Persönlichkeitsrecht

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von Hannes Rösler

1. Problemaufriss

Das Recht der Persönlichkeit unterliegt vielfältigen Spannungen. Bei öffentlichkeitsrelevanten Sachverhalten ist wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit erstens der entsprechende Einfluss der Verfassungsrechtsprechung zu beachten. In Europa gilt die Redefreiheit aber ebenso wenig uneingeschränkt wie in den USA, auch wenn das erste Amendment (1789) der US-Verfassung dies formell vorsieht. Im Rahmen des Deliktsrechts sind damit fundamentale Verfassungswerte in Ausgleich zu bringen: das für eine demokratische Ordnung konstitutive Freiheitsrecht des Äußernden auf Meinung (ggf. auch auf Presse, Lehre, Gewissen, Religion, Versammlung etc.) mit dem Schutzbedürfnis des persönlichkeitsrechtlich Verletzten.

Zweitens stellt sich die Frage nach der Ausrichtung des Persönlichkeitsrechts. Gegenüberstellen lässt sich ein dignitäres bzw. immaterielles Konzept einem monetären Ansatz, und zwar sowohl beim Schutzkonzept als auch bei den Rechtsfolgen. Drittens ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts der überlagernde Einfluss der europäischen Menschenrechte und mit großen Abstrichen das Unionsrecht zu beachten. Viertens wird das Persönlichkeitsrecht gegenwärtig unter den Aspekten des Privatsphären- und Datenschutzes infolge von Digitalisierung, Vernetzung, Kommerzialisierung, Gen- und Transplantationstechnik besonders gefährdet. Damit ist das Recht der Persönlichkeit vor neue Herausforderungen gestellt, die weit über den historischen Kern des Beleidigungsschutzes (etwa im Zwölftafelgesetz VIII von 450 v. Chr.) und des Namensrechts hinausgehen.

Fünftens lässt sich das Persönlichkeitsrecht denkbar weit fassen: Ganz mit Immanuel Kant ist schließlich die Würde, Willensfreiheit und Autonomie des Individuums maßgeblicher Mittelpunkt des Werte- und Rechtssystems moderner europäischer Staaten. Ähnlich enthält die Persönlichkeit nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel überhaupt die Rechtsfähigkeit und bildet die Grundlage des Rechts. Daher dienen der selbstbestimmten Entfaltung der Persönlichkeit vor allem die Vertrags-, Ehe-, Testier- und Eigentumsfreiheit. Gleiches gilt für den Geheimnisschutz und das Recht des geistigen Eigentums (einschließlich des Urheber- und Markenrechts).

2. Tendenzen bei den nationalen Voraussetzungen

Bei den dogmatischen Strukturen des Persönlichkeitsrechts und der Interessenabwägung weichen die Rechtsordnungen erheblich ab. Eine spezifische gesetzliche Regelung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts insgesamt findet sich selten, so aber etwa in Österreich und Spanien. Im Übrigen stehen richterrechtliche Entwicklungen im Vordergrund.

a) Deutschland

In Deutschland ist zunächst der strafrechtliche Ehrenschutz zu nennen, der auch deliktsrechtliche Ansprüche nach sich ziehen kann (über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB). Zu beachten ist auch § 824 BGB über die Kreditgefährdung und § 826 BGB im Fall von sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigungen. Bei einer Verletzung des Namensrechts in § 12 BGB können Ansprüche gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen. Im Jahr 1907 wird das Recht am eigenen Bild nach §§ 22 f. KunstUrhG geschaffen: Bei Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte ist ausnahmsweise eine Einwilligung entbehrlich (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG). Dafür wird eine einzelfallbezogene Interessenabwägung verlangt, und zwar seit neuerem auch bei Personen mit hohem Bekanntheitsgrad.

Die verschiedenen zivilrechtlichen Ansätze im Sinne eines „besonderen Persönlichkeitsrechts“ bedurften in der Nachkriegszeit aus Gründen der Verfassungsneuordnung einer Fortentwicklung. Hatte der BGB-Gesetzgeber bewusst das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht ins BGB aufgenommen und hatte es auch noch das RG wegen der mangelnden gegenständlichen Verkörperung abgelehnt, erkannte es der BGH in den 1950er Jahren als „sonstiges“ Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB an (BGH 25.6. 1954, BGHZ 13, 334 – Leserbriefe). Dabei handelt es sich um das absolute subjektive Recht eines Menschen an seiner Persönlichkeit insgesamt.

Der BGH bezeichnet es als „jenen inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht“ (BGH 14.2.1958, BGHZ 26, 349, 354 – Herrenreiter). Diese generalklauselartige Rechtsposition („Rahmenrecht“) wird gestützt auf die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß der 1949 geschaffenen Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Doch der BGH gewährt sogar contra legem einen Ersatz des immateriellen Schadens, und zwar sofern die Umstände, insbesondere die Schwere der Verletzung oder des Verschuldens eine derartige Genugtuung erfordern (BGH 14.2.1958, BGHZ 26, 349; BGH 19.9.1961, BGHZ 35, 363 – Ginsengwurzel; BVerfG 14.2.1973, BVerfGE 34, 269 – Soraya).

Besondere Brisanz erhält der besagte Konflikt zwischen Persönlichkeits- und Freiheitsrechten bei Äußerungen, die von demokratischer Relevanz sind. Dies erklärt, warum das BVerfG die Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte auf das Zivilrecht ausgehend vom Bereich der Meinungsfreiheit entwickelt hat (BVerfG 15.1.1958, BVerfGE 7, 198 – Lüth). In der Sache ging es um einen Boykottaufruf zu einem Film eines nationalsozialistischen Regisseurs. Im Lüth-Urteil hat das BVerfG zudem ein weites Verständnis der Meinungsfreiheit hervorgehoben. Sie sei – wie bei sämtlichen freiheitlich-demokratischen Rechtsordnungen – „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“.

Kennzeichnend für das deutsche Recht ist die umfassende sachverhaltsorientierte Abwägung der gegeneinanderstehenden Güter und Interessen: Das Persönlichkeitsrecht ist in Verhältnis zu setzen zu den Gegeninteressen. Dazu zählen vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), die Berufs- und Eigentumsfreiheit (Art. 12, 14 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Stets kommt es auf den Einzelfall an und insbesondere darauf, welcher Schutzbereich der Persönlichkeit (z.B. Sozial-, Privat- oder Intimsphäre) betroffen ist. Bei der Abwägung ist allerdings den Äußerungsfreiheiten ein großes Gewicht beizumessen (Wechselwirkungslehre seit BVerfG 15.1.1958, BVerfGE 7, 198, 209).

Die grundsätzlich nicht-materiellen Persönlichkeitsrechte sind unvererbbar und unübertragbar. Sie erlöschen mit dem Tod der Person. Als Besonderheit kennt das deutsche Recht aber ein postmortales Persönlichkeitsrecht an, das den Staat aus der verbleibenden Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG in eine Schutzpflicht nimmt (BVerfG 24.2.1971, BVerfGE 30, 173). Später hat der BGH 1.12.1999, BGHZ 143, 214 aber entschieden, das Persönlichkeitsrecht enthalte auch Bestandteile mit Vermögenswert, die von den Erben geltend gemacht werden dürfen.

b) Frankreich

Der französische Schutz der Persönlichkeitsrechte ist ebenso wie der italienische verhältnismäßig intensiv. Er kennt – anders als der deutsche, österreichische, italienische und niederländische, aber ebenso wie der belgische – kein allgemeines, d.h. allumfassendes Persönlichkeitsrecht. Rechtsgrundlage für Ansprüche auf Schadensersatz für materielle und immaterielle Verletzungen, Beseitigung und Unterlassung ist die deliktsrechtliche Generalklausel der Art. 1382, 1383 Code civil. Beim Ehrenschutz ist die faute schon gegeben, wenn die strafrechtlichen Tatbestände der üblen Nachrede (diffamation) oder der Beleidigung (injure) in Art. 29 Pressegesetz von 1881 erfüllt sind. Auch darüber hinaus bestehen in bestimmten Bereichen Haftungserleichterungen.

Auf Grundlage der Generalklausel wurde zudem schon 1858 das Recht am eigenen Bild anerkannt (Tribunal civil de la Seine, 16.6.1858 – Rachel, D. 1858, 3, 62). Die Privatsphäre wird zudem seit 1970 durch Art. 9 Code civil umfassend geschützt. Danach kann das Gericht unabhängig vom Ersatz des entstandenen Schadens zur Verhinderung oder Beendigung von Eingriffen in die Privatsphäre die Beschlagnahme und andere angemessene Maßnahmen anordnen. Auf den Bekanntheitsgrad kommt es grundsätzlich nicht an. Beim Bildnisschutz erfolgt eine Abwägung mit dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Berichte über private und familiäre Angelegenheiten können danach nur bei aktuellem und besonderem Nachrichtenwert zulässig sein (Cour d’Appel Paris 13.3.1986 – Yannick Noah, D. 1986, somm., 445; Tribunal de Grande Instance Nanterre 3.6.2002 – Jean-Paul Belmondo, Légipresse No. 194-I, 101). Dazu können z.B. Unfälle, Schwangerschaften, Hochzeiten und Trauerfälle von öffentlichen Personen zählen. Angenommen wird dagegen ein Eingriff in das „vie privée“ bei Bildberichten über private und alltägliche Betätigungen, welche nur das reine Kuriositätsinteresse der Leser befriedigen (insbesondere Fotografien von Freizeitaktivitäten, wie z.B. Baden, Cass. civ. 13.4.1988, JCP 1989 II. 21320).

c) England

Das englische Recht ist geprägt durch das richterrechtliche tort of defamation mit seinen zwei Formen von libel und slander. Die erste ist die ehrverletzende Äußerung in fixierter Form bzw. über Rundfunk und ist actionable per se. Bei slander, also der Ehrverletzung in mündlicher Form, kommt eine Klagbarkeit nur in Ausnahmefällen in Betracht. Da Verschulden grundsätzlich keine Voraussetzung für eine erfolgreiche defamation-Klage ist, kann die Haftung der Medien durchaus weit gehen. Allerdings bestehen drei hauptsächliche Einreden justification, fair comment und in Sonderfällen privilege. Bei Tatsachen kommt es vorrangig auf den Wahrheitsbeweis an. Bei Meinungen kann die Einrede des „fair comment on a matter of public interest“ erhoben werden. Einstweilige gerichtliche Verfügungen (interlocutory injunctions) sind – anders als in Deutschland und Frankreich – traditionell nur in engen Ausnahmefällen möglich (Einstweiliger Rechtsschutz). Eine Prozesskostenhilfe wird nicht gewährt.

Mit einem umfassenden Privatsphärenschutz und einem Recht am eigenen Bild (also der Erhebung bzw. Verbreitung wahrer persönlicher Informationen) tut sich das englische Recht mit einer Vielzahl von speziellen Deliktstatbeständen traditionell schwer. In Teilen vermögen die Deliktsklagen breach of confidence, nuisance, trespass, passing off, malicious falsehood und im Fall fortwährender Belästigung der Harassment Act 1997 zu helfen. Die Lückenhaftigkeit des englischen Rechts wird selbst von den Gerichten beklagt. Zur Schaffung einer Abhilfe sah man sich allerdings wegen der traditionell nur begrenzten Fortentwicklungsmöglichkeit englischen Präjudizienrechts außer Stande und verwies auf den Gesetzgeber (Kaye v. Robertson [1991] FSR 62, 66 (CA); es ging um Veröffentlichung von Fotos eines in Koma gefallenen Schauspielers, was aber über injurious falsehood untersagt werden konnte, da der unzutreffende Eindruck hervorgerufen worden sei, er habe zugestimmt).

Allerdings hat sich die Situation durch den Human Rights Act 1998, also die britische Umsetzung der EMRK grundlegend gewandelt. Das Gesetz von 1998 hat zwar keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen. Sofern aber eine „cause of action“ einschlägig ist, hat das Gericht in Einklang mit Art. 8 und 10 EMRK zu entscheiden (Campbell v. MGN [2004] UKHL 22 (HL), Rn. 132). Dementsprechend kam es zu einer Erweiterung des Schutzes vertraulicher Informationen. Heute ist die Privatsphäre aus Art. 8(1) EMRK als Schutzgut des „breach of confidence“ anerkannt. Erfolgreich war dementsprechend die Klage eines Schauspielers vor dem Court of Appeal gegen die Veröffentlichung von Fotografien seiner Hochzeit, die streng abgeschirmt stattgefunden hatte (Douglas v. Hello! Ltd. [2003] 3 All ER 996 (HL)). Fremd ist dem englischen Recht jedoch ein umfassendes law of privacy, wie es das US-amerikanische Recht kennt.

3. Tendenzen bei den Rechtsfolgen

Auch bei den Rechtsfolgen bestehen in Art und Umfang beträchtliche Unterschiede. Als immaterielle, naturalrestitutive Abwehransprüche kommen grundsätzlich Unterlassung, Berichtigung bzw. Widerruf und Gegendarstellung in Betracht. Wegweisend ist das droit de réponse nach Art. 13 des französischen Pressegesetzes von 1881. Vielfach wurde es in andere Rechtsordnungen übertragen, so etwa in Deutschland in die landesrechtlichen Presse- und Mediengesetze, wo es allerdings auf Tatsachenbehauptungen beschränkt ist. Demgegenüber steht dem englischen Recht kein vergleichbares zivilrechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Insbesondere besteht im anglo-amerikanischen Recht beträchtliche Zurückhaltung gegenüber dem Gegendarstellungsrecht. (Siehe aber Empfehlung über den Schutz Minderjähriger und den Schutz der Menschenwürde und über das Recht auf Gegendarstellung, ABl. 2006 L 378/‌72.) Das französische Recht kennt zudem die Möglichkeit der Urteilsveröffentlichung in dem verletzenden Medium, insbesondere bei Ehrenklagen.

Daneben gewinnen in Deutschland bei schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen oder schwerem Verschulden Ansprüche auf Geldersatz an Bedeutung, die wiederum im anglo-amerikanischen Recht vorherrschend sind. So hat die deutsche Rechtsprechung hier zunächst die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion in den Vordergrund gestellt. Erweiternd erkannte der BGH aber in Caroline von Monaco I auch den Präventionsgedanken an und bezog insbesondere die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor für die Höhe der Geldentschädigung ein (Es ging um ein frei erfundenes Interview und Paparazzi-Fotos, BGH 15.11.1994, BGHZ 128, 1).

Allerdings schließt die Rechtsprechung trotz rücksichtsloser Kommerzialisierung der Persönlichkeit eine „Gewinnabschöpfung“ aus. Das unterscheidet das deutsche Recht etwa vom englischen, wo auch der Verletzergewinn herausverlangt werden kann (account for profits). Demgegenüber kommt auch nach deutschem Recht der Ersatz des Vermögensschadens in Betracht, etwa in Form der Lizenzanalogie (BGH 8.5.1956 – Dahlke, BGHZ 20, 345; BGH 26.10.2006 – Lafontaine, BGHZ 169, 340). Mit der durch BGHZ 128, 1 erreichten Verschärfung der Haftungsfolgen, die disziplinierend auf die Unterhaltungsmedien wirken soll, rückt das deutsche Recht funktional etwas an die Strafschadensersatzansprüche des anglo-amerikanischen Rechts (punitive damages) heran, auch wenn es dessen Höhe bei weitem nicht erreicht (Strafschadensersatz).

Damit variiert die Höhe des Geldersatzes in Europa stark. So können die Schadensersatzsummen für Ehrverletzungen in England beträchtlich ausfallen. Dagegen wurden bei der Privatsphärenverletzung in Campbell nur GBP 3.500 zugesprochen. Frankreich kennt zum Ausgleich des immateriellen Schadens auch die Gewährung eines nur symbolischen Kleinbetrags. Einige Rechtsordnungen sehen zudem neben der Entschädigung gegenüber dem Verletzten auch die Möglichkeit einer Art Reu- oder Bußgeld an eine Wohltätigkeitsorganisation vor (z.B. in der Schweiz Art. 49 Abs. 2 UAbs. 2 OR).

4. Europäisches Recht

a) Völkervertragsrecht

Alle 47 Staaten des Europarates haben die EMRK (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK) von 1950 ratifiziert und sich damit dem EGMR unterworfen. Daher gilt das Recht auf Privatsphärenschutz nach Art. 8 EMRK und auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK europaweit und für weitere EMRK-Staaten, z.B. Russland und die Türkei. In der viel beachteten EGMR-Entscheidung von Hannover/‌Deutschland (EGMR Nr. 59320/‌00) ging es um den Schutz der Privatsphäre in der Öffentlichkeit. Diesen habe der Staat auch bei Prominenten sicherzustellen. Darum verwarf der EGMR ein medienfreundlicheres Grundsatzurteil des BVerfG (15.12.1999, BVerfGE 101, 361). Bei Politikern und exponierten Amtsträgern verfährt der EGMR insgesamt großzügiger: Der EGMR hat beispielsweise Frankreich wegen des Verstoßes gegen Art. 10 EMRK verurteilt. Ein französisches Gericht hatte unter Hinweis auf die Verletzung des Arztgeheimnisses die Veröffentlichung des Buches „Le Grand Secret“ über die Krankheitsgeschichte des gerade verstorbenen François Mitterand untersagt (EGMR Nr. 58148/‌00 – Plon (Société)/‌Frankreich).

b) Unionsrecht

Nicht zuletzt aus Komptenzgründen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber – anders als im Immaterialgüterrecht – bisher keine Maßnahmen zum allgemeinen Persönlichkeitsschutz ergriffen. Allenfalls zum Datenschutz finden sich Rechtsakte (RL 95/‌46 und RL 2002/‌58). Zwar schafft die GRCh in Art. 7 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und Kommunikation und in Art. 11 die Meinungsäußerung- und Informationsfreiheit. Damit sind aber keine neuen Kompetenzen begründet (Art. 51(2) GRCh; Art. 6(1) EU (1992)/‌Art. 6(1) EU (2007)). Zudem erkennt die EU die Persönlichkeits- und Kommunikationsrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts an (vgl. Art. 6(2) EU (1992)/‌Art. 6(2) EU (2007)). Vieles ist hier noch klärungsbedürftig, was der traditionellen Wirtschaftsorientierung des Gemeinschaftsrechts geschuldet ist. Auch Art. 1(2)(g) Rom II-VO (VO 864/‌2007 über außervertragliche Schuldverhältnisse) nimmt Verletzungen der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Rom II-VO aus.

5. Bewertung der Konvergenzen

Die europäischen Rechtsordnungen wägen die betroffenen Belange anhand des Einzelfalls ab. Teils aufgrund des Einflusses der EMRK ist dabei dem öffentlichen Informationsinteresse herausragende Beachtung zu schenken. Anderenfalls könnten die Medien ihre für die demokratische Gesellschaft entscheidende Kontrollfunktion (public watchdog) nicht wahrnehmen (EGMR Nr. 8734/‌79 – Barthold/‌Deutschland, § 58). Der EGMR verweist hierzu auch auf den Gedanken der US-Rechtsprechung, insbesondere den chilling effect, also die Gefahr der Einschüchterungswirkung durch überstarken Persönlichkeitsschutz (EGMR Nr. 33348/‌96 – Cumpănă und Mazăre v. Romania, § 114).

Weitgehende Einigkeit besteht zudem darin, dass unwahre, persönlichkeitsverfälschende Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen bei denen nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, keinen Schutz verdienen (in Deutschland sog. „Schmähkritik“, BVerfG 13.5. 1980, BVerfGE 54, 129). Darüber hinaus werden die Grenzen aber unterschiedlich gezogen, in England sehr großzügig, in Frankreich eher eng. In Deutschland sind Meinungen in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage bis zur Grenze der besagten Schmähkritik grundsätzlich erlaubt.

Davon zu unterscheiden sind die durch Teleobjektive von Paparazzi und Abhörgeräte stattfindende Ausforschung und anschließende Veröffentlichung durch die Massenmedien von zutreffenden Informationen aus der Privat- oder gar Intimsphäre (z.B. Gesundheits- und Sexualbereich) ohne Einwilligung des Betroffenen. Ausnahmen kommen hier allenfalls bei einem herausragenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit in Betracht, insbesondere wenn die veröffentlichten Umstände eine zeitgeschichtliche bzw. historische Bedeutung aufweisen.

Schwieriger ist die Beurteilung von Fotos, die Personen des öffentlichen Lebens (public figures) an nicht abgeschiedenen Orten zeigen. Das englische Recht erlaubt unter Betonung der Pressefreiheit grundsätzlich auch die Veröffentlichung trivialer Informationen, während das französische Recht (wie auch das italienische) einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse verlangt und bei heimlich angefertigten Fotografien einen strengen Schutz gewährt. Das deutsche Recht nimmt eine Zwischenposition ein.

Gleichwohl sind die Konvergenzen unübersehbar: Auch das englische Recht erkennt nun die Privatsphäre als Schutzgut an. Französische Gerichte urteilen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des EGMR, medienfreudlicher als früher. Das deutsche Recht schützt die Privatsphäre von Prominenten in der Öffentlichkeit unter Einfluss des französischrechtlich inspirierten EGMR-Urteils in der Sache von Hannover verstärkt (BGH 6.3.2007, BGHZ 171, 275; BVerfG 26.2.2008, BVerfGE 120, 180). Dies geschieht, obwohl die EMRK formal keinen zum Unionsrecht vergleichbaren Einfluss ausübt: Sie hat nach Art. 59 Abs. 2 GG nur den Rang eines einfachen Gesetzes.

Literatur

Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Der zivilrechtliche Persönlichkeits- und Ehrenschutz in Frankreich, der Schweiz, England und den Vereinigten Staaten von Amerika, 1960; Axel Beater, Zivilrechtlicher Schutz vor der Presse als konkretisiertes Verfassungsrecht: Grundstrukturen im Vergleich von englischem, US-amerikanischem und deutschem Recht, 1996; Georgios Gounalakis, Hannes Rösler, Ehre, Meinung und Chancengleichheit im Kommunikationsprozeß: Eine vergleichende Untersuchung zum englischen und deutschen Recht der Ehre, 1998; Georgios Gounalakis, Privacy and the Media: A Comparative Perspective, 2000; Ansgar Ohly, Harmonisierung des Persönlichkeitsrechts durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil 2004, 902 ff.; Helmut Koziol, Alexander Warzilek (Hg.), Persönlichkeitsschutz gegenüber Massenmedien/‌ The Protection of Personality Rights against Invasions by Mass Media, 2005; Stephan Balthasar, Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht: Eine historisch-vergleichende Untersuchung zum deutschen, französischen und englischen Recht vom ius commune bis heute, 2006; Friedrich Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie, 2008; Hannes Rösler, Dignitarian Posthumous Personality Rights: An Analysis of U.S. and German Constitutional and Tort Law, Berkeley Journal of International Law 26 (2008) 153 ff.; idem, Harmonizing the German Civil Code of the Nineteenth Century with a Modern Constitution, Tulane European and Civil Law Forum 23 (2008) 1 ff.

Abgerufen von Persönlichkeitsrecht – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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