Abstammung und Feudalrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Josep Ferrer i Riba]]''
von ''[[Andreas Thier]]''
== 1. Gegenstand und Abgrenzung ==
== 1. Begrifflichkeit ==
Das Abstammungsrecht befasst sich mit der rechtlichen Zuordnung von Kindern zu einem Mann als Vater bzw. zu einer Frau als Mutter sowie mit den Wirkungen dieser Zuordnung. Die Entstehung des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses kann in Europa nicht nur auf der genetischen Herkunft als Konsequenz einer natürlichen Reproduktion beruhen, sondern ebenso auf der Anwendung von Methoden künstlicher Fortpflanzung und der [[Adoption]]. In vielen Rechtskulturen existiert ein generelles übergeordnetes Konzept (''filiation'', ''filiazione'', ''filiación''), das sämtliche Modalitäten des Eltern-Kind-Verhältnisses unabhängig von ihrer jeweiligen Grundlage umfasst. Das Abstammungsrecht befasst sich hingegen nur mit den Verhältnissen, welche einen biologischen Reproduktionsakt aufweisen, sei es auf natürliche oder medizinisch assistierte Art und Weise. Das bedeutet wiederum nicht, dass die Abstammung stets eine genetische Grundlage voraussetzt. Im Falle der heterologen künstlichen Insemination wird regelmäßig keine Verwandtschaft des Neugeborenen mit dem Samenspender begründet, sondern mit den Wunscheltern. Bezüglich der auf natürlichem Reproduktionswege geborenen Kinder kann es ebenso zu einem mit der biologischen Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Abstammungsverhältnis kommen. Dies kann die Folge der Existenz von Zuordnungskriterien darstellen, welche keinen Nachweis der genetischen Wirklichkeit erfordern, sowie durch gesetzliche Schranken bei der Ausübung von Abstammungsklagen.
Der Ausdruck „Feudalrecht“ geht auf den seit dem 10. Jahrhundert zunächst in Südfrankreich belegten Begriff ''feudum'' bzw. ''feodum'' zurück. Vermutlich in Fortbildung des fränkischen Wortes ''fehu'' (Vieh, Vermögen) entstanden, kennzeichnete ''feudum'' ursprünglich das Ritterlehen und diente als Komplementärbegriff zum Ausdruck ''alleudium'' (Allod, Eigen). Diese Begrifflichkeit legt es nahe, den Ausdruck „Feudalrecht“ als die Gesamtheit aller Rechtssätze zu deuten, die sich auf ''Lehnsverhältnisse'' beziehen. Damit ist die Beziehung zwischen einem ''Vasall'' und einem ''Lehnsherren'' angesprochen, deren Kern durch die Übertragung eines ''Lehnsguts'' auf den Vasall einerseits und dessen eidliche Verpflichtung zu Treue und Dienstleistung gegenüber dem Lehnsherren andererseits gebildet wird.  


Die Festlegung der Abstammung ist von der Zuordnung der [[Elterliche Verantwortung|elterlichen Verantwortung]] zu unterscheiden. Auch wenn es eine klare Tendenz dahingehend gibt, dass sich beide Erzeuger gemeinsam der Ausübung dieser Verantwortung annehmen sollen, kann es Rechtsgründe geben, die zu einer Versagung der Zuordnung der elterlichen Verantwortung an einen der beiden führen können. Auf der anderen Seite kann die elterliche Verantwortung Personen zugeordnet werden, die Formen sozialer Elternschaft wahrnehmen, welche rechtlich betrachtet eine gewisse Anerkennung verdienen (z.B. Stiefeltern) oder die die Eltern ersetzen, sofern diese fehlen oder ihren Sorgefunktionen nur unzureichend nachkommen. In diesen Fällen führt die Zuordnung der elterlichen Verantwortung nicht zu einem Abstammungsverhältnis mit dem Kinde. Die Unterscheidung zwischen Abstammung und elterlicher Verantwortung stellt sich im internationalen Privatrecht als wesentlich heraus: Sowohl das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 (KSÜ) als auch die Brüssel IIa-VO (VO 2201/2003) nehmen in ihrem Anwendungsbereich Fragen bezüglich der Zuordnung und Ausübung der elterlichen Verantwortung auf, behandeln allerdings nicht die Feststellung und Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses.
Eine ''zweite Bedeutungsschicht'' des Wortes „Feudalrecht“ erschließt sich im Blick insbesondere auf die Geschichte des Sprachgebrauchs in Frankreich: Seit dem 16. Jahrhundert kennzeichnete der Ausdruck ''féodalité'' hier nicht nur die Beziehung zwischen einem Lehnsnehmer und einem Lehnsgeber, sondern auch und gerade die lokal gebundene Herrschaft des Adels im Gegensatz zur zentralisierten Herrschaft des Königtums. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde ''féodalité'' dagegen zum Inbegriff einer ungerechtfertigten Herrschaft von Aristokratie und Kirche im Allgemeinen und der bäuerlichen Abhängigkeit im Besonderen. Die Beseitigung des ''régime féodal'' durch die französische Nationalversammlung am 4.8.1789 bedeutete dementsprechend nichts weniger als die Abschaffung aller Herrschaftsrechte, die mit dem Grundeigentum verbunden waren. Diese Deutung breitete sich in der Folgezeit in Europa aus. Als ''Feudalismus'' gedeutet wurde etwa im deutschen Vormärz (1815-1848) nicht allein die Lehnsordnung, sondern auch die ''Grundherrschaft'', also die mit der rechtlichen Zuordnung von Grundbesitz verbundene Herrschaft über die darauf lebenden Menschen. Dieser Ansatz wurde in der marxistischen Geschichtsdeutung radikalisiert, in der die mittelalterliche Sozialordnung jenseits des städtischen Rechtsraums auf den Dualismus von „Feudalherrn“ und „Leibeigenen“ reduziert wurde. Vor allem ''Max Weber'' und ''Otto Hintze'' bezogen später ebenfalls neben der Grundherrschaft auch die Strukturen politischer Herrschaft in die Betrachtung ein. Die „Feudalgesellschaft“ war es auch, die in den Arbeiten von ''Marc Bloch ''und seiner Schule zur Chiffre für die gesamte Sozialordnung des Mittelalters wurde, deren elementarste Ordnungsstruktur durch das „Verhältnis der Unterordnung unter den nächsten Führer“ gebildet wurde. Bis heute allerdings ist – sicherlich nicht zuletzt auch im Blick auf die starke ideologische Aufladung des Wortes „feudal“ – umstritten, inwieweit der Ausdruck „Feudalismus“ (und insofern auch der Begriff „Feudalrecht“) zur deutenden Umschreibung der mittelalterlichen und der frühneuzeitlichen Herrschafts- und Sozialordnung geeignet ist. Das gilt umso mehr, als dabei die Rolle der rechtlich vielfach autonomen städtischen Bürgerverbände ([[Stadtrecht]]e) im Verhältnis zum Adel und den unfreien Bauern zu Deutungsproblemen führt. Unbestritten ist dagegen, dass der Ausdruck „Feudalrecht“ in seinem Kern das ''Lehnrecht'' umfasst, dessen Entwicklungslinien deswegen auch nachfolgend im Zentrum der Betrachtung stehen.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 2. Die Entstehung des Lehnswesens (8.–10. Jahrhundert) ==
Das Abstammungsrecht ist einer der dynamischsten und – in rechtsvergleichender Sicht – heterogensten Bereiche des Familienrechts. Zur Bestimmung der Abstammung werden in den Rechtsordnungen gewöhnlich die gleichen Zuordnungskriterien (die Geburt; die Vaterschaftsvermutung; die Anerkennung; die gerichtliche Feststellung) angewandt; aber die Gestaltung der einzelnen Anwendbarkeitsvoraussetzungen und der jeweiligen Grenzen ihres Wirkungsbereichs sind sehr unterschiedlich. Diese Vielfalt beruht überwiegend auf der mehr oder minder großen Bedeutung, die der Familienstabilität und der sozialen Elternschaft gegenüber der biologischen Herkunft eingeräumt wird. In einigen Rechtsordnungen wird nachdrücklich vertreten, dass das Kindeswohl durch den Schutz der bereits bestehenden sozialen Elternschaftsverhältnisse und die Sicherung der Unterhaltsleistungen an das Kind gefördert wird, auch wenn die rechtlichen Eltern nicht dessen Erzeuger sind. Demgegenüber gibt es fortschrittlichere Rechtsordnungen, die begonnen haben, den Langzeitinteressen des Kindes an der Aufklärung seiner genetischen Herkunft mehr Gewicht einzuräumen. Diese zweite Ansicht, ohne die erste zu ersetzen, gewinnt im Bereich des modernen Abstammungsrechts zunehmend an Bedeutung. Faktoren, die zur größeren Würdigung des biologischen Elements beitragen, sind der spürbare institutionelle Bedeutungsverlust der [[Ehe]], die geringere Stabilität der Familienverhältnisse und der Zugang der Eltern und Kinder zu technischen Mitteln (z.B. DNA-Analysen), welche den einfachen Nachweis der genetischen Herkunft ermöglichen.
Ursprünglich bezeichnete das seit dem 6. Jahrhundert belegte Wort ''vassus'', das seit dem 9. Jahrhundert zu ''vasallus'' fortgebildet wurde, einen Mann, der einem Herrn (''dominus'', ''senior'') unterworfen war. Dem entspricht die Herkunft dieser Ausdrücke vom keltischen ''gwas'' (Knecht, Diener). Grundlage dieser Herrschaftsbeziehung war die ''Kommendation'' (''commendare'' – anvertrauen, empfehlen, übergeben), die vereinbarte und deswegen freiwillige Unterwerfung unter die Herrschaft eines anderen, der dafür Unterhalt und Schutz des ''vassus'' übernahm. In karolingischer Zeit, also seit dem 8. Jahrhundert, verband sich die Kommendation mit dem Ablegen eines Treueides, wodurch wohl (so die herrschende Ansicht) Elemente germanischer Verbandsstrukturen (Gefolgschaft) in die Vasallität gelangten. Vor allem aber wurde damit die normative Autonomie des Vasallen herausgehoben, der deswegen auch nach der Kommendation als – wenn auch abhängiger – Freier gelten konnte (im hochmittelalterlichen Frankreich ist der Ausdruck ''condition quasi-servile'' als Bezeichnung der Vasallität belegt). Diese Entwicklung ging mit der gezielten militärischen Verwendung von Vasallen einher, wobei hierbei das Vorbild der königlichen ''antrustiones'' (Leibwächter) prägend war, die ihrerseits eine herausgehobene soziale Stellung einnahmen. Die auf diese Weise einsetzende Aufwertung der Vasallität spiegelte sich in der Entstehung von ''vassi dominici¸ ''von adeligen Vasallen des Königs, die sich zu Kriegsdiensten verpflichteten. Mit dem bayerischen Herzog ''Tassilo III.'' (741 bis nach 794) legte wohl erstmals im 8. Jahrhundert ein Mitglied des Hochadels den Treueid als Vasall ab.


=== a) Mütterliche Abstammung ===
Diese personal geprägte Beziehung von Vasall und Herr wurde seit karolingischer Zeit mit einem dinglichen Element in Gestalt des ''beneficium'' (Wohltat) verbunden: Als ''beneficium'' wurde ursprünglich die Leihe von Grund und Boden verstanden, für die – im Gegensatz zu anderen Formen der Bodenleihe (''precaria'') – höchstens geringfügige Zinsleistungen zu erbringen waren. Bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurden Vasallen zu ihrer Versorgung mit ''beneficia'' ausgestattet; 743/744 verbreiterten die karolingischen Hausmeier ''Karlmann'' (vor 714-754) und ''Pippin III.'' (714/715-768) diese Verbindung von Vasallität und ''beneficium'', indem sie königlichen Vasallen Kirchengut auf Lebenszeit zuwiesen, die dafür aber der Kirche zur Zinszahlung verpflichtet wurden (''precaria verbo regis''). Seit dieser Zeit wurden ''beneficia'' als Gegenleistung für Kriegsdienste immer häufiger nicht allein durch die Karolinger, sondern auch den Adel und die Kirche vergeben. Zugleich wurden auch Herrschaftsrechte wie etwa die Leitungsbefugnis für Abteien oder Grafschaftsbefugnisse in diese Vergabe einbezogen. Diese Verbindung von Vasallität und ''beneficium'' wandelte sich von herrschaftlicher Praxis zu normativer Verbindlichkeit, als am Ende der Karolingerzeit Regelungen über die vasallitischen Rechte und Pflichten hinsichtlich des ''beneficium'' entstanden: Bereits seit Beginn des 9. Jahrhunderts konnten Verstöße gegen die Pflicht zur Kriegsdienstleistung im Entzug des ''beneficium'' enden. 877 wurde im Kapitular von Quierzy die Regel bestätigt, dass (ebenso wie das Grafenamt) ein ''beneficium'' beim Versterben seines Inhabers auf dessen Sohn übergehen, also erblich sein sollte. Solche Bestimmungen belegten die Verfestigung der Beziehung von ''beneficium'' und Vasallität, die mit der Verdrängung des Ausdrucks ''beneficium'' durch das Wort ''feudum'' (s.o. 1.) seit dem 10. Jahrhundert auch ihre semantische Entsprechung fand. Allerdings blieb auch jetzt die Vasallität ohne Lehen (''vassus non casatus'') ebenso bestehen wie die leihweise Vergabe von Grundbesitz ohne militärische Leistungsverpflichtung.  
In den meisten europäischen Rechtsordnungen wird die Mutterschaft, im Einklang mit dem römischen Rechtsgrundsatz ''mater semper certa est'', durch die Geburt des Kindes bestimmt. Diese Art der Feststellung der Mutterschaft besteht unabhängig neben weiteren, sekundären Zuordnungskriterien, die im Übrigen zur Anwendung kommen können, sofern sich die Tatsache der Geburt nicht nachweisen ließ. Im Zusammenhang mit der Mutterschaftsfeststellung ist darauf hinzuweisen, dass einige wenige europäische Rechtsordnungen (Frankreich, Italien, Luxemburg) erlauben, dass die schwangere Frau, die die Mutterschaft nicht übernehmen will, die Geburt anonym vollziehen und somit die rechtliche Festlegung vermeiden kann. Bis heute hat der [[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte|EGMR]] in der Anwendung des ''accouchement sous X'' keinen Widerspruch zur EMRK ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]) gesehen, obwohl hierdurch dem Neugeborenen der Zugang zur Ermittlung seiner Mutter versagt bleibt. Der Gerichtshof entschied, dass die ergriffenen Maßnahmen des französischen Gesetzgebers, welche die Zustimmung der Mutter zur Offenbarung ihrer persönlichen Identität zwar nicht erzwingen, aber fördern, in den Ermessensspielraum des französischen Gesetzgebers fallen (EGMR Nr. 42326/98 – ''Odièvre/ Frankreich'').


=== b) Väterliche Abstammung ===
== 3. Die Ausformung des Lehnrechts in Europa (11.–14. Jahrhundert) ==
Sofern die Mutter verheiratet ist, wird die Vaterschaft regelmäßig durch die Vermutung ''pater is est quem nuptiae demonstrant'' begründet, sofern das Kind ehelich geboren wird, auch wenn die Empfängnis vor der Eheschließung stattfand. Im Gegensatz dazu sind die Kriterien vielseitiger, wann diese Vermutungsregelung enden soll. Immer noch herrscht in vielen Rechtsordnungen die Zielsetzung vor, dass die Kinder einen Vater haben sollen, und diese Vermutungsregelung wird aufrechterhalten, sofern das Kind vor der Scheidung der Mutter geboren wird, ohne Rücksicht darauf, ob sie im Zeitpunkt der Empfängnis mit ihrem Mann noch zusammenlebte oder nicht (z.B. Schweiz, Österreich, die Niederlande). In anderen Rechtsordnungen endet diese Vermutungsregelung, sofern innerhalb von 300 Tagen vor der Geburt des Kindes gerichtliche Schritte im Zusammenhang mit der Ehetrennung stattgefunden haben, die belegen, dass die Ehepartner nicht zusammenlebten (z.B. Frankreich, Italien).
Seit etwa dem 11. Jahrhundert wurden lehnrechtliche Strukturen in weiten Teilen Europas zum dominierenden Ordnungsgefüge politischer Herrschaft. Zugleich gewannen die frühmittelalterlich entstandenen Regelungsansätze an Komplexität und Vielfalt. Dem entsprach es, dass die im 12. Jahrhundert einsetzende Verwissenschaftlichung des Rechtsdenkens auch das Lehnrecht erfasste.  


Sofern die vorherige Vermutungsregelung nicht anwendbar ist, kann die Abstammung mittels der Vaterschaftsanerkennung festgestellt werden. Diese Zuordnungsmethode ist praktisch in allen europäischen Rechtsordnungen anwendbar, außer in England, wo das Fehlen der Anerkennung als rechtliches Institut durch Tatsachen oder Rechtsakte ersetzt wird, die als Nachweis der väterlichen Abstammung gelten, wie der Namenseintrag des Vaters im Geburtsregister oder sogar die mit der Mutter getroffene Vereinbarung über die elterliche Verantwortung. Bestimmten Tatsachenelementen zwecks Nachweis der Abstammung eine entscheidende Bedeutung einzuräumen, ohne dass eine ausdrückliche Anerkennungserklärung der Vaterschaft vorhanden ist, erinnert an die Funktion, welche im französischen Recht dem sog. Statusbesitz (''possession d’état'') zukommt, d.h. dem Umstand, dass eine Person in ihrem familiär-sozialen Umfeld in öffentlicher und kontinuierlicher Form als Kind einer anderen Person angesehen wird. In Frankreich erlaubt der Statusbesitz die Festlegung der Abstammung, erfüllt aber eine subsidiäre Funktion im Hinblick auf die Vaterschaftsanerkennung.
=== a) Die Ausbreitung des Lehnrechts ===
Seit etwa dem 11. Jahrhundert breiteten sich lehnrechtliche Strukturen, ausgehend vom ehemals karolingischen Herrschaftsraum, vor allem in Westeuropa aus: Mit dem Beginn der salischen Herrschaft (seit 1024) gewann das Lehnswesen neuen Einfluss im Reich, insbesondere im italienischen Raum. Diese Tendenz verstärkte sich noch mit dem Ende des Investiturstreits durch das Wormser Konkordat im Jahre 1122: Denn das Kaisertum verzichtete nunmehr auf die amtsrechtliche Eingliederung des Reichsepiskopats in die Herrschaftsordnung des Reiches, band stattdessen die je kirchlich gewählten neuen Reichsbischöfe als kaiserliche Vasallen an sich und bewirkte damit eine „Feudalisierung der Reichskirche“ (''Peter'' ''Classen''). Vom Lehnswesen geprägt wurden aber auch Herrschaft und (adelige) Gesellschaft in Frankreich und in England. Doch auch das Papsttum bediente sich in der Auseinandersetzung mit weltlichen Herrschern lehnrechtlicher Elemente, was besonders eindrucksvoll durch die Unterwerfung ''Johanns von England'' (1199-1216) unter die päpstliche Lehnshoheit 1213 zum Ausdruck kam. In den Kreuzritterherrschaften des Nahen Osten wie etwa im 1099 errichteten Königreich Jerusalem schließlich bildete das Lehnswesen ein wesentliches Instrument herrschaftlicher und sozialer Ordnung.  


Im kontinentalen Europa fallen die Wirksamkeitsanforderungen einer Anerkennung sehr unterschiedlich aus. Häufig ist die Wirksamkeit der Anerkennung von der Zustimmung der Mutter abhängig und, ab einem gewissen Alter, auch von derjenigen des Kindes. Das Erfordernis der mütterlichen Zustimmung ist umstritten: Ihre persönlichen Interessen können zuweilen nicht mit denjenigen des Vaters oder des Kindes übereinstimmen; auch kann dieser Umstand – in verhindernder oder verfälschender Weise – die Feststellung der tatsächlichen Abstammung verzerren. In einigen Rechtsordnungen ist daher keine Zustimmung zur Erteilung der Anerkennung erforderlich (z.B. Schweiz; Spanien, sofern die Anerkennung innerhalb einer Frist von 30 Tagen seit der Geburt erfolgt); die Mutter ist in diesen Fällen auf den Widerspruch oder die Anfechtung der anerkannten Vaterschaft angewiesen. In denjenigen Rechtssystemen, die eine Einwilligung erfordern, kann diese zuweilen der Richter ersetzen (z.B. die Niederlande, Belgien, Italien), sofern die Mutter oder gegebenenfalls das Kind die Anerkennung verweigern; wiederum in anderen Fällen setzt die Festlegung der Vaterschaft eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellungsklage (z.B. Deutschland) voraus.
=== b) Tragende Elemente lehnrechtlicher Ordnung ===
Der starken räumlichen Ausbreitung des Lehnswesens entsprach die zunehmend differenzierte Komplexität seiner Regelungsinhalte. ''Susan Reynolds'' hat 1994 in einem bahnbrechenden Werk sogar die – im vorliegenden Rahmen nicht näher zu diskutierende These formuliert, dass die Lehen seit dem 12. Jahrhundert im Vergleich zu den frühmittelalterlichen ''beneficia ''„a fundamentally different category of property“ gebildet hätten. Umgekehrt seien auch die vasallitischen Pflichten erst seit dem 11. Jahrhundert auf die Lehensvergabe gegründet worden. In der Tat ist nicht zu übersehen, dass erst seit dieser Zeit lehnrechtliche Ordnungselemente schärfere Konturen gewinnen, auch wenn andererseits wohl jedenfalls ideelle Kontinuitäten zur karolingischen Zeit existieren. Das gilt vor allem für die Begründung der Lehnsbeziehung: Einem Unterwerfungsakt des künftigen Vasallen in Form des seit dem 11. Jahrhundert zunächst in Frankreich, später auch im Reich so bezeichneten ''homagium ''(''hominaticum'','' hominatio'' – Huldigung) folgte der vasallitische Treueid und sodann die Einsetzung (''investitura'') in das Lehen durch die Übergabe eines Symbols (etwa einer Fahne oder eines Zepters). Die Pflichten aus dem Lehnsverhältnis endeten mit dem Tod des Herrn (''Herrenfall'') oder des Vasallen (''Mannfall'') und konnten von den jeweiligen Erben erneuert werden. Das taten diese auch regelmäßig, um so die Kontinuität der lehnrechtlich begründeten Herrschafts- und Vermögensordnung zu sichern.  


Auch zeichnet sich die Gestaltung der Abstammungsklagen durch wesentliche Divergenzen hinsichtlich der Bedeutung aus, welche die Rechtsordnungen der sozialen Elternschaft, der familiären Stabilität und der Offenbarung der genetischen Herkunft beimessen. Diese Divergenzen werden vor allem in der Gestaltung der Aktivlegitimation und der Fristenregelung bei der Ausübung von Abstammungsklagen deutlich. Bei der Normierung von Feststellungsklagen weisen die Gesetze einheitlich dem Kinde die Aktivlegitimation. Nicht immer steht sie der Mutter für Klagen im eigenen Namen und auch nicht stets dem Mann zu, der sich als Vater ansieht. Sofern die Anerkennung der Abstammung keinen Erfolg hat, lassen einige Länder die Feststellung der Vaterschaft durch den angeblichen Vater nicht zu (z.B. die Niederlande, Italien, Schweden, Schweiz). Eine bedeutende Zahl von Rechtsordnungen legen zudem Fristen – von sehr unterschiedlicher Länge – zur Erhebung einer Vaterschaftsfeststellungsklage fest und räumen der Rechtssicherheit den Vorrang vor der Aufklärung der biologischen Tatsachen ein; dies gilt sogar dann, wenn das eigene Kind die Ausübung der Vaterschaftsklage begehrt. Im Bereich der Vaterschaftsanfechtung überwiegt in Europa die Tendenz, dem Schutz der Ehe und der sozialen Verwandtschaft mittels der Etablierung kurzer Fristen zur Vaterschaftsanfechtung und der Beschränkung der Aktivlegitimation auf das Kind, seine Mutter und die Person, die als rechtlicher Vater feststeht, den Vorrang einzuräumen. Dementsprechend ist es unüblich, dass die Klagebefugniss der Person zugestanden wird, die sich als biologischer Erzeuger ansieht, zumindest dann, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Bindung besteht (vgl. § 1600 BGB). Diejenigen Rechtsordnungen, die eine Anfechtung durch den biologischen Vater zulassen, unterstellen diese kurzen Fristen (in Frankreich tritt z.B. eine Präklusion ein, wenn das Kind bezüglich seines rechtlichen Vaters fünf Jahre lang den Statusbesitz innehatte) oder räumen dem Richter einen Ermessenspielraum bei der Abwägung ein, ob die Klageerhebung für das Kind von Vorteil ist (z.B. England).
Wichtigstes Objekt der Lehnsvergabe blieb zwar der Grundbesitz. Doch wurden auch Herrschaftsrechte wie etwa Regalien und seit dem 12. Jahrhundert im Zeichen der aufkommenden Geldwirtschaft auch Renten als sog. ''Rentenlehen'' vergeben, die die Herrschaftsposition des Lehnsgebers unberührt ließen und im Fall eines Konflikts mit dem Vasallen ungleich leichter kontrolliert werden konnten als etwa Jurisdiktionsbefugnisse oder Grundbesitz.  


=== c) Abstammung bei medizinisch assistierter Zeugung ===
Eine neue Qualität gewann auch das Verhältnis von Lehnsvergabe und Lehnsdienst, das seit dem 11. Jahrhundert zur, modern gesprochen, synallagmatischen Beziehung wurde: Denn nunmehr war die Übertragung des Lehens grundsätzlich konstitutiv für das Lehnsverhältnis, auch wenn in England und Frankreich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts mit den ''household knights'' und ''bacheliers'' noch Vasallen ohne Lehnsgut (''vassi non casati'') belegt sind. Dieser allgemein als „Verdinglichung des Lehnswesens“ bezeichneten Entwicklung entsprach es, dass der Vasall sich seiner Lehnspflichten durch die Rückgabe des Lehens entledigen konnte, während der Lehnsherr im Fall einer vasallitischen Pflichtverletzung das Lehen einziehen durfte, im Fall der eigenen Pflichtverletzung dagegen seine Befugnisse am Lehnsgut verlor. Der normative Kern der lehnrechtlichen Pflichtenbindung wird in der Bezeichnung der Pflichtwidrigkeit mit dem Ausdruck ''Felonie (''felonia'','' félonie'') erkennbar, der sich aus dem Begriff ''fello'' (Verräter) ableitete: Die Grundlage aller Lehnspflichten bildete die durch den Vasallen eidlich gelobte Treue, als deren Reflex sich auch eine Treuepflicht des Lehnsherren ergab. Ihre Konkretisierung fand diese Treuepflicht in dem Verbot, den Lehnsherren zu schädigen; im oberitalienisch-langobardischen Lehnrecht wurde daraus sogar das Verbot abgeleitet, den Herren zu verklagen oder als Zeuge gegen ihn auszusagen. Darüber hinaus kristallisierte sich die bereits erwähnte Verdinglichung des Lehnsverhältnisses in der immer wieder betonten (und demnach offenbar vielfach vernachlässigten) Verpflichtung des Vasallen, Verfügungen zu Lasten des Lehens wie etwa die Verpfändung oder die Veräußerung nur mit Einwilligung des Lehnsherrn vorzunehmen. Doch der Vasall schuldete auch jenseits dieser Ebene ein positives Tun, das vielfach mit der Formel ''consilium et auxilium'' (Rat und Hilfe) umschrieben wurde und konkret neben militärischer Unterstützung die Begleitung des Herrn zum Hof des Herrschers und die Beteiligung am ''Lehnsgericht ''umfasste; die seit dem 13. Jahrhundert einsetzende Entstehung ständischer Körperschaften, der institutionellen Vorläufer moderner Parlamente, hat einen ihrer Ausgangspunkte in den auf dieser Grundlage entstehenden Vasallentagen (''Manntage'').  
Die Fortpflanzungsmedizin hat die normative Komplexität des Abstammungsrechts im europäischen Rechtsvergleich erhöht. Die in diesem Bereich zwischen den Rechtsordnungen bestehenden Unterschiede sind nicht nur technischer, sondern auch politischer Natur, weil es sich um Entscheidungen im Hinblick auf die Verfügbarkeit von menschlichen Keimzellen, die Vermarktung von höchstpersönlichen Leistungen, sowie die Unterstützung bestimmter Familienmodelle handelt ([[Familie]]). Die seitens der Mitgliedstaaten des [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarats]] formulierten Antworten auf den vom'' Steering Committee of Bioethics'' (CDBI/INF (2005) 7) erstellten Fragenkatalog zeugen von der Diversität der rechtlichen Kriterien bei der Anwendung von Methoden assistierter Zeugung, insbesondere im Hinblick auf: (i)&nbsp;die Festlegung der Personen, die Zugang zu solchen Techniken haben sollen (verheiratete Paare; unverheiratete Paare; homosexuelle Paare; ledige Personen); (ii)&nbsp;die Zulässigkeit von heterologen Behandlungsmethoden und insbesondere das Spenden von Eizellen und Embryonen; (iii)&nbsp;die Zulässigkeit und gegebenenfalls die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Ersatzmutterverträgen; (iv)&nbsp;den Anonymitätsschutz oder die Pflicht zur Identitätspreisgabe der Spender. Die nationalen Schranken bezüglich bestimmter Behandlungsmethoden werden oftmals durch das Ausweichen auf andere Länder mit freizügigeren Gesetzen umgangen. Im EU-Bereich kann in diesem Zusammenhang die Dienstleistungsfreiheit in allen Mitgliedstaaten geltend gemacht werden, wie die englischen Gerichte in dem bekannten Fall ''Blood'' (''R v Human Fertilisation and Embryology Authority'','' ex p Blood''<nowiki> [1999] Fam 151 (CA)) hervorhoben.</nowiki>


Sofern die Abstammung aus der Anwendung assistierter Reproduktionstechniken herrührt, wird die Mutterschaft der gebärenden Frau zugeordnet. Ausnahmen von dieser Regel bestehen nur im Fall der Ersatzmutterschaft in denjenigen Rechtsordnungen, die dies ausdrücklich zulassen bzw. tolerieren. Die Zulässigkeit der Ersatzmutterschaft stellt in Europa die Ausnahme dar. Geregelt ist sie im griechischen Recht, die sie der vorherigen gerichtlichen Genehmigung unterwirft, und im englischen Recht, die sie für zulässig erklärt, allerdings nicht gegen den Willen der Ersatzmutter. Anwendbar ist die Ersatzmutterschaft ebenso – mangels gesetzlichen Verbots – in anderen Ländern, die den Ersatzmutterverträgen in keinem Fall bindende Wirkung beimessen, sofern sie nach der Geburt nicht freiwillig vollzogen werden (z.B. Belgien, Dänemark). Die Vaterschaft wiederum wird normalerweise auf dem Wege der Vaterschaftsvermutung festgelegt oder anderenfalls durch Anerkennung. Die erteilte Zustimmung zur Anwendung von Reproduktionstechniken verhindert regelmäßig die spätere Erhebung von Anfechtungsklagen, die sich auf die mangelnde genetische Beziehung zwischen dem Kind und dem Vater stützen, obwohl einige Rechtsordnungen die Anfechtung durch das Kind zulassen (z.B. Deutschland).
Die lehnrechtliche Bindung begründete freilich keine exklusive Beziehung, es war dem Vasall unbenommen, sich gleichzeitig mehr als einem Herren zu verpflichten. Als Reaktion auf solche Mehrfachvasallitäten und die daraus resultierenden Interessenkonflikte (bisweilen war ein Vasall mehr als 20&nbsp;Herren verpflichtet) entstand im 11.&nbsp;Jahrhundert mit dem ''homagium ligium'' (abgeleitet wohl von ''liticus'' und damit von ''litare ''<nowiki>= opfern) der Typus eines qualifizierten Treueides, der sich von Frankreich aus vor allem in England und im Westen des Reiches verbreitete. Hierbei band sich der Vasall ursprünglich ausschließlich an einen Herrn zur Unterstützung </nowiki>''contra omnes homines'' (gegen alle Menschen), später wurde nur mehr der Vorrang des konkreten Lehnsverhältnisses gegenüber anderen Lehnsbindungen gelobt, doch bildeten sich seit dem 12.&nbsp;Jahrhundert zunehmend Nuancierungen solcher sog. „ligischen“ Lehnspflichten. So kam es immer wieder zu Konfliktsituationen, in denen ein Vasall einem seiner Herrn im Interesse eines anderen die Treue aufkündigte, auch wenn immer wieder versucht wurde, durch die Vereinbarung von Treuevorbehalten solche Konstellationen zu verhindern.


== 3. Einzelausgestaltung der Abstammung ==
=== c) Die Verwissenschaft&shy;lichung des Lehnrechts ===
Der vorausgehende rechtsvergleichende Überblick verdeutlicht, dass die Wahrscheinlichkeit, ein signifikantes Harmonisierungsniveau im Bereich des Abstammungsrechts zu erreichen, zurzeit gering ist. Auf europäischer Ebene sind die wichtigsten völkerrechtlichen Ergebnisse bereits veraltet. Ziel war die Überwindung der diskriminatorischen rechtlichen Behandlung unehelicher Kinder. Diesem Zweck dienten die von der [[Internationale Zivilstandskommission (CIEC)|CIEC]] (Übereinkommen (Nr.&nbsp;6) über die Feststellung der mütterlichen Abstammung nichtehelicher Kinder vom 12.9.1962) und insbesondere vom [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarat]] (Europäisches Übereinkommen über die Rechtsstellung der unehelichen Kinder vom 15.10.1975) ausgearbeiteten Übereinkommen. Das Europäische Übereinkommen erleichterte die Feststellung der Abstammung unehelicher Kinder und erkannte diesen die gleichen Unterhalts- und Erbrechte wie ehelichen Kindern zu. Die historische Entwicklung der Gleichbehandlung aller Kinder erreichte im Anschluss an das Übereinkommen durch die Rechtsprechung des EGMR ihren Höhepunkt, indem der Gerichtshof das Feststellungssystem der unehelichen Mutterschaft mittels Anerkennung und die Vorschriften, welche die unehelichen Kinder im Verwandtschafts-und Erbrecht diskriminierten, als Verstoß gegen Art.&nbsp;8 und 14 EMRK wertete (EGMR Nr.&nbsp;6833/74 – ''Marckx/Belgium'').
Die ausgeprägte Vielfalt lehnrechtlicher Normbildungen bewirkte eine gesteigerte Verschriftlichung des Lehnrechts. Das galt nicht allein für die Belege von Belehnungen, die ursprünglich nur durch die Anwesenden bezeugt wurden, für die sich aber zunächst in Oberitalien mit dem ''breve testatum'' und später auch in Mitteleuropa mit dem Lehnsbrief und dem Lehnsrevers sowie dem Lehnsregister die urkundliche (und mit einer Abgabe verbundene) Dokumentation entwickelte. Doch auch die im Ausgangspunkt auf Gewohnheitsrecht basierenden Lehnrechtsregeln selbst erlebten eine zunehmende Verschriftlichung: So ergingen in Form von herrscherlichen Lehnsgesetzen wie etwa im Reich (1037, 1136, 1154, 1158, 1338) präzisierende und ergänzende Anordnungen. Vor allem aber entstanden seit dem 12.&nbsp;Jahrhundert Aufzeichnungen regionaler Lehnrechtsgewohnheiten, die die Verfestigung der lehnrechtlichen Tradition in Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft garantierten. Besonders einflussreich wurde der lehnrechtliche Teil des um 1230 entstandenen ''Sachsenspiegels'', der das sächsische Lehnrecht aufzeichnete, seit dem 14.&nbsp;Jahrhundert glossiert wurde und im osteuropäischen Raum bis zum 19.&nbsp;Jahrhundert gesetzesgleiche Bedeutung hatte. Doch auch im Traditionszusammenhang des [[Ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] hinterließ das Lehnrecht deutliche literarische Spuren: Seit etwa der Mitte des 12.&nbsp;Jahrhunderts entstand in Oberitalien in drei Rezensionen eine umfangreiche Sammlung von insbesondere langobardischen Lehnrechtsregeln, kaiserlichen Lehnsgesetzen (1136, 1158) und einer Reihe von lehnrechtlichen Abhandlungen. In den Manuskripten bezeichnenderweise nicht selten ''consuetudines feudorum'' (Gewohnheitsrecht der Lehen) genannt, gelangten die allgemein als ''libri feudorum'' bezeichnete Sammlung als ''decima collatio'' in das ''[[Corpus Juris Civilis]]'', was sicherlich auch auf seiner Glossierung durch ''Accursius'' (um 1185-1263) beruhte. Das Werk bildete nunmehr den textlichen Ausgangspunkt für eine an oberitalienischen Universitäten entstehende neue rechtswissenschaftliche Teildisziplin, die ''Feudistik'', und blieb bis etwa zum Ende des 18.&nbsp;Jahrhunderts die zentrale Referenz der europäischen Lehnrechtstradition. Doch die lehnrechtliche Praxis spiegelte sich auch im Diskurs der ''Legisten'': Um die Verteilung der Befugnisse am Lehen mit dem römischrechtlichen Vermögensrecht zu harmonisieren, entwickelten sie die Lehre von einem ''geteilten Eigentum'', das in ein ''dominium directum'' des Lehnsherrn als Obereigentümer und in ein ''dominium utile'' des Vasallen als Untereigentümer zerfiel.


Der EGMR hatte zudem in den letzten Jahrzehnten vielfach Gelegenheit dazu, die Übereinstimmung nationaler Vorschriften im Bereich der Feststellung und Anfechtung der Abstammung mit Art.&nbsp;8 EMRK zu beurteilen. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung sowie das Bewusstsein für die tiefgehenden familiären und sozialen Veränderungen in Europa, haben ebenso – und auf Veranlassung des [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarats]] hin – die Erstellung eines Berichts, bestehend aus 29 Prinzipien zur Begründung und den Folgen der Abstammung (''White Paper Parentage 2002'', CJ-FA (2001) 16 e rev.), gefördert. Die Prinzipien des ''White Paper'', zusammen mit der neuesten Rechtsprechung des EGMR, könnten die Grundlage für ein zukünftiges internationales Instrument bezüglich der Abstammung darstellen, dessen Erstellung als ein vorrangiges Ziel eingestuft worden ist (Report ''Lowe'' 2006, Europarat, CJ-FA (2006) 1 Rev). Jegliches Vorhaben, das die Ausgestaltung der Wirkungen der Abstammung behandelt, wird auch die PEFEV (2007) – verfasst durch die CEFL ([[Elterliche Verantwortung]]) – zu berücksichtigen haben.
=== d) Die politische und soziale Ordnungsfunktion des Lehnrechts ===
Die weite Verbreitung des Lehnrechts beruhte vor allem auf seiner hierarchisierenden Ordnungsfunktion: Die Wechselbeziehung zwischen Königtum und Adel gewann normative Konturen, Nähe (und auch Distanz) zum Herrscher und damit der adelige Rang konnten in institutionalisierter Form zum Ausdruck gebracht werden. Damit wurde es möglich, die Organisation von hoheitlicher Herrschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, so dass ''Heinrich Mitteis'' in diesem Zusammenhang das Lehnrecht sogar als „Helfer des Staatsgedankens“ gesehen hat. Bezeichnenderweise war etwa das staufische Kaisertum des 12.&nbsp;Jahrhunderts bemüht, die Übertragung von Reichsrechten an das Lehnrecht zu binden, so dass „das, was vom Reich gehalten wird, aufgrund Lehnrechts besessen wird''“ ''(''ea que ab imperio tenentur'','' iure feudali possidentur''<nowiki>; Reichsweistum 1157). Die unmittelbar vom Kaiser mit Reichsgut belehnten Vasallen, die zugleich auch selbst Lehnsherren waren, besetzten dabei als weltliche oder geistliche Reichsfürsten (</nowiki>''principes imperii'') eine herausgehobene Position in der adeligen Sozialordnung und im Herrschaftsgefüge des Reichs. Die auf diese Weise bewirkte Feudalisierung der Beziehungen zwischen dem Hochadel des Reichs und dem Kaisertum wurde nicht selten gerade von den staufischen Kaisern mit der Vergabe von sog. ''Auftragslehen'' verstärkt: Dabei wurden dem Kaiser die Allodialgüter eines hohen Adeligen übertragen und diesem, umgewandelt in Reichsgut, als Lehnsgut wieder zurückgegeben. Solche Phänomene fanden ihre Entsprechung in einer ausgeprägten Differenzierung der ursprünglich dreigliedrigen Lehnshierarchie (Königtum, Kronvasallen, Untervasallen) in ein vielstufiges Ordnungsgefüge, in dem sich Über- oder Unterordnung durch die Befugnis ausdrückte, Lehen zu verleihen (''Lehnsfähigkeit''). So umfasste die seit dem ausgehenden 12.&nbsp;Jahrhundert entstehende und insbesondere im ''Sachsenspiegel'' verschriftlichte ''Heerschildordnung'' sieben Ebenen, an deren Spitze der König und die Reichsfürsten standen und deren unterste Ebene durch diejenigen Adeligen gebildet wurden, die nur zum Empfang, aber nicht zur Vergabe von Lehen berechtigt waren. Während allerdings im Reich des 13. und 14.&nbsp;Jahrhunderts die lehnrechtliche Oberhoheit des Kaisers erodierte und eine Fülle von lehnsfreien allodialen Herrschaftsbezirken entstand, gelang dem französischen Königtum die konsequente Feudalisierung des Landes (''nulle terre sans seigneur''), die im König als oberstem Lehnsherr ihren hierarchischen Schlusspunkt fand.


Im Bereich der Vaterschaftsfeststellung bestimmen die Prinzipien 2 bis 7 des ''White Paper'', dass eine gesetzliche Regelung die allgemein anerkannten Zuordnungskriterien berücksichtigen muss. Die besagten Prinzipien überlassen den Staaten einen großen Spielraum bei: (i)&nbsp;der Festlegung, wann die Vaterschaftsvermutung zu enden hat; (ii)&nbsp;der Ausdehnung der Vermutung auf unverheiratete Paare; (iii)&nbsp;der Bestimmung gesetzlicher Regelungen zur Lösung von Konflikten bei Vermutungen; (iv)&nbsp;der Entscheidung darüber, ob für die Wirksamkeit der Anerkennung die Zustimmung des Kindes und/oder der Mutter oder die Genehmigung durch die zuständige Behörde erforderlich sein soll; (v)&nbsp;der Festlegung, wer – abgesehen vom Kinde oder seinem gesetzlichen Vertreter – zur Vaterschaftsklageerhebung aktiv legitimiert sein soll; und (vi)&nbsp;der Fristenregelung zur Klageerhebung. In Bezug auf die Vaterschaftsfeststellung scheint die Rechtsprechung des EGMR in Bewegung geraten zu sein: Im Fall ''Yousef/Niederlande'' (EGMR Nr. 33711/96) sah der Gerichtshof in dem Umstand, dass ein leiblicher Vater seine Tochter nicht anerkennen konnte, mit der er einen regelmäßigen persönlichen Umgang pflegte, keinen Verstoß gegen Art.&nbsp;8 EMRK; andererseits, im Fall ''Różański/Polen'' (EGMR Nr. 55339/00) sah der Gerichtshof die Rechte des leiblichen Vaters als verletzt an, da es an „unmittelbar zugänglichen Verfahren“ in der internen Rechtsordnung fehle, die ihm die Beanspruchung der Vaterschaft ermöglichen.
== 4. Lehnrecht und Staatlichkeit (15.–18. Jahrhundert) ==
Im Zeichen des aufsteigenden frühneuzeitlichen Anstaltsstaats rückten lehnrechtliche Beziehungen zunehmend in die Peripherie des Herrschaftsgefüges, blieben allerdings weiterhin in der europäischen Rechtstradition präsent. Dabei nutzten Könige und Landesherren weiterhin die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Lehnrechts wie etwa die Bestrebungen ''Josephs&nbsp;I.'' (1705-1711) belegen, seine Herrschaft über Italien durch den Rückgriff auf überkommene kaiserliche Lehnsbefugnisse zu konsolidieren. Ohnehin bildete das Lehnrecht einen wichtigen formalen Ordnungsrahmen gerade für das Miteinander von Kaiser und Reichsadel, dem anzugehören für den Wiener Hofadel des 17. und 18.&nbsp;Jahrhunderts besonders wichtig war. Zugleich bildete die lehnrechtliche Tradition insbesondere seit etwa dem 17.&nbsp;Jahrhundert die normative Grundlage adeliger Privilegien wie etwa ständischer Mitspracherechte oder der Steuerfreiheit, die teilweise, wie etwa in Preußen, erst im späten 19.&nbsp;Jahrhundert beseitigt wurde.


Die Prinzipien 8 bis 13 des ''White Paper ''empfehlen ein Anfechtungsklagensystem, bei dem die rechtlichen Eltern und das Kind aktiv legitimiert sind; allerdings ist vorgesehen, dass das nationale Gesetz auch den anderen Elternteil oder weitere Personen mit berechtigten Interessen und insbesondere diejenige Person legitimieren kann, die sich als Erzeuger ausgibt. Diese Prinzipiengruppe räumt den Staaten ebenso einen beachtlichen Spielraum ein bei: (i)&nbsp;der Versagung der Aktivlegitimation zur Anfechtung bestimmter Personen im Einzelfall, sofern dies das Kindeswohl erfordert (z.B. zur Wahrung des Familienfriedens oder der Rechtssicherheit) und (ii)&nbsp;der Fristenregelung zur Erhebung von Anfechtungsklagen. Der Inhalt dieser Prinzipien steht im Einklang mit den Entscheidungen des EGMR. Der Gerichtshof wertete eine gesetzliche Regelung, die verhinderte, dass die leiblichen Eltern die aufgrund Vermutung bestehende Vaterschaft anfechten können, sofern der rechtliche Vater zu keinem Zeitpunkt das Kind als solches behandelt habe, als Verstoß gegen Art.&nbsp;8 EMRK (EGMR Nr. 18535/91 – ''Kroon/Niederlande''). Dennoch hat der EGMR in einigen Zulässigkeitsentscheidungen erklärt, dass der Ausschluss der Aktivlegitimation des leiblichen Vaters zur Erhebung der Vaterschaftsklage konventionskonform sein kann, sofern es ein effektives Familienleben zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kinde gibt. Die Befristung der Anfechtungsmöglichkeit verletzt nicht die Konvention, aber die Fristberechnung muss so ausgestaltet sein, dass sie dem Berechtigten eine effektive Möglichkeit zur Klageerhebung einräumt (EGMR Nr. 74826/01 – ''Shofman/Russland'').
==Literatur==
 
''Peter Classen'', Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung, 1973, 411&nbsp;ff.; ''Karl-Heinz Spieß'', Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd.&nbsp;2, 1978, Sp.&nbsp;1725&nbsp;ff.; ''Gerhard Dilcher'', Libri Feudorum, in: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd.&nbsp;2, 1978, Sp.&nbsp;1995&nbsp;ff.; ''François Louis Ganshof'', Was ist das Lehnswesen?, 7.&nbsp;Aufl. 1989; ''Susan Reynolds'', Fiefs and Vasalls. The Medieval Evidence Reinterpreted, 1994 (1996); ''Otto Brunner'', Feudalismus, feudal, in: idem, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd.&nbsp;2, 1994, 337&nbsp;ff.; ''Steffen Schlinker'', Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter, 1999 ''Gerhard Dilcher'', Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Salien und Staufern, in: Centro Italiano di Studi Sull’Alto Medioevo (Hg.), Il Feudalesimo nell’alto medioevo, 2000, 263&nbsp;ff.; ''Olivia S.Robinson'', ''T.D. Fergus'', ''W.M. Gordon'', European Legal History, 3.&nbsp;Aufl. 2000, 26&nbsp;ff.; ''Karl-Heinz Spieß'', Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 2002.
Die Voraussetzungen, die zur Anwendung assistierter Reproduktionstechniken und zur Auslösung der entsprechenden rechtlichen Folgen erfüllt werden müssen, sind ebenso Gegenstand internationaler Beratungen gewesen. Im Jahre 1989 präsentierte eine innerhalb des [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarats]] gebildete Expertenkommission (CAHBI) dem Ministerkomitee einen ''Report on Human Artificial Procreation'', bestehend aus 21 Prinzipien, in denen Vorschläge zu den Voraussetzungen und Grenzen unterbreitet wurden, denen sich die Anwendung der Fortpflanzungsmedizin, sowie die Bestimmungen, die zur Festlegung der Abstammung Anwendung finden sollen, zu unterwerfen haben. Diese Prinzipien wurden nicht vollständig übernommen. Die Prinzipien 9 bis 11 des'' White Paper ''nehmen die im CAHBI'' Report'' aufgestellten Regelungen zur Feststellung der Vaterschaft auf und entwickeln diese weiter. Nach diesen Regelungen kann sich der Mann, der der Anwendung dieser Techniken zugestimmt hat, nicht der Festlegung seiner Vaterschaft widersetzen, es sei denn, die Geburt des Kindes stellt sich nicht als Behandlungsresultat heraus. Auf der anderen Seite wird die Befugnis zur Vaterschaftsanfechtung dieses Mannes auf den Fall beschränkt, in dem er der Behandlung nicht zugestimmt hat oder sich die Geburt nicht als Resultat derselben herausstellt. Der EGMR hat wiederum entschieden, dass der Schutz des Privat- und Familienlebens (Art.&nbsp;8 EMRK) auch das Recht auf den Schutz der (positiven bzw. negativen) Fortpflanzungsentscheidungen beinhalte, unbeschadet des Ermessensspielraums der Staaten bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen (EGMR Nr. 6339/05 – ''Evans/ Großbritanien''<nowiki>; EGMR Nr. 44362/04 – </nowiki>''Dickson/ Großbritannien'').
 
Die Vornahme heterologer künstlicher Fortpflanzung hat eine rechtliche Debatte über das sog. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (unabhängig vom Recht auf Feststellung der Abstammung) ausgelöst. Auf internationaler Ebene ist die Rechtslage durch die Anerkennung des Rechts des Kindes auf Kenntnis seiner Eltern „soweit möglich“ (Art.&nbsp;7(1) UN-Kinderrechtskonvention gekennzeichnet. Der EGMR hat dieses vitale Interesse an der Erlangung erforderlicher Informationen zur Kenntnis eines so bedeutenden Aspekts der persönlichen Identität, wie es die genetische Herkunft ist, ebenso anerkannt (EGMR Nr. 53176/99 – ''Mikulić/Kroatien''). Das Schutzniveau dieser Rechtsposition hängt nach der Auffassung des Gerichtshof von den jeweils widerstreitenden Interessen ab. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung kann die Exhumierung eines Leichnams zwecks Durchführung einer DNA-Analyse zur Feststellung der Vaterschaft (EGMR Nr. 58757/00 – ''Jäggi/ Schweiz'') oder die Erhebung von Vaterschaftsklagen rechtfertigen, die sich auf biologische Beweismittel stützen, die in vorherigen Verfahren noch nicht zur Verfügung standen (EGMR Nr. 11449/02 – ''Tavli/Türkei''). Diese Entwicklung steht in einer bedeutenden Zahl von europäischen Ländern im Widerspruch zum rechtlichen Schutz der Anonymität des Samen-, Eizellen- oder Embryonenspenders bei der Vornahme assistierter Reproduktionstechniken. Der Fortbestand des Anonymitätsprinzips ist allerdings weder seitens des EGMR noch durch die Arbeiten des Europarats (Prinzip&nbsp;13 ''CAHBI Report'') in Frage gestellt worden.


==Literatur==
==Quellen==
''Peter Dopffel'' (Hg.), Ehelichkeitsanfechtung durch das Kind. Zwei rechtsvergleichende Gutachten, 1990; ''Juan Miquel'', Abstammungsrecht in Europa, in: Festschrift für Andreas Wacke, 2001, 279&nbsp;ff.; ''Frank Rainer'', ''Tobias Helms'', Rechtliche Aspekte der anonymen Kindesabgabe in Deutschland und Frankreich, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2001, 1340&nbsp;ff.; ''Hans-Georg Koch'', Fortpflanzungsmedizin im europäischen Rechtsvergleich, Aus Politik und Zeitgeschichte 27 (2001) 44&nbsp;ff.; ''Andrea Büchler'', Das Abstammungsrecht in rechtsvergleichender Sicht, Die Praxis des Familienrechts 3 (2005) 437&nbsp;ff.; ''Machteld J Vonk'', Children and their Parents: A comparative study of the legal position of children with regard to their intentional and biological parents in English and Dutch law, 2007; ''Caroline Forder'','' Kees Saarloos'', The establishment of parenthood: a story of successful convergence?, in: Masha Antokolskaia (Hg.), Convergence and Divergence of Family Law in Europe, 2007, 169&nbsp;ff.; ''Ingeborg Schwenzer'' (Hg.), Tensions between legal, biological and social conceptions of parentage, 2007; ''Andreas Spickhoff'', ''Dieter Schwab'','' Dieter Henrich'','' Peter Gottwald ''(Hg.), Streit um die Abstammung: Ein europäischer Vergleich, 2007; ''Richard J. Blauwhoff'', Foundational Facts, Relative Truths: A Comparative Law Study on Children’s Right to Know Their Genetic Origins, 2009.
Die Praxis des Lehnrechts erschließt sich vor allem über die zahlreichen Lehnsurkunden, die im lateinischen Original greifbar sind über die Editionen der ''Monumenta Germaniae Historica''. Eine Zusammenstellung von Texten findet sich bei ''Werner Goez'' (Hg.), Lehnrecht und Staatsgewalt im deutschen Hochmittelalter, 1969, sowie ''David Herlihy'', The History of Feudalism, 1971; einzelne Texte auch bei ''François Louis Ganshof'', Was ist das Lehnswesen?, (erstmalig 1944) 7. Aufl. 1989, sowie ''Karl-Heinz Spieß'', Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 2002. Der Text der ''Libri feudorum'' ist verfügbar in der Ausgabe von Karl Lehmann (Hg), Das langobardische Lehnrecht (Handschriften, Textentwicklung, ältester Text u. Vulgatext nebst der capitula extraordinaria), 1896, sowie ''Karl Lehmann'', Consuetudines feudorum, editio altera hg. von ''Karl August Eckhardt'', 1971. Der Text des Sachsenspiegels ist in einer neuhochdeutschen Form am besten zugänglich über die Ausgabe von ''Clausdieter Schott'', Der Sachsenspiegel, 1996.


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Version vom 9. September 2016, 14:16 Uhr

von Andreas Thier

1. Begrifflichkeit

Der Ausdruck „Feudalrecht“ geht auf den seit dem 10. Jahrhundert zunächst in Südfrankreich belegten Begriff feudum bzw. feodum zurück. Vermutlich in Fortbildung des fränkischen Wortes fehu (Vieh, Vermögen) entstanden, kennzeichnete feudum ursprünglich das Ritterlehen und diente als Komplementärbegriff zum Ausdruck alleudium (Allod, Eigen). Diese Begrifflichkeit legt es nahe, den Ausdruck „Feudalrecht“ als die Gesamtheit aller Rechtssätze zu deuten, die sich auf Lehnsverhältnisse beziehen. Damit ist die Beziehung zwischen einem Vasall und einem Lehnsherren angesprochen, deren Kern durch die Übertragung eines Lehnsguts auf den Vasall einerseits und dessen eidliche Verpflichtung zu Treue und Dienstleistung gegenüber dem Lehnsherren andererseits gebildet wird.

Eine zweite Bedeutungsschicht des Wortes „Feudalrecht“ erschließt sich im Blick insbesondere auf die Geschichte des Sprachgebrauchs in Frankreich: Seit dem 16. Jahrhundert kennzeichnete der Ausdruck féodalité hier nicht nur die Beziehung zwischen einem Lehnsnehmer und einem Lehnsgeber, sondern auch und gerade die lokal gebundene Herrschaft des Adels im Gegensatz zur zentralisierten Herrschaft des Königtums. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde féodalité dagegen zum Inbegriff einer ungerechtfertigten Herrschaft von Aristokratie und Kirche im Allgemeinen und der bäuerlichen Abhängigkeit im Besonderen. Die Beseitigung des régime féodal durch die französische Nationalversammlung am 4.8.1789 bedeutete dementsprechend nichts weniger als die Abschaffung aller Herrschaftsrechte, die mit dem Grundeigentum verbunden waren. Diese Deutung breitete sich in der Folgezeit in Europa aus. Als Feudalismus gedeutet wurde etwa im deutschen Vormärz (1815-1848) nicht allein die Lehnsordnung, sondern auch die Grundherrschaft, also die mit der rechtlichen Zuordnung von Grundbesitz verbundene Herrschaft über die darauf lebenden Menschen. Dieser Ansatz wurde in der marxistischen Geschichtsdeutung radikalisiert, in der die mittelalterliche Sozialordnung jenseits des städtischen Rechtsraums auf den Dualismus von „Feudalherrn“ und „Leibeigenen“ reduziert wurde. Vor allem Max Weber und Otto Hintze bezogen später ebenfalls neben der Grundherrschaft auch die Strukturen politischer Herrschaft in die Betrachtung ein. Die „Feudalgesellschaft“ war es auch, die in den Arbeiten von Marc Bloch und seiner Schule zur Chiffre für die gesamte Sozialordnung des Mittelalters wurde, deren elementarste Ordnungsstruktur durch das „Verhältnis der Unterordnung unter den nächsten Führer“ gebildet wurde. Bis heute allerdings ist – sicherlich nicht zuletzt auch im Blick auf die starke ideologische Aufladung des Wortes „feudal“ – umstritten, inwieweit der Ausdruck „Feudalismus“ (und insofern auch der Begriff „Feudalrecht“) zur deutenden Umschreibung der mittelalterlichen und der frühneuzeitlichen Herrschafts- und Sozialordnung geeignet ist. Das gilt umso mehr, als dabei die Rolle der rechtlich vielfach autonomen städtischen Bürgerverbände (Stadtrechte) im Verhältnis zum Adel und den unfreien Bauern zu Deutungsproblemen führt. Unbestritten ist dagegen, dass der Ausdruck „Feudalrecht“ in seinem Kern das Lehnrecht umfasst, dessen Entwicklungslinien deswegen auch nachfolgend im Zentrum der Betrachtung stehen.

2. Die Entstehung des Lehnswesens (8.–10. Jahrhundert)

Ursprünglich bezeichnete das seit dem 6. Jahrhundert belegte Wort vassus, das seit dem 9. Jahrhundert zu vasallus fortgebildet wurde, einen Mann, der einem Herrn (dominus, senior) unterworfen war. Dem entspricht die Herkunft dieser Ausdrücke vom keltischen gwas (Knecht, Diener). Grundlage dieser Herrschaftsbeziehung war die Kommendation (commendare – anvertrauen, empfehlen, übergeben), die vereinbarte und deswegen freiwillige Unterwerfung unter die Herrschaft eines anderen, der dafür Unterhalt und Schutz des vassus übernahm. In karolingischer Zeit, also seit dem 8. Jahrhundert, verband sich die Kommendation mit dem Ablegen eines Treueides, wodurch wohl (so die herrschende Ansicht) Elemente germanischer Verbandsstrukturen (Gefolgschaft) in die Vasallität gelangten. Vor allem aber wurde damit die normative Autonomie des Vasallen herausgehoben, der deswegen auch nach der Kommendation als – wenn auch abhängiger – Freier gelten konnte (im hochmittelalterlichen Frankreich ist der Ausdruck condition quasi-servile als Bezeichnung der Vasallität belegt). Diese Entwicklung ging mit der gezielten militärischen Verwendung von Vasallen einher, wobei hierbei das Vorbild der königlichen antrustiones (Leibwächter) prägend war, die ihrerseits eine herausgehobene soziale Stellung einnahmen. Die auf diese Weise einsetzende Aufwertung der Vasallität spiegelte sich in der Entstehung von vassi dominici¸ von adeligen Vasallen des Königs, die sich zu Kriegsdiensten verpflichteten. Mit dem bayerischen Herzog Tassilo III. (741 bis nach 794) legte wohl erstmals im 8. Jahrhundert ein Mitglied des Hochadels den Treueid als Vasall ab.

Diese personal geprägte Beziehung von Vasall und Herr wurde seit karolingischer Zeit mit einem dinglichen Element in Gestalt des beneficium (Wohltat) verbunden: Als beneficium wurde ursprünglich die Leihe von Grund und Boden verstanden, für die – im Gegensatz zu anderen Formen der Bodenleihe (precaria) – höchstens geringfügige Zinsleistungen zu erbringen waren. Bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurden Vasallen zu ihrer Versorgung mit beneficia ausgestattet; 743/744 verbreiterten die karolingischen Hausmeier Karlmann (vor 714-754) und Pippin III. (714/715-768) diese Verbindung von Vasallität und beneficium, indem sie königlichen Vasallen Kirchengut auf Lebenszeit zuwiesen, die dafür aber der Kirche zur Zinszahlung verpflichtet wurden (precaria verbo regis). Seit dieser Zeit wurden beneficia als Gegenleistung für Kriegsdienste immer häufiger nicht allein durch die Karolinger, sondern auch den Adel und die Kirche vergeben. Zugleich wurden auch Herrschaftsrechte wie etwa die Leitungsbefugnis für Abteien oder Grafschaftsbefugnisse in diese Vergabe einbezogen. Diese Verbindung von Vasallität und beneficium wandelte sich von herrschaftlicher Praxis zu normativer Verbindlichkeit, als am Ende der Karolingerzeit Regelungen über die vasallitischen Rechte und Pflichten hinsichtlich des beneficium entstanden: Bereits seit Beginn des 9. Jahrhunderts konnten Verstöße gegen die Pflicht zur Kriegsdienstleistung im Entzug des beneficium enden. 877 wurde im Kapitular von Quierzy die Regel bestätigt, dass (ebenso wie das Grafenamt) ein beneficium beim Versterben seines Inhabers auf dessen Sohn übergehen, also erblich sein sollte. Solche Bestimmungen belegten die Verfestigung der Beziehung von beneficium und Vasallität, die mit der Verdrängung des Ausdrucks beneficium durch das Wort feudum (s.o. 1.) seit dem 10. Jahrhundert auch ihre semantische Entsprechung fand. Allerdings blieb auch jetzt die Vasallität ohne Lehen (vassus non casatus) ebenso bestehen wie die leihweise Vergabe von Grundbesitz ohne militärische Leistungsverpflichtung.

3. Die Ausformung des Lehnrechts in Europa (11.–14. Jahrhundert)

Seit etwa dem 11. Jahrhundert wurden lehnrechtliche Strukturen in weiten Teilen Europas zum dominierenden Ordnungsgefüge politischer Herrschaft. Zugleich gewannen die frühmittelalterlich entstandenen Regelungsansätze an Komplexität und Vielfalt. Dem entsprach es, dass die im 12. Jahrhundert einsetzende Verwissenschaftlichung des Rechtsdenkens auch das Lehnrecht erfasste.

a) Die Ausbreitung des Lehnrechts

Seit etwa dem 11. Jahrhundert breiteten sich lehnrechtliche Strukturen, ausgehend vom ehemals karolingischen Herrschaftsraum, vor allem in Westeuropa aus: Mit dem Beginn der salischen Herrschaft (seit 1024) gewann das Lehnswesen neuen Einfluss im Reich, insbesondere im italienischen Raum. Diese Tendenz verstärkte sich noch mit dem Ende des Investiturstreits durch das Wormser Konkordat im Jahre 1122: Denn das Kaisertum verzichtete nunmehr auf die amtsrechtliche Eingliederung des Reichsepiskopats in die Herrschaftsordnung des Reiches, band stattdessen die je kirchlich gewählten neuen Reichsbischöfe als kaiserliche Vasallen an sich und bewirkte damit eine „Feudalisierung der Reichskirche“ (Peter Classen). Vom Lehnswesen geprägt wurden aber auch Herrschaft und (adelige) Gesellschaft in Frankreich und in England. Doch auch das Papsttum bediente sich in der Auseinandersetzung mit weltlichen Herrschern lehnrechtlicher Elemente, was besonders eindrucksvoll durch die Unterwerfung Johanns von England (1199-1216) unter die päpstliche Lehnshoheit 1213 zum Ausdruck kam. In den Kreuzritterherrschaften des Nahen Osten wie etwa im 1099 errichteten Königreich Jerusalem schließlich bildete das Lehnswesen ein wesentliches Instrument herrschaftlicher und sozialer Ordnung.

b) Tragende Elemente lehnrechtlicher Ordnung

Der starken räumlichen Ausbreitung des Lehnswesens entsprach die zunehmend differenzierte Komplexität seiner Regelungsinhalte. Susan Reynolds hat 1994 in einem bahnbrechenden Werk sogar die – im vorliegenden Rahmen nicht näher zu diskutierende – These formuliert, dass die Lehen seit dem 12. Jahrhundert im Vergleich zu den frühmittelalterlichen beneficia „a fundamentally different category of property“ gebildet hätten. Umgekehrt seien auch die vasallitischen Pflichten erst seit dem 11. Jahrhundert auf die Lehensvergabe gegründet worden. In der Tat ist nicht zu übersehen, dass erst seit dieser Zeit lehnrechtliche Ordnungselemente schärfere Konturen gewinnen, auch wenn andererseits wohl jedenfalls ideelle Kontinuitäten zur karolingischen Zeit existieren. Das gilt vor allem für die Begründung der Lehnsbeziehung: Einem Unterwerfungsakt des künftigen Vasallen in Form des seit dem 11. Jahrhundert zunächst in Frankreich, später auch im Reich so bezeichneten homagium (hominaticum, hominatio – Huldigung) folgte der vasallitische Treueid und sodann die Einsetzung (investitura) in das Lehen durch die Übergabe eines Symbols (etwa einer Fahne oder eines Zepters). Die Pflichten aus dem Lehnsverhältnis endeten mit dem Tod des Herrn (Herrenfall) oder des Vasallen (Mannfall) und konnten von den jeweiligen Erben erneuert werden. Das taten diese auch regelmäßig, um so die Kontinuität der lehnrechtlich begründeten Herrschafts- und Vermögensordnung zu sichern.

Wichtigstes Objekt der Lehnsvergabe blieb zwar der Grundbesitz. Doch wurden auch Herrschaftsrechte wie etwa Regalien und seit dem 12. Jahrhundert im Zeichen der aufkommenden Geldwirtschaft auch Renten als sog. Rentenlehen vergeben, die die Herrschaftsposition des Lehnsgebers unberührt ließen und im Fall eines Konflikts mit dem Vasallen ungleich leichter kontrolliert werden konnten als etwa Jurisdiktionsbefugnisse oder Grundbesitz.

Eine neue Qualität gewann auch das Verhältnis von Lehnsvergabe und Lehnsdienst, das seit dem 11. Jahrhundert zur, modern gesprochen, synallagmatischen Beziehung wurde: Denn nunmehr war die Übertragung des Lehens grundsätzlich konstitutiv für das Lehnsverhältnis, auch wenn in England und Frankreich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts mit den household knights und bacheliers noch Vasallen ohne Lehnsgut (vassi non casati) belegt sind. Dieser allgemein als „Verdinglichung des Lehnswesens“ bezeichneten Entwicklung entsprach es, dass der Vasall sich seiner Lehnspflichten durch die Rückgabe des Lehens entledigen konnte, während der Lehnsherr im Fall einer vasallitischen Pflichtverletzung das Lehen einziehen durfte, im Fall der eigenen Pflichtverletzung dagegen seine Befugnisse am Lehnsgut verlor. Der normative Kern der lehnrechtlichen Pflichtenbindung wird in der Bezeichnung der Pflichtwidrigkeit mit dem Ausdruck Felonie (felonia, félonie) erkennbar, der sich aus dem Begriff fello (Verräter) ableitete: Die Grundlage aller Lehnspflichten bildete die durch den Vasallen eidlich gelobte Treue, als deren Reflex sich auch eine Treuepflicht des Lehnsherren ergab. Ihre Konkretisierung fand diese Treuepflicht in dem Verbot, den Lehnsherren zu schädigen; im oberitalienisch-langobardischen Lehnrecht wurde daraus sogar das Verbot abgeleitet, den Herren zu verklagen oder als Zeuge gegen ihn auszusagen. Darüber hinaus kristallisierte sich die bereits erwähnte Verdinglichung des Lehnsverhältnisses in der immer wieder betonten (und demnach offenbar vielfach vernachlässigten) Verpflichtung des Vasallen, Verfügungen zu Lasten des Lehens wie etwa die Verpfändung oder die Veräußerung nur mit Einwilligung des Lehnsherrn vorzunehmen. Doch der Vasall schuldete auch jenseits dieser Ebene ein positives Tun, das vielfach mit der Formel consilium et auxilium (Rat und Hilfe) umschrieben wurde und konkret neben militärischer Unterstützung die Begleitung des Herrn zum Hof des Herrschers und die Beteiligung am Lehnsgericht umfasste; die seit dem 13. Jahrhundert einsetzende Entstehung ständischer Körperschaften, der institutionellen Vorläufer moderner Parlamente, hat einen ihrer Ausgangspunkte in den auf dieser Grundlage entstehenden Vasallentagen (Manntage).

Die lehnrechtliche Bindung begründete freilich keine exklusive Beziehung, es war dem Vasall unbenommen, sich gleichzeitig mehr als einem Herren zu verpflichten. Als Reaktion auf solche Mehrfachvasallitäten und die daraus resultierenden Interessenkonflikte (bisweilen war ein Vasall mehr als 20 Herren verpflichtet) entstand im 11. Jahrhundert mit dem homagium ligium (abgeleitet wohl von liticus und damit von litare = opfern) der Typus eines qualifizierten Treueides, der sich von Frankreich aus vor allem in England und im Westen des Reiches verbreitete. Hierbei band sich der Vasall ursprünglich ausschließlich an einen Herrn zur Unterstützung contra omnes homines (gegen alle Menschen), später wurde nur mehr der Vorrang des konkreten Lehnsverhältnisses gegenüber anderen Lehnsbindungen gelobt, doch bildeten sich seit dem 12. Jahrhundert zunehmend Nuancierungen solcher sog. „ligischen“ Lehnspflichten. So kam es immer wieder zu Konfliktsituationen, in denen ein Vasall einem seiner Herrn im Interesse eines anderen die Treue aufkündigte, auch wenn immer wieder versucht wurde, durch die Vereinbarung von Treuevorbehalten solche Konstellationen zu verhindern.

c) Die Verwissenschaft­lichung des Lehnrechts

Die ausgeprägte Vielfalt lehnrechtlicher Normbildungen bewirkte eine gesteigerte Verschriftlichung des Lehnrechts. Das galt nicht allein für die Belege von Belehnungen, die ursprünglich nur durch die Anwesenden bezeugt wurden, für die sich aber zunächst in Oberitalien mit dem breve testatum und später auch in Mitteleuropa mit dem Lehnsbrief und dem Lehnsrevers sowie dem Lehnsregister die urkundliche (und mit einer Abgabe verbundene) Dokumentation entwickelte. Doch auch die im Ausgangspunkt auf Gewohnheitsrecht basierenden Lehnrechtsregeln selbst erlebten eine zunehmende Verschriftlichung: So ergingen in Form von herrscherlichen Lehnsgesetzen wie etwa im Reich (1037, 1136, 1154, 1158, 1338) präzisierende und ergänzende Anordnungen. Vor allem aber entstanden seit dem 12. Jahrhundert Aufzeichnungen regionaler Lehnrechtsgewohnheiten, die die Verfestigung der lehnrechtlichen Tradition in Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft garantierten. Besonders einflussreich wurde der lehnrechtliche Teil des um 1230 entstandenen Sachsenspiegels, der das sächsische Lehnrecht aufzeichnete, seit dem 14. Jahrhundert glossiert wurde und im osteuropäischen Raum bis zum 19. Jahrhundert gesetzesgleiche Bedeutung hatte. Doch auch im Traditionszusammenhang des ius commune hinterließ das Lehnrecht deutliche literarische Spuren: Seit etwa der Mitte des 12. Jahrhunderts entstand in Oberitalien in drei Rezensionen eine umfangreiche Sammlung von insbesondere langobardischen Lehnrechtsregeln, kaiserlichen Lehnsgesetzen (1136, 1158) und einer Reihe von lehnrechtlichen Abhandlungen. In den Manuskripten bezeichnenderweise nicht selten consuetudines feudorum (Gewohnheitsrecht der Lehen) genannt, gelangten die allgemein als libri feudorum bezeichnete Sammlung als decima collatio in das Corpus Juris Civilis, was sicherlich auch auf seiner Glossierung durch Accursius (um 1185-1263) beruhte. Das Werk bildete nunmehr den textlichen Ausgangspunkt für eine an oberitalienischen Universitäten entstehende neue rechtswissenschaftliche Teildisziplin, die Feudistik, und blieb bis etwa zum Ende des 18. Jahrhunderts die zentrale Referenz der europäischen Lehnrechtstradition. Doch die lehnrechtliche Praxis spiegelte sich auch im Diskurs der Legisten: Um die Verteilung der Befugnisse am Lehen mit dem römischrechtlichen Vermögensrecht zu harmonisieren, entwickelten sie die Lehre von einem geteilten Eigentum, das in ein dominium directum des Lehnsherrn als Obereigentümer und in ein dominium utile des Vasallen als Untereigentümer zerfiel.

d) Die politische und soziale Ordnungsfunktion des Lehnrechts

Die weite Verbreitung des Lehnrechts beruhte vor allem auf seiner hierarchisierenden Ordnungsfunktion: Die Wechselbeziehung zwischen Königtum und Adel gewann normative Konturen, Nähe (und auch Distanz) zum Herrscher und damit der adelige Rang konnten in institutionalisierter Form zum Ausdruck gebracht werden. Damit wurde es möglich, die Organisation von hoheitlicher Herrschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, so dass Heinrich Mitteis in diesem Zusammenhang das Lehnrecht sogar als „Helfer des Staatsgedankens“ gesehen hat. Bezeichnenderweise war etwa das staufische Kaisertum des 12. Jahrhunderts bemüht, die Übertragung von Reichsrechten an das Lehnrecht zu binden, so dass „das, was vom Reich gehalten wird, aufgrund Lehnrechts besessen wird(ea que ab imperio tenentur, iure feudali possidentur; Reichsweistum 1157). Die unmittelbar vom Kaiser mit Reichsgut belehnten Vasallen, die zugleich auch selbst Lehnsherren waren, besetzten dabei als weltliche oder geistliche Reichsfürsten (principes imperii) eine herausgehobene Position in der adeligen Sozialordnung und im Herrschaftsgefüge des Reichs. Die auf diese Weise bewirkte Feudalisierung der Beziehungen zwischen dem Hochadel des Reichs und dem Kaisertum wurde nicht selten gerade von den staufischen Kaisern mit der Vergabe von sog. Auftragslehen verstärkt: Dabei wurden dem Kaiser die Allodialgüter eines hohen Adeligen übertragen und diesem, umgewandelt in Reichsgut, als Lehnsgut wieder zurückgegeben. Solche Phänomene fanden ihre Entsprechung in einer ausgeprägten Differenzierung der ursprünglich dreigliedrigen Lehnshierarchie (Königtum, Kronvasallen, Untervasallen) in ein vielstufiges Ordnungsgefüge, in dem sich Über- oder Unterordnung durch die Befugnis ausdrückte, Lehen zu verleihen (Lehnsfähigkeit). So umfasste die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert entstehende und insbesondere im Sachsenspiegel verschriftlichte Heerschildordnung sieben Ebenen, an deren Spitze der König und die Reichsfürsten standen und deren unterste Ebene durch diejenigen Adeligen gebildet wurden, die nur zum Empfang, aber nicht zur Vergabe von Lehen berechtigt waren. Während allerdings im Reich des 13. und 14. Jahrhunderts die lehnrechtliche Oberhoheit des Kaisers erodierte und eine Fülle von lehnsfreien allodialen Herrschaftsbezirken entstand, gelang dem französischen Königtum die konsequente Feudalisierung des Landes (nulle terre sans seigneur), die im König als oberstem Lehnsherr ihren hierarchischen Schlusspunkt fand.

4. Lehnrecht und Staatlichkeit (15.–18. Jahrhundert)

Im Zeichen des aufsteigenden frühneuzeitlichen Anstaltsstaats rückten lehnrechtliche Beziehungen zunehmend in die Peripherie des Herrschaftsgefüges, blieben allerdings weiterhin in der europäischen Rechtstradition präsent. Dabei nutzten Könige und Landesherren weiterhin die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Lehnrechts wie etwa die Bestrebungen Josephs I. (1705-1711) belegen, seine Herrschaft über Italien durch den Rückgriff auf überkommene kaiserliche Lehnsbefugnisse zu konsolidieren. Ohnehin bildete das Lehnrecht einen wichtigen formalen Ordnungsrahmen gerade für das Miteinander von Kaiser und Reichsadel, dem anzugehören für den Wiener Hofadel des 17. und 18. Jahrhunderts besonders wichtig war. Zugleich bildete die lehnrechtliche Tradition insbesondere seit etwa dem 17. Jahrhundert die normative Grundlage adeliger Privilegien wie etwa ständischer Mitspracherechte oder der Steuerfreiheit, die teilweise, wie etwa in Preußen, erst im späten 19. Jahrhundert beseitigt wurde.

Literatur

Peter Classen, Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung, 1973, 411 ff.; Karl-Heinz Spieß, Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1978, Sp. 1725 ff.; Gerhard Dilcher, Libri Feudorum, in: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1978, Sp. 1995 ff.; François Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen?, 7. Aufl. 1989; Susan Reynolds, Fiefs and Vasalls. The Medieval Evidence Reinterpreted, 1994 (1996); Otto Brunner, Feudalismus, feudal, in: idem, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, 1994, 337 ff.; Steffen Schlinker, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter, 1999 Gerhard Dilcher, Die Entwicklung des Lehnswesens in Deutschland zwischen Salien und Staufern, in: Centro Italiano di Studi Sull’Alto Medioevo (Hg.), Il Feudalesimo nell’alto medioevo, 2000, 263 ff.; Olivia S.Robinson, T.D. Fergus, W.M. Gordon, European Legal History, 3. Aufl. 2000, 26 ff.; Karl-Heinz Spieß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 2002.

Quellen

Die Praxis des Lehnrechts erschließt sich vor allem über die zahlreichen Lehnsurkunden, die im lateinischen Original greifbar sind über die Editionen der Monumenta Germaniae Historica. Eine Zusammenstellung von Texten findet sich bei Werner Goez (Hg.), Lehnrecht und Staatsgewalt im deutschen Hochmittelalter, 1969, sowie David Herlihy, The History of Feudalism, 1971; einzelne Texte auch bei François Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen?, (erstmalig 1944) 7. Aufl. 1989, sowie Karl-Heinz Spieß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 2002. Der Text der Libri feudorum ist verfügbar in der Ausgabe von Karl Lehmann (Hg), Das langobardische Lehnrecht (Handschriften, Textentwicklung, ältester Text u. Vulgatext nebst der capitula extraordinaria), 1896, sowie Karl Lehmann, Consuetudines feudorum, editio altera hg. von Karl August Eckhardt, 1971. Der Text des Sachsenspiegels ist in einer neuhochdeutschen Form am besten zugänglich über die Ausgabe von Clausdieter Schott, Der Sachsenspiegel, 1996.

Abgerufen von Abstammung – HWB-EuP 2009 am 26. April 2024.

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