Produkthaftung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 17:40 Uhr

von Florian Bruder

1. Gegenstand und Zweck

Der durch das US-amerikanische Recht geprägte Begriff der Produkthaftung bezeichnet die Haftung eines Herstellers für Schäden, die von ihm hergestellte Waren an Rechtsgütern Dritter verursachen. Primär zielt die Haftung auf den vom Geschädigten einfach auszumachenden Endhersteller ab, aber auch die Haftung anderer am Herstellungsprozess Beteiligter wird unter den Begriff gefasst. Soweit der Begriff Produzentenhaftung nicht synonym verwendet wird, weist Produzentenhaftung auf eine verhaltensbezogene Haftung aufgrund persönlicher Verantwortung, Produkthaftung auf eine produktbezogene Haftung aufgrund Fehlerhaftigkeit des Produkts nach der Produkthaftungs-RL (RL 85/‌374) bzw. den nationalen Umsetzungsgesetzen hin. Im Gegensatz zum gewährleistungsrechtlichen Fehlerbegriff des Vertragsrechts kommt es bei der Produkthaftung auf individuelle Vereinbarungen der Parteien und eine Gebrauchstauglichkeit nicht an; die Verantwortung bzw. der Fehler bestimmt sich nach objektiven Maßstäben und ist beschränkt auf die die Sicherheit des Produkts betreffenden Eigenschaften bzw. diesbezüglich relevantes Verhalten des Herstellers. Im Vordergrund steht der Schutz der Integrität von Rechtsgütern, nicht wie im Vertragsrecht das Einstehenmüssen für die Enttäuschung von Vertragserwartungen.

a) Regelungsproblem und Lösungsansätze

Die Entwicklung des besonderen Haftungsregimes ging einher mit dem Aufkommen industrieller Massenproduktion Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Vertrieb industriell hergestellter Produkte, der typischerweise mittels einer vom Hersteller unabhängigen und dem Verbraucher unbekannten Vertriebskette erfolgte, stellte jede Rechtsordnung vor die Frage, wie das herkömmliche Recht eine unmittelbare Haftung des Herstellers auch gegenüber dem Endkäufer, möglichen Rechtsnachfolgern und unbeteiligten Dritten (sog. innocent bystanders) verwirklichen sollte. Eine Haftung des Verkäufers bzw. des Herstellers entlang der Vertriebskette wurde als unzureichend angesehen. Vielfach besteht kein Anspruch gegen den Verkäufer, da ihn gegenüber dem Käufer weder vertragsrechtliche noch deliktische Pflichten im Hinblick auf die sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Produktes bzw. diesbezüglich relevantes Verhalten des Herstellers treffen. In der Regel ist der Hersteller auch um ein Vielfaches zahlungskräftiger und kann das Haftungsrisiko besser beurteilen, vermeiden und gegebenenfalls versichern als der Verkäufer. Eine vertragliche Haftung entlang der Vertriebskette, bei der der Hersteller den Schaden endgültig zu tragen hätte, steht vor dem Problem, dass die einzelnen Vertragsverhältnisse der Kette unabhängig voneinander beurteilt werden und nicht unbedingt die gleichen vertraglichen Pflichten enthalten. In den Grenzen der Vertragsfreiheit bestünde für jedes Glied der Kette zudem die Möglichkeit, die Haftung vertraglich auszuschließen. Auch wurde als unbillig angesehen, dass nicht der Hersteller, sondern willkürlich nur jedes Glied der Vertriebskette alleine das Insolvenzrisiko seines jeweiligen Vorverkäufers tragen müsste. Ein unbeteiligter Dritter hätte mangels Vertragsverhältnis in der Regel keinen Schadenersatzanspruch, nachdem Dritte nicht ohne weiteres in den Schutzbereich fremder Vertragsverhältnisse einbezogen sind. Für eine unmittelbare Haftung des Herstellers boten sich sowohl vertrags- als auch deliktsrechtliche Lösungen an. Entweder man erweiterte den Kreis der Vertragsgläubiger bzw. vertraglich geschützter Personen oder man erkannte deliktische Sorgfaltspflichten auch gegenüber Personen an, die im Zusammenhang mit dem Produkt einen Schaden erlitten. Frankreich sowie Belgien und Luxemburg, deren Zivilrecht jeweils auf den französischen Code civil zurückgeht, wählten eine vertragliche Lösung, indem sie einen direkten vertraglichen Anspruch (action directe) gewährten. Die anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen suchten überwiegend Lösungen auf deliktsrechtlicher Grundlage. Gleiches gilt für das englische Recht, das die Grundsätze des tort of negligence anwandte, wenn es auch später daraus eine strict liability entwickelte. In Österreich beispielsweise konnte aber auch ein Zusammenspiel von deliktischen und vertraglichen Ansprüchen beobachtet werden.

Eine deliktische Haftung stellt den Geschädigten bei arbeitsteiliger Produktion vor das Problem, die persönliche Verantwortung des Herstellers bzw. die Zurechnung der Verantwortung an der Herstellung Beteiligter nachweisen zu müssen, obwohl er von der Produktionsweise, den internen Produktionsabläufen und ‑beteiligten keine Kenntnis hat. In Deutschland wurden die Entlastungsmöglichkeiten zudem als zu weitgehend empfunden (vgl. Gehilfenhaftung aufgrund § 831 Abs. 1 S. 2 BGB und Haftung für Organisationsverschulden nach § 823 Abs. 1 BGB).

Diese Hürden wurden mittels einer Umkehr der Beweislast zugunsten des Geschädigten überwunden (vgl. z.B. in England unter Anwendung des Prinzips der res ipsa loquitur). In Deutschland wurde sie später auch auf den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität ausgedehnt (vgl. Einführung einer Befundsicherungspflicht). Als Begründung für die Umkehr der Beweislast führte der BGH im wegbereitendenden Hühnerpest-Urteil (26.11.1968, BGHZ 51, 91, 107) ausdrücklich die „moderne Entwicklung der Warenproduktion“ an, „… an der oft nachträglich nur schwer zu ermittelnde Personen oder Maschinen beteiligt sind und die auf nur noch vom Fachmann zu durchschauenden und zu kontrollierenden Fertigungsprozessen beruht“. Stimmen der Literatur, die in den 1960er Jahren die US-amerikanische Entwicklung aufgriffen und neue methodische Ansätze für das deutsche Recht zu entwickeln versuchten, setzten sich nicht durch.

b) Entwicklung der Produkthaftung

Insgesamt beeinflusste die US-amerikanische Auseinandersetzung mit der Produkthaftung als ein eigenes Rechtsgebiet jedoch das europäische Rechtsdenken, insbesondere in den Niederlanden, Deutschland, Italien und England, in dieser Zeit nachhaltig. Auf Gemeinschaftsebene fielen diese Denkanstöße in den Folgejahren dann auch methodisch auf fruchtbaren Boden. Kurz zuvor hatte in den meisten europäischen Ländern die Contergan-Katastrophe vor Augen geführt, welche fürchterlichen Auswirkungen „moderne Produkte“ haben können.

Mit Präzisierung der Sorgfaltspflichten durch Herausbildung der Kategorien Fabrikationsfehler, Konstruktionsfehler und Instruktionsfehler, verobjektivierte und verschärfte die deutsche Rechtsprechung den Verschuldensmaßstab weiter und näherte sie damit einer verschuldensunabhängigen Haftung an. Diese Entwicklung zeichnete sich ebenso in allen anderen europäischen Staaten ab, wenn auch vielfach nicht so offen bzw. auf andere Weise. Soweit der Geltungsbereich der Grundsätze in manchen Ländern zunächst auf Fälle industrieller Fertigung beschränkt worden war, wurde er später konsequenterweise auch auf die Warenherstellung kleiner Handwerksbetriebe ausgedehnt: Hatte das Aufkommen moderner industrieller Fertigungsweisen zunächst als Argument gedient, stellte sich heraus, dass ähnliche Nachweisprobleme eben nicht nur in derartigen Fällen bestehen (vgl. insbesondere zum deutschen Recht BGH 19.11.1991, BGHZ 116, 104).

Mit Verabschiedung der Produkthaftungs-RL entschied sich der Gemeinschaftsgesetzgeber für eine außervertragliche Lösung, deren Regelungen im Einzelnen jedoch stark umstritten waren. Erst nach langen Verhandlungen konnte man sich 1985 auf einen Minimalkonsens einigen, der den Mitgliedstaaten weiterhin Umsetzungsoptionen in strittig gebliebenen Fragen überließ (Haftung für Entwicklungsrisiken [Art. 7(e), 15 und Erwägungsgrund 16], Ersatz von Nichtvermögensschaden [Art. 9 S. 2], Haftungshöchstgrenzen [Art. 16]). Die Produkthaftungs-RL führte eine eigenständige, herstellerspezifische Haftungsgrundlage ein, die sich auch dogmatisch von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterschied, indem der Produktfehler zu einem eigenständigen haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmal erhoben wurde. Dementsprechend setzten die Mitgliedstaaten die Richtlinie überwiegend in Spezialgesetzen um. Die genaue dogmatische Einordnung der Richtlinienhaftung ist nach wie vor umstritten. Vielfach wird sie als „verschuldensunabhängige Unrechtshaftung“ oder „objektive Haftung“ bezeichnet. Soweit man für eine Verschuldenshaftung subjektive Vorwerfbarkeit erforderlich hält, kann die Richtlinie darunter jedenfalls nicht gefasst werden; der Hersteller haftet gemäß Art. 1 dem Geschädigten ohne Weiteres, wenn durch einen Fehler des von ihm in den Verkehr gebrachten Produkts Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden. Auch die dogmatische Rechtfertigung als Gefährdungshaftung ist zweifelhaft, da sich die Produktion von Waren eigentlich bei Beachtung der möglichen und wirtschaftlich zumutbaren Sicherheitsmaßnahmen nicht allgemein als Gefahrenquelle mit besonderer Schadensneigung darstellt. Grundsätzlich überzeugt eine dogmatische Einordnung als Haftung für objektive Sorgfaltswidrigkeit, jedenfalls für den Bereich von Konstruktions- und Instruktionsfehlern. Für den Bereich von Fabrikationsfehlern nähert sie sich, ähnlich der Tendenz der BGH-Rechtsprechung zur deliktischen Produkthaftung, einer strikten Haftung an. Denn auch Ausreißer, die sich selbst unter Einsatz aller möglichen und wirtschaftlich zumutbaren Sorgfalts- und Qualitätssicherungsmaßnahmen nicht vermeiden lassen, lösen eine Haftung aus. Folgt man dieser Einordnung, hätte sie Ähnlichkeit mit der Regelung des Restatements (Third) of Torts (1998), das versucht, den Zustand des US-amerikanischen Delikts- bzw. Produkthaftungsrechts wiederzugeben.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Die Richtlinie hat trotz gegenteiliger Befürchtungen der Industrie auf nationaler Ebene keine allzu großen Veränderungen gebracht. Die Haftungsstandards in den einzelnen Mitgliedstaaten scheinen kaum strikter geworden zu sein; eine Erhöhung der Versicherungspolicen für Hersteller ist nicht bekannt. Die Gründe dafür sieht man überwiegend im begrenzten Regelungsbereich der Richtlinie und den geringen Unterschieden zwischen überkommener nationaler Produkthaftung und nationalen Umsetzungsgesetzen. Vielfach ist die Umsetzung der Richtlinie zudem hinter den allgemeinen nationalen Haftungsregimen zurückgeblieben und hatte dementsprechend geringe praktische Relevanz. In Deutschland konnte z.B. immaterieller Schadensersatz bis 2002 nicht nach dem Produkthaftungsgesetz geltend gemacht werden. Schmerzensgeld ist jedoch mit die wichtigste Motivation für individuelle Schadenersatzklagen, da persönliche Schäden in der Regel durch Kranken- und Sozialversicherungen abgedeckt werden. Soweit ersichtlich, hat der Anspruch auf Grundlage der Produkthaftungsrichtlinie aber auch seitdem keine besondere Bedeutung erlangt (abgesehen von der Haftung für sog. Ausreißerfälle). Jedoch scheint auch die Anzahl der Produkthaftungsfälle überhaupt zurückzugehen. Teilweise wird vermutet, dass aufgrund der immer größer gewordenen Bedeutung von Image und Reputation vermehrt Vergleiche geschlossen bzw. Rückrufaktionen auf Kulanzbasis durchgeführt werden.

In den ersten zehn Jahren nach Ablauf der Umsetzungsfrist gab es dementsprechend keine und auch bis heute kaum EuGH-Rechtsprechung. In einer Reihe von Urteilen wurde jedoch grundlegend klargestellt, dass die Richtlinie in ihrem Regelungsbereich eine vollständige Harmonisierung anstrebe und die Mitgliedstaaten weder haftungsmindernd noch haftungsverschärfend, also auch nicht zu Gunsten des Verbrauchers, von den Konzepten der Richtlinie abweichen dürften (EuGH Rs. C-52/‌00 – Kommission und Frankreich, Slg. 2002, I-3827; EuGH Rs. C-154/‌00 – Kommission und Griechenland, Slg. 2002, I-3879; EuGH Rs. C-183/‌00 – Gonzáles Sánchez und Medicina Asturiana SA, Slg. 2002, I-3901; EuGH Rs. C-402/‌03 – Skov AEg und Bilka Lavprisvarehus A/‌S, Slg. 2006, I-199; EuGH Rs. C-177/‌04 – Kommission und Frankreich, Slg. 2006, I-2461). Nach Ansicht des EuGH sei eine vollständige Harmonisierung der Produkthaftungsvorschriften und damit der Produkthaftungskosten erforderlich, um Wettbewerbsverzerrungen und Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs zu vermeiden. Im Ergebnis verfolgt der EuGH damit eine formelle Harmonisierung eines durch Haftungspflichtige und Haftungsstandard eng definierten Kernbereichs einer Haftung für Produktschäden. Neben der eng an den Richtlinienvorschriften orientieren Umsetzung kann folglich jeder Mitgliedstaat eine Haftung für Produktschäden auf anderer Grundlage normieren, solange sie nicht auf die Produkthaftungs-RL verweist und auch nicht (allein) an das Bestehen eines die Sicherheit beeinträchtigenden Produktfehlers anknüpft. Auch wenn auf diese Weise verhindert wird, dass sich ein Kern des Produkthaftungsrecht unterschiedlich weiterentwickelt, erscheint die Abgrenzung anhand der Haftungskonzepte jedoch gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung der überkommenen nationalen Haftungsgründe eher künstlich und erschwert eine natürlich Entwicklung eines umfassenden europäischen Produkthaftungsrechts. Darüber hinaus wird grundsätzlich angezweifelt, dass eine derart formell definierte Harmonisierung überhaupt geeignet ist, Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Haftungskosten zu vermeiden; auch vor dem Hintergrund der geringen Unterschiede zwischen den Haftungsregimes sei kaum zu erwarten, dass andere Haftungskonzepte signifikant weniger Kosten verursachen.

Eine umfassende Harmonisierung der Haftung für Produktschäden sieht die Produkthaftungs-RL jedoch schon ihrer Konzeption nach nicht vor, da neben den oben genannten ausdrücklichen Optionen wichtige Fragen, wie z.B. Kausalität, Zurechenbarkeit, Schadensbestimmung (Schadensersatz) sowie Verfahrensfragen den nationalen Rechtsordnungen überlassen bleiben. Doch auch im formellen Kernbereich wird in Frage gestellt, ob eine Harmonisierung substantiell vorankommt. Es besteht der Eindruck, dass überkommene nationale Produkthaftungsprinzipien vielfach unter europäischem Deckmantel weiter angewandt werden. Sicherlich wird dies begünstigt durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bzw. unbekannter Dogmatik, wie z.B. den Begriff des Produktfehlers. Aber auch die Rechtsetzung mittels Richtlinie, die eigentlich Umsetzungsspielräume gewähren soll, scheint mit dem Verständnis des EuGH schwer zu vereinbaren. Dementsprechend regt die Europäische Kommission in ihrem Dritten Bericht zur Anwendung der Produkthaftungsrichtlinie (2006) eine europaweit einheitlichere Auslegung der Richtlinie an, um eine weitergehende Harmonisierung zu erreichen. Reformbedarf werde aktuell jedoch nicht gesehen, die Entwicklung bestimmter Bereiche solle jedoch beobachtet werden (Beweislast, Begriff des Fehlers, Entwicklungsrisiko, Selbstbeteiligung, Einwand der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, innovative Produkte).

3. Regelungsstrukturen

Die Produkthaftungs-RL knüpft allein an das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts an. Der Anspruchsgegner kann sich nur durch die in Art. 7 aufgeführten Umstände entlasten.

Aus Verbraucherschutzgründen normiert die Richtlinie eine gesamtschuldnerische Haftung aller am Produktionsprozess Beteiligten, inklusive derjenigen, die sich als Hersteller ausgeben (Quasi-Hersteller) und das Produkt in den EWR importieren; die endgültige Schadenstragung zwischen diesen bestimmt sich nach nationalem Recht (Art. 3, 5, vgl. aber Art. 7(f)). Kann der Hersteller nicht festgestellt werden und benennt ihn der Lieferant nicht in angemessener Zeit, haftet sogar der Lieferant (Art. 3(3)). Dies geht über deliktische Haftungsprinzipien hinaus. Die Verletzung herstellerspezifischer Pflichten begründet keine Haftung der Mitglieder der Vertriebskette. Nach deliktischer Produkthaftung haften auch nicht ohne Weiteres alle am Produktionsprozess Beteiligten; sie kanalisiert die Haftung auf den, in dessen Sphäre der Produktfehler entstanden ist. Ein derartiger sog. Fehlerbereichsnachweis ist durch den Geschädigten, möglicherweise erleichtert mittels Anscheinsbeweis, zu führen.

Nach der Konzeption der Richtlinie ist der Produktfehler ein Tatbestandsmerkmal der Haftung. Ob das Produkt fehlerhaft ist, also nicht die berechtigterweise zu erwartende Sicherheit bietet, ist wertend unter Berücksichtigung aller Umstände (insbesondere der in der Richtlinie genannten) zu ermitteln (Art. 6). Im Gegensatz dazu dient bei der deliktischen Produkthaftung der Beweis des Produktfehlers lediglich dazu, die Beweislast zwischen Hersteller und Geschädigten angemessen zu verteilen. Anknüpfungspunkt und Tatbestandsmerkmal der Haftung bleibt aber der Sorgfaltspflichtverstoß.

Die Möglichkeiten des Herstellers, sich von der Haftung zu entlasten, sind durch Art. 7 eingeschränkt. Im Gegensatz zur deliktischen Produkthaftung kann er sich insbesondere nicht entlasten, indem er nachweist, dass er alle möglichen und wirtschaftlich zumutbaren Sorgfalts- und Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Vermeidung des Fehlers getroffen hat (vgl. BGH 7.6.1988, BGHZ 104, 323 und BGH 9.5.1995, BGHZ 129, 353 zu Befundsicherungspflicht und sog. Ausreißerfällen). Nach Art. 7(a)-(c) kann er sich, abgesehen vom Einwand nichtkommerzieller Tätigkeit, entlasten, indem er nachweist, kein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht zu haben (entweder weil er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat oder weil es zu diesem Zeitpunkt noch fehlerfrei war). Nach deutschem Recht müsste dies zwar der Geschädigte nachweisen, wegen der Möglichkeit eines Anscheinsbeweises dürfte der praktische Unterschied jedoch gering sein. Nach Art. 7(d)-(e) kann sich der Hersteller mit dem Nachweis entlasten, dass er den Fehler, der dem Produkt anhaftet, nicht zu verantworten hat, weil dieser entweder zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war (Ausschluss der Haftung für sog. Entwicklungsrisiken) oder auf verbindliche hoheitlich erlassene Herstellungsnormen zurückzuführen ist. Diese Einwände hätten auch nach nationalen Rechtsordnungen haftungsbefreiende Wirkung, da der Hersteller damit den Nachweis erbringt, im konkreten Fall nicht gegen herstellerspezifische Verkehrspflichten verstoßen zu haben. Den Ausschluss der Haftung für Entwicklungsrisiken hatten die Mitgliedstaaten gegen den Vorschlag der Kommission durchgesetzt. Sowohl die Entwürfe von 1976 und 1979 als auch das Europäische Übereinkommen über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden von 1977 sahen ausdrücklich auch eine Haftung für Entwicklungsrisiken vor. Im Ergebnis enthält die Richtlinie nun in Art. 7(e) den Einwand, überlässt es aber den Mitgliedstaaten, diesen nicht in nationales Recht umzusetzen und damit eine Haftung auch für Entwicklungsrisiken einzuführen (bisher nur in Luxemburg und Finnland).

Die Richtlinie sieht darüber hinaus einheitliche Regelungen zur Verjährung und zum Erlöschen der Ansprüche vor (Art. 10, 11). Außerdem beschränkt sie die Haftung für Sachschäden, neben einer Selbstbeteiligung, auf Schäden an Gegenständen des privaten Ge- und Verbrauchs (vgl. Art. 9). Zu Umsetzungsoptionen und Auslassungen s.o.

4. Vereinheitlichungsprojekte

Etwa zeitgleich zur Richtlinie wurde unter der Leitung des Europarates das bereits genannte Europäische Übereinkommen über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden (1977) ausgearbeitet. Inhaltlich unterscheidet es sich nur in wenigen, aber nicht unwichtigen Punkten. Seine Ratifizierung wurde jedoch nicht weiterverfolgt, da eine Lösung mittels Richtlinie in den Vordergrund trat. Die Principles of European Tort Law (PETL) der European Group of Tort Law sehen keine spezielle Vorschrift zur Produkthaftung vor, führen aber eine verschuldensabhängige Unternehmenshaftung ein, die die Verfasser jedoch ausdrücklich nicht als Konkurrenz zur Produkthaftungsrichtlinie verstanden wissen wollen. Wie auch nach deutscher deliktischer Produkthaftung, bleibt Anknüpfungspunkt und Tatbestandsmerkmal der Haftung der Sorgfaltspflichtverstoß. Neben einer möglichen Beweislastumkehr angesichts der Größe der von einer Aktivität ausgehenden Gefahr (Art. 4:201) sehen die PETL auch eine Beweislastumkehr für den Fall vor, in dem ein Unternehmen Hilfspersonen oder technische Hilfsmittel einsetzt: Soweit Fehler des Unternehmens oder seiner Erzeugnisse Schäden verursachen, kann sich das Unternehmen nur entlasten, indem es nachweist, dass es die erforderliche Sorgfalt beachtet hat (Art. 4:202). Die Study Group on a European Civil Code hingegen orientiert sich in Art. 3:204 der PEL Liab. Dam. am Konzept der Produkthaftungs-RL und statuiert einen speziellen verschuldensunabhängigen Haftungsgrund für Produktschäden.

5. Internationales Produkthaftungsrecht

Unglücklicherweise bestimmen in Europa zwei unterschiedliche Regelungen das auf Produkthaftungsansprüche anwendbare Recht. Gerichte einiger Länder wenden das Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht vom 2.10.1973 an (Finnland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Slowenien und Spanien, sowie Norwegen, Mazedonien und Kroatien), wohingegen in den restlichen Mitgliedstaaten Art. 5 der Rom II-VO (VO 864/‌2007) herangezogen wird (vgl. Art. 28 Rom II-VO). Zwar sieht auch die Verordnung in ihrer endgültigen Fassung mit Art. 5 eine lex specialis vor, jedoch unterscheidet sich die Anknüpfung sowohl systematisch als auch inhaltlich von der des Haager Übereinkommens. Die wiederholte Forderung eines Gleichlaufs der Regelungen während des Gesetzgebungsverfahrens blieb ohne Erfolg.

Abgesehen von einer unterschiedlichen Reihenfolge der Anknüpfungspunkte, unterscheidet sich die Regelung der Rom II-VO vor allem darin, dass alle drei Anknüpfungsstufen auch kumulativ voraussetzen, dass das Produkt im jeweiligen Staat auch in Verkehr gebracht wurde. Diese von der Literatur schon länger geforderte Voraussetzung verfolgt das Ziel, im Sinne eines gerechten Interessensausgleichs das anwendbare Recht für den Hersteller vorhersehbarer zu machen. Aus gleichem Grund wird dem potentiell Haftenden auch der Einwand zugelassen, dass er das Inverkehrbringen des Produkts oder eines gleichartigen Produkts im relevanten Staat vernünftigerweise nicht voraussehen konnte (Art. 5(1)2 Rom II-VO). Dieser Einwand findet sich in ähnlicher Form auch im Haager Übereinkommen. Die Verordnung stellt die dreistufige Anknüpfung jedoch noch zusätzlich unter den Vorbehalt einer offensichtlich engeren Verbindung mit einem anderen Staat (Art. 5(2)). Dieser Vorbehalt, der wortgleich der allgemeinen Kollisionsnorm (Art. 4(3)) entnommen ist, ist weithin auf Zustimmung gestoßen, da er insbesondere ermöglicht, dass sich vertragliche und außervertragliche Ansprüche zwischen den Parteien nach dem Recht des gleichen Staates richten.

Literatur

Uwe Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967; Joachim Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bde. 1–3, 2. Aufl. 1985–1988; Jane Stapleton, Product Liability, 1994; Jean-Sébastien Borghetti, La responsabilité du fait des produits, 2004; Gerhard Wagner, Produkthaftungsgesetz, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2004; Christopher J. Miller, Richard S. Goldberg, Product Liability, 2. Aufl. 2004; Simon Whittaker, Liability for Products, 2005; Duncan Fairgrieve (Hg.), Product Liability in Comparative Perspective, 2005; idem, Geraint Howells, Rethinking Product Liability, Modern Law Review 70 (2007) 962 ff.; Martin Illmer, The New European Private International Law of Product Liability, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009) 269 ff.

Abgerufen von Produkthaftung – HWB-EuP 2009 am 29. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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