Persönlichkeitsrecht und Gesellschaftsrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Hannes Rösler]]''
von ''[[Andreas M. Fleckner]]''
== 1. Problemaufriss ==
== 1. Funktion ==
Das Recht der Persönlichkeit unterliegt vielfältigen Spannungen. Bei öffentlichkeitsrelevanten Sachverhalten ist wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit erstens der entsprechende Einfluss der Verfassungsrechtsprechung zu beachten. In Europa gilt die Redefreiheit aber ebenso wenig uneingeschränkt wie in den USA, auch wenn das erste ''Amendment'' (1789) der US-Verfassung dies formell vorsieht. Im Rahmen des Deliktsrechts sind damit fundamentale Verfassungswerte in Ausgleich zu bringen: das für eine demokratische Ordnung konstitutive Freiheitsrecht des Äußernden auf Meinung (ggf. auch auf Presse, Lehre, Gewissen, Religion, Versammlung etc.) mit dem Schutzbedürfnis des persönlichkeitsrechtlich Verletzten.


Zweitens stellt sich die Frage nach der Ausrichtung des Persönlichkeitsrechts. Gegenüberstellen lässt sich ein dignitäres bzw. immaterielles Konzept einem monetären Ansatz, und zwar sowohl beim Schutzkonzept als auch bei den Rechtsfolgen. Drittens ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts der überlagernde Einfluss der europäischen Menschenrechte und mit großen Abstrichen das Unionsrecht zu beachten. Viertens wird das Persönlichkeitsrecht gegenwärtig unter den Aspekten des Privatsphären- und Datenschutzes infolge von Digitalisierung, Vernetzung, Kommerzialisierung, Gen- und Transplantationstechnik besonders gefährdet. Damit ist das Recht der Persönlichkeit vor neue Herausforderungen gestellt, die weit über den historischen Kern des Beleidigungsschutzes (etwa im Zwölftafelgesetz VIII von 450 v. Chr.) und des [[Namensrecht]]s hinausgehen.
Das Gesellschaftsrecht regelt die innere und äußere Verfassung von Gesellschaften. Es hat eine ''eröffnende'' Funktion, soweit es ihre Errichtung und Organisation abweichend von den allgemeinen Regeln, insbesondere über Rechtsgeschäfte und Verträge, ermöglicht. Soweit das Gesellschaftsrecht – wie ganz überwiegend – die allgemeinen Regeln nur ergänzt oder abändert, hat es eine ''regulierende'' Funktion.


Fünftens lässt sich das Persönlichkeitsrecht denkbar weit fassen: Ganz mit ''Immanuel Kant ''ist schließlich die Würde, Willensfreiheit und Autonomie des Individuums maßgeblicher Mittelpunkt des Werte- und Rechtssystems moderner europäischer Staaten. Ähnlich enthält die Persönlichkeit nach ''Georg Wilhelm Friedrich Hegel ''überhaupt die Rechtsfähigkeit und bildet die Grundlage des Rechts. Daher dienen der selbstbestimmten Entfaltung der Persönlichkeit'' ''vor allem die Vertrags-, Ehe-, Testier- und Eigentumsfreiheit. Gleiches gilt für den Geheimnisschutz und das Recht des geistigen Eigentums (einschließlich des Urheber- und Markenrechts).
Einen ersten Zugang zur funktionalen Bedeutung des Gesellschaftsrechts erhält, wer ausgehend von seiner nationalen Rechtsordnung danach fragt, ob und inwieweit das Gesellschaftsrecht gegenüber den allgemeinen Vorschriften etwas Zusätzliches eröffnet. Dies ist von Land zu Land verschieden. In einer essentiellen Frage, der Vermögensverfassung, hat das Gesellschaftsrecht überall eine ''eröffnende ''Funktion: Vertraglich lassen sich das individuelle (Privat‑)Vermögen der Gesellschafter und das gemeinsame (Geschäfts‑)Vermögen der Gesellschaft nicht hinreichend trennen („Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“).


== 2. Tendenzen bei den nationalen Voraussetzungen ==
Die Bestimmung der Funktion des Gesellschaftsrechts hat bedeutende Implikationen für seine Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten, insbesondere zum Kapitalmarktrecht und zum Insolvenzrecht.
Bei den dogmatischen Strukturen des Persönlichkeitsrechts und der Interessenabwägung weichen die Rechtsordnungen erheblich ab. Eine spezifische gesetzliche Regelung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts insgesamt findet sich selten, so aber etwa in Österreich und Spanien. Im Übrigen stehen richterrechtliche Entwicklungen im Vordergrund.


=== a) Deutschland ===
== 2. Begriff ==
In Deutschland ist zunächst der strafrechtliche Ehrenschutz zu nennen, der auch deliktsrechtliche Ansprüche nach sich ziehen kann (über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB). Zu beachten ist auch § 824 BGB über die Kreditgefährdung und § 826 BGB im Fall von sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigungen. Bei einer Verletzung des Namensrechts in § 12 BGB können Ansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen. Im Jahr 1907 wird das Recht am eigenen Bild nach §§ 22 f. KunstUrhG geschaffen: Bei Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte ist ausnahmsweise eine Einwilligung entbehrlich (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG). Dafür wird eine einzelfallbezogene Interessenabwägung verlangt, und zwar seit neuerem auch bei Personen mit hohem Bekanntheitsgrad.


Die verschiedenen zivilrechtlichen Ansätze im Sinne eines „besonderen Persönlichkeitsrechts“ bedurften in der Nachkriegszeit aus Gründen der Verfassungsneuordnung einer Fortentwicklung. Hatte der BGB-Gesetzgeber bewusst das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht ins BGB aufgenommen und hatte es auch noch das RG wegen der mangelnden gegenständlichen Verkörperung abgelehnt, erkannte es der BGH in den 1950er Jahren als „sonstiges“ Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB an (BGH 25.6. 1954, BGHZ 13, 334 – ''Leserbriefe''). Dabei handelt es sich um das absolute subjektive Recht eines Menschen an seiner Persönlichkeit insgesamt.  
Der gegenwärtige Rechts- und Wirtschaftsverkehr gebraucht den Begriff der Gesellschaft meist in einem sehr weiten Sinne als ''alle Vereinigungen des Privatrechts zur gemeinsamen Zweckverfolgung'' ''sowie'' – in Definitionen regelmäßig übergangen – ''Einpersonengesellschaften''. Hierunter fallen sowohl die Gesellschaften im engeren Sinne (''societas'', ''société'', ''partnership'') als auch die Körperschaften oder Vereine (''universitas'', ''association'', ''company/‌corporation''). Körperschaften sind auf überindividuelle Ziele gerichtet und deshalb vom jeweiligen Bestand ihrer Mitglieder unabhängig. Demgegenüber verfolgen Gesellschaften im engeren Sinne die gemeinsamen Interessen ihrer Gesellschafter und haben – grundsätzlich – keine von ihren Mitgliedern unabhängige Existenz. In ihrer Reinform werden Gesellschaften deshalb aufgelöst, wenn ein Gesellschafter stirbt (Inst. 3,25,5), kündigt (Inst. 3,25,4) oder insolvent wird (Inst. 3,25,7/‌8).


Der BGH bezeichnet es als „jenen inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht“ (BGH 14.2.1958, BGHZ 26,&nbsp;349,&nbsp;354 – ''Herrenreiter''). Diese generalklauselartige Rechtsposition („Rahmenrecht“) wird gestützt auf die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß der 1949 geschaffenen Art.&nbsp;1 Abs.&nbsp;1 und 2 Abs.&nbsp;1 GG. Doch der BGH gewährt sogar ''contra legem ''einen Ersatz des immateriellen Schadens, und zwar sofern die Umstände, insbesondere die Schwere der Verletzung oder des Verschuldens eine derartige Genugtuung erfordern (BGH 14.2.1958, BGHZ 26,&nbsp;349; BGH 19.9.1961, BGHZ 35,&nbsp;363 – ''Ginsengwurzel''<nowiki>; BVerfG 14.2.1973, BVerfGE 34, 269 – </nowiki>''Soraya'').
Das Gesellschaftsrecht kennt eine Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftsformen; in der Bundesrepublik ist eine „hinreichende Vielfalt“ sogar verfassungsrechtlich (Art.&nbsp;9 Abs.&nbsp;1 GG) garantiert (BVerfG 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 355). Gesellschaften im engeren Sinne sind (in Deutschland) die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft, die [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung|Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung]], die Partnerschaftsgesellschaft und die Reederei. Körperschaften sind die [[Aktiengesellschaft]], die [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft]], die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäische Genossenschaft]], der Verein und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] lässt sich weder nach ihrer typisierenden Regelung im Gesetz noch ihrer heterogenen Ausgestaltung in der Praxis einer dieser Kategorien zuordnen; sie ist historisch als Mischform konzipiert und hat diesen Charakter bis heute behalten.


Besondere Brisanz erhält der besagte Konflikt zwischen Persönlichkeits- und Freiheitsrechten bei Äußerungen, die von demokratischer Relevanz sind. Dies erklärt, warum das BVerfG die Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte auf das Zivilrecht ausgehend vom Bereich der Meinungsfreiheit entwickelt hat (BVerfG 15.1.1958, BVerfGE 7, 198 – ''Lüth''). In der Sache ging es um einen Boykottaufruf zu einem Film eines nationalsozialistischen Regisseurs. Im ''Lüth''-Urteil hat das BVerfG zudem ein weites Verständnis der Meinungsfreiheit hervorgehoben. Sie sei – wie bei sämtlichen freiheitlich-demokratischen Rechtsordnungen – „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“.
== 3. Geschichte ==


Kennzeichnend für das deutsche Recht ist die umfassende sachverhaltsorientierte Abwägung der gegeneinanderstehenden Güter und Interessen: Das Persönlichkeitsrecht ist in Verhältnis zu setzen zu den Gegeninteressen. Dazu zählen vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit (Art.&nbsp;5 Abs.&nbsp;1 GG), die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art.&nbsp;5 Abs.&nbsp;3 GG), die Berufs- und Eigentumsfreiheit (Art.&nbsp;12, 14 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art.&nbsp;2 Abs.&nbsp;1 GG). Stets kommt es auf den Einzelfall an und insbesondere darauf, welcher Schutzbereich der Persönlichkeit (z.B. Sozial-, Privat- oder Intimsphäre) betroffen ist. Bei der Abwägung ist allerdings den Äußerungsfreiheiten ein großes Gewicht beizumessen (Wechselwirkungslehre seit BVerfG 15.1.1958, BVerfGE 7, 198, 209).
Bereits der ''Codex Hammurabi'' (18.&nbsp;Jahrhundert v.&nbsp;Chr.) enthielt Vorschriften über die arbeitsteilige Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke (§§&nbsp;77+f, 100-107). Am weitesten ausdifferenziert unter den antiken Rechten und gemeinsame Grundlage des modernen europäischen Gesellschaftsrechts ist das römische Sozietätsrecht, das ''ius societatis''. Sowohl die Institutionen des ''Gaius'' (Gai. Inst. 3,148-3,154b) und ''Justinians'' (Inst. 3,25) als auch die Digesten (Dig. 17,2) und der ''Codex Iustinianus'' (Cod. Iust. 4,37) behandeln die ''societas'' in einem eigenen Abschnitt. Eine zweite Grundlage des modernen Gesellschaftsrechts sind die germanischen Rechte und Praktiken des Mittelalters (bekannt, aber unklar Sachsenspiegel, Landrecht, I&nbsp;12: „andere lude er gut to samene hebbet“). Mit der [[Rezeption]] des [[römisches Recht|römischen Recht]]s vermischten sich die germanischen und die römischen Regeln und vereinigten sich – jedenfalls lokal (exemplarisch Frankfurter Reformation von 1578, Teil&nbsp;II, Tit.&nbsp;XXIII) – zu einem weitgehend homogenen Ganzen. Bei manchen Zweifelsfragen kommen die unterschiedlichen Ausgangspunkte aber wieder zum Vorschein: etwa im 19.&nbsp;Jahrhundert beim Streit um die Rechtsnatur der [[Aktiengesellschaft]] oder in der jüngeren Vergangenheit bei der Diskussion um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.


Die grundsätzlich nicht-materiellen Persönlichkeitsrechte sind unvererbbar und unübertragbar. Sie erlöschen mit dem Tod der Person. Als Besonderheit kennt das deutsche Recht aber ein postmortales Persönlichkeitsrecht an, das den Staat aus der verbleibenden Menschenwürde nach Art.&nbsp;1 Abs.&nbsp;1 GG in eine Schutzpflicht nimmt (BVerfG 24.2.1971,'' ''BVerfGE 30, 173). Später hat der BGH 1.12.1999,'' ''BGHZ 143,&nbsp;214 aber entschieden, das Persönlichkeitsrecht enthalte auch Bestandteile mit Vermögenswert, die von den Erben geltend gemacht werden dürfen.
Den größten Einfluss auf die Entwicklung des modernen Gesellschaftsrechts in Kontinentaleuropa hatten die Vorschriften des ''[[Code civil]]'' (21.3.1804) ''du contrat de société ''(Art.&nbsp;1832–1873) und des ''Code de Commerce'' (15.9.1807) ''des sociétés'' (Art.&nbsp;18–64). Das französische Gesellschaftsrecht ist seitdem mehrfach grundlegend umgestaltet worden, findet sich aber bis heute ganz überwiegend im ''Code Civil'' (Art.&nbsp;1832–1873) und im ''Code de Commerce ''(Art.&nbsp;L.&nbsp;210-Art.&nbsp;L&nbsp;252-12). Die erste gesamtdeutsche Regelung des Gesellschaftsrechts enthielt der Entwurf eines [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch|Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches]] (ADHGB) (12.3.1861) (Art.&nbsp;85–270). Vier Jahrzehnte später wurden diese Vorschriften teils revidiert, teils unverändert in das Handelsgesetzbuch (10.5.1897) (§§&nbsp;105–342) übernommen; gleichzeitig erhielt das Bürgerliche Gesetzbuch (18.8.1896) einen Abschnitt über die ''Gesellschaft'' (§§&nbsp;705–740). Die Bestimmungen über die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind seitdem kaum verändert worden. Die übrigen Gesellschaftsformen sind heute andernorts geregelt: Der [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] wurde bei ihrer „Erfindung“ 1892 ein eigenständiges Gesetz gewidmet (20.4. 1892); das Aktienrecht wurde 1937 in ein eigenes Gesetz überführt (Aktiengesetz vom 30.1.1937) und bis heute in einem Spezialgesetz (Aktiengesetz vom 6.9.1965) belassen. Nach anfangs sehr anlassorientierter und unsystematischer Gesetzgebung hat der englische Gesetzgeber das Gesellschaftsrecht erstmals im ''Companies Act 1862'' sowie zuletzt im ''Companies Act 1985'' bzw. im ''Companies Act 2006 ''konsolidiert und kodifiziert.


=== b) Frankreich ===
== 4. Rechtsvergleichung ==
Der französische Schutz der Persönlichkeitsrechte ist ebenso wie der italienische verhältnismäßig intensiv. Er kennt – anders als der deutsche, österreichische, italienische und niederländische, aber ebenso wie der belgische – kein allgemeines, d.h. allumfassendes Persönlichkeitsrecht. Rechtsgrundlage für Ansprüche auf Schadensersatz für materielle und immaterielle Verletzungen, Beseitigung und Unterlassung ist die deliktsrechtliche Generalklausel der Art. 1382, 1383 ''Code civil''. Beim Ehrenschutz ist die ''faute'' schon gegeben, wenn die strafrechtlichen Tatbestände der üblen Nachrede (''diffamation'') oder der Beleidigung (''injure'') in Art.&nbsp;29 Pressegesetz von 1881 erfüllt sind. Auch darüber hinaus bestehen in bestimmten Bereichen Haftungserleichterungen.


Auf Grundlage der Generalklausel wurde zudem schon 1858 das Recht am eigenen Bild anerkannt (''Tribunal civil de la Seine'', 16.6.1858 – ''Rachel'', D. 1858, 3, 62). Die Privatsphäre wird zudem seit 1970 durch Art.&nbsp;9 ''Code civil'' umfassend geschützt. Danach kann das Gericht unabhängig vom Ersatz des entstandenen Schadens zur Verhinderung oder Beendigung von Eingriffen in die Privatsphäre die Beschlagnahme und andere angemessene Maßnahmen anordnen. Auf den Bekanntheitsgrad kommt es grundsätzlich nicht an. Beim Bildnisschutz erfolgt eine Abwägung mit dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Berichte über private und familiäre Angelegenheiten können danach nur bei aktuellem und besonderem Nachrichtenwert zulässig sein (''Cour d’Appel Paris'' 13.3.1986 ''Yannick Noah'', D. 1986, somm., 445; ''Tribunal de Grande Instance Nanterre'' 3.6.2002 ''Jean-Paul Belmondo'', Légipresse No.&nbsp;194-I, 101). Dazu können z.B. Unfälle, Schwangerschaften, Hochzeiten und Trauerfälle von öffentlichen Personen zählen. Angenommen wird dagegen ein Eingriff in das „vie privée“ bei Bildberichten über private und alltägliche Betätigungen, welche nur das reine Kuriositätsinteresse der Leser befriedigen (insbesondere Fotografien von Freizeitaktivitäten, wie z.B. Baden, Cass. civ. 13.4.1988, JCP 1989 II. 21320).  
Rechtsvergleichung ist im Bereich des Gesellschaftsrechts seit jeher eine der wichtigsten Erkenntnisquellen. Der ''Code de Commerce'' (1807) im Allgemeinen und seine gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen im Besonderen dienten zahlreichen weiteren Handelsgesetzbüchern zum Vorbild, beispielsweise dem span. ''Código de Comercio ''(1829), dem portug. ''Código Commercial'' (1833) und dem niederl. ''Wetboek van Koophandel'' (1838) sowie abgeschwächt dem Entwurf eines [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch|Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches]] (ADHGB).


=== c) England ===
In den Gebieten des Gesellschaftsrechts, in welchen die Gesetzgebung bereits zur Mitte des 19.&nbsp;Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen wurde, ist die Rechtsvergleichung beinahe zum Erliegen gekommen. Am augenfälligsten ist dies für die Gesellschaften im engeren Sinne (s.o.&nbsp;2.). Dort, wo Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bis heute um ein geeignetes Regelungsregime ringen also insbesondere bei der [[Aktiengesellschaft]] und der [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] – war die Rechtsvergleichung durchgehend (allerdings mit qualitativen und quantitativen Unterschieden) bedeutsam (näher bei der Darstellung der einzelnen Gesellschaftsformen).
Das englische Recht ist geprägt durch das richterrechtliche ''tort of defamation'' mit seinen zwei Formen von ''libel ''und ''slander''. Die erste ist die ehrverletzende Äußerung in fixierter Form bzw. über Rundfunk und ist ''actionable per se''. Bei ''slander'', also der Ehrverletzung in mündlicher Form, kommt eine Klagbarkeit nur in Ausnahmefällen in Betracht. Da Verschulden grundsätzlich keine Voraussetzung für eine erfolgreiche ''defamation''-Klage ist, kann die Haftung der Medien durchaus weit gehen. Allerdings bestehen drei hauptsächliche Einreden ''justification'', ''fair comment ''und in Sonderfällen ''privilege''. Bei Tatsachen kommt es vorrangig auf den Wahrheitsbeweis an. Bei Meinungen kann die Einrede des „fair comment on a matter of public interest“ erhoben werden. Einstweilige gerichtliche Verfügungen (''interlocutory injunctions'') sind – anders als in Deutschland und Frankreich traditionell nur in engen Ausnahmefällen möglich ([[Einstweiliger Rechtsschutz]]). Eine [[Prozesskostenhilfe]] wird nicht gewährt.


Mit einem umfassenden Privatsphärenschutz und einem Recht am eigenen Bild (also der Erhebung bzw. Verbreitung wahrer persönlicher Informationen) tut sich das englische Recht mit einer Vielzahl von speziellen Deliktstatbeständen traditionell schwer. In Teilen vermögen die Deliktsklagen ''breach of confidence'','' nuisance'','' trespass'','' passing off'','' malicious falsehood ''und im Fall fortwährender Belästigung der ''Harassment Act 1997'' zu helfen. Die Lückenhaftigkeit des englischen Rechts wird selbst von den Gerichten beklagt. Zur Schaffung einer Abhilfe sah man sich allerdings wegen der traditionell nur begrenzten Fortentwicklungsmöglichkeit englischen Präjudizienrechts außer Stande und verwies auf den Gesetzgeber (''Kaye v. Robertson ''<nowiki>[1991] FSR 62, 66 (CA); es ging um Veröffentlichung von Fotos eines in Koma gefallenen Schauspielers, was aber über </nowiki>''injurious falsehood ''untersagt werden konnte, da der unzutreffende Eindruck hervorgerufen worden sei, er habe zugestimmt).
== 5. Rechtsvereinheitlichung ==


Allerdings hat sich die Situation durch den ''Human Rights Act'' ''1998'', also die britische Umsetzung der EMRK grundlegend gewandelt. Das Gesetz von 1998 hat zwar keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen. Sofern aber eine „cause of action“ einschlägig ist, hat das Gericht in Einklang mit Art.&nbsp;8 und 10 EMRK'' ''zu entscheiden (''Campbell v. MGN''<nowiki> [2004] UKHL 22 (HL), Rn.&nbsp;132). Dementsprechend kam es zu einer Erweiterung des Schutzes vertraulicher Informationen. Heute ist die Privatsphäre aus Art.&nbsp;8(1) EMRK als Schutzgut des „breach of confidence“ anerkannt. Erfolgreich war dementsprechend die Klage eines Schauspielers vor dem </nowiki>''Court of Appeal'' gegen die Veröffentlichung von Fotografien seiner Hochzeit, die streng abgeschirmt stattgefunden hatte (''Douglas v. Hello! Ltd.''<nowiki> [2003] 3 All ER 996 (HL)). </nowiki>Fremd ist dem englischen Recht jedoch ein umfassendes ''law of privacy'','' ''wie es das US-amerikanische Recht kennt.
In einzelnen Fragen des Gesellschaftsrechts ist die europäische Rechtsharmonisierung weit fortgeschritten (etwa für die Rechnungslegung). Ebenso wie beim [[Kapitalmarktrecht]] liegt dies an der Bedeutung des Gesellschaftsrechts für die Verwirklichung eines [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]]s. Zu unterscheiden ist zwischen vereinheitlichtem nationalem Gesellschaftsrecht (nachfolgend a), supranationalem Gesellschaftsrecht (b) und der Verwirklichung der [[Niederlassungsfreiheit]] bzw. der [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] (c).


== 3. Tendenzen bei den Rechtsfolgen ==
=== a) Vereinheitlichtes nationales Gesellschaftsrecht ===
Auch bei den Rechtsfolgen bestehen in Art und Umfang beträchtliche Unterschiede. Als immaterielle, naturalrestitutive Abwehransprüche kommen grundsätzlich Unterlassung, Berichtigung bzw. Widerruf und Gegendarstellung in Betracht. Wegweisend ist das ''droit de réponse'' nach Art.&nbsp;13 des französischen Pressegesetzes von 1881. Vielfach wurde es in andere Rechtsordnungen übertragen, so etwa in Deutschland in die landesrechtlichen Presse- und Mediengesetze, wo es allerdings auf Tatsachenbehauptungen beschränkt ist. Demgegenüber steht dem englischen Recht kein vergleichbares zivilrechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Insbesondere besteht im anglo-amerikanischen Recht beträchtliche Zurückhaltung gegenüber dem Gegendarstellungsrecht. (Siehe aber Empfehlung über den Schutz Minderjähriger und den Schutz der Menschenwürde und über das Recht auf Gegendarstellung, ABl. 2006 L&nbsp;378/‌72.) Das französische Recht kennt zudem die Möglichkeit der Urteilsveröffentlichung in dem verletzenden Medium, insbesondere bei Ehrenklagen.


Daneben gewinnen in Deutschland bei schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen oder schwerem Verschulden Ansprüche auf Geldersatz an Bedeutung, die wiederum im anglo-amerikanischen Recht vorherrschend sind. So hat die deutsche Rechtsprechung hier zunächst die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion in den Vordergrund gestellt. Erweiternd erkannte der BGH aber in ''Caroline von Monaco&nbsp;I'' auch den Präventionsgedanken an und bezog insbesondere die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor für die Höhe der Geldentschädigung ein (Es ging um ein frei erfundenes Interview und Paparazzi-Fotos, BGH 15.11.1994, BGHZ 128,&nbsp;1).
(i)&nbsp;Zur Vereinheitlichung des nationalen Gesellschaftsrechts sind bislang zwölf grundlegende Richtlinien ergangen (im Folgenden geordnet nach dem Datum ihrer Verabschiedung, nicht nach der von der zeitlichen Abfolge teilweise abweichenden und mittlerweile aufgegebenen offiziellen Nummerierung): (1)&nbsp;Erste Richtlinie (RL&nbsp;68/‌151 vom 9.3.1968) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Publizitäts-RL). (2) Zweite Richtlinie (RL&nbsp;77/‌91 vom 13.12.1976) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Kapital-RL). (3) Vierte Richtlinie (RL&nbsp;78/‌660 vom 25.7.1978) über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechts<nowiki>formen (sog. Jahresabschluss-RL). (4) Dritte Richtlinie (RL&nbsp;78/‌855 vom 9.10.1978) betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (sog. Verschmelzungs-RL). (5) Sechste Richtlinie (RL&nbsp;82/‌891 vom 17.12.1982) betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (sog. Spaltungs-RL). (6) Siebente Richtlinie (RL&nbsp;83/‌349 vom 13.6.1983) über den konsolidierten Abschluß (sog. Konzernabschluß-RL). (7) Achte Richtlinie (RL&nbsp;84/‌253 vom 10.4.1984) über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, abgelöst von der RL&nbsp;2006/‌43 vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (sog. Abschlussprüfer-RL). (8) Elfte Richtlinie (RL&nbsp;89/‌666 vom 21.12.1989) über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (sog. Zweigniederlassungs-RL). (9) Zwölfte Richtlinie (RL&nbsp;89/‌667 vom 21.12.1989) betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (sog. Einpersonengesellschafts-RL). (10) Richtlinie (RL&nbsp;2004/‌25 vom 21.4.2004) betreffend Übernahmeangebote (sog. Übernahme-RL) [ursprünglich als Dreizehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (11) Richtlinie (RL&nbsp;2005/‌56 vom 26.10.2005) über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (sog. Internationale Verschmelzungs-RL) [ursprünglich als Zehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (12) Richtlinie (RL&nbsp;2007/‌36 vom 11.7.2007) über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (sog. Aktionärsrechte-RL).</nowiki>


Allerdings schließt die Rechtsprechung trotz rücksichtsloser Kommerzialisierung der Persönlichkeit eine „Gewinnabschöpfung“ aus. Das unterscheidet das deutsche Recht etwa vom englischen, wo auch der Verletzergewinn herausverlangt werden kann (''account for profits''). Demgegenüber kommt auch nach deutschem Recht der Ersatz des Vermögensschadens in Betracht, etwa in Form der Lizenzanalogie (BGH 8.5.1956 – ''Dahlke'', BGHZ 20,&nbsp;345; BGH 26.10.2006 – ''Lafontaine'', BGHZ&nbsp;169,&nbsp;340). Mit der durch BGHZ 128,&nbsp;1 erreichten Verschärfung der Haftungsfolgen, die disziplinierend auf die Unterhaltungsmedien wirken soll, rückt das deutsche Recht funktional etwas an die Strafschadensersatzansprüche des anglo-amerikanischen Rechts (''punitive damages'') heran, auch wenn es dessen Höhe bei weitem nicht erreicht ([[Strafschadensersatz]]).
(ii)&nbsp;Nicht weiterverfolgt oder noch nicht erlassen wurden: (1)&nbsp;Vorschlag (zuletzt 91/‌C 321/‌09 vom 20.11.1991) für eine fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (sog. Struktur-RL). (2)&nbsp;Vorentwurf (DOK. Nr.&nbsp;III/‌1639/‌ 84 von 1984) einer neunten Richtlinie (sog. Konzernrechts-RL). (3)&nbsp;Vorentwurf (zuletzt DOK. Nr. XV/‌43/‌87 von 1987) einer Richtlinie (sog. Liquidations-RL). (4)&nbsp;Vorentwurf (vom 22.4. 1997) für eine vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts (sog. Sitzverlegungs-RL).


Damit variiert die Höhe des Geldersatzes in Europa stark. So können die Schadensersatzsummen für Ehrverletzungen in England beträchtlich ausfallen. Dagegen wurden bei der Privatsphärenverletzung in ''Campbell'' nur GBP 3.500 zugesprochen. Frankreich kennt zum Ausgleich des immateriellen Schadens auch die Gewährung eines nur symbolischen Kleinbetrags. Einige Rechtsordnungen sehen zudem neben der Entschädigung gegenüber dem Verletzten auch die Möglichkeit einer Art Reu- oder Bußgeld an eine Wohltätigkeitsorganisation vor (z.B. in der Schweiz Art.&nbsp;49 Abs. 2 UAbs.&nbsp;2 OR).
(iii)&nbsp;Die [[Europäische Kommission]] hat in den letzten Jahren zwei Empfehlungen (Art. 249(5) Alt.&nbsp;1 EG/‌288(5) Alt.&nbsp;1 AEUV) ausgesprochen: (1) Empfehlung (2004/‌913 vom 14.12. 2004) zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften. (2) Empfehlung (2005/‌162 vom 15.2. 2005) zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats.


== 4. Europäisches Recht ==
=== b) Supranationales Gesellschaftsrecht ===
=== a) Völkervertragsrecht ===
Alle 47 Staaten des Europarates haben die EMRK ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]) von 1950 ratifiziert und sich damit dem [[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte|EGMR]] unterworfen. Daher gilt das Recht auf Privatsphärenschutz nach Art.&nbsp;8 EMRK und auf freie Meinungsäußerung nach Art.&nbsp;10 EMRK europaweit und für weitere EMRK-Staaten, z.B. Russland und die Türkei. In der viel beachteten EGMR-Entscheidung ''von Hannover/‌Deutschland'' (EGMR Nr.&nbsp;59320/‌00) ging es um den Schutz der Privatsphäre in der Öffentlichkeit. Diesen habe der Staat auch bei Prominenten sicherzustellen. Darum verwarf der EGMR ein medienfreundlicheres Grundsatzurteil des BVerfG (15.12.1999, BVerfGE 101, 361). Bei Politikern und exponierten Amtsträgern verfährt der EGMR insgesamt großzügiger: Der EGMR hat beispielsweise Frankreich wegen des Verstoßes gegen Art.&nbsp;10 EMRK verurteilt. Ein französisches Gericht hatte unter Hinweis auf die Verletzung des Arztgeheimnisses die Veröffentlichung des Buches „Le Grand Secret“ über die Krankheitsgeschichte des gerade verstorbenen ''François Mitterand ''untersagt (EGMR Nr.&nbsp;58148/‌00 – ''Plon (Société)/‌Frankreich'').


=== b) Unionsrecht ===
Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts hat sich die [[Europäische Gemeinschaft]] nicht darauf beschränkt, das nationale Gesellschaftsrecht zu vereinheitlichen. Vielmehr wurde außerdem unmittelbar geltendes, supranationales Gesellschaftsrecht erlassen.
Nicht zuletzt aus Komptenzgründen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber – anders als im Immaterialgüterrecht – bisher keine Maßnahmen zum allgemeinen Persönlichkeitsschutz ergriffen. Allenfalls zum Datenschutz finden sich Rechtsakte (RL&nbsp;95/‌46 und RL&nbsp;2002/‌58). Zwar schafft die GRCh in Art.&nbsp;7 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und Kommunikation und in Art.&nbsp;11 die Meinungsäußerung- und Informationsfreiheit. Damit sind aber keine neuen Kompetenzen begründet (Art.&nbsp;51(2) GRCh; Art.&nbsp;6(1) EU (1992)/‌Art.&nbsp;6(1) EU (2007)). Zudem erkennt die EU die Persönlichkeits- und Kommunikationsrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts an (vgl. Art.&nbsp;6(2) EU (1992)/‌Art.&nbsp;6(2) EU (2007)). Vieles ist hier noch klärungsbedürftig, was der traditionellen Wirtschaftsorientierung des Gemeinschaftsrechts geschuldet ist. Auch Art.&nbsp;1(2)(g) Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/‌2007 über außervertragliche Schuldverhältnisse) nimmt Verletzungen der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Rom&nbsp;II-VO aus.


== 5. Bewertung der Konvergenzen ==
(i)&nbsp;Alle börsennotierten Unternehmen sind per Verordnung (VO&nbsp;1606/‌2002 vom 19.7.2002) seit 2005 verpflichtet, ihre Abschlüsse nach den ''International Accounting Standards'' (IAS) bzw. nunmehr ''International Financial Reporting Standards'' (IFRS) zu erstellen ([[Rechnungslegung]]).
Die europäischen Rechtsordnungen wägen die betroffenen Belange anhand des Einzelfalls ab. Teils aufgrund des Einflusses der EMRK ist dabei dem öffentlichen Informationsinteresse herausragende Beachtung zu schenken. Anderenfalls könnten die Medien ihre für die demokratische Gesellschaft entscheidende Kontrollfunktion (''public watchdog'') nicht wahrnehmen (EGMR Nr. 8734/‌79 – ''Barthold/‌Deutschland'', §&nbsp;58). Der EGMR verweist hierzu auch auf den Gedanken der US-Rechtsprechung, insbesondere den ''chilling effect'', also die Gefahr der Einschüchterungswirkung durch überstarken Persönlichkeitsschutz (EGMR Nr. 33348/‌96 – ''Cumpănă und Mazăre v. Romania'', § 114).


Weitgehende Einigkeit besteht zudem darin, dass unwahre, persönlichkeitsverfälschende Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, keinen Schutz verdienen (in Deutschland sog. „Schmähkritik“, BVerfG 13.5. 1980, BVerfGE 54, 129). Darüber hinaus werden die Grenzen aber unterschiedlich gezogen, in England sehr großzügig, in Frankreich eher eng. In Deutschland sind Meinungen in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage bis zur Grenze der besagten Schmähkritik grundsätzlich erlaubt.
(ii)&nbsp;Nach außen hin am deutlichsten als Erscheinungen supranationalen Gesellschaftsrechts zu erkennen sind die drei europäischen Gesellschaftsformen: (1)&nbsp;Die [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung|Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung]] (EWIV) wurde 1985 mittels einer Verordnung (VO 2137/‌85 vom 25.7.1985) und nationaler Ausführungsgesetze geschaffen. In der nicht selbst auf Gewinnerzielung gerichteten EWIV, deren Vorbild der französische'' groupement d'intérêt économique (Code de Commerce'', Art.&nbsp;L.&nbsp;251-1–Art.&nbsp;L&nbsp;251-23) ist, können grenzüberschreitende Hilfstätigkeiten organisiert werden. Die praktische Relevanz der EWIV ist gering; in der Bundesrepublik als dem größten Mitgliedstaat gibt es nur 27 solcher Gesellschaften mit nennenswerter Tätigkeit (Umsatzsteuerstatistik 2006; das Unternehmensregister weist für 2008 insgesamt 68 Veröffentlichungen von 249 Unternehmen aus). (2)&nbsp;Die [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft (''Societas Europaea'')]] (SE) ist das „Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts“ (''Klaus J. Hopt''). Sie entspricht funktional wie strukturell der [[Aktiengesellschaft]] und wurde nach der Jahrtausendwende mittels einer Verordnung (VO&nbsp;2157/‌2001 vom 8.10.2001), einer Richtlinie (RL&nbsp;2001/‌86 vom 8.10.2001) und nationaler Umsetzungsgesetze eingeführt. Die ''Societas Europaea'' hat die (im Laufe der jahrzehntelangen Diskussionen immer weiter reduzierten) Erwartungen vieler Beobachter übertroffen: Aktuell (Stand: Juni 2008) gibt es europaweit 213&nbsp;Gesellschaften, in Deutschland 70, in Frankreich sieben, im Vereinigten Königreich fünf (so die empirische Untersuchung von ''Horst Eidenmüller'', ''Andreas Engert'', ''Lars Hornuf'', 2008). (3)&nbsp;Die [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäische Genossenschaft (''Societas Cooperativa Europaea'') (SCE)]] beruht wie die ''Societas Europaea'' auf einer Verordnung (VO 1435/‌2003 vom 22.7.2003), einer ergänzenden Richtlinie (RL&nbsp;2003/‌72 vom 22.7.2003) und nationalen Umsetzungsgesetzen.


Davon zu unterscheiden sind die durch Teleobjektive von Paparazzi und Abhörgeräte stattfindende Ausforschung und anschließende Veröffentlichung durch die Massenmedien von zutreffenden Informationen aus der Privat- oder gar Intimsphäre (z.B. Gesundheits- und Sexualbereich) ohne Einwilligung des Betroffenen. Ausnahmen kommen hier allenfalls bei einem herausragenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit in Betracht, insbesondere wenn die veröffentlichten Umstände eine zeitgeschichtliche bzw. historische Bedeutung aufweisen.  
(iii)&nbsp;Es gibt bzw. gab auf europäischer Ebene Pläne, für weitere supranationale Rechtsformen (1)&nbsp;Kürzlich hat die Kommission den Vorschlag (25.6.2008) einer [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäischen Privatgesellschaft]] (''Societas Privata Europaea'') vorgelegt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäischen Aktiengesellschaft]] ist, dass die Anteile an der Privatgesellschaft nicht öffentlich handelbar sind; es geht also um eine Art europäische [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]]. (2)&nbsp;Die Entwürfe einer Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌05 vom 6.7.1993) und einer Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌06 vom 6.7.1993) zur Einführung einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft hat die Kommission im Frühjahr 2006 zurückgenommen (2006/‌C 64/‌03). (3)&nbsp;Dasselbe gilt für den Europäischen Verein, für den eine Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌01 vom 6.7.1993) und eine Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌02 vom 6.7.1993) vorgeschlagen, aber zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden sind (2006/‌C 64/‌03). (4)&nbsp;Im Zusammenhang mit den europäischen Gesellschaftsformen zu erwähnen ist außerdem die [[Europäische Stiftung]].


Schwieriger ist die Beurteilung von Fotos, die Personen des öffentlichen Lebens (''public figures'') an nicht abgeschiedenen Orten zeigen. Das englische Recht erlaubt unter Betonung der Pressefreiheit grundsätzlich auch die Veröffentlichung trivialer Informationen, während das französische Recht (wie auch das italienische) einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse verlangt und bei heimlich angefertigten Fotografien einen strengen Schutz gewährt. Das deutsche Recht nimmt eine Zwischenposition ein.
=== c) Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit ===


Gleichwohl sind die Konvergenzen unübersehbar: Auch das englische Recht erkennt nun die Privatsphäre als Schutzgut an. Französische Gerichte urteilen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des EGMR, medienfreudlicher als früher. Das deutsche Recht schützt die Privatsphäre von Prominenten in der Öffentlichkeit unter Einfluss des französischrechtlich inspirierten EGMR-Urteils in der Sache ''von Hannover'' verstärkt (BGH 6.3.2007, BGHZ 171,&nbsp;275; BVerfG 26.2.2008, BVerfGE 120, 180). Dies geschieht, obwohl die EMRK formal keinen zum Unionsrecht vergleichbaren Einfluss ausübt: Sie hat nach Art.&nbsp;59 Abs.&nbsp;2 GG nur den Rang eines einfachen Gesetzes.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des europäischen Gesellschaftsrechts sind die Urteile des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s (EuGH) zur Verwirklichung der [[Niederlassungsfreiheit]] (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) und der [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] (Art.&nbsp;56–60 EG/‌63–66, 75 AEUV).
 
(i)&nbsp;Die sechs wichtigsten Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, die ausdrücklich auch für Gesellschaften gilt (Art.&nbsp;48 EG/‌54 AEUV), sind ''Daily Mail'' (Rs. 81/‌87, Slg. 1988, 5483), ''Centros'' (Rs. C-212/‌97, Slg. 1999, I-1459), ''Überseering'' (Rs. C-208/‌00, Slg. 2002, I-9919), ''Inspire Art'' (Rs. C-167/‌01, Slg. 2003, I-10155), ''SEVIC Systems'' (Rs. C-411/‌03, Slg. 2005, I-10805) und ''Cartesio'' (Rs. C-210/‌06, NJW 2009, 569). Die Urteile haben eine juristische und eine politische Dimension. Rechtlich geht es um die Frage, ob und inwieweit nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete Gesellschaften ihre Geschäftstätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat konzentrieren oder ganz dorthin „umziehen“ können, was sowohl im Erst- als auch im Zweitstaat Probleme bereiten kann. Die politische Bedeutung der Urteile liegt darin, dass eine weite Auslegung der Niederlassungsfreiheit zu einem [[Wettbewerb der Rechtsordnungen]] um das – meist aus Sicht der Gründer – „bessere“ Gesellschaftsrecht führt.
 
(ii)&nbsp;Die Kapitalverkehrsfreiheit überschneidet sich für die unternehmerische Beteiligung an Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (gesehen, aber nicht gelöst von Art.&nbsp;43(2) EG/‌49(2) AEUV). Alle insoweit ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen Hindernisse bei der Unternehmensübernahme. Sechsmal hatte der Gerichtshof über sog. ''Goldene Aktien'' zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um Sonderrechte, die staatlichen Stellen eingeräumt sind und die Übernahme von (zuvor privatisierten) Unternehmen erschweren. Die diesbezüglichen Urteile betrafen Regelungen in Portugal (Rs. C-367/‌98, Slg. 2002, I-4731), in Frankreich (Rs. C&#8209;83/‌99, Slg. 2002, I-4781), in Belgien (Rs. C-503/‌99, Slg. 2002, I-4809), in Spanien (Rs. C-463/‌00, Slg. 2003, I-4581), im Vereinigten Königeich (Rs. C-98/‌01, Slg. 2003, I-4641) und in den Niederlanden (Rs. C-282/‌04, C-283/‌04, Slg. 2006, I-9141). Über verwandte Fragen hatte der Gerichtshof in zwei Verfahren gegen Italien zu entscheiden (Rs. C-174/‌04, Slg. 2005, I-4933 und Rs. C-463/‌04, C-464/‌04, Slg. 2007, I-10419). Nicht nur um eine Goldene Aktie, sondern um einzelne Bestimmungen eines „Goldenen Gesetzes“ ging es in der Entscheidung (Rs. C-112/‌05, Slg. 2007, I-8995) zum sog. Volkswagen-Gesetz (Gesetz vom 21.7.1960); ob die in Umsetzung des Urteils vorgenommenen Streichungen (Gesetz vom 8.12.2008) ausreichen, um das Gesetz in Einklang mit den europäischen Vorgaben zu bringen, ist fraglich.
 
== 6. Aktuelle Herausforderungen ==
 
Die aktuellen Herausforderungen des Gesellschaftsrechts sind, soweit sie auf einzelne Gesellschaftsformen beschränkt sind, in deren Kontext zu besprechen. Rechtsformübergreifend werden in Europa nur wenige Themen erörtert.
 
(i)&nbsp;Seit Jahrzehnten in der Diskussion, aber keine genuin gesellschaftsrechtliche Problematik ist die unternehmerische [[Mitbestimmung]] der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsrat größerer Gesellschaften. Ihretwegen behindert die Bundesrepublik seit Jahrzehnten die Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts und die Schaffung europäischen Einheitsrechts.
 
(ii)&nbsp;Ein allgemeines Problem im Schnittbereich von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht (s.o. 1.) ist die Frage, inwieweit gläubigerschützende Vorschriften im Vorfeld von Insolvenzen gesellschaftsrechtlich oder insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Der deutsche Gesetzgeber (Insolvenzantragspflicht, §&nbsp;15a InsO) und der Bundesgerichtshof (Existenzvernichtungshaftung, §&nbsp;826 BGB) haben jüngst zwei ehedem gesellschaftsrechtliche Materien in das allgemeine Insolvenz- bzw. Deliktsrecht überführt. Unausgesprochen dürfte es sich hierbei um den Versuch handeln, diese Regelungsmaterien aus dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art.&nbsp;43–48 EG/‌49–55 AEUV) herauszunehmen, um ausländische Gesellschaften trotz der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (s.o. 5.c.) denselben Regeln unterwerfen zu können wie inländische. Vermutlich wird es für die europarechtliche Qualifikation als gesellschafts- oder insolvenzrechtlich aber nicht auf den Regelungsstandort, sondern auf den funktionellen Regelungsinhalt ankommen. Der erscheint bei der Insolvenzantragspflicht weniger gesellschaftsrechtlich als bei der Existenzvernichtungshaftung.  
 
(iii)&nbsp;Nicht nur eine formelle, sondern eine wichtige materielle Frage ist, wie weit die Kompetenzen der europäischen Entscheidungsträger zur Harmonisierung des Ge<nowiki>sellschaftsrechts reichen bzw. reichen sollten. Der EG-Vertrag ermächtigt Rat und Kommission nur, „Schutzbestimmungen [zu] koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften ... im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (Art.&nbsp;44(2)(g) EG/‌50(2)(g) AEUV). Eine Allzuständigkeit gibt es für das Gesellschaftsrecht bislang ebenso wenig wie allgemein.</nowiki>
 
== 7. Ausblick ==
 
Das europäische Gesellschaftsrecht steht vor einer wichtigen Richtungsentscheidung. Die erste Phase der Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte und der Schaffung europäischen Einheitsrechts ist nahezu beendet – nicht, weil alle ursprünglichen Ziele erreicht wurden, sondern weil derzeit allenfalls noch die Sitzverlegungs-RL und die Europäische Privatgesellschaft Realisierungschancen haben. Ob die bisherigen Maßnahmen sinnvoll sind und ob weitere folgen sollten, bedarf eingehender Diskussion. Die Rechtswissenschaft könnte zu dieser Debatte einen genaueren Vergleich der nationalen Gesellschaftsrechte beisteuern. Hilfreich wird dieser Beitrag aber nur sein, wenn mehr als die gegenwärtigen Rechtsvorschriften verglichen wird:
 
Erstens sollte endlich die große historische Forschungslücke geschlossen und eingehend untersucht werden, inwieweit die modernen Gesellschaftsrechte einem gemeinsamen Vorbild folgen und wo sie eigene Wege gehen. Entgegen dem vielbetonten Klischee von der Andersartigkeit und Eigenartigkeit des ''common law'' scheint das englische Gesellschaftsrecht jedenfalls bei kursorischer Durchsicht seiner historischen Grundlagen und gegenwärtigen Ausgestaltung in zentralen Fragen näher am römischen Sozietätsrecht zu liegen als das französische und das deutsche Gesellschaftsrecht. Für die Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts ist diese gemeinsame historische Grundlage eine große Chance, weil sie der Diskussion einen konsensfähigen Ausgangspunkt gibt.
 
Zweitens sollte sich die Rechtswissenschaft gemeinsam mit den Sozialwissenschaften um eine genauere empirische Aufarbeitung des europäischen Gesellschaftswesens bemühen. Eine Aktiengesellschaft und eine ''société anonyme'' unterscheidet mehr als ihr Name und ihr Regelungsregime.
 
Gefordert ist mithin eine funktionale Analyse des europäischen Gesellschaftsrechts, mit vertikaler wie horizontaler Rechtsvergleichung und unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse. Derartige Forschung könnte sich als Ausgangspunkt erweisen für eine dezentrale Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts hin zu einem ''novum ius societatis commune''.


==Literatur==
==Literatur==
''Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht'', Der zivilrechtliche Persönlichkeits- und Ehrenschutz in Frankreich, der Schweiz, England und den Vereinigten Staaten von Amerika, 1960; ''Axel Beater'', Zivilrechtlicher Schutz vor der Presse als konkretisiertes Verfassungsrecht: Grundstrukturen im Vergleich von englischem, US-amerikanischem und deutschem Recht, 1996; ''Georgios Gounalakis'','' Hannes Rösler'', Ehre, Meinung und Chancengleichheit im Kommunikationsprozeß: Eine vergleichende Untersuchung zum englischen und deutschen Recht der Ehre, 1998; ''Georgios Gounalakis'', Privacy and the Media: A Comparative Perspective, 2000; ''Ansgar Ohly'', Harmonisierung des Persönlichkeitsrechts durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil 2004, 902&nbsp;ff.; ''Helmut Koziol'','' Alexander Warzilek ''(Hg.), Persönlichkeitsschutz gegenüber Massenmedien/‌ The Protection of Personality Rights against Invasions by Mass Media, 2005; ''Stephan Balthasar'', Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht: Eine historisch-vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und englischen Recht vom ius commune bis heute, 2006; ''Friedrich Kübler'', Medien, Menschenrechte und Demokratie, 2008; ''Hannes Rösler'', Dignitarian Posthumous Personality Rights: An Analysis of U.S. and German Constitutional and Tort Law, Berkeley Journal of International Law 26 (2008) 153&nbsp;ff.; ''idem'', Harmonizing the German Civil Code of the Nineteenth Century with a Modern Constitution, Tulane European and Civil Law Forum 23 (2008) 1&nbsp;ff.
''Marcus Lutter'', Europäisches Unternehmensrecht, 4.&nbsp;Aufl. 1996; ''Günter Christian Schwarz'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2&nbsp;Bde., 2000; ''Georges Ripert'', ''René Roblot'', Traité de droit commercial, Bd.&nbsp;I, Halbbd.&nbsp;2: Les sociétés commerciales, 18.&nbsp;Aufl., fortgeführt von Michel Germain, 2002; ''Stefan Grundmann'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (revidiert in Zusammenarbeit mit ''Florian Möslein'': European Company Law, 2007); ''Reinier H. Kraakman'', ''Paul Davies'', ''Henry Hansmann'', ''Gerard Hertig'', ''Klaus J. Hopt'', ''Hideki Kanda'', ''Edward B. Rock'', The Anatomy of Corporate Law, 2004; ''Mathias Habersack'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Klaus J. Hopt'', Comparative Company Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 1161&nbsp;ff.; ''Paul L. Davies'', Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008; ''Andreas Engert'', Gesellschaftsrecht, in: Katja Langenbucher (Hg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, §&nbsp;5 (225&nbsp;ff.); ''Andreas M. Fleckner'', Antike Kapitalvereinigungen, in Vorbereitung für 2010.
 
==Quellen==
Auswahl: Codex Hammurabi, 18.&nbsp;Jahrhundert v.&nbsp;Chr.; zitiert nach der Edition von Richardson, Hammurabi’s Laws, Sheffield, 2000. Sachsenspiegel, 13.&nbsp;Jahrhundert n.&nbsp;Chr.; zitiert nach der Ausgabe von ''Karl August Eckhardt'', Sachsenspiegel – Landrecht, 2. Aufl., Göttingen, 1955. Frankfurter Reformation von 1578: Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt, 1578. Code de Commerce vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No.&nbsp;164, 161&nbsp;ff.; Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861: [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch]] (ADHGB). An Act for the Incorporation, Regulation, and Winding-up of Trading Companies and other Associations vom 7.8.1862, 25 & 26 Vict. ch. 89.  


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Company_Law]]

Aktuelle Version vom 8. September 2021, 12:34 Uhr

von Andreas M. Fleckner

1. Funktion

Das Gesellschaftsrecht regelt die innere und äußere Verfassung von Gesellschaften. Es hat eine eröffnende Funktion, soweit es ihre Errichtung und Organisation abweichend von den allgemeinen Regeln, insbesondere über Rechtsgeschäfte und Verträge, ermöglicht. Soweit das Gesellschaftsrecht – wie ganz überwiegend – die allgemeinen Regeln nur ergänzt oder abändert, hat es eine regulierende Funktion.

Einen ersten Zugang zur funktionalen Bedeutung des Gesellschaftsrechts erhält, wer ausgehend von seiner nationalen Rechtsordnung danach fragt, ob und inwieweit das Gesellschaftsrecht gegenüber den allgemeinen Vorschriften etwas Zusätzliches eröffnet. Dies ist von Land zu Land verschieden. In einer essentiellen Frage, der Vermögensverfassung, hat das Gesellschaftsrecht überall eine eröffnende Funktion: Vertraglich lassen sich das individuelle (Privat‑)Vermögen der Gesellschafter und das gemeinsame (Geschäfts‑)Vermögen der Gesellschaft nicht hinreichend trennen („Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“).

Die Bestimmung der Funktion des Gesellschaftsrechts hat bedeutende Implikationen für seine Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten, insbesondere zum Kapitalmarktrecht und zum Insolvenzrecht.

2. Begriff

Der gegenwärtige Rechts- und Wirtschaftsverkehr gebraucht den Begriff der Gesellschaft meist in einem sehr weiten Sinne als alle Vereinigungen des Privatrechts zur gemeinsamen Zweckverfolgung sowie – in Definitionen regelmäßig übergangen – Einpersonengesellschaften. Hierunter fallen sowohl die Gesellschaften im engeren Sinne (societas, société, partnership) als auch die Körperschaften oder Vereine (universitas, association, company/‌corporation). Körperschaften sind auf überindividuelle Ziele gerichtet und deshalb vom jeweiligen Bestand ihrer Mitglieder unabhängig. Demgegenüber verfolgen Gesellschaften im engeren Sinne die gemeinsamen Interessen ihrer Gesellschafter und haben – grundsätzlich – keine von ihren Mitgliedern unabhängige Existenz. In ihrer Reinform werden Gesellschaften deshalb aufgelöst, wenn ein Gesellschafter stirbt (Inst. 3,25,5), kündigt (Inst. 3,25,4) oder insolvent wird (Inst. 3,25,7/‌8).

Das Gesellschaftsrecht kennt eine Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftsformen; in der Bundesrepublik ist eine „hinreichende Vielfalt“ sogar verfassungsrechtlich (Art. 9 Abs. 1 GG) garantiert (BVerfG 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 355). Gesellschaften im engeren Sinne sind (in Deutschland) die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft, die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, die Partnerschaftsgesellschaft und die Reederei. Körperschaften sind die Aktiengesellschaft, die Europäische Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die Europäische Genossenschaft, der Verein und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung lässt sich weder nach ihrer typisierenden Regelung im Gesetz noch ihrer heterogenen Ausgestaltung in der Praxis einer dieser Kategorien zuordnen; sie ist historisch als Mischform konzipiert und hat diesen Charakter bis heute behalten.

3. Geschichte

Bereits der Codex Hammurabi (18. Jahrhundert v. Chr.) enthielt Vorschriften über die arbeitsteilige Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke (§§ 77+f, 100-107). Am weitesten ausdifferenziert unter den antiken Rechten und gemeinsame Grundlage des modernen europäischen Gesellschaftsrechts ist das römische Sozietätsrecht, das ius societatis. Sowohl die Institutionen des Gaius (Gai. Inst. 3,148-3,154b) und Justinians (Inst. 3,25) als auch die Digesten (Dig. 17,2) und der Codex Iustinianus (Cod. Iust. 4,37) behandeln die societas in einem eigenen Abschnitt. Eine zweite Grundlage des modernen Gesellschaftsrechts sind die germanischen Rechte und Praktiken des Mittelalters (bekannt, aber unklar Sachsenspiegel, Landrecht, I 12: „andere lude er gut to samene hebbet“). Mit der Rezeption des römischen Rechts vermischten sich die germanischen und die römischen Regeln und vereinigten sich – jedenfalls lokal (exemplarisch Frankfurter Reformation von 1578, Teil II, Tit. XXIII) – zu einem weitgehend homogenen Ganzen. Bei manchen Zweifelsfragen kommen die unterschiedlichen Ausgangspunkte aber wieder zum Vorschein: etwa im 19. Jahrhundert beim Streit um die Rechtsnatur der Aktiengesellschaft oder in der jüngeren Vergangenheit bei der Diskussion um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

Den größten Einfluss auf die Entwicklung des modernen Gesellschaftsrechts in Kontinentaleuropa hatten die Vorschriften des Code civil (21.3.1804) du contrat de société (Art. 1832–1873) und des Code de Commerce (15.9.1807) des sociétés (Art. 18–64). Das französische Gesellschaftsrecht ist seitdem mehrfach grundlegend umgestaltet worden, findet sich aber bis heute ganz überwiegend im Code Civil (Art. 1832–1873) und im Code de Commerce (Art. L. 210-Art. L 252-12). Die erste gesamtdeutsche Regelung des Gesellschaftsrechts enthielt der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) (12.3.1861) (Art. 85–270). Vier Jahrzehnte später wurden diese Vorschriften teils revidiert, teils unverändert in das Handelsgesetzbuch (10.5.1897) (§§ 105–342) übernommen; gleichzeitig erhielt das Bürgerliche Gesetzbuch (18.8.1896) einen Abschnitt über die Gesellschaft (§§ 705–740). Die Bestimmungen über die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind seitdem kaum verändert worden. Die übrigen Gesellschaftsformen sind heute andernorts geregelt: Der Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde bei ihrer „Erfindung“ 1892 ein eigenständiges Gesetz gewidmet (20.4. 1892); das Aktienrecht wurde 1937 in ein eigenes Gesetz überführt (Aktiengesetz vom 30.1.1937) und bis heute in einem Spezialgesetz (Aktiengesetz vom 6.9.1965) belassen. Nach anfangs sehr anlassorientierter und unsystematischer Gesetzgebung hat der englische Gesetzgeber das Gesellschaftsrecht erstmals im Companies Act 1862 sowie zuletzt im Companies Act 1985 bzw. im Companies Act 2006 konsolidiert und kodifiziert.

4. Rechtsvergleichung

Rechtsvergleichung ist im Bereich des Gesellschaftsrechts seit jeher eine der wichtigsten Erkenntnisquellen. Der Code de Commerce (1807) im Allgemeinen und seine gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen im Besonderen dienten zahlreichen weiteren Handelsgesetzbüchern zum Vorbild, beispielsweise dem span. Código de Comercio (1829), dem portug. Código Commercial (1833) und dem niederl. Wetboek van Koophandel (1838) sowie – abgeschwächt – dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB).

In den Gebieten des Gesellschaftsrechts, in welchen die Gesetzgebung bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen wurde, ist die Rechtsvergleichung beinahe zum Erliegen gekommen. Am augenfälligsten ist dies für die Gesellschaften im engeren Sinne (s.o. 2.). Dort, wo Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bis heute um ein geeignetes Regelungsregime ringen – also insbesondere bei der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung – war die Rechtsvergleichung durchgehend (allerdings mit qualitativen und quantitativen Unterschieden) bedeutsam (näher bei der Darstellung der einzelnen Gesellschaftsformen).

5. Rechtsvereinheitlichung

In einzelnen Fragen des Gesellschaftsrechts ist die europäische Rechtsharmonisierung weit fortgeschritten (etwa für die Rechnungslegung). Ebenso wie beim Kapitalmarktrecht liegt dies an der Bedeutung des Gesellschaftsrechts für die Verwirklichung eines europäischen Binnenmarkts. Zu unterscheiden ist zwischen vereinheitlichtem nationalem Gesellschaftsrecht (nachfolgend a), supranationalem Gesellschaftsrecht (b) und der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit bzw. der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (c).

a) Vereinheitlichtes nationales Gesellschaftsrecht

(i) Zur Vereinheitlichung des nationalen Gesellschaftsrechts sind bislang zwölf grundlegende Richtlinien ergangen (im Folgenden geordnet nach dem Datum ihrer Verabschiedung, nicht nach der von der zeitlichen Abfolge teilweise abweichenden und mittlerweile aufgegebenen offiziellen Nummerierung): (1) Erste Richtlinie (RL 68/‌151 vom 9.3.1968) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Publizitäts-RL). (2) Zweite Richtlinie (RL 77/‌91 vom 13.12.1976) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Kapital-RL). (3) Vierte Richtlinie (RL 78/‌660 vom 25.7.1978) über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (sog. Jahresabschluss-RL). (4) Dritte Richtlinie (RL 78/‌855 vom 9.10.1978) betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (sog. Verschmelzungs-RL). (5) Sechste Richtlinie (RL 82/‌891 vom 17.12.1982) betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (sog. Spaltungs-RL). (6) Siebente Richtlinie (RL 83/‌349 vom 13.6.1983) über den konsolidierten Abschluß (sog. Konzernabschluß-RL). (7) Achte Richtlinie (RL 84/‌253 vom 10.4.1984) über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, abgelöst von der RL 2006/‌43 vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (sog. Abschlussprüfer-RL). (8) Elfte Richtlinie (RL 89/‌666 vom 21.12.1989) über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (sog. Zweigniederlassungs-RL). (9) Zwölfte Richtlinie (RL 89/‌667 vom 21.12.1989) betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (sog. Einpersonengesellschafts-RL). (10) Richtlinie (RL 2004/‌25 vom 21.4.2004) betreffend Übernahmeangebote (sog. Übernahme-RL) [ursprünglich als Dreizehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (11) Richtlinie (RL 2005/‌56 vom 26.10.2005) über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (sog. Internationale Verschmelzungs-RL) [ursprünglich als Zehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (12) Richtlinie (RL 2007/‌36 vom 11.7.2007) über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (sog. Aktionärsrechte-RL).

(ii) Nicht weiterverfolgt oder noch nicht erlassen wurden: (1) Vorschlag (zuletzt 91/‌C 321/‌09 vom 20.11.1991) für eine fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (sog. Struktur-RL). (2) Vorentwurf (DOK. Nr. III/‌1639/‌ 84 von 1984) einer neunten Richtlinie (sog. Konzernrechts-RL). (3) Vorentwurf (zuletzt DOK. Nr. XV/‌43/‌87 von 1987) einer Richtlinie (sog. Liquidations-RL). (4) Vorentwurf (vom 22.4. 1997) für eine vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts (sog. Sitzverlegungs-RL).

(iii) Die Europäische Kommission hat in den letzten Jahren zwei Empfehlungen (Art. 249(5) Alt. 1 EG/‌288(5) Alt. 1 AEUV) ausgesprochen: (1) Empfehlung (2004/‌913 vom 14.12. 2004) zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften. (2) Empfehlung (2005/‌162 vom 15.2. 2005) zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats.

b) Supranationales Gesellschaftsrecht

Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts hat sich die Europäische Gemeinschaft nicht darauf beschränkt, das nationale Gesellschaftsrecht zu vereinheitlichen. Vielmehr wurde außerdem unmittelbar geltendes, supranationales Gesellschaftsrecht erlassen.

(i) Alle börsennotierten Unternehmen sind per Verordnung (VO 1606/‌2002 vom 19.7.2002) seit 2005 verpflichtet, ihre Abschlüsse nach den International Accounting Standards (IAS) bzw. nunmehr International Financial Reporting Standards (IFRS) zu erstellen (Rechnungslegung).

(ii) Nach außen hin am deutlichsten als Erscheinungen supranationalen Gesellschaftsrechts zu erkennen sind die drei europäischen Gesellschaftsformen: (1) Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) wurde 1985 mittels einer Verordnung (VO 2137/‌85 vom 25.7.1985) und nationaler Ausführungsgesetze geschaffen. In der nicht selbst auf Gewinnerzielung gerichteten EWIV, deren Vorbild der französische groupement d'intérêt économique (Code de Commerce, Art. L. 251-1–Art. L 251-23) ist, können grenzüberschreitende Hilfstätigkeiten organisiert werden. Die praktische Relevanz der EWIV ist gering; in der Bundesrepublik als dem größten Mitgliedstaat gibt es nur 27 solcher Gesellschaften mit nennenswerter Tätigkeit (Umsatzsteuerstatistik 2006; das Unternehmensregister weist für 2008 insgesamt 68 Veröffentlichungen von 249 Unternehmen aus). (2) Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea) (SE) ist das „Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts“ (Klaus J. Hopt). Sie entspricht funktional wie strukturell der Aktiengesellschaft und wurde nach der Jahrtausendwende mittels einer Verordnung (VO 2157/‌2001 vom 8.10.2001), einer Richtlinie (RL 2001/‌86 vom 8.10.2001) und nationaler Umsetzungsgesetze eingeführt. Die Societas Europaea hat die (im Laufe der jahrzehntelangen Diskussionen immer weiter reduzierten) Erwartungen vieler Beobachter übertroffen: Aktuell (Stand: Juni 2008) gibt es europaweit 213 Gesellschaften, in Deutschland 70, in Frankreich sieben, im Vereinigten Königreich fünf (so die empirische Untersuchung von Horst Eidenmüller, Andreas Engert, Lars Hornuf, 2008). (3) Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea) (SCE) beruht wie die Societas Europaea auf einer Verordnung (VO 1435/‌2003 vom 22.7.2003), einer ergänzenden Richtlinie (RL 2003/‌72 vom 22.7.2003) und nationalen Umsetzungsgesetzen.

(iii) Es gibt bzw. gab auf europäischer Ebene Pläne, für weitere supranationale Rechtsformen (1) Kürzlich hat die Kommission den Vorschlag (25.6.2008) einer Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea) vorgelegt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Europäischen Aktiengesellschaft ist, dass die Anteile an der Privatgesellschaft nicht öffentlich handelbar sind; es geht also um eine Art europäische Gesellschaft mit beschränkter Haftung. (2) Die Entwürfe einer Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌05 vom 6.7.1993) und einer Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌06 vom 6.7.1993) zur Einführung einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft hat die Kommission im Frühjahr 2006 zurückgenommen (2006/‌C 64/‌03). (3) Dasselbe gilt für den Europäischen Verein, für den eine Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌01 vom 6.7.1993) und eine Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌02 vom 6.7.1993) vorgeschlagen, aber zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden sind (2006/‌C 64/‌03). (4) Im Zusammenhang mit den europäischen Gesellschaftsformen zu erwähnen ist außerdem die Europäische Stiftung.

c) Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des europäischen Gesellschaftsrechts sind die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 56–60 EG/‌63–66, 75 AEUV).

(i) Die sechs wichtigsten Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, die ausdrücklich auch für Gesellschaften gilt (Art. 48 EG/‌54 AEUV), sind Daily Mail (Rs. 81/‌87, Slg. 1988, 5483), Centros (Rs. C-212/‌97, Slg. 1999, I-1459), Überseering (Rs. C-208/‌00, Slg. 2002, I-9919), Inspire Art (Rs. C-167/‌01, Slg. 2003, I-10155), SEVIC Systems (Rs. C-411/‌03, Slg. 2005, I-10805) und Cartesio (Rs. C-210/‌06, NJW 2009, 569). Die Urteile haben eine juristische und eine politische Dimension. Rechtlich geht es um die Frage, ob und inwieweit nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete Gesellschaften ihre Geschäftstätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat konzentrieren oder ganz dorthin „umziehen“ können, was sowohl im Erst- als auch im Zweitstaat Probleme bereiten kann. Die politische Bedeutung der Urteile liegt darin, dass eine weite Auslegung der Niederlassungsfreiheit zu einem Wettbewerb der Rechtsordnungen um das – meist aus Sicht der Gründer – „bessere“ Gesellschaftsrecht führt.

(ii) Die Kapitalverkehrsfreiheit überschneidet sich für die unternehmerische Beteiligung an Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (gesehen, aber nicht gelöst von Art. 43(2) EG/‌49(2) AEUV). Alle insoweit ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen Hindernisse bei der Unternehmensübernahme. Sechsmal hatte der Gerichtshof über sog. Goldene Aktien zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um Sonderrechte, die staatlichen Stellen eingeräumt sind und die Übernahme von (zuvor privatisierten) Unternehmen erschweren. Die diesbezüglichen Urteile betrafen Regelungen in Portugal (Rs. C-367/‌98, Slg. 2002, I-4731), in Frankreich (Rs. C‑83/‌99, Slg. 2002, I-4781), in Belgien (Rs. C-503/‌99, Slg. 2002, I-4809), in Spanien (Rs. C-463/‌00, Slg. 2003, I-4581), im Vereinigten Königeich (Rs. C-98/‌01, Slg. 2003, I-4641) und in den Niederlanden (Rs. C-282/‌04, C-283/‌04, Slg. 2006, I-9141). Über verwandte Fragen hatte der Gerichtshof in zwei Verfahren gegen Italien zu entscheiden (Rs. C-174/‌04, Slg. 2005, I-4933 und Rs. C-463/‌04, C-464/‌04, Slg. 2007, I-10419). Nicht nur um eine Goldene Aktie, sondern um einzelne Bestimmungen eines „Goldenen Gesetzes“ ging es in der Entscheidung (Rs. C-112/‌05, Slg. 2007, I-8995) zum sog. Volkswagen-Gesetz (Gesetz vom 21.7.1960); ob die in Umsetzung des Urteils vorgenommenen Streichungen (Gesetz vom 8.12.2008) ausreichen, um das Gesetz in Einklang mit den europäischen Vorgaben zu bringen, ist fraglich.

6. Aktuelle Herausforderungen

Die aktuellen Herausforderungen des Gesellschaftsrechts sind, soweit sie auf einzelne Gesellschaftsformen beschränkt sind, in deren Kontext zu besprechen. Rechtsformübergreifend werden in Europa nur wenige Themen erörtert.

(i) Seit Jahrzehnten in der Diskussion, aber keine genuin gesellschaftsrechtliche Problematik ist die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsrat größerer Gesellschaften. Ihretwegen behindert die Bundesrepublik seit Jahrzehnten die Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts und die Schaffung europäischen Einheitsrechts.

(ii) Ein allgemeines Problem im Schnittbereich von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht (s.o. 1.) ist die Frage, inwieweit gläubigerschützende Vorschriften im Vorfeld von Insolvenzen gesellschaftsrechtlich oder insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Der deutsche Gesetzgeber (Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO) und der Bundesgerichtshof (Existenzvernichtungshaftung, § 826 BGB) haben jüngst zwei ehedem gesellschaftsrechtliche Materien in das allgemeine Insolvenz- bzw. Deliktsrecht überführt. Unausgesprochen dürfte es sich hierbei um den Versuch handeln, diese Regelungsmaterien aus dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) herauszunehmen, um ausländische Gesellschaften trotz der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (s.o. 5.c.) denselben Regeln unterwerfen zu können wie inländische. Vermutlich wird es für die europarechtliche Qualifikation als gesellschafts- oder insolvenzrechtlich aber nicht auf den Regelungsstandort, sondern auf den funktionellen Regelungsinhalt ankommen. Der erscheint bei der Insolvenzantragspflicht weniger gesellschaftsrechtlich als bei der Existenzvernichtungshaftung.

(iii) Nicht nur eine formelle, sondern eine wichtige materielle Frage ist, wie weit die Kompetenzen der europäischen Entscheidungsträger zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts reichen bzw. reichen sollten. Der EG-Vertrag ermächtigt Rat und Kommission nur, „Schutzbestimmungen [zu] koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften ... im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (Art. 44(2)(g) EG/‌50(2)(g) AEUV). Eine Allzuständigkeit gibt es für das Gesellschaftsrecht bislang ebenso wenig wie allgemein.

7. Ausblick

Das europäische Gesellschaftsrecht steht vor einer wichtigen Richtungsentscheidung. Die erste Phase der Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte und der Schaffung europäischen Einheitsrechts ist nahezu beendet – nicht, weil alle ursprünglichen Ziele erreicht wurden, sondern weil derzeit allenfalls noch die Sitzverlegungs-RL und die Europäische Privatgesellschaft Realisierungschancen haben. Ob die bisherigen Maßnahmen sinnvoll sind und ob weitere folgen sollten, bedarf eingehender Diskussion. Die Rechtswissenschaft könnte zu dieser Debatte einen genaueren Vergleich der nationalen Gesellschaftsrechte beisteuern. Hilfreich wird dieser Beitrag aber nur sein, wenn mehr als die gegenwärtigen Rechtsvorschriften verglichen wird:

Erstens sollte endlich die große historische Forschungslücke geschlossen und eingehend untersucht werden, inwieweit die modernen Gesellschaftsrechte einem gemeinsamen Vorbild folgen und wo sie eigene Wege gehen. Entgegen dem vielbetonten Klischee von der Andersartigkeit und Eigenartigkeit des common law scheint das englische Gesellschaftsrecht jedenfalls bei kursorischer Durchsicht seiner historischen Grundlagen und gegenwärtigen Ausgestaltung in zentralen Fragen näher am römischen Sozietätsrecht zu liegen als das französische und das deutsche Gesellschaftsrecht. Für die Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts ist diese gemeinsame historische Grundlage eine große Chance, weil sie der Diskussion einen konsensfähigen Ausgangspunkt gibt.

Zweitens sollte sich die Rechtswissenschaft gemeinsam mit den Sozialwissenschaften um eine genauere empirische Aufarbeitung des europäischen Gesellschaftswesens bemühen. Eine Aktiengesellschaft und eine société anonyme unterscheidet mehr als ihr Name und ihr Regelungsregime.

Gefordert ist mithin eine funktionale Analyse des europäischen Gesellschaftsrechts, mit vertikaler wie horizontaler Rechtsvergleichung und unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse. Derartige Forschung könnte sich als Ausgangspunkt erweisen für eine dezentrale Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts hin zu einem novum ius societatis commune.

Literatur

Marcus Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996; Günter Christian Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2 Bde., 2000; Georges Ripert, René Roblot, Traité de droit commercial, Bd. I, Halbbd. 2: Les sociétés commerciales, 18. Aufl., fortgeführt von Michel Germain, 2002; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (revidiert in Zusammenarbeit mit Florian Möslein: European Company Law, 2007); Reinier H. Kraakman, Paul Davies, Henry Hansmann, Gerard Hertig, Klaus J. Hopt, Hideki Kanda, Edward B. Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2004; Mathias Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; Klaus J. Hopt, Comparative Company Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 1161 ff.; Paul L. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008; Andreas Engert, Gesellschaftsrecht, in: Katja Langenbucher (Hg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 5 (225 ff.); Andreas M. Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, in Vorbereitung für 2010.

Quellen

Auswahl: Codex Hammurabi, 18. Jahrhundert v. Chr.; zitiert nach der Edition von Richardson, Hammurabi’s Laws, Sheffield, 2000. Sachsenspiegel, 13. Jahrhundert n. Chr.; zitiert nach der Ausgabe von Karl August Eckhardt, Sachsenspiegel – Landrecht, 2. Aufl., Göttingen, 1955. Frankfurter Reformation von 1578: Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt, 1578. Code de Commerce vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No. 164, 161 ff.; Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861: Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB). An Act for the Incorporation, Regulation, and Winding-up of Trading Companies and other Associations vom 7.8.1862, 25 & 26 Vict. ch. 89.

Abgerufen von Persönlichkeitsrecht – HWB-EuP 2009 am 16. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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