Informationspflichten (Versicherungsrecht): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 16:31 Uhr

von Giesela Rühl

1. Funktion

Versicherungsverträge gehören zu den Verträgen, die in besonderer Weise unter Informationsasymmetrien leiden: Der Versicherungsnehmer weiß regelmäßig alles über das versicherte Risiko. Er weiß, ob Umstände eintreten, die das versicherte Risiko erhöhen oder erniedrigen. Und er weiß, wie sich der Versicherungsfall ereignet hat. Der Versicherer kennt demgegenüber die statistische Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Risiko auftritt. Er kennt die Umstände, die statistisch gesehen die Verwirklichung des versicherten Risikos erhöhen oder erniedrigen. Und er kennt das von ihm angebotene komplexe „Rechtsprodukt“ Versicherung. Da beiden Parteien damit Informationen fehlen, die für den Abschluss und die Durchführung des Versicherungsvertrags von Bedeutung sind, besteht die Gefahr, dass das vertragliche Äquivalenzverhältnis aus dem Gleichgewicht gerät und das ordnungsgemäße Funktionieren des Versicherungsmarktes beeinträchtigt wird. Um beides zu verhindern, werden sowohl dem Versicherungsnehmer als auch dem Versicherer durch die meisten nationalen Rechtsordnungen und internationalen Regelwerke Informationspflichten auferlegt, die zur Überwindung der beschriebenen Informationsdefizite beitragen sollen. Für den Fall, dass der Versicherungsvertrag mit Hilfe eines Versicherungsvermittlers geschlossen wird, treffen auch diesen Informationspflichten.

2. Informationspflichten des Versicherungsnehmers

Dem Versicherungsnehmer werden in jeder Phase des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt: vor Abschluss des Versicherungsvertrags, während der Laufzeit des Versicherungsvertrags und nach Eintritt des Versicherungsfalls. Ihre Rechtsgrundlage finden sie im Wesentlichen im nationalen Recht. Bestrebungen die einschlägigen Bestimmungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren, waren bislang nicht von Erfolg gekrönt. Insbesondere kam ein im Jahr 1979 vorgelegter Richtlinien-Vorschlag zu keinem Zeitpunkt auch nur in die Nähe der Verabschiedung und wurde deshalb im Jahr 1993 wieder zurückgezogen. Die Rufe nach einer Vereinheitlichung oder zumindest nach einer Harmonisierung sind trotzdem nie verstummt. Im Gegenteil: Da der europäische Binnenmarkt für Versicherungen (Versicherungsbinnenmarkt) trotz zahlreicher Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft (Europäische Gemeinschaft) immer noch nicht Wirklichkeit geworden ist, haben sich in den letzten Jahren immer mehr Wissenschaftler für eine Wiederaufnahme der Harmonisierungsarbeiten ausgesprochen. Die Europäische Kommission hat deshalb im Jahr 2001 zur Diskussion über die Harmonisierung des Vertragsrechts im Allgemeinen und des Versicherungsvertragsrechts im Besonderen aufgerufen. Seit 2004 strebt sie allerdings statt der Harmonisierung der einschlägigen Bestimmungen nur noch die Verabschiedung eines Gemeinsamen Referenzrahmens an, der die wichtigsten Regelungen des europäischen Vertragsrechts einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers enthalten soll. Mit der Erarbeitung der versicherungsrechtlichen Regelungen hat die Europäische Kommission die Restatement Group European Insurance Contract Law beauftragt. Den Allgemeinen Teil, die so genannten Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), hat die Gruppe Ende 2007 vorgelegt. Da der Gemeinsame Referenzrahmen allerdings nicht bindend sein wird, werden die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ihre eigentliche Rechtsgrundlage auch in Zukunft im nationalen Recht finden. Zahlreiche europäische Staaten – zu nennen sind hier nur Belgien, Deutschland, die Niederlande und Schweden – haben deshalb ihre Versicherungsvertragsrechte einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers in den letzten Jahren modernisiert. In England hat die Law Commission im Jahr 2006 zumindest damit begonnen, Vorschläge für die Reform der einschlägigen Bestimmungen, insbesondere der Bestimmungen über non-disclosure und misrepresentation zu erarbeiten. Die PEICL werden vor diesem Hintergrund nur dann eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie – den Vorstellungen der Restatement Group European Insurance Contract Law entsprechend – neben der Aufnahme in den Gemeinsamen Referenzrahmen außerdem den Status eines optionalen Instruments erhalten, das die Parteien im Wege der Rechtswahl ihrem Vertrag zugrunde legen können. Ob den PEICL dieser Status zuerkannt werden wird, ist derzeit allerdings noch unklar.

a) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags

Die mit Abstand wichtigste Informationspflicht des Versicherungsnehmers ist die Anzeigepflicht, die ihn vor Abschluss des Versicherungsvertrags trifft. Sie wird ihm von allen Rechtsordnungen und auch von den PEICL auferlegt, weil der Versicherer die Besonderheiten des ihm angebotenen Risikos kennen muss, um seiner Aufgabe nachkommen zu können, gleiche Risiken zusammenzufassen und auf eine Vielzahl von Personen zu verteilen, die durch das gleiche Risiko bedroht sind. Nur wenn der Versicherer die Besonderheiten des zu versichernden Risikos kennt, kann er nämlich die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie richtig berechnen und damit verhindern, dass es deswegen zu einer ineffizienten Aufteilung des Risikos kommt, weil sich die Träger „schlechter Risiken“ zu günstig, und die Träger „guter Risiken“ zu teuer versichern (adverse selection). Da sich die Umstände, die für die richtige Einschätzung des Risikos nötig sind, regelmäßig in der Sphäre des Versicherungsnehmers finden und diesem leichter zugänglich sind als dem Versicherer (cheapest cost avoider), wird dem Versicherungsnehmer die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über die für den Abschluss des Vertrags erheblichen Umstände informiert ist. Die Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen spiegelt den damit umschriebenen Sinn und Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht wieder. Die Anforderungen an das dem Versicherungsnehmer auferlegte Verhalten sind dabei grundsätzlich hoch. Allerdings zeigen sich in nahezu allen europäischen Ländern Tendenzen, den Versicherungsnehmer vor einer zu strengen Anzeigepflicht, insbesondere vor den Folgen einer ungewollten Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu schützen.

Von den meisten Rechtsordnungen wird der Versicherungsnehmer zur spontanen Anzeige aller Umstände verpflichtet, die für das versicherte Risiko erheblich sind. Der Versicherungsnehmer muss die entsprechenden Umstände folglich unabhängig davon anzeigen, ob der Versicherer nach ihnen gefragt hat. In den Ländern, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren reformiert haben, wird die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers demgegenüber häufig auf eine Pflicht zur richtigen Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen beschränkt. Dies gilt namentlich für das im Jahr 2008 in Kraft getretene neue deutsche Versicherungsvertragsrecht. Aber auch Art. 2:101(1) PEICL verpflichtet den Versicherungsnehmer lediglich zur Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen. In England hat sich die Law Commission in ihren Vorschlägen zur Reform des englischen Versicherungsvertragsrechts jüngst zumindest bei Verbraucherverträgen für eine entsprechende Beschränkung ausgesprochen. Die Entwicklungen der jüngeren Zeit tragen damit dem Umstand Rechnung, dass der Versicherer regelmäßig besser als der Versicherungsnehmer weiß, welche Informationen er vor Abschluss des Vertrags benötigt. Gleichzeitig machen sie sich die typische Informations- und Wissensverteilung bei Versicherungsverträgen besser zu nutze als eine spontane Anzeigepflicht.

Unabhängig davon, ob die Anzeigepflicht spontan ausgestaltet ist oder nicht, erstreckt sie sich in allen Rechtsordnungen nur auf erhebliche Umstände, die dem Versicherungsnehmer bekannt sind. Nach Art. 2:103(b) PEICL zieht die unterlassene Anzeige nicht erheblicher Umstände zumindest keine Rechtsfolgen nach sich. Soweit der Versicherer nach einem Umstand nicht ausdrücklich gefragt hat, wird zur Bestimmung der Erheblichkeit in den meisten Rechtsordnungen auf den konkreten Versicherer abgestellt. Nur in wenigen Ländern ist wie nach Art. 2:103(b) PEICL ein umsichtiger Versicherer ausschlaggebend. Erheblich ist ein Umstand in den meisten Rechtsordnungen dementsprechend, wenn er die Entscheidung des konkreten Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu denselben Vertragsbestimmungen abzuschließen, beeinflussen würde. Überwiegend wird dabei von einer Beeinflussung bereits dann ausgegangen, wenn der Versicherer den entsprechenden Umstand – ohne seine Entscheidung zu ändern – in seine Überlegungen einbezogen hätte. Nur vereinzelt wird gefordert, dass das angebotene Risiko vom Versicherer tatsächlich abgelehnt oder nur zu anderen Bedingungen, insbesondere einer höheren Prämie, versichert worden wäre. Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob der Versicherungsnehmer auch zur Anzeige solcher Umstände verpflichtet ist, die er zwar nicht kennt, aber kennen müsste. Während insbesondere die Rechtsordnungen des common law und Art. 2:101 PEICL auch diese Umstände der Anzeigepflicht unterwerfen, werden sie in den meisten anderen Ländern nicht als anzeigepflichtig angesehen. Wie oben dargelegt, mildern allerdings zumindest die PEICL die Folgen dieser Regelung dadurch ab, dass sie die Anzeigepflicht nur auf Umstände erstrecken, nach denen der Versicherer gefragt hat.

Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zieht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich. Dem Grundsatz nach folgen alle Rechtsordnungen allerdings entweder dem Alles-oder-Nichts-Prinzip oder dem Proportionalitätsprinzip. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip ist das Regelungsmodell, das in Europa traditionell angewandt wird. Es räumt dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags ein und führt damit dem Grundsatz nach zur Rückabwicklung des Vertrags. Es findet bis heute in zahlreichen Ländern Anwendung und zeichnet sich dadurch aus, dass der Versicherer entweder vollumfänglich zur Leistung verpflichtet ist oder vollumfänglich von der Leistungspflicht frei wird. Es wird von dem grundsätzlich richtigen Gedanken geleitet, einen nicht gewollten und damit nicht effizienten Vertrag aus der Welt zu schaffen. Allerdings steht dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags auch dann zu, wenn dem Versicherungsnehmer kein oder nur geringes Verschulden vorgeworfen werden kann. Da dies zunehmend als unbefriedigend empfunden wird, haben sich die Länder, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren modernisiert haben, ebenso wie die Restatement Group European Insurance Contract Law und die Law Commission in ihren jüngsten Vorschlägen für das Proportionalitätsprinzip entschieden. Dieses Regelungsmodell läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass der Versicherungsvertrag nur bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht rückwirkend aufgelöst werden kann, während ansonsten lediglich der Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung gekürzt wird. Unterschiede ergeben sich zwischen den einzelnen Rechtsordnungen und Regelwerken allerdings, soweit es um die Frage geht, wie der Anspruch auf die Versicherungsleistung zu mindern ist. Während der Anspruch in den meisten Rechtsordnungen und nach Art. 2:102(5) PEICL in dem Verhältnis herabgesetzt wird, in dem die aufgrund der Verletzung der Anzeigepflicht zu niedrig berechnete Prämie zur tatsächlich angebrachten Prämie steht, wird in anderen Ländern die Versicherungsleistung auf die vertraglich vereinbarte Höhe begrenzt oder in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Verschulden des Versicherungsnehmers und der Kausalität zwischen Verletzung der Anzeigepflicht und Eintritt des Versicherungsfalls, gemindert. Das Proportionalitätsprinzip trägt damit sowohl dem Interesse des Versicherungsnehmers an der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes als auch dem Interesse des Versicherers am Schutz vor ungewollten Verträgen und daraus resultierenden Leistungspflichten besser Rechnung als das Alles-oder-Nichts-Prinzip.

b) Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags

Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags trifft den Versicherungsnehmer in den meisten europäischen Ländern die Pflicht, dem Versicherer Änderungen des versicherten Risikos, insbesondere Gefahrerhöhungen, anzuzeigen. Diese Pflicht ergibt sich in den meisten Ländern aus dem Gesetz. In einigen Ländern, namentlich in England trifft sie den Versicherungsnehmer demgegenüber nur, wenn dies vertraglich vorgesehen ist. Auch nach Art. 4:202 PEICL ist der Versicherungsnehmer nur dann zur Anzeige von Gefahrerhöhungen verpflichtet, wenn eine entsprechende Pflicht vertraglich vereinbart wird.

Unabhängig von ihrem Ursprung garantiert die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen, dass das versicherte Risiko, das bei Abschluss des Vertrags vorlag und das Grundlage für die Kalkulation der Versicherungsprämie war, perpetuiert wird und das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten bleibt. Da sich der Versicherer darauf verlassen kann, dass sich das versicherte Risiko, soweit der Versicherungsnehmer einen Einfluss darauf hat, während der Laufzeit des Vertrags nicht verändert, entlastet die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen den Versicherer darüber hinaus von der Notwendigkeit, Änderungen des Risikos beim Abschluss des Vertrags und insbesondere bei der Kalkulation der Prämie zu berücksichtigen. Er muss nicht den Eintritt aller möglichen Gefahrerhöhungen auf Verdacht von Anfang an und mit Hilfe grober Schätzungen in seine Überlegungen und die Berechnung der Prämie einbeziehen, sondern kann bis zum Eintritt einer Gefahrerhöhung warten. Die Ausgestaltung der Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen ähnelt in allen europäischen Rechtsordnungen der Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Insbesondere werden an eine Verletzung ähnliche Rechtsfolgen geknüpft.

c) Nach Eintritt des Versicherungsfalls

Nach Eintritt des Versicherungsfalls trifft den Versicherungsnehmer in allen europäischen Rechtsordnungen sowie nach Art. 6:101 und 6:102 PEICL eine Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls sowie zur Erteilung von Auskünften. Beide Pflichten hat der Versicherungsnehmer unabhängig von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zu erfüllen. Dies mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich dürfte der Versicherungsnehmer regelmäßig ein eigenes Interesse daran haben, den Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls zu informieren. Die Verpflichtung zur Anzeige und zur Erteilung von Auskünften dient allerdings dem Schutz des Versicherers. Er soll die Umstände und den Umfang des geltend gemachten Schadens untersuchen können, und das zu einem angemessenen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls. Da es für den Versicherungsnehmer aufgrund der Nähe zum Versicherungsgegenstand regelmäßig leichter und kostengünstiger ist festzustellen, ob ein Schaden entstanden ist, wird ihm die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls und die Einzelheiten des entstanden Schadens informiert wird. Die Ausgestaltung der Anzeige- und Auskunftspflicht orientiert sich in allen Rechtsordnungen weitgehend an den anderen Anzeigepflichten, die dem Versicherungsnehmer auferlegt werden.

3. Informationspflichten des Versicherers

Ebenso wie dem Versicherungsnehmer werden auch dem Versicherer vor Abschluss und während der Laufzeit des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt. Anders als die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ergeben sich die Informationspflichten des Versicherers allerdings in erster Linie aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht. Die einschlägigen Regelungen finden sich in der dritten Richtlinie Leben (RL 96/‌1992, RL 83/‌2002), in der dritten Richtlinie Schaden (RL 49/‌1992) sowie in der Finanzdienstleistungs-RL (RL 65/‌2002; Fernabsatzverträge). Alle Richtlinien schreiben mit großer Liebe zum Detail vor, worüber und wie der Versicherer den Versicherungsnehmer vor Abschluss und während der Laufzeit des Vertrags informieren muss. Im Einzelnen verpflichten sie den Versicherer zur Übermittlung von Informationen über das Versicherungsunternehmen, über die angebotene Leistung, über den Vertrag und über den Rechtsweg. Bei Lebensversicherungen muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer außerdem Informationen über die zu erwartenden Leistungen, über ihre Ermittlung und Berechnung, über den Rückkaufswert sowie über Abschluss- und Vertriebskosten zukommen lassen. Bei Krankenversicherungen kommen Angaben über die Prämienentwicklung und die Prämiengestaltung hinzu. Ändern sich die vor Abschluss des Vertrags gemachten Angaben während der Laufzeit des Vertrags, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber in Kenntnis setzen.

Indem die genannten Richtlinien den Versicherer zur Übermittlung wichtiger Informationen anhalten, sorgen sie für Transparenz im Hinblick auf das verkaufte Produkt. Dies ist bei Versicherungsverträgen von besonderer Bedeutung, da Versicherungen durch das Recht geschaffen werden und nicht unabhängig vom Recht bestehen. Anders als bei gegenständlichen Waren, deren Qualität in den meisten Fällen durch Inspektion und Untersuchung beurteilt werden kann, bedürfen Versicherungen als „Rechtsprodukte“ der Erläuterung und Erklärung durch den Versicherer, um sicherzustellen, dass Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz wählen, der ihre Risiken auch tatsächlich abdeckt. Allerdings ist unklar, ob und inwiefern die Vorgaben der Richtlinien tatsächlich dazu beitragen, dass Versicherungsnehmer bessere Entscheidungen in diesem Sinne treffen. Die Informationen, die der Versicherer nach den einschlägigen Bestimmungen zu übermitteln hat, sind nämlich so umfangreich und so detailliert, dass viele Versicherungsnehmer auf die Lektüre verzichten, weil die damit verbundenen Kosten den zu erwartenden Nutzen übersteigen (rational ignorance). Aber selbst wenn Versicherungsnehmer alle übersandten Informationen lesen, läuft dies nicht zwangsläufig auf eine Verbesserung ihrer Entscheidungen hinaus. Da die menschlichen Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten begrenzt sind, führt ein „Mehr“ an Informationen häufig nicht zu einem „Mehr“ an Erkenntnis. Im Gegenteil: Wie Untersuchungen aus dem Bereich der Konsumenten- und Verhaltensforschung zeigen, kann ein „Mehr“ an Informationen ab einem bestimmten Punkt sogar eine Verschlechterung von Entscheidungen nach sich ziehen, weil selbst die wichtigen Informationen nicht mehr wahrgenommen werden (information overload). Die unternehmerischen Informationspflichten erlangen vor diesem Hintergrund in erster Linie nach Eintritt des Versicherungsfalls Bedeutung, wenn sich der Versicherungsnehmer – gezielt – über den Versicherungsschutz und das von ihm verlangte Verhalten informieren möchte. Die oben beschriebenen Informationsasymmetrien dürften sich demgegenüber besser auf andere Weise überwinden lassen. Genannt seien hier beispielsweise die Beratungspflichten des Versicherers, wie sie sich etwa in Art. 6 des im Jahr 2008 in Kraft getretenen neuen deutschen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und in abgeschwächter Form in Art. 2:202 PEICL finden. Verwiesen sei aber auch auf Maßnahmen wie das „Produktinformationsblatt“, das der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach § 4 der im Jahr 2008 in Kraft getretenen deutschen Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) übermitteln muss. Dieses fasst die wichtigsten Informationen bezüglich der angebotenen Leistung kurz, übersichtlich und verständlich zusammen und gibt dem Versicherungsnehmer so die Möglichkeit, sich innerhalb kurzer Zeit einen Überblick über die wesentlichen Merkmale des Vertrags zu verschaffen. Es dürfte dem Versicherungsnehmer helfen, der ansonsten auf ihn einprasselnden Flut von Informationen in angemessener Zeit Herr zu werden und eine seinen Bedürfnissen entsprechende Entscheidung zu treffen.

4. Informationspflichten des Versicherungsvermittlers

Wird der Versicherungsvertrag – wie regelmäßig – nicht unmittelbar zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer, sondern mit Hilfe eines Versicherungsvermittlers geschlossen, treffen auch diesen Informationspflichten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage im Europäischen Gemeinschaftsrecht, insbesondere in der Versicherungsvermittler-RL (RL 92/‌2002) und verfolgen im Wesentlichen zwei Ziele: Zunächst einmal sollen sie die bei Versicherungsverträgen typischerweise anzutreffenden Informationsasymmetrien ausgleichen, indem der Versicherungsnehmer über die angebotenen Produkte informiert wird. Insofern verfolgen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers die gleiche Funktion wie die Informationspflichten des Versicherers. Darüber hinaus sollen sie aber auch sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer die Leistung des Versicherungsvermittlers im Hinblick auf ihre Qualität und ihre Neutralität einschätzen kann. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer weiß, wie groß das eigene Interesse des Versicherungsvermittlers am Abschluss der in Rede stehenden Versicherung ist. Die Versicherungsvermittler-Richtlinie verpflichtet den Versicherungsvermittler deshalb dazu, sein Verhältnis zu dem Versicherer, dessen Versicherungen er vermittelt, offen zu legen, indem er insbesondere auf gegenseitige Beteiligungen und vertragliche Verpflichtungen hinweist. Langfristig sollen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers damit verhindern, dass der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer im eigenen Interesse, insbesondere zur Erzielung von Provisionen, zum Abschluss einer Versicherung bewegt, die seinen Bedürfnissen nicht entspricht. Gemeinsam mit den Informationspflichten des Versicherers tragen sie damit zur dauerhaften Funktionsfähigkeit des Versicherungsmarktes bei.

Literatur

Andrew McGee, The single market in insurance, 1998; Eva-Maria Kieninger, Informations-, Beratungs- und Aufklärungspflichten beim Abschluß von Versicherungsverträgen, Archiv für die civilistische Praxis 199 (1999) 190 ff; Jürgen Basedow, Till Fock (Hg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bde. I-III, 2002/‌2003; Markus Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, 2003; Malcolm A. Clarke, Policies and Perceptions of Insurance Law in the Twenty-First Century, 2005; Giesela Rühl, Die vorvertragliche Anzeigepflicht: Empfehlungen für ein europäisches Versicherungsvertragsrecht, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 95 (2005) 479 ff; Martina Eckardt, Insurance Intermediation, 2006; Giesela Rühl, Common Law, Civil Law, and the Single European Market for Insurances, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006) 879 ff; Jörg Ihle, Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers, 2006; Angela Regina Stöbener, Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 96 (2007) 465 ff.

Abgerufen von Informationspflichten (Versicherungsrecht) – HWB-EuP 2009 am 21. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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