Personalstatut: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 17:21 Uhr

von Kurt Siehr

1. Begriff

Der Begriff „Personalstatut“ ist doppeldeutig. Im normalen Leben bezeichnet er den Personenstand (personal status, état civil, stato civile) als den persönlichen Status einer Person im Sinne von verheiratet, geschieden, verwitwet oder in einer Partnerschaft lebend (Personenstandswesen). Meistens jedoch wird der Begriff im IPR in einem anderen Sinne benutzt.

2. Personalstatut im internationalen Privatrecht

Im IPR bezeichnet der Terminus „Personalstatut“ (personal statute, statut personnel, statuto personale, personeel statuut, lei pessoal, ley personal) diejenige Rechtsordnung, welche die persönlichen Verhältnisse einer natürlichen oder juristischen Person regelt. Unterschiedlich sind lediglich die Anknüpfung des Personalstatuts und dessen Umfang. Dieser moderne Begriff des Personalstatuts unterscheidet sich vom statutum personale der Statutentheorie dadurch, dass ein statutum personale aus einer Sachnorm bestand, die ihren eigenen Anwendungsbereich nach persönlichen Merkmalen eines oder der Beteiligten bestimmte.

a) Bei natürlichen Personen wird das Personalstatut entweder an die Staatsangehörigkeit oder an den Wohnsitz/‌gewöhnlichen Aufenthalt (domicile/‌habitual residence) der betreffenden Person oder Personen angeknüpft. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit geht auf Pasquale Stanislao Mancini (1817–1888) und dessen Idee eines internationalen Privatrechts auf Grundlage der „nazionalità“ zurück, beherrschte die Haager Übereinkommen bis zum Zweiten Weltkrieg und wird heute noch von manchen nationalen IPR-Gesetzen befolgt (z.B. Art. 7 ff. EGBGB; Art. 5 griech. ZGB; Art. 20 ital. IPR-Gesetz, § 9 österreich. IPR-Gesetz, Art. 8 ff. poln. IPR-Gesetz, Art. 15 portug. Código civil, Art. 9 span. Código civil, Art. 9 ff. türk. IPR-Gesetz, § 11 ungar. IPR-VO). Diese Kodifikationen wollen offenbar die ehemals gemeinsame Linie der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit wegen deren leichteren Feststellbarkeit und Stabilität aufrechterhalten. Im Rahmen der Europäischen Union gelingt dies aber immer weniger. Die langsame Abkehr vom Staatsangehörigkeitsprinzip wird zumindest von fünf Faktoren begünstigt: (1) Immer mehr Personen haben mehrere Staatsangehörigkeiten, und folglich ist zweifelhaft, an welche dieser Angehörigkeiten anzuknüpfen ist. (2) Es gibt viele gemischt-nationale Ehen (mariages mixtes), bei denen – der Gleichberechtigung zuliebe – an ein gemeinsames Merkmal anzuknüpfen ist und eine gemeinsame Staatsangehörigkeit fehlt. (3) Im internationalen Kindschaftsrecht steht das Wohl des Kindes im Vordergrund, und die nächste Rechtsordnung, welche das Kindeswohl garantieren kann, ist häufig das Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt und nicht sein Heimatrecht. (4) Im interlokalen und transnationalen Rechtsverkehr verbietet sich die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, und zwar entweder weil eine Gliedstaatszugehörigkeit fehlt oder weil die Anknüpfung an die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat in einer Gemeinschaft als Diskriminierung von Ausländern verboten ist (vgl. Art. 12 EG/‌18 AEUV). (5) Sofern man bei einer Vereinheitlichung auch die Staaten des common law-Rechtskreises einbinden will, empfiehlt sich die Abkehr vom Staatsangehörigkeitsprinzip; denn dieses ist ihnen seit langem fremd. Heute knüpfen deshalb die meisten Haager Übereinkommen primär an den gewöhnlichen Aufenthalt an. Auch die EG plant, in den Verordnungen zum Ehe- und Erbrecht in erster Linie das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt von Personen zu berufen, und nationale IPR-Kodifikationen bekennen sich ebenfalls zum Aufenthalts- bzw. Wohnsitzprinzip (z.B. schweiz. IPRG).

b) Bei Mehrstaatern, also bei Personen, die mehr als eine Staatsangehörigkeit besitzen, bereitet die Bestimmung des Personalstatuts auf der Grundlage des Staatsangehörigkeitsprinzips Schwierigkeiten. An welche dieser Staatsangehörigkeiten ist anzuknüpfen oder welche Hilfsanknüpfung ist zu wählen? Sehr verbreitet ist die Regel, dass bei einem Mehrstaater an die Angehörigkeit zu dem Staat angeknüpft wird, zu dem die Person die engsten Beziehungen, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. etwa Art. 3 § 2 Nr. 2 belg. Code de droit international privé, Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB, § 9 Abs. 1 S. 3 österreich. IPR-Gesetz, Art. 23 Abs. 2 schweiz. IPRG). Eingeschränkt wird diese Regel freilich häufig für inländische Mehrstaater. Für sie soll die inländische Staatsangehörigkeit vorgehen und das inländische Heimatrecht maßgebend sein (z.B. Art. 3 § 2 Nr. 1 belg. Code de droit international privé, Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB, § 9 Abs. 1 S. 2 österreich. IPR-Gesetz, Art. 19 Abs. 2 S. 2 ital. IPR-Gesetz). Diese Regel dürfte im innereuropäischen Rechtsverkehr als Diskriminierung ausländischer Mehrstaater ungültig und daher insoweit nicht anwendbar sein.

c) Einer Unteranknüpfung bedarf es dort, wo die Hauptanknüpfung (an Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt) das anwendbare Recht noch nicht festlegt (Anknüpfung). Das ist bei territorial und personal gespaltenen Rechtsordnungen der Fall. Wird das Heimatrecht einer Person durch Anknüpfung an ihre Staatsangehörigkeit berufen und ist das Heimatrecht territorial und/‌oder personal gespalten, so muss die maßgebende Teilrechtsordnung durch Unteranknüpfung bestimmt werden. Dieselbe Aufgabe besteht bei einer territorialen Hauptanknüpfung an Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt dann, wenn die so berufen Rechtsordnung personal gespalten ist. Primär sollte es der durch die Hauptanknüpfung berufenen Rechtsordnung überlassen werden, die maßgebende Teilrechtsordnung durch ihr interlokales oder interpersonales Privatrecht zu bestimmen. Fehlt ein solches interlokales oder interpersonales Privatrecht, so muss die maßgebende Teilrechtsordnung nach dem Prinzip der engsten Beziehung festgelegt werden. Bestimmt muss also werden, zu welcher territorialen oder personalen Rechtsordnung der primär berufenen Rechtsordnung die Person die engsten Beziehungen unterhält.

d) Das Personalstatut juristischer Personen wird gesondert bestimmt. Vor allem zwei Möglichkeiten bestehen. Entweder wird an den statutarischen Sitz angeknüpft (Gründungstheorie, theory of place of incorporation, théorie de la constitution ou du siège statutaire, theoria della costituzione) oder an den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung des Unternehmens (Sitztheorie, real seat theory, théorie du siège, principio della sede). Die europäischen Rechtsordnungen haben in ihrem autonomen Recht unterschiedlich angeknüpft. Während z.B. das Vereinigte Königreich und die Schweiz (Art. 154 Abs. 1 IPRG) der Gründungstheorie folgen und z.B. Deutschland, Österreich (§ 10 IPR-Gesetz) und Portugal (Art. 33 Abs. 1 Código civil) die Sitztheorie vertreten, hat Italien ein Mischsystem: für ausländische Gesellschaften gilt die Gründungstheorie, für Gesellschaften mit Sitz der Verwaltung in Italien die Sitztheorie (Art. 25 Abs. 1 IPR-Gesetz). Das Haager Übereinkommen vom 1.6.1956 betreffend die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit von ausländischen Gesellschaften, Vereinen und Stiftungen, das von der Gründungstheorie ausgeht, ist nie in Kraft getreten. Die Sitztheorie verstößt nach der Rechtsprechung des EuGH gegen die Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrags und ist deshalb im innereuropäischen Rechtsverkehr nicht mehr anwendbar (Gesellschaftsrecht, internationales).

e) Der Umfang des Personalstatuts erstreckt sich auf alle Fragen der Begründung, Wirkung und Auflösung von Familienverhältnissen, auf Fragen des Erbrechts und des Vertragsrechts, sofern nicht an den Ort eines Handelns (z.B. Formfragen), den Ort einer Belegenheit (z.B. Erbfolge in Immobiliarvermögen) oder an das Forum (z.B. Fragen der Eheschließung oder Ehescheidung) angeknüpft wird. Für juristische Personen enthält Art. 25 Abs. 2 des ital. IPR-Gesetzes eine gute Aufzählung derjenigen Fragen, die das Personalstatut einer juristischen Person beantwortet.

3. Personalstatut im internationalen Zivilverfahrensrecht

a) Das Europäische Zivilprozessrecht knüpft die internationale Zuständigkeit der Gerichte primär an den Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVO (VO 44/‌2001), Art. 3(a) und Art. 8 EuEheVO (VO 2201/‌2003), Art. 3 EuUnthVO (VO 4/‌2009)). Die Staatsangehörigkeit einer Partei spielt entweder gar keine Rolle (vgl. Art. 3(c) und (d) EuUnthVO) oder nur insoweit, als sie zusammen mit anderen Merkmalen die Zuständigkeit eines Gerichtes rechtfertigt (vgl. Art. 3(a) letzter Spiegelstrich EuGVO). Auch kann nach Art. 15(3)(c) EuEheVO ein Verfahren an das Heimatgericht des Kindes abgegeben werden.

b) Im nationalen Zivilverfahrensrecht dominiert auch die Anknüpfung der Zuständigkeit an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten. Allerdings gibt es dort häufiger eine regelmäßige oder eine Notzuständigkeit für eigene Staatsangehörige. Eine solche Heimatzuständigkeit findet sich z.B. in §§ 98 Abs. 1 Nr. 1, 99 Abs. 1 Nr. 1, 100 Nr. 1 und 101 Nr. 1 dt. FamFG, Art. 9 ital. IPR-Gesetz, Art. 43 Abs. 1 schweiz. IPRG oder § 55 lit. a ungar. IPR-VO. Eine subsidiäre Heimatzuständigkeit sehen z.B. Art. 47. 60 und 67 schweiz. IPRG vor.

4. Personalstatut im internen Recht

Im internen nationalen Recht spricht man nicht von „Personalstatut“. Hier ist von Personenstand, Zivilstand, „personal status“, „état civil“ oder „statuto civile“ die Rede. Damit soll nur angegeben werden, ob jemand verheiratet, geschieden, verwitwet oder partnerschaftlich gebunden ist. Der Ausdruck „ehelich“ oder „unehelich“ geboren ist keine Frage des Personenstandes, weil es diese Differenzierung in modernen Rechtsordnungen nicht mehr gibt. Stattdessen fragt man nur noch, ob die Mutter eines Kindes verheiratet ist oder nicht. In frankophonen Staaten, in denen das innerstaatliche materielle Fremdenrecht zum IPR zählt, wird häufig auch der Status als Ausländer oder Fremder als eine Frage des „état civil“ oder „statut personnel“ bezeichnet.

Auf internationaler Ebene nimmt sich die Internationale Zivilstandskommission des Personenstandswesens an. Sie hat sich dabei sowohl um die Harmonisierung und Vereinheitlichung des materiellen Rechts gekümmert als auch – freilich in geringerem Umfang – um die Vereinheitlichung des IPR.

Literatur

Albert Venn Dicey, The Law of Domicile as a Branch of the Law of England, 1879; Albert Venn Dicey, Emile Stocquart, Le statut personnel anglais ou la loi du domicile envisagée comme branche du droit anglais, 1887; Ernst Wolff, Personalstatut für Gesellschaften, Vereine und Stiftungen, Entwurf eines Abkommens der 7. Haager Konferenz für internationales Privatrecht, in: Festschrift für Martin Wolff, 1952, 374 ff.; Eduard Wahl, Zur Entwicklung des Personalstatuts im europäischen Raum, Rückblick und Ausblick, in: Eduard Wahl, Rolf Serick, Hubert Niederländer (Hg.), Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, 1967, 123 ff.; Alexander N. Makarov, Personalstatut und persönlicher Status, in: Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, 1967, 115 ff.; Andreas Bucher, Staatsangehörigkeit- und Wohnsitzprinzip: Eine rechtsvergleichende Übersicht, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 38 (1972) 76 ff.; Michel Verwilghen (Hg.), Nationalité et statut personnel. Leur interaction dans les traités internationaux et dans les législations nationales, 1984; Christian Rochat, La dislocation du statut personnel, 1986; Heinz-Peter Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988; Albert Bastenier, Le statut personnel des musulmans, 1992; Hans-Georg Ebert, Das Personalstatut arabischer Länder, 1996; Jamal Jamil Nasir, The Islamic Law of Personal Status, 3. Aufl. 2002; Myriam Hunter-Henin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004.

Abgerufen von Personalstatut – HWB-EuP 2009 am 22. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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