Scholastik und Schottisches Privatrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Reinhard Zimmermann]]/‌[[John MacLeod]]''
== 1. Begriff und Geschichte ==
== 1. Die kontinentaleuropäische Verbindung ==
Der Ausdruck „Scholastik“ geht auf die Bezeichnung'' σχολαστικός ''zurück, die ihre Wurzel findet in den Begriffen ''σχολή ''(Schule, Studium, Muße) und ''σχολάζειν'' (sich einer Sache widmen, Muße haben). Im Ausgangspunkt ist ein'' σχολαστικός ''also eine Person, die ohne äußeren Zwang einer selbst gewählten Tätigkeit nachgeht. Auf dieser Linie bewegt sich auch die Benutzung des Ausdrucks ''σχολαστικόν ''in der ''Politik'' des ''Aristoteles'', wo es als „Ruhevolles“ insbesondere die Grundlage der ''θεωρία'' bildet. Seit ''Theophrast'' (372/‌369–288/‌285 v. Chr.) wird ''σχολαστικός ''vor allem als Selbstbezeichnung von Philosophen benutzt, doch wird der Begriff dann ebenso wie seine latinisierte Form ''scholasticus ''zur Bezeichnung einer „zu einer Schule gehörenden“ Person verwendet. Von diesem Ausgangspunkt her werden in der Spätantike und noch in der Karolingerzeit in Formeln wie ''vir scholasticus'' besondere Gelehrsamkeit und herausragende intellektuelle Kompetenz umschrieben. Zugleich werden ''σχολαστικός ''und ''scholastikus'' seit etwa dem 1. Jahrhundert v. Chr. zunächst mit dem Begriff ''rhetor'' verbunden, der seinerseits spätestens seit ''Cicero'' auch die Bedeutung „Rechtsbeistand“ umfasst. Dem entspricht es, dass spätestens im 4. Jahrhundert der Ausdruck ''scholasticus'' ebenfalls in dieser Weise verwendet wird (vgl. CTh 8,10,2) und ''Augustinus'' sogar den ''scholasticum iurisperitum ''(den „rechtsgelehrten Scholastiker“) erwähnt. Später vor allem im byzantinischen Raum erweitert um die Bedeutungsschicht „Amtsinhaber“ (s. auch C. 12,61,2 pr.), wird der ''scholasticus'' im Zusammenhang mit der großen karolingischen Bildungsreform zum Titel für den Leiter einer Kloster- oder Kathedralschule, das ''caput scholae''. Seit etwa dem 12. Jahrhundert dient das Adverb ''scholastice'' zunehmend dazu, die in den Domschulen und Universitäten vermittelte Theologie von monastischen Lehrinhalten abzugrenzen. Wesentlich für die in diesem Sinne „scholastische“ Theologie der Universitäten ist in der Sicht der Zeitgenossen dabei der überragende Stellenwert des dialektischen Philosophierens für die Theologie, während der monastischen Doktrin die Dialektik ein schlichtes Hilfsmittel für das Verständnis der Bibel und anderer autoritativer Texte ist. Der humanistischen Perspektivenbildung des 16. Jahrhunderts war der ''scholasticus'' der Inbegriff des philosophisch angeleiteten Theologen des Hoch- und Spätmittelalters, der sich in lebensferne ''argutii'' und ''subtilitates'' („Übergenauigkeiten“ und „Spitzfindigkeiten“) verstrickt. Im Ausgangspunkt ähnlich, in der Bewertung zum Teil aber deutlich anders gestaltete sich die Sichtweise in der neuzeitlichen kirchlichen Tradition: So bestimmte ''Martin Luther'' 1517 in den ''Conclusiones contra scholasticam theologiam'' die Identität der Scholastik in der theologischen Instrumentalisierung der Philosophie, die allerdings mit dem Postulat ''sola fide'' nicht in Einklang zu bringen sei. Zwar bewegte sich die römisch-katholische Kirche in der Deutung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie auf der gleichen Linie. Doch die so verstandene Scholastik wurde ungleich positiver bewertet, wurde sie doch seit dem Konzil von Trient (1545–1563) zur tragenden Grundlage der katholischen Glaubenslehre gemacht, insbesondere vom Jesuitenorden verbreitet und in der sog. spanischen Spätscholastik (s. unten 4.) fortentwickelt. Mit der Enzyklika ''Aeterni Patris'' erklärte Papst ''Leo XIII. ''(1878–1903) 1879 die mittelalterliche Lehre insbesondere des ''Thomas von Aquin'' (1224/‌25–1274) zur Leitlinie der römisch-katholischen Positionierung gegenüber der säkularen Philosophie. Der damit zugleich geförderte Aufstieg der „Neuscholastik“ in der katholischen Theologie setzte sich ungebrochen bis ins 20. Jahrhundert fort, auch wenn Papst ''Johannes Paul II.'' (1978–2005) 1998 in der Enzyklika ''Fides et Ratio'' einen Bedeutungsverlust der ''philosophia scholastica'' in der Zeit nach dem ''Vaticanum II'' (1962–1965) ([[Kanonisches Recht]]) beklagte.  
Das moderne schottische Recht steht in einer bis heute nicht abgerissenen Kontinuität der Entwicklung. Prägend war dabei seine Stellung im Spannungsfeld zwischen englischem ''[[common law]]'' und kontinentaleuropäischem ''civil law''. Während es seit der Thronbesteigung König ''Davids I''. im Jahre 1124 zunächst zu einem Eindringen anglo-normannischen [[Feudalrecht]]s kam, führten der Erbfolgestreit am Ende des 13. Jahrhunderts und die Unabhängigkeitskriege mit dem entscheidenden Sieg der Schotten bei Bannockburn zu einem starken und lang anhaltenden Antagonismus gegen England. Dies war der Keim der „Auld Alliance“ mit Frankreich und der Orientierung am kontinentalen Europa. Damit verbunden war die schrittweise [[Rezeption]] des gelehrten Rechts, die Schottland in zunehmendem Maße zu einer Provinz des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] werden ließ. Schottische Juristen studierten [[römisches Recht|römisches]] und [[kanonisches Recht]] an den führenden Fakultäten des Kontinents: zunächst vor allem in Paris und Orléans, später verstärkt in Leuven und Köln, und im 16. Jahrhundert hauptsächlich in Bourges, dem Zentrum der humanistischen Jurisprudenz ([[Humanismus]]). Ab 1575 finden wir eine ständig steigende Zahl schottischer Studenten in Leiden, später auch an den anderen neu gegründeten (nord‑)niederländischen Universitäten ([[römisch-holländisches Recht]]). Eine Analyse der 637 in der Zeit von 1661 bis 1730 an der ''Faculty of Advocates'' in Edinburgh zugelassenen Anwälte hat ergeben, dass nicht weniger als 275 von ihnen in den Niederlanden studiert hatten. Die Werke der führenden niederländischen Juristen waren in Schottland gut bekannt; sie wurden als Teil der Bibliothek des ''ius commune'' in der Praxis zitiert und inspirierten insbesondere auch die schottischen Institutionenschriftsteller (vgl. unten).


In der neuzeitlichen säkularen Philosophie dominierte demgegenüber lange Zeit die Ablehnung der Scholastik, die hier als Inbegriff einer autoritätsgläubigen „schulfüchsischen Philosophie“ von „Papistischen Ordensmännern“ (''Christian Thomasius'', 1710) gedeutet wurde, die nichts anderes als „artificial ignorance“ (''John Locke'', 1690) hervorbringe. Wurde die „scholastische Philosophie“ von ''Hegel'' zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch als „strohene Verstandesmetaphysik“ gebrandmarkt, so setzte im Zeichen der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Mittelalter auch bei nichtkatholischen Autoren ein Perspektivenwandel ein: In den Vordergrund rückte jetzt die bis in die Gegenwart diskutierte Frage nach der Kohärenz und der Deutung des Phänomens „Scholastik“. Dabei herrschte bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert die These vor, dass der Ausdruck „Scholastik“ einen Ansatz der christlichen Denktradition bezeichne, in dem die Spannung von Philosophie und Theologie zu einem glaubenden Wissen aufgelöst werde. Kennzeichnend war in dieser Sicht die Bedeutung autoritativer Texte wie der Bibel sowie der Schriften von Kirchenvätern und antiken Philosophen, insbesondere des ''Aristoteles''. Mehr Raum gewann seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die, wie oben angedeutet, auch semantisch greifbare Unterscheidung zwischen einer universitären, „scholastischen“, und einer monastischen Theologie. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde allerdings „Scholastik“ zunehmend als Chiffre benutzt, die den epistemologischen Zugriff ''aller'' hoch- und spätmittelalterlichen universitär gelehrten Wissenschaften kennzeichnen sollte. Charakteristische Merkmale bleiben allerdings auch hier der hohe Stellenwert der ''auctoritates'' und die Bedeutung einer ''vernunftgeleiteten, auf der Logik beruhenden Argumentation''. Diese Qualifizierung der Scholastik als Modus des Denkens vor allem der hoch- und spätmittelalterlichen universitär verankerten Wissenschaften, für den das Rationalitätserfordernis und die Beschäftigung mit autoritativen Texten wesentlich sind, bildet auch den perspektivischen Ausgangspunkt der vorliegenden Übersicht.  
== 2. Das Zeitalter der Aufklärung ==
Im Verlaufe des 18.&nbsp;Jahrhunderts ereignete sich das „schottische Wunder“: In einer Nation, die zunächst von einem bigotten und repressiven Presbyterianismus dominiert war, entwickelte sich eine der gebildetsten Gesellschaften Europas. Sie schuf wesentliche Grundlagen der modernen Zivilisation. Edinburgh wurde das geistige Zentrum der schottischen Aufklärung. Zu den Büchern, die das geistige Leben Europas prägten, gehörten ''Lord Kames'', „Sketches of the History of Man“; ''Francis Hutcheson'', „System of Moral Philosophy“; ''Adam Smith'', „Wealth of Nations“; ''David Hume'', „Treatise of Human Nature“; ''Adam Ferguson'', „Essay on the History of Civil Society“; und ''John Millar'', „The Origin of the Distinction of Ranks“. Große Bedeutung hatten für diesen unerhörten kulturellen Aufschwung die schottischen Universitäten, insbesondere diejenigen in Edinburgh und Glasgow. Die Zahl der Studenten stieg in Edinburgh von 400&nbsp;in den 1690er Jahren auf 1.300&nbsp;im letzten Jahrzehnt des 18.&nbsp;Jahrhunderts und in Glasgow von 250&nbsp;im Jahre 1696 auf 1.240&nbsp;im Jahre 1824. An beiden Universitäten florierte insbesondere auch der juristische Unterricht. 1710 und 1714 wurden Lehrstühle für ''civil law'' in Edinburgh und in Glasgow eingerichtet, 1722 ein Lehrstuhl für schottisches Recht in Edinburgh. Seit 1707 gab es an dieser Universität einen Lehrstuhl für öffentliches Recht, Naturrecht und Völkerrecht. Zu den bedeutendsten Zeugnissen der schottischen Rechtsliteratur jener Zeit zählen die [[Institutionenlehrbücher]]. Die Publikation der ''Institutions of the Law of Scotland'' von ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'' im Jahre 1681 hatte das römisch-schottische Recht in ähnlicher Weise konstituiert wie ''Hugo Grotius''’ „Inleidinge“ fünfzig Jahre zuvor das römisch-holländische. Auf ''Stair'' folgten eine Reihe weiterer „institutional writers“, darunter insbesondere ''Sir George Mackenzie''<nowiki>; </nowiki>''Andrew McDouall'', ''Lord Bankton''<nowiki>; </nowiki>''John Erskine''<nowiki>; und </nowiki>''George Joseph Bell''. Ihnen wird bis heute autoritative Bedeutung zugemessen.


== 2. Elemente der scholastischen Wissenschaftskultur ==
== 3. Schottland im Schatten Englands ==
Den Ansatzpunkt der scholastischen Wissenschaft bildete die Analyse autoritativer Texte (etwa der Bibel und von Texten der Kirchenväter oder des ''Aristoteles''), die auch die universitäre Lehre prägte: Durch die ''lectio'' (Lektüre) des Textes und die Auseinandersetzung mit den Auffassungen anderer Autoritäten werden unterschiedliche Sichtweisen offen gelegt, die in der Form der ''quaestio'' (Frage) untersucht werden. Dabei gewinnt die dialektische Methode wesentlichen Einfluss. Offenbar in der vorgratianischen Kanonistik ([[Kanonisches Recht]]) bereits bekannt (''Ivo von Chartres'', †&nbsp;23.12.1115; ''Bernold von Konstanz'', †&nbsp;16.9.1100), fand sie vor allem durch die programmatische Schrift ''Sic et non''<nowiki> („So und [so] nicht“) des </nowiki>''Petrus Abaelardus'' (1079–1142) Verbreitung. Im 13.&nbsp;Jahrhundert erreichte der Einfluss der vor allem durch ''Boethius'' (475/‌480–524) und ''Averroes'' (1126–1192) ins Lateinische übersetzten aristotelischen Lehren seinen Höhepunkt. Die von ''Aristoteles'' gesetzten Standards wissenschaftlicher Argumentation und die breite Vielfalt seiner metaphysischen und naturphilosophischen Kategorienbildungen wurden für die jetzt entstehende universitäre Forschung und Lehre prägend. Leitende Vorstellung war dabei der Gedanke von der vernünftigen Ordnung der gottgeschaffenen Welt, die deswegen auch einer vernunftbasierten Deutung zugänglich war. So wurde die aristotelische Formel ''ars imitatur naturam'' („Die Kunstfertigkeit ahmt die Natur nach“) nicht allein als ästhetisch-künstlerisches Konzept der ''Mimesis'' gedeutet, sondern bildete auch den perspektivischen Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis. In den Vordergrund rückte dabei die Metaphysik als ''rectrix omnium aliarum scientiarum'' („Lenkerin aller anderen Wissenschaften“), wie es in einem berühmten Diktum des ''Thomas von Aquin'' heißt. In solchen Aussagen schien eine Vorstellung von der ideellen Einheit aller Wissenschaften auf, die ihre Entsprechung in der relativen Einheitlichkeit der Strukturformen von Argumentation und, modern gesprochen, Publikation fand. Entscheidend dabei wurde die ''quaestio'', musste sich hier doch entscheiden, ob ein Widerspruch zwischen verschiedenen Texten durch die ''distinctio'' (Unterscheidung verschiedener Bedeutungsebenen) zu beseitigen war, weil nur dann deren Verbindlichkeit rational vertretbar erschien. Auf diese Weise gewannen semantische Differenzierungen einen besonderen Stellenwert; zugleich erschlossen sich in ''quaestio'' und ''disputatio'' immer neue Aussageschichten des jeweils zugrunde gelegten Textes einer ''auctoritas''. Diese Formen der Textanalyse bestimmten auch die universitäre Lehre (Universitäten), die bei der ''lectio'' eines Textes ansetzte und in der die ''disputatio'' zunehmend zu einer eigenen Unterrichtsform wurde. Es kennzeichnete die scholastische Wissenschaft, dass ihre Literaturtypen ihre prägenden Strukturen aus dieser Gestaltung der akademischen Lehre erhielten: So entwickelte sich aus der ''lectio ''die ''Glosse'', die ursprünglich nur der paraphrasierenden Erläuterung eines einzelnen Textelementes diente und dann zum analytischen ''Kommentar'' wurde. ''Disputatio'' und ''quaestio'' fanden ihre Entsprechung in ''quaestiones disputatae'' und wurden später in der ''Summa'' gebündelt. Im Lauf dieser Entwicklung trat der Text der jeweils diskutierten Schrift einer ''auctoritas'' (nicht zuletzt auch medial) in den Hintergrund, bestimmend wurde die Auseinandersetzung zwischen divergierenden Auslegungen der untersuchten Textstellen. Dem entsprach es, dass die Allegation zeitgenössischer Autoren und paralleler Texte zunehmend wichtiger wurde. In der Entstehung von ''glossae ordinariae'' (frei übersetzt: „allgemeinen Kommentaren“) zu autoritativen Texten wie etwa der Bibel seit dem 13.&nbsp;Jahrhundert konsolidierten sich solche Debatten, auch wenn deren literarische Dynamik auf diese Weise nicht unterbrochen wurde.  
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Strom der jungen Schotten versiegt, die in den Niederlanden Jura studierten; man studierte nun an den einheimischen Fakultäten. Damit, sowie später auch durch die napoleonischen Kriege und den Sieg der Kodifikationsbewegung auf dem Kontinent, brach die Verbindung zur zeitgenössischen Pflege des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] ab. Gleichzeitig kam es zu einem Niedergang des Studiums des [[römisches Recht|römischen Recht]]s, das zunehmend nur noch als eine historische, nicht mehr als eine lebendige Quelle des schottischen Rechts betrachtet wurde. Seine schöpferische Kraft erschien verbraucht. Stattdessen orientierten sich die schottischen Juristen nunmehr verstärkt am englischen Recht. Dafür war eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. 1603 hatte der schottische König ''James&nbsp;VI''. den englischen Thron geerbt, 1707 war es zur Ratifikation eines Unionsvertrages gekommen. Danach war den Schotten zwar das Fortbestehen ihres eigenen Rechts zugesichert worden, doch war für die Gesetzgebung nunmehr das Parlament in London zuständig, und Rechtstreitigkeiten über schottisches Recht führten in letzter Instanz vor das ''House of Lords''. Seit Beginn des 19.&nbsp;Jahrhunderts wurden die Gerichtsverfassung und das Zivilprozessrecht in mehreren Stufen reformiert, und eine striktere Präzedentiendoktrin setzte sich durch. Die schottischen Advokaten sahen nun zunehmend im englischen ''barrister'' ihr Rollenmodell. Das industrialisierte England bot in jeder Hinsicht hervorragende Karrieremöglichkeiten für die Angehörigen einer Nation, die sich seit jeher durch Ruhelosigkeit und Wandertrieb ausgezeichnet hatte und die über eine vergleichsweise hoch entwickelte Tradition schulischer und universitärer Ausbildung verfügte. Nicht zuletzt wurde das britische Kolonialreich von London aus verwaltet. Schotten spielten bei seiner Eroberung, Besiedelung und Verwaltung eine so herausragende Rolle, dass gelegentlich sogar von einem schottischen Kolonialreich gesprochen wird. Schottische Generäle und Regimenter bildeten das Rückgrat der britischen Armee; adelige schottische Familien, die einen großen Teil des Jahres in England lebten, gehörten zu den Säulen der politischen und gesellschaftlichen Elite. Ambitionierte junge Schotten traten in den Kolonialdienst oder gingen an englische Universitäten oder an eine der ''Inns of Court'', um in London zu praktizieren. Mit der kulturellen Anziehungskraft Englands wuchs auch das Prestige des ''[[common law]]''. Dessen Einfluss wurde in Schottland immer stärker spürbar: bei dem letzten der [[Institutionenlehrbücher|Institutionenschriftsteller]], ''George Joseph Bell'', und in anderen Schriften zum schottischen Recht ebenso wie in der Praxis der Gerichte. Insbesondere für die Herausbildung des modernen Handelsrechts galt das englische Recht als vorbildlich, und die einschlägigen (Teil&#8209;)Kodifikationen der viktorianischen Zeit wurden deshalb auf das schottische Recht erstreckt. Schottische Geschäftsleute drangen darauf, dass das auf ihre Transaktionen anwendbare Recht modern und für das Vereinigte Königreich einheitlich sein sollte; und sie wurden in dieser Haltung von prominenten schottischen Juristen unterstützt. Doch war die [[Rezeption]] des englischen Rechts nicht auf das Handelsrecht beschränkt, sondern betraf so unterschiedliche Bereiche wie den ''trust'', das Recht des Vertragsbruchs, das Nachbarrecht und viele andere.


== 3. Scholastik und mittelalterliche Rechtswissenschaft ==
== 4. Das Profil des Professors ==
Wie bereits angedeutet, war es die vorgratianische Kanonistik gewesen, die zur Ausformung der scholastischen Methode beitrug. Möglicherweise war auch die häufige Berufung auf die Autorität gerade patristischer Schriften (der ''sanctorum patrum'') in der Epoche der gregorianischen Reform ([[Kanonisches Recht]]) des ausgehenden 11.&nbsp;Jahrhunderts eine Vorstufe der scholastischen Prägung des Rechtsdenkens, die seit dem 12.&nbsp;Jahrhundert zum charakteristischen Merkmal des neu entstehenden [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] werden sollte. Der scholastische Zugang zur Deutung und zur Lehre des Rechts war besonders ausgeprägt in der Schule von Bologna, die seit dem beginnenden 12.&nbsp;Jahrhundert entstand. Das wurde etwa im programmatischen Titel des ''Decretum Gratiani'' ([[Kanonisches Recht]]) deutlich, das den Zeitgenossen die ''Concordia Discordantium Canonum'' versprach und zur Verwirklichung dieser Zielsetzung mit ''distinctio'' und ''quaestio ''typische Elemente der scholastischen Methode nutzte. Auch die Typenbildungen kanonistischer und legistischer ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) Schriften bewegten sich ganz auf der Linie der scholastischen Tradition, entwickelten sich doch bereits im 12.&nbsp;Jahrhundert – ursprünglich aus der Situation des universitären Unterrichts – Glossen und Summen, aus denen dann seit dem 13.&nbsp;Jahrhundert ''lecturae'' und ''commentariae'' wurden. Durchgängig war dabei die ''quaestio'' das wichtigste Element der Analyse der römischen, kirchlichen und auch lehnrechtlichen Texte, deren Autorität den Ausgangspunkt der Betrachtung bildete.  
Nahezu zwei Millionen Menschen emigrierten zwischen 1830 und 1914 nach Übersee; weitere 600.000 gingen nach England. Sie waren vielfach spektakulär erfolgreich. Gleichzeitig trug dieser massive ''brain drain'' aber dazu bei, dass Schottland selbst zu einem zunehmend randständigen Teil des Vereinten Königreichs wurde, zu einem Land der Moorhuhnjagd und der Folklore. 1843 zerbrach mit der schottischen Staatskirche das wichtigste Symbol nationaler Identität, seit das Parlament im Jahre 1707 aufgehoben worden war. Auch das Niveau der einheimischen Hochschulausbildung sank. Das galt nicht zuletzt für die juristischen Fakultäten. Von den vier schottischen Universitäten, so hieß es im ''Journal of Jurisprudence'' von 1866, könne allenfalls Edinburgh den Anspruch erheben, eine einigermaßen vollständige Fakultät zu besitzen. In Glasgow waren nur zwei Lehrstühle besetzt, in Aberdeen gar nur einer, und in St. Andrews hatte der juristische Unterricht seit langem aufgehört zu existieren. Viele der Professoren waren Mitglieder der ''Faculty of Advocates'' und praktizierten nebenher. Es handelte sich mithin um Teilzeitprofessoren, die Teilzeitstudenten in Vorlesungen unterrichteten, die außerhalb der normalen Bürozeiten stattfanden. Obwohl in der zweiten Hälfte des 19.&nbsp;Jahrhunderts durchaus auch Professoren tätig waren, die in Deutschland studiert hatten und denen daran lag, die Juristenausbildung akademisch zu profilieren, war der Professor im Hierarchiegefüge der juristischen Berufe doch insgesamt von untergeordneter Bedeutung; er wurde im Grunde als Lehrer, kaum als Rechtswissenschaftler wahrgenommen. Den meisten schottischen Juristen war vermutlich schon der Begriff einer Rechts''wissenschaft'' fremd geworden: Auch dies ein Zeichen der Dominanz der englischen Rechtskultur im Vereinigten Königreich.  


Während in der Zeit der Glossatoren wohl meist das Bestreben leitend war, auf diese Weise zu Topoi für die Lösung konkreter Fälle zu gelangen, gewannen im 13. und 14.&nbsp;Jahrhundert auch Tendenzen an Boden, abstraktere Perspektiven und Kategorien in den Diskurs einzuführen. Kennzeichnend dafür war die Mahnung des ''Baldus de Ubaldis'' (1327–1400), ''qui'' ''vult scire principiata debet noscere principia'' („Wer wissen will, was aus den Prinzipien herrührt, muss die Prinzipien kennen“; Commentaria in Digestum vetus, ad D.&nbsp;1,1,1 nr.&nbsp;2). Allerdings war die gelehrte Jurisprudenz dieser Zeit weit entfernt von den gewaltigen Systementwürfen etwa der ''Summae Theologiae ''eines ''Thomas von Aquin'', auch wenn gezeigt worden ist, dass gerade ''Baldus'' und seine Zeitgenossen zumindest ansatzweise über Elemente einer systematischen Ordnung des Rechts debattiert haben (''Maximiliane'' ''Kriechbaum''). Mehr Gewicht hatten in der juristischen Debatte materielle Elemente des scholastischen Diskurses wie die von ''Aristoteles'' rezipierte Lehre der vier ''causae'' (''causa formalis, materialis, efficiens ''sowie ''finalis''), die insbesondere in der Analyse vertraglicher Verpflichtungen und kondiktionsrechtlicher Ansprüche, aber auch für die Frage nach der hoheitlichen Herrschaftsausübung für die Dogmatik fruchtbar gemacht wurden. Ähnliches lässt sich für die Verwendung der Kategorien ''actus''/‌''potentia'' und ''forma/‌materia ''zeigen, die etwa in der Vertragsrechtslehre oder für die Unterscheidung von ''actio'' und ''obligatio'' Anwendung fanden. Aber trotz dieser offensichtlichen Nähe der Rechtswissenschaften zur Theologie und zur Philosophie beanspruchten die Juristen frühzeitig eine eigene epistemologische Identität. Teilweise wurde dabei gleichwohl der gemeinsame Ausgangspunkt betont wie etwa in dem Bild des ''Stephan von Tournai'' (1128–1203), der ''theologus et legista'' mit den zwei Gästen eines Essens verglich, von denen der eine eher süße und der andere eher saure Speisen bevorzugt. Teilweise wurde allerdings auch die Autonomie jedenfalls der legistischen Wissenschaft mit kompromissloser Deutlichkeit betont wie etwa in der entschiedenen Verneinung der Frage, ob ein ''iuris consultus… debeat theologiam legere'' (ob „ein Jurist Theologie lesen muß“), werde doch „alles im Corpus iuris gefunden“ (''omnia in corpore iuris inveniuntur''<nowiki>; Gl. </nowiki>''Notitia ''ad D.&nbsp;1,1,10,2). Dieser entschiedenen Orientierung an den Texten des römischen und kanonischen Rechts entsprach umgekehrt die Feststellung des ''Bartolus'', dass „die Juristen… nicht die Worte des Aristoteles kennen“ (''verbis…Aristotelis… iurist(a)e … non saperent''<nowiki>; Tractatus de regimen civitatis). Solche rechtswissenschaftlichen Abgrenzungsbemühungen resultierten freilich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass auch die Theologie eine Fülle von juristischen Thesen und Themen analysierte. Kennzeichnend dafür war etwa die Debatte über die Grundlage von Eigentumsbefugnissen oder die theologischen Konzeptionen eines</nowiki> [[Naturrecht]]s.  
== 5. Reaktion ==
Erst gegen Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts kam es zu einer Reaktion gegen die englische Überfremdung. Man besann sich auf die Eigenständigkeit des schottischen Rechts und auf seine historische Verwurzelung im kontinentaleuropäischen ''civil law''<nowiki>; und man begann, die institutionellen Grundlagen für eine moderne, wissenschaftlichen Standards entsprechende Rechtskultur zu schaffen. Durch die Studienreform des Jahres 1960 wurden die Rechtswissenschaften zu einem Vollzeitstudium. Damit erhielten die Universitäten den Vorrang gegenüber den anwaltlichen Standesorganisationen bei der Juristenausbildung. Zu den vier bereits bestehenden kam eine fünfte juristische Fakultät (Strathclyde) hinzu. Die Studentenzahlen expandierten ebenso wie die nunmehr voll und ganz in Forschung und Lehre tätigen Dozenten und Professoren (Zahl der Jurastudenten im Studienjahr 1990/‌91 2.218 gegenüber nur 490&nbsp;im Studienjahr 1938/‌39; Zahl der Hochschullehrer an schottischen juristischen Fakultäten 190&nbsp;im Studienjahr 1994/‌95 gegenüber 26&nbsp;im Studienjahr 1938/‌39). Im Jahre 1965 wurde eine schottische </nowiki>''Law Commission'' eingerichtet, deren Aufgabe die Vorbereitung von Reformen des schottischen Rechts im Wege der Gesetzgebung ist. Heute ist das schottische Recht in seiner Eigenständigkeit sicher etabliert und findet als [[Mischrechtsordnungen|Mischrechtsordnung]] im Schnittpunkt zwischen ''civil law'' und ''[[common law]]'' auch in der modernen rechtsvergleichenden Diskussion besondere Aufmerksamkeit.


== 4. Die spanische Spätscholastik ==
== 6. Eine moderne Mischrechtsordnung ==
Im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation gewann die thomistische Tradition, wie oben angedeutet, in der römisch-katholischen Wissenskultur besonderes Gewicht. Kennzeichnend dafür war die Ersetzung der Sentenzensammlung des ''Petrus Lombardus ''(†&nbsp;1160), dem für lange Zeit wichtigsten Textbuch der universitären theologischen Lehre, durch die ''Summa Theologiae'' des ''Thomas von Aquin''. Überragende Bedeutung entfalteten die thomistischen Texte vor allem im spanischen Raum, insbesondere an der Universität Salamanca. Hier wurden die Thomaskommentare und die öffentlichen sog. ''Relecciones'' des dominikanischen Theologen ''Francisco de Vitoria ''(um 1483–1546) zum Ausgangspunkt für eine neue Traditionsbildung. Die Autoren der auf dieser Grundlage entstehenden Traktate und Kommentare waren ihrerseits vielfach Theologen wie die Dominikaner ''Domingo de Soto'' (1494–1560), ''Melchor Cano'' (1509–1560), der Jesuit ''Francisco Suarez'' (1548–1617) oder der Franziskaner ''Alfonso de Castro'' (1495–1558). Doch auch Juristen wie der Kanonist ''Diego de Covarrubias y Leyva ''(1512–1577), sein akademischer Lehrer ''Martin de Azpilcueta ''(1491–1586) und der eher römisch-rechtlich orientierten ''Fernando Vázquez de Menchaca ''(1512–1566) rezipierten intensiv die thomistische Theologie. Jenseits ihrer Affinität zur thomistischen Doktrin war diese Autorengruppe aber auch zu einer Gemeinschaft verbunden in der Orientierung an der scholastischen Methode des ''sic et non'' und vor allem in der im mittelalterlichen Kontext seltenen Verknüpfung von moraltheologischen und rechtswissenschaftlichen ''auctoritates''. Damit erweiterten sich die Perspektiven der Argumentation, die dabei aber dem formalen Rahmen und der thematischen Universalität der mittelalterlichen Scholastik verbunden blieb. Vor diesem Hintergrund ist die in der Literatur häufig verwendete Kennzeichnung dieser Werke und ihrer Autoren als „Spanische Spätscholastik“, „Iberische Spätscholastik“ oder bisweilen auch als „Zweite Scholastik“ sicherlich zutreffend. Ein wenig missverständlich ist demgegenüber die manchmal ebenfalls benutzte Bezeichnung „Schule von Salamanca“, wird doch damit eine tatsächlich nicht bestehende Gemeinsamkeit von Thesen und Perspektiven unterstellt, zumal nicht alle spätscholastischen Autoren der salmantinischen Universität verbunden waren.  
Die Kombination der Einflüsse ist am auffälligsten im Vertragsrecht. Bemerkenswert häufig spiegeln die Lösungen des schottischen Rechts diejenigen, die sich auch in den [[Principles of European Contract Law|PECL]] und im Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] finden. So gibt es einerseits keine ''consideration''-Doktrin (und auch kein Konzept der ''cause'') ([[Seriositätsindizien]]), [[Versprechen]] sind auch ohne Annahme verbindlich, [[Vertrag|Verträge]] zugunsten Dritter sind anerkannt, und ein Gläubiger hat grundsätzlich einen [[Erfüllungsanspruch]] (''specific implement''). Andererseits kennt das schottische Recht einen im Wesentlichen einheitlichen Begriff der Vertragsverletzung, und es anerkennt die Lehren von der [[Antizipierte Nichterfüllung|antizipierten Nichterfüllung]], vom ''undisclosed principal'' ([[Stellvertretung]]) und von der ''[[undue influence]]''.


Inhaltlich prägend war für die spanische Spätscholastik vor allem die Ausrichtung an Naturrechtsvorstellungen ([[Naturrecht]]), die stark von der Lehre des ''Thomas von Aquin'' beeinflusst waren. Auf dieser Grundlage entstanden Konzeptionen subjektiver Rechte und Freiheiten, die nicht zuletzt auch durch die Frage inspiriert wurden, wie mit den unter der neubegründeten kolonialen Herrschaft stehenden Völkern umzugehen sei. Moraltheologie und Naturrechtsdenken verbanden sich auch in Überlegungen über die Legitimation von Kriegshandlungen, die Legitimität politischer Herrschaft und ihrer Grenzen sowie in einer sehr ausdifferenzierten allgemeinen Strafrechtslehre. In der Privatrechtsdogmatik sollten es vor allem die Lehren über [[Eigentum]], die Gegenseitigkeit des [[Vertrag]]s und die [[Naturalrestitution]] sein, die die säkularen Naturrechtsentwürfe des 17. und 18. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussten und die auf diese Weise Wirkung bis in die Rechtsordnung der Gegenwart hinein entfalten.  
Aber auch andere Bereiche des Privatrechts sind durch eine Mischung von Einflüssen charakterisiert. Das schottische [[Erbrecht]] zum Beispiel bedient sich zur Nachlassabwicklung, wie das englische, der Institution der [[Testamentsvollstreckung]], und es kennt damit nicht das in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gängige Modell der [[Universalsukzession]], verbunden mit dem Institut des Vonselbsterwerbs. Andererseits ist die [[Testierfreiheit]] aber durch ein aus dem römischen Recht überkommenes [[Pflichtteilsrecht]] zugunsten von Abkömmlingen und überlebenden Ehegatten beschränkt. Bewegliches und unbewegliches Vermögen werden im Erbrecht unterschiedlich behandelt. Hier zeigt sich der nachwirkende Einfluss des Feudalismus in Schottland. Die schottische ''Law Commission'' hat kürzlich weitreichende Reformen des Erbrechts vorgeschlagen, doch ist bislang unklar, ob sie umgesetzt werden.
 
Das [[Feudalrecht]] (das, wenngleich in atrophierter Form, bis 2004 in Kraft war) hat natürlich auch das schottische Sachenrecht stark geprägt. Der verbreitete Gebrauch von ''real burdens'', die Grundeigentümer mit Handlungspflichten belasten, und die Trennung in der rechtlichen Behandlung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen haben hier ihre Wurzeln. Diese Trennung wurde durch den ''Sale of Goods Act'' von 1893 und 1979 vertieft, der für das Vereinigte Königreich ein einheitliches Regime für die Übertragung beweglicher Sachen ([[Eigentumsübertragung (beweglicher Sachen)]]) aufgrund von Kaufverträgen ([[Kauf]]) etablierte. Gleichwohl sind die Grundlagen des Sachenrechts in Schottland weitgehend der römischrechtlichen Tradition verpflichtet. Das gilt, beispielsweise, für die klare Unterscheidung von dinglichen und persönlichen Rechten, den zentralen Begriff des [[Eigentum]]s und die Tatbestände des originären Eigentumserwerbs. Die moderne Doktrin hat die römischrechtlichen Grundlagen sowohl gefestigt als auch weiterentwickelt. Zu weiteren Eigenheiten des schottischen Privatrechts siehe [[Mischrechtsordnungen]].
 
== 7. Literatur ==
Ein Zeichen für die neue Vitalität des schottischen Rechts ist das Entstehen einer modernen Anforderungen entsprechenden wissenschaftlichen Literatur. Im 19.&nbsp;Jahrhundert wurden vor allem die Werke von ''Bell'' und ''Erskine'' benutzt; die letzte, 10.&nbsp;Auflage von ''George Joseph Bell'', „Principles of the Law of Scotland“, erschien im Jahre 1899, und ''John Erskine'', „Principles of the Law of Scotland“, wurde sogar im Jahre 1911 noch einmal neu aufgelegt (21.&nbsp;Auflage). Abgelöst wurde ''Erskine'' schließlich durch ''W.M. Gloag'', ''R. Candlish Henderson'', „Introduction to the Law of Scotland“. Dies Werk erschien erstmals im Jahre 1927 und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum erfolgreichsten Titel der schottischen Rechtsliteratur.
 
Im Grunde beginnt die moderne Ära aber mit ''T.B. Smith'', der nicht nur mit seinem „Short Commentary on the Law of Scotland“ (1962) ein großangelegtes und sehr persönlich gefärbtes Überblickswerk verfasste, sondern auch der geistige Vater zweier großangelegter Publikationsprojekte war. Hierbei handelt es sich einerseits um eine Enzyklopädie des schottischen Rechts in 25&nbsp;Bänden, die in dem Zeitraum von 1987–1996 erschienen ist, andererseits um die Gründung des ''Scottish Universities Law Institute'' (SULI). Dessen Aufgabe bestand (und besteht bis heute) darin, die Publikation autoritativer, moderner Lehrbücher zu den Hauptgebieten des schottischen Rechts zu planen und zu koordinieren. Viele der seither entstandenen Werke sind von hervorragender Qualität, manche sind inzwischen in zweiter oder dritter Auflage erschienen. Gleichwohl ist es eigentümlich, dass das erste Buch zum Sachenrecht als einheitlichem Rechtsgebiet erst in den neunziger Jahren erschienen ist, und das erste großangelegte Lehrbuch zum Bereicherungsrecht mit seinem ersten Band im Jahre 2003. Zum schottischen Erbrecht gibt es bis heute keine größere moderne Gesamtdarstellung. Dominiert wird der Markt schottischer Rechtsliteratur von einem Verlag (W.&nbsp;Green; gegründet 1875, nunmehr Teil der Thomson Gruppe); inzwischen beginnt sich freilich Edinburgh University Press (nach dem Vorbild von Oxford University Press) als ein Verlagshaus mit einem dezidiert wissenschaftlichen Programm mit internationaler Ausstrahlung zu etablieren.
 
Die regelmäßige Veröffentlichung von Entscheidungen der schottischen Obergerichte (Zivilsachen: ''Court of Session''<nowiki>; Strafsachen: </nowiki>''High Court of Justiciary'') reicht in die Mitte des 18.&nbsp;Jahrhunderts zurück; die heute gebräuchlichen ''Session Cases'' (zitiert bis 1906 nach den Namen des hauptsächlichen Reporters) erscheinen seit 1821.


==Literatur==
==Literatur==
''Gerhard Otte'', Dialektik und Jurisprudenz, 1971; ''Heinrich Schmidinger'', „Scholastik“ und „Neuscholastik“. Geschichte zweier Begriffe, in: ''Emerich Coreth'', ''Walter M. Neidl'', ''Georg Pfligersdorffer'' (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20.&nbsp;Jahrhunderts, Bd.&nbsp;2: Rückgriff auf scholastisches Erbe, 1988, 23&nbsp;ff.; ''Hans-Jürgen Becker, ''Scholastik, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd.&nbsp;4, 1990, Sp. 1478&nbsp;ff.; ''James Gordley'', The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine 1991; ''Heinrich Schmidinger'', Scholastik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.&nbsp;8, 1992, Sp. 1332&nbsp;ff. mit umfangreichen Nachweisen zur Begriffsgeschichte; ''Rolf Schönberger'', Scholastik, I.&nbsp;Begriff und historische Charaktere, in: Lexikon des Mittelalters, Bd.&nbsp;7, 1995, Sp. 1521&nbsp;ff.; ''Norman Kretzmann'', ''Anthony Kenny'', ''Jan Pinborg'' (Hg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, ND 1997, 192&nbsp;ff. mit umfassenden Nachweisen zur Literatur und zu den Quellen der mittelalterlichen scholastischen Wissenschaft; ''Manlio Bellomo'' (Hg.), Die Kunst der Disputation, 1997; ''Annabel S. Brett'', Liberty, Right and Nature: Individual Rights in Later Scholastic Thought, 1997; ''Christoph H.F. Meyer'', Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12.&nbsp;Jahrhunderts, 2000; ''Maximiliane Kriechbaum'', Methoden der Stoffbewältigung, in: Hermann Lange, eadem, Römisches Recht im Mittelalter, Bd.&nbsp;2, 2007, 264&nbsp;ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen zu Literatur und Quellen.
''T.B. Smith'', Studies Critical and Comparative, 1962; ''Peter Stein'', Roman Law in Scotland, Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 13b, 1968; ''David M. Walker'' (Hg.), The Scottish Jurists, 1985; ''T.B. Smith'','' Robert Black and Niall R Whitty'' (Hg.), The Laws of Scotland, Stair Memorial Encyclopedia, Bde. 1–25, 1987&nbsp;ff. (seit 1999 ist eine Vielzahl von Titeln überarbeitet worden); ''David M. Walker'', A Legal History of Scotland, Bd. I, 1988; Bd. II, 1990; Bd. III, 1995; Bd. IV, 1996; Bd. V, 1998; Bd. VI, 2001; Bd. VII, 2004; ''Robin Evans-Jones'' (Hg.), The Civil Law Tradition in Scotland, 1995; ''David L. Carey Miller'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), The Civilian Tradition and Scots Law: Aberdeen Quincentenary Essays, 1997; ''Kenneth Reid'','' Reinhard Zimmermann'' (Hg.), A History of Private Law in Scotland, 2&nbsp;Bde., 2000; ''Elspeth Reid'', ''David Carey Miller'' (Hg.), A Mixed Legal System in Transition: T.B. Smith and the Progress of Scots Law, 2005; ''W.M. Gloag'', ''R. Candlish Henderson ''(nunmehr hg. von ''Lord Coulsfield'','' Hector L. MacQueen''), The Law of Scotland, 12.&nbsp;Aufl. 2007.
 
==Quellen==
Regiam Majestatem, The Auld Lawes and Constitutions of Scotland, collected by John Skene of Curriehill 1609, neu hg. und übersetzt von Lord Cooper, Stair Society, Bd.&nbsp;11, 1947; ''Sir Thomas Craig of Riccarton'', Jus Feudale, 1.&nbsp;Aufl. 1655, 3.&nbsp;Aufl. hg. von J. Baillie, 1732, übersetzt von Lord Clyde, 1934; ''James Dalrymple'','' Viscount Stair'', Institutions of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1681, 2.&nbsp;Aufl. 1693 (neu hg. von D.M. Walker, 1981); ''Sir George Mackenzie of Rosehaugh'', The Institutions of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1684, 8.&nbsp;Aufl. 1758; ''Andrew McDouall'','' Lord Bankton'', An Institute of the Laws of Scotland in Civil Rights 1751–53 (Nachdruck durch die Stair Society, Bde. 41–43, 1993–95); ''John Erskine of Carnock'', Principles of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1754, 21.&nbsp;Aufl. hg. von J. Rankine, 1911; ''John Erskine of Carnock'', An Institute of the Law of Scotland, 1773, 8.&nbsp;Aufl. hg. von J.B. Nicholson, 1871 (ND 1989); ''Baron David Hume'', Lectures 1786–1822, hg. von G.C.H. Paton, Stair Society, Bde. 5, 13, 15, 17–19, 1939–58; ''George Joseph Bell'', Commentaries on the Law of Scotland and on the Principles of Mercantile Jurisprudence, 2.&nbsp;Aufl. 1810, 7.&nbsp;Aufl. hg. von J. M’Laren, 1890 (ND 1990); ''George Joseph Bell'', Principles of the Law of Scotland, 1.&nbsp;Aufl. 1829, 10.&nbsp;Aufl. hg. von W. Guthrie, 1899 (ND 1989).


[[Kategorie:A–Z]]
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Version vom 13. September 2016, 13:11 Uhr

von Reinhard Zimmermann/‌John MacLeod

1. Die kontinentaleuropäische Verbindung

Das moderne schottische Recht steht in einer bis heute nicht abgerissenen Kontinuität der Entwicklung. Prägend war dabei seine Stellung im Spannungsfeld zwischen englischem common law und kontinentaleuropäischem civil law. Während es seit der Thronbesteigung König Davids I. im Jahre 1124 zunächst zu einem Eindringen anglo-normannischen Feudalrechts kam, führten der Erbfolgestreit am Ende des 13. Jahrhunderts und die Unabhängigkeitskriege mit dem entscheidenden Sieg der Schotten bei Bannockburn zu einem starken und lang anhaltenden Antagonismus gegen England. Dies war der Keim der „Auld Alliance“ mit Frankreich und der Orientierung am kontinentalen Europa. Damit verbunden war die schrittweise Rezeption des gelehrten Rechts, die Schottland in zunehmendem Maße zu einer Provinz des ius commune werden ließ. Schottische Juristen studierten römisches und kanonisches Recht an den führenden Fakultäten des Kontinents: zunächst vor allem in Paris und Orléans, später verstärkt in Leuven und Köln, und im 16. Jahrhundert hauptsächlich in Bourges, dem Zentrum der humanistischen Jurisprudenz (Humanismus). Ab 1575 finden wir eine ständig steigende Zahl schottischer Studenten in Leiden, später auch an den anderen neu gegründeten (nord‑)niederländischen Universitäten (römisch-holländisches Recht). Eine Analyse der 637 in der Zeit von 1661 bis 1730 an der Faculty of Advocates in Edinburgh zugelassenen Anwälte hat ergeben, dass nicht weniger als 275 von ihnen in den Niederlanden studiert hatten. Die Werke der führenden niederländischen Juristen waren in Schottland gut bekannt; sie wurden als Teil der Bibliothek des ius commune in der Praxis zitiert und inspirierten insbesondere auch die schottischen Institutionenschriftsteller (vgl. unten).

2. Das Zeitalter der Aufklärung

Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts ereignete sich das „schottische Wunder“: In einer Nation, die zunächst von einem bigotten und repressiven Presbyterianismus dominiert war, entwickelte sich eine der gebildetsten Gesellschaften Europas. Sie schuf wesentliche Grundlagen der modernen Zivilisation. Edinburgh wurde das geistige Zentrum der schottischen Aufklärung. Zu den Büchern, die das geistige Leben Europas prägten, gehörten Lord Kames, „Sketches of the History of Man“; Francis Hutcheson, „System of Moral Philosophy“; Adam Smith, „Wealth of Nations“; David Hume, „Treatise of Human Nature“; Adam Ferguson, „Essay on the History of Civil Society“; und John Millar, „The Origin of the Distinction of Ranks“. Große Bedeutung hatten für diesen unerhörten kulturellen Aufschwung die schottischen Universitäten, insbesondere diejenigen in Edinburgh und Glasgow. Die Zahl der Studenten stieg in Edinburgh von 400 in den 1690er Jahren auf 1.300 im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts und in Glasgow von 250 im Jahre 1696 auf 1.240 im Jahre 1824. An beiden Universitäten florierte insbesondere auch der juristische Unterricht. 1710 und 1714 wurden Lehrstühle für civil law in Edinburgh und in Glasgow eingerichtet, 1722 ein Lehrstuhl für schottisches Recht in Edinburgh. Seit 1707 gab es an dieser Universität einen Lehrstuhl für öffentliches Recht, Naturrecht und Völkerrecht. Zu den bedeutendsten Zeugnissen der schottischen Rechtsliteratur jener Zeit zählen die Institutionenlehrbücher. Die Publikation der Institutions of the Law of Scotland von James Dalrymple, Viscount Stair im Jahre 1681 hatte das römisch-schottische Recht in ähnlicher Weise konstituiert wie Hugo Grotius’ „Inleidinge“ fünfzig Jahre zuvor das römisch-holländische. Auf Stair folgten eine Reihe weiterer „institutional writers“, darunter insbesondere Sir George Mackenzie; Andrew McDouall, Lord Bankton; John Erskine; und George Joseph Bell. Ihnen wird bis heute autoritative Bedeutung zugemessen.

3. Schottland im Schatten Englands

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Strom der jungen Schotten versiegt, die in den Niederlanden Jura studierten; man studierte nun an den einheimischen Fakultäten. Damit, sowie später auch durch die napoleonischen Kriege und den Sieg der Kodifikationsbewegung auf dem Kontinent, brach die Verbindung zur zeitgenössischen Pflege des ius commune ab. Gleichzeitig kam es zu einem Niedergang des Studiums des römischen Rechts, das zunehmend nur noch als eine historische, nicht mehr als eine lebendige Quelle des schottischen Rechts betrachtet wurde. Seine schöpferische Kraft erschien verbraucht. Stattdessen orientierten sich die schottischen Juristen nunmehr verstärkt am englischen Recht. Dafür war eine Vielzahl von Faktoren verantwortlich. 1603 hatte der schottische König James VI. den englischen Thron geerbt, 1707 war es zur Ratifikation eines Unionsvertrages gekommen. Danach war den Schotten zwar das Fortbestehen ihres eigenen Rechts zugesichert worden, doch war für die Gesetzgebung nunmehr das Parlament in London zuständig, und Rechtstreitigkeiten über schottisches Recht führten in letzter Instanz vor das House of Lords. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Gerichtsverfassung und das Zivilprozessrecht in mehreren Stufen reformiert, und eine striktere Präzedentiendoktrin setzte sich durch. Die schottischen Advokaten sahen nun zunehmend im englischen barrister ihr Rollenmodell. Das industrialisierte England bot in jeder Hinsicht hervorragende Karrieremöglichkeiten für die Angehörigen einer Nation, die sich seit jeher durch Ruhelosigkeit und Wandertrieb ausgezeichnet hatte und die über eine vergleichsweise hoch entwickelte Tradition schulischer und universitärer Ausbildung verfügte. Nicht zuletzt wurde das britische Kolonialreich von London aus verwaltet. Schotten spielten bei seiner Eroberung, Besiedelung und Verwaltung eine so herausragende Rolle, dass gelegentlich sogar von einem schottischen Kolonialreich gesprochen wird. Schottische Generäle und Regimenter bildeten das Rückgrat der britischen Armee; adelige schottische Familien, die einen großen Teil des Jahres in England lebten, gehörten zu den Säulen der politischen und gesellschaftlichen Elite. Ambitionierte junge Schotten traten in den Kolonialdienst oder gingen an englische Universitäten oder an eine der Inns of Court, um in London zu praktizieren. Mit der kulturellen Anziehungskraft Englands wuchs auch das Prestige des common law. Dessen Einfluss wurde in Schottland immer stärker spürbar: bei dem letzten der Institutionenschriftsteller, George Joseph Bell, und in anderen Schriften zum schottischen Recht ebenso wie in der Praxis der Gerichte. Insbesondere für die Herausbildung des modernen Handelsrechts galt das englische Recht als vorbildlich, und die einschlägigen (Teil‑)Kodifikationen der viktorianischen Zeit wurden deshalb auf das schottische Recht erstreckt. Schottische Geschäftsleute drangen darauf, dass das auf ihre Transaktionen anwendbare Recht modern und für das Vereinigte Königreich einheitlich sein sollte; und sie wurden in dieser Haltung von prominenten schottischen Juristen unterstützt. Doch war die Rezeption des englischen Rechts nicht auf das Handelsrecht beschränkt, sondern betraf so unterschiedliche Bereiche wie den trust, das Recht des Vertragsbruchs, das Nachbarrecht und viele andere.

4. Das Profil des Professors

Nahezu zwei Millionen Menschen emigrierten zwischen 1830 und 1914 nach Übersee; weitere 600.000 gingen nach England. Sie waren vielfach spektakulär erfolgreich. Gleichzeitig trug dieser massive brain drain aber dazu bei, dass Schottland selbst zu einem zunehmend randständigen Teil des Vereinten Königreichs wurde, zu einem Land der Moorhuhnjagd und der Folklore. 1843 zerbrach mit der schottischen Staatskirche das wichtigste Symbol nationaler Identität, seit das Parlament im Jahre 1707 aufgehoben worden war. Auch das Niveau der einheimischen Hochschulausbildung sank. Das galt nicht zuletzt für die juristischen Fakultäten. Von den vier schottischen Universitäten, so hieß es im Journal of Jurisprudence von 1866, könne allenfalls Edinburgh den Anspruch erheben, eine einigermaßen vollständige Fakultät zu besitzen. In Glasgow waren nur zwei Lehrstühle besetzt, in Aberdeen gar nur einer, und in St. Andrews hatte der juristische Unterricht seit langem aufgehört zu existieren. Viele der Professoren waren Mitglieder der Faculty of Advocates und praktizierten nebenher. Es handelte sich mithin um Teilzeitprofessoren, die Teilzeitstudenten in Vorlesungen unterrichteten, die außerhalb der normalen Bürozeiten stattfanden. Obwohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus auch Professoren tätig waren, die in Deutschland studiert hatten und denen daran lag, die Juristenausbildung akademisch zu profilieren, war der Professor im Hierarchiegefüge der juristischen Berufe doch insgesamt von untergeordneter Bedeutung; er wurde im Grunde als Lehrer, kaum als Rechtswissenschaftler wahrgenommen. Den meisten schottischen Juristen war vermutlich schon der Begriff einer Rechtswissenschaft fremd geworden: Auch dies ein Zeichen der Dominanz der englischen Rechtskultur im Vereinigten Königreich.

5. Reaktion

Erst gegen Mitte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Reaktion gegen die englische Überfremdung. Man besann sich auf die Eigenständigkeit des schottischen Rechts und auf seine historische Verwurzelung im kontinentaleuropäischen civil law; und man begann, die institutionellen Grundlagen für eine moderne, wissenschaftlichen Standards entsprechende Rechtskultur zu schaffen. Durch die Studienreform des Jahres 1960 wurden die Rechtswissenschaften zu einem Vollzeitstudium. Damit erhielten die Universitäten den Vorrang gegenüber den anwaltlichen Standesorganisationen bei der Juristenausbildung. Zu den vier bereits bestehenden kam eine fünfte juristische Fakultät (Strathclyde) hinzu. Die Studentenzahlen expandierten ebenso wie die nunmehr voll und ganz in Forschung und Lehre tätigen Dozenten und Professoren (Zahl der Jurastudenten im Studienjahr 1990/‌91 2.218 gegenüber nur 490 im Studienjahr 1938/‌39; Zahl der Hochschullehrer an schottischen juristischen Fakultäten 190 im Studienjahr 1994/‌95 gegenüber 26 im Studienjahr 1938/‌39). Im Jahre 1965 wurde eine schottische Law Commission eingerichtet, deren Aufgabe die Vorbereitung von Reformen des schottischen Rechts im Wege der Gesetzgebung ist. Heute ist das schottische Recht in seiner Eigenständigkeit sicher etabliert und findet als Mischrechtsordnung im Schnittpunkt zwischen civil law und common law auch in der modernen rechtsvergleichenden Diskussion besondere Aufmerksamkeit.

6. Eine moderne Mischrechtsordnung

Die Kombination der Einflüsse ist am auffälligsten im Vertragsrecht. Bemerkenswert häufig spiegeln die Lösungen des schottischen Rechts diejenigen, die sich auch in den PECL und im Draft DCFR finden. So gibt es einerseits keine consideration-Doktrin (und auch kein Konzept der cause) (Seriositätsindizien), Versprechen sind auch ohne Annahme verbindlich, Verträge zugunsten Dritter sind anerkannt, und ein Gläubiger hat grundsätzlich einen Erfüllungsanspruch (specific implement). Andererseits kennt das schottische Recht einen im Wesentlichen einheitlichen Begriff der Vertragsverletzung, und es anerkennt die Lehren von der antizipierten Nichterfüllung, vom undisclosed principal (Stellvertretung) und von der undue influence.

Aber auch andere Bereiche des Privatrechts sind durch eine Mischung von Einflüssen charakterisiert. Das schottische Erbrecht zum Beispiel bedient sich zur Nachlassabwicklung, wie das englische, der Institution der Testamentsvollstreckung, und es kennt damit nicht das in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gängige Modell der Universalsukzession, verbunden mit dem Institut des Vonselbsterwerbs. Andererseits ist die Testierfreiheit aber durch ein aus dem römischen Recht überkommenes Pflichtteilsrecht zugunsten von Abkömmlingen und überlebenden Ehegatten beschränkt. Bewegliches und unbewegliches Vermögen werden im Erbrecht unterschiedlich behandelt. Hier zeigt sich der nachwirkende Einfluss des Feudalismus in Schottland. Die schottische Law Commission hat kürzlich weitreichende Reformen des Erbrechts vorgeschlagen, doch ist bislang unklar, ob sie umgesetzt werden.

Das Feudalrecht (das, wenngleich in atrophierter Form, bis 2004 in Kraft war) hat natürlich auch das schottische Sachenrecht stark geprägt. Der verbreitete Gebrauch von real burdens, die Grundeigentümer mit Handlungspflichten belasten, und die Trennung in der rechtlichen Behandlung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen haben hier ihre Wurzeln. Diese Trennung wurde durch den Sale of Goods Act von 1893 und 1979 vertieft, der für das Vereinigte Königreich ein einheitliches Regime für die Übertragung beweglicher Sachen (Eigentumsübertragung (beweglicher Sachen)) aufgrund von Kaufverträgen (Kauf) etablierte. Gleichwohl sind die Grundlagen des Sachenrechts in Schottland weitgehend der römischrechtlichen Tradition verpflichtet. Das gilt, beispielsweise, für die klare Unterscheidung von dinglichen und persönlichen Rechten, den zentralen Begriff des Eigentums und die Tatbestände des originären Eigentumserwerbs. Die moderne Doktrin hat die römischrechtlichen Grundlagen sowohl gefestigt als auch weiterentwickelt. Zu weiteren Eigenheiten des schottischen Privatrechts siehe Mischrechtsordnungen.

7. Literatur

Ein Zeichen für die neue Vitalität des schottischen Rechts ist das Entstehen einer modernen Anforderungen entsprechenden wissenschaftlichen Literatur. Im 19. Jahrhundert wurden vor allem die Werke von Bell und Erskine benutzt; die letzte, 10. Auflage von George Joseph Bell, „Principles of the Law of Scotland“, erschien im Jahre 1899, und John Erskine, „Principles of the Law of Scotland“, wurde sogar im Jahre 1911 noch einmal neu aufgelegt (21. Auflage). Abgelöst wurde Erskine schließlich durch W.M. Gloag, R. Candlish Henderson, „Introduction to the Law of Scotland“. Dies Werk erschien erstmals im Jahre 1927 und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum erfolgreichsten Titel der schottischen Rechtsliteratur.

Im Grunde beginnt die moderne Ära aber mit T.B. Smith, der nicht nur mit seinem „Short Commentary on the Law of Scotland“ (1962) ein großangelegtes und sehr persönlich gefärbtes Überblickswerk verfasste, sondern auch der geistige Vater zweier großangelegter Publikationsprojekte war. Hierbei handelt es sich einerseits um eine Enzyklopädie des schottischen Rechts in 25 Bänden, die in dem Zeitraum von 1987–1996 erschienen ist, andererseits um die Gründung des Scottish Universities Law Institute (SULI). Dessen Aufgabe bestand (und besteht bis heute) darin, die Publikation autoritativer, moderner Lehrbücher zu den Hauptgebieten des schottischen Rechts zu planen und zu koordinieren. Viele der seither entstandenen Werke sind von hervorragender Qualität, manche sind inzwischen in zweiter oder dritter Auflage erschienen. Gleichwohl ist es eigentümlich, dass das erste Buch zum Sachenrecht als einheitlichem Rechtsgebiet erst in den neunziger Jahren erschienen ist, und das erste großangelegte Lehrbuch zum Bereicherungsrecht mit seinem ersten Band im Jahre 2003. Zum schottischen Erbrecht gibt es bis heute keine größere moderne Gesamtdarstellung. Dominiert wird der Markt schottischer Rechtsliteratur von einem Verlag (W. Green; gegründet 1875, nunmehr Teil der Thomson Gruppe); inzwischen beginnt sich freilich Edinburgh University Press (nach dem Vorbild von Oxford University Press) als ein Verlagshaus mit einem dezidiert wissenschaftlichen Programm mit internationaler Ausstrahlung zu etablieren.

Die regelmäßige Veröffentlichung von Entscheidungen der schottischen Obergerichte (Zivilsachen: Court of Session; Strafsachen: High Court of Justiciary) reicht in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück; die heute gebräuchlichen Session Cases (zitiert bis 1906 nach den Namen des hauptsächlichen Reporters) erscheinen seit 1821.

Literatur

T.B. Smith, Studies Critical and Comparative, 1962; Peter Stein, Roman Law in Scotland, Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 13b, 1968; David M. Walker (Hg.), The Scottish Jurists, 1985; T.B. Smith, Robert Black and Niall R Whitty (Hg.), The Laws of Scotland, Stair Memorial Encyclopedia, Bde. 1–25, 1987 ff. (seit 1999 ist eine Vielzahl von Titeln überarbeitet worden); David M. Walker, A Legal History of Scotland, Bd. I, 1988; Bd. II, 1990; Bd. III, 1995; Bd. IV, 1996; Bd. V, 1998; Bd. VI, 2001; Bd. VII, 2004; Robin Evans-Jones (Hg.), The Civil Law Tradition in Scotland, 1995; David L. Carey Miller, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Civilian Tradition and Scots Law: Aberdeen Quincentenary Essays, 1997; Kenneth Reid, Reinhard Zimmermann (Hg.), A History of Private Law in Scotland, 2 Bde., 2000; Elspeth Reid, David Carey Miller (Hg.), A Mixed Legal System in Transition: T.B. Smith and the Progress of Scots Law, 2005; W.M. Gloag, R. Candlish Henderson (nunmehr hg. von Lord Coulsfield, Hector L. MacQueen), The Law of Scotland, 12. Aufl. 2007.

Quellen

Regiam Majestatem, The Auld Lawes and Constitutions of Scotland, collected by John Skene of Curriehill 1609, neu hg. und übersetzt von Lord Cooper, Stair Society, Bd. 11, 1947; Sir Thomas Craig of Riccarton, Jus Feudale, 1. Aufl. 1655, 3. Aufl. hg. von J. Baillie, 1732, übersetzt von Lord Clyde, 1934; James Dalrymple, Viscount Stair, Institutions of the Law of Scotland, 1. Aufl. 1681, 2. Aufl. 1693 (neu hg. von D.M. Walker, 1981); Sir George Mackenzie of Rosehaugh, The Institutions of the Law of Scotland, 1. Aufl. 1684, 8. Aufl. 1758; Andrew McDouall, Lord Bankton, An Institute of the Laws of Scotland in Civil Rights 1751–53 (Nachdruck durch die Stair Society, Bde. 41–43, 1993–95); John Erskine of Carnock, Principles of the Law of Scotland, 1. Aufl. 1754, 21. Aufl. hg. von J. Rankine, 1911; John Erskine of Carnock, An Institute of the Law of Scotland, 1773, 8. Aufl. hg. von J.B. Nicholson, 1871 (ND 1989); Baron David Hume, Lectures 1786–1822, hg. von G.C.H. Paton, Stair Society, Bde. 5, 13, 15, 17–19, 1939–58; George Joseph Bell, Commentaries on the Law of Scotland and on the Principles of Mercantile Jurisprudence, 2. Aufl. 1810, 7. Aufl. hg. von J. M’Laren, 1890 (ND 1990); George Joseph Bell, Principles of the Law of Scotland, 1. Aufl. 1829, 10. Aufl. hg. von W. Guthrie, 1899 (ND 1989).

Abgerufen von Scholastik – HWB-EuP 2009 am 20. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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