Kartellverbot und Freistellung

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von Reinhard Ellger

Die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags dienen dazu, ein System zu errichten, „das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“ (Art. 3(1)(g) EG). Einen wichtigen Bestandteil dieses Systems bildet das in Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV enthaltene Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen Unternehmen, von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und von abgestimmten Verhaltensweisen, soweit diese geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (kurz: Kartellverbot).

Art. 81 EG/‌101 AEUV ist dreigliedrig aufgebaut: der erste Absatz der Vorschrift enthält ein umfassendes und durch Regelbeispiele erläutertes Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen zwischen Unternehmen. Der zweite Absatz zieht aus dem Verbot die zivilrechtliche Konsequenz: er erklärt Verträge, die unter das Verbot fallen, für nichtig. Der dritte Absatz enthält die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise wettbewerbsbeschränkende Absprachen vom Verbot des Abs. 1 freigestellt sind.

1. Sinn und Zweck des Kartellverbots

Der Wettbewerb im Binnenmarkt ist ein zentrales Element der europäischen Wirtschaftsverfassung. Er entsteht in der Regel dadurch, dass die Marktteilnehmer, vor allem die Unternehmen, aber auch die Verbraucher von ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit Gebrauch machen, die ihnen durch die Grundfreiheiten des EG- bzw. AEUVes eröffnet wird. Die Funktionen des Wettbewerbs (Steigerung der Effizienz, Konsumentensouveränität, Anpassungsflexibilität, Verteilung des Markteinkommens) können jedoch nur realisiert werden, wenn die am Markt tätigen Unternehmen sich gegenüber ihren Konkurrenten, Lieferanten und Kunden selbständig verhalten. Gebrauchen die Unternehmen die ihnen eingeräumte Privatautonomie dazu, sich ihrer Handlungsfreiheit im Wettbewerb zu begeben, indem sie z.B. im Zusammenwirken mit ihren Konkurrenten festlegen, zu welchen Mindestpreisen sie ihre Produkte an Kunden veräußern, so wird der Wettbewerb seiner Wirksamkeit beraubt. Der EuGH hat die Bedeutung dieses sog. „Selbständigkeitspostulats“ für das Funktionieren des Wettbewerbs mehrfach hervorgehoben, indem er feststellte, dass „jeder Unternehmer selbst bestimmt, welche Politik er auf dem gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt, eingeschlossen der Wahl der Personen, denen er Angebote unterbreitet und verkauft“. Zwar dürften sich die Unternehmen dem Verhalten der Konkurrenten „mit wachem Sinn“ anpassen. Das Selbständigkeitspostulat stehe jedoch „streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht“ (EuGH verb. Rs. 40–48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/‌73 – Suiker Unie, Slg. 1975, 1663, Rn. 173 f.).

Das Kartellverbot dient damit dem Zweck, die Unternehmen daran zu hindern, sich durch den (Fehl‑)Gebrauch ihrer Privatautonomie ihrer Handlungsfreiheit (= Selbständigkeit) in Bezug auf ihre wettbewerblichen Handlungsmöglichkeiten (Parameter) wie z.B. Preise, Konditionen, Kundendienst, Auswahl der Kunden, Werbung etc. zu berauben und dadurch den Wettbewerb zu beseitigen oder einzuschränken.

2. Das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen

Zur Durchsetzung des „Selbständigkeitspostulats“ sieht Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV ein weitreichendes und umfassendes Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden vor. Die sachliche Reichweite dieses Verbots beschränkt sich nicht auf wettbewerbswidrige Abreden von Unternehmen, die auf der gleichen Produktions- oder Distributionsstufe stehen und die daher Konkurrenten sind (horizontale Wettbewerbsbeschränkungen; dies sind die Kartelle im eigentlichen Sinn), sondern erfasst auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und daher nicht im Wettbewerb zueinander stehen (vertikale Wettbewerbsbeschränkungen).

a) Unternehmen

Das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV richtet sich an Unternehmen. Nach dem funktionalen Unternehmensbegriff sind damit alle wirtschaftlich handelnden Einheiten, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung erfasst. Durch den funktionalen Unternehmensbegriff werden einerseits der hoheitlich handelnde Staat und andererseits der private Verbraucher als Adressaten des Kartellverbots aus dem Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgesondert (Wettbewerbsregeln, Anwendbarkeit). Die Vorschrift richtet sich nach ihrem Sinn und Zweck dagegen, dass Unternehmen ihr Marktverhalten untereinander abstimmen und dadurch den Wettbewerb behindern.

b) Mittel der Wettbewerbsbeschränkung

Als Instrumente solcher Abstimmung nennt Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen sowie abgestimmte Verhaltensweisen, wobei letztere sowohl von Unternehmen wie auch von Unternehmensvereinigungen praktiziert werden können. Der Begriff der „Vereinbarung“ lehnt sich zwar an das überkommene Konzept des Vertrages an. Bereits die Formulierung „alle Vereinbarungen“ deutet jedoch an, dass die Väter des Vertrages eine weite Auslegung des Begriffs beabsichtigt haben. Die Auslegung des Begriffs der Vereinbarung durch die Gemeinschaftsgerichte geht denn auch wesentlich über das Verständnis der Vereinbarung als Vertrag hinaus. Der EuGH versteht unter Vereinbarung jede Willensübereinstimmung zwischen Unternehmen, durch die diese ihren Willen ausdrücken, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten (EuGH Rs. C-49/‌92 P – Anic Partezipazioni, Slg. 1999, I-4125, Rn. 130), wobei es gleichgültig ist, ob diese Willensübereinstimmung schriftlich niedergelegt oder rein mündlich erklärt wird oder ob sie ausdrücklich oder konkludent abgeschlossen wird. Ebenso wenig verlangt eine Vereinbarung nach Art. 81(1)/‌101(1) AEUV, dass die beteiligten Unternehmen ihrer Vereinbarung einen Rechtsbindungswillen beilegen. Erfasst werden auch sog. Gentlemen´s Agreements, die von vornherein durch die beteiligten Unternehmen rechtlich unverbindlich abgeschlossen werden, die Parteien aber einer gewissen wirtschaftlichen oder moralischen Verpflichtung unterwerfen. Im Schrifttum ist die Frage des Rechtsbindungswillens als Bestandteil des Vereinbarungsbegriffs umstritten; wichtig für den Anwendungsbereich des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV ist dies nicht, da Willensübereinstimmungen ohne Rechtsbindungswillen als abgestimmte Verhaltensweisen erfasst werden. Unter den Begriff der Vereinbarung i.S.v. Art. 81(1) EG/‌ 101(1) AEUV fallen auch wettbewerbsbeschränkende Absprachen, die im Rahmen von Austauschverträgen, bei denen die Parteien keine gemeinsame Zwecksetzung verfolgen, getroffen werden. Das EuG lässt für die Annahme einer Vereinbarung genügen, dass die Parteien eine Verständigung über ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten gefunden haben (siehe z.B. EuG Rs. T-317/‌94 – Weig, Slg. 1998, II-1241, Rn.134; EuG Rs. T334/‌94 – Sarrio, Slg. 1998, II-1439, Rn. 118; EuG verb. Rs. T-25/‌95 u.a. – SA Cimenteries CBR, Slg. 2000, II-491, Rn. 1353 u. 1389).

Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise hat im Rahmen des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV die Funktion eines Auffangtatbestands, der Fälle der Verhaltenskoordination von Unternehmen erfassen soll, die nicht als Vereinbarung qualifiziert werden können oder in denen eine Vereinbarung nicht nachweisbar ist. Unter einer abgestimmten Verhaltensweise ist eine Verhaltenskoordination von Unternehmen in Bezug auf ihr Marktverhalten zu verstehen, die noch nicht die Merkmale einer Vereinbarung – also eine auf ausdrücklicher oder konkludenter Erklärung beruhende, als rechtlich oder moralisch-faktisch verbindlich vorgestellte Willensübereinkunft – erfüllt, sondern durch die die beteiligten Unternehmen die praktische Zusammenarbeit ohne jede rechtliche oder sonstige Verbindlichkeit an die Stelle des für sie mit Risiken und Ungewissheiten verbundenen Wettbewerbs treten lassen (EuGH Rs. 49/‌69 – ICI, Slg. 1972, 619, Rn. 64 ff.). Bei den abgestimmten Verhaltensweisen handelt es sich um einen zweistufigen Tatbestand, der zum einen die Verhaltenskoordination sowie ein ihr entsprechendes tatsächliches Verhalten der an ihr beteiligten Unternehmen und schließlich eine ursächliche Beziehung zwischen diesen beiden Elementen erfordert. In der Praxis von Europäischer Kommission und Gemeinschaftsgerichten bilden Marktinformationssysteme, durch die die an ihnen beteiligten Unternehmen die Ungewissheit über die Reaktion ihrer Konkurrenten auf das eigene Verhalten am Markt so verringern können, dass der Wettbewerb in erheblicher Weise eingeschränkt wird (Beispiel: EuGH Rs. C-7/‌95 P – John Deere, Slg. 1998, I-3111, Rn. 88 ff.), die wichtigsten Beispielsfälle abgestimmter Verhaltensweisen. Abgestimmte Verhaltensweisen widersprechen ebenso wie Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen dem bereits eingangs erwähnten Selbständigkeitsprinzip (EuGH Rs. C-7/‌95 P – John Deere, Slg. 1998, I-3111, Rn. 87). Von der abgestimmten Verhaltensweise ist das sog. autonome Parallelverhalten von Unternehmen abzugrenzen, welches nicht unter das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV fällt. Das Selbständigkeitspostulat hindert die Untenehmen nicht, sich dem Marktverhalten von Konkurrenten „mit wachem Sinn“ anzupassen, soweit diese Anpassung nicht auf einer Willensübereinstimmung und Fühlungnahme zwischen den Unternehmen beruht. Die Abgrenzung zwischen abgestimmter Verhaltensweise und autonomem Parallelverhalten ist in der Praxis, vor allem auf oligopolistischen Märkten, mitunter schwierig.

Der Wettbewerb kann nicht nur durch Vereinbarungen und abgestimmtes Verhalten unmittelbar zwischen den beteiligten Unternehmen beschränkt werden; solche Wirkungen können Unternehmen auch durch die gleichfalls verbotenen Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen erzielen, in denen sie zusammengeschlossen sind, um ihre gemeinsamen Interessen in der Öffentlichkeit zu vertreten.

c) Das Konzept der Wettbewerbsbeschränkung

Die in Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV genannten Vereinbarungen, abgestimmten Verhaltenweisen und Beschlüsse sind nur verboten, wenn sie „eine Verhinderung, Einschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken“. Dabei stellt die „Verhinderung“ lediglich eine besonders weitgehende Einschränkung des Wettbewerbs dar. Die Tatbestandsmerkmale der Verhinderung und der Einschränkung werden daher im Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst. Eine gewisse eigenständige Bedeutung kommt dem Element der Wettbewerbsverfälschung zu; darunter fallen Maßnahmen von Unternehmen, die zu einer künstlichen Veränderung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt führen und die daher mit dem Ziel eines Systems unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar sind, wie z.B. die Errichtung eines Fonds durch Unternehmen zur Zahlung von Ausfuhrbeihilfen.

Das Konzept der Wettbewerbsbeschränkung stellt das zentrale Tatbestandsmerkmal des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV dar. Es erfasst nach der Rechtsprechung des EuGH Handlungsbeschränkungen der an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen in ihrem Marktverhalten, indem sie die ihnen eingeräumte Privatautonomie dazu gebrauchen, sich der ihnen im Wettbewerb offenstehenden Optionen zu selbständigem Verhalten in Bezug auf Wettbewerbsparameter wie Preise, Konditionen, Rabatte, Kundendienst, Werbung etc. zu begeben. Die Kommission stellt in jüngerer Zeit für bestimmte Fallgruppen (bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen) auch auf die Einschränkung von Wahl- und Handlungsmöglichkeiten anderer Marktakteure, insbesondere der Verbraucher ab. Schutzwürdig ist der Wettbewerb in all seinen Erscheinungsformen, die sowohl den aktuellen wie den potentiellen Wettbewerb umfassen. Geschützt ist der lautere Wettbewerb. Art. 81 EG/‌101 AEUV unterscheidet auch nicht zwischen horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen (Abreden zwischen Wettbewerbern) und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen (Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen). Der Tatbestand des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV differenziert zwischen Vereinbarungen und sonstigen Maßnahmen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken und solchen Vereinbarungen und sonstigen Maßnahmen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken. Eine Vereinbarung bezweckt eine Wettbewerbsbeschränkung, wenn sie nach ihrem Inhalt und den sonstigen tatsächlichen Begleitumständen objektiv geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Auf die subjektiven Motive der Vertragsparteien kommt es nicht an. Kann einer Vereinbarung ein wettbewerbsbeschränkender Zweck zugeordnet werden, ist die Untersuchung ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf die Marktverhältnisse entbehrlich (EuGH verb. Rs. 56/‌64 und 58/‌64 – Consten und Grundig, Slg. 1966, 322, 390). Weist eine Maßnahme hingegen keinen wettbewerbsbeschränkenden Zweck auf, so ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu untersuchen, ob die Maßnahme eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt. Dies ist durch einen Vergleich der tatsächlichen Marktverhältnisse, wie sie sich mit der Vereinbarung darstellen, mit den hypothetischen Verhältnissen, wie sie sich ohne Vereinbarung ergeben hätten zu ermitteln (EuGH Rs. 56/‌65 – Société technique minière, Slg. 1966, 282, 303).

Das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV soll nur solche Wettbewerbsbeschränkungen erfassen, die sich spürbar auf den gemeinsamen Markt auswirken. Die Kommission hat daher bereits seit langem unter Billigung des EuGH (siehe etwa EuGH Rs. 56/‌65 – Société technique minière, Slg. 1966, 282, 303f; EuGH Rs. 5/‌69 – Völk/‌ Verwaecke, Slg. 1969, 295, Rn. 7; EuGH Rs. C-306/‌96 – Javico/‌Yves Saint Laurent, Slg. 1998, I-1983, Rn. 20) das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit entwickelt, um wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die sich nur geringfügig und wenig fühlbar auf dem gemeinsamen Markt auswirken, aus dem Anwendungsbereich von Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV auszusondern. Fehlt es an der Spürbarkeit, verstößt eine Vereinbarung trotz ihres wettbewerbsbeschränkenden Inhalts nicht gegen das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV. Nach der de-minimis-Bekanntmachung der Kommission (ABl. 2001 C 368/‌13) schränkt eine horizontale Vereinbarung den Wettbewerb dann nicht spürbar ein, wenn sie zwischen Unternehmen abgeschlossen ist, die zusammen nicht mehr als 10 % Marktanteil aufweisen. Bei vertikalen Beschränkungen ist die Schwelle der Spürbarkeit nicht überschritten, wenn keines der beteiligten Unternehmen einen Anteil von mehr als 15 % an den relevanten Märkten hat. Das Spürbarkeitskriterium gilt jedoch nicht für bestimmte, in der de-minimis-Bekanntmachung genannte Kernbeschränkungen, die bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Sie führen unabhängig von ihrer Spürbarkeit zu einem Verstoß gegen Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV und sind daher verboten.

Schließlich setzt die Anwendbarkeit des Kartellverbots voraus, dass die wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel, Wettbewerbsregeln, Anwendbarkeit).

Art. 81(1) Hs. 2 EG/‌101(1) Hs. 2 AEUV nennt zur Konkretisierung des Verbotstatbestands im Hs. 1 der Vorschrift eine Reihe von Regelbeispielen, wie z.B. die Festsetzung der An- oder Verkaufspreise.

3. Freistellung vom Kartellverbot

Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV sieht unter den in der Vorschrift genannten vier Voraussetzungen vor, dass eine Vereinbarung, die wegen Verstoßes gegen Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV verboten ist, von diesem Verbot freigestellt ist. Der Freistellung vom Kartellverbot liegt die Annahme zugrunde, dass Kooperationen zwischen selbständigen Unternehmen, die wettbewerbsbeschränkende Wirkungen aufweisen, dessen ungeachtet zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinnen führen können, die die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen. Die Rechtswirkung der Freistellung führt dazu, dass nach Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV verbotene Vereinbarungen legal praktiziert werden dürfen, wenn sie die in Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV genannten Voraussetzungen erfüllen. Die vier Voraussetzungen dieser Vorschrift müssen kumulativ erfüllt sein, um eine Freistellung herbeizuführen.

a) Voraussetzungen der Freistellung

Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV verlangt, dass die Vereinbarung a) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zum technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt beiträgt, b) die Verbraucher am entstehenden Gewinn angemessen beteiligt werden, c) sich die beteiligten Unternehmen keine Beschränkungen auferlegen, die zur Erreichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind und d) schließlich den Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschließen. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Verbesserung der Warenerzeugung und ‑verteilung werden quantitative (Kosteneinsparungen, z.B. durch Größenvorteile in der Produktion oder Distribution) oder qualitative (Entwicklung und Vermarktung eines verbesserten oder neuen Produkts, Anwendung neuer Verfahren etc.) Effizienzverbesserungen erfasst, die durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung herbeigeführt werden sollen. Die Effizienzsteigerungen müssen hinreichend substantiiert werden; zwischen ihnen und der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung muss Kausalität bestehen. Nach gefestigter Rspr. des EuGH und Verwaltungspraxis der Kommission können dabei nur objektive Vorteile berücksichtigt werden. Eine „Verbesserung“ i.S.v. Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV liegt vor, wenn die zu erwartenden Vorteile aus der Vereinbarung die durch die Wettbewerbsbebschränkung verursachten Nachteile aufwiegen. Die angemessene Verbraucherbeteiligung setzt voraus, dass den Verbrauchern von den durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung erwirtschafteten Effizienzgewinnen zumindest soviel, z.B. in Form von Preissenkungen oder Leistungsverbesserungen, zufließt, dass die ihnen durch die Wettbewerbsbeschränkung zugefügten Nachteile ausgeglichen werden. Eine angemessene Verbraucherbeteiligung ist am ehesten in Märkten zu erwarten, auf denen ein hinreichend starker Wettbewerb die Unternehmen zur Weitergabe von Kosteneinsparungen und sonstigen Vorteilen zwingt. Das Erfordernis der Unerlässlichkeit knüpft die Freistellung vom Kartellverbot an die strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: die Wettbewerbsbeschränkungen, die die Parteien sich durch ihre Vereinbarung auferlegen, dürfen nicht weiter gehen als für die Erreichung der positiven Ziele der Kooperation unbedingt erforderlich. Für die Prüfung des letzten Freistellungskriteriums, nämlich, dass der Wettbewerb auf dem relevanten Markt durch die Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden darf, kommt es vor allem – aber nicht allein – auf den aggregierten Marktanteil an, den die an der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen haben. Je höher dieser ist, desto höher ist die Gefahr einzuschätzen, dass die Unternehmen den Wettbewerb auf dem relevanten Markt ausschließen können. Neben den Marktanteilen sind aber auch alle sonstigen wirtschaftlichen Umstände zu berücksichtigen, die den Wettbewerb auf dem relevanten Markt beeinflussen. Dazu gehören etwa der trotz der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung verbleibende aktuelle wie auch der potentielle Wettbewerb.

b) Freistellung einzelner Vereinbarungen – Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV als Legalausnahme

Seit dem Inkrafttreten der VO 1/‌2003 am 1.5.2004 handelt es sich bei der Freistellungsvorschrift des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV um eine Legalausnahme vom Kartellverbot. Demzufolge ist eine gegen Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV verstoßende Vereinbarung ex lege und ohne kartellbehördliche Entscheidung vom Kartellverbot freigestellt und kann legal praktiziert werden, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllt. Im vor dem 1.5.2004 herrschenden Rechtszustand war zwar das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV unmittelbar anwendbar (z.B. durch die Kartellbehörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten), nicht aber die Freistellungsvorschrift Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV. Eine Freistellung konnte damals nur durch die Kommission erklärt werden (sog. Freistellungsmonopol der Kommmission, Art. 9(1) VO 17/‌62); die Vorschrift war demzufolge nur mittelbar anwendbar.

c) Gruppenweise Freistellung

Neben der Einzelfreistellung stehen Gruppenfreistellungen (Gruppenfreistellungsverordnungen), zu deren Erlass die Kommission durch verschiedene Ratsverordnungen ermächtigt wird.

Die Gruppenfreistellung unterliegt denselben materiellrechtlichen Voraussetzungen wie die Einzelfreistellung. In der Praxis kommt den Gruppenfreistellungsverordnungen eine große Bedeutung zu, weil durch sie eine Vielzahl von Vereinbarungen vom Kartellverbot freigestellt wird, ohne dass die beteiligten Unternehmen die unbestimmten und vagen Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV prüfen müssten. Insoweit tragen die Gruppenfreistellungsverordnungen zur Rechtssicherheit bei.

3. Zivilrechtliche Folgen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot

Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV bestimmt, dass Vereinbarungen oder Beschlüsse, die dem Verbot des Abs. 1 dieser Vorschrift unterfallen, nichtig sind. Es handelt sich dabei um die einzige Vorschrift des Vertrages, die unmittelbare zivilrechtliche Rechtsfolgen für privatautonom abgeschlossene Rechtsgeschäfte anordnet.

a) Nichtigkeit

Die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV trifft Vereinbarungen und Beschlüsse, die Wettbewerbsbeschränkungen i.S.v. Abs. 1 der Vorschrift bezwecken oder bewirken und die nicht nach den Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV freigestellt sind. Der Begriff der Nichtigkeit entstammt zwar den Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, hat sich jedoch als Konzept des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zu diesen verselbständigt und ist daher autonom nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auszulegen. Dem Schutzzweck des Art. 81 EG/‌101 AEUV entsprechend hat die Rechtsprechung des EuGH die Rechtsfolge der Nichtigkeit in Abs. 2 dieses Artikels immer dahin ausgelegt, dass sie absolut wirkt (siehe etwa EuGH Rs. 22/‌71 – Béguelin, Slg. 1971, 949, Rn. 29; EuGH Rs. 319/‌82 – Sociéte de Vente des Ciments et Bétons/‌Kerpen&Kerpen, Slg. 1983, 4173). Der Grundsatz der Absolutheit bedeutet, dass die wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot nichtigen Vereinbarungen oder Beschlüsse keinerlei rechtliche Wirkungen zwischen denen an ihnen beteiligten Parteien oder zwischen diesen und Dritten erzeugen können. Hinzu kommt, dass sich jedermann in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren auf die Nichtigkeit der Vereinbarungen oder Beschlüsse berufen kann. Allerdings geht die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV nur soweit, wie es erforderlich ist, um den Schutz des Wettbewerbs sicherzustellen. Unterfallen einzelne Vertragsbestandteile nicht dem Verbotstatbestand des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV und sind sie von den verbotenen Bestandteilen abtrennbar, so richtet sich ihr rechtliches Schicksal mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung nach den entsprechenden Vorschriften des mitgliedstaatlichen Vertragsrechts. Im deutschen Recht ist insoweit § 139 BGB über teilnichtige Rechtsgeschäfte einschlägig.

b) Sonstige Sanktionen

Neben der unmittelbaren Rechtsfolge der Nichtigkeit sieht das europäische Gemeinschaftsrecht keine Normen für mittelbare Folgen der Verletzung des Kartellverbots vor. Allerdings hat nach der Rechtsprechung des EuGH jeder Geschädigte Anspruch auf Ersatz des kartellbedingten Schadens (EuGH Rs. C-453/‌99 – Courage/‌Crehan, Slg. 2001, I-6297; Kartellrecht, private Durchsetzung). Die Mitgliedstaaten sind demzufolge verpflichtet, in ihrem innerstaatlichen Recht entsprechende Rechtsgrundlagen für den Schadensausgleich vorzusehen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der 7. GWB-Novelle darauf reagiert und in § 33 GWB Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche für Personen vorgesehen, die durch eine Verletzung von Art. 81 EG/‌101 AEUV geschädigt worden sind.

Darüber hinaus kann ein Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV auch kartellbehördliche Sanktionen auslösen: so kann die Kommission gegen die beteiligten Unternehmen eine Untersagungsentscheidung nach Art. 7 VO 1/‌2003 oder Geldbußen bzw. Zwangsgelder gemäß Art. 23 f. VO 1/‌2003 verhängen. Analoge Befugnisse sieht das deutsche GWB für den Vollzug von Art. 81 EG/‌101 AEUV durch das Bundeskartellamt vor. Gegenwärtig erwägt die Kommission Maßnahmen, um dem Element der privaten Durchsetzung des Kartellrechts gegenüber dem behördlichen Vollzug eine stärkere Rolle einzuräumen.

Literatur

D.G. Goyder, EC Competition Law, 3. Aufl. 1998, 75 ff.; Laurence Idot, Droit Communautaire de la Concurrence, 2004; Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, §§ 7–14; Filippo Amato, Gonzalez Diaz, Art. 81, in: Ulrich Loewenheim, Karl M. Meessen, Alexander Riesenkampff (Hg.), Kartellrecht, Bd. 1, 2005; Volker Emmerich, Kartellrecht, 11. Aufl. 2008, §§ 4–8; Reiner Schulze, Manfred Zuleeg (Hg.), Europarecht, 2006, § 16 B-D; Jonathan Faull, Ali Nikpay (Hg.), The EC Law of Competition, 2. Aufl. 2007, 3.01-3.453 und 7.01-9.359; Reinhard Ellger, Art. 81 Abs. 3 EG, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2007; Peter Roth, Vivien Rose (Hg.), Bellamy & Child European Community Law of Competition, 6. Aufl. 2008.

Abgerufen von Kartellverbot und Freistellung – HWB-EuP 2009 am 29. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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