Schottisches Privatrecht und Zurückbehaltungsrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Die kontinentaleuropäische Verbindung ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
Das moderne schottische Recht steht in einer bis heute nicht abgerissenen Kontinuität der Entwicklung. Prägend war dabei seine Stellung im Spannungsfeld zwischen englischem ''[[common law]]'' und kontinentaleuropäischem ''civil law''. Während es seit der Thronbesteigung König ''Davids I''. im Jahre 1124 zunächst zu einem Eindringen anglo-normannischen [[Feudalrecht]]s kam, führten der Erbfolgestreit am Ende des 13. Jahrhunderts und die Unabhängigkeitskriege mit dem entscheidenden Sieg der Schotten bei Bannockburn zu einem starken und lang anhaltenden Antagonismus gegen England. Dies war der Keim der „Auld Alliance“ mit Frankreich und der Orientierung am kontinentalen Europa. Damit verbunden war die schrittweise [[Rezeption]] des gelehrten Rechts, die Schottland in zunehmendem Maße zu einer Provinz des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] werden ließ. Schottische Juristen studierten [[römisches Recht|römisches]] und [[kanonisches Recht]] an den führenden Fakultäten des Kontinents: zunächst vor allem in Paris und Orléans, später verstärkt in Leuven und Köln, und im 16. Jahrhundert hauptsächlich in Bourges, dem Zentrum der humanistischen Jurisprudenz ([[Humanismus]]). Ab 1575 finden wir eine ständig steigende Zahl schottischer Studenten in Leiden, später auch an den anderen neu gegründeten (nord‑)niederländischen Universitäten ([[römisch-holländisches Recht]]). Eine Analyse der 637 in der Zeit von 1661 bis 1730 an der ''Faculty of Advocates'' in Edinburgh zugelassenen Anwälte hat ergeben, dass nicht weniger als 275 von ihnen in den Niederlanden studiert hatten. Die Werke der führenden niederländischen Juristen waren in Schottland gut bekannt; sie wurden als Teil der Bibliothek des ''ius commune'' in der Praxis zitiert und inspirierten insbesondere auch die schottischen Institutionenschriftsteller (vgl. unten).
Ein Zurückbehaltungsrecht kommt vor allem dann in Betracht, wenn einem Schuldner gegen seinen Gläubiger seinerseits eine fällige Forderung zusteht. Das Zurückbehaltungsrecht bietet ihm dann Sicherheit in Bezug auf diese Gegenforderung: Er muss seine Leistung nur erbringen, wenn er auch die ihm geschuldete Leistung erhält. Es wird also einerseits Druck auf die Gegenpartei ausgeübt, die von ihr geschuldete Leistung zu erbringen, da sie sonst die ihr gebührende Leistung nicht erhält. Andererseits kann der Berechtigte vermeiden, vorzuleisten. Zurückbehaltungsrechte sind damit eng mit der [[Aufrechnung]] verwandt; praktisch kommen sie vor allem dort zum Tragen, wo eine Aufrechnung an der fehlenden Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen scheitert.


== 2. Das Zeitalter der Aufklärung ==
Die Beziehung, in der die beiden Forderungen zueinander stehen müssen, kann unterschiedlich eng sein: Am engsten ist das Verhältnis, wenn die beiden Forderungen im Synallagma stehen, die eine Leistung also die Gegenleistung für die andere ist. Wesentlich schwächer ist die Verbindung, wenn beide Leistungen nur auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen (Konnexität). Schließlich kann ein Zurückbehaltungsrecht auch bestehen, ohne dass die beiden Forderungen in irgendeiner Verbindung stehen, außer dass der Gläubiger der einen der Schuldner der anderen ist und umgekehrt.
Im Verlaufe des 18.&nbsp;Jahrhunderts ereignete sich das „schottische Wunder“: In einer Nation, die zunächst von einem bigotten und repressiven Presbyterianismus dominiert war, entwickelte sich eine der gebildetsten Gesellschaften Europas. Sie schuf wesentliche Grundlagen der modernen Zivilisation. Edinburgh wurde das geistige Zentrum der schottischen Aufklärung. Zu den Büchern, die das geistige Leben Europas prägten, gehörten ''Lord Kames'', „Sketches of the History of Man“; ''Francis Hutcheson'', „System of Moral Philosophy“; ''Adam Smith'', „Wealth of Nations“; ''David Hume'', „Treatise of Human Nature“; ''Adam Ferguson'', „Essay on the History of Civil Society“; und ''John Millar'', „The Origin of the Distinction of Ranks“. Große Bedeutung hatten für diesen unerhörten kulturellen Aufschwung die schottischen Universitäten, insbesondere diejenigen in Edinburgh und Glasgow. Die Zahl der Studenten stieg in Edinburgh von 400&nbsp;in den 1690er Jahren auf 1.300&nbsp;im letzten Jahrzehnt des 18.&nbsp;Jahrhunderts und in Glasgow von 250&nbsp;im Jahre 1696 auf 1.240&nbsp;im Jahre 1824. An beiden Universitäten florierte insbesondere auch der juristische Unterricht. 1710 und 1714 wurden Lehrstühle für ''civil law'' in Edinburgh und in Glasgow eingerichtet, 1722 ein Lehrstuhl für schottisches Recht in Edinburgh. Seit 1707 gab es an dieser Universität einen Lehrstuhl für öffentliches Recht, Naturrecht und Völkerrecht. Zu den bedeutendsten Zeugnissen der schottischen Rechtsliteratur jener Zeit zählen die [[Institutionenlehrbücher]]. Die Publikation der ''Institutions of the Law of Scotland'' von ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'' im Jahre 1681 hatte das römisch-schottische Recht in ähnlicher Weise konstituiert wie ''Hugo Grotius''’ „Inleidinge“ fünfzig Jahre zuvor das römisch-holländische. Auf ''Stair'' folgten eine Reihe weiterer „institutional writers“, darunter insbesondere ''Sir George Mackenzie''<nowiki>; </nowiki>''Andrew McDouall'', ''Lord Bankton''<nowiki>; </nowiki>''John Erskine''<nowiki>; und </nowiki>''George Joseph Bell''. Ihnen wird bis heute autoritative Bedeutung zugemessen.


== 3. Schottland im Schatten Englands ==
Ein Zurückbehaltungsrecht setzt aber nicht notwendig voraus, dass dem Berechtigten ein Anspruch zusteht. So kann etwa derjenige, der einen Gegenstand herausgeben muss, zur Zurückbehaltung berechtigt sein, bis ihm die Aufwendungen, die er auf den Gegenstand gemacht hat, ersetzt wurden; dass er einen ''Anspruch'' auf Ersatz dieser Aufwendungen hat, ist nicht erforderlich. Der Herausgabegläubiger hat dann faktisch ein Wahlrecht: Er kann Herausgabe verlangen, muss dann aber auch die Aufwendungen ersetzen, oder er kann auf den Gegenstand verzichten und so den Aufwendungsersatz vermeiden (vgl. z.B. §&nbsp;1000 BGB). Müssen eigentlich zwei ungleichartige Leistungen saldiert werden (etwa im Rahmen der Vorteilsausgleichung im Schadensrecht oder der Saldotheorie im Bereicherungsrecht), so tritt an die Stelle der nicht möglichen Saldierung ein Zurückbehaltungsrecht: Nur eine Partei hat einen Anspruch (bei der Vorteilsausgleichung der Geschädigte, bei der Saldotheorie diejenige Partei, die weniger empfangen hat), die Gegenpartei muss diesen Anspruch aber nur gegen Herausgabe des eigentlich Abzuziehenden erfüllen, ist also insofern zur Zurückbehaltung berechtigt.
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Strom der jungen Schotten versiegt, die in den Niederlanden Jura studierten; man studierte nun an den einheimischen Fakultäten. Damit, sowie später auch durch die napoleonischen Kriege und den Sieg der Kodifikationsbewegung auf dem Kontinent, brach die Verbindung zur zeitgenössischen Pflege des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] ab. Gleichzeitig kam es zu einem Niedergang des Studiums des [[römisches Recht|römischen Recht]]s, das zunehmend nur noch als eine historische, nicht mehr als eine lebendige Quelle des schottischen Rechts betrachtet wurde. Seine schöpferische Kraft erschien verbraucht. Stattdessen orientierten sich die schottischen Juristen nunmehr verstärkt am englischen Recht. Dafür war eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. 1603 hatte der schottische König ''James&nbsp;VI''. den englischen Thron geerbt, 1707 war es zur Ratifikation eines Unionsvertrages gekommen. Danach war den Schotten zwar das Fortbestehen ihres eigenen Rechts zugesichert worden, doch war für die Gesetzgebung nunmehr das Parlament in London zuständig, und Rechtstreitigkeiten über schottisches Recht führten in letzter Instanz vor das ''House of Lords''. Seit Beginn des 19.&nbsp;Jahrhunderts wurden die Gerichtsverfassung und das Zivilprozessrecht in mehreren Stufen reformiert, und eine striktere Präzedentiendoktrin setzte sich durch. Die schottischen Advokaten sahen nun zunehmend im englischen ''barrister'' ihr Rollenmodell. Das industrialisierte England bot in jeder Hinsicht hervorragende Karrieremöglichkeiten für die Angehörigen einer Nation, die sich seit jeher durch Ruhelosigkeit und Wandertrieb ausgezeichnet hatte und die über eine vergleichsweise hoch entwickelte Tradition schulischer und universitärer Ausbildung verfügte. Nicht zuletzt wurde das britische Kolonialreich von London aus verwaltet. Schotten spielten bei seiner Eroberung, Besiedelung und Verwaltung eine so herausragende Rolle, dass gelegentlich sogar von einem schottischen Kolonialreich gesprochen wird. Schottische Generäle und Regimenter bildeten das Rückgrat der britischen Armee; adelige schottische Familien, die einen großen Teil des Jahres in England lebten, gehörten zu den Säulen der politischen und gesellschaftlichen Elite. Ambitionierte junge Schotten traten in den Kolonialdienst oder gingen an englische Universitäten oder an eine der ''Inns of Court'', um in London zu praktizieren. Mit der kulturellen Anziehungskraft Englands wuchs auch das Prestige des ''[[common law]]''. Dessen Einfluss wurde in Schottland immer stärker spürbar: bei dem letzten der [[Institutionenlehrbücher|Institutionenschriftsteller]], ''George Joseph Bell'', und in anderen Schriften zum schottischen Recht ebenso wie in der Praxis der Gerichte. Insbesondere für die Herausbildung des modernen Handelsrechts galt das englische Recht als vorbildlich, und die einschlägigen (Teil&#8209;)Kodifikationen der viktorianischen Zeit wurden deshalb auf das schottische Recht erstreckt. Schottische Geschäftsleute drangen darauf, dass das auf ihre Transaktionen anwendbare Recht modern und für das Vereinigte Königreich einheitlich sein sollte; und sie wurden in dieser Haltung von prominenten schottischen Juristen unterstützt. Doch war die [[Rezeption]] des englischen Rechts nicht auf das Handelsrecht beschränkt, sondern betraf so unterschiedliche Bereiche wie den ''trust'', das Recht des Vertragsbruchs, das Nachbarrecht und viele andere.


== 4. Das Profil des Professors ==
Ein Zurückbehaltungsrecht führt dazu, dass die beiderseitigen Leistungen Zug um Zug zu erfüllen sind (vgl. §§&nbsp;274 Abs.&nbsp;1, 322 Abs.&nbsp;1 BGB, 756 ZPO). Dabei muss Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass eine der Parteien die Annahme der ihr gebührenden Leistung verweigert; es kann nicht sein, dass sie verhindert, selbst leisten zu müssen, indem sie sich auf ihr Zurückbehaltungsrecht beruft, obwohl es allein an ihr liegt, dass sie die ihr gebührende Leistung nicht erhalten hat. Daher muss es zur Durchsetzbarkeit genügen, dass der Gläubiger die ihm gebührende Leistung angeboten hat (vgl. z.B. Art.&nbsp;III.-3:401(1) DCFR) oder die Gegenpartei in Annahmeverzug versetzt hat (vgl. §§&nbsp;274 Abs.&nbsp;2 BGB, 756 ZPO).
Nahezu zwei Millionen Menschen emigrierten zwischen 1830 und 1914 nach Übersee; weitere 600.000 gingen nach England. Sie waren vielfach spektakulär erfolgreich. Gleichzeitig trug dieser massive ''brain drain'' aber dazu bei, dass Schottland selbst zu einem zunehmend randständigen Teil des Vereinten Königreichs wurde, zu einem Land der Moorhuhnjagd und der Folklore. 1843 zerbrach mit der schottischen Staatskirche das wichtigste Symbol nationaler Identität, seit das Parlament im Jahre 1707 aufgehoben worden war. Auch das Niveau der einheimischen Hochschulausbildung sank. Das galt nicht zuletzt für die juristischen Fakultäten. Von den vier schottischen Universitäten, so hieß es im ''Journal of Jurisprudence'' von 1866, könne allenfalls Edinburgh den Anspruch erheben, eine einigermaßen vollständige Fakultät zu besitzen. In Glasgow waren nur zwei Lehrstühle besetzt, in Aberdeen gar nur einer, und in St. Andrews hatte der juristische Unterricht seit langem aufgehört zu existieren. Viele der Professoren waren Mitglieder der ''Faculty of Advocates'' und praktizierten nebenher. Es handelte sich mithin um Teilzeitprofessoren, die Teilzeitstudenten in Vorlesungen unterrichteten, die außerhalb der normalen Bürozeiten stattfanden. Obwohl in der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jahrhunderts durchaus auch Professoren tätig waren, die in Deutschland studiert hatten und denen daran lag, die Juristenausbildung akademisch zu profilieren, war der Professor im Hierarchiegefüge der juristischen Berufe doch insgesamt von untergeordneter Bedeutung; er wurde im Grunde als Lehrer, kaum als Rechtswissenschaftler wahrgenommen. Den meisten schottischen Juristen war vermutlich schon der Begriff einer Rechts''wissenschaft'' fremd geworden: Auch dies ein Zeichen der Dominanz der englischen Rechtskultur im Vereinigten Königreich.  


== 5. Reaktion ==
Das Zurückbehaltungsrecht kann unabhängig vom Wert der beiderseitigen Forderungen bestehen, oder der Schuldner der einen Forderung kann nur insoweit zur Zurückbehaltung berechtigt sein, als der Wert seines eigenen Anspruchs reicht (vgl. §&nbsp;320 Abs.&nbsp;2 BGB, Art.&nbsp;III.-3:401(4) DCFR). Dem Schuldner kann die Möglichkeit gegeben werden, das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abzuwenden (vgl. §§&nbsp;273 Abs.&nbsp;3, 320 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;3 BGB). Das Zurückbehaltungsrecht kann auch mit einem Befriedigungsrecht verbunden werden, das dem Gläubiger das Recht gibt, sich unter bestimmten Voraussetzungen für seine eigene Forderung aus dem zurückbehaltenen Gegenstand zu befriedigen (vgl. §&nbsp;371 HGB).
Erst gegen Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts kam es zu einer Reaktion gegen die englische Überfremdung. Man besann sich auf die Eigenständigkeit des schottischen Rechts und auf seine historische Verwurzelung im kontinentaleuropäischen ''civil law''<nowiki>; und man begann, die institutionellen Grundlagen für eine moderne, wissenschaftlichen Standards entsprechende Rechtskultur zu schaffen. Durch die Studienreform des Jahres 1960 wurden die Rechtswissenschaften zu einem Vollzeitstudium. Damit erhielten die Universitäten den Vorrang gegenüber den anwaltlichen Standesorganisationen bei der Juristenausbildung. Zu den vier bereits bestehenden kam eine fünfte juristische Fakultät (Strathclyde) hinzu. Die Studentenzahlen expandierten ebenso wie die nunmehr voll und ganz in Forschung und Lehre tätigen Dozenten und Professoren (Zahl der Jurastudenten im Studienjahr 1990/‌91 2.218 gegenüber nur 490&nbsp;im Studienjahr 1938/‌39; Zahl der Hochschullehrer an schottischen juristischen Fakultäten 190&nbsp;im Studienjahr 1994/‌95 gegenüber 26&nbsp;im Studienjahr 1938/‌39). Im Jahre 1965 wurde eine schottische </nowiki>''Law Commission'' eingerichtet, deren Aufgabe die Vorbereitung von Reformen des schottischen Rechts im Wege der Gesetzgebung ist. Heute ist das schottische Recht in seiner Eigenständigkeit sicher etabliert und findet als [[Mischrechtsordnungen|Mischrechtsordnung]] im Schnittpunkt zwischen ''civil law'' und ''[[common law]]'' auch in der modernen rechtsvergleichenden Diskussion besondere Aufmerksamkeit.


== 6. Eine moderne Mischrechtsordnung ==
Das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts muss Rechtsfolgen, die an die Verzögerung der Leistung geknüpft sind, ausschließen, denn der zurückbehaltende Schuldner ist gerade nicht zur Leistung verpflichtet. Dabei kann entweder das bloße Bestehen des Zurückbehaltungsrechts ausreichen, oder es kann erforderlich sein, dass der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht geltend macht. In prozessualer Hinsicht kann das Zurückbehaltungsrecht von Amts wegen berücksichtigt werden oder nur, wenn der Schuldner sich darauf beruft.
Die Kombination der Einflüsse ist am auffälligsten im Vertragsrecht. Bemerkenswert häufig spiegeln die Lösungen des schottischen Rechts diejenigen, die sich auch in den [[Principles of European Contract Law|PECL]] und im Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] finden. So gibt es einerseits keine ''consideration''-Doktrin (und auch kein Konzept der ''cause'') ([[Seriositätsindizien]]), [[Versprechen]] sind auch ohne Annahme verbindlich, [[Vertrag|Verträge]] zugunsten Dritter sind anerkannt, und ein Gläubiger hat grundsätzlich einen [[Erfüllungsanspruch]] (''specific implement''). Andererseits kennt das schottische Recht einen im Wesentlichen einheitlichen Begriff der Vertragsverletzung, und es anerkennt die Lehren von der [[Antizipierte Nichterfüllung|antizipierten Nichterfüllung]], vom ''undisclosed principal'' ([[Stellvertretung]]) und von der ''[[undue influence]]''.


Aber auch andere Bereiche des Privatrechts sind durch eine Mischung von Einflüssen charakterisiert. Das schottische [[Erbrecht]] zum Beispiel bedient sich zur Nachlassabwicklung, wie das englische, der Institution der [[Testamentsvollstreckung]], und es kennt damit nicht das in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gängige Modell der [[Universalsukzession]], verbunden mit dem Institut des Vonselbsterwerbs. Andererseits ist die [[Testierfreiheit]] aber durch ein aus dem römischen Recht überkommenes [[Pflichtteilsrecht]] zugunsten von Abkömmlingen und überlebenden Ehegatten beschränkt. Bewegliches und unbewegliches Vermögen werden im Erbrecht unterschiedlich behandelt. Hier zeigt sich der nachwirkende Einfluss des Feudalismus in Schottland. Die schottische ''Law Commission'' hat kürzlich weitreichende Reformen des Erbrechts vorgeschlagen, doch ist bislang unklar, ob sie umgesetzt werden.
== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
=== a) Allgemeines Zurückbehaltungsrecht ===
Das [[Römisches Recht|römische Recht]] gewährte ein ''ius retentionis'', wenn der Schuldner zur Herausgabe eines Gegenstands verpflichtet war und vom Gläubiger Ersatz von Aufwendungen oder Schäden erhalten wollte, die mit seiner Herausgabepflicht in einem inneren Zusammenhang standen. Dabei war nicht erforderlich, dass dem Schuldner ein entsprechender Anspruch zustand. Konnexität war in diesen Fällen zwangsläufig gegeben. Keine Konnexität bestand dagegen bei dem ''pignus Gordianum'', das dem Pfandgläubiger trotz Erfüllung der gesicherten Forderung die Zurückbehaltung der Pfandsache erlaubte, wenn ihm noch weitere, ungesicherte Ansprüche gegen den Schuldner zustanden (C.&nbsp;8,26,1,2&nbsp;f.). Eine Abwendung durch Sicherheitsleistung kannte das römische Recht ebensowenig wie ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht.


Das [[Feudalrecht]] (das, wenngleich in atrophierter Form, bis 2004 in Kraft war) hat natürlich auch das schottische Sachenrecht stark geprägt. Der verbreitete Gebrauch von ''real burdens'', die Grundeigentümer mit Handlungspflichten belasten, und die Trennung in der rechtlichen Behandlung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen haben hier ihre Wurzeln. Diese Trennung wurde durch den ''Sale of Goods Act'' von 1893 und 1979 vertieft, der für das Vereinigte Königreich ein einheitliches Regime für die Übertragung beweglicher Sachen ([[Eigentumsübertragung (beweglicher Sachen)]]) aufgrund von Kaufverträgen ([[Kauf]]) etablierte. Gleichwohl sind die Grundlagen des Sachenrechts in Schottland weitgehend der römischrechtlichen Tradition verpflichtet. Das gilt, beispielsweise, für die klare Unterscheidung von dinglichen und persönlichen Rechten, den zentralen Begriff des [[Eigentum]]s und die Tatbestände des originären Eigentumserwerbs. Die moderne Doktrin hat die römischrechtlichen Grundlagen sowohl gefestigt als auch weiterentwickelt. Zu weiteren Eigenheiten des schottischen Privatrechts siehe [[Mischrechtsordnungen]].
Erst im 19.&nbsp;Jahrhundert wurde das Zurückbehaltungsrecht über die im römischen Recht anerkannten Fälle hinaus als allgemeines Institut herausgebildet, das durch das Erfordernis der Konnexität geprägt wurde. Das ''pignus Gordianum'' wurde vom Gemeinen Recht (''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]'')'' ''rezipiert und beispielsweise in den frz. ''Code civil'' (Art.&nbsp;2082 Abs.&nbsp;2, aufgehoben durch ''Ordonnance n°2006-346'') und den ''Codice civile'' (Art.&nbsp;2794 Abs.&nbsp;2), aber nicht ins BGB übernommen. Umstritten war, ob das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abgewendet werden konnte.


== 7. Literatur ==
§&nbsp;273 BGB statuiert ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht bei konnexen Forderungen und bei Verwendungen auf einen herauszugebenden Gegenstand oder durch diesen verursachten Schäden. Der Gläubiger kann das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung (außer durch [[Bürgschaft (modernes Recht)]]) abwenden. Gemäß §&nbsp;274 BGB führt das Zurückbehaltungsrecht nicht zu einer Klageabweisung, sondern zur Verurteilung Zug um Zug.
Ein Zeichen für die neue Vitalität des schottischen Rechts ist das Entstehen einer modernen Anforderungen entsprechenden wissenschaftlichen Literatur. Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurden vor allem die Werke von ''Bell'' und ''Erskine'' benutzt; die letzte, 10.&nbsp;Auflage von ''George Joseph Bell'', „Principles of the Law of Scotland“, erschien im Jahre 1899, und ''John Erskine'', „Principles of the Law of Scotland“, wurde sogar im Jahre 1911 noch einmal neu aufgelegt (21.&nbsp;Auflage). Abgelöst wurde ''Erskine'' schließlich durch ''W.M. Gloag'', ''R. Candlish Henderson'', „Introduction to the Law of Scotland“. Dies Werk erschien erstmals im Jahre 1927 und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum erfolgreichsten Titel der schottischen Rechtsliteratur.


Im Grunde beginnt die moderne Ära aber mit ''T.B. Smith'', der nicht nur mit seinem „Short Commentary on the Law of Scotland“ (1962) ein großangelegtes und sehr persönlich gefärbtes Überblickswerk verfasste, sondern auch der geistige Vater zweier großangelegter Publikationsprojekte war. Hierbei handelt es sich einerseits um eine Enzyklopädie des schottischen Rechts in 25&nbsp;Bänden, die in dem Zeitraum von 1987–1996 erschienen ist, andererseits um die Gründung des ''Scottish Universities Law Institute'' (SULI). Dessen Aufgabe bestand (und besteht bis heute) darin, die Publikation autoritativer, moderner Lehrbücher zu den Hauptgebieten des schottischen Rechts zu planen und zu koordinieren. Viele der seither entstandenen Werke sind von hervorragender Qualität, manche sind inzwischen in zweiter oder dritter Auflage erschienen. Gleichwohl ist es eigentümlich, dass das erste Buch zum Sachenrecht als einheitlichem Rechtsgebiet erst in den neunziger Jahren erschienen ist, und das erste großangelegte Lehrbuch zum Bereicherungsrecht mit seinem ersten Band im Jahre 2003. Zum schottischen Erbrecht gibt es bis heute keine größere moderne Gesamtdarstellung. Dominiert wird der Markt schottischer Rechtsliteratur von einem Verlag (W.&nbsp;Green; gegründet 1875, nunmehr Teil der Thomson Gruppe); inzwischen beginnt sich freilich Edinburgh University Press (nach dem Vorbild von Oxford University Press) als ein Verlagshaus mit einem dezidiert wissenschaftlichen Programm mit internationaler Ausstrahlung zu etablieren.  
Ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht gegenüber Herausgabeansprüchen wegen fälliger Forderungen zum Ersatz des für die Sache gemachten Aufwands oder des durch die Sache verursachten Schadens findet sich in §&nbsp;471 ABGB, dessen Anwendungsbereich allerdings durch §&nbsp;1440 S.&nbsp;2 ABGB eingeschränkt wird. Es kann durch Sicherheitsleistung abgewendet werden.


Die regelmäßige Veröffentlichung von Entscheidungen der schottischen Obergerichte (Zivilsachen: ''Court of Session''<nowiki>; Strafsachen: </nowiki>''High Court of Justiciary'') reicht in die Mitte des 18.&nbsp;Jahrhunderts zurück; die heute gebräuchlichen ''Session Cases'' (zitiert bis 1906 nach den Namen des hauptsächlichen Reporters) erscheinen seit 1821.
Das ''[[common law]]'' erreicht ein ähnliches Ergebnis mit Hilfe eines dinglichen Rechts, des ''lien''. Dieses erlaubt dem Berechtigten die Zurückbehaltung von Sachen, die sich in seinem Besitz befinden, bis seine damit zusammenhängenden Ansprüche beglichen wurden. So steht etwa dem Gastwirt wegen seiner Ansprüche ein ''lien'' an den eingebrachten Sachen des Gasts zu, dem Werkunternehmer ein ''lien'' wegen seiner Werklohnforderung.


==Literatur==
Im französischen Recht gibt es keine allgemeine Regelung des Zurückbehaltungsrechts, sondern nur einzelne herausgabebezogene Zurückbehaltungsrechte (z.B. Art.&nbsp;862, 1948 ''Code civil''). Die Rechtsprechung hat weitere Fälle herausgabebezogener Zurückbehaltungsrechte anerkannt, die jeweils Konnexität voraussetzen. Ähnliche punktuelle Regelungen finden sich im ''Codice civile''.
''T.B. Smith'', Studies Critical and Comparative, 1962; ''Peter Stein'', Roman Law in Scotland, Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 13b, 1968; ''David M. Walker'' (Hg.), The Scottish Jurists, 1985; ''T.B. Smith'','' Robert Black and Niall R Whitty'' (Hg.), The Laws of Scotland, Stair Memorial Encyclopedia, Bde. 1–25, 1987&nbsp;ff. (seit 1999 ist eine Vielzahl von Titeln überarbeitet worden); ''David M. Walker'', A Legal History of Scotland, Bd. I, 1988; Bd. II, 1990; Bd. III, 1995; Bd. IV, 1996; Bd. V, 1998; Bd. VI, 2001; Bd. VII, 2004; ''Robin Evans-Jones'' (Hg.), The Civil Law Tradition in Scotland, 1995; ''David L. Carey Miller'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), The Civilian Tradition and Scots Law: Aberdeen Quincentenary Essays, 1997; ''Kenneth Reid'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), A History of Private Law in Scotland, 2&nbsp;Bde., 2000; ''Elspeth Reid'', ''David Carey Miller'' (Hg.), A Mixed Legal System in Transition: T.B. Smith and the Progress of Scots Law, 2005; ''W.M. Gloag'', ''R. Candlish Henderson ''(nunmehr hg. von ''Lord Coulsfield'','' Hector L. MacQueen''), The Law of Scotland, 12.&nbsp;Aufl. 2007.


==Quellen==
=== b) Einrede des nichterfüllten Vertrags ===
Regiam Majestatem, The Auld Lawes and Constitutions of Scotland, collected by John Skene of Curriehill 1609, neu hg. und übersetzt von Lord Cooper, Stair Society, Bd.&nbsp;11, 1947; ''Sir Thomas Craig of Riccarton'', Jus Feudale, 1.&nbsp;Aufl. 1655, 3.&nbsp;Aufl. hg. von J. Baillie, 1732, übersetzt von Lord Clyde, 1934; ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'', Institutions of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1681, 2.&nbsp;Aufl. 1693 (neu hg. von D.M. Walker, 1981); ''Sir George Mackenzie of Rosehaugh'', The Institutions of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1684, 8.&nbsp;Aufl. 1758; ''Andrew McDouall'','' Lord Bankton'', An Institute of the Laws of Scotland in Civil Rights 1751–53 (Nachdruck durch die Stair Society, Bde. 41–43, 1993–95); ''John Erskine of Carnock'', Principles of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1754, 21.&nbsp;Aufl. hg. von J. Rankine, 1911; ''John Erskine of Carnock'', An Institute of the Law of Scotland, 1773, 8.&nbsp;Aufl. hg. von J.B. Nicholson, 1871 (ND 1989); ''Baron David Hume'', Lectures 1786–1822, hg. von G.C.H. Paton, Stair Society, Bde. 5, 13, 15, 17–19, 1939–58; ''George Joseph Bell'', Commentaries on the Law of Scotland and on the Principles of Mercantile Jurisprudence, 2.&nbsp;Aufl. 1810, 7.&nbsp;Aufl. hg. von J. M’Laren, 1890 (ND 1990); ''George Joseph Bell'', Principles of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1829, 10.&nbsp;Aufl. hg. von W. Guthrie, 1899 (ND 1989).
Während im [[Römisches Recht|römischen Recht]] die beiderseitigen Forderungen aus einem Vertrag zunächst noch voneinander unabhängig waren, entwickelte sich in klassischer Zeit die Vorstellung, es sei treuwidrig, die Leistung der anderen Partei zu fordern, ohne selbst zu leisten. Die Glossatoren und Kommentatoren schützten den Schuldner mit Hilfe einer Einrede (''exceptio non adimpleti contractus''), und im ''[[usus modernus]]'' wurden schließlich die gegenseitigen Verträge als eigenständige Kategorie etabliert. In der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jahrhunderts setzte sich in Deutschland die Ansicht durch, dass mit der Einrede nicht der Klagegrund gerügt werde, sondern dass es sich um eine „wahre“ Einrede handle, die der Richter nicht von Amts wegen berücksichtigen dürfe. Durch eine Verurteilung zur Leistung Zug um Zug wurde – zunächst noch ohne prozessuale Grundlage – eine Klageabweisung vermieden.
 
Die Einrede des nichterfüllten Vertrags findet sich in den meisten europäischen Rechtsordnungen (z.B. §&nbsp;320 BGB, §§&nbsp;1052 S.&nbsp;1, 1062 ABGB, Art.&nbsp;1651 frz. ''Code civil'', Art.&nbsp;1460 ''Codice civile'', sec. 28, 39 ''Sale of Goods Act 1979''), teils umfassend ausgestaltet, teils eher punktuell und durch Richterrecht ergänzt. Dem vorleistungspflichtigen Schuldner kann sie nicht zugute kommen. Ihn schützen viele Rechtsordnungen, indem sie ihm das Recht geben, seine Leistung zu verweigern, wenn nach Vertragsschluss erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung gefährdet ist. Oft wird dabei nur eine Gefährdung durch die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der anderen Partei erfasst (z.B. §&nbsp;1052 S.&nbsp;2 ABGB, Art.&nbsp;1613 frz. ''Code civil'', Art.&nbsp;1461 ''Codice civile''), während §&nbsp;321 BGB seit der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 nicht nach dem Grund der mangelnden Leistungsfähigkeit differenziert.
 
== 3. Internationales Einheitsrecht und internationale Modellregeln ==
Die Regelwerke des [[Einheitsrecht]]s und die internationalen Modellregeln enthalten keine Bestimmungen über ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht, sondern (mit Ausnahme von zwei Sonderfällen im CISG) nur die Einrede des nichterfüllten Vertrags und die Unsicherheitseinrede.
 
=== a) CISG ===
Das CISG ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]) gibt dem Verkäufer nach Art.&nbsp;58(1)2 das Recht, die Übergabe der Ware oder der Dokumente, die zur Verfügung über die Ware berechtigen, von der Zahlung des Kaufpreises abhängig zu machen, sofern kein bestimmter Zahlungszeitpunkt bestimmt ist. Beim Versendungskauf kann der Verkäufer gemäß Art.&nbsp;58(2) CISG mit der Maßgabe versenden, dass Ware oder Dokumente dem Käufer nur gegen Zahlung zu übergeben sind. Nach Art.&nbsp;58(3) CISG muss der Käufer aber grundsätzlich jeweils erst zahlen, wenn er die Ware untersuchen konnte. Verbreitet wird dem Verkäufer ein Zurückbehaltungsrecht auch eingeräumt, wenn der Käufer andere, nicht nur unwesentliche vertragliche Pflichten nicht erfüllt. Umgekehrt muss mangels abweichender Vereinbarung der Käufer nicht zahlen, bevor ihm Ware oder Dokumente zur Verfügung gestellt wurden, da der Kaufpreis nach Art.&nbsp;58 (1)1 CISG vorher nicht fällig wird.
 
Art.&nbsp;71 CISG gibt jeder Partei das Recht, die Erfüllung ihrer Pflichten auszusetzen, wenn sich nach [[Vertragsschluss]] herausstellt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird – sei es, dass sie dazu (z.B. wegen fehlender Kreditwürdigkeit) nicht in der Lage ist, sei es, dass sie nicht willens ist. Beim Versendungskauf kann sich der Verkäufer der Übergabe der Ware an den Käufer widersetzen. Die Erfüllung muss fortgesetzt werden, wenn die andere Partei ausreichende Gewähr für die Erfüllung ihrer Pflichten gibt. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht auch und gerade, wenn der Schuldner nach Art.&nbsp;79 CISG entlastet wird.
 
Art.&nbsp;85 S.&nbsp;2 CISG gibt dem Verkäufer, der die Ware während des Annahmeverzugs des Käufers erhalten musste, ein Zurückbehaltungsrecht, bis ihm der Käufer die angefallenen Aufwendungen erstattet hat; in der Literatur wird eine Befugnis des Käufers befürwortet, das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Ein entsprechendes Zurückbehaltungsrecht gibt Art.&nbsp;86(1)2 CISG dem Käufer, der die Ware empfangen hat und dann ein Zurückweisungsrecht ausübt.
 
Vielfach wird dafür plädiert, aus Art.&nbsp;71 CISG ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht abzuleiten, das dem Käufer die Zurückbehaltung des Kaufpreises auch dann ermöglicht, wenn der Verkäufer bereits geleistet hat, die Leistung aber mangelhaft ist. Teils wird versucht, ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht auch aus Art.&nbsp;80 CISG oder den allgemeinen Grundsätzen, die dem CISG zugrunde liegen (Art.&nbsp;7(2) CISG), abzuleiten.
 
=== b) Internationale Modellregeln ===
Nach Art.&nbsp;7:104 PECL müssen die Parteien bei synallagmatischen Verträgen (siehe den ''Comment'') im Zweifel gleichzeitig leisten, soweit dies möglich ist. Art.&nbsp;9:201(1) PECL gibt der nicht vorleistungspflichtigen Partei ein Zurückbehaltungsrecht. Ob die berechtigte Partei ihre Leistung vollständig oder nur teilweise zurückbehalten darf, hängt davon ab, was ''reasonable in the circumstances'' ist. Laut ''Comment&nbsp;A'' bezieht sich die Norm auf im Synallagma stehende Pflichten und besagt nichts dazu, ob darüber hinaus Zurückbehaltungsrechte bestehen. Der Berechtigte kann sich auch dann auf das Zurückbehaltungsrecht berufen, wenn er der anderen Partei eine zusätzliche Frist für die Erfüllung gewährt hat (Art.&nbsp;8:106(2)1 PECL). Die Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Berechtigte selbst die Nichterfüllung des Vertragspartners verursacht hat (Art.&nbsp;8:101(3) PECL).
 
Ähnlich ist die Einrede des nichterfüllten Vertrags in Art.&nbsp;6.1.4(1) und Art.&nbsp;7.1.3 UNIDROIT PICC geregelt; darüber, ob der Berechtigte die Leistung ganz oder teilweise verweigern darf, äußern sich die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] allerdings nicht. Das Zurückbehaltungsrecht wird zwar nicht durch die Gewährung einer zusätzlichen Frist zur Erfüllung ausgeschlossen (Art.&nbsp;7.1.5(2)1 UNIDROIT PICC), wohl aber dadurch, dass der Berechtigte selbst die Nichterfüllung des Vertragspartners verursacht hat oder dass sie auf einem Ereignis beruht, für das er das Risiko trägt (Art.&nbsp;7.1.2 UNIDROIT PICC).
 
Eine abgestufte Regelung enthalten die [[Principles of European Contract Law|PECL]] hinsichtlich der Unsicherheitseinrede: Sofern klar ist, dass die andere Partei bei Fälligkeit nicht leisten wird, kann der Vorleistungspflichtige die Leistung verweigern (Art.&nbsp;9:201(2) PECL). Hat der Vorleistungspflichtige lediglich vernünftigerweise Grund zur Annahme, dass es zu einer wesentliche Nichterfüllung durch die andere Partei kommen wird, kann er die Leistung verweigern, bis er ''adequate assurance of due performance'' erhält (Art.&nbsp;8:105(1) PECL). Warum die Leistung gefährdet scheint – ob wegen der schlechten Vermögensverhältnisse oder etwa eines Brands in der Fabrik –, ist unerheblich. Was eine ''adequate assurance'' ist, hängt von den Umständen ab; im Einzelfall kann schon eine Versicherung des Schuldners genügen, in anderen Fällen kann eine Sicherheitsleistung erforderlich sein. Die UNIDROIT PICC enthalten eine Parallelnorm nur zu Art.&nbsp;8:105 PECL (Art.&nbsp;7.3.4 S.&nbsp;1 UNIDROIT PICC), nicht dagegen zu Art.&nbsp;9:201(2) PECL.
 
Auch der [[Common Frame of Reference|DCFR]] beschränkt Zurückbehaltungsrechte auf im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Pflichten. So definiert der Anhang „withholding performance“ als das Recht einer Partei eines Vertrags, die fällige Gegenleistung zu verweigern, bis die andere Partei die Gegenleistung angeboten oder erbracht hat. Art.&nbsp;III.-3:401(1) DCFR gibt der nicht vorleistungspflichtigen Partei ein Zurückbehaltungsrecht. Der vorleistungspflichtigen Partei steht gemäß Art. III.-3:401(2) DCFR ein Zurückbehaltungsrecht zu, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass die andere Partei bei Fälligkeit nicht (ordnungsgemäß) erfüllen wird; es dauert an, bis der Berechtigte ''adequate assurance of due performance'' erhält. Nach Art.&nbsp;III.-3:401(4) DCFR bezieht sich das Recht jeweils auf die volle oder einen Teil der Gegenleistung, je nachdem, was ''reasonable in the circumstances'' ist. Das Zurückbehaltungsrecht besteht jeweils auch, wenn der Berechtigte der anderen Partei eine zusätzliche Frist zur Leistung eingeräumt hat (Art.&nbsp;III.-3:103(2) DCFR). Neben diesen allgemeinen Regeln enthält der DCFR eine Reihe spezieller Zurückbehaltungsrechte. So kann beispielsweise ein Schuldner, der sich nicht sicher ist, ob die Forderung abgetreten wurde, die Leistung verweigern, bis er den verlangten ''adequate proof of assignment'' erhalten hat (Art.&nbsp;III.-5:120 DCFR). Bei ''construction contracts'' kann der Besteller nach Art.&nbsp;IV.C.-3:107(2) DCFR einen angemessenen Teil des Preises zurückbehalten, wenn nach der Übergabe noch Arbeiten zu verrichten sind.
 
== Literatur==
''Wolfgang van den Daele'', Probleme des gegenseitigen Vertrages, 1968; ''Wolfgang Ernst'', Die Einrede des nichterfüllten Vertrages, 2000; ''Christoph Kern'', Ein einheitliches Zurückbehaltungsrecht im UN-Kaufrecht?, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 8 (2000) 837&nbsp;ff.; ''Wolfgang Witz'', Zurückbehaltungsrechte im internationalen Kauf – eine praxisorientierte Darstellung zur Durchsetzung des Kaufpreisanspruchs im CISG, in: Festschrift für Peter Schlechtriem, 2003, 291&nbsp;ff.; ''Felix Hartmann'', Ungeschriebene Zurückbehaltungsrechte im UN-Kaufrecht, Internationales Handelsrecht 2006, 182&nbsp;ff.; ''Peter Gröschler'', §§&nbsp;273-274, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/1, 2007; ''Martin Pennitz'', §§&nbsp;320-322, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/2, 2007; ''Günter Hager'', ''Felix Maultzsch'', Art.&nbsp;58, in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2008; ''Rainer Hornung'', ''Christiana Fountoulakis'', Art.&nbsp;71, in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2008.


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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 12:57 Uhr

von Florian Faust

1. Gegenstand und Zweck

Ein Zurückbehaltungsrecht kommt vor allem dann in Betracht, wenn einem Schuldner gegen seinen Gläubiger seinerseits eine fällige Forderung zusteht. Das Zurückbehaltungsrecht bietet ihm dann Sicherheit in Bezug auf diese Gegenforderung: Er muss seine Leistung nur erbringen, wenn er auch die ihm geschuldete Leistung erhält. Es wird also einerseits Druck auf die Gegenpartei ausgeübt, die von ihr geschuldete Leistung zu erbringen, da sie sonst die ihr gebührende Leistung nicht erhält. Andererseits kann der Berechtigte vermeiden, vorzuleisten. Zurückbehaltungsrechte sind damit eng mit der Aufrechnung verwandt; praktisch kommen sie vor allem dort zum Tragen, wo eine Aufrechnung an der fehlenden Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen scheitert.

Die Beziehung, in der die beiden Forderungen zueinander stehen müssen, kann unterschiedlich eng sein: Am engsten ist das Verhältnis, wenn die beiden Forderungen im Synallagma stehen, die eine Leistung also die Gegenleistung für die andere ist. Wesentlich schwächer ist die Verbindung, wenn beide Leistungen nur auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen (Konnexität). Schließlich kann ein Zurückbehaltungsrecht auch bestehen, ohne dass die beiden Forderungen in irgendeiner Verbindung stehen, außer dass der Gläubiger der einen der Schuldner der anderen ist und umgekehrt.

Ein Zurückbehaltungsrecht setzt aber nicht notwendig voraus, dass dem Berechtigten ein Anspruch zusteht. So kann etwa derjenige, der einen Gegenstand herausgeben muss, zur Zurückbehaltung berechtigt sein, bis ihm die Aufwendungen, die er auf den Gegenstand gemacht hat, ersetzt wurden; dass er einen Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen hat, ist nicht erforderlich. Der Herausgabegläubiger hat dann faktisch ein Wahlrecht: Er kann Herausgabe verlangen, muss dann aber auch die Aufwendungen ersetzen, oder er kann auf den Gegenstand verzichten und so den Aufwendungsersatz vermeiden (vgl. z.B. § 1000 BGB). Müssen eigentlich zwei ungleichartige Leistungen saldiert werden (etwa im Rahmen der Vorteilsausgleichung im Schadensrecht oder der Saldotheorie im Bereicherungsrecht), so tritt an die Stelle der nicht möglichen Saldierung ein Zurückbehaltungsrecht: Nur eine Partei hat einen Anspruch (bei der Vorteilsausgleichung der Geschädigte, bei der Saldotheorie diejenige Partei, die weniger empfangen hat), die Gegenpartei muss diesen Anspruch aber nur gegen Herausgabe des eigentlich Abzuziehenden erfüllen, ist also insofern zur Zurückbehaltung berechtigt.

Ein Zurückbehaltungsrecht führt dazu, dass die beiderseitigen Leistungen Zug um Zug zu erfüllen sind (vgl. §§ 274 Abs. 1, 322 Abs. 1 BGB, 756 ZPO). Dabei muss Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass eine der Parteien die Annahme der ihr gebührenden Leistung verweigert; es kann nicht sein, dass sie verhindert, selbst leisten zu müssen, indem sie sich auf ihr Zurückbehaltungsrecht beruft, obwohl es allein an ihr liegt, dass sie die ihr gebührende Leistung nicht erhalten hat. Daher muss es zur Durchsetzbarkeit genügen, dass der Gläubiger die ihm gebührende Leistung angeboten hat (vgl. z.B. Art. III.-3:401(1) DCFR) oder die Gegenpartei in Annahmeverzug versetzt hat (vgl. §§ 274 Abs. 2 BGB, 756 ZPO).

Das Zurückbehaltungsrecht kann unabhängig vom Wert der beiderseitigen Forderungen bestehen, oder der Schuldner der einen Forderung kann nur insoweit zur Zurückbehaltung berechtigt sein, als der Wert seines eigenen Anspruchs reicht (vgl. § 320 Abs. 2 BGB, Art. III.-3:401(4) DCFR). Dem Schuldner kann die Möglichkeit gegeben werden, das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abzuwenden (vgl. §§ 273 Abs. 3, 320 Abs. 1 S. 3 BGB). Das Zurückbehaltungsrecht kann auch mit einem Befriedigungsrecht verbunden werden, das dem Gläubiger das Recht gibt, sich unter bestimmten Voraussetzungen für seine eigene Forderung aus dem zurückbehaltenen Gegenstand zu befriedigen (vgl. § 371 HGB).

Das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts muss Rechtsfolgen, die an die Verzögerung der Leistung geknüpft sind, ausschließen, denn der zurückbehaltende Schuldner ist gerade nicht zur Leistung verpflichtet. Dabei kann entweder das bloße Bestehen des Zurückbehaltungsrechts ausreichen, oder es kann erforderlich sein, dass der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht geltend macht. In prozessualer Hinsicht kann das Zurückbehaltungsrecht von Amts wegen berücksichtigt werden oder nur, wenn der Schuldner sich darauf beruft.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

a) Allgemeines Zurückbehaltungsrecht

Das römische Recht gewährte ein ius retentionis, wenn der Schuldner zur Herausgabe eines Gegenstands verpflichtet war und vom Gläubiger Ersatz von Aufwendungen oder Schäden erhalten wollte, die mit seiner Herausgabepflicht in einem inneren Zusammenhang standen. Dabei war nicht erforderlich, dass dem Schuldner ein entsprechender Anspruch zustand. Konnexität war in diesen Fällen zwangsläufig gegeben. Keine Konnexität bestand dagegen bei dem pignus Gordianum, das dem Pfandgläubiger trotz Erfüllung der gesicherten Forderung die Zurückbehaltung der Pfandsache erlaubte, wenn ihm noch weitere, ungesicherte Ansprüche gegen den Schuldner zustanden (C. 8,26,1,2 f.). Eine Abwendung durch Sicherheitsleistung kannte das römische Recht ebensowenig wie ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht.

Erst im 19. Jahrhundert wurde das Zurückbehaltungsrecht über die im römischen Recht anerkannten Fälle hinaus als allgemeines Institut herausgebildet, das durch das Erfordernis der Konnexität geprägt wurde. Das pignus Gordianum wurde vom Gemeinen Recht (ius commune) rezipiert und beispielsweise in den frz. Code civil (Art. 2082 Abs. 2, aufgehoben durch Ordonnance n°2006-346) und den Codice civile (Art. 2794 Abs. 2), aber nicht ins BGB übernommen. Umstritten war, ob das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abgewendet werden konnte.

§ 273 BGB statuiert ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht bei konnexen Forderungen und bei Verwendungen auf einen herauszugebenden Gegenstand oder durch diesen verursachten Schäden. Der Gläubiger kann das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung (außer durch Bürgschaft (modernes Recht)) abwenden. Gemäß § 274 BGB führt das Zurückbehaltungsrecht nicht zu einer Klageabweisung, sondern zur Verurteilung Zug um Zug.

Ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht gegenüber Herausgabeansprüchen wegen fälliger Forderungen zum Ersatz des für die Sache gemachten Aufwands oder des durch die Sache verursachten Schadens findet sich in § 471 ABGB, dessen Anwendungsbereich allerdings durch § 1440 S. 2 ABGB eingeschränkt wird. Es kann durch Sicherheitsleistung abgewendet werden.

Das common law erreicht ein ähnliches Ergebnis mit Hilfe eines dinglichen Rechts, des lien. Dieses erlaubt dem Berechtigten die Zurückbehaltung von Sachen, die sich in seinem Besitz befinden, bis seine damit zusammenhängenden Ansprüche beglichen wurden. So steht etwa dem Gastwirt wegen seiner Ansprüche ein lien an den eingebrachten Sachen des Gasts zu, dem Werkunternehmer ein lien wegen seiner Werklohnforderung.

Im französischen Recht gibt es keine allgemeine Regelung des Zurückbehaltungsrechts, sondern nur einzelne herausgabebezogene Zurückbehaltungsrechte (z.B. Art. 862, 1948 Code civil). Die Rechtsprechung hat weitere Fälle herausgabebezogener Zurückbehaltungsrechte anerkannt, die jeweils Konnexität voraussetzen. Ähnliche punktuelle Regelungen finden sich im Codice civile.

b) Einrede des nichterfüllten Vertrags

Während im römischen Recht die beiderseitigen Forderungen aus einem Vertrag zunächst noch voneinander unabhängig waren, entwickelte sich in klassischer Zeit die Vorstellung, es sei treuwidrig, die Leistung der anderen Partei zu fordern, ohne selbst zu leisten. Die Glossatoren und Kommentatoren schützten den Schuldner mit Hilfe einer Einrede (exceptio non adimpleti contractus), und im usus modernus wurden schließlich die gegenseitigen Verträge als eigenständige Kategorie etabliert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich in Deutschland die Ansicht durch, dass mit der Einrede nicht der Klagegrund gerügt werde, sondern dass es sich um eine „wahre“ Einrede handle, die der Richter nicht von Amts wegen berücksichtigen dürfe. Durch eine Verurteilung zur Leistung Zug um Zug wurde – zunächst noch ohne prozessuale Grundlage – eine Klageabweisung vermieden.

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags findet sich in den meisten europäischen Rechtsordnungen (z.B. § 320 BGB, §§ 1052 S. 1, 1062 ABGB, Art. 1651 frz. Code civil, Art. 1460 Codice civile, sec. 28, 39 Sale of Goods Act 1979), teils umfassend ausgestaltet, teils eher punktuell und durch Richterrecht ergänzt. Dem vorleistungspflichtigen Schuldner kann sie nicht zugute kommen. Ihn schützen viele Rechtsordnungen, indem sie ihm das Recht geben, seine Leistung zu verweigern, wenn nach Vertragsschluss erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung gefährdet ist. Oft wird dabei nur eine Gefährdung durch die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der anderen Partei erfasst (z.B. § 1052 S. 2 ABGB, Art. 1613 frz. Code civil, Art. 1461 Codice civile), während § 321 BGB seit der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 nicht nach dem Grund der mangelnden Leistungsfähigkeit differenziert.

3. Internationales Einheitsrecht und internationale Modellregeln

Die Regelwerke des Einheitsrechts und die internationalen Modellregeln enthalten keine Bestimmungen über ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht, sondern (mit Ausnahme von zwei Sonderfällen im CISG) nur die Einrede des nichterfüllten Vertrags und die Unsicherheitseinrede.

a) CISG

Das CISG (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) gibt dem Verkäufer nach Art. 58(1)2 das Recht, die Übergabe der Ware oder der Dokumente, die zur Verfügung über die Ware berechtigen, von der Zahlung des Kaufpreises abhängig zu machen, sofern kein bestimmter Zahlungszeitpunkt bestimmt ist. Beim Versendungskauf kann der Verkäufer gemäß Art. 58(2) CISG mit der Maßgabe versenden, dass Ware oder Dokumente dem Käufer nur gegen Zahlung zu übergeben sind. Nach Art. 58(3) CISG muss der Käufer aber grundsätzlich jeweils erst zahlen, wenn er die Ware untersuchen konnte. Verbreitet wird dem Verkäufer ein Zurückbehaltungsrecht auch eingeräumt, wenn der Käufer andere, nicht nur unwesentliche vertragliche Pflichten nicht erfüllt. Umgekehrt muss mangels abweichender Vereinbarung der Käufer nicht zahlen, bevor ihm Ware oder Dokumente zur Verfügung gestellt wurden, da der Kaufpreis nach Art. 58 (1)1 CISG vorher nicht fällig wird.

Art. 71 CISG gibt jeder Partei das Recht, die Erfüllung ihrer Pflichten auszusetzen, wenn sich nach Vertragsschluss herausstellt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird – sei es, dass sie dazu (z.B. wegen fehlender Kreditwürdigkeit) nicht in der Lage ist, sei es, dass sie nicht willens ist. Beim Versendungskauf kann sich der Verkäufer der Übergabe der Ware an den Käufer widersetzen. Die Erfüllung muss fortgesetzt werden, wenn die andere Partei ausreichende Gewähr für die Erfüllung ihrer Pflichten gibt. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht auch und gerade, wenn der Schuldner nach Art. 79 CISG entlastet wird.

Art. 85 S. 2 CISG gibt dem Verkäufer, der die Ware während des Annahmeverzugs des Käufers erhalten musste, ein Zurückbehaltungsrecht, bis ihm der Käufer die angefallenen Aufwendungen erstattet hat; in der Literatur wird eine Befugnis des Käufers befürwortet, das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Ein entsprechendes Zurückbehaltungsrecht gibt Art. 86(1)2 CISG dem Käufer, der die Ware empfangen hat und dann ein Zurückweisungsrecht ausübt.

Vielfach wird dafür plädiert, aus Art. 71 CISG ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht abzuleiten, das dem Käufer die Zurückbehaltung des Kaufpreises auch dann ermöglicht, wenn der Verkäufer bereits geleistet hat, die Leistung aber mangelhaft ist. Teils wird versucht, ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht auch aus Art. 80 CISG oder den allgemeinen Grundsätzen, die dem CISG zugrunde liegen (Art. 7(2) CISG), abzuleiten.

b) Internationale Modellregeln

Nach Art. 7:104 PECL müssen die Parteien bei synallagmatischen Verträgen (siehe den Comment) im Zweifel gleichzeitig leisten, soweit dies möglich ist. Art. 9:201(1) PECL gibt der nicht vorleistungspflichtigen Partei ein Zurückbehaltungsrecht. Ob die berechtigte Partei ihre Leistung vollständig oder nur teilweise zurückbehalten darf, hängt davon ab, was reasonable in the circumstances ist. Laut Comment A bezieht sich die Norm auf im Synallagma stehende Pflichten und besagt nichts dazu, ob darüber hinaus Zurückbehaltungsrechte bestehen. Der Berechtigte kann sich auch dann auf das Zurückbehaltungsrecht berufen, wenn er der anderen Partei eine zusätzliche Frist für die Erfüllung gewährt hat (Art. 8:106(2)1 PECL). Die Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Berechtigte selbst die Nichterfüllung des Vertragspartners verursacht hat (Art. 8:101(3) PECL).

Ähnlich ist die Einrede des nichterfüllten Vertrags in Art. 6.1.4(1) und Art. 7.1.3 UNIDROIT PICC geregelt; darüber, ob der Berechtigte die Leistung ganz oder teilweise verweigern darf, äußern sich die UNIDROIT PICC allerdings nicht. Das Zurückbehaltungsrecht wird zwar nicht durch die Gewährung einer zusätzlichen Frist zur Erfüllung ausgeschlossen (Art. 7.1.5(2)1 UNIDROIT PICC), wohl aber dadurch, dass der Berechtigte selbst die Nichterfüllung des Vertragspartners verursacht hat oder dass sie auf einem Ereignis beruht, für das er das Risiko trägt (Art. 7.1.2 UNIDROIT PICC).

Eine abgestufte Regelung enthalten die PECL hinsichtlich der Unsicherheitseinrede: Sofern klar ist, dass die andere Partei bei Fälligkeit nicht leisten wird, kann der Vorleistungspflichtige die Leistung verweigern (Art. 9:201(2) PECL). Hat der Vorleistungspflichtige lediglich vernünftigerweise Grund zur Annahme, dass es zu einer wesentliche Nichterfüllung durch die andere Partei kommen wird, kann er die Leistung verweigern, bis er adequate assurance of due performance erhält (Art. 8:105(1) PECL). Warum die Leistung gefährdet scheint – ob wegen der schlechten Vermögensverhältnisse oder etwa eines Brands in der Fabrik –, ist unerheblich. Was eine adequate assurance ist, hängt von den Umständen ab; im Einzelfall kann schon eine Versicherung des Schuldners genügen, in anderen Fällen kann eine Sicherheitsleistung erforderlich sein. Die UNIDROIT PICC enthalten eine Parallelnorm nur zu Art. 8:105 PECL (Art. 7.3.4 S. 1 UNIDROIT PICC), nicht dagegen zu Art. 9:201(2) PECL.

Auch der DCFR beschränkt Zurückbehaltungsrechte auf im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Pflichten. So definiert der Anhang „withholding performance“ als das Recht einer Partei eines Vertrags, die fällige Gegenleistung zu verweigern, bis die andere Partei die Gegenleistung angeboten oder erbracht hat. Art. III.-3:401(1) DCFR gibt der nicht vorleistungspflichtigen Partei ein Zurückbehaltungsrecht. Der vorleistungspflichtigen Partei steht gemäß Art. III.-3:401(2) DCFR ein Zurückbehaltungsrecht zu, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass die andere Partei bei Fälligkeit nicht (ordnungsgemäß) erfüllen wird; es dauert an, bis der Berechtigte adequate assurance of due performance erhält. Nach Art. III.-3:401(4) DCFR bezieht sich das Recht jeweils auf die volle oder einen Teil der Gegenleistung, je nachdem, was reasonable in the circumstances ist. Das Zurückbehaltungsrecht besteht jeweils auch, wenn der Berechtigte der anderen Partei eine zusätzliche Frist zur Leistung eingeräumt hat (Art. III.-3:103(2) DCFR). Neben diesen allgemeinen Regeln enthält der DCFR eine Reihe spezieller Zurückbehaltungsrechte. So kann beispielsweise ein Schuldner, der sich nicht sicher ist, ob die Forderung abgetreten wurde, die Leistung verweigern, bis er den verlangten adequate proof of assignment erhalten hat (Art. III.-5:120 DCFR). Bei construction contracts kann der Besteller nach Art. IV.C.-3:107(2) DCFR einen angemessenen Teil des Preises zurückbehalten, wenn nach der Übergabe noch Arbeiten zu verrichten sind.

Literatur

Wolfgang van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, 1968; Wolfgang Ernst, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages, 2000; Christoph Kern, Ein einheitliches Zurückbehaltungsrecht im UN-Kaufrecht?, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 8 (2000) 837 ff.; Wolfgang Witz, Zurückbehaltungsrechte im internationalen Kauf – eine praxisorientierte Darstellung zur Durchsetzung des Kaufpreisanspruchs im CISG, in: Festschrift für Peter Schlechtriem, 2003, 291 ff.; Felix Hartmann, Ungeschriebene Zurückbehaltungsrechte im UN-Kaufrecht, Internationales Handelsrecht 2006, 182 ff.; Peter Gröschler, §§ 273-274, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007; Martin Pennitz, §§ 320-322, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/2, 2007; Günter Hager, Felix Maultzsch, Art. 58, in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5. Aufl. 2008; Rainer Hornung, Christiana Fountoulakis, Art. 71, in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5. Aufl. 2008.

Abgerufen von Schottisches Privatrecht – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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