „Spanische Spätscholastik“, „Iberische Spätscholastik“ oder bisweilen auch als „Zweite Scholastik“ sicherlich zutreffend. Ein wenig missverständlich ist demgegenüber die manchmal ebenfalls benutzte Bezeichnung „Schule von Salamanca“, wird doch damit eine tatsächlich nicht bestehende Gemeinsamkeit von Thesen und Perspektiven unterstellt, zumal nicht alle spätscholastischen Autoren der salmantinischen Universität verbunden waren.

Inhaltlich prägend war für die spanische Spätscholastik vor allem die Ausrichtung an Naturrechtsvorstellungen (Naturrecht), die stark von der Lehre des Thomas von Aquin beeinflusst waren. Auf dieser Grundlage entstanden Konzeptionen subjektiver Rechte und Freiheiten, die nicht zuletzt auch durch die Frage inspiriert wurden, wie mit den unter der neubegründeten kolonialen Herrschaft stehenden Völkern umzugehen sei. Moraltheologie und Naturrechtsdenken verbanden sich auch in Überlegungen über die Legitimation von Kriegshandlungen, die Legitimität politischer Herrschaft und ihrer Grenzen sowie in einer sehr ausdifferenzierten allgemeinen Strafrechtslehre. In der Privatrechtsdogmatik sollten es vor allem die Lehren über Eigentum, die Gegenseitigkeit des Vertrags und die Naturalrestitution sein, die die säkularen Naturrechtsentwürfe des 17. und 18. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussten und die auf diese Weise Wirkung bis in die Rechtsordnung der Gegenwart hinein entfalten.

Literatur

Gerhard Otte, Dialektik und Jurisprudenz, 1971; Heinrich Schmidinger, „Scholastik“ und „Neuscholastik“. Geschichte zweier Begriffe, in: Emerich Coreth, Walter M. Neidl, Georg Pfligersdorffer (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2: Rückgriff auf scholastisches Erbe, 1988, 23 ff.; Hans-Jürgen Becker, Scholastik, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 1990, Sp. 1478 ff.; James Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine 1991; Heinrich Schmidinger, Scholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, 1992, Sp. 1332 ff. mit umfangreichen Nachweisen zur Begriffsgeschichte; Rolf Schönberger, Scholastik, I. Begriff und historische Charaktere, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, 1995, Sp. 1521 ff.; Norman Kretzmann, Anthony Kenny, Jan Pinborg (Hg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, ND 1997, 192 ff. mit umfassenden Nachweisen zur Literatur und zu den Quellen der mittelalterlichen scholastischen Wissenschaft; Manlio Bellomo (Hg.), Die Kunst der Disputation, 1997; Annabel S. Brett, Liberty, Right and Nature: Individual Rights in Later Scholastic Thought, 1997; Christoph H.F. Meyer, Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts, 2000; Maximiliane Kriechbaum, Methoden der Stoffbewältigung, in: Hermann Lange, eadem, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2, 2007, 264 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen zu Literatur und Quellen.

Abgerufen von Scholastik – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

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