Kartellrecht, Rechtsfolgen von Verstößen: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:43 Uhr

von Friedrich Wenzel Bulst

1. Gegenstand, Zweck und Verfahren

Kartellrechtsverstöße können in öffentlichrechtlichen Verfahren ebenso festgestellt werden wie in zivil- und strafrechtlichen. Dementsprechend breit ist die Palette möglicher Rechtsfolgen. Öffentlichrechtliche Sanktionen dienen gemeinhin der Beendigung des Verstoßes und der (Wieder‑) Herstellung unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt, der Spezial- und Generalprävention sowie der Pönalisierung. Strafrechtliche Sanktionen haben ebenfalls sowohl die Spezial- und Generalprävention als auch die Pönalisierung des Rechtsverletzers zum Ziel. Zivilrechtliche Rechtsfolgen sind gemeinhin auf die Kompensation der Opfer des Verstoßes gerichtet und sollen gleichzeitig spezial- und generalpräventiv wirken. Inwieweit ihnen auch eine pönalisierende Wirkung zukommen soll, ist im Gemeinschaftsrecht ebenso umstritten wie in den meisten nationalen Rechtsordnungen (Kartellrecht, private Durchsetzung).

Das in Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV niedergelegte europäische Kartellrecht (Kartellverbot und Freistellung; Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) wird öffentlichrechtlich durch die Europäische Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durchgesetzt (Kartellverfahrensrecht). Strafrechtliche sowie zivilrechtliche Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV werden nur durch nationale Behörden bzw. Gerichte ausgesprochen (Kartellrecht, private Durchsetzung).

Die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV erlegen Rechtspflichten und ‑folgen nur Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auf. Unternehmen sind nach der Rechtsprechung des EuGH Einheiten, die nicht nur gelegentlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig von ihrer Rechtsform, der Art ihrer Finanzierung und dem Vorliegen oder Fehlen einer Gewinnerzielungabsicht. Das heißt, dass natürliche Personen, die für ein kartellrechtswidrig handelndes Unternehmen tätig sind, gemeinschaftsrechtlich nicht belangt werden können, auch wenn sie als Organe oder (leitende) Mitarbeiter die den Verstoß ausmachenden Handlungen begangen haben. Nach vielen nationalen Rechten sind sie jedoch vor Sanktionen nicht gefeit, weder bei Verstößen gegen das Gemeinschafts- noch gegen nationales Kartellrecht.

Die mitgliedstaatlichen Kartellrechte werden allein durch nationale Behörden und Gerichte durchgesetzt (Kartellverfahrensrecht; Kartellrecht, private Durchsetzung).

2. Rechtsfolgen

a) Nach Gemeinschaftsrecht

Die gemeinschaftsrechtlichen Folgen von Kartellrechtsverstößen ergeben sich aus Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV sowie der VO 1/‌2003 in Verbindung mit den Bußgeldleitlinien der Kommission.

Nichtigkeitsfolge: Nach Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV sind die nach Art. 81 EG/‌101 AEUV (Kartellverbot und Freistellung) verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig. Diese gemeinschaftsrechtliche Nichtigkeitsfolge erstreckt sich nur auf die Bestimmungen, die unter das Kartellverbot fallen. Die gesamte Vereinbarung ist nach Art. 81(2) EG nur dann nichtig, wenn sich die verbotenen Teile nicht von den übrigen trennen lassen (EuGH Rs. 56/‌65 – Société Technique Minière, Slg. 1966, 282, 304). Folgeverträge mit Dritten, also etwa zwischen einem Kartellanten und seinem Abnehmer, sind grundsätzlich nicht erfasst. Die weiteren Rechtsfolgen des Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV sind nach nationalem Recht zu bestimmen.

Abhilfemaßnahmen: Gemäß Art. 7 VO 1/‌2003 kann die Kommission ein an einem Kartellrechtsverstoß beteiligtes Unternehmen verpflichten, die Zuwiderhandlung einzustellen, und ihm alle verhältnismäßigen Abhilfemaßnahmen auferlegen (Verhältnismäßigkeit), die erforderlich sind, um die Zuwiderhandlung abzustellen. Die Kommission kann Unternehmen mithin nicht nur zur Unterlassung eines bestimmten Marktverhaltens, sondern auch zu konkreten Maßnahmen verpflichten, wie dem Abschluss von Lizenzverträgen, der Offenlegung bestimmter Informationen oder dem (Mit‑)Vertrieb von Produkten Dritter. Solche Abhilfemaßnahmen sind insbesondere bei Verstößen gegen Art. 82 EG/‌101 AEUV (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) von Bedeutung. Abhilfemaßnahmen können nicht nur verhaltensorientierter, sondern auch struktureller Art sein. Wenn ein erhebliches, durch die Struktur eines Unternehmens als solcher bedingtes Risiko anhaltender oder wiederholter Zuwiderhandlungen gegeben ist, kann ein Verstoß auch mit einer Änderung der Unternehmensstruktur sanktioniert werden, also einer Entflechtung (Erwägungsgrund 12 der VO 1/‌2003). Die Kommission kann, bei berechtigem Interesse, auch einen bereits beendeten Wettbewerbsverstoß festellen. In dringenden Fällen erlaubt Art. 8 VO 1/‌2003 die Anordnung einstweiliger Maßnahmen.

Unternehmen können auch Verpflichtungszusagen abgeben, um eine Abhilfemaßnahme abzuwenden. Nach Art. 9 VO 1/‌2003 kann die Kommission eine solche Verpflichtungszusage für bindend erklären, wenn diese die Bedenken der Kommission ausräumen. Auch Verpflichtungszusagen können Maßnahmen struktureller Art enthalten.

Geldbußen: Im Vordergrund der Rechtsfolgenbetrachtung stehen gemeinhin die von der Kommission auf der Grundlage des Art. 23 VO 1/‌2003 verhängten Geldbußen. Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße eines Unternehmens gegen die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV können danach mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes des Unternehmens geahndet werden. Nach dem oben definierten Unternehmensbegriff des EG-Kartellrechts gilt diese 10 %-Grenze grundsätzlich für den gesamten Konzernumsatz und nicht nur für den Umsatz etwa einer handelnden Tochtergesellschaft.

Die Methode, nach der die Kommission Geldbußen festsetzt, ist in den Bußgeldleitlinien von 2006 niedergelegt, die die Leitlinien von 1998 ablösten. Nach den neuen Leitlinien setzt die Kommission Geldbußen innerhalb der 10 %-Obergrenze auf bis zu 30 % des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens fest, der mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang steht, multipliziert mit der Anzahl Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung. Auf den mit dem betroffenen Produkt erzielten Umsatz wird abgestellt, um einen Bezug zum rechtswidrig erlangten Gewinn herzustellen und auf diese Weise eine abschreckende Wirkung zu erreichen. Bei der Bestimmung der genauen Höhe der Ausgangsbetrags berücksichtigt die Kommission mehrere Umstände, u.a. die Art der Zuwiderhandlung, den kumulierten Marktanteil sämtlicher beteiligter Unternehmen, den Umfang des von der Zuwiderhandlung betroffenen räumlichen Marktes und die etwaige praktische Umsetzung der Zuwiderhandlung, z.B. einer Absprache. Darüber hinaus kann ein bestimmter Anteil der Geldbuße, die so genannte “Eintrittsgebühr”, unabhängig von der Dauer der Zuwiderhandlung verhängt werden, um Unternehmen auch vor einer nur kurzen Beteiligung an einem Verstoß abzuschrecken.

Die Leitlinien sehen eine Reihe von erschwerenden und mildernden Umständen vor, wie die Rolle des betroffenen Unternehmens im Rahmen der Zuwiderhandlung (Rädelsführer, Anstifter; fahrlässige, geringfügige, von echtem Wettbewerb begleitete Beteiligung) und sein Verhalten während der behördlichen Untersuchung (Behinderung; über rechtliche Verpflichtungen hinausgehende Kooperation außerhalb eines Kronzeugenprogramms). Insbesondere kann die Buße bei Wiederholungstätern für jede ähnliche frühere Zuwiderhandlung um bis zu 100 % erhöht werden. Um eine wirksame Abschreckung sicherzustellen, kann die Geldbuße erhöht werden, wenn der mit anderen als den betroffenen Produkten erzielte Umsatz besonders hoch ist. Wenn der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Betrag die 10 %-Obergrenze überschreitet, wird die Buße auf den zulässigen Höchstbetrag reduziert. Das heißt, die Obergrenze führt nicht bereits bei früheren Berechnungsschritten zu einer Kappung. Bußgelder können unter außergewöhnlichen Umständen auch herabgesetzt werden, wenn sie die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des betroffenen Unternehmens unwiderruflich gefährden.

Die Kommission kann nach ständiger Rechtsprechung von ihren Leitlinien nicht abweichen, ohne gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung und den Vertrauensschutz zu verstoßen. Zu den Leitlinien von 1998 haben EuG und EuGH entschieden, dass ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer in hinreichend genauer Weise die Berechnungsmethode und die Größenordnung der Geldbußen vorhersehen kann, die ihm bei einem bestimmten Verhalten drohen, und dass die Tatsache, dass er das genaue Niveau einer zu erwartenden Geldbuße nicht im Voraus genau erkennen kann, keine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Strafen darstellt (EuGH verb. Rs. C 189/‌02 P, C 202/‌02 P, C 205/‌02 P bis C 208/‌02 P und C 213/‌02 P – Dansk Rørindustri, Slg. 2005, I-5425, Rn. 209–211).

Die bislang höchste Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 EG/‌101 AEUV wurde 2008 verhängt und betrug rund EUR 896 Mio. (Saint-Gobain – Autoglas; Gesamtgeldbuße aller Kartellbeteiligten: rund EUR 1.3 Mrd.). Die bislang höchste Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen Art. 82 EG/‌102 AEUV wurde 2009 verhängt und betrug rund EUR 1 Mrd. (Intel).

Unternehmen haben die Möglichkeit, einer Geldbuße zu entgehen oder eine solche zu reduzieren, indem sie sich an dem Kronzeugenprogramm der Kommission beteiligen (Kartellverfahrensrecht).

Gemäß Art. 23(5) VO 1/‌2003 haben Bußgeldentscheidungen der Kommission keinen strafrechtlichen Charakter, was unter Hinweis auf die Höhe der von der Kommission verhängten Bußen in Anfechtungsklagen vor dem EuG und der Literatur bisweilen in Zweifel gezogen wird, verbunden mit der Forderung, die verfahrensrechtlichen Garantien des Art. 6(3) EMRK (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK; EGMR) zur Gänze zur Anwendung zu bringen (Kartellverfahrensrecht). Das ne bis in idem-Prinzip gilt jedoch unbestritten und zwar, nach der Rechtsprechung des EuGH, unter der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts. Der Grundsatz verbietet es mithin, dasselbe Unternehmen mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Bei Kartellrechtsverstößen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können, wenden nicht nur die Kommission, sondern gemäß Art. 3(1) VO 1/‌2003 auch die nationalen Behörden die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV an (ggf. neben nationalem Kartellrecht), d.h. dieselben Rechtsnormen.

Zwangsgelder: Art. 24 VO 1/‌2003 ermächtigt die Kommission unter anderem, gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die ihren Verpflichtungen aus einer Kommissionsentscheidung nach Art. 7, 8 oder 9 VO 1/‌2003 nicht nachkommen, ein Zwangsgeld in Höhe von bis zu 5 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten durchschnittlichen Tagesumsatzes pro Tag der Nichterfüllung zu verhängen. Auf der Grundlage dieser Vorschrift hat die Kommission im Fall Microsoft (COMP/‌37.792) Zwangsgelder in Höhe von EUR 280 Mio. (2006) und EUR 899 Mio. (2008) verhängt.

Rechtsmittel: Das EuG überprüft als Rechtsmittelgericht auf Antrag Entscheidungen der Kommission, mit denen ein Buß- oder Zwangsgeld festgesetzt wird, unbeschränkt auf ihre Rechtmäßigkeit (Kartellverfahrensrecht) und kann das festgesetzte Buß- oder Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen, vgl. Art. 31 VO 1/‌2003 und Art. 229 EG/‌261 AEUV. Das EuG erkennt der Kommission bei der Festsetzung von Bußgeldern einen Ermessensspielraum zu, der seine Grenzen vor allem in den Prinzipien der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit findet.

b) Nach nationalem Recht

Die nationalen Behörden setzen die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV mit Hilfe ihres nationalen Verfahrensrechts durch (Kartellverfahrensrecht). Die VO 1/‌2003 verpflichtet sie dazu und enthält in Art. 5 VO 1/‌2003 die zulässigen Entscheidungsarten, die denjenigen entsprechen, die der Kommission nach der Verordnung zur Verfügung stehen (mit Ausnahme der Feststellung eines beendeten Verstoßes und einer Positiventscheidung nach Art. 10 VO 1/‌2003 Kartellverfahrensrecht). Vor Inkrafttreten der VO 1/‌2003 waren nur etwa in der Hälfte der damaligen Mitgliedstaaten die nationalen Kartellbehörden durch die nationale Gesetzgebung ermächtigt, die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV anzuwenden. In nahezu allen Mitgliedstaaten bestehen inzwischen die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass den nationalen Wettbewerbsbehörden fast alle der in Art. 5 VO 1/‌2003 aufgeführten Entscheidungsarten zur Verfügung stehen. Strukturelle Abhilfemaßnahmen stehen jedoch nur etwa der Hälfte der nationalen Behörden zu Gebote. Auch Zwangsgelder nach dem Vorbild des Art. 24 VO 1/‌2003 können nicht überall verhängt werden.

Rechtsfolgen und Verfahren sind innerhalb eines Mitgliedstaates grundsätzlich identisch, was Verstöße gegen europäisches und nationales Kartellrecht angeht. Die innerstaatlichen Rechte sehen als Sanktionen vor allem Geldbußen für Unternehmen vor, bisweilen auch alternativ die Abschöpfung eines durch einen Verstoß erzielten Mehrerlöses. Die Bußgeldrahmen sind in ca. 2/‌3 der Mitgliedstaaten auf 10 % des Unternehmensumsatzes beschränkt. Die Berechnung des relevanten Umsatzes und der maßgebliche Referenzzeitraum unterscheiden sich jedoch. In einigen erst seit 2004 zur Gemeinschaft gehörenden Mitgliedstaaten gelten absolute betragsmäßige Obergrenzen (vgl. auch unter 3.). In einigen wenigen Mitgliedstaaten, wie Großbritannien, Irland, Rumänien und Estland, können verantwortliche Unternehmensmitarbeiter bzw. Organmitglieder jedenfalls im Falle von Absprachen mit Wettbewerbern (sog. horizontale Vereinbarungen) mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren belegt werden. In anderen Mitgliedstaaten, wie Deutschland, Österreich und Ungarn, sind solche strafrechtlichen Sanktionen auf Fälle der Abstimmung bei öffentlichen Ausschreibungen (Ausschreibungsbetrug) beschränkt. Ausschreibungsbezogene Verstöße können auch den zeitlich beschränkten Ausschluss des fraglichen Unternehmens von späteren Vergabeverfahren nach sich ziehen.

Was zivilrechtliche Sanktionen einschließlich der Nichtigkeitsfolge des Art. 81(2) EG/‌101(2) AEUV betrifft, so sind nach Art. 6 VO 1/‌2003 auch die einzelstaatlichen Gerichte für die Anwendung der Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV zuständig. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss grundsätzlich jedermann Ersatz des Schadens verlangen können, der ihm durch einen Verstoß gegen europäisches Kartellrecht entstanden ist (Kartellrecht, private Durchsetzung). Ob sich dieser Schadensersatzanspruch aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergibt oder aber die Mitgliedstaaten nach Art. 10 EG/‌im Wesentlichen ersetzt durch Art. 3a(3) EU (2007) verpflichtet sind, einen solchen Schadensersatzanspruch vorzusehen, ist in der Literatur umstritten und allenfalls von geringer praktischer Bedeutung. Jedenfalls obliegt es den Mitgliedstaaten, in Abwesenheit einschlägiger Gemeinschaftsregelungen in den Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes die nötigen Voraussetzungen für eine Durchsetzung dieses Anspruches zu schaffen. Theoretisch steht in allen Mitgliedstaaten den Opfern eines Kartellrechtsverstoßes Anspruch auf Ersatz zu. In der Mehrheit der Mitgliedstaaten ist dieser Anspruch bislang jedoch ohne praktische Bedeutung geblieben. Ansprüche sind gemeinhin auf Ersatz des entstandenen Schadens beschränkt, also allein kompensatorischer Natur. Strafschadensersatz wurde bislang nur vereinzelt zugesprochen (Kartellrecht, private Durchsetzung).

3. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Die Höhe der von der Kommission verhängten Bußgelder ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Während das EuG an der Höhe von durch die Kommission festgesetzten Bußgeldern bislang kaum umfangreichere Korrekturen vornahm, die überwiegend aus geringen Herabsetzungen bestanden, ist in der jüngsten Vergangenheit eine Tendenz zu einer umfassenderen Überprüfung auszumachen, die auch zur Erhöhung von Bußgeldern durch das EuG geführt hat (EuG verb. Rs. T-101/‌05 und T-111/‌05 – BASF, Slg. 2007, II-4949).

Seit Inkrafttreten der VO 1/‌2003 haben sich die den Behörden zu Gebote stehenden Sanktionen dem Instrumentarium der Verordnung angeglichen. Diese Entwicklung betraf vor allem die Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen zu verhängen, Zusagen für verbindlich zu erklären und – obwohl hier die Kovergenz am wenigsten weit fortgeschritten ist – die Verfügbarkeit struktureller Abhilfemaßnahmen.

Was die Methoden der Bußgeldberechnung angeht, so verwendet weniger als die Hälfte der nationalen Wettbewerbsbehörden Leitlinien, die, beginnend mit einem Ausgangsbetrag, eine schrittweise abzuarbeitende Bußgeldberechnung vorgeben, wie es die Bußgeldleitlinien der Kommission tun. Die übrigen Behörden berücksichtigen im Rahmen der Bußgeldbemessung eine Reihe von Kriterien, deren Gewichtung gar nicht oder aber nicht in demselben Umfang vorgegeben ist wie in der vorgenannten Gruppe. Auch zeigen sich bei der Bestimmung des für einen Ausgangsbetrag, sofern ein solcher vorgesehen ist, oder für die Bußgeldobergrenze maßgeblichen Umsatzes Divergenzen.

Trotz dieser Unterschiede ist ein erhebliches Maß an Konvergenz festzustellen. Das gilt vor allem, was die Akzeptanz der Bedeutung des mit dem betroffenen Produkt erzielten Umsatzes für die Bußgeldberechnung angeht. Auch werden die Bußgeldobergrenzen, die mit Ausnahme Dänemarks überall vorgesehen sind, ganz überwiegend umsatzabhängig formuliert (also nicht absolut). Daraus wird deutlich, dass Einigkeit über die anzustrebende general- und spezialpräventive Wirkung von Geldbußen besteht. Auch werden, bei möglichen Unterschieden der Gewichtung, von nahezu allen Behörden im Wesentlichen dieselben erschwerenden und mildernden Umstände als relevant angesehen (vgl. 2. a) zu diesen Umständen). Die Arbeitsgruppe Sanktionen der European Competition Authorities (ECA), eines Diskussionsforums der Wettbewerbsbehörden der EWR-Mitgliedstaaten, der Kommission und der EFTA-Überwachungsbehörde, hat im Mai 2008 unverbindliche Empfehlungen zur Bemessung von Geldbußen in Kartellverfahren gegen Unternehmen verabschiedet (Principles for Convergence) mit dem Ziel, das Bußgeldniveau der ECA-Mitglieder anzugleichen.

Literatur

Dermot Cahill, John D. Cooke (Hg.), The Modernisation of EU Competition Law Enforcement in the EU, FIDE 2004 National Reports, 2004; Dorothe Dalheimer, Christoph T. Feddersen, Gerald Miersch, EU-Kartellverfahrensverordnung – Kommentar zur VO 1/‌2003, Sonderausgabe aus Grabitz/‌Hilf, Das Recht der Europäischen Union – Nach Art. 83 EGV, 2005; Wouter P.J. Wils, Principles of European antitrust enforcement, 2005; idem, The European Commission’s 2006 Guidelines on Antitrust Fines: A Legal and Economic Analysis, World Competition 2007, 197 ff.; Philip Lowe, Frank Maier-Rigaud, Quo Vadis Antitrust Remedies, in: Barry Hawk (Hg.), International Antitrust Law & Policy, 2007, 597 ff.; Heribert Franz Koeck, Margit Maria Karollus (Hg.), The Modernisation of European Competition Law – Initial Experiences with Regulation 1/‌2003, FIDE Congress 2008, Bd. 2, 2008; Callum Campbell (Hg.), Cartel Regulation, 2008; Per Hellström, Frank Maier-Rigaud, Friedrich Wenzel Bulst, Remedies in European Antitrust Law, Antitrust Law Journal 2009, im Erscheinen.

Abgerufen von Kartellrecht, Rechtsfolgen von Verstößen – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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